Neue Bücher 2004New Books 2004

Jazz. Jazzstatements in Wort und Bild
von Dietmar Hoscher & Wolfgang Gonaus
Wien 2004, Dr. Peter Müller Verlag
160 Seiten, viele Farbphotos, 32 Euro
ISBN 3-900784-33-7

2004lhoscherJazzstatements verspricht das von Dietmar Hoscher herausgegebene Buch mit Fotos von Wolfgang Gonaus. Von (John) Abercrombie bis (Joe) Zawinul sind alle dabei, die im letzten Jahrzehnt in Europa zu hören waren. Die Fotos sind farbige Konzertimpressionen, Stilleben und Actionbilder der Musiker, die kurzen Texte Statements der Musiker aus Interviews zu ihrer musikalischen Haltung, zu New York, der Jazzgeschichte, den Problemen der Gegenwart, zu ihren letzten Alben etc. Kurze Statements, knappe Lektüre, zum Blättern einladend und zum Betrachten und Weiterblättern und Zurückblättern. Und ein Vorwort vom Bundespräsidenten… Felix Austria!

(Wolfram Knauer, April 2005)


 

Lost Grooves. The Rise & Fall. Jazz-Rock, Fusion, Soul-Jazz, Jazz-Funk
von Franz Ertl
Dessau 2004 (Wilhelm Herbst Verlag)
286 Seiten, 22 Euro
ISBN: 3-923925-71-9

2004lostgroovesAls Miles Davis 1969 “Bitches Brew” einspielte, regte sich die Jazzwelt auf: Die Verbindung jazzmusikalischer Improvisation mit Sounds, die aus dem Umfeld von Rock- und Popmusik stammten, schien wie ein Verrat an der langen Tradition afro-amerikanischer Musik. Heute ist die Fusion der 1970er Jahre ein historischer Stil, eine Entwicklung der Jazzgeschichte, die ihre Meriten hat, spannende genauso wie langweilige Ergebnisse zeitigte, Einfluss hatte oder auch nicht, eine Facette eben unter vielen anderen. Immerhin hat sie einmal mehr bewusst gemacht, dass der Jazz als Kunstmusik auf den dauernden Kontakt, die Kommunikation mit anderen musikalischen Genres zurückgreifen kann (wenn nicht gar muss, um up-to-date zu bleiben). Franz Ertls Buch “Lost grooves” ist eine Art Wegweiser durch die Welt von Fusion, JazzRock, Soul-Jazz, Jazz-Funk oder wie immer die Verbindungen aus Jazz und der Popmusik der 1950er bis 1980er Jahre genannt wurden. Es ist ein Buch für Fans: alphabetisch gegliedert nach den Künstlern und Bands, die in dieser Musik eine Rolle spielten. Von “A” wie “John Abercrombie” bis “Z” wie “Joe Zawinul” geht es da querbeet: Cannonball Adderley ist genauso dabei wie Stanley Clarke, George Duke findet sich, aber auch Steve Gadd, Herbie Hancock oder Bob James, Nils Landgreen und Kool & The Gang, Herbie Mann und Wes Montgomery, Maceo Parker, Esther Phillips, Tom Scott und Gabor Szabo. Wie immer bei solchen Sammelwerken lässt sich trefflich über die Auswahl der Künstler streiten: Walter Bishops “Fusion”-Ausflüge in den 1970er Jahren waren wohl eher stilistische Ausrutscher des Pianisten, Albert Ayler aber beispielsweise fehlt, obwohl der mit “New Grass” ein durchaus diskutierenswertes Album im Metier zwischen Free Jazz und Soul vorgelegt hatte. Aber da wird jeder Leser seine eigenen Lücken entdecken oder über Namen streiten: Ein solches Buch kann nicht dem Geschmack und Detailwissen eines jeden Lesers gerecht werden. Ertl gibt jedem der Musiker zwischen einer und drei Seiten, eine kurze musikalische Biographie, die Namen von Band- und Plattenprojekten enthält, bei denen diejenigen Musiker mitgewirkt haben, eine kurze musikalische Einschätzung und eine “CD-Auswahl” mit Plattentitel und Label. Seine Texte sind nüchtern, selten kritisch, beschreibend, kaum wertend. Nur selten setzt er musikalische Entwicklungen miteinander in Beziehung, versäumt dabei ein wenig die Chance, den Leser zum gezielten Weiterblättern zu verleiten. Vielleicht auch wäre statt der etwas sehr knappen Plattenliste eine wenigstens ein wenig ausführlichere Diskographie wünschenswert gewesen (wenigstens das Jahr der Veröffentlichung und die Original-Plattennummern gehören eigentlich dazu). Ein nützliches Nachschlagewerk ist Ertls Buch allemal, auch wenn man für weiterführende Informationen dann doch wieder auf andere Quellen zurückgreifen muss.

