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Charlie Parker, Jazz und Drogen

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William P. Gottlieb / Library of Congress

Jazz-Legende Charlie Parker Mister Sax Machine

Schon früher und schlimmer noch als Rockstars verfielen Jazzmusiker den Drogen. Der überragende Saxofonist Charlie "Bird" Parker wäre im August 2020 100 geworden. Er steht für eine Generation, die chaotisch lebte und früh starb.

"Ich weiß noch, wie Bird mit dieser weißen Nutte auf dem Rücksitz im Taxi neben mir saß. Er hatte sich schon reichlich mit Heroin vollgepumpt und verspeiste ein Hühnchen, trank Whisky und sagte der Nutte, sie soll runter und seinen Schwanz lutschen." So drastisch beschrieb Miles Davis in seinen Memoiren, wie er als 19-jähriger Neuling in Charlie Parkers Band sein Idol erlebte.

"Ich war damals noch nicht an solche Schweinereien gewöhnt, trank selten, und mit Drogen hatte ich definitiv noch nichts zu tun." Peinlich berührt von Parkers Schamlosigkeit erinnerte sich Davis: "Ich stecke meinen Kopf aus dem Autofenster, kriege aber immer noch alles mit, was bei den beiden abläuft… Bird war eben 'ne Nummer für sich".

Charlie Parker (1920-1955), Spitzname "Yardbird" oder kürzer "Bird", war der wohl beste Jazzmusiker seiner Generation. Fans vergötterten ihn, der Komponist Steve Reich nannte ihn in einem Atemzug mit Johann Sebastian Bach. Und der junge Miles Davis erlebte Parker auch als "Vaterfigur". Doch im Drogenrausch mutierte der kluge, zugewandte Musiker zum Ungeheuer. Um an Geld für Heroin zu kommen, erzählte er Freunden Lügengeschichten und betrog Bandmitglieder um Teile ihrer Gage.

Wenige von Parkers Kollegen hatten die Ausstrahlung des Saxofonisten, aber viele litten an der gleichen Sucht wie er. Ein bis heute populärer Slogan der Sechziger- und Siebzigerjahre lautet "Sex, Drugs and Rock'n'Roll" (auch ein Ian-Dury-Song von 1977), und die Liste der Drogentoten unter den Rockstars reicht von Jimi Hendrix und Janis Joplin über Kurt Cobain bis zu Amy Winehouse. Aber früher und schlimmer noch wüteten Suchtmittel unter Jazzmusikern, speziell der Generation um Charlie Parker.

Von der Trunksucht zum Heroin

"Das Todesalter von 80 bedeutenden Jazzmusikern deutet an, dass ihre chaotische Daseinsweise ihre Lebensspanne verkürzte", schreibt der Medizinprofessor Paul Adams  im "Canadian Journal of Gastroenterology". Jahrelanger Missbrauch von Alkohol und Rauschgift hätten Zirrhosen und Hepatitis B ausgelöst und zum frühen Tod geführt.

Adams analysierte Krankheitsgeschichten und Sterbealter von Jazz-Größen - Parker starb mit 34, Saxofonist John Coltrane mit 40, die herausragende Sängerin Billie Holiday mit 44 Jahren. Und er fragt, "wie sich wohl der Jazz entwickelt hätte, wenn Parker und Coltrane 80 geworden wären".

Lange war das Drogenproblem im Jazz Thema vor allem in Biografien, Romanen und Spielfilmen, nun beschäftigt es auch Mediziner. So veröffentlichten internationale Fachmagazine Beiträge wie "The role of Drugs in the making of Jazz"  oder "Jazz and substance abuse: Road to creative genius or pathway to premature death?" .

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Charlie Parker, Jazz und Drogen

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William P. Gottlieb / Library of Congress

Drogen und Jazz gehörten nicht immer zusammen. Im frühen 20. Jahrhundert unterschieden sich die Musiker des um 1900 in New Orleans entstandenen Jazz kaum von Kollegen in anderen Genres: Getrunken wurde überall im Showgeschäft, manche Talente zerbrachen daran.

Das bekannteste Opfer war der legendäre Trompeter Bix Beiderbecke, der 1931 mit 28 Jahren an den Folgen seiner Trunksucht starb. Beiderbecke hatte Vorfahren aus Mecklenburg, er war weiß und hatte nicht wie die schwarzen Jazzer unter Rassismus zu leiden. Aber auch ihn traf, dass Jazzkünstler schlecht bezahlt wurden, obwohl ihre Musik in den Zwanziger- und Dreißigerjahren populär war.

"Wir werden etwas schaffen, das sie uns nicht stehlen können, weil sie es nicht spielen können"

Thelonious Monk, Jazz-Pianist

Das änderte sich in den Vierzigern. Charlie Parker und Weggefährten wie der Trompeter Dizzy Gillespie wollten nicht länger in Swing-Bands zum Tanz aufzuspielen. Nach ihren Gigs trafen sie sich in Klubs und Wohnungen, um neue musikalische Formen auszuprobieren. Dabei entwickelten sie den Stil des Bebop mit komplexer Harmonik und schnellen Tempi.

"Wir werden etwas schaffen, das sie uns nicht stehlen können, weil sie es nicht spielen können", verkündete der Pianist Thelonius Monk. Für ihn war der Bebop eine bewusst schwarze Jazzrichtung zur Abgrenzung vom weiß dominierten Swing. Weiße Musiker hatten wiederholt Ideen von Schwarzen aufgegriffen, weichgespült und von der neuen Richtung kommerziell profitiert. 

