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„To Erwin and Margie“

Über eine besondere Brieffreundschaft

William H. Engelleitner hatte den II. Weltkrieg als Teenager in Deutschland erlebt. Etwa 1955 wanderte er in die USA aus, arbeitete in Nordkalifornien für eine deutsche Firma beim Bau eines Spanplattenwerks mit und ließ sich schließlich in Pittsburgh, Pennsylvania, nieder. Dort arbeitete er in verschiedenen Firmen, die sich auf die Pelletierung von Eisenerz oder die Agglomeration von Brennstoffen, Mineralien und Chemikalien spezialisiert hatten. 1969 heiratete er Marilyn Cribbs, die er bei einer Konferenz in San Diego kennengelernt hatte und mit der er schließlich zwei Kinder und drei Enkel haben sollte.

Seine deutsche Heimat hatte Engelleitner aber nie vergessen. Zum einen brachte ihn sein Beruf immer wieder zu Tagungen, Vorträgen und Konferenzen nach Europa. Zum anderen hatte er Freunde hier, unter ihnen Erwin ‚Hot Lips‘ Hippler und seine Frau Margot ‚Blueskick‘ Hippler, genannt Margie. Letztere stand eines Tages, es muss so um 2009 gewesen sein, vor der Tür des Jazzinstituts. Sie wohnte nicht so weit vom Jazzinstitut entfernt und war ab und an bei Freiluftkonzerten auf dem schönen Jagdhof gewesen. Nun brachte sie ein Album vorbei, das Schätze enthielt, die ihre Bill Engelleitner über die Jahre zugeschickt hatte.

Der dünne Ordner ist außen mit einer Karte beklebt, ein Mann mit Brille, unter dem einen Arm eine Trompete, unter dem anderen eine Schallplatte. Auf dem Bild sieht das alles gezeichnet aus, tatsächlich hat, wer immer diese Karte bastelte, einen Knopf als Schallplatte unter den Arm des Mannes geklemmt. Es folgt eine maschine-geschriebene Auflistung der „Autogramme von Jazzmusikern, gesammelt von William H. Engelleitner, 1955 ausgewandert nach U.S.A., Stand vom Januar 1985“.

Allein die Zahl der Autogramme fasziniert: 197 Musikerinnen und Musiker, einige mehrfach um eine Unterschrift gebeten.  Die Autogramme der Eddie Condon-Band finden sich auf einem offiziell gefertigten Bandfoto, für das Condons „Hausfotografin“, wie Engelleitner schreibt, die Unterschriften der anwesenden Musiker einholte. Ansonsten finden sich Unterschriften auf dem Papier, das zur Verfügung stand: Alvin Alcorn und Joseph Cornbread Thomas, Sweet Emma, Percy Humphrey und Willie Humphrey  unterschrieben auf einem Notizzettel des Hilton Inn, Frank Assunto von den Dukes of Dixieland auf einem der Fluglinie TWA. Henry Red Allens Unterschrift findet sich auf der Rückseite einer Tischkarte aus dem New Yorker Club Jimmy Ryan’s, die Harfenistin Dorothy Ashby unterschrieb auf einem gelben Zettel mit direktem Gruß nach Darmstadt: „Lots of happiness to Erwin“.

Trompeter Shorty Baker unterschrieb auf einem Teil der Pittsburgh Press Tageszeitung, Chet Baker (1958) auf einem braunen Briefumschlag. Der australische Pianist Graeme Bell und der Trompeter Teddy Buckner hatten eigene Autogrammkarten, der Pianist Burt Bales benutzte eine Cocktailservierte mit dem Aufdruck „Jerome’s Cafe,  San Francisco“. Ray Bauduc unterschrieb auf der Rückseite einer Postkarte des „Roundtable“ auf der New Yorker Eastside, Sam Donahue unterschreibt in Las Vegas auf der Rückseite eines Schecks aus Engelleitners Scheckbuch.

Bei einem London-Besuch ergattert Engelleitner die Unterschrift Acker Bilks (dies scheint zugleich das späteste Autogramm der Sammlung zu sein, es datiert von Ostern 1985). Paul Chambers und Jimmy Cobb unterschreiben bei einem Auftritt Miles Davis‘ wiederum auf der Rückseite eines Schecks. Wir lesen die Namen Cozy Cole und Al Cohn, finden auf einer Seite zwei Autogramme von Wilbur de Paris, und Barbara Dane grüßt Margot Hippler mit einem „To Margie – Blues lovers are everywhere“ – wiederum auf einer Cocktailservierte, diesmal aus Tsang’s Ricksha in San Francisco.

Art Hodes unterschrieb auf der Rückseite einer Programmkarte aus Chicago, Bert Dahlander auf dem Boarding-Pass der Northeast Airlines, Sidney de Paris auf der Hälfte einer Tischkarte aus dem New Yorker Metropole Cafe. Die einzige deutsche Karte stammt aus dem Frankfurter Storyville, in dem 1960 Armand Gordons Band signierte, unter ihnen der wahrscheinlich einzige Musiker der Sammlung, der noch lebt: Schlagzeuger Peter Giger.

Unter Erroll Garners Autogramm schreibt Engelleitner: „soll Erroll Garny heißen“, Coleman Hawkins und Buster Bailey unterzeichnen auf einem Zettel aus dem Hotel Commodore. Chubby Jackson unterzeichnet mit seinem gesamten Oktett, und Jackson ergänzt das alles mit einer Nachricht an die Hipplers. Illinois Jacquet signiert Engelleitners eigene Visitenkarte; Franz Jacksons Band eine Postkarte aus dem Chicagoer Sherman Hotel. Rolf Kühn, der in den 1950ern in New York lebte, grüßt „Fr. Margot“ auf einer Postkarte aus Berlin.

Gene Krupa signiert die Tischkarte des Eddie Condon’s Club, wo er im Dezember 1961 bei der Band von Max Kaminski einstieg, George Lewis und seine Band erwischte Engelleitner 1966 in der Preservation Hall in New Orleans. 1969 hörte er die Thad Jones / Mel Lewis Band im Village Vanguard (Autogramm vom Lewis), holt sich aber auch die Unterschrift vom Bluesmusiker Brownie McGhee. Gerry Mulligan, Jimmy McPartland, Phil Napoleon, unterschreiben auf Zetteln und Zeitungsausrissen, Kid Ory („to Erwin and Margie“) auf der Rückseite eines Telegramms.

Jimmy Rushing schickt „best wishes“ als „Jimmi Rushing“ (!), weitere Grüße stammen von Muggsy Spanier, Ralph Sutton, Charlie Shavers, Zutty Singleton und Hal Singer. In den Bohemian Caverns in Washington, DC, hört Engelleitner Horace Silver, Blue Mitchell und Junior Cook, holt daneben einen Gruß an „Erwin and Marhie“ von Jess Stacy. Jack Teagarden unterschreibt auf einem Zettel aus dem Cherry Hill Inn in New Jersey.

Bud Freeman unterhielt sich in der Pause eine Weile mit Engelleitner und verabschiedete sich mit „Auf Wiedersehen“, beim selben Konzert war dann auch noch Rex Stewart zugegen. Clark Terry zeichnet die Weinkarte des Half Note in New York, Sarah Vaughan („To Margie“) eine Karte aus dem Sherman Hotel in Chicago, und Joe Venuti schreibt: „Hope I see you in Heidelberg“. Ben Webster und nochmal „Jimmi“ Rushing sowie Teddy Wilson beschließen die Autogrammsammlung.

Margot Hipplers Autogrammsammlung ist eine der vielen rührenden Geschichten, die sich in unserem Archiv finden. Wir stellen uns vor, wie die Hipplers über Jahre die Brieffreundschaft zu Willie Engelleitner aufrecht erhielten und wie viel Freude es diesem offensichtlich machte, die Darmstädter Freunde immer wieder mit neuen Autogrammen zu überraschen.  Die begleitenden und sicher eher persönlichen Briefe sind übrigens nicht bei uns gelandet, aber der Blick in das Album nimmt uns auf sehr lebendige Weise mit in die amerikanische Mainstream-Jazzszene der späten 1950er und 1960er Jahre.

Wolfram Knauer (Juli 2023)

Darmstädter Musikgespräche (Archiv)

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32. Darmstädter Musikgespräch:
Kunst kommt von … ?
Ein Musikgespräch über Joseph Beuys und über Musik

Gast: Martin Faass, Direktor des Hessischen Landesmuseums Darmstadt
Termin: [ursprünglich: Mittwoch, 27. Mai 2020, 20:00 Uhr]
verschoben; neuer Termin wird bekanntgegeben!
Ort: Museumscafe im Landesmuseum Darmstadt

Vor 50 Jahren richtete Joseph Beuys im Darmstädter Landesmuseum mehrere Räume ein, die seither als „Block Beuys“ Kunstgeschichte geschrieben haben. Wir nehmen die Feiern zum 50-jährigen zum Anlass mit dem Direktor des Landesmuseums Martin Faass über Beuys‘ Ästhetik zu diskutieren und darüber, wie diese weit über die Bildende Kunst hinaus und bis heute spürbar ist. Wir sprechen beispielsweise über die Komposition des scheinbar Improvisierten, über die Schwierigkeit, das Vergängliche festhalten zu wollen, über das Schaffen und die Veränderung von Konnotationen über die Jahre, über Verständnis und Missverständnis im Bereich von Kunst und Musik und die Berechtigung für beide Reaktionen, oder darüber, wie es mit dem Anspruch einer Demokratisierung des Kunstbetriebs heute bestellt ist.

Das Musikgespräch zu Beuys wird im Museumscafé des Hessischen Landesmuseums Darmstadt stattfinden (Friedensplatz 1).

Das musikalische Quartett des Darmstädter Musikgesprächs besteht aus den Leitern der drei städtischen Darmstädter Musikinstitute – Cord Meijering (Akademie für Tonkunst), Thomas Schäfer (Internationales Musikinstitut) und Wolfram Knauer (Jazzinstitut) – sowie einem Gast. Die Darmstädter Musikgespräche sind eine Kooperation dieser drei städtischen Musikinstitute; der Eintritt zu den Veranstaltungen, die jeweils um 20.00 Uhr beginnen, ist frei.


31. Darmstädter Musikgespräch:
„It really cooks!
Ein Musikgespräch übers Kochen und die Musik

Gast: Monika Müller
Termin: Mittwoch, 27. November 2019, 20:00 Uhr
Ort: Theater im Pädagog, Pädagogstraße 5, 64283 Darmstadt

„It really cooks“ sagt man im Englischen, wenn es richtig losgeht in der Musik. Es kocht auf der Bühne, wenn Musikerinnen und Musiker die Spannung gekonnt zum Höhepunkt treiben. Dieses Kochen ist allerdings meist Sache der Interpreten, nicht der Komponisten; es ist vor allem eine performative Qualität.

Über sie wollen wir beim 32. Darmstädter Musikgespräch mit der weit über Darmstadt hinaus bekannten kreativen Köchin Monika Müller sprechen. Wir werden Parallelen zwischen Kochen, Komponieren oder Improvisieren diskutieren, über kulinarische Ingredienzien und harmonische, rhythmische oder Klang-Farben sprechen, uns mit Gewürzen, Geschmackskontrasten, disharmonischen oder (oft nur scheinbar) atonalen Passagen in der Musik befassen, nach Völlerei und unkritischem Musikgenuss fragen, und uns bewusst machen, dass es in beiden Bereichen kompromisslose Verfechter einer „reinen Lehre“ gibt. Wir werden darüber sprechen, welche Melodien man in der Küche hört, wie jede einzelne Persönlichkeit dort ihren eigenen Klang besitzt, und wie man als Köchin eine Geschmacksdramaturgie entwickeln kann, in der sich Harmonie und spannende Dissonanzen abwechseln.

Zum Musikgespräch mit Monika Müller gehen wir an ihren augenblicklichen Wirkungsort, die Produktionsküche im Theater im Pädagog. Und wir werden in einem kurzen Einführungsvideo zum Abend einen Eindruck der musikalischen Umgebung ihrer kulinarischen Kreativität erhalten.


Das musikalische Quartett des Darmstädter Musikgesprächs besteht aus den Leitern der drei städtischen Darmstädter Musikinstitute – Cord Meijering (Akademie für Tonkunst), Thomas Schäfer (Internationales Musikinstitut) und Wolfram Knauer (Jazzinstitut) – sowie einem Gast. Die Darmstädter Musikgespräche sind eine Kooperation dieser drei städtischen Musikinstitute; der Eintritt zu den Veranstaltungen, die jeweils um 20.00 Uhr beginnen, ist frei.


Transformationen

Gäste: Nikolaus Heyduck, Reinhart Büttner
Termin: Mittwoch, 19. Juni 2019, 20:00 Uhr
Ort: Jazzinstitut Darmstadt (Bessunger Straße 88d, 64285 Darmstadt)

Unter dem Titel „Transformationen“ zeigen Nikolaus Heyduck, Barbara Heller, Helmut Werres und Reinhart Büttner vom 11. Juni bis zum 23. August 2019 im Jazzinstitut Installationen, Klänge und Bilder in einer Ausstellung im Rahmen des hundertjährigen Jubiläums der Darmstädter Sezession aus. Anlass über ein Musikgespräch mit demselben Titel und der Frage an zwei der Ausstellenden: Wie wird Grafik zu Klang, wie wird Klang zu Skulptur? Wie klingt ein Bild? Wie tönt eine Galerie?

Dabei sind der Künstler und Theoretiker Reinhart Büttner sowie der Komponist und Klangkünstler Nikolaus Heyduck. Zusammen mit dem Komponisten Cord Meijering, dem Direktor des Internationalen Musikinstituts Thomas Schäfer und dem Leiter des Jazzinstituts Wolfram Knauer wollen wir dabei den Verbindungslinien zwischen Visuellem, Greifbarem und Klingendem auf die Spur kommen.

Vor dem Musikgespräch besteht ab 19:15 Uhr die Möglichkeit, die Ausstellung im Jazzinstitut zu betrachten.


Das musikalische Quartett besteht aus den Leitern der drei städtischen Darmstädter Musikinstitute – Cord Meijering (Akademie für Tonkunst), Thomas Schäfer (Internationales Musikinstitut) und Wolfram Knauer (Jazzinstitut) – sowie einem Gast. Die Darmstädter Musikgespräche sind eine Kooperation dieser drei städtischen Musikinstitute; der Eintritt zu den Veranstaltungen, die jeweils um 20.00 Uhr beginnen, ist frei.


Space is the Place!

Gast: Paolo Ferri (European Space Agency)
Termin: Mittwoch, 28. November 2018, 20:00 Uhr
Ort: Kunstforum der TU Darmstadt, Hochschulstraße 1, 64289 Darmstadt

Ein Darmstädter Musikgespräch mit Paolo Ferri über Utopie und Realität, über Space als erfahrbaren oder errechenbaren Raum, über Intuition und die Berechenbarkeit des Experimentellen und anderes mehr.

Paolo Ferri ist Bereichsleiter Missionsbetrieb bei ESOC (European Space Operations Centre) in Darmstadt, verantwortlich für die Durchführung von allen unbemannten Raumfahrtmissionen der Europäischen Raumfahrtagentur ESA (European Space Agency). Er leitet dort im Missionskontrollzentrum die Teams für die Missionssteuerung von Sonden zur Sonne und den Planeten, wie Mars Express, ExoMars, BepiColombo, Solar Orbiter, Juice, von Weltraumteleskopen wie XMM-Newton, Integral oder Gaia, von Erdbeobachtungssatelliten wie Cryosat, Swarm, oder die Copernicus Sentinels.

Mit Paolo Ferri wollen wir darüber sprechen, warum das Kontrollzentrum bei Raketenstarts mit einem Orchester vergleichbar ist, warum der Weltraum bereits für die Musiktheoretiker des Mittelalters („harmonia mundi“) interessant war oder wie die Liebe zur Musik der Naturwissenschaft vielleicht zu neuen Erkenntnissen verhelfen kann. So wenig dem Weltenraum Grenzen gesetzt sind, so grenzenlos scheinen die Möglichkeiten der Musik zu sein und so neugierig werden wir versuchen mit unseren gegenseitigen Fragen in die unendlichen Galaxien von Planeten und Tönen vorzudringen.

Schnallen Sie sich an und seien Sie dabei!


Das musikalische Quartett besteht aus den Leitern der drei städtischen Darmstädter Musikinstitute – Cord Meijering (Akademie für Tonkunst), Thomas Schäfer (Internationales Musikinstitut) und Wolfram Knauer (Jazzinstitut) – sowie einem Gast. Die Darmstädter Musikgespräche sind eine Kooperation dieser drei städtischen Musikinstitute; der Eintritt zu den Veranstaltungen, die jeweils um 20.00 Uhr beginnen, ist frei.


FRÜHERE MUSIKGESPRÄCHE28. Darmstädter Musikgespräch
Gast: Ute Ritschel (Internationales Waldkunst Zentrum)
Die Natur zum Klingen bringen…
Termin: Mittwoch, 16. Mai 2018, 20:00 Uhr
Ort: Main Hall, Osthang der Mathildenhöhe
Olbrichweg 19, 64287 Darmstadt

Ein Darmstädter Musikgespräch mit Ute Ritschel über Natur und Kunst, über Ewigkeitsanspruch und Vergänglichkeit und darüber, wie sich Kunst und Musik an der Natur ein Beispiel nehmen können (oder auch umgekehrt?).

Ute Ritschel ist Kuratorin und Kulturmanagerin und in dieser Funktion seit 2002 für die künstlerische Gestaltung des Internationalen Waldkunstpfads verantwortlich. Mit ihr möchten wir darüber sprechen, wie sich die Natur zum Klingen bringen lässt. Welchen „Sound“ hat das Holz – etwa um den Goetheteich herum oder auf der Ludwigshöhe, dort, wo Ute Ritschel „ihre“ Künstler*innen zur Arbeit einlädt? Wie können wir in die Natur hineinhören? Wie lassen sich „Wald“ und „kompositorische Arbeit“ in einem Kunstwerk vereinen? Und schließlich die alles entscheidende Frage, welche ästhetische Form für einen Klang-Kunstkörper gefunden werden kann?

Wir sind gespannt auf das gemeinsame Nachdenken und freuen uns, Ute Ritschel am 16. Mai 2018, 20.00 Uhr, in der Main Hall des Osthangs begrüßen zu dürfen (Osthang-Projekt).

Das Darmstädter Echo berichtete am 18. Mai 2018:

Klangkunst im Darmstädter Forst: Kuratorin Ute Ritschel spricht über Toninstallationen bei den Waldkunst-Ausstellungen
Von Susanne Döring

DARMSTADT – Musik aus der Natur war es schon, was beim 28. Darmstädter Musikgespräch im Hintergrund die Main Hall am Osthang der Mathildenhöhe beschallte: Durch das Grün wummerten Bässe von irgendwoher. Aber das war mit dem Motto „Die Natur zum Klingen bringen…“ nicht gemeint. Die Direktoren der drei städtischen Darmstädter Musikeinrichtungen, Cord Meijering, Thomas Schäfer und Wolfram Knauer, wollten vielmehr von Ausstellungskuratorin Ute Ritschel wissen, welche Rolle Musik im Rahmen ihres Internationalen Waldkunstpfades spielt.