(Wolfram Knauer, August 2005)


 

Marc Pendzich:
Von der Coverversion zum Hit-Recycling.
Historische, ökonomische und rechtliche Aspekte eines zentralen Phänomens der Pop- und Rockmusik
Münster 2004 (LIT Verlag)
439 Seiten, 49,90 Euro

2004pendzichIm Jazz ist die dauernde Überarbeitung kompositorischen Materials gang und gäbe. Standards werden zwar nach wie vor mit ihren Komponisten identifiziert, vor allem aber mit exzellenten Interpretationen von Jazzmusikern. Wer weiß schon, dass “Body and Soul” eine Komposition von John W. Green ist – Jazzer kennen das Stück vor allem als Tenorsaxophon-Feature und durch die legendäre Aufnahme, die Coleman Hawkins 1939 einspielte. Das Phänomen der Coverversion in der Popmusik ist nur auf den ersten Blick ähnlich, tatsächlich geht es beim “Covern” im Pop aber um ganz anderes als beim Improvisieren über Standards im Jazz. Während der Jazzmusiker sich die thematische Grundlage aneignet, um daraus Eigenes zu machen, scheint beim Covern das ursprüngliche Original, das gecovert wird, immer wieder durch, geht der Cover-Künstler einen bewussten und offenen Dialog mit diesem ein. Marc Pendzichs Dissertation diskutiert das Phänomen aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln. Er beginnt mit einer Definition des Begriffs. Ein erstes Großkapitel widmet sich der rechtlichen Seite insbesondere in den USA. Coverversionen tangieren schließlich immer das Urheberrecht. Im nächsten Kapitel beschäftigt sich Pendzich mit dem Forschungsstand, berichtet über den wisschenschaftlichen Diskurs zum Begriff, über musikalische Bearbeitungen in der abendländischen Musik wie im Jazz sowie über das Phänomen der “Vielfachaufnahme” in der Frühzeit der Schallplattenproduktion. Im Kapitel über die Coverversion in den 50er Jahren geht es um den Markt jener Zeit, in dem Coverversionen eine Art Reaktion der Major Companies auf die Coverversionen auf das Rock ‘n’ Roll-Fieber darstellte. Konkretes Beispiel in diesem Kapitel ist “Rock Around the Clock”, das Pendzich in der Erstaufnahme durch Sonny Dae and his Knights und der bekannten Version von Bill Haley untersucht und vergleicht. Für die 60er Jahre beschreibt der Autor den britischen Musikmarkt, das Phänomen kultureller Einflüsse und analysiert die Coverversion “Please Mr. Postman” von den Beatles. Innerhalb dieses Kapitels beleuchtet er auch einen Plagiatsprozess um George Harrisons “My Sweet Lord”, der erst nach 28 Jahren beigelegt wurde. Ein Zwischenkapitel wirft einen Blick auf die rechtliche Situation bezüglich Coverversionen in der Bundesrepublik, auf Urheberrecht und Rechtsauffassungen zu “Bearbeitung”, “Freie Nutzung”, “Änderung des Werks” und “Coverversion”. Für die 70er Jahre befasst Pendzich sich mit der Entiwkclung des Konzeptalbums und analysiert Walter Murphy’s “A Fifth of Beethoven” und berichtet über die Rechtspraxis anhand des Beispiels “Song of Joy”, einer Klassikadaption, die 1970 15 Wochen lang in den deutschen Single-Charts stand. Für die 80er Jahre beleuchtet er musikalische Ansätze anhand von Kylie Minogues “The Loco-Motion” und die rechtliche Diskussion um Weltmusik und die Ausbeutung ethnischer Drittwelt-Kulturen. Für die 90er dann geht es um Techno und Dance-Covers und das Hit-Recycling beispielsweise in den deutschen Charts. Ein eigenes Kapitel erhalten Coverversionen, die tatsächlich fremdsprachliche Übersetzungen internationaler Hits sind sowie Sonderformen des Covers, modernisierte Re-Releases, Re-Recordings, Nachproduktionen und ähnliches. Ein wichtiges Kapitel beschäftigt sich mit der “Ursachenanalyse der gegenwärtigen Coverversionen-Flut auf dem deutschen Musikmarkt”. Hier setzt sich Pendzich mit dem Zeitgeist der “Postmoderne” genauso auseinander wie mit Entwicklungen in der Musikindustrie, mit der ökonomischen Situation der Musikwirtschaft, der medialen Vermittlung und mit der Rechtswirklichkeit in der Bundesrepublik seit Anfang der 90er Jahre. Pendzichs Buch ist ein wirklicher Rundumschlag über das Phänomen – musikalisch, wirtschaftlich, rechtlich abgeklopft nach allen Seiten. Von den USA bis ins bundesdeutsche Wohnzimmer, von Plagiat bis zum Superstar-Phänomen kann man in diesen Seiten jede Menge Anregungen zum Nachdenken erhalten. Über das Phänomen der “Coverversion” im jazz wurde beim letzten Darmstädter Jazzforum ausführlich diskutiert – hierbei ging es um Musikalisches genauso wie Terminologisches. Pendzich streift das Jazzgeschehen nur am Rande – wohl zu Recht, denn die Aneignung der Jazzer macht deren Covers oft zu eigenständigen und vor allem individuellen Versionen, die mit dem reinen Cover der Popmusik wenig gemein haben. Eine CD-ROM heftet dem Buch bei und enthält weiterführende Informationen, darunter eine Datenbank “Coverversionen in den deutschen Single-Charts seit 1980”, eine quantitative Auswertung dieser Datenbank, ein Zusatzkapitel “DDR-Coverversionen von West-Titel” sowie ein ausführliches Literatur- und Quellenverzeichnis, und das Register zum Buch. “Von der Coverversion zum Hit-Recycling” ist eine gelungene Studie zwischen historischer Aufarbeitung und Festhalten des Status Quo, ein umfangreiches, scheinbar erschöpfendes Buch, das dennoch viel Anregung zum Weiterforschen im Detail vermitteln kann.

