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Die Jazz-Szene und die Folgen der Corona-Krise Bleibt später die Angst vor der Nähe?

Die Jazzredaktion von BR-Klassik sammelt Statements. Wie gehen Musikerinnen und Musiker mit der Krise um? Erste Einschätzungen der Situation gab in einer Jazztime-Sendung Wolfram Knauer, der Leiter des Jazzinstituts in Darmstadt, einer der weltweit bedeutendsten Forschungsstellen für Jazz.

Leiter des Jazzinstituts Darmstadt Wolfram Knauer | Bildquelle: Roland Spiegel

Bildquelle: Roland Spiegel

Wie ist die aktuelle Lage für die Jazz-Szene? Und wie zeigt es sich zum Beispiel in der täglichen Arbeit von einem, bei dem viele Fäden zusammenlaufen - von Musikern aus den USA und aus Europa. Wolfram Knauer ist Leiter des renommierten Jazz-Instituts in Darmstadt, einer bedeutenden Anlaufstelle für Musikerinnen und Musiker, Veranstalter und alle, die über Jazz etwas wissen wollen. Außerdem ist er Autor unter anderem des hervorragenden Buchs "Play yourself, man!" über die Geschichte des Jazz in Deutschland - hat also enge Kontakte zu deutschen Musikern unterschiedlicher Generationen und darüber hinaus viele internationale Kontakte. Knauer sprach in einer Sendung der BR-Klassik-Jazztime mit Roland Spiegel über die aktuelle Situation. Hier einige kurze Auszüge - das vollständige Gespräch ist in der "Jazztime"-Sendung anzuhören, die man auf dem Foto Wolfram Knauers anklicken kann.

DIE GROSSE KRISE WIRD KOMMEN, WENN WIR WIEDER KONZERTE HÖREN.

BR-KLASSIK: Wolfram Knauer, was ist im Moment los bei Euch im Jazz-Institut? Viele Katastrophenmeldungen?

Leiter des Jazzinstituts Darmstadt Wolfram Knauer | Bildquelle: Roland Spiegel Bildquelle: Roland Spiegel Wolfram Knauer: In den ersten zwei Wochen haben wir Anrufe von Musikerinnen und Musikern und Veranstaltern bekommen, die nicht wussten, was da auf sie zukommt. In der Zwischenzeit kriegt ja jeder mit, was er oder sie machen muss, um meinetwegen an Hilfsgelder zu kommen. Die Sorgen haben natürlich nicht nachgelassen. Es gibt ein bisschen Frust mit der Bürokratie und mit den politischen Hilfszusagen und der Frage, inwiefern Künstlern ideal damit geholfen wird oder nicht. Aber tatsächlich hat es bei uns jetzt wieder ein bisschen nachgelassen; wir kommen jetzt ein bisschen zu Archivarbeit. Was bei uns NICHT los ist: Bei uns erklingt keine Live-Musik mehr, schon seit über einem Monat nicht mehr, und wir haben auch seit über einem Monat keine Besucher mehr im Archiv.

BR-KLASSIK: Nachfrage zu einem Punkt: die Musiker und der Frust darüber, dass Hilfen nicht ankommen: wie sieht das aus?

Wolfram Knauer: Musiker sind - wie heißt das so schön? - Solo-Selbständige. Wir sind ja tatsächlich in einer zu Anfang der Krise beneidenswerten Situation, wo wirklich alle Politiker die Künstler immer mit einbezogen haben, wenn sie darüber berichtet haben, dass sie sich um Hilfe kümmern; sie haben immer gesagt: Solo-Selbständige, das beinhaltet eben auch Künstlerinnen und Künstler. Jetzt sehen wir allerdings, dass die Instrumente, die dafür ausgepackt wurden, doch nicht unbedingt auf jeden Künstler passen und dass man da ein bisschen zwischen die Fugen gerät. Zu Beginn dieser Hilfsmaßnahmen waren alle, die sich um Gelder bemüht haben, geduldig und haben gesagt: Wie großartig, dass hier überhaupt etwas passiert! Im Augenblick habe ich so ein bisschen das Gefühl, dass diese Geduld jetzt auch ein wenig weicht - vielleicht der Angst weicht, aber sicherlich auch dem Frust weicht, dass es doch nicht ganz so schnell und so einfach geht, wie man das sich vielleicht vorgestellt hat. Es wird auch vielen der Antragsteller bewusst, dass ihre Anträge auf Nothilfe eben nur eine Nothilfe sind und nicht wirklich die ausgefallenen Konzerte ersetzen - oder die Gagen oder die Folge-Aufträge, die sich durch Konzerte in Clubs oder bei Festivals ergeben können.