Mit dem anspruchsvollen, kaum tanztauglichen Bebop war freilich kein Geld zu machen. Im Gegenteil, der "Bop" schleuderte den Jazz aus der populären Musikszene. An seine Stelle rückte bald der simplere, tanzbare Rock'n'Roll. Der vom großen Publikum als chaotisch empfundene Bebop blühte nur in einer urbanen Subkultur, einer Nische in Amerikas Rassentrennungsgesellschaft. 

"Ich nahm Drogen, um den Jazz besser zu verstehen" 

Zu den prägenden schwarzen Musikern stießen weiße Kollegen und Literaten wie Norman Mailer. An Baskenmütze, Sonnenbrille und Ziegenbart (goatee) erkannte man die sogenannte Hipster-Szene. Verhängnisvoll war, dass Drogen von Marihuana bis Heroin im Bebop-Umfeld zum guten Ton gehörten. "Ich nahm Drogen, um den Jazz besser zu verstehen", sagte der weiße Gitarrist Larry Corryell. 

Charlie Parker, geboren am 29. August 1920, wuchs in ärmlichen Verhältnissen in Kansas City auf. Bars und Spielhallen boten Livemusik mit schwarzen Künstlern. Dort verdiente Parker, der mit 13 Jahren ein Saxofon bekommen hatte, sein erstes Geld. Weil er eisern übte, war der Teenager bald gut genug, mit führenden Bigbands durch die Provinz zu touren. 

Nach New York kam er 1942. Da war Parker schon den Drogen verfallen: 1937 hatte er sich bei einem Autounfall drei Rippen gebrochen und eine Wirbelsäulenfraktur zugezogen. Heroin spritzte er zunächst gegen Schmerzen. Dann wurde das Gift Teil seines Lebens, geprägt von Entzugsqualen und Depressionen. Als Junkie hatte der Musiker Ärger mit den Behörden, er unternahm einen Selbstmordversuch, verbrachte ein halbes Jahr in einer Nervenklinik.

Doch der drogensüchtige Ausnahmekönner konnte auch Menschen bezaubern, in seinem kurzen Leben hatte er vier Ehefrauen und unzählige Affären. Kollegen bewunderten sein Interesse für klassische Musik. Anders als viele frühe Jazzer war Parker ein perfekter Notist. Mit seinem fotografischen Gedächtnis brauchte er nur auf eine Partitur zu schauen und hatte sie sich schon eingeprägt. Vor allem aber beherrschte er die Haupttugend des Jazz - Charlie Parker improvisierte überragend. 

Beflügelten Drogen seine Kreativität? Einige junge Instrumentalisten glaubten, nur mit Rauschmitteln könnten sie die Technik und den Ton ihres Vorbilds Charlie Parker erreichen.

Es gab ohnehin genug Gründe für Jazzmusiker, per Rausch der harten Realität zu entfliehen: der Plackerei in verrauchten Klubs oder dem Geplapper und Geschirrgeklapper von Leuten in Restaurants, die Jazz nur als Beigabe zum Dinner konsumierten. Anstrengend und trist waren die Busfahrten auf Tourneen durch die Weiten der Vereinigten Staaten. Und manche wollten einfach nur dabei sein, wenn sich erfahrene Kollegen mit Whisky oder Drogen berauschten.

Gestorben mit 34, Körper eines 60-Jährigen 

Zu den wenigen lebenden Zeitzeugen der Bebop-Jahre gehört Rolf Kühn. Der deutsche Klarinettist kam 1956 in die Vereinigten Staaten. Benny Goodman, "King of Swing", engagierte ihn für seine Big Band; das Magazin "Down Beat" kürte ihn zum "Clarinet New Star". Kühn erlebte auf der sechswöchigen US-Tour unter dem Titel "Birdland Stars 1957" hautnah die Lebensgewohnheiten der damaligen Jazz-Elite. 

"Fast alle Kollegen nahmen Drogen", erinnert er sich. Idole wie der Trompeter Chet Baker wurden überall von Dealern belagert. Die Anti-Drogen-Polizei unternahm Razzien. So mussten sich vor einem Konzert in Philadelphia alle Musiker in der Garderobe völlig entkleiden; die Beamten suchten nach Einstichspuren sogar unter den Fußsohlen. 

Kühn erzählt das am Telefon. Der Musiker hat in den USA-Jahren wie auch später in seiner Karriere nie zu Drogen gegriffen - anders als sein Bruder, der Pianist Joachim. Beide, Rolf Kühn, 90 Jahre alt, und Joachim, 76, mischen immer noch mit im aktuellen Jazz. Der Filmemacher Stephan Lamby hat den beiden im vergangenen Jahr den 90-minütigen Film "Brüder Kühn - Zwei Musiker spielen sich frei" gewidmet, der für den Grimme-Preis nominiert war und bei den New York Festivals ausgezeichnet wurde.

Parker wäre in diesem Jahr hundert geworden. Im nach ihm benannten New Yorker Jazzclub "Birdland", der ihm nach Drogenexzessen zeitweise sogar Hausverbot erteilt hatte, trat er am 5. März 1955 zum letzten Mal auf. Genau eine Woche später, noch vor seinem 35. Geburtstag, starb Charlie "Bird" Parker Parker im Apartment der Jazz-Mäzenin Nica de Koenigswarter im luxuriösen New Yorker Stanshope Hotel. Aufputschmittel, Drogen und Alkohol hatten seinen Körper zerschunden. Ärzte in der Pathologie schätzten das Alter des Verstorbenen "zwischen 50 und 60 Jahren".