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LEONEsauvage

[:de]

1. Oktober 2021, 20:00 Uhr

Kathrin-Preis 2021

Preisverleihung und Preisträgerinnenkonzert in der Bessunger Knabenschule
Ludwigshöhstraße 142, 64285 Darmstadt

Eine Veranstaltung im Rahmen des 17. Darmstädter Jazzforums

Roots | Heimat: Wie offen ist der Jazz?

LEONEsauvage

Aufmunternde Worte, Träumen vom Kollektiv, lebensbejahende, kämpferische Hymnen und eine schillernde Mixtur aus Spektakel, Ritual und ausuferndem Getöse posaunt Luise Volkmann mit ihrer Free Jazz Big Band LEONEsauvage heraus.

Das zehnköpfige Ensemble LEONEsauvage ist tatsächlich wild. Träumen von einer Welt, in der Musik ihren Zuhörer:innen das gibt, was ihnen im Leben fehlt: einen Moment der Freiheit, ein Ritual des Loslassens und Ausrastens, ein Zelebrieren von Kreativität und Erfindungsgeist, als Mittel gegen die harte Realität. Und natürlich auch die Gemeinschaft, gegen die Einsamkeit des Einzelnen. Zusammen sind wir stark!

Luise Volkmann | Altsaxofon, Jan Frisch | Stimme, Gitarre, Matthew Halpin | Tenorsaxofon, Connie Trieder | Querflöte, Florian Walter | Baritonsaxofon, Matthias Muche | Posaune, Heidi Bayer | Trompete, Keisuke Matsuno | Gitarre, Florian Herzog | Kontrabass, Dominik Mahnig | Schlagzeug

Luise Volkmann erhält den Kathrin-Preis 2021. Die Kölner Saxofonistin und Komponistin, präsentiert nun mit LEONEsauvage ein zweites Large Ensemble, das in der Tradition des Free Jazz steht. Ganz anders als ihr dreizehnköpfiges Ensemble Été Large, basiert die Musik von LEONEssauvage zu großen Teilen auf kollektiver Improvisation. Ihre Kompositionen tragen Titel wie „Preacher“ oder „The Cool“ und weisen hiermit auf die unterschiedlichen Charaktere in der Band hin, die Volkmann bewusst theatral inszeniert. Es geht um die Persönlichkeit des einzelnen Spielers und darum, wie sich diese einzelnen Farben zu einem gemeinsamen Klang zusammenfügen. Einem Klang, der von Hymnen gespickt ist, die proklamieren: Dreams To Come.

Die Idee zu dem Projekt LEONEsauvage kam Volkmann 2016 in Paris. „Paris ist ein hartes Pflaster: Es gibt viel Obdachlosigkeit auf er Straße. 2016 waren auch immer wieder große Boulevards von Flüchtlingen überschwemmt, die mitten in der Stadt kampierten. Die Stadt ist teuer, Raum ist knapp, die Möglichkeiten zu gestalten sind knapp, die Leute arbeiten hart und vereinsamen. Deswegen wollte ich einen Moment etablieren, der die Pariser für eine kurze Zeit von ihrem Alltag befreit. Kurz ausrasten, frei sein und Kraft in der Gemeinschaft tanken, sich der Härte des Alltags entgegen zu setzen.“ Darauf gründete sie die erste Version von LEONEsauvage mit jungen Musiker:nnen aus Paris. Inspiriert von Sun Ra’s Arkestra, arbeitete das Ensemble an einer mitreißenden Bühnenperformance: Die Musiker:nnen arbeiteten mit Bewegungs-Cues, auffallender Schminke und ließen sich mehrere Male von Schauspieler:innen coachen. Auf der Bühne standen sie immer mit unterschiedlichen Tänzer:innen aus dem Bereich des Zeitgenössischen Tanzes oder des Street Dance.