(Wolfram Knauer)


 

Enrico Pieranunzi:
Bill Evans. Portrait de l’artiste au piano
Pertuis/Frankreich 2004
Verlag: Rouge Profond, Collecton “Birdland”
160 Seiten, 14 Euro
ISBN: 2-915083-05-2

2004pieranunziBill Evans war der wohl einflussreichste Pianist des modernen Jazz. Seine harmonische Sprache, das Interplay der Musiker seines Trios beeinflussten ganze Generationen von Pianisten und Klaviertrios bis in die heutigen Tage. “Das klingt wie Bill Evans” mag dabei sowohl als Lob als auch als Tadel verstanden werden – Lob für eine harmonische Abenteuerlust, die die Akkorde der ursprünglichen Komposition verlässt und sich in entlegene Gebiete aufmacht, Lob für ein intuitives Zusammenspiel, Kritik an klischeehaften Harmoniefortschreitungen, die sich am Muster Evans’scher Voicings orientieren. Bill Evans Trioaufnahmen mit Scott LaFaro und Paul Motion aus dem Village Vanguard von 1961 sind Legende, sie allein würden den Ruf des Pianisten belegen. Wer aber über die ganz unterschiedlichen Seiten des Pianisten erfahren will, dem sei die Lektüre des Buchs von Enrico Pieranunzi empfohlen. Pieranunzi ist selbst ein namhafter Pianist, von Evans beeinflusst, sein Buch also eine Annäherung an eines seiner Vorbilder. Sein Buch beginnt mit biografischen Notizen, über ersten Klavierunterricht oder das Studium am Southeastern Louisiana College. 1955 zog der Pianist nach New York, schrieb sich an der Mannes School of Music ein, wirkte schon kurz darauf auf der Platte “The Jazz Workshop” mit Kompositionen von George Russell mit. Und in dieser Szene machte er sich zuerst einen Namen: als swingender, harmonisch weitsichtiger Pianist, der schwierigste Partituren aus dem Kreis der damals aktuellen Third-Stream-Komponisten spielen und leichthändig interpretieren konnte. Evans wirkte in der Folge bei vielen Third-Stream-Aufführungen mit: mit Russell genauso wie mit Gunther Schuller, der ihn für das Brandeis Festival engagierte, bei dem Werke diverser Third-Stream-Komponisten uraufgeführt wurden. Spätestens hier wurde Charles Mingus auf den jungen Pianisten aufmerksam, der ihn für die Aufnahmesession zu “East Coasting” ins Studio holte. Anfang 1958 lud Miles Davis Evans ein, ein Wochenende mit ihm in Philadelphia zu verbringen. Davis suchte einen Pianisten, der dazu in der Lage war, seine neue Idee einer modalen Spielweise im Jazz zu realisieren, und Evans war ihm von Russell empfohlen worden. Von Februar bis November 1958 war Evans Davis’ Pianist, und im Februar 1959 spielte diese Besetzung mit Cannonball Adderley, John Coltrane, Paul Chambers und Jimmy Cobb das legendäre Album “Kind of Blue” ein, Etwa zur gleichen Zeit beginnt Evans seine eigenen Projekte, Trioaufnahmen, in denen er eine stärkere Verflechtung der einzelnen Stimmen anstrebt. Pieranunzi vollzieht diese Entwicklungen nach, erwähnt und diskutiert die wichtigsten Aufnahmen, in einer Sprache, die sich durchaus den technischen Details der Interpretationen annähert ohne für den musikalisch interessierten Laien unverständlich zu sein. Er konzentriert sich in der Hauptsache auf die Musik – Persönliches der einzelnen Musiker, der Tod Scott LaFaros etwa oder die dauernden Drogenprobleme des Pianisten, wird nur am Rande erwähnt. Die Trios mit Chuck Israels, Eddie Gomez und Marc Johnson finden Erwähnung, ein Schlusskapitel schließlich bringt ein Interview mit Pieranunzi über den Einfluss Evans’ und die Bedeutung dieses Buchs für ihn sowie ein Schlusswort von Marc Johnson, Evans’ letztem Bassisten. “Bill Evans. Portrait de l’artiste au piano” ist 2001 in der Originalversion in italienischer und englischer Sprache beim Stampa-Verlag (einschließlich einer CD, eingespielt vom Autoren). Die französische Übersetzung des Buchs liegt jetzt vom Verlag “rouge profond” vor. Eine deutsche Fassung gibt es bislang nicht, wäre aber durchaus wünschenswert.

