Interview mit Stefan Winkler „Eine Ansammlung von virtuosen Individualisten“

SAARBRÜCKEN · Das Freejazz-Festival Saarbrücken beginnt am 1. April. Ein Gespräch über die teilnehmenden Künstler und die Struktur des Festivals.

 Das Freejazz-Festival besteht aus festen Festivaltagen und hochkarätig besetzten Prolog-Konzerten. Barry Altschuls 3Domfactor spielt im Prolog am 1. April.

Das Freejazz-Festival besteht aus festen Festivaltagen und hochkarätig besetzten Prolog-Konzerten. Barry Altschuls 3Domfactor spielt im Prolog am 1. April.

Foto: Dimitry Mantel

Fünf Tage lang soll Saarbrücken wieder zum Mekka der Freejazz-Jünger wachsen: Von Mittwoch, 1., bis Sonntag, 5. April, lädt das „6. Freejazz Festival Saarbrücken“ internationale Könner der frei improvisierten Musik in das Gemeindezentrum Alte Kirche, das Kino Achteinhalb und die Stiftung Demokratie Saarland. Gefördert wird das Treffen, das diesmal unter dem Motto „Drum Summit“ steht, unter anderem durch das saarländische Ministerium für Bildung und Kultur, das Kulturamt Saarbrücken, die Heinrich-Böll-Stiftung und die VHS-Saarbrücken. Wir sprachen mit dem künstlerischen Leiter Stefan Winkler.

Herr Winkler, wie schauen Sie rückblickend auf das Festival 2019?

Stefan Winkler: Wieder einmal ein berauschendes fünftägiges Freejazzfest. Es wusste rund 600 Besucher atmosphärisch, konzeptionell und mit begnadeten musikalischen Darbietungen zu begeistern.

Auch beim nun anstehenden Jahrgang zeichnet der 2018 aus der Taufe gehobene Verein FreeJazzSaar (FJS) wieder für Kuratorium und Organisation verantwortlich. Wie darf man sich Ihre Zusammenarbeit als Festivalchef mit FreeJazzSaar vorstellen, wo Sie ja zudem 1. Vereinsvorsitzender sind?

Stefan Winkler: FreeJazzSaar e.V. ist zum einen in struktureller Hinsicht eine große Erleichterung bei der Erledigung der administrativen Aufgaben, zum anderen in personeller Hinsicht eine große Hilfe bei der Organisation. Da sich hier eine eingeschworene Gruppe von Freejazz-Enthusiasten zusammen gefunden hat, die einen bei der Vorbereitung und der Ausrichtung des Festivals aufopferungsvoll mit Rat und Tat unterstützen.

Wie ist es finanziell um das Festival bestellt? Wie um Fördergelder der öffentlichen Hand, und wie sehen Sie die Zukunft?

Stefan Winkler: Für ein Festival, das jenseits der Massenkultur situiert ist, ist es zumindest in den ersten Jahren in der Regel schwierig, eine hinreichende Finanzierung zu generieren. Aus dem Bereich der Wirtschaft lassen sich keine Sponsoren finden. Etwa zwei Drittel unseres Budgets bestehen aus Mitteln von öffentlichen Institutionen, die jährlich neu beantragt werden müssen. Das aktuelle Festivalformat konnte in den letzten Jahren vor allem dank großzügiger privater Spenden weiter geführt werden. Für die Zukunft hoffen wir, dass wenigstens die bisherigen Förderungen aufrecht erhalten werden können.

Wie kam’s zur Idee des diesjährigen Festivalmottos „Drum Summit“ um stilprägende Schlagwerker des Freejazz?

Stefan Winkler: Die Idee, besondere und stilprägende Schlagzeuger zu featuren, ist eigentlich bei der Beschäftigung mit Freejazz eine naheliegende, da er mit die erste Stilrichtung war, in der es nicht mehr nur eine Rhythmusgruppe sozusagen als Hintergrund gab, sondern in der sich alle Instrumente einer Band als gleichwertige und eigenständige Bestandteile des Musikkollektivs emanzipierten. Es gibt im Freejazz auch keinen klassischen Bandleader mehr, sondern eine Ansammlung von virtuosen Individualisten, die mit viel Risikobereitschaft auf basisdemokratische Weise stets aufs Neue versuchen, zu einem gemeinsamen Klangkörper zusammen zu finden.

Nun soll das Treffen zum dritten mal wieder im Gemeindezentrum Alte Kirche beim St. Johanner Markt über die Rampe gehen. Wird das einstige Provisorium zum Dauerdomizil?

Stefan Winkler: Das Gemeindezentrum Alte Kirche ist ein echter Glücksfall für unser Festival: Mit ihm haben wir genau jenen mittelgroßen, logistisch gut gelegenen Veranstaltungssaal mit guten akustischen Eigenschaften gefunden, der für die Festivaltage am Wochenende wie maßgeschneidert ist.

Vor die beiden Haupt-Festivaltage sind auch diesmal zwei „Vorabende“ postiert: Gleich beim Mittwochs-Prolog im Kino Achteinhalb schicken Sie keinen Geringeren als den New Yorker Trommel-Altmeister Barry Altschul mit seinem Trio 3Domfaktor aufs Podium. Wäre das nicht auch etwas fürs Hauptprogramm...?

