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«Was mir im heutigen Jazz fehlt, sind Emotionen»

«Als Musiker soll man zuerst radikal seinen eigenen Geschmack in den Vordergrund stellen»: Nils Wogram in seiner Wohnung in Männedorf. Foto: Andrea Zahler

Früher mochte es dieser Posaunen-Spitzenkönner musikalisch meist höchstkomplex. Doch auf seiner neuen CD «Things We Like to Hear» spielt der 47-jährige Nils Wogram einen schlicht gehaltenen, öfter psychedelisch angehauchten Jazz. Posaune, Orgel, Drums: Das geht wunderbar leicht ins Ohr. Und der Beizettel zum Album hat es in sich: Da denkt Wogram nicht nur über die eigenen Töne nach. Sondern erklärt auch, welche Musik er selber gerade nicht hören möchte: Vieles im heutigen Jazz sei zu «formalistisch». Im Gespräch doppelt Wogram nach –und sucht nach Auswegen.

Nils Wogram, woran leidet der aktuelle Jazz?

In den letzten zehn, zwanzig Jahren beobachte ich viel Jazz, der äusserst geschliffen daherkommt und quasi perfekt ausgeführt ist. Aber dieser Jazz lässt wenige Freiheiten offen und geht wenige Risiken ein. Er zielt ab auf Bewunderung im Sinne des Könnens der Musiker: «Wahnsinn, wie jemand so spielen kann!», soll man nachher sagen. Was mir dabei fehlt, ist eine menschliche Ebene. Die Emotion. Die Musiker wollen beeindrucken – statt zu berühren.

Sie meinen: Die Musiker wollen mit besonders komplexem Jazz beeindrucken?

(zögert) Man wird als Jazzmusiker gern mit dem Vorwurf konfrontiert: Wieso ist eure Musik derart kompliziert? Inkompetente Leute reden gar von einem «Rumgedudel» im Jazz. Komplexität ist aber an und für sich kein Problem. Historische Jazzaufnahmen zeigen immer wieder Beispiele komplexer Musiken, die auch eine starke emotionale Ebene haben – man denke nur an den Jazz von Charlie Parker oder von John Coltrane. Was aber für mich nicht funktioniert, ist eine komplexe Musik ohne emotionale Ebene. Das meine ich mit Formalismus. Und diesen Trend kritisiere ich.

Es ist ein Trend?

Ja. Und der Trend ist relativ global festzustellen, bis nach New York.

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Süffige Bassriffs sind in Nils Wograms Jazz kein Tabu: «Lucerne or Japan» vom neuen Album «Things We Like to Hear». Video: Nils Wogram (Youtube)

Können Sie Beispiele nennen für Musiker, die entsprechend musizieren?

Unlängst spielte ich im Münchner Jazzclub Unterfahrt, und vor dem Soundcheck lief ein Album des französischen Sopransaxofonisten Emile Parisien. Super gemachte Musik. Aber für mich hatte sie zu wenig Soul. Ich will Parisien nicht per se kritisieren, aber in seiner Musik manifestierte sich das Problem. Total ausgecheckt alles! Die Musiker: mit allen Wassern gewaschen! «Spannend» – um dieses gern bediente Wort zu benutzen. Man kanns nicht besser machen, aber genau da liegt das Problem. Ich glaube, der Kern einer Musik muss anderswo als im Technischen liegen. Eine Musik muss einen Inhalt haben und eine Message rüberbringen.

Emile Parisien – ein tatsächlich ganz wichtiger europäischer Musiker – wirkt in ihren Ohren seelenlos?

Ja. Ich habe ihn auch live gehört – das deckte sich mit dem Album in der Unterfahrt. Es gibt auch andere Beispiele: Ich will nicht altbacken klingen, aber Gitarristen der älteren Gitarrentradition wie John Scofield oder Bill Frisell haben einen eigenen Sound geschaffen jenseits von «Mein Gott, spielt der jetzt virtuos». Die Musik hat Soul. Aber neuere Helden an der Gitarre im Jazz der letzten zwanzig Jahre wie etwa Lage Lund oder Mike Moreno spielen wahnsinnig gut. Doch möchte man fragen: Wo ist die Persönlichkeit, wo ein Alleinstellungsmerkmal jenseits von «Der spielt aber gut!»?