„Ich habe meine Bachelor-Arbeit über Sun Ra geschrieben und war beeindruckt, wie ganzheitlich er gearbeitet hat. Er hat es meiner Meinung nach geschafft, ein ganzes Konstrukt einer alternativen Welt zu bauen. Mit dieser Errungenschaft wollte ich mich solidarisieren mit LEONEsauvage und ein Ensemble bilden, dass auch politische und soziale Aussagen treffen kann.“

Haltung hat das Ensemble: In dem Stück Hymne pour LEONEsauvage schreien die jungen Musiker dem Hörer entgegen: „Kill your darlings, live the kitsch. We dance down our creed. There’s too many walls ‚round here. Dreams to come, dreams to come. Wild and untamed blowers, yarning, fragile heads. All to make, all to give. Free the music we give.“ Es ermutigt also zum zerbrechlich sein, zum authentisch sein, dazu äußere Zwänge in uns selbst aufzulösen und mit Hilfe der Musik freier zu werden. Hymne pour LEONEsauvage war sozusagen das Gründungsstück der Band.

In dem Stück Preacher singt der Sänger „Let us live an innocent thought of companionship“ oder „Revolt against the negation of love“ und spricht damit ein Thema an, dass Volkmann sehr am Herzen liegt: Die Gemeinschaft. „Wie gesagt hat mich die starke Vereinsamung in Paris immer traurig gemacht. Ich hab immer gelernt, dass man zusammen stärker ist. Das Ensemble LEONEsauvage haben wir auch versucht, als Kollektiv zu organisieren. Das hat manchmal besser, manchmal weniger gut geklappt. Aber auf jeden Fall haben die Konzerte immer eine unheimliche Kraft entfaltet. Ich hatte immer das Gefühl, die ganze Band hat sich wochenlang danach gesehnt, sich fix und fertig zu spielen. Da konnte man die Kraft der Gemeinschaft immer spüren und das Publikum war mitgerissen. Ich hab immer gescherzt und gesagt- meine Free-Jazz-Tanzband“.

Bis ins Jahr 2018 spielte das Ensemble in Paris fast monatlich. Als Volkmann im selben Jahr nach Kopenhagen zog, gründete sie dort die zweite Besetzung von LEONEsauvage, mit der auch die Aufnahmen zu dem Album entstanden. In Kopenhagen traf sie am Rhythmischen Musikkonservatorium auf eine buntes und internationales Konglomerat aus Musiker:innen. Die beiden Sänger der CD sind der portugiesische Jazz- und Popsänger João Neves und der isländische Rocker Hrafnkell Flóki Kaktus Einarsson. Zusammen bilden sie ein stimmungsvolles Duo, das genug Kante und Unschärfe zulässt, die diese Musik braucht. Die vier Saxophonist:innen des Ensembles kommen aus Polen, Deutschland und Argentinien und bilden zusammen einen gewaltigen Klangkörper. Die Rhythmusgruppe besteht aus Jazz- und Improvisationsmusikern aus Frankreich, Italien, Polen und Norwegen. Eine international besetzte Truppe, die zum Tanzen und Ausrasten einlädt.

Tatsächlich wird es dieses Jahr passend zur Veröffentlichung des Albums auch die deutsche Version des Ensembles geben. „Ich denke mit dem Projekt extra megaloman. Die Idee von LEONEsauvage soll die Welt infiltrieren.“ Luise Volkmann gewann 2020 den Kathrin-Lemke-Preis des Jazzinstitut Darmstadt und konnte mithilfe des Preises eine dritte Besetzung aus vorwiegend in NRW lebenden Musiker:innen gründen. Und nicht nur das: Sie konnte in der Residenz in Darmstadt auch weiter zu dem Thema forschen, dass sie im Bezug auf den Free Jazz und Sun Ra interessiert. „Wie gehe ich als deutsche Jazzmusikerin mit dem Erbe der afro-amerikanischen Kultur um? Ich glaube es gibt viel zu wenig Diskurse über diese Frage. Ich bin von der Form der Musik von Sun Ra oder auch dem Art Ensemble of Chicago sehr berührt und möchte mich solidarisieren, möchte davon lernen und möchte vielleicht sogar einen Teil dieser Tradition fortführen. Es ist gar nicht so einfach, dafür den richtigen Ton zu treffen.“ Das Jazzinstitut forscht bei seinem diesjährigen Symposium zu Eurozentrismus und bietet hier Luise Volkmann die Möglichkeit die langjährige Arbeit mit dem Ensemble und ihre Nachforschung zum Free Jazz und afro-amerikanischer Musik zu präsentieren.