Mehrere Werke setzten auf Töne

Ausführlich erzählte diese mit Dias von den bislang acht Darmstädter Waldkunstpfaden, in denen immer auch Musik einen wichtigen Raum einnahm. So komponierte Martin Kürschner ein Werk für die Lichtinstallation „Blau Ton“ von Gerhard Lang im Ludwigshöhturm. Johannes S. Sistermanns beteiligte sich mit der Klangplastik „Waldrand 1–3“, indem er mit seinen Stücken die Grenze zwischen Stadt und Wald auslotete; Paul Feichter aus Italien und Ko Seung Hyun aus Korea nutzten Waldmaterialien für Klangerzeuger. Feichters Pfeifenbaum und Ko Seung Hyuns Saiteninstrument Kayageum, brachten fremde Klänge in den Forst. Laute rund um den Wald wie Baumnamen oder Wetterberichte verarbeiteten dagegen Nikolaus Heyduck und Susanne Resch in der Performance „Weitere Aussichten“. In Lutz Nevermanns Projekt „Seegestöber“ hoben „Soundpoles“ (eine Art Klangstäbe) das Plätschern des Wassers im Goetheteich, Wind und Insektengeräusche hervor.

Ritschel kategorisiert diese Musikprojekte in vier Gruppen. Man könne die Natur selbst zum Klingen bringen, Installationen dort hineinbauen, auf den Wald hin abgestimmte Kompositionen anfertigen – oder auch eine ästhetische Form für den Klang finden, wie es Anne Berlit mit ihrem „Luftschloss“ machte, einem aufgehängten Häuschen aus Brettern, durch die der Wind pfiff.

Wolfram Knauer stellte die Frage nach den Machtverhältnissen im Wald, den er mit Stille verbinde. Gleichen Respekt zollt auch Ritschel den Bäumen, indem sie die Kunstprojekte auf Zeit anlegt. Maximal zehn Jahre seien die Objekte im Wald.


27. Darmstädter Musikgespräch
Gäste: Johanna-Leonore Dahlhoff („Bridges – Musik verbindet“), Mustafa Kakour (Oud-Spieler aus Syrien), Arman Kamangar (Perkussionist aus Iran)

Geflüchtete Musik

Termin: Mittwoch, 24. Januar 2018, 20:00 Uhr
Ort: Haus der Deutsch-Balten
Herdweg 79, 64285 Darmstadt

Für viele Menschen ist Musik einer der persönlichsten Rückzugsorte, die gerade in Stresssituationen ein Gefühl von Heimat und Geborgenheit zu erzeugen vermögen. Kein Wunder also, dass musikalische Projekte in der Flüchtlingsarbeit als wichtige Instrumente angesehen werden. Idealerweise lernt man beim Zusammen-Musizieren immer voneinander; normalerweise kommt es dabei aber auch regelmäßig zu Missverständnissen.

Von all dem soll unser 27. Darmstädter Musikgespräch handeln, zu dem wir mit Johanna-Leonore Dahlhoff die Projektleiterin von „Bridges – Musik verbindet“ eingeladen haben, einer interkulturellen Initiative in Frankfurt, die geflüchtete und beheimatete Profimusiker/innen zusammenbringt. Frau Dahlhoff bringt Mustafa Kakour mit, einen aus Syrien stammenden Oud-Spieler, der bei Musical Bridges mitwirkt, sowie den jungen iranischen Perkussionisten Arman Kamangar. Uns geht es darum, zu erfahren, wie Projekte wie dieses neue Perspektiven schaffen, vielleicht auch eigene Haltungen in Frage stellen können, welche unterschiedlichen musikalischen Welten dabei tatsächlich aufeinandertreffen, welche Probleme und welche Chancen solche Projekte mit sich bringen. Uns geht es genauso darum, mit Betroffenen – also geflüchteten Menschen genauso wie Deutschen, die an ähnlichen Projekten mitarbeiten – ins Gespräch zu kommen und uns über die unterschiedlichen Erwartungen von beiden Seiten auszutauschen.

Das 27. Darmstädter Musikgespräch findet im großen Saal des Hauses der Deutsch-Balten statt, in dem die Erfahrung von Flucht aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln präsent ist: zum einen in der Tradition der deutsch-baltischen Brückenarbeit, zum anderen aber auch in der Tatsache, dass sich in diesem Haus seit Jahren die Stipendiatenwohnung des Elsbeth-Wolffheim-Literaturstipendiums für politisch verfolgte Autor/innen befindet.


26. Darmstädter Musikgespräch
Gäste: Kim Jin Ah, Geonyong Lee, Cord Meijering

Das Eigene im Fremden

Termin: Montag, 10. Juli 2017, 20:00 Uhr
Ort: Schader-Stiftung
Goethestraße 2, 64285 Darmstadt
www.schader-stiftung.de

„Reisen bildet“, heißt es, und das gilt in besonderem Maße auch für Künstler. Die Konfrontation mit dem „Fremden“ führt einem die Besonderheiten des „Eigenen“ ja oft noch deutlicher vor Augen.

Das haben auch der Koreaner Geonyong Lee und der Darmstädter Cord Meijering erfahren, der eine einer der bedeutendsten koreanischen Komponisten der Gegenwart, der andere Direktor der hiesigen Akademie für Tonkunst und international aufgeführter Komponist. Beide haben viel Zeit im jeweils anderen Land verbracht und sich mit dessen Musik und Kultur ausgiebig beschäftigt – auch im eigenen Schaffen.

Im von der koreanischen Musikwissenschaftlerin Kim Jin Ah moderierten Gespräch berichten sie über die eigenen Erfahrungen, über ganz praktische Beispiele dessen, dass man gerade im Fremden das Eigene deutlicher sieht. Daneben diskutieren sie, welche Auswirkungen die Faszination an europäischer Musik bei koreanischen Musikerinnen und Musikern auf ihre Haltung sowohl gegenüber dieser wie auch gegenüber den eigenen musikalischen Traditionen hat.

In der Diskussion mit dem Publikum wird es dabei auch um den Wandel eines eurozentrisch geprägten Kulturbegriffs gehen, der die Realität des inzwischen global vernetzten kulturellen Diskurses noch nie abzubilden vermochte.

Es diskutieren:

  • Geonyong Lee gilt als einer der bekanntesten koreanischen Komponisten der Gegenwart. Er studierte vor über 40 Jahren an der Frankfurter Musikhochschule Komposition, war später Professor für Komposition an der Seoul National University und an an der Korea National University of Arts. Bis Anfang diesen Jahres schließlich wirkte er als Direktor der Seoul Metropolitan Opera. Geonyong Lee ist dabei ein großer Kenner beider Kulturen, und zwar sowohl auf der künstlerischen wie auch auf der Ausbildungsebene.
  • Cord Meijering ist Direktor der Akademie für Tonkunst auf dem Podium und Komponist. Er war in den letzten 12 Jahren insgesamt 15 Mal in Korea, hat dort zahlreiche Konzerte gegeben und gehört, Vorlesungen an koreanischen Universitäten gehalten und sich intensiv mit der traditionellen koreanischen Musik befasst und diese auch in sein eigenes Schaffen integriert.
  • Das Gespräch mit beiden moderiert Kim Jin Ah, die als Professorin für Musikwissenschaft und interdisziplinäre Studien am Minerva College of Liberal Arts an der Hankuk University of Foreign Studies in Seoul unterrichtet und sich schwerpunktmäßig mit genau dieser Thematik befasst.

25. Darmstädter Musikgespräche
Zu Gast: Filmemacher Christian Gropper

Nachhall – das Oral-History-Projekt des Internationalen Musikinstituts Darmstadt

Termin: Mittwoch, 22. März 2017
Programmkino Rex (Grafenstraße 18-20), 20 Uhr, Eintritt frei
In Darmstadt wird Musikgeschichte geschrieben – und das seit 1946. Ein Jahr nach Kriegsende gründete der damalige Kulturreferent der Stadt, Wolfgang Steinecke, mit tat­kräftiger Unterstützung des damaligen Oberbürgermeisters Ludwig Metzger, die „Ferien­kurse für internationale Neue Musik“, wie die Darmstädter Ferienkurse in ihren Anfangs­jahren noch hießen.
Im Auftrag des Inter­nationalen Musikinstituts Darmstadt (IMD) haben sich seit 2010 der Dokumentarfilmer Christian Gropper, der Musikwissenschaftler und -journalist Michael Rebahn sowie der Fo­tograf Lukas Einsele auf Spurensuche begeben. Sie haben Zeitzeugen der frühen Kursjahre be­sucht und sie zu ihrer ganz persönlichen Ferienkurs-Geschichte befragt. Aus vielen Stunden Filmmaterial, hat Christian Gropper nun einen knapp 40minütigen Film geschnitten.
Beim 25. Darmstädter Musikgespräch wird „Nachhall“, so der Titel des 40minütigen Films, nun zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorgestellt. Christian Gropper wird nach der Premiere des Films – der mit großzügiger Unterstützung der Merck’schen Gesellschaft für Kunst und Wissenschaft sowie der Strecker-Stiftung in Mainz produziert werden konnte – im Gespräch mit Wolfram Knauer, Cord Meijering und Thomas Schäfer über seine Arbeit berichten.

24. Darmstädter Musikgespräch
Gast: Philipp Gutbrod

Museale Musik?
Konzerte im Museum und Musik in Ausstellungen

Termin: Mittwoch, 5. Oktober 2016, 20:00 Uhr
Ort: Designhaus Darmstadt, Eugen-Bracht-Weg 6, 64287 Darmstadt
www.hessendesign.de

Ist es ein Hype unserer Eventkultur, möglichst ungewöhnliche Locations entdeckt hat, um ein breiteres Publikum anzusprechen? Oder ergeben sich aus dem Aufbrechen gefestigter Präsentationsnormen vielleicht neue Diskurse?

Die Mathildenhöhe hat Musik bereits mehrfach ins Museum gebracht: 1988 mit der Ausstellung „That’s Jazz. Der Sound des 20sten Jahrhunderts“ über die Geschichte des Jazz, 1996 mit „Von Kranichstein zur Gegenwart“ über die Ferienkurse für Neue Musik, 2007 mit „Janet Cardiff & George Bures Miller: The Killing Machine und andere Geschichten“ oder 2012 mit „A House Full of Music“. Es gibt also jede Menge Berührungspunkte, die Thema des Musikgesprächs über „Museale Musik“ sein könnten.

Bei Ausstellungseröffnungen ist Musik eine willkommene Umrahmung, daneben aber beschäftigen sich Komponisten genauso wie improvisierende Musiker durchaus auch ganz direkt mit den Bildenden Künsten. Der Fokus des 24. Darmstädter Musikgesprächs richtet sich auf die Tendenz, das Museum zum Konzertsaal umzufunktionieren, mit der Hoffnung sowohl der Musizierenden wie der Ausstellenden, im Zusammenbringen der Sparten Synergien zu erzeugen. Wir fragen: Macht das Sinn? Oder macht das nur Ärger, weil sich selbst Konkurrenz?

Mit Philipp Gutbrod haben wir diesmal einen Kenner beider Welten zu Gast beim Darmstädter Musikgespräch. Gutbrod ist seit April 2015 Direktor des Instituts Mathildenhöhe, außerdem Schlagzeuger mit regelmäßigen Auftritten in Deutschland und den USA. Außerdem diskutieren Cord Meijering (Akademie für Tonkunst), Sylvia Freydank (Internationales Musikinstitut) und Wolfram Knauer (Jazzinstitut Darmstadt).

Kooperationspartner des Darmstädter Musikinstituts ist diesmal Hessen Design auf der Mathildenhöhe, das seit vielen Jahren spartenübergreifende Diskurse befördert.

Das Darmstädter Echo berichtete am 7. Oktober 2016:

Wie ein Ritterschlag für die Musik
Von Susanne Döring
DISKUSSION Darmstädter Institutsleiter sprechen darüber, wie Kompositionen im Museumsraum wirken

DARMSTADT – Unter dem Titel „Museale Musik? Konzerte im Museum und Musik in Ausstellungen“ fragten Vertreter der drei Darmstädter Musik-Institute am Mittwoch nach dem Austausch zwischen den Künsten im 20. und 21. Jahrhundert sowie der Wechselwirkung zwischen Musik und Aufführungsort. Auf dem Podium waren Wolfram Knauer vom Jazzinstitut, Cord Meijering von der Akademie für Tonkunst und – in Stellvertretung von Thomas Schäfer – Sylvia Freydank vom Internationalen Musikinstitut. Es gehe also, so Meijering, um die Frage nach dem „Raum zwischen zwei Straßenbahnen“. Als solchen kann man seine Akademie für Tonkunst bezeichnen, die zwischen an- und abfahrenden Straßenbahnen genau eine Viertelstunde Raum zum störungsfreien Hören eines Stückes von Anton Webern bietet.

Auftritt im MoMa ist wie ein Adelstitel

Meijering, der sich 1990 für längere Zeit im Beuys-Block des Darmstädter Landesmuseums aufhielt, um eine Komposition mit Bezug auf dieses Kunstwerk anzufertigen, legt großen Wert darauf, dass die Kommunikation zwischen aufgeführter Musik und umgebenden Raum stimmig sein muss. Sinn ergebe die Auslagerung von Musik in einen zunächst musikfremden Raum nur, wenn sich Musik und Raum gleichzeitig erhöhen würden.

Als Beispiel für eine gelungene Kooperation erinnerte sich der Gast des Gesprächs, der Direktor der Mathildenhöhe Philipp Gutbrod, an einen Auftritt der Band „Kraftwerk“ im New Yorker Museum of Modern Arts, der eine Welle der Begeisterung ausgelöst habe. Für „Kraftwerk“ sei es sozusagen die Verleihung des Adelstitels gewesen, in diesem Museum zu spielen. Als weitere gelungene Kombinationen von Museum und Musik nannte Gutbrod verschiedene Ausstellungen über Musik auf der Mathildenhöhe selbst – von „Jazz“ zu „A House full of Music“. Schließlich verwies er auf eine Performance zur 25-Jahr-Feier des Museums Künstlerkolonie, die mit Tanz, Videoprojektionen und E-Gitarrenmusik des Musikers Schneider TM versucht habe, an das gesamtheitliche Konzept der Mathildenhöhe anzuknüpfen.

Von Beginn an habe dieser Ausstellungsort enge Beziehungen zur Musik gehabt, wie bei der Eröffnung der Ausstellung 1901 mit der Aufführung eines musikalischen Weihespiels oder täglichen Konzerten. Entsprechend dieser Entstehungsgeschichte wolle man mit der jetzigen Restaurierung auch versuchen, die Akustik der Ausstellungshallen zu verbessern. Gutbrod ist ein versierter Schlagzeuger, der seinerseits einen Jazz-Auftritt im Wiesbadener Museum schätzte, weil man dort im Gegensatz zu den Clubs einmal konzentriert der Musik zugehört habe.


23. Darmstädter Musikgespräch
Gast: Prof. Sabine Breitsameter

„Wie klingt eigentlich das Dschungelbuch?“
3D-Hören als Klang der Zukunft

Termin: Dienstag, 24. Mai 2016, 19:30 Uhr
Ort: Soundscape-Lab der Hochschule Darmstadt, Campus Dieburg
Raum: Gebäude F16, Raum 020 (kurz: F16-020)

Musikhören – klingt einfacher als es ist: Im Konzert sitzen wir meist vor einer Bühne mit Musikern, zu Hause vor zwei Lautsprechern, im Kaufhaus werden wir ungefragt von allen Seiten beschallt, im Kino drönt uns ein Surround-Sound lautstark in den Ohren. Den vollkommenen Klang aber haben wir nur im Kopf, oder? Diese Frage stellen sich Sabine Breitsameter und ihr Team am Soundscape-Lab der Hochschule Darmstadt auf dem Campus Dieburg. Sie basteln am Klang der Zukunft – wie könnte das Dschungelbuch klingen, wenn die Zuhörer in einen dreidimensionalen Klang eintauchen?

In einer Art Gesprächskonzert gibt Sabine Breitsameter, seit 2006 Professorin für Sound und Medienkultur an der h_da und eine der profiliertesten Spezialistinnen auf dem Gebiet der Soundkultur, Einblick in die aktuelle Klangforschung. Gemeinsam mit dem Publikum und ihren Gesprächspartnern Wolfram Knauer (Jazzinstitut), Cord Meijering (Akademie für Tonkunst) und Thomas Schäfer (Internationales Musikinstitut) wird die experimentelle Klanggestalterin bei der 22. Ausgabe des Darmstädter Musikgesprächs über gleichsam enträumlichtes Hören diskutieren. Für dieses Musikgesprächs-Special werden wir Darmstadt in Richtung Campus Dieburg verlassen, um das Soundscape-Lab am eigenen Leibe erleben zu können.

Das Darmstädter Echo berichtete am 27. Mai 2016:

Fußgetrappel auf Schulterhöhe
Von Johannes Breckner
HOCHSCHULE Darmstädter Musikgespräch sucht nach dem dreidimensionalen Klang

DIEBURG – Das Darmstädter Musikgespräch erörtert neue Möglichkeiten der Klanggestaltung und -wiedergabe: Im Sound-Labor auf dem Dieburger Mediencampus geht es eher um technische als um ästhetische Fragen.

Es rauscht und knackt, es zirpt und wispert. Hier hört man Füße trappeln, dort ein Tier atmen. Und wenn der Regen fällt, ist man eingehüllt in seinen Klang und bleibt doch trocken. Denn die Imagination der Wildnis kommt in Natascha Rehbergs Hörstück „Rata-Schaan“, von Rudyard Kiplings „Dschungelbuch“ inspiriert, aus Lautsprechern.

Das ist für den erfahrenen Kinogänger erst einmal kein großes Wunder, gute Surround-Anlagen zaubern verblüffende Effekte. Im „Soundscape- & Enviromental Media Lab“ der Hochschule Darmstadt steckt aber mehr dahinter. Klangprofessorin Sabine Breitsameter erforscht mit ihren Studenten auf dem Dieburger Mediencampus ein Aufnahme- und Wiedergabeverfahren, das vom Fraunhofer-Institut Ilmenau entwickelt wurde. Dabei werden Lautsprecher von einem Rechner so angesteuert, dass die Überlagerung ihrer Signale virtuelle Schallquellen im Raum erzeugt.

Das System erlaubt es, Klänge wie Skulpturen an einen bestimmten Punkt zu positionieren. So erklärte es Sabine Breitsameter beim Darmstädter Musikgespräch, das am Dienstagabend in Dieburg zu Gast war. Je mehr Lautsprecher, desto höher ist die Auflösung der Klangprojektion, und desto größer kann der Raum kalkuliert werden, in dem das Ereignis wahrgenommen werden kann. Aber weil ein Lieferant die Hochschule im Stich gelassen hat, waren statt der geplanten 32 nur 17 Lautsprecher im Einsatz. Im Kreis, den sie bildeten, drängte sich das Publikum auf der Suche nach dem überraschenden Schallereignis. Unter diesen Bedingungen klang es freilich auch nicht viel anders als bei einer guten Surround-Anlage. Und weil für die Bodenposition keine Lautsprecher übrig waren, hörte man das Fußgetrappel im Dschungel auf Schulterhöhe.

Immerhin vermittelte das Gespräch eine Ahnung, und Sabine Breitsameter kann das System so anschaulich erklären, dass man seinen Möglichkeiten gerne glaubt. Es geht ihr ja auch gar nicht darum, mit raffinierter Technik bestehende Kunstformen aufzuwerten. Das Interesse ihrer Forschungen gilt eher neuen ästhetischen Möglichkeiten und der Veränderung des Hörens. Medien, sagt sie, sind „Umwelten und Umgebungen, die man bewohnt und erst in zweiter Linie liest“. Das hätte ein spannendes Thema fürs Musikgespräch sein können, auch die Folgen, die diese Sichtweise fürs Komponieren bringen könnte. Im Gespräch mit Wolfram Knauer (Jazz-Institut) und Thomas Schäfer (Internationales Musikinstitut) stand freilich das Interesse an der Technik im Vordergrund, Erörterungen zu Ästhetik und Rezeption blieben weitgehend ausgespart.

