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An seinem Instrument: Matthias Müller.
An seinem Instrument: Matthias Müller. © Frank Schindelbeck

Rotenburg/Hepstedt – Die Posaune ist kein Glamour-Instrument, daher agieren und spielen Posaunisten in der Wahrnehmung nicht nur von Kulturinteressierten oft eher in der zweiten Reihe. Nicht jeder Musikfan kennt die besten Posaunisten unseres Landes mit Namen. Einer von ihnen, der in Berlin lebende Matthias Müller, ist im Landkreis Rotenburg geboren und aufgewachsen. Im Interview erinnert Müller sich an seine Anfänge und zieht ein Fazit der derzeitigen Situation für Künstler in Zeiten von Covid-19.

1971 in Zeven geboren, wuchsen Sie im beschaulichen Ort Hepstedt auf. Wie kommt man in einem derart idyllisch gelegenen Ort dazu, sich für die Posaune zu interessieren?

Ich komme aus einer Blechbläser-Familie. Mein Vater, meine Brüder, Tanten und Onkels – alles Blechbläser! Es war also eigentlich nicht die Frage ob, sondern welches Blech-Instrument ich spielen würde. Es war mir aber von Anfang an klar, dass es die Posaune sein sollte. Wieso, weiß ich gar nicht so genau. Vielleicht, um das Gleichgewicht in der Familie zu bewahren: Mein Vater ist auch Posaunist, meine beiden älteren Brüder Trompeter. Mein jüngerer Bruder hat sich dann später für das Horn entschieden. Gute Wahl, so haben wir ein schönes gemischtes Quintett zu Hause!

Sie besuchten das Gymnasium in Zeven, spielten früh im Posaunenchor. Ihr erster Musiklehrer war Johann Kammann. Wie fügte sich all das zusammen?

Mit dem Posaunenchor ging es los. Das ist in unserer Gegend ja der normale Weg, um ein Instrument zu lernen. Da wird zum Glück sehr viel für den Nachwuchs gemacht. Ich war da zehn oder elf Jahre alt. Mein erster Unterricht bei einem professionellen Musiker war dann in der Tat bei Johann Kammann aus Stade. Das war für mich eine wahnsinnig lehrreiche und inspirierende Zeit. Johann hat mich auch zum Jazz gebracht! Vorher hatte ich überhaupt keine Ahnung davon, aber er hat mir Platten vorgespielt und mir erklärt, wie das alles funktioniert, was die Musiker da machen. Das hat mich fasziniert. Später hat er mich dann auch hin und wieder zu Bigbands mitgenommen oder mir mal den einen oder anderen bezahlten Gig verschafft. Da war mir klar: Das will ich auch machen!

Wie war der Werdegang von der Popband Metrics aus dem regionalen Umfeld im Landkreis zum Jazz-Posaunisten?

Bei Metrics habe ich E-Bass gespielt. Das war ungefähr zu der Zeit, als ich auf das St. Viti Gymnasium in Zeven gegangen bin, und natürlich war es als Teenager viel cooler in einer Rockband zu sein als Posaune zu spielen! Das war schon eine tolle Zeit. Aber irgendwann wollte ich mich dann doch wieder mehr auf die Posaune konzentrieren und bin ausgestiegen. Ohne Zweifel haben meine Bandkollegen danach einen deutlich besseren Bassisten gefunden, haha! Außerdem war das auch die Zeit, in der ich mich mehr für Jazz interessiert habe und das musikalisch für mich interessanter fand. Aber was ich heute ein bisschen in meinem Beruf vermisse, ist das, was wir damals hatten: diese totale Identifikation und der Enthusiasmus für unsere Band. Alle waren voll involviert, Entscheidungen wurden gemeinsam getroffen, Stücke zusammen komponiert. Da sieht mein Alltag heute doch anders aus: viele verschiedene Projekte, ständig wechselnde Musiker. Das hat ganz andere Qualitäten und Vorzüge, aber diese totale Identifikation mit diesem einen Projekt kommt so kaum noch vor. Man ist mehr ein Einzelkämpfer!

Es gab sicher Kontakte zu den Musikern der Region, zum Beispiel dem aus Tarmstedt stammenden Ex-The-Convent-Keyboarder Florian Bratmann, der später auch für Wolf Maahn aktiv war. Bestehen heute noch Kontakte?

Die Musikszene war klein damals, da kannte man schon die Musiker der anderen Bands. Aber heute gibt es da leider keine Kontakte mehr. Dafür bin ich schon zu lange weg und habe mich musikalisch auch in eine ganz andere Richtung bewegt. Allerdings habe ich schon auch ab und zu mal für Popbands gespielt, da hätten Florian und ich uns mal über den Weg laufen können. Aber Wolf Maahn war nicht dabei!

Wie kam es nach dem Studium zu den ersten Engagements, zum Beispiel am Schauspielhaus Düsseldorf oder beim Berliner Ensemble?

Ein Studium ist immer eine gute Gelegenheit, um Kontakte zu knüpfen. Gerade im künstlerischen Bereich profitiert man davon manchmal noch viele Jahre. Ich habe an der Folkwang Hochschule in Essen studiert und damals kam es häufig zu Kollaborationen der verschiedenen Theater mit den Hochschulen in NRW. Das war super, weil diese Engagements für einen Studenten gut bezahlt waren, während das für die Theater wahrscheinlich recht billige Arbeitskräfte waren. Aber zunächst waren das nur kurze Bühnenmusiken. Später habe ich dann mehr Theatermusik gemacht – nach dem Studium vor allem dann auch in Berlin – und teilweise auch dafür komponiert.

Wie entstand die Zusammenarbeit mit dem deutschen Jazz-Posaunisten schlechthin, Albert Mangelsdorff aus Frankfurt?