Das Album „Dreams To Come” kommt gerade zur richtigen Zeit und setzt der schwierigen und komplexen Zeit, die hinter uns liegt, Optimismus und Aktivismus entgegen. „Ich sehe die Musik im Herzen der Gesellschaft. Ich glaube daran, dass Kreativität das Mittel ist, mit dem man Umbrüche meistern kann und mit der das Leben noch lebenswerter und bunter wird.“

 


Konferenz:
Von Donnerstag, 30. September, bis Samstag, 2. Oktober 2021, diskutieren wir über „Roots | Heimat: Wie offen ist der Jazz?“ (mehr…)


Ausstellung:
Ab 4. Oktober 2021 zeigen wir in der Galerie im Jazzinstitut (und während der Konferenz auch im Konferenzraum) die Ausstellung „Jazzgeschichten in Rot und Blau“ mit Plakaten des Schweizer Künstlers Niklaus Troxler. (mehr…)

Weitere Fragen bitte an jazz@jazzinstitut.de


Das 17. Darmstädter Jazzforum wird gefördert von 

[:en]1 October 2021, 8:00pm
Concert at Bessunger Knabenschule (Ludwigshöhstraße 142, 64285 Darmstadt)
This concert is part of the 17th Darmstadt Jazzforum about „Roots | Heimat: Wie offen ist der Jazz?“

LEONEsauvage

Uplifting words, dreams of the collective, life-affirming, combative hymns and a dazzling mixture of spectacle, ritual and sprawling bluster trumpeted out by Luise Volkmann and her free jazz big band LEONEsauvage.

The ten-piece ensemble LEONEsauvage is indeed a wild one. Dreaming of a world where music gives its listeners what they lack in life: a moment of freedom, a ritual of letting go and letting loose, a celebration of creativity and inventiveness, all of this a remedy against the harsh reality. And of course, community, which helps against the loneliness of the individual. Together we are strong!

Line-up: Luise Volkmann | altosax, leader, Jan Frisch | voice, guitar, Sebastian Gille | tenorsax, Connie Trieder | flute, Florian Walter | baritonsax, Matthias Muche | trombone, Heidi Bayer | trumpet, Keisuke Matsuno | guitar, Florian Herzog | bass, Dominik Mahnig | drums

Luise Volkmann is a Cologne-based saxophonist and composer who now presents LEONEsauvage, her second large ensemble in the free jazz tradition. Quite different from her thirteen-piece ensemble Été Large, LEONEssauvage’s music is largely based on collective improvisation. Their compositions bear titles such as „Preacher“ or „The Cool“, thus pointing to the different characters in the band, which Volkmann deliberately stages theatrically. It is about the personality of the individual player and how these individual colors come together to form a common sound. A sound peppered with hymns that proclaim: Dreams To Come.

Volkmann got the idea for the LEONEsauvage project in Paris in 2016. „Paris is a tough place: There is a lot of homelessness on the streets. In 2016, large boulevards were also repeatedly flooded with refugees camping out in the middle of the city. The city is expensive, space is scarce, opportunities to create are scarce, people work hard and become lonely. That’s why I wanted to establish a moment that would free Parisians from their daily lives, and if only for a short time. To briefly escape, to be free, and to gather strength in community, to confront the harshness of everyday life.“ These ideas, then made her found the first version of LEONEsauvage with young musicians from Paris. Inspired by Sun Ra’s Arkestra, the ensemble worked out a rousing stage performance: the musicians worked with movement cues, eye-catching make-up and had actors coach them several times. On stage they were always accompanied by different dancers from the field of contemporary dance or street dance.