Dafür aber lieferte das Musikgespräch einen Impuls, sie weiter zu verfolgen.


22. Darmstädter Musikgespräch
Gast: Tilman Hoppstock

„Der achtarmige Gitarrist“

Termin: Mittwoch, 13. April 2016, 20:00 Uhr
Ort: Galerie Netuschil, Schleiermacherstraße 8, 64283 Darmstadt
www.galerie-netuschil.net

Der Musiker des 21sten Jahrhunderts ist mehr denn je eine Ich-AG, braucht jede Menge außermusikalischer Kompetenzen, um die Musik an sein Publikum zu bringen. Zum 22. Darmstädter Musikgespräch haben wir mit Tilman Hoppstock einen Musiker eingeladen, der besonders viele dieser Kompetenzen in sich vereint. Zuallererst ist er ein international gefragter Virtuose auf seinem Instrument, der klassischen Gitarre, daneben aber auch Komponist und Musikwissenschaftler, Herausgeber von über 80 Noteneditionen, Lehrer an der Akademie für Tonkunst und vielen anderen internationalen Schulen, Veranstalter, unter anderem der Darmstädter Gitarrentage, und vieles mehr (www.t-hoppstock.de).

Mit Tilman Hoppstock unterhalten sich Cord Meijering, Komponist und Direktor der Akademie für Tonkunst, Thomas Schäfer, Musikwissenschaftler und Direktor des Internationalen Musikinstituts, und Wolfram Knauer, Jazzforscher und Direktor des Jazzinstituts Darmstadt, über die fast übermenschlichen Qualifikationen, die ein Musiker heutzutage besitzen muss, um sich auf dem Musikmarkt zu behaupten. Insbesondere aber freuen wir uns auch darauf, dass Sie, die Besucher des Darmstädter Musikgesprächs, sich ins Gespräch einmischen.

Das Darmstädter Musikgespräch ist diesmal zu Gast in der Galerie Netuschil, die seit dem 3. April ihre Ausstellung „Landschaftsraum und Weltgestaltung“ zeigt.

Das Darmstädter Echo berichtete am 15. April 2016:

Achtarmig in die Zukunft
Von Bettina Bergstedt
MUSIKGESPRÄCH Tilman Hoppstock zu Gast bei Schäfer, Meijering und Knauer

DARMSTADT – Der Gitarrist Tilman Hoppstock war der Gast beim Darmstädter Musikgespräch. In der Galerie Netuschil diskutierte er mit den Leitern der Darmstädter Musikinstitute.

Mit dem Titel „Der achtarmige Gitarrist“ war die Runde überschrieben, die in der Galerie Netuschil zu Gast war. Teilnehmer waren neben Hoppstock Cord Meijering von der Akademie für Tonkunst, Thomas Schäfer vom Internationalen Musikinstitut und Wolfram Knauer vom Jazzinstitut Darmstadt. Thema war das materielle Überleben als Künstler.

Wer virtuos seine Kunst beherrscht, hat noch lange nicht ausgesorgt: Heutzutage bedarf es mehr, um sein täglich Brot zu verdienen. Ein Künstler ist zugleich Manager, Netzwerker und Lehrer, er muss sich auf der Bühne überzeugend präsentieren, dazu kreativ sein, um Neues zu schaffen. Und zwischendurch, vielleicht nach einem Auftritt bei einem Benefizkonzert – das er bevorzugt unentgeltlich gibt, schließlich erhält er ja die Chance, sich der Öffentlichkeit vorzustellen – wird er wunderbarerweise dann doch noch entdeckt.

Tilman Hoppstock ist von der Art der „achtarmigen Gitarristen“: Seit siebzehn Jahren veranstaltet er die Darmstädter Gitarrentage, findet Sponsoren, wirbt, organisiert und verlegt, schreibt Bücher, promoviert, gibt dazu natürlich auch Konzerte und unterrichtet gern.

Hoppstock hat dabei Glück – ihm liegen die unterschiedlichen Tätigkeiten, er ist in Darmstadt und in der Musikwelt gut verankert. Dass es nicht bei allen Musikern so ist, darauf verwies Knauer. Er belegte es mit Zahlen. Laut einer vom Jazzinstitut in Auftrag gegeben Studie verdient ein Jazzmusiker hierzulande mit rein kreativer Arbeit durchschnittlich nur 12 500 Euro im Jahr – bei Investitionen von 5000 Euro für Instrumente, Produktionskosten und Ähnlichem.

Aus diesen Ergebnissen hätten sich Forderungen ergeben, so Knauer: nach mehr Spielstätten für Musiker mit Gagen und nach mehr „kreativen Freiräumen“ (Knauer), die über Stiftungen und Kommunen geschaffen werden müssten.

Vorbildliche Strukturen in Deutschland?

Das Kulturfördersystem, sagte Schäfer, funktioniere in Deutschland durchaus vorbildlich. Meijering verwies aber auf die Freiwilligkeit der Unterstützung von Kultur, die in keinem deutschen Gesetz verankert sei. Deshalb müsse man mehr Lobbyarbeit betreiben und es bedürfe klarer Entscheidungen von Politikern. Mit über sieben Prozent Kulturausgaben stünde Darmstadt hier im deutschen Vergleich sehr gut da, betonte Kulturreferent Ludger Hünnekens aus dem Publikum.

Von unsicheren Verhältnissen sind eigentlich alle betroffen, die als Freie arbeiten, erklärten weitere Stimmen aus dem Publikum. Die Freiheit bedeute aber auch: mehr Eigenbestimmung in einer Tätigkeit, die Spaß macht. Die „Union deutscher Jazzmusiker“ habe zur Verbesserung der Situation alle Veranstalter zu einer „Willenserklärung“ aufgefordert, jedem Musiker stets 250 Euro pro Auftritt zu zahlen. Knauer sagte dazu: „Seitdem geistert die Zahl durch die Köpfe der Beteiligten“.


21. Darmstädter Musikgespräch
Gast: Christiane von Wahlert (Geschäftsführerin, FSK Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft GmbH)

„Musik + Zensur“

Termin: Mittwoch, 14. Oktober 2015, 20:00 Uhr
Ort: Atelierhaus, Riedeselstraße 15, Darmstadt
www.atelierhaus-darmstadt.de

Die Kunst ist frei und ihr schlimmster Feind die Zensur… Auch Musik hat allerorten und immer wieder mit Einschränkungen zu leben, die ihr mal von außen auferlegt wird (die klassische „Zensur“ also), daneben aber auch von innen kommen kann, durch starre ästhetische Vorgaben oder Regeln etwa, die festlegen zu können meinen, welchen Weg Musik einschlagen müsse, um wertgeschätzt zu werden. Das Darmstädter Musikgespräch will die verschiedenen Aspekte in den vielfältigen Regelwerken um Musik ausleuchten und hat sich dafür einmal mehr eine Spezialistin aus einem ganz anderen Fach eingeladen, der Filmwirtschaft nämlich. Wir unterhalten uns darüber, welche Kriterien im Filmbereich für jene Selbstkontrolle eine Rolle spielen und wo es Parallelen in der Musik gibt. Implizit fragen wir dabei auch ganz allgemein nach Harmlosigkeit oder Verführungsgefahr von Kunst.

Das Musikgespräch ist eingebunden in ein Ausstellungsprojekts der Atelierhauses unter dem Titel „Eine Zensur findet nicht statt“, das vom 9. bis 25. Oktober in er Riedelstraße zu sehen ist.

Das 21. Darmstädter Musikgespräch beginnt mit einem musikalischen Quartett mit der Geschäftsführerin der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft, Frau Christiane von Wahlert, Thomas Schäfer (Internationales Musikinstitut), Cord Meijering (Akademie für Tonkunst) und Wolfram Knauer (Jazzinstitut Darmstadt). Tatsächlich aber erhoffen wir uns auch mit Ihnen, den Besuchern des Musikgesprächs in Kontakt zu kommen


20. Darmstädter Musikgespräch
Gast: Kerstin Schultz (liquid & fay architekten)

„Musik und Architektur“

Termin: Mittwoch, 17. Juni 2015, 20:00 Uhr
Ort: Main Hall am Osthang der Mathildenhöhe, Olbrichweg, Darmstadt

Musik und Architektur, Klang und Raum, Klangskulptur, Tonarchitektur – die Beziehungen zwischen beiden Sphären sind ebenso vielfältig wie mitlerweile fliessend. Architektur wird spätestens seit Fluxus, Happening und Performance in den 1960er Jahren zeitlich, Musik immer stärker räumlich definiert – der Raum damit hörbar, die Musik begehbar gemacht. Aber darüber hinaus stellen sich heute auch aus städtebaulicher Perspektive drängende Fragen nach einer Verortung von Kunst und Kultur im Stadtraum.

Darüber möchten wir im 20. Darmstädter Musikgespräch mehr von Kerstin Schultz erfahren. Die Professorin für Architektur an der Hochschule Darmstadt (h_da) ist nicht nur in verschiedenen Gestaltungsbeiräten aktiv, sondern hat mit Aufsehen erregenden Projekten im Rahmen des Darmstädter Archtiktursommers – darunter zuletzt das „Osthang Projekt“ (2014) – immer wieder Themen an der Grenze von Kunst, Architektur und Stadtraum in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Welche Räume braucht die Kunst heute? Und wie stark sollte sich die Kunst auf den (Stadt-)Raum einlassen?

Das 20. Darmstädter Musikgespräch beginnt mit einem musikalischen Quartett mit der Architektin Kerstin Schultz, Thomas Schäfer (Internationales Musikinstitut), Cord Meijering (Akademie für Tonkunst) und Wolfram Knauer (Jazzinstitut Darmstadt). Tatsächlich aber erhoffen wir uns auch mit Ihnen, den Besuchern des Musikgesprächs in Kontakt zu kommen.


19. Darmstädter Musikgespräch
Gast: León Krempel (Kunsthalle Darmstadt)
„Kultur auf die Straße“

Termin: Donnerstag, 12. März 2015, 20:00 Uhr
Ort: Kunsthalle Darmstadt

Musik findet meist im Konzertsaal statt, die Bildende Kunst im Museum – beides Orte, die Publikum anziehen, zugleich aber auch Schwellen bilden und den Zugang zur Kultur erschweren können. Auf der einen Seite braucht man solche Orte der Reflexion und Konzentration, um sich auf das einzulassen, was hier ideal präsentiert werden kann. Auf der anderen Seite wollen alle Kulturschaffenden Zäune niederreißen, Zugänge erleichtern, die Kunst vielleicht nicht unbedingt auf die Straße bringen, sie der Straße aber wieder näherbringen.

León Krempel, seit letztem Jahr der neue Direktor der Kunsthalle Darmstadt, ist der Gesprächspartner des 19ten Darmstädter Musikgesprächs, bei dem wir uns über das gemeinsame Bedürfnis, aber auch über die Probleme unterhalten wollen, die entstehen können, wenn man Kultur aller Art nicht verstecken, sondern möglichst ins städtische Leben einbinden will. Und wo besser könnte man ein solches Thema diskutieren als in dem Kulturort, der wie kein anderer von seiner Straßenlage profitiert, der Darmstädter Kunsthalle.

Ein musikalisches Quartett mit León Krempel (Direktor, Kunsthalle Darmstadt), Thomas Schäfer (Internationales Musikinstitut), Cord Meijering (Akademie für Tonkunst) und Wolfram Knauer (Jazzinstitut Darmstadt).

Das Darmstädter Echo berichtete am 14. März 2015:

Kunst im Vorübergehen
Diskussion – Darmstadts Kulturschaffende suchen nach Wegen auf „die Straße“

Schadet es der Kunst, wenn sie statt im Museum oder Konzerthaus draußen vor der Tür dargeboten wird? Und was wäre dann der richtige Ort dafür? Das besprach eine kleine Runde beim „Darmstädter Musikgespräch“ in der Kunsthalle.

DARMSTADT.
Orchestermusiker stoßen im Luisencenter ins Horn, Experimentalkünstler blasen auf dem Büchnerplatz Heißluftballone zu Musik auf – immer wieder drängt es die „Kunst auf die Straße“. Unter diesem auffordernden Titel diskutierten heimische Kulturschaffende und Vertreter der großen Institutionen beim „Darmstädter Musikgespräch“ am Donnerstagabend in der Kunsthalle die Chancen und Risiken.
Gern hätte man es ja, wenn mehr Menschen auf Musik, Kunst, Tanz und all die anderen Kulturproduktionen in der Stadt aufmerksam würden. Also – einfach raus auf die Gasse mit den Instrumenten und Kunstwerken? Nein, sagt Cord Meijering, Direktor der Akademie für Tonkunst. Man müsse schon fragen: „Welche Kunst auf welche Straße?“
Und – wem schadet’s, wollte der Rainer Bauer wissen: „Wertet es die Kunst ab, wenn man nicht so richtig hinhört?“ Für den freien Theatermann ist die „Hauptsache, die Leute zusammenzubringen“.
León Krempel, Chef der Kunsthalle, kann sich eher „kleine, punktgenaue Aktionen“ vorstellen, mit denen bildende Künstler auf öffentlichen Straßen und Plätzen auftauchten. Noch lieber sähe er es, wenn die Leute von der Straße verstärkt ins Haus käme. Aber nicht „einfach mit den vollen Einkaufstaschen reinspazieren“, wie das in der Hypo-Kunsthalle in der Münchner Fußgängerzone geschehe. Um die Schwellenangst zu überwinden, könne man ja „Übergangszonen zwischen Innen und Außen“ gestalten, die hält der Kunstexperte überhaupt für „das Spannendste“. Den hohen Zaun um das Kunstgehege an der Rheinstraße will er ja ohnedies beseitigt wissen; eine Hecke ist schon mal weg, womit die Kunst zumindest optisch näher an die Straße rückt.
Ein Herz und Raum für kreative „Communities“
Den Blick auf die Straße kann man aber auch ganz anders verstehen. Wolfram Knauer vom Jazzinstitut sieht die Institute in der Pflicht, den Draht zu den kreativen „Communities“ in Stadt und Land zu halten. „Wir müssen erkennen, was gerade spannend ist“ – und dem Neuen Raum geben, unabhängig davon, was da genau entstehen könnte. Knauer versteht sein Haus jedenfalls nicht als Archiv vergangener Kultur. Schlimm die Vormittage, wenn die Menschen von da draußen im Institut anrufen und fragen: „Ist da das Jazzmuseum?“ Knauers Standard-Antwort: „Ich hoffe nein.“
Gibt es denn Konzepte, wie die großen Häuser künftig nach draußen gehen wollen, wollte Rainer Bauer noch wissen. Nein, gibt’s nicht. Man hat das gute Gefühl, in dieser Richtung eigentlich genug zu tun. Neben den Institutsleitern nahmen zwölf Interessierte an der Runde teil, ganz hinten im Erdgeschoss der Kunsthalle, zwischen kalkweißen Wänden und schwarzweißen Bildern, sehr weit weg von der Straße. (Thomas Wolff)

9. Juli 2014, 20:00 Uhr

Künstlerkolonie 21 … oder: Die Utopie der Kunst

Termin: 9. Juli 2014, 20:00 Uhr
Ende: 21:30 Uhr, rechtzeitig vor WM-Halbfinale!
(Monitore für eine Live-Übertragung des Spiels befinden sich vor Ort.)
Ort: Halle, Osthang Mathildenhöhe (Olbrichweg)

Der Dialog der Kunst ist immer nach außen genauso gerichtet wie nach innen. Künstler sprechen zuallererst mit ihrem Publikum, aber sie brauchen eben auch den internen Dialog, den kritischen Austausch mit Kreativen der eigenen oder anderer Kunstsparten. In der Vergangenheit hat man versucht, solche Kreativinseln in Künstlerkolonien zu schaffen. Im Gespräch mit der Kunsthistorikerin Julia Bulk, die sich in ihrer Arbeit ausführlich mit „Neuen Orten der Utopie“ beschäftigt hat, fragt das 19. Darmstädter Musikgespräch danach, wie solche künstlerischen Dialoge im 21sten Jahrhundert aussehen können, welche Perspektiven sie für eine bessere Gesellschaft bieten bzw. inwiefern Künstlerkolonien in unserer vernetzten globalen Welt überhaupt noch möglich sind (sofern sie nicht auf dem Mars liegen).

Ein musikalisches Quartett mit Julia Bulk (Wissenschaftliche Leiterin, Wilhelm Wagenfeld Stiftung), Thomas Schäfer (Internationales Musikinstitut), Cord Meijering (Akademie für Tonkunst) und Wolfram Knauer (Jazzinstitut Darmstadt)

Das Darmstädter Echo berichtete am 11. Juli 2014:

Brote backen und den Göttern gefallen
Wie kann man im 21. Jahrhundert der Utopie einen Raum geben? Eine Diskussion am Osthang

DARMSTADT. Über Utopien und wie man ihnen Raum geben kann – realen oder virtuellen – diskutierten Kulturfachleute beim „Darmstädter Musikgespräch“. Der Ort war passend gewählt: Auf der Mathildenhöhe wächst ja gerade das „Osthang Project“ als Ort der Künste und Ideen.

Der Raum, in dem die Träume wohnen, ist der Nichtraum: das Utopia. Der Osthang auf der Mathildenhöhe aber lebt, seit er vom Architektursommer bespielt wird. Für sechs Wochen ist er Begegnungsstätte für Kunst, Architektur und Handwerk. Ist das Osthangprojekt die Wiederbelebung der Utopie einer Künstlerkolonie im 21. Jahrhundert?

Um 1900 stellte Großherzog Ernst Ludwig Jugendstilkünstlern auf der Mathildenhöhe Raum zur Verfügung, in dem sie das Leben zeitgemäß gestalten sollten. Er wollte darüber hinaus auch den wirtschaftlichen Erfolg für Darmstadt. Genau daran haperte es am Ende. Die Fertigung des überbordenden Jugendstils war nicht rentabel.

„Unser Osthang Project 2014 verstehe ich nicht als Utopie“ sagte Publikumsgast Kerstin Schultz, Mitorganisatorin des Architektursommers. Es sei eine „Form der Kooperation“, die sich im Besiedeln, Bepflanzen, Bebauen äußere und in ihrer direkten und gesamtheitlichen Umsetzung „etwas Archaisches“ habe.

Darüber, was eine Utopie im Kern ausmacht, diskutierten am Mittwochabend auf der Mathildenhöhe Thomas Schäfer (Internationales Musikinstitut), Cord Meijering (Akademie für Tonkunst) und Wolfram Knauer (Jazzinstitut Darmstadt) mit der Kunsthistorikerin Julia Bulk (Wilhelm Wagenfeld Stiftung).

In bewährter Manier warf jeder Podiumsdiskutant ein subjektives Schlaglicht auf das Thema. Julia Bulk verwies auf die bewusste Wahrnehmung in der Kunst als Voraussetzung für ein Ausschöpfen positiven Potentials. Eine Idealvorstellung vor Augen, könne man versuchen, diese in „überindividuellen Arbeitsformen“ zu verwirklichen, die auf Vielfalt setzten – unerlässlich in unserer spezialisierten Welt. Die Realisierung von Projekten funktioniere spielerisch, auf doppeltem Boden: Praktische Nutzung und Ideal bedingen sich dank steter Veränderung. Die ständige Transformation legt ein Projekt auf Dauer an, womit in der Kunst des 21. Jahrhunderts der Prozess, nicht das Ergebnis im Vordergrund steht.

So setzte Knauer auf den Jazz, die freie Improvisation. Im Sinne von kreativer Kommunikation werde im Augenblick des Musizierens zwischen Vertrauen und
neuem Denken „alles riskiert“. In diese Richtung sprach sich auch Thomas Schäfer aus, indem er ein Tondokument von 1961 abspielte, auf dem Theodor Adorno sich auf der Mathildenhöhe über die informelle Musik als „Antizipation der Freiheit“ ausließ – auch hier der Doppelcharakter: die konkrete Musik kann den Traum der Musik nicht erfüllen.