Eines Tages war Albert Mangelsdorff plötzlich am Telefon! Ich konnte es erst gar nicht richtig glauben und konnte dann vor Ehrfurcht kaum einen ganzen Satz sagen! Mangelsdorff war ohne Zweifel der wichtigste deutsche Jazz-Musiker, und dann noch als Posaunist. Oh Mann! Er hatte mich auf Empfehlung meines Lehrers in Essen, Henning Berg, angerufen, um mich für das „Deutsch-französische Jazzensemble“ zu engagieren, ein Ensemble, das zur Hälfte aus deutschen und französischen Musikern bestand. In der gleichen Band mit Albert zu spielen und von ihm zu lernen war ein großartiges Geschenk. Seine enorme Bühnenpräsenz – auch noch kurz vor seinem Tod, als ihm das Posaune spielen aufgrund von Krankheiten schon nicht mehr so leichtfiel – und sein immer respektvoller und stets gleichberechtigter Umgang mit uns jüngeren Musikern, die ja im Grunde alle seine Schüler hätten sein können, haben mich sehr beeindruckt und geprägt.

Was zog Sie nach Berlin?

Das Faszinierende an Berlin für mich ist nach wie vor der kreative Austausch mit anderen, den es so in der Menge und Qualität wohl kaum woanders gibt. Es kommen immer noch ständig neue Musiker aus aller Welt in die Stadt, obwohl die Zeiten, in denen es billigen Wohnraum gab und die Lebenshaltungskosten niedrig waren, vorbei zu sein scheinen. Für die Musik, die ich mache, gibt es nirgendwo mehr Auftrittsorte als in Berlin. Allerdings sind die meisten dieser Orte kleine Clubs oder Bars, in denen man selten hohe Gagen erwarten kann. Daher ist es nicht so, dass es mehr Geld zu verdienen gibt als anderswo. Teil meines Berufs ist es ohnehin, viel unterwegs zu sein. Das ist schon deshalb so, da Jazz- oder improvisierte Musik eine Nischenmusik ist und die Auftrittsorte häufig über Fördermittel finanziert werden, weshalb es gar nicht so viele Clubs und Festivals gibt und wir dann halt dahinfahren müssen. Aber noch viel wichtiger ist mir natürlich, dass ich ja auch woanders gehört werden will und nicht nur in Berlin!

Was nehmen Sie von den zahlreichen Auslands-Engagements mit? Es scheint ein besonderes Verhältnis zu Frankreich entstanden zu sein?

Tatsächlich habe ich zuletzt häufig in Frankreich mit der Pianistin Eve Risser, die in Paris lebt, gespielt. Seit dem Ende der Band mit Albert Mangelsdorff bis vor ein paar Jahren war ich aber kaum in Frankreich. Stattdessen öfter mal in Großbritannien oder auch woanders. Das hängt immer damit zusammen, mit welchen Musikern man gerade ein Projekt hat. Das ändert sich ständig. Durch das Reisen lernt man natürlich viel, zum Beispiel über die Arbeits- und Lebensbedingungen meiner Kollegen in anderen Ländern, die nicht selten unter viel schwierigeren Umständen versuchen, von ihrer Kunst zu leben. Da sieht man dann vieles mit ganz anderen Augen.

Wie wirkt sich die derzeitige gesundheitspolitische Lage um das Coronavirus finanziell für Sie aus?

In den Monaten seit Beginn der Krise bis vor kurzem habe ich keine Auftritte gehabt, mit Ausnahme von ein paar Livestream-Konzerten im Internet. Natürlich wirkt sich das auf die finanzielle Situation aus. Mit Hilfe der Soforthilfe vom Berliner Senat und anderer Institutionen konnte ich das zum Glück einigermaßen überbrücken. Zudem habe ich noch ein kleines Einkommen von der städtischen Musikschule, an der ich ein paar Stunden unterrichte. Jetzt im August und September fühlt es sich plötzlich wieder wie vor der Krise an, da sehr viele Veranstaltungen nachgeholt werden, die verschoben worden sind. Allerdings mit dem Unterschied, dass sich die Veranstalter an Hygieneregeln halten müssen, wodurch viel weniger Publikum zugelassen ist. Für viele von diesen Orten ist es ohnehin unklar, ob und wie sie durch diese Krise kommen. Und was passiert, falls es zu einem erneuten Lockdown kommt? Es wird sicher noch lange dauern, bis alles wieder einigermaßen normal ist.

Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?

Wenn alles gut geht, werde ich Anfang Oktober an einem Projekt mit zwölf Posaunisten in Köln teilnehmen, wofür ich Musik schreiben werde. Darauf freue ich mich schon sehr. Allerdings auch hier schon wieder eine Einschränkung. Einer unserer Kollegen, der in den USA lebt, wird nicht einreisen können aufgrund der dramatischen Situation dort. Ich werde vermutlich im Herbst auch wieder nach Frankreich fahren, um dort zu spielen. Aber grundsätzlich an Gastspiele zu denken oder zu planen ist im Moment nicht leicht. Fast alle Konzerte im Ausland, die für die zweite Jahreshälfte geplant waren, wurden auf das nächste Jahr verschoben und wer weiß, ob die dann stattfinden können. Es hätten auch einige CD-Veröffentlichungen angestanden, die verschoben wurden. Da in der Regel die meisten CDs bei Konzerten verkauft werden, hätte es keinen Sinn gemacht. Stattdessen habe ich die Zeit genutzt, um mir ältere Aufnahmen von verschiedenen Projekten anzuhören und dann ein paar Sachen online veröffentlicht. Es gibt auf jeden Fall immer was zu tun!

Von Ralf G. Poppe

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