Ein Studium ist immer eine gute Gelegenheit, um Kontakte zu knüpfen. Gerade im künstlerischen Bereich profitiert man davon manchmal noch viele Jahre. Ich habe an der Folkwang Hochschule in Essen studiert und damals kam es häufig zu Kollaborationen der verschiedenen Theater mit den Hochschulen in NRW. Das war super, weil diese Engagements für einen Studenten gut bezahlt waren, während das für die Theater wahrscheinlich recht billige Arbeitskräfte waren. Aber zunächst waren das nur kurze Bühnenmusiken. Später habe ich dann mehr Theatermusik gemacht – nach dem Studium vor allem dann auch in Berlin – und teilweise auch dafür komponiert.
Wie entstand die Zusammenarbeit mit dem deutschen Jazz-Posaunisten schlechthin, Albert Mangelsdorff aus Frankfurt?
Eines Tages war Albert Mangelsdorff plötzlich am Telefon! Ich konnte es erst gar nicht richtig glauben und konnte dann vor Ehrfurcht kaum einen ganzen Satz sagen! Mangelsdorff war ohne Zweifel der wichtigste deutsche Jazz-Musiker, und dann noch als Posaunist. Oh Mann! Er hatte mich auf Empfehlung meines Lehrers in Essen, Henning Berg, angerufen, um mich für das „Deutsch-französische Jazzensemble“ zu engagieren, ein Ensemble, das zur Hälfte aus deutschen und französischen Musikern bestand. In der gleichen Band mit Albert zu spielen und von ihm zu lernen war ein großartiges Geschenk. Seine enorme Bühnenpräsenz – auch noch kurz vor seinem Tod, als ihm das Posaune spielen aufgrund von Krankheiten schon nicht mehr so leichtfiel – und sein immer respektvoller und stets gleichberechtigter Umgang mit uns jüngeren Musikern, die ja im Grunde alle seine Schüler hätten sein können, haben mich sehr beeindruckt und geprägt.
Was zog Sie nach Berlin?
Das Faszinierende an Berlin für mich ist nach wie vor der kreative Austausch mit anderen, den es so in der Menge und Qualität wohl kaum woanders gibt. Es kommen immer noch ständig neue Musiker aus aller Welt in die Stadt, obwohl die Zeiten, in denen es billigen Wohnraum gab und die Lebenshaltungskosten niedrig waren, vorbei zu sein scheinen. Für die Musik, die ich mache, gibt es nirgendwo mehr Auftrittsorte als in Berlin. Allerdings sind die meisten dieser Orte kleine Clubs oder Bars, in denen man selten hohe Gagen erwarten kann. Daher ist es nicht so, dass es mehr Geld zu verdienen gibt als anderswo. Teil meines Berufs ist es ohnehin, viel unterwegs zu sein. Das ist schon deshalb so, da Jazz- oder improvisierte Musik eine Nischenmusik ist und die Auftrittsorte häufig über Fördermittel finanziert werden, weshalb es gar nicht so viele Clubs und Festivals gibt und wir dann halt dahinfahren müssen. Aber noch viel wichtiger ist mir natürlich, dass ich ja auch woanders gehört werden will und nicht nur in Berlin!
Was nehmen Sie von den zahlreichen Auslands-Engagements mit? Es scheint ein besonderes Verhältnis zu Frankreich entstanden zu sein?
Tatsächlich habe ich zuletzt häufig in Frankreich mit der Pianistin Eve Risser, die in Paris lebt, gespielt. Seit dem Ende der Band mit Albert Mangelsdorff bis vor ein paar Jahren war ich aber kaum in Frankreich. Stattdessen öfter mal in Großbritannien oder auch woanders. Das hängt immer damit zusammen, mit welchen Musikern man gerade ein Projekt hat. Das ändert sich ständig. Durch das Reisen lernt man natürlich viel, zum Beispiel über die Arbeits- und Lebensbedingungen meiner Kollegen in anderen Ländern, die nicht selten unter viel schwierigeren Umständen versuchen, von ihrer Kunst zu leben. Da sieht man dann vieles mit ganz anderen Augen.
Wie wirkt sich die derzeitige gesundheitspolitische Lage um das Coronavirus finanziell für Sie aus?
In den Monaten seit Beginn der Krise bis vor kurzem habe ich keine Auftritte gehabt, mit Ausnahme von ein paar Livestream-Konzerten im Internet. Natürlich wirkt sich das auf die finanzielle Situation aus. Mit Hilfe der Soforthilfe vom Berliner Senat und anderer Institutionen konnte ich das zum Glück einigermaßen überbrücken. Zudem habe ich noch ein kleines Einkommen von der städtischen Musikschule, an der ich ein paar Stunden unterrichte. Jetzt im August und September fühlt es sich plötzlich wieder wie vor der Krise an, da sehr viele Veranstaltungen nachgeholt werden, die verschoben worden sind. Allerdings mit dem Unterschied, dass sich die Veranstalter an Hygieneregeln halten müssen, wodurch viel weniger Publikum zugelassen ist. Für viele von diesen Orten ist es ohnehin unklar, ob und wie sie durch diese Krise kommen. Und was passiert, falls es zu einem erneuten Lockdown kommt? Es wird sicher noch lange dauern, bis alles wieder einigermaßen normal ist.
Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?
Wenn alles gut geht, werde ich Anfang Oktober an einem Projekt mit zwölf Posaunisten in Köln teilnehmen, wofür ich Musik schreiben werde. Darauf freue ich mich schon sehr. Allerdings auch hier schon wieder eine Einschränkung. Einer unserer Kollegen, der in den USA lebt, wird nicht einreisen können aufgrund der dramatischen Situation dort. Ich werde vermutlich im Herbst auch wieder nach Frankreich fahren, um dort zu spielen. Aber grundsätzlich an Gastspiele zu denken oder zu planen ist im Moment nicht leicht. Fast alle Konzerte im Ausland, die für die zweite Jahreshälfte geplant waren, wurden auf das nächste Jahr verschoben und wer weiß, ob die dann stattfinden können. Es hätten auch einige CD-Veröffentlichungen angestanden, die verschoben wurden. Da in der Regel die meisten CDs bei Konzerten verkauft werden, hätte es keinen Sinn gemacht. Stattdessen habe ich die Zeit genutzt, um mir ältere Aufnahmen von verschiedenen Projekten anzuhören und dann ein paar Sachen online veröffentlicht. Es gibt auf jeden Fall immer was zu tun!
Von Ralf G. Poppe