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In der Hauptstadt der Pandemie Wie ein Delmenhorster Corona in New York erlebt

Der Delmenhorster Christof Knoche erlebt derzeit in New York, was das Coronavirus anrichten kann. Bei dem Jazz-Musiker verlief die Infektion harmlos, ein Freund zählt aber zu den tausenden Todesopfern.
24.05.2020, 05:00 Uhr
Lesedauer: 4 Min
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Wie ein Delmenhorster Corona in New York erlebt
Von Björn Struß

Schon in Deutschland und in Delmenhorst sind die Auswirkungen der Pandemie gravierend. Doch wer verstehen möchte, was das Coronavirus anrichten kann, muss nach New York City blicken. Die Johns Hopkins University zählt in der Weltmetropole über 15.000 Todesfälle in Verbindung mit Covid-19. Die New York Times hat ausgerechnet, dass in der Hochphase der Viruswelle statistisch alle zwei Minuten ein New Yorker mit Corona starb. Wie lebt es sich in der Hauptstadt der Pandemie? Diese Frage hat der Jazz-Musiker Christof Knoche in den vergangenen Wochen regelmäßig seiner Mutter beantwortet, die in Delmenhorst lebt. Knoche wuchs an der Delme auf, seit mehr als 20 Jahren ist der „Big Apple“ sein zu Hause.

„Obwohl es im Moment eine beängstigende und nie da gewesene Zeit ist, ist man hier in New York einiges gewöhnt“, berichtet der 52-Jährige. Er erlebte schon, wie am 11. September der Terror die Stadt über Monate in einen Ausnahmezustand versetze. Von dieser Krisenerfahrung scheint Knoche nun zu profitieren. Bei dem Videoanruf wirkt er nicht wie ein Familienvater, dem die Krise schlaflose Nächte bereitet. Ganz im Gegenteil. Wenn man bedenkt, dass praktisch in seiner Nachbarschaft die mit Leichen befüllten Kühl-Container stehen, ist seine positive Grundstimmung bemerkenswert.

Baldiger Vater und Ersatzlehrer

In den USA ist es sieben Uhr morgens. Die Kinder, drei und sieben Jahre alt, schlafen noch. Knoche hat bewusst diese Uhrzeit für das Videogespräch gewählt, denn schon bald ist er als Vater und Ersatzlehrer voll im Einsatz. „Die Day Care ist noch offen, da könnten wir unsere Dreijährige hinbringen“, erzählt er. Im Gegensatz zur deutschen Kindertagesstätte ist dieses Angebot rein privat finanziert. Knoche ist mit seiner Frau allerdings nicht darauf angewiesen, weil beide im Homeoffice arbeiten können. Gleichzeitig ist die Familie auch in keine wirtschaftliche Not geraten. In einem Land ohne Sozialstaat ist das ein großes Glück.

Trotzdem lebt Knoche in Manhattan in keiner Blase der Glückseligkeit. „Meine Frau und mich hat es gleich am Anfang erwischt, im März“, berichtet der Familienvater. Glücklicherweise hätten sie eine sehr gute Hausärztin gehabt, die die Symptome per Ferndiagnose erkannte und der Familie häusliche Quarantäne verordnete. „Zu diesem Zeitpunkt waren die Krankenhäuser hoffnungslos überlastet. Es wurden praktisch nur noch Menschen mit akuter Atemnot angenommen“, erinnert sich Knoche. Es sind die Wochen, in denen die Infektions- und Todeszahlen in der Metropole sprunghaft ansteigen. Im Wissen, dass es im Notfall kein freies Krankenhausbett für sie geben könnte, bleibt Knoche mit seiner Frau krank in der eigenen Wohnung.

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Doch die Symptome bleiben milde, eine ärztliche Behandlung ist nicht nötig. „Aber diese Tage waren sehr beängstigend. Es waren praktisch durchgehend die Sirenen der Krankenwagen zu hören“, berichtet Knoche. Die Krise vor der eigenen Haustür verfolgt er allerdings überwiegend durch die Medien. Die offiziell noch bis Ende Mai geltende Ausgangssperre lässt auch kaum eine andere Wahl. Die eigene Familie kam bislang mit dem Schrecken davon. Knoche musste aber schon um einen Freund trauern. Im Alter von 92 Jahren starb der berühmte Jazz-Musiker Lee ­Konitz in Verbindung mit Covid-19. „Er war eine große Persönlichkeit, ein bekannter Saxofonist“, sagt Knoche. Das lange so abstrakte Virus sei im Moment der Todesnachricht so real wie nie gewesen.

Das Instrument, dass Lee Konitz berühmt machte, ebnete auch Knoche den Weg in die Weltmetropole. Sein Musik- und Saxofon-Studium war in Deutschland schon beendet, als ein Lehrer ihm riet, sich für ein Stipendium zu bewerben. „Eigentlich war das für mich kein Thema. Aber mit dem Stipendium war die Reise praktisch umsonst“, erklärt Knoche. Damals war er 23 Jahre alt, es ist das Jahr 1997. „New York hat mich begeistert. Mit Bill Clinton als Präsident war es auch ein anderes Land als heute“, schwärmt er. Praktisch jeden zweiten Abend ist er auf einer musikalischen Abendveranstaltung, inhaliert die Jazz-Kultur. „In Delmenhorst und Bremen ist die Szene eher beschaulich. Das ist in New York natürlich ganz anders“, sagt Knoche. Aus dem einen Jahr sind nun 23 geworden. Wer es in New York schafft, der schafft es überall, heißt es in einer viel zitierten US-amerikanischen Sprichwort. Diese Lebensleistung kann Knoche als Jazz-Musiker inzwischen für sich beanspruchen.

Aufnahmen in der eigenen Wohnung

Das Saxofon und die Musik hat auch Corona nicht aus der DNA von Knoche entfernt. „Konzerte habe ich für dieses Jahr komplett abgeschrieben“, sagt er. Neben der Arbeit als Musiklehrer sei es aktuell auch möglich, Aufnahmen in der eigenen Wohnung zu machen. „Die Qualität ist erschreckend gut“, gesteht ­Knoche und lacht. Zum Wesen der Musik gehöre aber das Zusammenspiel mit anderen Menschen.

Eine spartanische Variante des Zusammenspiels erlebt New York jeden Abend um 19 Uhr. Die Menschen öffnen ihre Fenster und machen mit allem Lärm, was sie gerade in der Wohnung finden. Mit dieser lautstarken Aktion danken die New Yorker allen Ärzten und Sanitätern, die jeden Tag um Menschenleben kämpfen. „Wenn der Krach vorbei ist, stelle ich mich oft mit einem Musikinstrument auf die Feuerleiter“, berichtet Knoche. Anstelle von extravaganten Jazz-Einlagen spielt er dann populäre Musik. „Zum Beispiel ‚Message In A Bottle‘ von The Police“, erklärt Knoche. Er versuche, Titel zu finden, die irgendwie zu der aktuellen Lage passen. Nur fröhlich müssten sie sein. Als Dank käme dann Applaus aus den geöffneten Fenstern. Vielleicht hilft es in der Corona-Krise auch, ein Vollblutmusiker zu sein.

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