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Zum Tode des Gitarristen Helmut Nieberle Der Gelassene mit den sieben Saiten

Er war Meister eines entspannt swingenden und warmtönenden Jazz, meist gespielt auf einer 7-saitigen Gitarre, die er wie nur wenige beherrschte: Jetzt ist der Gitarrist Helmut Nieberle nach einer schweren Krankheit im Alter von 63 Jahren in Regensburg gestorben.

Gitarrist Helmut Nieberle | Bildquelle: Thomas Eder

Bildquelle: Thomas Eder

Bis zuletzt war er aktiv. Zu spielen, das gehöre zu den wenigen Dingen, die ihm noch helfen, sagte er. Der Gitarrist Helmut Nieberle, geboren 1956 in Kaufbeuren, lebte seit Jahrzehnten in Regensburg, hatte so bekannte Schüler wie den an der Musikhochschule Nürnberg lehrenden Honorarprofessor für Jazzgitarre, Paulo Morello, und gab Konzerte etwa mit dem amerikanischen Stargitarristen Howard Alden und dem aus Musikern der Berliner Philharmoniker bestehenden Ensemble "Bolero Berlin". Konzerte mit ihm waren ein Hochgenuss entspannter Töne: Helmut Nieberle, schulterlanges, herbstblondes Haar, gepflegter, kurzer Bart, saß da meist mit verschmitztem Lächeln hinter seiner Gitarre und ließ mit lässiger Eleganz die Töne flitzen oder leise singen. Und swingen. Das waren das Bild und der Klang, den viele von ihm über viele Jahre kannten und schätzten.

EIGENE, ZARTE SCHÖNHEIT

Noch vor einer Woche war er in Regensburg in einer Matinee zu erleben, mit einer Schiebermütze über dem kurz nachgewachsenen Haar nach einer Therapie. Er spielte solo und ganz leise, zurückgenommen, aber mit starker emotionaler Präsenz, Hommagen an berühmte Kollegen wie Django Reinhardt, John Scofield oder Jim Hall. Eines der Stücke war das ganz unspektakulär zwischendrin eingeschmuggelte irische Traditional "Danny Boy", bekannt als Abschiedslied. Die anrührende Melodie dieses Stücks spielte Helmut Nieberle mit einer selten so gehörten Innigkeit - ließ die hohen, emphatischen Passagen unendlich zärtlich in fein gesetzte Pausen gleiten. Wer wusste, wie es um ihn stand - einige enge Freunde und Musikerkollegen waren im Publikum -, spürte die Botschaft, die, typisch für Nieberle, einen Meister der diskreten Anspielung, nur mit Tönen und nicht mit Worten geäußert war. Doch auch andere Besucher lauschten in gebannter Stille, weil diese Musik in so leisen, hauchfeinen Interpretationen eine ganz eigene, zarte Schönheit entfaltete.

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Solo Jazz Guitar - All of me - Helmut Nieberle | Bildquelle: sevenstring (via YouTube)

Solo Jazz Guitar - All of me - Helmut Nieberle

"SONGS" FÜR DIE SAITEN

Helmut Nieberle war ein uneitler Musiker: einer, der es nicht darauf anlegte, zu glänzen oder zu beeindrucken - was im Jazz eine verbreitete Versuchung ist -, sondern dem es darauf ankam, Stimmungen zu schaffen. Es gehe ihm immer darum, schöne Songs auf der Gitarre zu spielen. "Songs" - auch ohne Text. Melodien sollten zum Publikum sprechen. Und die vielen Gegenmelodien und raffinierten harmonischen Details, die der Gitarrist scheinbar anstrengungslos einbaute, waren immer sachdienlich, intensivierten die Atmosphäre eines Stücks oder fächerten sie genüsslich auf in viele kleine Neben-Stimmungen, die dem Ganzen reizvolle Nuancen hinzufügten. Auch wenn er komponierte, vor allem, wenn es sich um langsame, lyrische Stücke handelte, ging er von "Songs" aus: Er schrieb, wie er in verschiedenen Interviews schilderte, Texte, zu denen er dann eine Melodie erarbeitete - und ließ am Ende die Texte wieder weg. Eine CD, die er besonders mochte, war "Country For Old Men" des berühmten amerikanischen Gitarristen John Scofield, die aus instrumentalen Interpretationen von Country-Songs besteht: "Das ist nicht zu glauben: Er singt die Songs auf der Gitarre."