BR-KLASSIK: Es heißt ja immer, Betriebskosten werden erstattet, aber kann man denn von Musikern, die im Moment keine Konzerte geben können, von Betriebskosten sprechen?

Wolfram Knauer: Ganz genauso ist es. Der Betrieb eines Musikers ist sein Instrument, ist sein Körper, ist sein Kopf. Und das ist eine Crux, wir hoffen alle, dass das auch in der Politik angekommen ist. Die Proteste waren groß. Wir haben ja doch einige Fürsprecher auch in der Politik. Gerhart Baum hat sich sehr deutlich zu Wort gemeldet, Monika Grütters, unsere Kulturstaatsministerin, weiß um das Problem, und ich hoffe, dass das wirklich überall ankommt. Und das muss man, um das ins Positive zu wenden, auch sagen: Im Augenblick sind ja viele Dinge möglich, von denen wir noch vor Wochen gedacht hätten, die sind so nicht möglich. Es gibt eine enorme Flexibilität in der Bürokratie, und ein bisschen gutes Vertrauen darauf muss man wahrscheinlich behalten.

BR-KLASSIK: Kann diese Krise für die Musikerinnen und Musiker auch etwas Positives haben?

Wolfram Knauer: Fragst Du mich das bitte in zwei Jahren nochmal? Ich habe wirklich keine Ahnung. Im Augenblick sehe ich nicht nur Negatives, aber ich könnte das Positive nicht benennen. (…) Wir haben darüber gesprochen, dass grundsätzlich die Gesellschaft besser auf sich und die anderen aufpasst: Das sind ganz allgemeine positive Signale, die wir im Augenblick spüren. Ob das alles für den Jazz positiv ausgeht, ich weiß es nicht. Ich meine: Die große Krise wird kommen, wenn wir wieder Jazzkonzerte hören und wenn wir plötzlich feststellen, dass ein Club, der voll ist und in den wir noch vor einem halben Jahr besonders gern gegangen wären - weil 'voll' immer bedeutete: 'Oh, das ist bestimmt was, was du nicht verpassen darfst' -, dass uns der vielleicht Angst macht; und wir eigentlich der Meinung sind, ich möchte lieber in ein Konzert gehen, in dem weniger Menschen sind, als in dem viele Menschen sind. Die richtige Krise wird erst dann kommen, wenn wir sehen, wie viele der Veranstalter wirklich überleben, inwiefern Tourneen noch zustande kommen im nächsten Jahr, welche Festivals auf welche Art und Weise gefeiert werden. Im Idealfall werden Veranstalter, werden Musikerinnen und Musiker, werden Tontechniker, Filmemacher, Studios neue Präsentationsformen entwickeln - aus dieser Krise heraus, auch weil sie erlebt haben, dass die Menschen vielleicht auch bereit sind, auch Musik anders wahrzunehmen. Im Idealfall wird es vielleicht eine neue Art von Hörgerechtigkeit geben, was auch die Bezahlung von Musik anbelangt, von digitaler Musik im Internet. Nur, ob das dann wirklich eintreten wird, darüber reden wir dann, wenn es denn eingetreten ist, wenn wir feststellen: Hm, ja, das war ein Effekt der großen Corona-Krise von 2020. Und es wird ja nicht nur eine Corona-Krise des Jahres 2020 bleiben, sondern es wird mindestens eine Krise 2020/2021 sein.

KREATIVITÄT IM SELBSTGEWÄHLTEN GEFÄNGNIS

In der Jazztime mit Wolfram Knauer kann man Musik diverser deutscher Künstlerinnen und Künstler hören, darunter Schlagzeugerin Eva Klesse, Pianistin Julia Kadel, Saxophonist Johannes Enders, Gitarrist Ronny Graupe und nicht zuletzt Klarinettist Rolf Kühn. Rolf Kühn ist im Jahr 2019 neunzig Jahre alt geworden. Wir fragten ihn - ergänzend zu den Auskünften, die Wolfram Knauer über Kühn und andere Musiker in der Sendung machte - am Telefon, wie er mit der Krise umgeht.

Rolf Kühn | Bildquelle: Paul Zinken-dpa Klarinettist Rolf Kühn | Bildquelle: Paul Zinken-dpa Rolf Kühn: Ich bin sehr viel zuhause und bereite Sachen vor, meine Konzerte wurden teils abgesagt, teils verschoben bis hin ins nächste Jahr. Es ist sicher eine völlig ungewohnte 'Zwangs'-Pause, aber ich kann natürlich schöne neue Ideen ganz in Ruhe mal, ohne wegfahren zu müssen, versuchen umzusetzen in meinem selbstgewählten Gefängnis. Meine Frau und ich verbringen die Abende gemütlich zuhause, und es geht uns soweit recht gut. Sorgen macht mir allerdings die ökonomische Situation der freiberuflichen jüngeren Kolleginnen und Kollegen.