Cord Meijering schloss sich ideal an seine Vorredner an, indem er am Orpheus-Mythos zeigte, dass der „Gegenstand der Kunst die Sehnsucht nach einem unerreichbaren Nicht-Ort“ ist: „Männliche Kunstproduktion produziert am Ende des Orpheus-Mythos den schönsten Sehnsuchtsgesang, um den Göttern zu gefallen. Die angebetete Eurydike ist damit für immer in einen Nicht-Raum verbannt.“

Private Räume frei zur Verfügung stellen

„Utopie bleibt ein Spiel mit der Realisierung“, sagt Julia Bulk. Der virtuelle Raum kann dabei als Datenbank für Ideen taugen. Viele Menschen können daran teilnehmen, das erweitert den Blick und kann Projekte wachsen lassen. Etwa ein Raumprojekt, in dem via Internetplattform private Räume für gewisse Zeit frei zur Verfügung gestellt wurden – mit dem Ziel, die Idee von Privatbesitz zu hinterfragen, wenn nicht aufzulösen.

Bulk berichtet weiter von einem niederländischen Projekt, das mit dem Begriff „Solvism“ verbunden ist. Schnelles, unbürokratisches Handeln ist damit gemeint. Dabei ging es auch um ganzheitliches Zusammenleben gegen Entfremdung, um die Rückbesinnung auf Kunst und Handwerk. Thomas Schäfer findet diese Elemente im „Osthang Project“ wieder: „Wir gestalten dort eine Art Zusammenleben vom Gemüseanbau zum Brotbacken bis zur Kläranlage“.

Eine relativ unbürokratische Umsetzung von Ideen im Freiraum Kunst durch kreative Zusammenarbeit – sie scheint für Knauer möglich, „und am Ende wird etwas vom Osthang Project bleiben“, prognostiziert Schäfer. Osthang, Utopie oder nicht, noch ein Transformation begriffen, work in progress.


Mittwoch, 7. Mai 2014, 20:00 Uhr
Die Kunst des Geschichtenerzählens

Ort: West Side Theatre
(Landwehrstraße 58, 64293 Darmstadt)

Dramaturgie ist einer der Schlüsselbegriffe jeder Kunst, insbesondere aber derjenigen Kunstsparten, die in der Zeit ablaufen, ob Theater oder Musik. Geschichten sind dabei nicht nur die Themen einer Theaterinszenierung, sondern auch die Beziehungsabläufe von Melodik, Harmonik, Rhythmik, Form in Oper, Symphonie, Kammermusik, Jazzimprovisation und vielem mehr. Im Gespräch mit Karsten Wiegand, dem neuen Intendanten des Staatstheaters Darmstadt will das 18. Darmstädter Musikgespräch sich der Kunst des Geschichtenerzählens nähern und ihrer Bedeutung für den Bezug zwischen Kunstschaffenden und ihrem Publikum.

 

Ein musikalisches Quartett mit Karsten Wiegand (designierter Intendant, Staatstheater Darmstadt), Thomas Schäfer (Internationales Musikinstitut), Cord Meijering (Akademie für Tonkunst) und Wolfram Knauer (Jazzinstitut Darmstadt)

Das Darmstädter Echo berichtete am 9. Mai 2014:

Wege durch das Labyrinth.Diskussion – Musik- und Theaterleute wollen Geschichten erzählen

„Die Kunst des Geschichtenerzählens“ lautete das Thema der neusten Ausgabe des „Darmstädter Musikgesprächs“. Als Fachmann für dieses Thema war der zukünftige Intendant des Staatstheaters, Karsten Wiegand, aufgefordert, Einblick in sein Schaffen als Regisseur zu geben.

DARMSTADT. Es ist ein Geheimnis, und es wird eines bleiben: Warum lassen sich die Menschen so gerne Geschichten erzählen? Und was passiert mit Geschichten in den Köpfen der Menschen? Wie erzählt man eigentlich eine gute Geschichte? Diese Fragen bewegten am Mittwoch die Teilnehmer des neuesten „Darmstädter Musikgesprächs“. Cord Meijering, Leiter der Akademie für Tonkunst, Thomas Schäfer vom Internationalen Musikinstitut und Wolfram Knauer vom Darmstädter Jazz-Institut hatten sich dieses Mal den designierten Intendanten des Darmstädter Staatstheaters, Karsten Wiegand, eingeladen, um Antworten auf diese und andere Fragen zu bekommen.

Im West Side Theatre in der Landwehrstraße brachte sich der 1972 in München geborene Theatermann erst einmal mit einem Lob an Darmstadt ins Gespräch: Ihn freue der ausgesprochen gute Dialog unter den Vertretern Darmstädter Institutionen, das sei nicht überall so. Für Wiegand ist die Welt des Kommerzes einer der auffälligsten Orte, an denen Geschichten erzählt werden: Sei es die Geschichte von den Banken, die zu groß zum Scheitern seien („too big to fail“), sei es der Mythos, den eine große Computerfirma umgebe oder die Namensgebung beim größten Internet-Buchhändler.

Die Storys nicht dem Kommerz überlassen

So genial seien solche Geschichten, dass sie nicht mehr hinterfragt würden. „Story-Telling“ sei die „Königsklasse“ des Marketing. Aber: „Wir können die Geschichten nicht dem Kommerz überlassen!“

Das Theater sei der Ort, Geschichten zu erzählen, ohne Interessen durchsetzen zu wollen, glaubt der Intendant. Anhand von Beispielen von Petrarca und Dante sowie Lessing und Corneille lotete Wiegand die Zukunft des Theaters aus. Wird die Welt aus einer Perspektive betrachtet, in der das Ich im Mittelpunkt steht, oder wird sie als Labyrinth wahrgenommen? Will der Zuschauer sich durch Vertrautheit oder Fremde von den Charakteren auf der Bühne bewegen lassen? Wiegand ist sich sicher: Die Zukunft der Welt und mit ihr die des Theaters ist labyrinthisch und von Fremdheit bestimmt.

Ihre Erfahrungen mit Geschichten brachten auch die drei Institutsleiter ins Gespräch. Dabei wurde deutlich, dass ein wesentlicher Aspekt von Geschichten ist, die Fantasie anzuregen. So erzählte Thomas Schäfer vom Internationalen Musikinstitut, wie ihn als Teenager die Sinfonien Gustav Mahlers beeindruckt hätten. Der Komponist beherrsche die Kunst, in neunzig Minuten ein Leben zu erzählen, das mit Worten nicht zu fassen sei.

Wolfram Knauer vom Jazzinstitut findet die großen Geschichtenerzähler in Jazzmusikern wie Duke Ellington oder Charles Mingus. Für Cord Meijering von der Akademie für Tonkunst waren es vor allem drei seiner Onkel, durch deren Geschichten aus dem Leben er seine Vorliebe für die Oper entdeckt habe.

Gegenseitig fragten sich die Teilnehmer, wie sie denn Geschichten erzählen würden. Meijering sagt, er mache beim Komponieren die Türen ganz weit auf und lasse die Welt herein. Knauer sieht sich als Veranstalter in der Pflicht, einen Konzertabend mittels der Dramaturgie zum Teil des Spannungsbogens einer Geschichte zu machen.

Und Karsten Wiegand als Regisseur sieht sich vor allem als Zuschauer, der interessiert werden und in die Geschichte hineingezogen werden möchte: Er will Geschichten von anderen Zeiten und Menschen.


Mittwoch, 26. Februar 2014, 20:00 Uhr
Musik + Eigentum
Ort: Deutsche Akademie für Sprache und
Dichtung
(Glückert-Haus, Alexandraweg 23, 64287 Darmstadt)

Wem gehört Musik? Und wie ist mit ihren Eigentumsrechten umzugehen in einer Zeit, in der alles frei verfügbar scheint? Diese sehr aktuelle Thematik wird in einer neuen Ausgabe des Darmstädter Musikgesprächs in den Räumen der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung auf der Mathildenhöhe verhandelt.

Die Leiter der drei städtischen Darmstädter Musikinstitute treffen diesmal auf Brigitte Zypries, ehemalige Bundesjustizministerin und heute als Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie zuständig für Informationstechnologie und Außenhandel. In der Diskussion werden ästhetische Gesichtspunkte zur Sprache kommen, ob als “Neues” überhaupt noch möglich ist in der Kunst bzw. wann Zitat zum Diebstahl wird; ethische Aspekte wie etwa die Problematik, dass Komponisten unterschiedlichster Genres auf die Musik von Naturvölkern zurückgreifen; oder juristische Fragen, wenn es um Urheberrechtsgesetze, Downloads, GEMA, YouTube geht.

Ein musikalisches Quartett mit Brigitte Zypries (MdB), Thomas Schäfer (Internationales Musikinstitut), Cord Meijering (Akademie für Tonkunst) und Wolfram Knauer (Jazzinstitut Darmstadt)

Das Darmstädter Echo berichtete am 28. Februar 2014

Wer zahlt für die Kunst?
Diskussion – Gespräch über „Musik und Eigentum“ mit Brigitte Zypries
Von BETTINA BERGSTEDT

Thomas Schäfer, Cord Meijering und Wolfram Knauer, die Leiter der städtischen Musikinstitute, sprachen am Mittwoch mit der früheren Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) im Darmstädter Glückert-Haus über geistiges Eigentum – und wie es gerecht entlohnt werden kann.

Gema und Youtube sind nur zwei Schlagwörter im Streit darum, wie die Verwertung der Arbeit von Künstlern gerecht zu bezahlen ist. Welche Kriterien taugen dazu, Kunst zu bewerten? Wie weit das Thema gefasst werden muss, zeigten die Darmstädter Musikgespräche am Mittwoch.

Brigitte Zypries, von Haus aus Juristin, benannte rechtliche Fragen, die sich stellen, seit es das World Wide Web und die technischen Voraussetzungen für eine rasche und qualitativ hochwertige Vervielfältigung gibt. Wie kommt ein Künstler zu seinem Recht, wenn das Internet als freier Markt (miss-)verstanden wird? Die Verwertungsgesellschaften für Künstler müssten auf neue Füße gestellt werden, sagte Zypries, und forderte mehr Transparenz sowie eine „sachgerechte“ Verteilung der Gelder. Derzeit bekämen nur die viel, die bereits viel hätten, während sich unbekannte Künstler und kleine Veranstaltungszentren kaum über Wasser halten könnten.

Auch Cord Meijering (Akademie für Tonkunst) beklagte die gängigen Bewertungskriterien als unzureichend. Nicht das Produkt und die Häufigkeit seiner Aufführung dürfe im Fokus stehen, sondern das Prozessuale, in dem sich Kreativität offenbare. Die Schwierigkeit der Verein-nahmung von Ideen sprach Jazzinstituts-Leiter Wolfram Knauer an. Er berichtete vom Trompeter Nicholas Payton, der 2011 die Verschiebung des Jazz ins Elitäre und die zunehmende Kategorisierung durch die (von Weißen beherrschte) Vermarktungsindustrie beklagte. Payton setzte dem die Freiheit musikalischer Entfaltung unter dem Begriff der Black American Music (BAM) entgegen. Was aber, fragte Knauer, wenn man bedenkt, dass sich aktuell in Europa eine sehr lebendige, eigenständige Jazzszene entwickelt? Wer könnte da noch wem etwas „schuldig“ sein?

Auch Thomas Schäfer vom Internationalen Musikinstitut versuchte, den Begriff der Originalität näher zu fassen. Kann man Neues schaffen, wenn ein weltweites Archiv auf Knopfdruck beinahe alles zur Verfügung stellt? Wie absurd es heute sein kann, jedes kleine Zitat „gewissenhaft“ abzurechnen, habe der Komponist Johannes Kreidler mit der Aktion „Product Placements“ gezeigt, bei der er in einer Collage aus 70200 Zitaten ebenso viele Gema-Anträge ausfüllte und diese auf Lastwagen 2008 in die Gema-Generaldirektion nach Berlin brachte. In Zeiten, in denen Kopieren längst zur Kulturtechnik herangereift sei, bedürfe es neuer Ideen, so Schäfer: Vielleicht wäre eine „Kulturflatrate“ sinnvoll oder eine Bezahlung über Auftraggeber, die dann natürlich verstärkt wieder im Musikgeschäft auftreten müssten.

Dabei scheint für junge Musiker die Netz-Vielfalt längst Alltag, wie ein Veranstaltungsbesucher sagte: Beim Surfen höre er auch Neues: „Das inspiriert!“:


19. Juni 2013, 20:00 Uhr
Musik + Gesang
Ort: Zooschule, Vivarium Darmstadt
(Schnampelweg 5, 64287 Darmstadt)

Im Rahmen der von der Kulturregion FrankfurtRheinMain veranstalteten Reihe „Freies im Gesang“ aus Anlass des Jubiläums des Ersten Allgemeinen Deutschen Sängerfestes widmet sich das Darmstädter Musikgespräch dem Thema der Stimme als Ursprung aller Musik. Als Gast ist mit Prof. Dr. Meertinus P.D. Meijering ein renommierter Zoologe mit dabei, mit dem das Gespräch über sangliche Freiheit einen noch ganz anderen, nämlich ornithologischen Einschlag erhalten wird.

Ein musikalisches Quartett mit Meertinus P.D. Meijering (Zoologe), Thomas Schäfer (Internationales Musikinstitut), Cord Meijering (Akademie für Tonkunst) und Wolfram Knauer (Jazzinstitut Darmstadt)

Das Darmstädter Echo berichtete am 21. Juni 2013:

Die Amsel singt den Blues.
Musikgespräch. Lauscht der Vogel dem Jazz was ab oder umgekehrt?

DARMSTADT. Hat die Amsel den Blues? Weint oder frohlockt der Trauerschnäpper? Imitiert der Vogel den Mensch oder umgekehrt beziehungsweise beides? Um derlei Fragen kreiste das jüngste „Darmstädter Musikgespräch“ im Vivarium. Gäste und Vögel taten munter mit.

Im Garten von Wolfram Knauer lebt eine Amsel. seit vier Jahren schon. Dass Knauer Direktor des Darmstädter Jazzinstituts ist. färbt auf das Repertoire des Vogels ab – so scheint es zumindest. Seit dieser Saison „singt die Amsel den Blues“. behauptet der Fachmann; eine entsprechende Kadenz hat er herausgehört. Die in leichten Variationen erklinge. Woher hat der Vogel das nur? Vor allem: Wer ahmt hier wen nach? Kann ja gut sein. dass der Vogel aufgeschnappt hat. wie Knauer bei offenem Fenster Charlie („Bird“) Parkers schönen Standard „Ornithology“ abspielte …

Aus scheinbar beiläufigen Beobachtungen und Bemerkungen wie dieser ins Zentrum der Musikphilosophie zu stoßen. das ist eine der Qualitäten der „Darmstädter Musikgespräche“. Kluge. anregende Fragen gibt es hier stets mehr als einfache Antworten. Das war auch beim jüngsten Treffen im Vivarium so. Ein nur scheinbar ungewöhnlicher Ort für die drei Leiter der heimischen Musikinstitute und ihren Gast. den Zoologen und Vogelkundler P.D. Meijering: „Musik und Stimme“ war das Generalthema. Und da hat die Tierwelt natürlich ein paar Takte mitzureden.

Wer in Garten. Feld und Flur ein“ Vogelkonzert“ hört. den „Erfindungsreichtum“ der „Singvögel“ bewundert und Motive herheraushört. die er wahlweise für Barock. Beatles oder Blues hält – der kommt einem offenbar typisch menschlichen Grundbedürfnis nach: Er fasst Äußerungen der Natur in menschengemachte ästhetische Kategorien. Für den Vogel aber ist das alles eigentlich Sprache. ist Kommunikation. Erklärt der Ornithologe P.D. Meijering (Vater des hiesigen Komponisten Cord Meijering). Der Trauerschnäpper will nicht Trauergesang üben, er will bloß ein oder mehrere Weibchen in seine Bruthöhle locken. Typisch Mensch, dass man da mehr raushören möchte. Meijering junior weiß zu berichten. dass beispielsweise der Koreaner dabei gar nicht von Gesang redet: „Die Amsel weint“ heiße es dort. Worüber – das ist wieder so eine typische Frage von allzu grüblerischen Säugern.

Zoologe Meijering deutet sogar an, dass der Mensch dem Ruf der Natur deshalb so gebannt folgt und diesen zu interpretieren sucht, weil da etwas Uraltes zu ihm spricht. Schließlich sind wir um ein paar Ecken rum ja alle miteinander verwandt, Reptil, Vogel und Säuger. P.D. Meijerings These: „Man wartet auf den Ton. der aus der Natur kommt und der einen anspricht.“

Umgekehrt fühlen sich auch die Vögel durchaus von uns angesprochen. Der Tierkundler erklärt. dass sich Amsel-Populationen entwickelt hätten, die sich „so eng an den Menschen gebunden haben, dass die nicht in den ursprünglichen Wald zurückgekehrt sind“. Offenbar hat man sich was zu sagen. Aus den Reihen der Besucher wie der Gastgeber werden munter Beispiele vorgebracht: Wie der fast taube Beethoven in seine sechste Sinfonie drei vogelähnliche Motive eingewoben hat; wie die Kiebitze als „großartige Nachmacher“ das menschliche Ohr und Herz erfreuen. Und wie der Komponist Olivier Messiaen seinen gefiederten Freunden Melodien ablauschte und auf Notenpapier festhielt, um diese weiter zu variieren, das weiß Thomas Schäfer vom Internationalen Musikinstitut zu berichten. Natur und Kultur, so scheint’s, sind in einen hübschen Kreislauf eingespannt und drehen das Ding immer noch ein Stückchen weiter.

Gibt es Spaßvögel, die nur aus Freude singen?

Es geht dann auch noch um die Frage, wie frei Mensch und Vogel seien. Singt der Vogel auch mal nur zum Spaß? Hat der Mensch in frühester Kindheit ein offeneres Ohr für Gesänge aller Art? Restlos klären lässt sich das in gut anderthalb stickigen Stunden im Vivarium nicht. „Am Anfang“, glaubt jedenfalls Wolfram Knauer, „ist die Freiheit eigentlich da“ – die Freiheit. zu singen. wie einem der Schnabel gewachsen ist. Nur: „Sie wird uns durch die Kulturbindung ausgetrieben.“

Die Aufgabe des Künstlers sei es daher. „für uns den Kontakt zu dieser Freiheit wieder herzustellen“. glaubt Cord Meijering. Von draußen hört man, wie der Vivariumspfau seinen Ruf in die schwüle Nacht schickt. Es klingt sehr traurig.  (Thomas Wolff)


19. Dezember 2012
Musik + Bewegung
(14. Darmstädter Musikgespräch)

Ein musikalisches Quartett mit Mei-Hong Lin (Choreographin am Staatstheater Darmstadt), Jürgen Krebber (Internationales Musikinstitut), Cord Meijering (Akademie für Tonkunst) und Wolfram Knauer (Jazzinstitut Darmstadt)

Die Musik und der Tanz sind von jeher eng miteinander verbunden. Die Motorik des Rhythmus, die Spannung der Harmonik, die Sanglichkeit der Melodie, die Erkennbarkeit von Form – alle Elemente, die in der Musik eine Rolle spielen, stehen in ursächlichem Zusammenhang mit der Bewegung des Tanzes. Grund genug für das musikalische Quartett der Darmstädter Musikgespräche, sich Gedanken zu diesem Bereich zu machen und dabei den Begriff „Bewegung“ durchaus auch etwas weiter zu fassen.