(Wolfram Knauer)


 

My Back Pages. Idole und Freaks, Tod und Legende in der Popmusik
von Siegfried Schmidt-Joos
Berlin 2004
Lukas Verlag
594 Seiten, 54 Abbildungen
24,90 Euro
ISBN 3-936872-19-8

2004schmidtjoosSiegfried Schmidt-Joos trägt verschiedene Paar Schuhe. Als Abteilungsleiter “Leichte Musik” beim RIAS, später in selber Funktion beim SFB, als Zuarbeiter zu fast allen Musikredaktionen der ARD, als Buchautor über Jazz, Rock, Musical und Schlager ist er seit 1959 ein wortgewandter Begleiter der populären Musikentwicklung. Er gehörte vor seiner Flucht in den Westen zu den Mitgründern des ersten offiziellen Jazzclubs in der DDR, war Konzertreferent der Deutschen Jazz Föderation, Jazzredakteur bei Radio Bremen, arbeitete für den Spiegel, interviewte viele maßgebliche Künstler, schrieb Plattentexte, Artikel, verfasste Rundfunksendungen und TV-Dokumentationen. Nun erschien mit “My Back Pages” eine Sammlung einiger seiner Texte zu Idolen der Pop-Geschichte. Die achtzehn Kapitel des Buchs berichten über Ray Charles, Sarah Vaughan und B.B. King, über die Stones, Elvis Presley, John Lennon und Bob Dylan, über Judy Garland, Barbra Streisand, Liza Minelli und andere Heroen der Popgeschichte. Sie stammen ursprünglich aus Zeitschriften wie dem Spiegel, Twen und DU sowie aus Büchern, die lange vergriffen sind. Es sind Biographien, Lebens- und Stilbeschreibungen, es ist immer der Versuch, die Menschen hinter den Idolen zu entdecken. Es sind kurze und lange Essays, unter letzteren beispielsweise seine umfassenden Darstellungen über Alexis Korner und Frank Sinatra, er lobt, kritisiert, hinterfragt, er lässt auch seine ganz persönliche Betroffenheit nicht aus dem Spiel – eine Tatsache, die ihm oft vorgeworfen wurde, die aber tatsächlich dieses Buch so überaus lesenswert machen: Objektive Tatsache, gespiegelt durch die subjektive Brille des Autors mit seiner eigenen Hörerfahrung und Meinung. Schmidt-Joos lässt uns teilhaben an seinen eigenen Erlebnissen, seinen Recherchen, seinen Begegnungen mit den Großen der Popmusik oder mit ihren Pressesprechern. Die Essays hat er teilweise überarbeitet, mit Aktualisierungen versehen. Und Schmidt-Joos’ Frau, Kathrin Brigl, hat ihren eigenen Aufsatz über Michael Jackson beigesteuert. “My Back Pages” ist eine lesenswerte Sammlung eines der überzeugendsten Autoren der deutschen Popmusikjournalistik. Und wenn es auch kein Jazzbuch ist, so kommen doch Jazzfreunde mit einer offenen Auffassung afro-amerikanischer Musikgeschichte auf ihre Kosten: Zu sehr ist Schmidt-Joos’ eigenes Musikverständnis in der afro-amerikanischen Tradition verwurzelt, aus der heraus er die popmusikalischen Entwicklungen an den Beispielen der hier herausgegriffenen “Idole” erklärt.

