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Die amerikanische Komponistin, Bandleaderin und fünffache Grammy-Gewinnerin Maria Schneider boykotiert Spotify – und verdient so mehr. Nicht nur deshalb verdient die Künstlerin Respekt.
Google, heute einer der grössten Konzerne der Welt, war einst angetreten, um die Welt zu verbessern. «Don’t Be Evil», sei nicht böse, lautete 1998 das Motto der Firmengründer Larry Page und Sergei Brin, die in einer Garage die epochale Suchmaschine erfanden. Dort entwickelten sie gleichzeitig ein System, das Geld in ihre Kassen spülen sollte. Heute ist Google an der Börse weit über eine Billion Dollar wert.
Der Slogan «Don’t Be Evil» taucht auch auf der soeben erschienenen Doppel-CD der Grande Dame des Grossorchestralen, der New Yorker Komponistin und Arrangeurin Maria Schneider, auf. Bei ihr schwingt allerdings ein bitterer Unterton mit. «Don’t Be Evil» ist ein Stück ihres Albums mit dem Titel «Data Lords».
Damit sind die Firmen gemeint, die alle unsere Daten besitzen und mit ihnen machen, was immer sie wollen, weil multinationale Konzerne in unserer national organisierten Welt schwer zu kontrollieren sind.
Spotify ist ein etwas kleinerer Data Lord. Doch hat diese Zeitung unlängst aufgedeckt, wie das Streamingportal Musikerinnen und Musikern ihre Einnahmen vorenthält, die ihnen zusteht. Geld, das sie benötigen würden, um ihre Kunst weiterzuentwickeln. In den letzten Jahren hat sich Maria Schneider dem Kampf gegen diese Data Lords verschrieben und engagiert sich in Kommissionen, wo über Musikrechte verhandelt wird.
Es ist ein Kampf David gegen Goliath, und wenig spricht dafür, dass David Maria Schneider ihn gewinnen wird. Doch für sich selbst hat sie einen alternativen Weg gefunden, der auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist. Die Rechte an ihren Kompositionen liegen bei ihr, sie hat mit befreundeten Musikern eine Plattenfirma gegründet, ihr Management ist hochprofessionell – sie hat alles selbst unter Kontrolle. Auf den Streamingportalen von Spotify & Co. sucht man die acht Alben der Maria Schneider vergebens. Auf ihrer Website kann man die Werke aber direkt erwerben.
Sie erklärt ihr Businessmodell: «Eine Albumproduktion mit meinem Orchester ist sehr teuer und kostet 200 000 Dollar. Wenn 20 000 Fans mein Album für 15 Dollar über die Website kaufen, kommen 300 000 Dollar zusammen. Das lohnt sich für mich. Wenn meine Musik über die Streamingportale verfügbar wäre, würden vielleicht mehr Leute meine Musik hören, aber es blieben mir nur ein paar lumpige Dollars. Ich könnte meine Musik also nicht finanzieren. Es würde kein Album mehr mit einem grossen Orchester geben. Sie werden meine Musik also nie auf Spotify finden.»
Und weiter:
Meine Musik ist meine Investition. Ich habe über die Jahre wahrscheinlich gut eine Million Dollar in meine Musik investiert. Ich will mein Geld zurückhaben. Mehr noch: Es ist mein Lebenswerk und meine Altersvorsorge. Wie könnte ich sie einfach wegwerfen?
Maria Schneider, die im November sechzig wird, ist heute das Mass der Dinge im grossorchestralen Jazz. Ihre erste CD «Evanescence» war im Jahr 1994 eine Sensation, so hatte man eine Jazz-Big-Band noch kaum je klingen gehört. Gut fünfundzwanzig Jahre und sieben Alben später hört man ihren Sound, ihre Instrumentenkombinationen, ihre Voicings und nicht zuletzt die grosse Dramaturgie mit den weiten Bögen, die sie zu spannen vermag, bei fast allen, die für grosse Jazzorchester komponieren.
Schneider schrieb immer für die traditionelle Big Band mit Trompeten, Posaunen, Holzblasinstrumenten und einer Rhythmusgruppe. Die Musik aber, die sie erschafft, ist heute näher bei zeitgenössischer Kammermusik als bei Count Basie und Duke Ellington.
Für «Data Lords» hat Schneider zwei Erzählstränge konzipiert: Auf der ersten CD erzählt sie von der digitalen Welt; unter Stücktiteln wie «A World Lost» oder «Don’t Be Evil» schafft sie düstere und schwierige Klanglandschaften; die durchweg brillanten Solisten kämpfen sich durch ein Dickicht von Sounds, oft mit elektronischen Hilfsmitteln, und werden gleichermassen angestachelt und getragen von einer hervorragenden Band.
Das zweite Album ist «Our Natural World» gewidmet; die begeisterte Bird-Watcherin Maria Schneider zeigt uns hier ihre Liebe zur Natur in nicht weniger komplexen Bildern, aber hell und licht und schön. Sie kreiert ihr ureigenes musikalisches Universum und wagt sich an neue, unerhörte Sounds. Auch mit diesem Album ist sie ihren unzähligen Epigonen um Meilen voraus. In ihrer Karriere hat Maria Schneider nur ein gutes Dutzend Stunden Musik veröffentlicht, doch jede Minute lohnt sich zu hören.