Der Tanz aber wird allein schon angesichts des Ortes und des Gastes dieses Musikgesprächs eine wichtige Rolle spielen beim Darmstädter Musikgespräch: Die Leiter der drei städtischen Musikinstitute, Cord Meijering (Akademie für Tonkunst), Jürgen Krebber (Internationales Musikinstitut) und Wolfram Knauer (Jazzinstitut) haben diesmal die international gefeierte Choreographin Choreographin Mei Hong Lin als Gast zum musikalischen Quartett eingeladen, das sich auch im Gespräch mit dem Publikum dem Thema “Musik + Bewegung” nähern will.

Termin: Mittwoch, 19. Dezember 2012, 20:00 Uhr
Ort: Staatstheater Darmstadt, Ballettsaal
in Kooperation mit dem Staatstheater Darmstadt
Eintritt frei

ACHTUNG: Die Zahl der Teilnehmer ist auf insgesamt 40 beschränkt. Treffpunkt: 19:30 Uhr am Verwaltungseingang (zwischen Hügel- und Sandstraße). Bitte Socken mitbringen, da im Ballettsaal keine Schuhe erlaubt sind.

Das Darmstädter Echo berichtete am 21. Dezember 2012:

Hirne im Gleichklang
Diskussion – Kulturfachleute fragen nach dem Verhältnis von Musik und Bewegung
DARMSTADT.

„Musik und Bewegung sind für mich wie ein altes Ehepaar, manchmal streiten sie sich, meist ertragen und lieben sie sich“, erklärt Mei Hong Lin. Die Darmstädter Tanztheater-Chefin ist beim jüngsten „Darmstädter Musikgespräch“ nicht nur Gast, sondern auch Gastgeberin: Die Runde hockt diesmal im Ballettsaal des Staatstheaters beisammen. Wie eng Musik und Bewegung verbunden sind, zeigt sie am Beispiel: 15 Tänzer ihrer Truppe präsentieren eine der Traumszenen aus ihrem neuen Stück „Lala auf der Couch“.
Darin wird die Geschichte der Modemagazin-Chefin Lala erzählt, die nach ihrem Zusammenbruch mithilfe eines Psychiaters wieder zu sich selbst findet. Die Musik von Serge Weber wurde extra für das Stück komponiert, nachdem er die Bewegungen der Tänzer gesehen hatte. Was war nun zuerst da, die Musik oder die Bewegung?

Diese Frage wird an diesem Abend immer wieder gestellt. Im Fall von „Lala“ waren es zuerst die Gefühle, die in Bewegung ausgedrückt werden sollten. „Jede Bewegung hat einen Grund und muss Emotionalität haben“ steht für die Choreografin fest.
Jürgen Krebber vom Internationalen Musikinstitut fällt es schwer, nach dieser dynamischen und stilistisch wechselhaften Tanzszene, mit Worten weiterzumachen. Musik bewegt, ist sein Fazit. Und das in jedem Sinn: ob als Weg-Leitsystem in Leipzig, wo Hinweistafeln zu verschiedenen Orten führen, die mit Musik zu tun haben, oder ob es die kleinen neuronalen Netzwerke sind, die im Gehirn entstehen, wenn zusammen musiziert oder getanzt wird. Sogar Gehirne beginnen einen Gleichklang zu entwickeln, wie die Forschung zeige.

Jazz-Experte Wolfram Knauer erzählt Persönliches. Immer schon habe er unwillkürlich mit dem Fuß gewippt. Soll es dann wirklich ans Tanzen gehen, löse sich diese Einheit von Körper und Musik aber auf – steigt in den Kopf, „um dann unkoordiniert wieder in den Körper zurückzugehen.“ wie er lachend erzählt. Für den Leiter des Jazzinstituts lebt auch der Jazz ganz klar vom Swing, von seiner rhythmischen Qualität. Knauer fragt sich allerdings, wann und warum die neuere Musik dieses tänzerische Moment verloren hat.

Cord Meijering, Direktor der Akademie für Tonkunst, kritisiert dabei jene zeitgenössische Musik, die allzu sphärisch pseudo-religiöse Klänge produziert und dabei den „Puls“ verloren habe. Für ihn sind die Begriffe „Bewegung“ und „Tanz“ weiter gefasst und spielen sich irgendwo zwischen Himmel und Erde, Sprungkraft und Schwungkraft ab, wie er gestisch illustriert.

Die Publikumsfrage, ob sie Musik als Bewegung hört, bejaht Mei Hong Lin: „Deshalb gehe ich auch ungern in Restaurants mit Hintergrundmusik.“ Sie sieht sofort Bilder, Bewegungen und Farben – dagegen ist sie machtlos. Sie erzählt, dass sie deswegen auch zu Hause nie Musik hört, einfach weil sie sonst nicht entspannen kann. Sonst erginge es ihr vielleicht wie „Lala auf der Couch“. (Julia Reichelt)


7. November 2012
Musik + Langeweile

(13. Darmstädter Musikgespräch)

Ein musikalisches Quartett mit Hans-Klaus Jungheinrich, Thomas Schäfer (Internationales Musikinstitut), Cord Meijering (Akademie für Tonkunst) und Arndt Weidler (Jazzinstitut Darmstadt)

Es mag ja eine überhebliche Haltung derer, die sich professionell mit Musik beschäftigen, sein, dass Musik alles sein dürfe, nur nicht langweilig. Ist Langeweile etwas, was in der Musik selbst begründet liegt? Oder wird Langeweile auch durch die Umstände, also beispielsweise die Repertoirewahl, bestimmt? Oder ist Langeweile vielleicht einfach falsche Erwartungshaltung des Hörers? Und warum überhaupt verlangen wir Kurzweiligkeit, vielleicht weil wir in unserer kurzlebigen Zeit einfach nicht mehr die Geduld für lange Weile aufbringen?

All solche Fragen und andere mehr stellt sich das musikalische Quartett der Darmstädter Musikgespräche am 7. November und lädt darüber hinaus auch sein Publikum zum Gespräch ein. Neben den Leitern der drei städtischen Musikinstitute, Cord Meijering (Akademie für Tonkunst), Thomas Schäfer (Internationales Musikinstitut) und Arndt Weidler (Jazzinstitut) ist zum Musikgespräch in der Darmstädter Kunsthalle der renommierte Musikkritiker und -autor Hans-Klaus Jungheinrich eingeladen, sich Gedanken über „Musik und Langeweile“ zu machen.

Termin: Mittwoch, 7. November 2012, 20:00 Uhr
Ort: Kunsthalle Darmstadt
Eintritt frei


23. August 2012
Musik ausstellen

(12. Darmstädter Musikgespräch)

Ein musikalisches Quartett mit Hans Drewanz, Thomas Schäfer (Internationales Musikinstitut), Cord Meijering (Akademie für Tonkunst) und Wolfram Knauer (Jazzinstitut Darmstadt)

Am 5. September 2012 jährt sich der 100. Geburtstag von John Cage, einem der wichtigsten Komponisten und Musikdenker des 20. Jahrhunderts. Wie kaum jemand vor ihm hat Cage die Frage nach den Grenzen der Musik und ihren Verbindungen zu anderen Kunstfeldern und der Alltagswelt immer wieder neu gestellt. Gemeinsam mit Satie, Duchamp und Beuys gehört er zu den großen Strategen der Musik und Kunst im 20. Jahrhundert. Ausgehend von diesen Jahrhundertgestalten wird die Ausstellung „A House Full of Music“ auf der Mathildenhöhe Darmstadt mit ebenso faszinierenden wie erhellenden Klangräumen, Projektionen, Objekten, Gemälden und Installationen die parallelen Strategien von Musik und Kunst in Geschichte und Gegenwart erfahrbar machen.

Auch das Darmstädter Musikgespräch, das diesmal auf der Mathildenhöhe zu Gast ist, befasst sich mit dem Thema „Musik ausstellen“. Die drei Leiter der Darmstädter Musikinstitute haben sich dazu als Gast den Dirigenten und langjährigen Generalmusikdirektor des Staatstheaters Darmstadt Hans Drewanz eingeladen.

Beim offenen Gespräch untereinander und mit dem Publikum wird es um ganz unterschiedliche Aspekte des „Musik Ausstellens“ gehen. Lässt sich etwas so aufs Ohr gerichtetes wie Musik überhaupt ausstellen? Wo verschwimmen die Grenzen zwischen Skulptur, Klangskulptur, Musik oder zwischen musikalischer Skizze, Partitur, Zeichnung Malerei? Und wie geht, nicht zuletzt, der Musiker mit der Tatsache um, dass er seine Musik auf eine ganz andere Art und Weise täglich „ausstellen“ muss, in der Inszenierung des Konzerts, das in allen Formalien und Ritualen oder auch in der Durchbrechung derselben durchaus Parallelen zu dem aufweist, was „A House Full of Music“ in diesem Sommer auf der Mathildenhöhe thematisiert.

Termin: Donnerstag, 23. August 2012, 20:00 Uhr
Ort: Institut Mathildenhöhe, Museum Künstlerkolonie
Eintritt frei

Das Darmstädter Echo schrieb am 25. August 2012:

Wege zur Glückseligkeit
Diskussion – Das „Darmstädter Musikgespräch“ drehte sich diesmal um das Thema „Musik ausstellen“

DARMSTADT.

„Musik ausstellen“: Dieses Thema hatten sich die Initiatoren der „Darmstädter Musikgespräche“ gesetzt und das Ganze auf die Mathildenhöhe verlegt. Dort läuft zurzeit noch die Schau „A House Full of Music“, in der Wechselwirkungen von Kunst, Musik und anderen Disziplinen aufgezeigt werden. So bot sich ein konkreter Aufhänger für die Diskussion – eigentlich. Doch es ging nebenher und zwischendurch auch darum, was man noch so alles unter „Musik ausstellen“ verstehen könnte. Das war allerhand.
Als Gast hatte man sich Hans Drewanz aufs Podium geladen. Der war genau der Richtige für diesen Abend. Der Idee, Musik auf welche Art auch immer zu inszenieren, kann der Dirigent und langjährige Generalmusikdirektor des Staatstheaters Darmstadt so gar nichts abgewinnen und gab seinen Gastgebern damit von Anfang an hübsch Kontra.
Er empfindet die Mathildenhöhe-Schau als „intellektuelles Vergnügen“ und „musikwissenschaftliches Seminar“, sieht aber generell keine Notwendigkeit, der überbordenden „Befrachtung mit Bildern“ in der heutigen Kultur weiteren Vorschub zu leisten. Musik ist für Drewanz „nur auf das Ohr gerichtet, demnach nicht zeigbar, sondern nur hörbar“ – eine „Entgrenzung“, keine Einschränkung. Er habe eher das Gefühl, „dass etwas verloren geht, wenn sie bebildert und betextet wird“. Suspekt sind ihm schon die Obertitel in der Oper.

Als eine „Entzauberung der Musik“ sieht auch Wolfram Knauer vom Jazzinstitut das Ausstellen von Musik. Allerdings: Im veränderten Kontext erschließen sich für ihn neue Ebenen. Wenn das Museum das Video eines wütenden Jimi-Hendrix-Auftritts mit anderen Formen der ästhetischen Destruktion zeigt, wird für Knauer sichtbar, „wie Zerstören und Neuschaffen miteinander zusammenhängen“. Rückkopplungen unterschiedlicher Art würden erlebbar.
Auch aus dem Publikum wurde der Ruf nach „Erkenntnisgewinn“ durchs Ausstellen laut. Für Drewanz alles nicht nötig.
Ob es ihm als Dirigent nicht auch darum gehe, „Musik zu formen, zu skulpturalen Objekten werden zu lassen“, wollte Thomas Schäfer vom Internationalen Musikinstitut wissen. Keineswegs, so die Antwort: „Ich sehe mich als Musiker im Dienste des Komponisten“, dessen Intentionen er „zum Klingen bringen“ müsse. Ohne jeden bildnerischen Anspruch. Auch dass man beispielsweise in Mahlers dritter Sinfonie einen neuen Begriff von „Dimension“ bekommen könnte, wie Cord Meijering von der Akademie für Tonkunst meinte, hält Drewanz „nicht für schlüssig“. Andere Besucher könnten ja ganz was anderes heraushören.
Mit so starkem Widerstand gegen alles Bildhafte hatte Thomas Schäfer offenbar nicht gerechnet. Leicht provozierend fragte er den Gast, ob er bei der Arbeit an Opern im Staatstheater denn sehr gelitten habe? „Man liebt die Oper für alles, was sie sein könnte“, so Drewanz, „und man hasst sie für das, was sie ist.“ Eines jedenfalls nicht: illustrierte Musik. Dass die Oper ihrem Wesen nach auf den vielschichtigen Wechselwirkungen von Text, Musik, Schauspiel, Bühnenbildnerei und vielem mehr basiert, war der Runde zwischenzeitlich etwas aus dem Blick geraten.
Den stärksten Beifall gab es zuletzt für jene Besucherin, die ihre „unglaubliche Glückseligkeit“ beim Genießen der Mathildenhöhe-Schau schilderte. Froh sei sie vor allem, dass niemand sie belehrt habe. Komponist Meijering stieß ins gleiche Horn. „Ich hab’ nie versucht, Musik zu verstehen“, erklärte er gegen Ende, „ich möchte fasziniert bleiben.“

(Thomas Wolff)

 


21. März 2012
Jazzwerkstatt Berlin
Ein Musikgespräch mit Ulli Blobel
(11. Darmstädter Musikgespräch)

Ohne Ulli Blobel müsste die Geschichte des Jazz in Deutschland sicherlich umgeschrieben werden. Das Städtchen Peitz am Rande des Spreewalds, wäre nichts weiter als eine kleine Gemeinde in der Nähe Berlins, regional bekannt für seine Karpfenteiche. Jazzfans weltweit kennen Peitz stattdessen dafür, über Jahre hinweg mit seinem Festival das Mekka des West-Ostdeutschen Free-Jazz gewesen zu sein. Zu einer Zeit Ende der 1970er Jahre, als der Eiserne Vorhang für den kulturellen Austausch zwischen BRD und DDR ein klein wenig geöffnet wurde, um Musik von Weltrang in den „Arbeiter- und Bauernstaat“ zu locken. Als Konzertveranstalter machte Blobel in der DDR eine steile Karriere.

1984 aber kehrte er ihr den Rücken, siedelte in Wuppertal im Umfeld der dortigen Heroen Peter Brötzmann und Peter Kowald, gründete Labels und einen Vertrieb, verließ dann für eine Weile die Jazzwelt, um erst 2006 wieder zum jazz zurückzukehren, als er in Berlin die „jazzwerkstatt Berlin-Brandenburg“ gründete. Zur „Werkstatt“ gehört ein gleichnamiges Label, das in den vergangenen fünf Jahren zur auffälligsten und rührigsten Präsentationsfläche der jungen Berliner Jazzszene geworden ist.

Wo wäre in Darmstadt ein besserer Ort für ein Musikgespräch mit Ulli Blobel als in der Werkstatt des Berliner-Darmstädter Künstlers, Bildhauers und Improvisations-Schlagzeugers Detlef Kraft. Dessen Skulpturen, darunter auch das 2003 geschaffene Standbild des Bluesmusiker „Little (Marion) Walter“ vor dem Jazzinstitut Darmstadt, entstehen in seinem Atelier auf dem ehemaligen Werkstattgelände der Darmstädter Firma Goebel gegenüber dem Hauptbahnhof. Eingang zum Atelier über Bismarckstraße (Eingang gegenüber Kirschenallee).  

Termin: Mittwoch, 21. März 2012, 20:00 Uhr; ab 19:30 Uhr Möglichkeit eines Atelierrundgangs; Ort: Atelier von Detlef Kraft, Goebelstraße 21 (ehemaliges Weksgelände der Fa. Goebel, gegenüber Hauptbahnhof Darmstadt); Eintritt frei


8. Februar 2012
Musik + Verpackung
(10. Darmstädter Musikgespräch)

Ein musikalisches Quartett mit Michael Schneider (INTEF), Thomas Schäfer (Internationales Musikinstitut),Cord Meijering (Akademie für Tonkunst) und Wolfram Knauer (Jazzinstitut Darmstadt)

Musik ist ästhetisches Statement und Genuss, und dennoch ist sie zugleich immer auch eine Ware gewesen. Dieses Thema greift das „musikalische Quartett“ im Rahmen der Darmstädter Musikgespräche auf. Im lebendigen Diskurs miteinander geht es dabei etwa um den Warencharakter von  Musik, aber auch um deren tatsächliche Verpackung, beispielsweise als LP oder CD. Es geht um Musik, die als Hintergrund schon mal selbst zur Verpackung werden kann. Es geht um Labels, die der Musik gern aufgepfropft werden. Es geht um kulturelle Profile von Rundfunksendern, um die Rechthaberei ideologischer Musikfundamentalisten, um die Macht von Wort und Bild. Und es geht um die Auswirkungen, die all die verschiedenen Vorstellungen von „Verpackung“ auf die Musik selbst haben, die sich ihres Zwitterstatus‘ zwischen Kunst und Ware ja durchaus bewusst ist.

Beim Darmstädter Musikgespräch setzen sich die Leiter der drei Darmstädter Musikinstitute, Cord Meijering (Akademie für Tonkunst), Thomas Schäfer (Internationales Musikinstitut) und Wolfram Knauer (Jazzinstitut) mit einem Gast zu einem „musikalischen Quartett“ zusammen, das ganz unterschiedliche Aspekte des Themas diskutiert. Der Gast des Musikgesprächs „Musik + Verpackung“ ist zugleich Gastgeber, Michael Schneider nämlich, der das Institut für Neue Technische Form (INTEF) leitet, das in diesem Jahr sein 60jähriges Jubiläum feiern kann.

Termin: Mittwoch, 8. Februar 2012, 20:00 Uhr
Ort: Institut für Neue Technische Form (INTEF), Friedensplatz 10, Darmstadt Eintritt frei


14. Dezember 2011
Die Musikschule in der Darmstädter Kulturlandschaft Stefan Hakenberg im Gespräch mit Cord Meijering, Wolfram Knauer, Thomas Schäfer
(9. Darmstädter Musikgespräch)

Darmstadt hat eine Musikschule wie andere Städte auch. Aber Darmstadts Musikschule ist anders. In dieser Stadt gibt es mit dem Internationale Musikinstitut, dem Jazzinstitut und der Akademie für Tonkunst Einrichtungen, die internationale Ausstrahlung besitzen, aber natürlich auch die Welt nach Darmstadt holen. Die Leiter dieser drei Einrichtungen werden sich im Gespräch mit Stefan Hakenberg, dem Leiter der Städtischen Musikschule, darüber unterhalten, welchen Einfluss das besondere Darmstädter Klima auf seine Arbeit hat, wie die Schülerinnen und Schüler von der einzigartigen musikalischen Situation dieser Stadt profitieren und was die Musikschule in die Stadtgesellschaft zurückgeben kann.

Literaturhaus (Kasinostraße 3), 20:00 Uhr


21. September 2011
Darmstadt – L. A. (Hollywood) Der Filmemacher und Komponist Henning Lohner
(8. Darmstädter Musikgespräch)

Das 8. Darmstädter Musikgespräch stellt den Filmemacher und Komponisten Henning Lohner in den Mittelpunkt und zeichnet damit den Weg einer besonderen Karriere nach. Lohner war 1984 erstmalig Teilnehmer der Internationalen Ferienkurse für Neue Musik in Darmstadt und ist heute einer der renommiertesten deutschen Filmkomponisten. Bekannt wurde er durch seine langjährige Arbeit bei der Oscar prämierten Musikschmiede Remote Control Productions von Hans Zimmer in Los Angeles, mit dem er zum sogenannten German Hollywood zählt, sowie durch das 1988 angefangene raw material-Medienkunstprojekt. Bei den Darmstädter Musikgesprächen, erstmalig zu gast im INTEF, wird Lohner über seine Arbeit mit Karlheinz Stockhausen und Franz Zappa berichten, über Filmmusiken für Bernd Eichinger, Till Schweiger, Dennis Hopper, aber auch über eigene Filmprojekte etwa über Stockhausen, Hopper, Zappa, Karl Lagerfeld, Gerhard Richter, John Cage, Brian Eno und Yoko Ono.

