Berufsmusiker in Zeiten von Corona: “Die Musik kann mir niemand nehmen”

Jazzbassist Girogi Kidnazi

Jazzbassist Giorgi Kiknadze ist durch die Corona-Pandemie vorübergehend zum Hausmann geworden.

Der Jazzmusiker Giorgi Kiknadze ist in Zeiten von Corona plötzlich nicht mehr auf der Bühne, sondern zu Hause. Der Kontrabassist aus Hamburg, der ursprünglich aus Georgien kommt, erzählt im Interview über das neue Dasein als Hausmann.

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Sie sind in Georgien geboren, leben aber seit vielen Jahren in Hamburg. Wie agiert die georgische Regierung in der Corona-Krise?

Soweit ich das von hier aus beurteilen kann, ist die Regierung bei uns zugunsten der Gesundheitsexperten in die zweite Reihe gerückt und hat klug und frühzeitig Schutzmaßnahmen ergriffen. Bitter war, dass offenbar ein Infizierter auf einer Beerdigung ungewollt für eine Welle der Ansteckung gesorgt hat. Und die orthodoxe Kirche weigerte sich anscheinend lange, das Beichtritual an Corona anzupassen.

Inwiefern?

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Kirchgänger bekommen in der religiösen Handlung etwas Wein aus einem Löffel eingeflößt. Der Klerus war nicht bereit, auf den einen Löffel, den sich alle teilen, zu verzichten. Vermutlich gingen die Priester davon aus, dass man in den heiligen Hallen der Kirche geschützt ist vor einer Ansteckung.

Wie geht es den Künstlern in Georgien?

Ähnlich wie uns hier. Konzerte brechen weg und die nicht festangestellten Künstler rufen dazu auf, die freischaffenden Musiker, die unser Nachtleben lebendig und kulturell wertvoll machen, zu unterstützen. All die, die normalerweise in Cafés und Restaurants spielen, wissen jetzt nicht, wie sie ihre Mahlzeit bezahlen sollen.

Jazzbassist Girogi Kidnazi

Jazzbassist Giorgi Kiknadze

Sie sind freischaffender Kontrabassist und gaben bis vor Kurzem Abend für Abend Konzerte. Das Coronavirus hat Ihren gewohnten Alltag mit einem Knall beendet.

Die Musik kann mir zum Glück niemand nehmen, solange ich gesund bleibe. Ich übe weiterhin und komponiere. Nur ist fraglich, wann ich die einstudierten Stücke wieder auf der Bühne spielen und mit meiner Musik meinen Lebensunterhalt verdienen kann. Wie viele andere wurde ich aus dem gewohnten Rhythmus gerissen und sitze jetzt zu Hause fest. Meine Tour durch die Republik mit den Bremer Philharmonikern ist abgeblasen, genauso wie meine Wochenendauftritte mit Band. Auch die privaten Musikstunden, die ich gegeben habe, mussten abgesagt werden.

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Was tun Sie, um Ihre Existenzangst in den Griff zu bekommen?

Für meine Nerven war es in den ersten Tagen wohltuend, die Wohnung aufzuräumen und zu putzen. Das schiebe ich sonst eher auf. Wenn außen Ordnung herrscht, sortiert man sich innerlich besser. Dann habe ich viele neue Aufgaben im Haushalt übernommen. Weil wir ein Schulkind und ein Kindergartenkind zu Hause haben, die beide beschäftigt werden müssen, wird mir nicht langweilig. Was mich gerade beruhigt, ist die Solidarität, die ich zugunsten von Künstlern erlebe. Viele Eltern stellen die Zahlungen an die Musikschulen nicht ein, obwohl sie nicht wissen, wann der Unterricht nachgeholt werden kann.

Trotzdem verdienen Sie derzeit kaum Geld. Wie kommen Sie trotzdem über die Runden?

Meine Freundin ist Kinderärztin an einer Hamburger Klinik. Die Jobs von Ärzten sind zum Glück sicher oder anders gesagt: Ärztinnen werden jetzt mehr denn je gebraucht. Mittlerweile darf in manchen Kinderkliniken nur noch ein Elternteil das kranke Kind besuchen, um die ohnehin schon gefährdeten kleinen Patienten vor einer Ansteckung zu bewahren. Macht man sich bewusst, was das für Eltern von schwer kranken Kindern und Neugeborenen bedeutet, relativieren sich die eigenen Sorgen, auch wenn sie nicht verschwinden.

Belastet Sie das Gefühl, finanziell von Ihrer Frau abhängig zu sein?

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Klares Nein! Wir sind eine vierköpfige Familie, wir gehören zusammen und stehen füreinander ein, erst recht in Krisen. Während meine Freundin in Elternzeit war, verdiente ich unser Haupteinkommen. Wir überlegen aber, ob sie ihre halbe Stelle aufstocken sollte, um die Kollegen zu unterstützen und unsere laufenden Kosten zu sichern bis auch ich wieder Geld verdiene.

Wie groß ist die Umstellung vom Künstler zum Hausmann?

Groß. Ich reise normalerweise mit dem Kontrabass auf dem Rücken von Veranstaltung zu Veranstaltung, bin immer mit Musik beschäftigt. Seit ein paar Tagen entscheide ich stattdessen, ob ich meiner Tochter erst das Gesicht eincreme oder erst die Bananenmilch matsche oder erst den Schulkram des Großen erledige oder alles gleichzeitig. Die Kinder ließen auch schon durchblicken, dass sie keine Lust auf siebenmal die Woche Pasta mit Tomatensauce à la Giorgi haben. Natürlich kochte ich früher auch ab und an und übernahm die Kitaeingewöhnung unserer Kleinen. Aber meine Freundin dirigierte das Ganze. Jetzt ist das mein Job.

Lehrer bekommen zurzeit mehr Wertschätzung denn je, weil Eltern am eigenen Leib spüren, wie tricky es sein kann, einem Schulkind Rechtschreibung und Dezimalbrüche beizubringen.

Lehrer haben einen anspruchsvollen Job, aber man muss fairerweise sagen: Viele Eltern müssen in diesen Krisentagen neben der eigenen Berufstätigkeit, die jetzt nach Hause verlegt wurde, noch die Kinder in sämtlichen Fächern unterrichten. Mit drei Kindern und drei verschiedenen Arbeitsplänen von der Schule, die mit virtuellem High-Five im E-Mail-Postfach der Eltern landen, ist das nicht einfach.

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Sie haben jetzt zumindest Zeit für das Homeschooling, oder?

Ganz so einfach ist es nicht. Während ich Addition mit Zehnerübergängen und Übungen zu Umlauten betreue, denke ich darüber nach, wie ich die Zeit daheim beruflich nutzen kann, wie ich meine Website aktualisiere, mich digital neu aufstelle.

Können Sie Ihre Kontrabassschüler nicht weiterhin unterrichten, nur eben per Videokonferenz?

Die Erwachsenen ja, bei den Jüngeren ist das schwierig. Dafür entwickle ich seit einigen Tagen ein neues künstlerisches Überlebenskonzept: Ich werde die Stücke, die ich zuletzt für mein großes, leider abgesagtes Solokonzert einstudierte, via Skype und Facetime online anbieten. Man kann mich dann per Fernschalte zu sich ins Wohnzimmer holen. Zwei großartige Beatles-Stücke, einige wunderbare georgische Lieder und zwei Stücke von Frank Zappa sind dabei. Für ältere Menschen, die Jazz lieben und jetzt tagelang alleine im Wohnzimmer sitzen, ist das bestimmt ein gutes Angebot.

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