„I wrote my bachelor’s thesis on Sun Ra and was impressed by how holistically he worked. He managed, in my opinion, to build a whole construct of an alternative world. It is an achievement I wanted to show solidarity with by forming LEONEsauvage as an ensemble that could also make political and social statements.“

The ensemble certainly has a wider attitude: In the piece „Hymne pour LEONEsauvage“, the young musicians scream at the listener: „Kill your darlings, live the kitsch. We dance down our creed. There’s too many walls ‚round here. Dreams to come, dreams to come. Wild and untamed blowers, yarning, fragile heads. All to make, all to give. Free the music we give.“ The song encourages being fragile, being authentic, dissolving external constraints in ourselves and becoming freer with the help of music“. Hymne pour LEONEsauvage“ was, so to speak, the founding piece of the band.

In the track „Preacher“, the singer sings „Let us live an innocent thought of companionship“ or „Revolt against the negation of love“ and thus addresses a topic that is very close to Volkmann’s heart: Community. „As I said, the intense loneliness in Paris has always made me sad. I’ve always learned that you’re stronger together. We also tried to organize the ensemble LEONEsauvage as a collective. Sometimes it worked better, sometimes not so well. But in any case, the concerts have always unfolded an incredible power. I always had the feeling that the whole band had been longing to play for weeks. You could always feel the power of community and the audience was carried away. I always joked and called it ‚my free jazz dance band'“.

Until 2018, the ensemble played in Paris almost on a monthly basis. When Volkmann moved to Copenhagen that same year, she formed the second lineup of LEONEsauvage there, with whom she also recorded the album. In Copenhagen, she met a colorful and international conglomeration of musicians at the Rhythmic Music Conservatory. The two singers on the CD are Portuguese jazz and pop singer João Neves and Icelandic rocker Hrafnkell Flóki Kaktus Einarsson. Together they form an atmospheric duo that allows enough edge and fuzziness that this music needs. The ensemble’s four saxophonists come from Poland, Germany and Argentina, and together they form a formidable body of sound. The rhythm section consists of jazz and improvisational musicians from France, Italy, Poland and Norway. An international troupe that invites you to dance and go wild.

In fact, this year, to coincide with the release of the album, there will also be the German version of the ensemble. „I think with the project extra megalomaniac. The idea of LEONEsauvage is to infiltrate the world.“ Luise Volkmann won the Jazzinstitut Darmstadt’s Kathrin-Preis in 2020 and, with the help of the award, could form a third lineup of musicians mainly living in Northrhine-Westfalia. But not only that: she could also continue her research on the topic, on free jazz and on Sun Ra during a residency in Darmstadt. „As a German jazz musician, how do I deal with the heritage of African-American culture? I think there is far too little discourse on this question. I am very touched by the form of the music of Sun Ra or also the Art Ensemble of Chicago and want to show solidarity, want to learn from it and maybe even want to continue a part of this tradition. It’s not so easy to strike the right note for that.“ The Jazzinstitut’s fall conference in 2021 focuses on „Roots | Heimat“, and at the conference Luise Volkmann will have the opportunity to present her many years of work with the ensemble as well as her research on free jazz and African-American music.

The album „Dreams To Come“ comes just at the right time, countering the difficult and complex times that lie behind us with optimism and activism. „I see music at the heart of society. I believe that creativity is the means by which you can master upheavals and with which life becomes even more livable and colorful.“

 

 


Conference:
From, Thursday, 30 September, through Saturday, 2 October 2021, we will be discussing about „Roots | Heimat: Wie offen ist der Jazz? (more…)


Exhibition:
From 4 October 2021 the gallery of the Jazzinstitut shows the exhibition „Jazz Stories in Red and Blue“ with posters created by Swiss artist and jazz promoter Niklaus Troxler. Some posters will be shown at the conference venue during the Jazzforum. (more…)


If you have any further questions, fee free to write us at jazz@jazzinstitut.de


Das 17. Darmstädter Jazzforum wird gefördert von

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[:de]Jazzgeschichten in Rot und Blau[:en]Jazz Stories in Red and Blue[:]

[:de]Niklaus Troxler / Grafische Kunst

Willisau ist ein kleines Schweizer Städtchen im Zentrum von Europa. Hier trifft sich seit Mitte der 1960er Jahre die wegweisende Internationale Jazz Avantgarde.