Institut für Neue Technische Form (Friedensplatz 10, Darmstadt), 20:00 Uhr


8. Juni 2011
Manfred Bründl: „Sincerely P.T.“ Der legendäre Jazzbassist Peter Trunk
(7. Darmstädter Musikgespräch)

Manfred Bründl ist einer der herausragenden Kontrabassisten und Komponisten des europäischen Jazz. Der in Regensburg geborene Musiker studierte in Graz, gehörte lange Zeit zur Frankfurter Szene und unterrichtet heute als Professor an der Musikhochschule in Weimar. Bründl, der Musiker wie Charles Mingus, Scott LaFaro oder Jaco Pastorius genauso zu seinen Einflüssen zählt wie die Tradition der europäischen klassischen Musik, hat sich in den letzten Jahren auf Spurensuche eines deutschen Jazzbassisten begeben, der bereits zu Lebzeiten weit über sein Heimatland hinweg Anerkennung erhielt. Der 1973 bei einem Verkehrsunfall getötete Peter Trunk zählte zu den überzeugendsten europäischen Jazzbassisten der Nachkriegszeit. Michael Naura stellte ihn gar in eine Riege mit den großen amerikanischen Kollegen, wenn er beschreibt: „Die großen Bassisten – ich denke da an Jimmy Blanton, Ray Brown, Scott LaFaro und Peter Trunk – waren und sind in erster Linie weniger Solisten, als integrierende Figuren, die Gefühle der Geborgenheit vermitteln.“ In seinem jüngsten Projekt „Silent Bass“ nähert Bründl sich der Musik Peter Trunks, dessen Spiel auf dem Kontrabass sich durch einen sonoren, vollen, runden Ton, melodische und rhythmische Präzision und eine Vielfalt an Ideen auszeichnete. Dafür recherchierte er in Archiven, traf Kollegen und Zeitzeugen und entwickelte im Laufe der Recherche seine eigene – auch musikalische – Sicht auf den Kollegen.

Im Gespräch mit Wolfram Knauer wird Bründl über seine Annäherung an Leben und Werk Trunks berichten und darüber, wie diese seine eigene Arbeit beeinflusste. Der kurzweilige Forschungsbericht wird zudem mit seltenen Klangbeispielen aus der Arbeit Peter Trunks und solchen der aktuellen auf seinen Recherchen basierenden Arbeit von Manfred Bründl beleuchtet.

Literaturhaus Darmstadt (Kasinostraße 3)


6. April 2011
Imke Misch & Simon Stockhausen: Stockhausen, Darmstadt, elektronische Musik
(6. Darmstädter M;usikgespräch)

Die elektronische Musik war vielleicht die umfassendste klangliche Neuerung im musikalischen Geschehen des 20sten Jahrhunderts. Der Einfluss des Komponisten Karlheinz Stockhausen betraf dabei nicht nur die Welt der Neuen Musik, sondern war auch in anderen Genres zu spüren, dem Jazz etwa oder der elektronischen Popmusik. Frank Zappa, Miles Davis, Anthony Braxton, Charles Mingus, Peter Townshend, Björk, Paul McCartney und viele andere sind in ihrer musikalischen Arbeit wesentlich von Stockhausen inspiriert worden.

Die Kölner Musikwissenschaftlerin und Stockhausen-Expertin Imke Misch wird bei den 6. Darmstädter Musikgesprächen Stockhausens Aktivitäten bei den Internationalen Ferienkursen in Darmstadt vorstellen und dabei insbesondere auch einen Blick auf seine elektronische Musik werfen. Im Gespräch mit Stockhausens Sohn, dem Komponisten, Multiinstrumentalisten und Elektroniker Simon Stockhausen, der viele der späten Werke seines Vaters programmierte, unterhält sie sich anschließend über die gegenseitigen Einflüsse dieser Zusammenarbeit. Im letzten Teil des Abends schließlich wird Simon Stockhausen über seine eigene Arbeit in den letzten Jahren berichten.

Literaturhaus Darmstadt (Kasinostraße 3)


16. Februar 2011
Friederike Richter Wieviel Wurzeln braucht Musik?
(5. Darmstädter Musikgespräch)

Die Studienabteilung der Akademie für Tonkunst Darmstadt im Spannungsfeld zwischen regionaler Heimatverbundenheit, europäischer Musiktradition und der Begegnung mit Fernost

Unter diesem Titel hält die Darmstädter Pianistin und Klavierdozentin Friederike Richter am Mittwoch, den 16. Februar 2011 um 20.00 Uhr im Kennedyhaus einen Vortrag über die Arbeit der Studienabteilung der Akademie für Tonkunst Darmstadt.

Die Akademie für Tonkunst, jahrelang Ausbildungsstätte für junge werdende Musiker aus der Region, erfreut sich seit einiger Zeit eines hohen Zulaufs an Musikstudierenden auch aus Übersee wie Lateinamerika, vor allem aber Fernost.

Dies bedeutet einerseits einen Gewinn an Informationen und Erkenntnissen über andere Gesellschaften und Kulturen für einheimische Studierende. Andererseits müssen ausländische Studentinnen und Studenten enorme Hürden überspringen, um das Empfinden abendländischer Musik nachfühlen zu können. In diesem Vermittlungsprozeß steht die Lehrerin, der Lehrer an zentraler Stelle in einer Funktion als „Übersetzer/in“.

Dass allerdings nicht nur ausländische Studierende manchmal Übersetzungshilfen im Umgang mit traditioneller Musik brauchen sondern auch hiesige, will der Vortrag aufzeigen.

Weitere Informationen zur Person der Vortragenden: www.friederike-richter.de

Friederike Richter ist Klavier-Dozentin an der Studienabteilung der Akademie für Tonkunst

Literaturhaus Darmstadt (Kasinostraße 3)


Mittwoch, 26. Januar 2011
Stephan Schulz & Wolfram Knauer Louis Armstrong. Grenzen überwinden durch Musik
(4. Darmstädter Musikgespräch)

Zwei 2010 frisch erschienene Bücher befassen sich mit Louis Armstrong. Wolfram Knauer, der 2008 als Louis Armstrong Professor of Jazz Studies an der Columbia University in New York unterrichtete, schrieb eine Biographie, die die Lebensgeschichte des Trompeters entlang seiner Musik erzählt. Der Journalist Stephan Schulz sammelte Erinnerungen und Erinnerungsstücke an Armstrongs Tournee, bei der er 1965 17 Konzerte in der DDR gab. In einer gemeinsamen Veranstaltung berichten die beiden Autoren von ihren Recherchen und von Armstrong, dem system-überschreitenden Musiker, der mit seiner scheinbar unpolitischen Musik wichtige diplomatische Türen öffnete. Zu hören und zu sehen sein werden dabei auch seltene Tonaufzeichnungen Armstrongs, Stasi-Dokumente und Schmalfilmaufnahmen von Hobbyfilmern.

Stephan Schulz ist Journalist für den Mitteldeutschen Rundfunk und Autor des Buchs „What a Wonderful World. Als Louis Armstrong durch den Osten tourte“ (Berlin 2010, Verlag Neues Leben). Wolfram Knauer ist Direktor des Jazzinstituts Darmstadt und Autor des Buchs „Louis Armstrong (Stuttgart 2010, Reclam Verlag: Universal-Bibliothek)

Literaturhaus Darmstadt (Kasinostraße 3)


Mittwoch, 27. Oktober 2010
Cord Meijering: Kinder und Jugendliche komponieren
(3. Darmstädter Musikgespräch)

Es war Mitte der 80iger Jahre des 20. Jahrhunderts in Halle, DDR: Dort gab es ein Konzert der von Hans-Jürgen Wenzel gegründeten und von ihm geleiteten Kompositionsklasse für Kinder und Jugendliche Halle-Dresden. Diese Klasse existierte damals bereits seit 17 Jahren. Was es in diesem Konzert zu hören gab, setzte höchste Maßstäbe für alles, was von nun an auf dem Gebiet der sogenannten „Kinderkomposition“ folgen sollte. Seit 1976 produzierte Hans Werner Henze in Italien und Österreich Projekte, bei denen Kinder und Jugendliche komponierten. Die so entstandene Kommunal-Oper „Robert, der Teufel“ nach einem Libretto von Elfriede Jelinek katapultierte das Thema „Kinder und Jugendliche komponieren“ ins internationale Bewusstsein. An diesen Pionier-Projekten teilnehmend, sie erlebend, begann Cord Meijering das Experiment einer Integration dieser großen jugendlich-innovativen Kraft in eine Institution der Musikausbildung: die Akademie für Tonkunst in Darmstadt. Er gründete dort 1991 die Kompositionsklasse für Kinder und Jugendliche. Aus diesem Experiment entstand Deutschlands älteste (heute noch existierende) und produktivste Kompositionsklasse für Kinder und Jugendliche, die seit ihrer Gründung etwa 150 Werke – von Kammermusik bis hin zu Oper – hervorbrachte.

Cord Meijering, Komponist, Schüler von Johannes Fritsch, Dietrich Boekle, Hans Werner Henze und Hans Jürgen Wenzel, ist Direktor der Akademie für Tonkunst in Darmstadt. Nähere Informationen unter www.meijering.de und www.akademie-fuer-tonkunst.de

Literaturhaus Darmstadt (Kasinostraße 3)


Donnerstag, 15. April 2010
Rüdiger Ritter Jazz im Ostblock – Musik zwischen Widerständigkeit und künstlerischer Autonomie
(2. Darmstädter Musikgespräch)

Dass es auch im sowjetischen Machtbereich Jazz gab, und zwar richtig guten Jazz, ist immer noch recht unbekannt. Wer weiß schon, dass die Musik zu vielen Filmen von Roman Polański von niemand anderem stammt als von Krzysztof Komeda, dem Begründer des modernen polnischen Jazz. Allen Verboten zum Trotz etablierte und behauptete sich Jazz auch in den Ostblockländern und erhielt dort eine widerständige Funktion als Symbol für eine kulturelle Alternative. Vielleicht war es gerade dieser politische Druck, der dem Jazz zu hoher, auch internationaler Qualität verhalf? In Polen jedenfalls hat Jazz bis heute einen beachtlichen gesellschaftlichen Stellenwert. Das liegt unter anderem auch an den großen Festivals am Ende der 1950er Jahre wie etwa dem Warschauer Jazz Jamboree oder dem Jazz nad Odrą in Wrocław, die sowohl künstlerische Meilensteine als auch Manifeste des Freiheitswillens waren.

Rüdiger Ritter ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der FU Berlin, stellt in seinem Vortrag die Ergebnisse eines Forschungsprojekts zum Jazz im Ostblock vor, das dort seit 2007 bearbeitet wird und für das er uns seine Kollegen regelmäßig auch im Jazzinstitut geforscht hatten.

Der Vortrag von Rüdiger Ritter ist teil eines Polen-Schwerpunkts des Jazzinstituts, das am 16. April in seiner Galerie eine Ausstellung mit Bildern von Mira und Alex Fleischer eröffnet (Fleischer war einer der Mitbegründer des Festivals Jazz nad Odrą) und am selben Abend im Gewölbekeller unter dem Jazzinstitut ein JazzTalk-Konzert mit dem Adam Pieronczyk Trio veranstaltet.

Literaturhaus Darmstadt (Kasinostraße 3)


Mittwoch, 17. Februar 2010
Michael Custodis Wolfgang Steinecke – Netzwerker der Musikmoderne
(1. Darmstädter Musikgespräch)

2010 hätte Wolfgang Steinecke, Nestor des Wiederaufbaus der Darmstädter Kulturpolitik nach dem 2. Weltkrieg und Gründer der Internationalen Ferienkurse für Neue Musik Darmstadt, seinen 100. Geburtstag gefeiert. Anlass genug, diesen kongenialen Netzwerker der Moderne als Ausgangspunkt für die neu initiierten „Darmstädter Musikgespräche“ zu nehmen. Moderne ist bei Michael Custodis‘ Vortrag über Steinecke im doppelten Sinne gedacht, als „moderne“ Form des Festivalmanagements, viele untereinander zerstrittene Protagonisten für (s)eine Vision von Sommerkursen für die musikalische Moderne zusammenzubringen. Durch diese Fokussierung auf Steineckes Organisationstalent lässt sich auch zeigen, wie es ihm gelingen konnte, alte Vorkriegs-Kontakte (z. B. zu seinem Lehrer Friedrich Blume) zu pflegen und für Kontexte einzuspannen, die diesem eigentlich nicht lagen und dennoch eine konsequente Suche nach musikalischem Neuland unterstützen ließen. Zugleich wird der Vortrag aber auch die Grundzüge von Steineckes Darmstädter Arbeit nachzeichnen.

Michael Custodis ist Musikwissenschaftler und Soziologe aus Berlin. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Musikwissenschaft der Freien Universität Berlin im DFG-Sonderforschungsbereich „Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste“. Für die 45. Internationalen Ferienkurse für Neue Darmstadt (17.-31. Juli 2010) arbeitet er derzeit an einer Ausstellung zu Wolfgang Steineckes 100.Geburtstag.

Literaturhaus Darmstadt (Kasinostraße 3)

Darmstädter Jazzforum – die Plakate

Das 1. Darmstädter Jazzforum fand im Dezember 1989 statt, und damit noch bevor das Jazzinstitut Darmstadt gegründet war. Das dreitägige Symposium im damaligen Konferenzzentrum der Stadt beschäftigte sich mit den unterschiedlichsten Aspekten ästhetischer, historischer, analytischer und pädagogischer Herangehensweisen an die Musik. Es gab einen Flyer, der von Helmut Lorz gestaltet war, dem gefeierten Darmstädter Grafiker, der unter anderem das Signet für die Berliner Funkausstellung sowie das Plakat zur Ausstellung „That’s Jazz. Der Sound des 20. Jahrhunderts“ auf der Darmstädter Mathildenhöhe entworfen hatte.

Oberbürgermeister Günter Metzger beschrieb dieses erste Jazzforum als „Probelauf“ zu einem künftigen Jazzzentrum in der Stadt, das mit dem Jazzinstitut Darmstadt am 1. September 1990 gegründet wurde. Bereits im September 1991 fand das 2. Darmstädter Jazzforum statt, das ab jetzt konkreten Themen zugeordnet wurde. Das 2. Darmstädter Jazzforum, das damit das erste des neu gegründeten Jazzinstituts war, nahm das Thema „Jazz und Komposition“ in den Fokus. Über andere Darmstädter Veranstalter kam der Kontakt zu einem jungen Grafiker zustande, der seither alle Plakate – und überhaupt die grafische Präsenz des Jazzinstituts – entwarf: dem Frankfurter Designer Roland Stein. Steins Plakate entstehen bis heute in enger Abstimmung mit dem Jazzinstitut. Sie illustrieren nie nur das Thema selbst, sondern immer auch die erwarteten Diskurse, den Kontext der Konferenz, Konzerte und Ausstellung des Jazzforums.

Steins erstes Plakat zeigt das bereits exemplarisch. „Jazz und Komposition“ (1991) hätte sich auch mit einem Notenblatt darstellen lassen;  Stein entschied sich für den konstruierten und klar positionierten Schriftzug  „Jazz“ über einer  unklaren, vom rot über schwarz ins Weiß hingetupften Fläche. „Jazz in Europa“ (1993) spielt mit petrolfarbenen Buchstaben, die, positiv und negativ gesetzt, auf dem leuchtend-roten Hintergrund hervorstechen. Für „Jazz in Deutschland“ (1995) wählte Stein die Noten der beiden Nationalhymnen, und auch beim Symposium und den begleitenden Konzerten waren Beiträge zur Entwicklung des Jazz in beiden Teilen des Landes zu hören. Für „Jazz und Sprache“ (1997) entwarf Stein ein Plakat mit einer Schreibmaschinentype die über der Ziffer „5“  ein Achtelnotensymbol hatte.

 

Zum seinem 100sten Geburtstag beschäftigte sich das Darmstädter Jazzforum mit „Duke Ellington und die Folgen“ (1999); Stein arbeitete dafür mit einem Bild des Duke mit verzerrten Farbkanälen. Weitaus reduzierter fiel das Plakat zu „Jazz und Gesellschaft“ (2001) aus, das auf klarem Grund zwei Kreise überlappen lässt. „improvisieren…“ (2003) lautete der nächste Jazzforums-Titel, und hier improvisierte auch Stein – mit Linien, Typen, Farben, Rastern. Für das etwas sperrig benannte Symposium über „Verrat!!! … oder Chance? Der Jazz und sein gespaltenes Verhältnis zur Popularmusik“ (2005) bastelte Stein Pappfiguren von Miles Davis, Charlie Parker, John Coltrane und Gerry Mulligan, packte sie in einen Einkaufswagen und ließ sie in einem CD-Laden fotografieren.

   

„The World Meets Jazz“ (2007) diskutierte über stilistische Begegnungen genauso wie über kulturelle Aneignung, und Stein arbeitete mit einer Bildsprache, auf der aus Instrumenten Blumen wachsen  und überhaupt die ganze Welt zu blühen scheint. „Tension / Spannung“ (2009) war das Jazzforum überschrieben, das sich Werk und Einfluss des Posaunisten Albert Mangelsdorff widmete und für das Stein ein Foto der Posaune des Meisters in seine grafische Komposition mit einbezog. Für „Jazz. Schule. Medien.“ (2011) wird es wieder etwas nüchterner: Übereinander gelegte Blätter  spiegeln vielleicht auch die Papierlastigkeit des Themas wieder.  2013 gab es eine Doppelkonferenz mit dem Institut für Jazzforschung Graz, und Steins Umsetzung von „Jazzdebatten / Jazzanalysen“ versucht dem diskursiven Gehalt des Themas gerecht zu werden.

Für „Gender and Identity in Jazz“ (2015) wählte Stein eine Anspielung an X- und Y-Chromosomen, die er in Regenbogenfarben  zusammenbrachte. „Jazz @ 100. (K)eine  Heldengeschichte“ (2017)  zeigt eine zunächst zufällige, aber bewusst modifizierte und platzierte Google-Bildersuche nach „Jazz“, verdeckt vom deutlichen Stempel mit des Konferenzthemas. Für „Positionen! Jazz und Politik“ wählt Stein einen Entwurf, bei dem man sich schon beim Betrachten für eine Position entscheiden muss: schwarz auf weißem Grund oder weiß auf schwarzem Grund? Die letzten drei Plakate waren übrigens als mit einem Doppelnutzen konzipiert: auf der einen Seite der zum Quadrat zusammengefalteten Blätter befand sich das Plakat, auf der anderen Seite eine Übersicht übers Programm sowie knappe Programmnotizen. Mitten in der Pandemie veranstalteten wir 2021 unser erstes Hybrid-Jazzforum, „Roots | Heimat. Wie offen ist der Jazz“, und Stein versuchte der Diversität der Themenstellung mit einer Gestaltung nahe zu kommen, in der Klarheit, Verankerung, Risiko und Offenheit gleichermaßen zum Zuge kommen.

Fürs Jazzforum 2023 über „Destination unknown. Die Zukunft des Jazz“ haben wir uns zusammen mit Roland Stein für ein durch künstliche Intelligenz erzeugtes Mischwesen entschieden, eine/n Musiker/in, der/die alles imaginieren lässt und neugierig macht, was er/sie wohl hören oder spielen mag.