(Wolfram Knauer)Jazz. Jazzstatements in Wort und Bild
von Dietmar Hoscher & Wolfgang Gonaus
Wien 2004, Dr. Peter Müller Verlag
160 Seiten, viele Farbphotos, 32 Euro
ISBN 3-900784-33-7

2004lhoscherJazzstatements verspricht das von Dietmar Hoscher herausgegebene Buch mit Fotos von Wolfgang Gonaus. Von (John) Abercrombie bis (Joe) Zawinul sind alle dabei, die im letzten Jahrzehnt in Europa zu hören waren. Die Fotos sind farbige Konzertimpressionen, Stilleben und Actionbilder der Musiker, die kurzen Texte Statements der Musiker aus Interviews zu ihrer musikalischen Haltung, zu New York, der Jazzgeschichte, den Problemen der Gegenwart, zu ihren letzten Alben etc. Kurze Statements, knappe Lektüre, zum Blättern einladend und zum Betrachten und Weiterblättern und Zurückblättern. Und ein Vorwort vom Bundespräsidenten… Felix Austria!

(Wolfram Knauer, April 2005)


 

Lost Grooves. The Rise & Fall. Jazz-Rock, Fusion, Soul-Jazz, Jazz-Funk
von Franz Ertl
Dessau 2004 (Wilhelm Herbst Verlag)
286 Seiten, 22 Euro
ISBN: 3-923925-71-9

2004lostgroovesAls Miles Davis 1969 “Bitches Brew” einspielte, regte sich die Jazzwelt auf: Die Verbindung jazzmusikalischer Improvisation mit Sounds, die aus dem Umfeld von Rock- und Popmusik stammten, schien wie ein Verrat an der langen Tradition afro-amerikanischer Musik. Heute ist die Fusion der 1970er Jahre ein historischer Stil, eine Entwicklung der Jazzgeschichte, die ihre Meriten hat, spannende genauso wie langweilige Ergebnisse zeitigte, Einfluss hatte oder auch nicht, eine Facette eben unter vielen anderen. Immerhin hat sie einmal mehr bewusst gemacht, dass der Jazz als Kunstmusik auf den dauernden Kontakt, die Kommunikation mit anderen musikalischen Genres zurückgreifen kann (wenn nicht gar muss, um up-to-date zu bleiben). Franz Ertls Buch “Lost grooves” ist eine Art Wegweiser durch die Welt von Fusion, JazzRock, Soul-Jazz, Jazz-Funk oder wie immer die Verbindungen aus Jazz und der Popmusik der 1950er bis 1980er Jahre genannt wurden. Es ist ein Buch für Fans: alphabetisch gegliedert nach den Künstlern und Bands, die in dieser Musik eine Rolle spielten. Von “A” wie “John Abercrombie” bis “Z” wie “Joe Zawinul” geht es da querbeet: Cannonball Adderley ist genauso dabei wie Stanley Clarke, George Duke findet sich, aber auch Steve Gadd, Herbie Hancock oder Bob James, Nils Landgreen und Kool & The Gang, Herbie Mann und Wes Montgomery, Maceo Parker, Esther Phillips, Tom Scott und Gabor Szabo. Wie immer bei solchen Sammelwerken lässt sich trefflich über die Auswahl der Künstler streiten: Walter Bishops “Fusion”-Ausflüge in den 1970er Jahren waren wohl eher stilistische Ausrutscher des Pianisten, Albert Ayler aber beispielsweise fehlt, obwohl der mit “New Grass” ein durchaus diskutierenswertes Album im Metier zwischen Free Jazz und Soul vorgelegt hatte. Aber da wird jeder Leser seine eigenen Lücken entdecken oder über Namen streiten: Ein solches Buch kann nicht dem Geschmack und Detailwissen eines jeden Lesers gerecht werden. Ertl gibt jedem der Musiker zwischen einer und drei Seiten, eine kurze musikalische Biographie, die Namen von Band- und Plattenprojekten enthält, bei denen diejenigen Musiker mitgewirkt haben, eine kurze musikalische Einschätzung und eine “CD-Auswahl” mit Plattentitel und Label. Seine Texte sind nüchtern, selten kritisch, beschreibend, kaum wertend. Nur selten setzt er musikalische Entwicklungen miteinander in Beziehung, versäumt dabei ein wenig die Chance, den Leser zum gezielten Weiterblättern zu verleiten. Vielleicht auch wäre statt der etwas sehr knappen Plattenliste eine wenigstens ein wenig ausführlichere Diskographie wünschenswert gewesen (wenigstens das Jahr der Veröffentlichung und die Original-Plattennummern gehören eigentlich dazu). Ein nützliches Nachschlagewerk ist Ertls Buch allemal, auch wenn man für weiterführende Informationen dann doch wieder auf andere Quellen zurückgreifen muss.

