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Mathematik und Musik«2232322» hat er gesagt

Studierte an der ETH Informatik, arbeitete dann bei der Zurich-Versicherung – und fand schliesslich zum Jazz: Trompeter Daniel Schenker

Es ist ein schönes Gefühl, wenn man beruflich gefragt ist. Daniel Schenker kennt es. Damals, am Ende seines Informatikstudiums an der ETH 1989, rissen sich die Industrie und der Dienstleistungssektor um ihn. «Ich suchte nach einer Teilzeitstelle und schaltete zwei kleine Inserate – nach einer Woche hatte ich einen 30 Zentimeter hohen Papierstapel mit Rückmeldungen!»

Noch heute spricht der im zürcherischen Richterswil wohnende Schenker, ein gross gewachsener Mann von fast zwei Metern, in der für ihn typischen präzis-knappen Sprechweise, die den technisch geschulten und strukturiert denkenden Kopf verrät.

Soeben ist die neuste CD «Times of Innocence» des Musikers erschienen, der mit Matthieu Michel die wichtigste Jazz-Trompetenstimme im Land ist. Neun wunderbar leichtfüssig klingende Kompositionen. Helle Akkorde des Pianisten Stefan Aeby; so knackige wie rund fliessende Rhythmen von Drummer Elmar Frey; der Zürcher Dominique Girod ist am Kontrabass: Was für ein berückendes Solo spielt er in der Ballade «Katja». Und über dieser Rhythmusgruppe fliegen die Solisten: Schenker, selber an Trompete und Flügelhorn, sowie der amerikanische Spitzen-Tenorsaxofonist Chris Cheek.

Unverhältnismässig viel Arbeit

Eigentlich wäre die Gruppe jetzt auf Schweizer Tour, hätte das Coronavirus nicht auch ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht. So splendid die Gruppe nun ist, so schwierig war es, Konzerte an Land zu ziehen, ein 30-Zentimeter-Stapel aus Antwortschreiben war hier nicht zu verzeichnen. Für die sechs geplanten Konzerte zwischen Wil, Zürich und Basel musste Schenker, wie alle Jazzmusiker hierzulande, die um Konzerte kämpfen, «unverhältnismässig viel Arbeit» investieren. Und doch würde er alles wieder so machen.

Ihm sei klar, dass er in einer kleinen Sparte aktiv sei. Doch sei es eben eine tiefe Befriedigung, an der eigenen, an der urpersönlichen Musik arbeiten zu dürfen. Was ihn ökonomisch abfedere, sei seine Trompeten-Dozentur an der Jazz-&-Pop-Abteilung der Zürcher Hochschule der Künste. Er habe sich ohnehin nie als Kulturschaffender verstanden, der nur um sich kreise, immer habe er auch unterrichten wollen. «Ich suchte Strukturen, und ich habe in der ZHDK einen Kanal gefunden.» Ein wichtiges weiteres Standbein für Schenker ist auch seine Co-Leitung des Zurich Jazz Orchestra: Das Orchester arbeitet seit vielen Jahren kontinuierlich und kreativ.

«Ich wollte mehr wissen über mein Instrument, die Trompete.»: Jazzer Daniel Schenker.

Dass Schenker, der heute 56-jährig ist, in einer dergestalt geordneten Welt landete, war nun nicht zwingend vorgegeben. In seinen späten Zwanzigern suchte er gerade eine eher «freigeistige» Welt», wie er sagt. Im Grossraumbüro der Versicherung, bei der er damals Teilzeit als Informatiker arbeitete, fühlte er sich weniger wohl als in der «offenen Welt» des Jazz. Daniel Schenker absolvierte von 1992 bis 1995 auch noch die Swiss Jazz School in Bern – sein methodisch strukturiertes und von der ETH geprägtes Denken begleitete ihn auch hier. «Ich wollte wissen, wie es ist, wenn man in theoretischer Hinsicht tiefer ins Jazz-Gebäude hineingeht. Ich wollte auch mehr wissen über mein Instrument, die Trompete. Und: Es resultierte eine fantastische Entdeckungsreise!»

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Faktisch war der Jazz in der Schweiz damals in vielerlei Hinsicht noch nicht arriviert. Doch seither sei eben viel passiert, sagt Schenker. Und gerade er selber steht mit seiner Person dafür, dass ein Leben im Jazz in der Schweiz heute gleichsam solid, intellektuell anregend und gesellschaftlich nützlich sein kann.

«Der Jazz hat eine gesellschaftliche Aufwertung erlebt.»

Daniel Schenker

Es habe sich dank der Jazzhochschulen eine enorme Akademisierung abgespielt im Jazz, weiss Schenker. Die Ausbildungen seien systematischer und strenger als früher. Die meisten Jazzstudierenden würden heute eine Matura mitbringen. «Nach der Ausbildung hat man auch ganz andere Möglichkeiten, etwa im Schulwesen, als noch vor 25 Jahren. Der Jazz hat eine gesellschaftliche Aufwertung erlebt.»

Dennoch will Schenker den Jazz nicht nur in Kategorien des Geordneten denken. Schon gar nicht ästhetisch. Im Moment des Jazzspielens dürfe man nicht mehr knobeln, rechnen. Das Intuitive zähle. «Anders als bei einem Informatikprojekt kann man nicht sagen: Lasst uns mal überlegen und nächste Woche wieder eine Sitzung machen.»

Ja, vielleicht steht Schenkers Musik gar für ein bewusstes arithmetisches Exerzitium der Seele.

Am Ende nun ist all dies, was Schenker über sich als Jazzmusiker sagt, auch hörbar in seiner Musik. Kulturpublizist Manfred Papst hat ganz recht, wenn er in seinem Begleittext zu Schenkers Album «Times of Innocence» den deutschen Philosophen Leibniz zitiert: Musik sei ein unbewusstes arithmetisches Exerzitium der Seele. Ja, vielleicht steht Schenkers Musik gar für ein bewusstes arithmetisches Exerzitium der Seele. Theoriegeleitet strukturiert er öfter seine Kompositionen. Eines seiner Stücke heisst so fast spröde und mathematisch wirkend: «2232322». Damit ist ein metrisches Muster gemeint, das Schenker durch systematisches Probieren entdeckte – das Muster bildet die Bassfigur, die sein Stück prägt.

Eine Perle von Ballade

Doch in Schenkers Musik findet sich neben dem Rationalen nun eben auch: die Seele. Und dies durchaus nach dem Motto des Dichters Christian Morgenstern: «Lass das Tüfteln, lass das Hobeln, / heilig halte die Ekstasen.» «Katja» etwa, der Gipfelpunkt seines Albums, ist eine Perle von Ballade. Das Stück lebt vom Lyrischen, lebt von der hymnischen Soundkultur, lebt vom sinnlichen Melos der beiden Bläser Schenker und Cheek.

Auch das titelgebende Stück von Schenkers Platte, «Times of Innocence», ist voller Emotionalität. Und vielleicht kann man diese Nummer gar sehr konkret auf die Biografie Schenkers hin hören, eine Biografie mit zwei Lebenssträngen, wobei diese Lebensstränge zusammengingen, statt zur Zerreissprobe zu werden. Das stärkste Kennzeichen von Schenkers Musik ist gerade Leichtigkeit. Ein völliges Freisein von aller Verdüsterung. «Times of Innocence» klingt gerade so – und Schenker sagt treffend: «Mit ‘Innocence’ meine ich bei diesem Stück weniger Unschuld. Ich übersetze es lieber mit Unbeschwertheit.»

Daniel Schenker Quintet feat. Chris Cheek: Times of Innocence (TCB)