Wir sind ziemlich stolz auf die grafische Umsetzung der Themen unseres Darmstädter Jazzforums. Es passiert nicht gerade oft, dass man über so lange – immerhin mehr als 30 – Jahre mit einem Grafiker zusammenarbeitet. Roland Stein hat aber nicht nur unser Jazzforum visuell geprägt; er hat zahlreiche Ausstellungen mitgestaltet, unser Logo entwickelt, den Header unserer Website entworfen. Er hat dabei immer das getan, was eine guten Grafiker auszeichnet: zugehört, seine eigenen Schlüsse gezogen und die Atmosphäre, die sich ihm mitteilte, in einen Entwurf umgesetzt. Wir erkennen uns darin wieder, seit 32 Jahren. Wie geht’s Ihnen?

(Wolfram Knauer, Mai 2023)

Jazz in der Kammer (1965-1990)

Am 1. November 1965 spielte das Trio des Pianisten Joachim Kühn mit  Klaus Koch (Bass) und Reinhard Schwarz (Schlagzeug) in den Kammerspielen des Deutschen Theaters in Ost-Berlin. Das Konzert war zugleich der Beginn der Konzertreihe „Jazz in der Kammer“, die bis zum 10. November 1990 163 Konzerte mit mehr als 600 Musiker:innen vor allem der zeitgenössischen Jazzszene aus Ost- und Westeuropa, aber auch den USA oder Japan präsentierte.  Im Programmheft zum ersten Konzert erläutern die Organisatoren, man wolle „auch speziellere Wünsche  vor allem [der] jugendlichen Besucher erfüllen und gleichzeitig neue Besucherschichten für die Arbeit des Deutschen Theaters interessieren“.


Jazz in der Kammer Nr. 1 (1. November 1965) als pdf-Download

Jazz wurde in der DDR der 1950er Jahren von offizieller Seite eher argwöhnisch als Ausdruck „kapitalistischer Dekadenz“ und „Musik des Klassenfeinds“ beäugt. Mit dem Bau der Mauer 1961 änderte sich diese Haltung des Staates, wie Karlheinz Drechsel berichtet, und schien plötzlich vieles möglich, was früher verboten war. „Die in der DDR agierenden staatlichen Konzert- und Gastspieldirektionen wurden dazu angehalten“, erzählt er, „spezielle Jazzkonzerte für die Jugend zu veranstalten“ (Karlheinz & Ulf Drechsel: Zwischen den Strömungen. Mein Leben mit dem Jazz, Rudolstadt 2011: 91). Vor diesem Hintergrund ist auch der Ankündigungstext zum Kühn-Konzert von 1965 zu lesen, in dem es heißt: „‚Jazz in der Kammer‘ soll der Förderung und Popularisierung des modern jazz in unserer Republik dienen und jede Art von kommerzieller Tanzmusik, jeden Pseudojazz und unqualifizierte Amateurmusik ausschließen.“

Am 24. November 1969 gab es ein erstes Jubiläum zu feiern: 4 Jahre und 25 Konzerte „Jazz in der Kammer“. Im Programmzettel listen die Veranstalter mittlerweile 102 Musiker und 3 Musikerinnen auf, die bereits in der Reihe aufgetreten waren, mit wenigen Ausnahmen (ein Konzert mit den Leo Wright All-Stars im Oktober 1966) alle aus der DDR oder osteuropäischen Bruderstaaten. Sie erzählen noch einmal die Geschichte des Formats, das einer Idee zweier Schauspieler und eines Gartenarchitekten entsprang. Und sie zitieren aus Rezensionen vergangener Konzerte, etwa mit den Berlin-Leipzig-All-Stars, mit dem Kurylewicz-Nahorny Quintett aus Polen, mit der Zellula Combo aus Prag oder mit der amerikanischen Sängerin Rosita Thomas.

Während der Rückblick die Internationalität der Reihe betont, feiert das Jubiläumskonzert  selbst die zeitgenössische Szene im eigenen Lande. Das Friedhelm Schönfeld Trio mit Klaus Koch und Baby Sommer ist in zwei Stücken zu hören, das Günter Fischer Quartett in einem, Manfred Schulzes Bläserquintett (plus Schlagzeug) spielt seine Komposition „Hymne“, Ernst Ludwig Petrowsky betont in seinem Quartett die amerikanische Tradition („Oleo“) und mit dem Studio-4-Ensemble auch die europäische (den Choral „Es sungen drei Engel“, ein Stück, das auch Albert Mangelsdorff wenige Jahre eingespielt hatte). Zum Schluss trafen sich die Musiker zu einer Jam Session, und man möchte gern dabei gewesen sein.


Jazz in der Kammer Nr. 25 (24. November 1969) als pdf-Download

Im Jazzinstitut haben wir zahlreiche der Programmzettel  (immerhin 133 von 163), im Original und  für Recherchezwecke auch digitalisiert. Das Abschlusskonzert im November 1990 war wieder ein kleines Festival; neben vielen Namen, die bereits seit den 1960er Jahren mit dabei waren, tauchen jetzt auch jüngere Musiker:innen auf, und die Veranstalter resümieren: „Nach 25 Jahren, in denen sich die Jazz-Szene des Landes entscheidend verändert hat, sehen die ebenfalls älter gewordenen lnitiatoren der Reihe ihre Aufgabe als erfüllt an und verabschieden sich mit der heutigen Familien-Party, die noch einmal treue, langjährige Mitstreiter der KAMMER vereint, von ihrem treuen Publikum.“


Jazz in der Kammer Nr. 163 (10. November 1990) als pdf-Download

Die Programmzettel zu „Jazz in der Kammer“ sind nur ein Teil der Dokumente, die im Jazzinstitut über die Jazzgeschichte der DDR vorhanden sind. Daneben finden sich ähnliche Programmblätter zur Jazzwerkstatt Peitz, zur Jazzbühne Berlin, Presseclippings über das Dixieland Festival in Dresden oder die Leipziger Jazztage und Clippings über einzelne Konzerte im ganzen Land von 1965 bis zum Fall der Mauer.

Wolfram Knauer (April 2023)

Hartmut Geerken’s Sun Ra Archive

Im Mai 2021 übernahmen wir die das Sun Ra Archive des  Schriftstellers, Kulturkoordinators und Forschers Hartmut Geerken. Es handelt sich um das weltweit umfassendste Privatarchiv zu Leben und Werk des US-amerikanischen Free-Jazz-Pioniers und Vordenkers des Afrofuturismus. Die Sammlung umfasst Bandmitschnitte von knapp 500 bislang unveröffentlichten Konzerten, Interviews und Proben des Sun Ra Arkestra, Filmaufnahmen auf über 70 Videobändern bzw. DVDs, das gesamte dichterische Œuvre Sun Ras, zum Teil mit eigenhändigen Korrekturen, 1.200 Fotos, ein umfassendes Archiv an Sekundärliteratur, Korrespondenz mit führenden Sun Ra-Forschern sowie mit Sun Ra selbst, die Geerken für seine umfangreichen Bücher „Omniverse Sun Ra“ und „The Immeasurable Equation“ verwandte, und vieles mehr.

„Hartmut Geerkens Sun Ra-Archiv ist eine großartige und wichtige Ergänzung der Sammlung des Jazzinstituts“, erklärte damals unser Oberbürgermeister und Kulturdezernent Jochen Partsch. „Sun Ra war ein Vorreiter des Black Power-Movement der 1960er Jahre und damit auch der Black Lives Matter-Bewegung unserer Zeit. Die Sammlung Geerkens, der Sun Ra persönlich kannte und mit vielen Musikern seines Arkestra befreundet war, dokumentiert, wie Sun Ra den Afrofuturismus vorausgedacht hat, der in den 1970er Jahren in der Musik George Clintons nachhallte und ab den 1980er Jahren Teil des internationalen kulturkritischen Diskurses wurde.

Mittlerweile haben wir weit mehr als die Hälfte der riesigen Sammlung digitalisiert; Schriftstücke genauso wie Film- oder Audiomitschnitte seiner Konzerte. Und schon jetzt zieht das Archiv Forscher aus aller Welt an – im März 2023 etwa war der Researcher für einen Dokumentarfilm für mehrere Tage in Darmstadt, den der renommierte US-amerikanische Regisseur Stanley Nelson über Sun Ra plant (vgl. Hollywood Reporter). Geerken selbst war glücklich, dass seine Sammlung ausgerechnet in Darmstadt ihren Platz gefunden hat. Eine Rundfunksendung des Jazzexperten Joachim Ernst Berendts, dessen Nachlass den Grundstock des Archivs im Jazzinstitut bildet, habe ihn Anfang der 1960er Jahre auf Sun Ra aufmerksam gemacht, erzählte er uns in einem der letzten Telefonate, die wir mit ihm führten. Nur eine Woche später verstarb Geerken im Oktober 2021 völlig unerwartet im Alter von 82 Jahren in seinem Haus am Ammersee.

Sun Ra interessiert nicht nur Musikhistoriker:innen, sondern insbesondere auch junge Musiker:innen, die von den gelebten Visionen des Bandleaders und Komponisten fasziniert sind. Schon in den 1950er Jahren gelang es ihm Tradition und Avantgarde miteinander zu verbinden. Seine Wurzeln hatte Ra in der Bigbandmusik der Swingära, wurde aber schnell zu einem der Vordenker freierer Wege im Jazz. Die teilweise stundenlangen Konzerte seines Arkestra und die Besinnung auf alte afrikanische Rituale lebten von den bunten Kostümen, von der Performance, in die immer auch das Publikum mit eingebunden wurde, und von den mitreißenden Hymnen, die zwischen freien Improvisationen und swingenden Arrangements erklangen. Nicht zuletzt war Ra auch ein Pionier der elektronischen Musik, setzte als einer der ersten Musiker den Moog-Synthesizer für Live-Konzerte ein. Und 1986 traf er – noch ein Darmstadt-Bezug – bei einem gemeinsamen Konzert in New York auf den Vordenker Neuer Musik John Cage.

Sun Ras Musik begleitet uns seither, und auch inhaltlich erahnen wir, wie weitsichtig der Pianist, Komponist und Bandleader war: Wir haben nicht ohne Grund dem 18. Darmstädter Jazzforum, bei dem wir im September 2023 „die Zukunft des Jazz“ einen Titel aus Sun Ras Diskographie gegeben: „Destination Unknown“.

„Space is the Place“ hieß eine der nachhallenden Hymnen, die das Arkestra in seinen Konzerten sang. Das Darmstädter Jazzinstitut hat genügend „space“ freigeräumt in seinen Regalen, um Platz zu schaffen für die Dokumente über eine der schillerndsten und herausragendsten Figuren afro-amerikanischer Musik.

Hier ein paar Beispiele aus der Sammlung:


Gefängnis-Korrespondenz

 

Die ersten 30 Jahre seines Lebens verbrachte Herman Poole Blount, wie er damals noch hieß, in Birmingham, Alabama, wo er 1914 geboren wurde. 1942 wurde er zum Wehrdienst eingezogen, der er unter anderem aus religiösen Gründen verweigerte. Er saß mehrere Monate erst in einem Gefängnis in Alabama, dann in einem Lager in Pennsylvania, wo ihm Suizidgefahr genauso attestiert wurde wie Homosexualität. Geerken sammelte Kopien von Blounts Korrespondenz aus jenen Jahren, in denen er freimütig über seine gesundheitlichen Probleme, aber auch seine Sexualität spricht.


The Sun Harp

In Geerkens Worten (Gizeh, Ägypten, Dezember 1971, aus: Omniverse Sun Ra):

the night they were to leave i watched sonny, the chief, sitting behind a little table in the hotel hall. a lit candle in front of him illuminated rows of numbers on a piece of paper. my first thought; magic nurnbers, astrology. but then i heard that there wasn’t enough money to pay the hotel bill. the telephone bill was immense, too. his 21 musicians had made lots of phone calls, like they always did when they were on tour. i know for a fact that once sonny paid the telepone bill amounting to over 1000 dollars with a professional tape, including the rights. – even though it was late at night, i tried to get arabian & german friends to participate in the bill so that sonny & his crew could leave for the airport. they had to pay to be able to leave the building. my friends were reluctant, so i chipped in as much as i could, but it wasn’t enough. one of them kept sneaking outside with something & returning without whatever it was & then handing a few money bills to sonny. sonny would then start adding again. i think june even sold some of her jewelry. she kept laughing & saying: ‚that’s too much! that’s too much!‘ sonny didn’t seem too upset about the precarious situation. how often had he gone through this before? the intergalactic constellation cannot be measured by the standards of earthly time… at some point patrick arrived with a large string instrument, a ukrainian bandura & extra strings to replace the lower strings, handed them to sonny & sonny handed them to me, sort of as a security for the rnoney i had given to him. some tirne when he had rnoney, he said, he would ask me to return the instrument, it was his famous sun harp („STRANGE STRINGS“).

Die Sun Harp ist auf zahlreichen Aufnahmen zu hören, beispielsweise in „Solar Symbols„. Geerken spielt sie 1996 auf seinem „Sun Ra Tribute“ Album; „Sunny’s Sun Harp„.


Sun Ra Hot Dog Sauce

Chris Trent, der erheblich an der zweiten Auflage von „Omniverse – Sun Ra“ mitgearbeitet hatte, schickte Geerken eines Tages diese Flasche. Sie hat nichts mit „unserem“ Sun Ra zu tun, war in den 1940er Jahren eine beliebte Zutat zu … „Hot Dogs.


Maqsud Schukurwali

Geerkens Begegnung mit Sun Ra strahlte auf jeden aus, mit dem er zu tun hatte. Maqsud Schukurwali spielte Gitarre in Geerkens Rock and Free Jazz Group, als dieser 1976 für das Goethe-Institut in Afghanistan arbeitete. Schukurwali arbeitet ansonsten als Grafiker und Bildender Künstler; von 1977 stammt seine Maske mit dem Namen „Sun Ra“.


Diskographien

„Omniverse – Sun Ra“ ist ja alles: Biographie, Diskographie, Gedichtesammlung, musikalische Einordnung, Reflexion über… Die Grundlagenforschung für all das aber war endlose Korrespondenz, die Geerken mit anderen Sun Ra-Sammlern aus aller Welt führte, die aktive Beteiligung an Mailinglisten, die Veranstaltung regelmäßiger Sun-Ra-Konferenzen. Robert Campbells „The Earthly Recordings of Sun Ra“ (zweite Ausgabe: 2001) ist die „Bibel“ für Sun Ra-Sammler, aber in Geerkens Sammlung finden sich auch alle Vorgänger bis zurück zu Otto Flückigers Diskographie in der Zeitschrift „jazz-statistics“ von 1961. Ein besonders schön gestaltetes Werk ist Tilman Stahls privat veröffentlichte Publikation „Sun Ra Materialien / Sun Ra Materials“ aus dem Jahr 1983.


Die Sun Ra Sammlung umfasst weit mehr – wir kommen darauf zurück und beschreiben bei Gelegenheit einzelne weitere Ordner und Kästen, das Konvolut an Noten etwa oder an Tonbandkassetten.  Ach, eines noch: Auch das bislang bereits digitalisierte Material ist nicht online verfügbar, sondern zu Recherchezwecken nur am Jazzinstitut selbst zu nutzen.

(Wolfram Knauer, März 2023)

JazzNews 2023

Wir lesen die Morgenzeitung für Sie!

Die Presseberichte, die wir in dieser Rubrik zusammenfassen, finden sich übrigens in unserem Archiv in herkömmlicher (papierner) sowie in digitaler Form. Wenn Sie an den kompletten Artikeln zu den auf dieser Seite notierten Meldungen interessiert sind, wenden Sie sich bitte per e-mail an uns. Darüber hinaus verweisen wir auf unseren Jazz-Index, die weltweit größte computergestützte Bibliographie zum Jazz, in der neben Büchern und Zeitschriften auch aktuelle Presseberichte aus Tages- und Wochenzeitungen gelistet sind. Sie können Auszüge aus dem Jazz-Index zu bestimmten Stichworten (also beispielsweise konkreten Musikernamen) kostenlos per e-mail erhalten. Noch ein Hinweis zu den Links auf dieser Seite: Einige der verlinkten Artikel sind ohne Anmeldung nicht einsehbar; bei vielen Online-Zeitungen ist die Lektüre älterer Artikel kostenpflichtig. Bitte beachten Sie, dass die Zusammenfassungen und die Übersetzungen auf dieser Seite unsere Zusammenfassungen und Übersetzungen sind. Wenn Sie die hier gelisteten Artikel zitieren wollten, sollten Sie zu den Originalquellen greifen.

Autor der JazzNews (deutsch wie englisch): Wolfram Knauer

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Inhaltsverzeichnis (deutsch; English content scroll down please)

Content (English)

Dozentinnen und Dozenten 2023

Matthew Bookert …

Rocco Dürlich©

… wird gerne als erstaunlich vielseitiger Musiker beschrieben, was umso außergewöhnlicher ist, als er ein Instrument bevorzugt, dem man in der Regel wenig klangliche Varianz zuspricht – das Sousaphon. Das große, um den Bauch geschlungene Instrument ersetzt bis heute in den klassischen Marching Bands des New Orleans-Jazz den weniger mobilen Kontrabass.

Was der inzwischen in Berlin lebende Texaner allerdings mit seinem wuchtigen Instrument musikalisch macht, ist in der Tat … VIELSEITIG! Bookert ist dabei nicht nur in verschiedensten Stilen von Klassik bis Worldmusik zu Hause, sondern spielt das riesige Blasinstrument mit erstaunlicher Leichtfüßigkeit. Kein Wunder, denn Matthew Bookert studierte Tuba an der Indiana University bei Daniel Perantoni sowie an der University of Michigan bei Fritz Kaenzig. 2007 kam er nach Deutschland, wo er an der Musikhochschule Stuttgart beim Tubisten der Staatsoper Stefan Heimann ebenso Kurse belegte wie im Jazzdepartment der Hochschule.

Trotz weiterhin enger Kontakte nach Südwestdeutschland (als Mitglied der Stuttgarter Band Volxtanz oder des Mannheimer/Frankenthaler/Mainzer Blechensembles Blassportgruppe Südwest) lebt Bookert inzwischen in Berlin und spielte dort in der Vergangenheit sowohl in Hannes Zerbes Jazz Orchestra, dem zeitgenössischen Trickster Orchestra von Cymin Samawatie und Ketan Bhatty wie im akustischen Live-Ensemble der populären Elektronik-Formation Brandt Bauer Frick. Bookert arbeitet zudem auch als Komponist und MC.

Über seinen Workshop sagt Matthew Bookert folgendes:

„Groove und Riff basiertes improvisieren zum Kopfnicken und Tanzen.  Jazz als Begriff hat immer weniger mit Arsch wackeln zu tun.  Nicht hier! Funk und Balkan inspirierte tanzbare „U“-Musik für jede die gerne Musik mit groove hört.“

Daniel Guggenheim

Foto: Anja Jahn

… hat als Schweizer nicht nur musikalisch einen weiten Weg zurückgelegt. Nach der Ausbildung an der Swiss Jazz School in Bern waren Paris, Südamerika und New York weitere Stationen, bevor er schließlich Ende der 1990er-Jahre in Frankfurt am Main landete.

Von sich selbst sagt er, dass starke musikalische Persönlichkeiten ihn immer inspiriert haben, ganz gleich, ob das Jimi Hendrix oder Sonny Rollins waren. Unverkennbar aber begleitet den Tenorsaxophonisten sein größtes Vorbild John Coltrane bis heute. Schon parallel zum Studium an der Swiss Jazz School leitete er sein eigenes Quartett und interpretierte John Coltrane nach seiner Version.