(Wolfram Knauer, August 2005)


 

Marc Pendzich:
Von der Coverversion zum Hit-Recycling.
Historische, ökonomische und rechtliche Aspekte eines zentralen Phänomens der Pop- und Rockmusik
Münster 2004 (LIT Verlag)
439 Seiten, 49,90 Euro

2004pendzichIm Jazz ist die dauernde Überarbeitung kompositorischen Materials gang und gäbe. Standards werden zwar nach wie vor mit ihren Komponisten identifiziert, vor allem aber mit exzellenten Interpretationen von Jazzmusikern. Wer weiß schon, dass “Body and Soul” eine Komposition von John W. Green ist – Jazzer kennen das Stück vor allem als Tenorsaxophon-Feature und durch die legendäre Aufnahme, die Coleman Hawkins 1939 einspielte. Das Phänomen der Coverversion in der Popmusik ist nur auf den ersten Blick ähnlich, tatsächlich geht es beim “Covern” im Pop aber um ganz anderes als beim Improvisieren über Standards im Jazz. Während der Jazzmusiker sich die thematische Grundlage aneignet, um daraus Eigenes zu machen, scheint beim Covern das ursprüngliche Original, das gecovert wird, immer wieder durch, geht der Cover-Künstler einen bewussten und offenen Dialog mit diesem ein. Marc Pendzichs Dissertation diskutiert das Phänomen aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln. Er beginnt mit einer Definition des Begriffs. Ein erstes Großkapitel widmet sich der rechtlichen Seite insbesondere in den USA. Coverversionen tangieren schließlich immer das Urheberrecht. Im nächsten Kapitel beschäftigt sich Pendzich mit dem Forschungsstand, berichtet über den wisschenschaftlichen Diskurs zum Begriff, über musikalische Bearbeitungen in der abendländischen Musik wie im Jazz sowie über das Phänomen der “Vielfachaufnahme” in der Frühzeit der Schallplattenproduktion. Im Kapitel über die Coverversion in den 50er Jahren geht es um den Markt jener Zeit, in dem Coverversionen eine Art Reaktion der Major Companies auf die Coverversionen auf das Rock ‘n’ Roll-Fieber darstellte. Konkretes Beispiel in diesem Kapitel ist “Rock Around the Clock”, das Pendzich in der Erstaufnahme durch Sonny Dae and his Knights und der bekannten Version von Bill Haley untersucht und vergleicht. Für die 60er Jahre beschreibt der Autor den britischen Musikmarkt, das Phänomen kultureller Einflüsse und analysiert die Coverversion “Please Mr. Postman” von den Beatles. Innerhalb dieses Kapitels beleuchtet er auch einen Plagiatsprozess um George Harrisons “My Sweet Lord”, der erst nach 28 Jahren beigelegt wurde. Ein Zwischenkapitel wirft einen Blick auf die rechtliche Situation bezüglich Coverversionen in der Bundesrepublik, auf Urheberrecht und Rechtsauffassungen zu “Bearbeitung”, “Freie Nutzung”, “Änderung des Werks” und “Coverversion”. Für die 70er Jahre befasst Pendzich sich mit der Entiwkclung des Konzeptalbums und analysiert Walter Murphy’s “A Fifth of Beethoven” und berichtet über die Rechtspraxis anhand des Beispiels “Song of Joy”, einer Klassikadaption, die 1970 15 Wochen lang in den deutschen Single-Charts stand. Für die 80er Jahre beleuchtet er musikalische Ansätze anhand von Kylie Minogues “The Loco-Motion” und die rechtliche Diskussion um Weltmusik und die Ausbeutung ethnischer Drittwelt-Kulturen. Für die 90er dann geht es um Techno und Dance-Covers und das Hit-Recycling beispielsweise in den deutschen Charts. Ein eigenes Kapitel erhalten Coverversionen, die tatsächlich fremdsprachliche Übersetzungen internationaler Hits sind sowie Sonderformen des Covers, modernisierte Re-Releases, Re-Recordings, Nachproduktionen und ähnliches. Ein wichtiges Kapitel beschäftigt sich mit der “Ursachenanalyse der gegenwärtigen Coverversionen-Flut auf dem deutschen Musikmarkt”. Hier setzt sich Pendzich mit dem Zeitgeist der “Postmoderne” genauso auseinander wie mit Entwicklungen in der Musikindustrie, mit der ökonomischen Situation der Musikwirtschaft, der medialen Vermittlung und mit der Rechtswirklichkeit in der Bundesrepublik seit Anfang der 90er Jahre. Pendzichs Buch ist ein wirklicher Rundumschlag über das Phänomen – musikalisch, wirtschaftlich, rechtlich abgeklopft nach allen Seiten. Von den USA bis ins bundesdeutsche Wohnzimmer, von Plagiat bis zum Superstar-Phänomen kann man in diesen Seiten jede Menge Anregungen zum Nachdenken erhalten. Über das Phänomen der “Coverversion” im jazz wurde beim letzten Darmstädter Jazzforum ausführlich diskutiert – hierbei ging es um Musikalisches genauso wie Terminologisches. Pendzich streift das Jazzgeschehen nur am Rande – wohl zu Recht, denn die Aneignung der Jazzer macht deren Covers oft zu eigenständigen und vor allem individuellen Versionen, die mit dem reinen Cover der Popmusik wenig gemein haben. Eine CD-ROM heftet dem Buch bei und enthält weiterführende Informationen, darunter eine Datenbank “Coverversionen in den deutschen Single-Charts seit 1980”, eine quantitative Auswertung dieser Datenbank, ein Zusatzkapitel “DDR-Coverversionen von West-Titel” sowie ein ausführliches Literatur- und Quellenverzeichnis, und das Register zum Buch. “Von der Coverversion zum Hit-Recycling” ist eine gelungene Studie zwischen historischer Aufarbeitung und Festhalten des Status Quo, ein umfangreiches, scheinbar erschöpfendes Buch, das dennoch viel Anregung zum Weiterforschen im Detail vermitteln kann.