GROSSARTIGER BEGLEITER

Gitarrist Helmut Nieberle | Bildquelle: Arvo Wichmann Bildquelle: Arvo Wichmann Im vergangenen Jahr erschienen zwei CDs von Helmut Nieberle, beide ausgezeichnete Visitenkarten seiner Arbeit. Die eine: "Tomorrow and Today" mit der amerikanischen Sängerin Jeanne Gies. Die andere: "Swing is Here to Stay" mit Nieberles Kollegen Paulo Morello (Gitarre), Sven Faller (Bass) und Scotty Gottwald (Schlagzeug) - beide erschienen bei dem Label "bobtale records". Wie Helmut Nieberle auf der ersteren Lieder wie "September Song", "Moonglow" und "Here’s That Rainy Day" auf der 7-saitigen Gitarre begleitete, war auf feine Art fast orchestral: Ein weites Spektrum der Töne entstand dabei - nicht zuletzt, da Nieberle auf seiner 7-saitigen Gitarre eine zusätzlich Bass-Saite nutzte, die bis zum tiefen A hinunterreichte; bei noch so feiner Gestaltung hatte da jedes Stück ein starkes Fundament. Und ebenfalls fällt hier das auf, was der Bratscher Martin Stegner von den Berliner Philharmonikern aus der Zusammenarbeit mit Helmut Nieberle bei "Bolero Berlin" zu sagen weiß. Er richtete auf Facebook eine posthume Botschaft an Nieberle mit dem Wortlaut: "Mit Dir zu musizieren war ein Traum: Du konntest jemanden tragen wie kein anderer!" Genau das tat Nieberle auf der CD mit Sängerin Jeanne Gies mit besonderer Hingabe. Auf der anderen CD, "Swing is Here to Stay", erfüllte sich Nieberle den Wunsch, einige seiner Eigenkompositionen einzuspielen, unter anderem einige Walzer - die komponierte er besonders gern -, einige lyrische Stücke sowie auch einige fetzigere Nummern, die spürbar von Django Reinhardt inspiriert waren.

GITARRISTEN-INSPIRATOR DER DOMSTADT

Nach Regensburg kam Nieberle einst fast durch Zufall. Der Pianist und langjährige Mentor der Regensburger Jazzszene, Richard Wiedamann, lud ihn 1980 zu einer Session ein - und schlug ihm danach vor, in der zunächst privaten, von Wiedamann gegründeten, später städtischen Musikschule zu unterrichten. Also zog Nieberle nach Regensburg, fand im Laufe der Zeit Hunderte von Schülern und machte Regensburg zu einer bayerischen Hochburg des Gitarrenjazz. Seine Vorbilder waren vor allem Barney Kessel, Django Reinhardt und der Amerikaner George van Eps, ein Pionier der 7-saitigen Gitarre im Jazz. Bekannte Projekte seiner Laufbahn waren (neben "Bolero Berlin") sein seit drei Jahrzehnten existierendes Duo mit dem Gitarrenkollegen Helmut Kagerer ("Gitarrissimo") sowie die Gypsy-Swing-Gruppe "Cordes Sauvages" (Wilde Saiten), die bereits 1983 ein mitreißendes Album herausbrachte und in der Geiger Max Kienastl von den Bamberger Symphonikern mitspielte. Ein Gespann für zwei Meister der 7-saitigen Gitarre gründete Nieberle mit dem Amerikaner Howard Alden, der 1999 in dem Woody-Allen-Film "Sweet and Lowdown" über einen fiktiven Gitarristen dem Hauptdarsteller Sean Penn seine Gitarrenstimme lieh.

AUFTRITTE BIS ANFANG FEBRUAR

Noch im Dezember 2019 hatte Helmut Nieberle diverse Auftritte mit "Bolero Berlin", mit der aktuellen Ausgabe der Gruppe "Cordes Sauvages" und mit dem Quartett des Klarinettisten Stephan Holstein. Im Jazzclub "Birdland Neuburg" - dessen Leiter Manfred Rehm Nieberle einen seiner Walzer gewidmet hat, "Valse à Chef" - war er wie jedes Jahr kurz vor Weihnachten im Duo zu hören, diesmal mit Paulo Morello. Sein letzter Auftritt war derjenige am 2. Februar im Degginger in Regensburg. Neben "Danny Boy" gehörte in dieser Matinee auch Nieberles Hommage an den großen leisen Gitarristen Jim Hall zu den besonders bewegenden Stücken: Die hieß "November Nights" und war laut Nieberle "meine letzte Komposition". Sie ist auf keinem seiner Alben enthalten. Denn zu einem Projekt, mit dem er noch in Gedanken spielte, einem Solo-Album, kam es nicht mehr.

Radio-Tipp:

Jazztoday am 10. Februar 2020
Nachruf auf Helmut Nieberle
Moderation und Auswahl: Roland Spiegel

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