1983 trifft er in Brasilien auf Hermeto Pascoal, ein wahrer Glücksfall für ihn. Durch Musikanarchist Pascoal lernt Guggenheim seine Musik zu leben und Grenzen stets neu auszuloten. Daniel Guggenheims Musik lässt immer wieder neue Bilder entstehen, die für alle Beteiligten zu einem umfassenden Erlebnis werden.

In New York schließlich spielte er mit Leuten wie Elvin Jones, Cecil McBee, Richie Beirach, Billy Hart oder dem jungen Roy Hargrove. In Frankfurt  folgten Kooperationen mit bekannten Musikern wie Bob Degen, Vitold Rek, Keith Copeland, Janusz Stefanski, David Liebman, Peter Madsen, Jeff Williams, Jürgen Wuchner, John Tchicai und Harry Beckett. In seinem aktuellen QUARTET spielen Sebastian Sternal, Dietmar Fuhr und Silvio Morger.

Guggenheim verfügt über eine unglaubliche Bühnen- und Spielerfahrung, die durch Auftritte mit Pop-Größen wie Nena und Udo Lindenberg auch musikalisch erweitert wurde.

Über seine Ideen für den diesjährigen Kurs sagt er folgendes:

„Es werden eigene Kompositionen erarbeitet. Im Vordergrund wird dabei das Zusammenspiel der Gruppe stehen. Die Wahrnehmung der Mitmusiker, das gemeinsame Timing, der „Gruppensound“ und die Interaktion werden anhand von gezielten Übungen spielerisch verbessert.“

Johannes Lauer

Benedikt Lauer©

… denkt groß. Eine seiner herausragenden und international besetzten Formationen nannte sich nicht umsonst „Lauer Large“ und verschob dabei alle Grenzen musikalischer Genre nach außen. Sicher bewegt sich Johannes Lauer mit seinen Kompositionen zwischen folkloristischen Motiven, dem Sound der Großstadt und Jazz und erschafft damit neue klangliche Welten.

Auch in kleineren Ensembles fühlt sich der Posaunist, Pianist und Komponist zu Hause. Zu seinen aktuellen Projekten gehören das Trio Lauer Westergaard Smith, Duos mit der afroperuanischen Musikerin Laura Robles und dem Pianisten Marc Schmolling sowie Kooperationen mit Moussa Coulibaly, Ahmed Soura und Ofrin.

Johannes Lauers stilistisches Wirken erstreckt sich über New Orleans Jazz bis Avantgarde, von zeitgenössischer Klassik bis experimenteller Pop-Musik oder traditioneller Musik aus Peru, Westafrika, Kolumbien, Brasilien und dem Alpenland.

Seine Fähigkeit des kompositorischen Weltenbummelns hat seine Wurzeln sicherlich in Lauers Biographie. Er wuchs in Ravensburg und Florenz auf, studierte bei Dieter Ammann und Nils Wogram Jazz-Posaune und Jazz-Komposition erst in Berlin und später in Luzern. Lauer war Mitglied des im Bundesjazzorchester (BuJazzo) und reiste schon in jungen Jahren mit Ensembles um die Welt. Unter anderem arbeitete er mit Künstlern wie Tyshawn Sorey, Peter Evans, Chris Speed, Henning Sieverts, Drew Gress, Michael Wollny, Steffen Schorn, dem RIAS Kammerchor, den Big Bands von SWR, NDR und WDR und Christoph Schlingensief. Seinen Lebensmittelpunkt hat Johannes Lauer seit 2008 in Berlin.

Über seine Ideen für den diesjährigen Kurs sagt er folgendes:

„Was den Inhalt des Kurses angeht – ich kann mir da ganz unterschiedliche Themen vorstellen (Ellington, Monk, Shorter, Carla Bley, Jimmy Giuffre, Brasil, Hermeto Pascoal, Tom Harrell, American Songbook). Oder eben die Idee, dass in einem gemeinsamen Prozess neue Kompositionen entstehen. Oder man nimmt sich ein inhaltliches Thema (z.B. so etwas altmodisches wie „Friede“) und daraus ergibt sich dann das Repertoire. Jedenfalls hab ich das Gefühl, es wäre gut, ohne Noten auszukommen.“

Uli Partheil

… ist seit 2021 künstlerischer Leiter der Darmstädter Jazz Conceptions und damit Nachfolger seines langjährigen musikalischen Mentors und Freundes Jürgen Wuchner. Partheil ist einer der aktivsten Protagonisten der Darmstädter Szene, beeinflusst von der Musik Duke Ellingtons, Thelonious Monks, kubanischen Rhythmen und dem Blues. Er ist nicht nur ein versierter Pianist in sämtlichen Stilistiken des Jazz, sondern auch als Komponist tätig. In seinen Werken geht er äußerst kreativ mit den verschiedenen Einflüssen um, die ihn als Musiker prägen.

Uli Partheil studierte an der Mannheimer Musikhochschule unter anderem bei Professor Jörg Reiter Jazzpiano, außerdem Komposition und Arrangement. Seit Beginn der 1990er Jahre arbeitete er mit Jürgen Wuchner, Matthias Schubert, Janusz Stefanski, Ack van Rooyen, Rudi Mahall, Emil Mangelsdorff, Hanns Höhn, Peter Back, dem Wiener Kronenbräu Orchester und vielen anderen zusammen. Als Begleiter ist er auch immer wieder am Staatstheater Darmstadt zu hören. Bis zum Beginn der Pandemie leitete er das von ihm selbst ins Leben gerufene Darmstädter Jugendweltmusikorchester.

Mit seinem Working Trio „Playtime“ ist er in den letzten Jahren mit verschiedenen Literatur- & Jazz-Projekten erfolgreich. Zuletzt veröffentlichte er gemeinsam mit Ulli Jünemann, Ralf Cetto und Angela Frontera den Longplayer „Reflections2020“. Partheil unterrichtet an der Jazz & Pop School Darmstadt. Für seine musikalischen Verdienste und sein Wirken für die Förderung des jazzmusikalischen Nachwuchses erhielt er 2008 den Darmstädter Musikpreis.

Über seine Vorstellungen zum diesjährigen Workshop schreibt er folgendes:

Ich möchte wieder versuchen mindestens ein Stück auswendig und ganzheitlich zu erarbeiten, d.h. die Musiker:innen sollen nicht nur ihren Part, sondern das ganze Werk lernen und verstehen. Dazu werde ich eigene Kompositionen und andere ausgewählte Stücke mitbringen.“

Laura Robles…

Peter Tümmers©

… lebt den Beat. Geboren in Swasiland und aufgewachsen in Peru, fand Robles bereits mit vier Jahren den Zugang zur afro-peruanischen Musik. Seitdem möchte sie die Menschen mit ihren Rhythmen zum Tanzen bringen. Sie spielt Cajón, Batás, Congas und E-Bass und ist eine der wenigen Frauen, die mit ihrem Spiel derartig in der Öffentlichkeit stehen.

Ihre Rolle als Vorbild für junge Instrumentalistinnen ist Laura Robles wichtig. Sie selbst nahm mit 13 ihr Studium am Susana Bacas „Instituto Negro Continuo“ auf und studierte intensiv kubanische Folklore, Popularmusik und die komplexe Musik der Yoruba-Kultur.

Robles gründete die erfolgreichen Bands „Astrocombo“, „Stretch it to The Limit“ und die sozialpädagogische Initiative „Parió Paula“. Sie spielte mit Theater- und Tanz-Kompanien und einigen der renommiertesten Folklore-, Jazz- und Rock-Musikern Perus in Peru und auf internationalen Festivals.

Seit 2012 ist Berlin Laura Robles Wahlheimat. Hier knüpfte sie an ihre Arbeit an und gründete 2012 die Berliner Version ihrer „Astrocombo“. Robles ist eine gefragte Instrumental-Pädagogin und kooperiert in verschiedenen Projekten vom Kindergarten bis in die Hochschule. Sie musizierte gemeinsam mit Johannes Lauer, Joscha Oetz, Almut Kühne, Ahmed Soura, Uli Kempendorff, Greg Cohen, Simon Nabatov, Niels Klein, Pablo Held Trio, Wanja Slavin, Christian Weidner, Bodek Janke, MORF, DUS-TI, Berlin Art Orchestra und Lauer Large. Dabei vergisst sie nie ihre „roots“ und ihre Eigenständigkeit als Musikerin.

Taiko Saito…

Foto: Natalie Savey

… liebt das Experiment. Dabei verliert die musikalische Gestaltenwanderlin Taiko Saito nie ihre Sensibilität für die Wirkung ihrer Instrumente, die durchweg mit Mallets bespielt werden. An Marimba oder Vibraphon regt sie die Zuhörenden  sofort an, innezuhalten. Sie bewegt sich gekonnt zwischen europäischer Kunstmusik und Jazz, zwischen der musikalischen Begleitung von Schauspielstücken der Schaubühne Berlin und der Arbeit in ihren Band- und Soloprojekten.

Taiko Saito wuchs in Japan auf und begann bereits mit sieben Jahren Marimba zu spielen. Sie studierte klassische Marimba und Percussion an der Toho School of Music. Ihr Drang nach freier Komposition und Improvisation zog sie 1997 an die Universität der Künste in Berlin. Dort lernte sie bei Prof. David Friedman Vibraphon und Komposition. Saito gewann zahlreiche Preise, wie den Atelierpreis des Berliner Senats im Jahr 2010.

Ihr reicher musikalischer Fundus erlaubt es der Vibraphonistin in verschiedenen Formationen zu arbeiten. 2003 gründete sie das Duo KoKo mit dem Pianisten Niko Meinhold. Mit ihm spielt sie unter anderem im Trickster Orchester, das 2022 den Deutschen Jazzpreis als bestes großes Ensemble gewann. Auch in diesem Jahr ist sie als Mitglied von Silke Eberhards Potsa Lotsa XL-Ensemble wieder für den Deutschen Jazzpreis nominiert.

Taiko Saito arbeitete außerdem mit Keiko Abe, Satoko Fujii, Yuko Oshima, David Friedman, Tom van der Geld, Eric Sammut, Michael Schiefel, Celine Rudolph, Daniel Matter, Yelena Kuljic, Cymin Samawatie, Kazuhisa Uchihashi, Oli Potratz, Ketan Batti. Sie experimentierte an musikalischen Stücken mit dem Hip-Hop-Künstler und Produzenten Shing02 und der zeitgenössischen Komponistin Sofia Gubaidulina.

Zu ihren Vorstellungen für die Arbeit mit ihrem Ensemble sagt sie folgendes:

„In meinem Workshop geht es um das Öffnen der Ohren, um miteinander zuzuhören und darauf zu reagieren und zu agieren, ohne zu sprechen. Wir werden verschiedene Techniken und Methoden der aktiven Interaktion erkunden, von freier Improvisation bis hin zur minimalen Musik.“

Post von Doc Cheatham

Gerhard Conrad wurde 1929 im polnischen Szamocin geboren. Nach dem Krieg arbeitete er eine Weile als Lehrer in der Nähe von Leipzig, floh aber Anfang der 1950er Jahre nach Westdeutschland und ließ sich in Menden nieder. Neben seiner Arbeit als Lehrer ist er Jazzforschern vor allem durch seine Veröffentlichungen bekannt, die er im eigenen Verlag „Der Jazzfreund“ herausbrachte, und in denen er immer wieder ein Schlaglicht auch auf die Jazzszene im Osten Deutschlands und in anderen Ländern hinter dem Eisernen Vorhang warf. Dazu gehören Bio-Discographien etwa von Kurt Henkels Heinz Wehner oder  Walter Dobschinski, aber auch die mehrbändige „Discographie der Jazz- und Semijazzaufnahmen im Bereich der heutigen Volksdemokratien“ (1982-1991). Conrad verstarb im Jahr 2016.

Conrad pflegte regen Kontakt zum Jazzinstitut und schickte uns regelmäßig Päckchen mit Büchern, Schallplatten, Programmheften, Fotos, Postkarten und Briefen, die er von Musikern aus aller Welt erhalten hatte. Mitte der 1960er Jahre etwa korrespondierte er mit dem Trompeter Doc Cheatham, den er insbesondere über Rex Stewart ausfragte, mit dem Cheatam Anfang der 1930er Jahre zum Beispiel in McKinney’s Cotton Pickers gearbeitet hatte.  Ob er das Gefühl hat, Stewart sei unterschätzt, fragt Conrad, und Cheatham meint, keineswegs, man habe ihn immer als einen der Großen gesehen, nur lebe er halt seit einer Weile in Los Angeles, die Musik aber spiele nun mal in New York. Kalifornien, schreibt Cheatham, sei zum Leben sicher schön, musikalisch aber eher ein Friedhof. Ben Webster habe ihn kürzlich gewarnt an die Westküste zu ziehen, wenn er weiterhin vom Musikmachen leben wolle.

Er würde gern in Deutschland spielen, schreibt Cheatham in einem weiteren Brief, aber angesichts des Rock ’n‘ Roll-Craze hätten Jazzmusiker wie er es schwer. Louis Armstrong gehe es glücklicherweise gut, merkt er an, ansonsten sei das Jazzleben in New York schwierig, selbst das Birdland sei zu einer Diskothek geworden, nur am Montag gäbe es dort noch Jam Sessions. New Orleans-Musik, schreibt er, sei eine wunderschöne und ernsthafte Kunstform, leider fühlten sich zahlreiche Bands zurzeit genötigt, diese Musik eher als Burlesque-Persiflage aufzuführen, mit lustigen Hüten und ähnlichem Klimbim. Er selbst habe gerade einen Gig im Eddie Condon’s Club auf der 56th Street  mit der Max Kaminsky Band.

Sein letzter Brief stammt vom May 1966. Die Dinge laufen besser, schreibt er, deshalb die lange Pause in der Korrespondenz. Gerade spiele er ein Konzert mit Juanita Hall, danach eine Fernsehshow, außerdem Gigs mit Machitos Band. Es sei schwer, fest zu planen, weil Juanita Hall noch nicht wisse, ob sie die Show weiterspielen wolle, also müssten sie halt nehmen, was reinkommt. Ah, der Kugelschreiber gibt gerade auf, sorry für das Gekratze. OK, Conrad, lass bald wieder von Dir hören. Wie immer, Doc Cheatham.

Doc Cheatham, Brief an Gerhard Conrad, 9. September 1964

 

Doc Cheatham, Brief an Gerhard Conrad, 28. September 1964

  

Doc Cheatham, Brief an Gerhard Conrad, 27. Januar 1965

 

Doc Cheatham, Brief an Gerhard Conrad, 20. April 1965

 

Doc Cheatham, Brief an Gerhard Conrad, 26. Juli 1966

 

Doc Cheatham, Brief an Gerhard Conrad, 27. März 1966

 

Download der Briefe als PDF-Datei
(bitte aufs Bild klicken)

 

Jazz in Würzburg 1948-1951

Gleich nach dem Krieg gründeten sich in vielen Städten Westdeutschlands Jazzclubs (oft auch Hot Clubs genannt), nicht als Spielorte für Livemusik, sondern als Vereine, in denen sich Jazzfans trafen, sich über Jazzgeschichte und aktuelle Veröffentlichungen austauschten und, sofern sie selbst Musik machten, die eine oder andere Jam Session organisierten.

Im Jazzinstitut haben wir zahlreiche Dokumente über diese Jazzaktivitäten  der 1940er und 1950er Jahre. Ein gutes Beispiel, wie die Clubs strukturiert und welches ihre Ziele waren, gibt der Dreijahresbericht aus Würzburg für die Jahre 1948 bis 1951. Zugleich ist das Beispiel Würzburg durchaus symptomatisch für ähnliche Clubs in der damaligen amerikanischen Zone.

Bebop, Zoff, wenige Frauen  

Es begann im Mai 1948 mit Plattenabenden und Vorträgen, initiiert vom örtlichen Amerika-Haus, inhaltlich organisiert von Fans, unterstützt aber auch von den amerikanischen Besatzern, die Konzerte sowohl amerikanischer Musiker aus der Army als auch Jam Sessions mit amerikanischen und Deutschen Musikern ermöglichten.

Auf Anregung des Amerika-Haus-Chefs gründete sich im Mai 1949  der Würzburger Jazz-Club als „selbständige Interessengruppe, die losgelöst vom Amerika-Haus ihre eigenen Entscheidungen treffen kann“. Es gab zahlreiche Vorträge über alle Stilrichtungen des Jazz (das Logo des Vereins ist bezeichnenderweise ein stilisierter Dizzy Gillespie-Kopf), bald aber auch Zwist im Vorstand, darüber hinaus heftigen Streit mit der neuen Leitung des Amerika-Hauses, der auch von einem eigens eingeladenen Vertreter des Hot-Club Duisburg nicht geschlichtet werden konnte. Und schließlich gerieten die Jazzer auch noch mit Vertretern der Musikhochschule aneinander, die den Jazz „mit Geflügelzüchter- und Jodlervereinen verglichen“, ihn als eine „Geschmacklosigkeit“, gar eine „Gefahr“ darstellten.

Zum Schluss der Jahresberichte findet sich eine Übersicht über die verschiedenen Aspekte eines Jazz-Clubs in jenen Jahren: über den Ablauf der Clubabende, über die Mitglieder- und Besucherstruktur (Alter zwischen 16 und 28, 15 Prozent weibliche Besucher), über zur Verfügung stehende Privatsammlungen an Schallplatten, Büchern und Zeitschriften, über die künftigen Ziele.

Gleich nach Gründung der Deutschen Jazz Föderation im Mai 1952 wurde der Jazz-Club Würzburg Mitglied dieses Verbandes , der es ja als seine Aufgabe ansah, die Interessen der vielen westdeutschen Clubs zu bündeln. Aus der Korrespondenz mit der DJF haben wir noch vier Schreiben beigehängt, die einen weiteren Einblick ins Clubleben jener Jahre geben.

Viel Vergnügen bei einem Ausflug ins Würzburg der späten 1940er, frühen 1950er Jahre!

Jahresberichte 1948/49, 1949/50, 1950/51
(bitte klicken Sie auf die Abbildungen um in einem neuen Tab auf ein besser lesbares Bild zu gelangen)

 

 

Download des obigen Jahresberichts als PDF-Datei:
(bitte aufs Bild klicken)

Korrespondenz mit der Deutschen Jazzföderation, 1952-54
(bitte klicken Sie auf die Abbildungen um in einem neuen Tab auf ein besser lesbares Bild zu gelangen)

 

 

Kathrin-Preis – Kathrin Lemke Scholarship for Young Jazz improvisers

Seit 2019 wird in Darmstadt der Kathrin-Preis – Kathrin Lemke Scholarship for Young Jazz improvisers verliehen. Der Preis ist nach der 2016 im Alter von nur 44 Jahren verstorbenen Berliner Jazz-Saxofonistin Kathrin Lemke benannt, die am 27. September 1971 in Heidelberg geboren wurde.

Gemeinsam mit Kathrin Lemkes Mutter Irene Lemke-Stein, der Mannheimer DESTAG-Stiftung, dem Internetportal jazzpages.de und der Zeitschrift JAZZTHETIK stiftet das Jazzinstitut Darmstadt die Auszeichnung, die alle zwei Jahre in Form einer vollfinanzierten, einwöchigen Werkstattphase in Darmstadt gewährt wird.

2019 erhielt der Perkussionist Joss Turnbull die Auszeichnung. 2021 die Saxofonistin Luise Volkmann. Die Residenz-Woche des Kathrin-Preisträgers 2023, Robert Lucaciu, fand vom 15. bis 21. Mai 2023 statt. Den Abschluss bildete die offizielle Verleihung des Kathrin-Preises während des Preisträgerkonzerts am 20. Mai 2023 im Wolf Werk Darmstadt.