(Wolfram Knauer)


 

Enrico Pieranunzi:
Bill Evans. Portrait de l’artiste au piano
Pertuis/Frankreich 2004
Verlag: Rouge Profond, Collecton “Birdland”
160 Seiten, 14 Euro
ISBN: 2-915083-05-2

2004pieranunziBill Evans war der wohl einflussreichste Pianist des modernen Jazz. Seine harmonische Sprache, das Interplay der Musiker seines Trios beeinflussten ganze Generationen von Pianisten und Klaviertrios bis in die heutigen Tage. “Das klingt wie Bill Evans” mag dabei sowohl als Lob als auch als Tadel verstanden werden – Lob für eine harmonische Abenteuerlust, die die Akkorde der ursprünglichen Komposition verlässt und sich in entlegene Gebiete aufmacht, Lob für ein intuitives Zusammenspiel, Kritik an klischeehaften Harmoniefortschreitungen, die sich am Muster Evans’scher Voicings orientieren. Bill Evans Trioaufnahmen mit Scott LaFaro und Paul Motion aus dem Village Vanguard von 1961 sind Legende, sie allein würden den Ruf des Pianisten belegen. Wer aber über die ganz unterschiedlichen Seiten des Pianisten erfahren will, dem sei die Lektüre des Buchs von Enrico Pieranunzi empfohlen. Pieranunzi ist selbst ein namhafter Pianist, von Evans beeinflusst, sein Buch also eine Annäherung an eines seiner Vorbilder. Sein Buch beginnt mit biografischen Notizen, über ersten Klavierunterricht oder das Studium am Southeastern Louisiana College. 1955 zog der Pianist nach New York, schrieb sich an der Mannes School of Music ein, wirkte schon kurz darauf auf der Platte “The Jazz Workshop” mit Kompositionen von George Russell mit. Und in dieser Szene machte er sich zuerst einen Namen: als swingender, harmonisch weitsichtiger Pianist, der schwierigste Partituren aus dem Kreis der damals aktuellen Third-Stream-Komponisten spielen und leichthändig interpretieren konnte. Evans wirkte in der Folge bei vielen Third-Stream-Aufführungen mit: mit Russell genauso wie mit Gunther Schuller, der ihn für das Brandeis Festival engagierte, bei dem Werke diverser Third-Stream-Komponisten uraufgeführt wurden. Spätestens hier wurde Charles Mingus auf den jungen Pianisten aufmerksam, der ihn für die Aufnahmesession zu “East Coasting” ins Studio holte. Anfang 1958 lud Miles Davis Evans ein, ein Wochenende mit ihm in Philadelphia zu verbringen. Davis suchte einen Pianisten, der dazu in der Lage war, seine neue Idee einer modalen Spielweise im Jazz zu realisieren, und Evans war ihm von Russell empfohlen worden. Von Februar bis November 1958 war Evans Davis’ Pianist, und im Februar 1959 spielte diese Besetzung mit Cannonball Adderley, John Coltrane, Paul Chambers und Jimmy Cobb das legendäre Album “Kind of Blue” ein, Etwa zur gleichen Zeit beginnt Evans seine eigenen Projekte, Trioaufnahmen, in denen er eine stärkere Verflechtung der einzelnen Stimmen anstrebt. Pieranunzi vollzieht diese Entwicklungen nach, erwähnt und diskutiert die wichtigsten Aufnahmen, in einer Sprache, die sich durchaus den technischen Details der Interpretationen annähert ohne für den musikalisch interessierten Laien unverständlich zu sein. Er konzentriert sich in der Hauptsache auf die Musik – Persönliches der einzelnen Musiker, der Tod Scott LaFaros etwa oder die dauernden Drogenprobleme des Pianisten, wird nur am Rande erwähnt. Die Trios mit Chuck Israels, Eddie Gomez und Marc Johnson finden Erwähnung, ein Schlusskapitel schließlich bringt ein Interview mit Pieranunzi über den Einfluss Evans’ und die Bedeutung dieses Buchs für ihn sowie ein Schlusswort von Marc Johnson, Evans’ letztem Bassisten. “Bill Evans. Portrait de l’artiste au piano” ist 2001 in der Originalversion in italienischer und englischer Sprache beim Stampa-Verlag (einschließlich einer CD, eingespielt vom Autoren). Die französische Übersetzung des Buchs liegt jetzt vom Verlag “rouge profond” vor. Eine deutsche Fassung gibt es bislang nicht, wäre aber durchaus wünschenswert.