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»Man kanns nicht besser machen, aber genau da liegt das Problem», sagt Nils Wogram über die Musik von Emile Parisien. Video: Arte TV (Youtube)

Mit Verlaub, sind nicht Sie selber genau so ein Typus von Musiker: ein Alleskönner?

Absolut. Darum beschäftigt mich das gerade so sehr. Ich bin top ausgebildet. Ich kann alle Stile bedienen vom Standardjazz bis zum Free Jazz. Aber da beginnen die Schwierigkeiten. Ich frage mich: Wie schaffe ich es trotz meiner ganzen Möglichkeiten, eine persönliche Musik auf die Bühne zu bringen? Ich glaube nun, man darf auf keinen Fall den Fehler machen, eine Musik bloss für den inneren Kreis der Musizierenden zu kreieren. Wenn ich auch nur entfernt eine Musik mache, um mit ihr Bewunderung bei den Kolleginnen und Kollegen zu erlangen, bin ich auf dem Holzweg. Diese Gefahr besteht im Jazz sehr, weil wir eine starke Community haben: Wir arbeiten hart an unseren instrumentalen Fertigkeiten und gucken stets, was die anderen machen.

Nochmals zurück zu dem, was sie den Kern einer Musik nennen: Wie kommt man an einen solchen heran?

Diese Frage ist schwierig zu beantworten. Aber ich meine: Als Musiker soll man zuerst radikal seinen eigenen Geschmack in den Vordergrund stellen. Das heisst, wenn ich auf Kitsch stehe, ist es okay, kitschige Musik zu machen. Wenn ich auf sphärische Musik stehe, dann soll man diesen Weg gehen. Was auch hilft, ist die Beschränkung der musikalischen Mittel: Ich beschränke mich ganz gezielt auf etwas Bestimmtes. Für mich persönlich ist auch der Klang des eigenen Instruments zentral. Wer einen Klang mit hohem Wiedererkennungswert hat, hat schon viel erreicht. Nehmen wir den amerikanischen Tenorsaxofonisten Dewey Redman: Er spielt eine Note, und man weiss sofort: Das ist er!

«Wenn ichs mir nicht selber anhören mag, warum soll es sich dann jemand anders anhören?»

Nils Wogram

Vermitteln Sie solche Grundsätze auch den Studierenden, die sie in Luzern unterrichten?

Ja. Ich motiviere meine Studierenden dazu, bei ihren Musikprojekten herauszufinden, was sie gut finden, wirklich gut finden. Ich frage sie auch danach, was sie gehört haben als Kinder und Jugendliche. Und ich rate ihnen vielleicht, solche Dinge zuzulassen in der eigenen Musik. Vielen ist das, was sie früher gehört haben, ja erst einmal peinlich. Ich habe aber entdeckt, dass oft originellere Töne resultieren, wenn die Musiker solche Dinge zulassen und ihrem Geschmack folgen, als wenn sie versuchen, vermeintlichen Jazzidealen gerecht zu werden.

Solche Musik kann dann auch eher über das engere Genre des Jazz hinauswirken.

Darum ginge es letztlich auch, ja. Man soll sich darum auch Gedanken darüber machen, wozu Musik generell gut ist. Musik bleibt bis heute eine Art rituelle Handlung: Die Konzertbesucher wollen Teil eines Gesamtzusammenhangs sein und eine spirituelle Erfahrung machen. Eine gute Frage ist übrigens die folgende, die sich alle Musiker stellen sollten: Würde ich mir die Musik, die ich selber spiele, auch selber gern anhören? Beispielsweise zu Hause? Ich behaupte, dass viele Musiker diese Frage negativ beantworten müssten, wenn sie ehrlich sind. Und dann müssten sie sich gleich auch fragen: Wenn ichs mir nicht selber anhören mag, warum soll es sich dann jemand anders anhören?