Ronny Graupe: Das war natürlich ein Schock, zu erfahren, dass es auf längere Zeit keinen normalen Konzertbetrieb geben kann. Man kann sich wie einige Kollegen von mir verständlicherweise daraufhin zurückziehen und hoffen, daß es schnell vorbei gehen wird. Irgendwie verspürte ich jedoch den Impuls, etwas zu unternehmen und beschloss, die Konzertreihe 'Into The Shed' aufzuziehen. Damit bin ich im Moment viel beschäftigt und habe dadurch auch die Möglichkeit, mich mit meinen Gästen auszutauschen, die Lage zu besprechen etc. und nicht zuletzt auch zu musizieren, was in dieser Zeit wirklich sehr gut tut!

Julia Kadel  | Bildquelle: David Laskowski, Felix Broede Pianistin Julia Kadel | Bildquelle: David Laskowski, Felix Broede Julia Kadel: In dieser Zeit habe ich zunächst eine extreme Entschleunigung erfahren, was erst einmal gewöhnungsbedürftig war. Alle meine Konzerte fallen aus, das ist hart. Ich hoffe, dass es ab September weitergehen kann. Doch genieße ich die neue Ruhe und geschenkte Zeit und verbringe sie mit neuen Ideen, für die ich mir auf einmal den nötigen Raum nehmen kann. Krisen machen kreativ, ich genieße ebenfalls neue Arten von Solidarität, zum Beispiel unter den Menschen auf der Straße, die sich auf einmal alle bewusster begegnen. Und ich bin dankbar, nicht woanders zu leben, wo noch ganz andere existenzielle Sorgen hinzukämen.

Eva Klesse: Einen Moment hat es schon gedauert, zu realisieren, dass mein Leben jetzt von hundert auf null geht. Ich saß mit gepackten Koffern für zehn Tage Tour (Türkei, Schweiz, Deutschland) im Zug, als innerhalb von zwei Stunden quasi mein berufliches Leben der nächsten Wochen/Monate vor mir zusammenfiel. Mittlerweile habe ich mich ein Stück weit an die neue Zeit gewöhnt, versuche, auch die positiven Seiten zu sehen: Zeit haben, üben, schreiben, nachdenken, in Kontakt sein mit Leuten, innehalten. Aber natürlich fehlt mir das Musizieren und der Austausch mit anderen sehr, genauso wie der Kontakt zu Kolleg*innen, Veranstalter*innen, Publikum und ich freue mich schon sehr (!) auf die Zeit, wenn das alles wieder möglich ist. Abgesehen davon bin ich mit meiner (halben, befristeten) Stelle natürlich wahnsinnig privilegiert und hoffe, dass nun es bald eine bundesweite Grundsicherung für alle freiberuflichen Kunstschaffenden geben wird und dass diese Zeit vielleicht auch ein genereller Denkanstoß zum Thema Gerechtigkeit, Wertschätzung von Arbeit, Bedeutung von Kunst und Kultur für unsere Gesellschaft sein kann.

Johannes Enders: Ich versuche die Coronazeit ein bisschen so anzugehen wie ein Mönch eine Klausur. Mittlerweile hat sich ein ganz guter Rhythmus zwischen Online-Unterricht für meine Studenten, Üben , Komponieren und viel Spazierengehen und viel Zeit mit meiner Familie eingestellt. Natürlich vermisse ich das Livespielen sehr und hoffe, dass sobald wie möglich wieder eine gewisse Normalität einkehrt. So schlimm diese Krise auch für viele Menschen ist, birgt sie sicher auch einige Chancen.

Radio-Tipps:

News & Roots am 21. April 2020
Die Jazz-Szene und Corona: Gespräch mit Wolfram Knauer, Leiter des Jazz-Instituts Darmstadt, über Situation und Perspektiven des Jazz in der Ausnahmesituation. Unter anderem mit Musik von Eva Klesse, Julia Kadel, Johannes Enders und Rolf Kühn
Moderation: Roland Spiegel

Jazz aus Nürnberg am 22. April 2020
"Vereinzelt und vernetzt" - die fränkische Jazzszene und ihre Strategien in der Krise
Mit Kim Barth, Mareike Wiening und Rebecca Trescher
Moderation und Auswahl: Beate Sampson


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