Der Schweizer Grafiker Niklaus Troxler ist der Name hinter den Konzerten und dem  legendären Willisau Jazz Festival. Über die Programmgestaltung hinaus hat er insbesondere mit seinen weltbekannten Plakatentwürfen dem Jazz in Willisau sein einzigartiges  künstlerisches Gesicht gegeben. Es ist ein weltumspannendes /kulturübergreifendes  geprägtes Gesamtkunstwerk aus Musik, Kunst und Performing, das Niklaus Troxler seit Mitte der 1960er Jahre in Willisau entwickelt hat.

Die Ausstellung „Jazzgeschichten in Rot und Blau“ nähert sich anhand von grafischen Werken dem ästhetischen Verständnis von Niklaus Troxlers, der den Jazz als Anregung für innovative grafische Ansätze nutzt. Für diese Ausstellung hat er dem Jazzinstitut  viele noch wenig gezeigte Plakate auch in kleinerem Format zur Verfügung gestellt.

Niklaus Troxlers Plakate stehen für Gebrauchskunst mit Kultcharakter. Er übersetzt den Jazz und die Begegnungen mit den Musiker:innen  in seine eigene Bildwelt, die durch Farben, Formen und Typografie geprägt ist. In unzähligen Variationen seiner sehr variantenreichen Bildsprache versucht er das für ihn Typische in der Musik einzufangen. So werden Instrumente zu Symbolen, Buchstaben zu Umrissen, Formen und Farben zu Bewegungsmustern. Denn alles was Niklaus Troxler am Jazz spannend findet, fasziniert ihn auch am Bild: die Mischung aus Komposition und Offenheit und damit auch die Improvisation und der Zufall.

Gerade sein enger persönlicher Kontakt zu den Musiker:innen und der Musik inspirieren ihn immer wieder zu den unterschiedlichsten Stilistiken.  Es gibt nicht den typischen „Troxler-Stil“. Genau das macht seine Kunst zeitlos und besonders.

Und so bilden in seinem Œuvre auch das kleine Heimatdorf „Willisau“ ganz natürlich mit der New Yorker Free Music Szene eine künstlerische Einheit.


Ausstellung
4. Oktober bis 31. Dezember 2021 in der Galerie des Jazzinstituts Darmstadt
geöffnet Mo, Di, Do 10 -17 Uhr, Fr 10 -14 Uhr (bitte melden Sie sich an!)



Das 17. Darmstädter Jazzforum wird gefördert von

[:en]Niklaus Troxler / Graphic art

Willisau is a small Swiss town in the center of Europe. It is also the place where the pioneering international jazz avant-garde has been meeting since the mid-1960s.

Swiss graphic designer Niklaus Troxler is the name behind the concerts and the legendary Willisau Jazz Festival. Beyond the program design, he has given jazz in Willisau its unique artistic face, especially with his world-famous poster designs. It is a global/cross-cultural shaped synthesis of music, art and performing that Niklaus Troxler has developed in Willisau since the mid-1960s.

The exhibition „Jazz Stories in Red and Blue“ uses graphic works to focus on Niklaus Troxler’s aesthetic understanding of jazz as a stimulus for innovative graphic approaches. For this exhibition, he has provided the Jazzinstitut with many rarely shown posters, in bigger as well as in smaller formats.

Niklaus Troxler’s posters stand for commercial art with cult character. He translates jazz and the encounters with the musicians into his own visual world, which is characterized by colors, shapes and typography. In countless variations of his varied visual language, he tries to capture what is typical for him in the music. Thus instruments become symbols, letters become outlines, shapes and colors become patterns of movement. The reason behind this: everything that Niklaus Troxler finds exciting about jazz also fascinates him about the picture: the mixture of composition and openness and thus also improvisation and chance.

It is precisely his close personal contact with the musicians and the music that inspires him time and again to create in differerent styles. Thus, there is no typical „Troxler style“. Perhaps it is this fact that makes his art timeless and special.

And so, in his œuvre, his small hometown of „Willisau“ naturally forms an artistic unity with the New York free music scene.