(Wolfram Knauer)


 

My Back Pages. Idole und Freaks, Tod und Legende in der Popmusik
von Siegfried Schmidt-Joos
Berlin 2004
Lukas Verlag
594 Seiten, 54 Abbildungen
24,90 Euro
ISBN 3-936872-19-8

2004schmidtjoosSiegfried Schmidt-Joos trägt verschiedene Paar Schuhe. Als Abteilungsleiter “Leichte Musik” beim RIAS, später in selber Funktion beim SFB, als Zuarbeiter zu fast allen Musikredaktionen der ARD, als Buchautor über Jazz, Rock, Musical und Schlager ist er seit 1959 ein wortgewandter Begleiter der populären Musikentwicklung. Er gehörte vor seiner Flucht in den Westen zu den Mitgründern des ersten offiziellen Jazzclubs in der DDR, war Konzertreferent der Deutschen Jazz Föderation, Jazzredakteur bei Radio Bremen, arbeitete für den Spiegel, interviewte viele maßgebliche Künstler, schrieb Plattentexte, Artikel, verfasste Rundfunksendungen und TV-Dokumentationen. Nun erschien mit “My Back Pages” eine Sammlung einiger seiner Texte zu Idolen der Pop-Geschichte. Die achtzehn Kapitel des Buchs berichten über Ray Charles, Sarah Vaughan und B.B. King, über die Stones, Elvis Presley, John Lennon und Bob Dylan, über Judy Garland, Barbra Streisand, Liza Minelli und andere Heroen der Popgeschichte. Sie stammen ursprünglich aus Zeitschriften wie dem Spiegel, Twen und DU sowie aus Büchern, die lange vergriffen sind. Es sind Biographien, Lebens- und Stilbeschreibungen, es ist immer der Versuch, die Menschen hinter den Idolen zu entdecken. Es sind kurze und lange Essays, unter letzteren beispielsweise seine umfassenden Darstellungen über Alexis Korner und Frank Sinatra, er lobt, kritisiert, hinterfragt, er lässt auch seine ganz persönliche Betroffenheit nicht aus dem Spiel – eine Tatsache, die ihm oft vorgeworfen wurde, die aber tatsächlich dieses Buch so überaus lesenswert machen: Objektive Tatsache, gespiegelt durch die subjektive Brille des Autors mit seiner eigenen Hörerfahrung und Meinung. Schmidt-Joos lässt uns teilhaben an seinen eigenen Erlebnissen, seinen Recherchen, seinen Begegnungen mit den Großen der Popmusik oder mit ihren Pressesprechern. Die Essays hat er teilweise überarbeitet, mit Aktualisierungen versehen. Und Schmidt-Joos’ Frau, Kathrin Brigl, hat ihren eigenen Aufsatz über Michael Jackson beigesteuert. “My Back Pages” ist eine lesenswerte Sammlung eines der überzeugendsten Autoren der deutschen Popmusikjournalistik. Und wenn es auch kein Jazzbuch ist, so kommen doch Jazzfreunde mit einer offenen Auffassung afro-amerikanischer Musikgeschichte auf ihre Kosten: Zu sehr ist Schmidt-Joos’ eigenes Musikverständnis in der afro-amerikanischen Tradition verwurzelt, aus der heraus er die popmusikalischen Entwicklungen an den Beispielen der hier herausgegriffenen “Idole” erklärt.

(Wolfram Knauer)