Stefan Winkler: Für uns ist jede auf dem Festival auftretende Band ein besonderes Highlight, die alle auch auf der großen Bühne spielen könnten, aber gegenüber den Auftritten in größeren Sälen haben die Konzerte in kleineren Locations eine unvergleichliche Intensität, die wir bei unserem Festival nicht missen möchten. Wer nur deshalb nicht die Gigs von Altschuls 3Domfactor oder des grandiosen Humanization4tetts besucht, weil sie nicht im vermeintlichen „Hauptprogramm“ auftreten, der hat einen wesentlichen Teil unseres Festivals verpasst.

Tradition bei Ihrem Festival sind an den einleitenden Festivalabenden Jazzfilme, Vorträge, Gespräche. Was erwartet uns in dieser Hinsicht diesmal?

Stefan Winkler: Im Prolog am 1. April zeigen wir den Dokumentarfilm „Sunny‘s Time Now“, der sich mit dem Leben und Werk des Avantgarde-Schlagzeugers Sunny Murray beschäftigt, einer der einflussreichsten Figuren der Free Jazz-Revolution. Im Anschluss daran besteht im Rahmen eines Publikumsgesprächs die Möglichkeit, mit dem Regisseur Antoine Prum ins Gespräch zu kommen. Und der Abend des 2. April wird eröffnet mit einem Vortrag mit Musik und Gespräch durch den renommierten Jazz-Reporter Ulrich Stock, der ua. die Monatskolumne „Und jetzt Jazz!“ auf ZEIT-online verfasst, über die Entwicklung des Freejazz von den Anfängen bis zur Gegenwart.

Zum Hauptprogramm: Den 1. Festivaltag am Freitag wird das 16 Musikerinnen und Musiker starke „Freejazzsaar Orchester“ eröffnen. Ist es die Bühnenpremiere für dieses prominent besetzte regionale Großensemble?

Stefan Winkler: Die Weltpremiere mit einem regional verwurzelten Freejazzensemble von 16 Musikern auf unserem Festival zu feiern ist  schon eine tolle Sache und für uns eine absolute Herzensangelegenheit, auf die wir uns sehr freuen. Hartmut Oßwald hat sich dazu entschlossen, dieses Projekt, das ua. mit vier gelernten Drummern besetzt ist, zu leiten mit dem Ziel, damit eine längerfristige musikalische Zusammenarbeit der beteiligten Musiker zu ermöglichen.

Mit zwei Schlagzeugern wartet immerhin der anschließend folgende Programmpunkt „Niscier/Hemingway & Turner/Ward“ auf? Freejazzen da zwei Duos sozusagen im Quartett?

Stefan Winkler: Bei diesem Programmpunkt werden zuerst die beiden Duos zu hören sein, bevor sie sich gemäß unseres Festivalmottos zu einem Doubledrum-Quartett um die beteiligten Masterdrummer zusammen schließen werden, um kompromisslos-freie Improvisationskunst mit großer Virtuosität und Intensität darzubieten.

Am Festivalsamstag lässt sich der unermüdliche Saarjazzer Christof Thewes unter dem Motto „Ruf der Heimat“ hören, und der Free-Schlagzeug-Pionier Günter „Baby“ Sommer hat ua. keinen Geringeren als den Kontrabassisten Barry Guy mit dabei. . .

Stefan Winkler: Die legendäre Jazzcombo „Ruf der Heimat“ mit den Urgesteinen der Improvisationsszene Willi Kellers am Schlagzeug und Thomas Borgmann am Saxophon wurde kürzlich aus gesundheitlichen Gründen umbesetzt und hat mit Christof Thewes und Jan Roder zwei kongeniale Mitspieler gefunden, mit der sie in ihrem typischen hymnischen Freejazzstil eine expressive „Homage an die wilde Schönheit der Anarchie“ (Bremer Stadtmagazin 11 ‘94) präsentieren werden. Eröffnet wird der Samstag durch ein mitreißendes Trio mit dem jungen wilden Leipziger Improvisationsmusiker Oliver Schwerdt am Klavier und zwei Pionieren der Avantgarde des europäischen Freejazz, der Schlagzeuglegende Günter Baby Sommer und dem englischen Bassgroßmeister Barry Guy, der das Publikum schon auf unserem Festival 2018 zu begeistern wusste.

Worauf dürfen wir uns beim Finale unter dem Titel „Arashi“ freuen?

Stefan Winkler: Wie der Name Arashi, zu deutsch „Sturm“, bereits andeutet, erwartet uns ein elegisches High-Energy-Trio um die japanische Freejazzlegende Akira Sakata am Saxophon mit zwei hervorragenden skandinavischen Improvisationsmusikern, dem norwegischen Schlagzeuger Paal Nilssen-Love und dem schwedischen Bassisten Johan Berthling.

 Akira Sakatas Gruppe Arashi spielt am zweiten Festivaltag. 

Akira Sakatas Gruppe Arashi spielt am zweiten Festivaltag. 

Foto: Band/Frank Schinkelbeck

Wie lässt sich der Vorverkauf an?

Stefan Winkler: Der Vorverkauf hat bereits sehr gut angefangen, noch bevor das Festival in den Medien beworben wurde, so dass mit der nun folgenden medialen Aufmerksamkeit wiederum mit einem sehr gut besuchten Festival gerechnet werden kann.

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