Exhibition

30 September through 2 October 2021 during the conference at the conference venue

4 October through 31 December 2021 at the Jazzinstitut Darmstadt’s gallery
open: Monday, Tuesday, Thursday 10am-5pm, Friday 10am-2pm


Conference:
From, Thursday, 30 September, through Saturday, 2 October 2021, we will be discussing about „Roots | Heimat: Wie offen ist der Jazz? (more…)


Concert:
On Friday evening, 1 October 2021, Luise Volkmann and LEONE sauvage at Bessunger Knabenschule. (more…)


If you have any further questions, fee free to write us at jazz@jazzinstitut.de[:]

[:de]Dozentinnen und Dozenten 2021[:en]Teachers[:]

[:de]

Peter Back …

… in diesem Jahr das Jugendensembles leiten zu lassen, war für alle Beteiligten eine naheliegende Entscheidung. Der neue künstlerische Leiter Uli Partheil kennt und schätzt den in Linsengericht lebenden Saxophonisten seit vielen Jahren. Schließlich war der Tenorist immer wieder die bereichernde Saxophonstimme in Partheils Jazz & Literatur-Projekten.

Foto: Peter Back (privat)©

Insbesondere auch für sein pädagogisches Engagement wurde Back 2016 mit dem Kulturpreis des Main-Kinzig-Kreises ausgezeichnet.

Peter Back ist Saxophonist, Arrangeur und Komponist in sehr unterschiedlichen Formationen … und er ist leidenschaftlicher Fotograf mit einem ausgezeichneten Blick für die originellen Details im Großen-Ganzen. Und genauso wie der Fotograf Back in seinen Bildern, findet auch der Saxophonist Back eben genau jene originellen Details in einem an sich vertrauten Musikstück oder einer geläufigen Melodie, die es schließlich zu etwas Außergewöhnlichem machen. Peter Back besticht durch unaufgeregte Eleganz und Leichtigkeit; ganz gleich ob er die Sängerin Melanie Hövel begleitet, im Duo mit hr-Bigband Saxophonist Heinz-Dieter Sauerborn agiert oder oder sich für den Pianisten Uli Partheil auf literarische Weltreisen begibt. Ein anderes Mal kann er die Musik mit modaler Rasanz vorantreiben, etwa im so bedeutenden Jazzensemble des Hessischen Rundfunks, mit dem er 2009 den Hessischen Jazzpreis erhielt, groovt geschmackvoll-sphärisch mit dem Popjazz-Projekt DePhazz  oder klingt erdig und Blues-getränkt, etwa mit den Soul Jazz Dynamiters um den Frankfurter Gitarristen Martin Lejeune.

Über seine Vorstellungen zum diesjährigen Ensemble, das er leiten wird, schreibt Peter Back folgendes:

„In dem Ensemble möchte die Hauptformen des Jazz (Blues, AABA, 16 Takter) anhand von oft gespielten und nicht zu schweren Standards vorstellen. Davon ausgehend werde ich versuchen die Teilnehmer zu eigenen Kompositionen und Arrangements zu ermutigen. Auch ist mir wichtig, das Aufeinanderhören und  das Hineinversetzen in die verschiedenen Rollen (Rhythmusgruppe-Solist-in) einer Jazzcombo bewusst zu machen.“

Maike Hilbig …

… hat zwar Kontrabass studiert, aber man hört es nicht“, heißt es ganz kokett auf Ihrer Webseite. Und in der Tat hat Hilbig mit ihrem individuellen Zugang zu Spiel und Komposition die mancherorts grauen Säle der Akademien weit hinter sich gelassen und ist ihrem sehr eigenständigen Weg gefolgt. Was dabei herauskommt, bewegt sich musikalisch meist zwischen zeitgenössischem Jazz Berliner Prägung und traditioneller freier Improvisation. Als Komponistin verspürt sie dabei nach eigenem Bekunden den Einfluss von den frühen Anfängen Lil Hardins in den Roaring Twenties bis zur Chicagoer Freejazz-Bewegung des AACM der späten 1960er Jahre.

Foto: Manuel Miethe©

Eine ausgesprochen enge musikalische Beziehung pflegt Maike Hilbig in unterschiedlichen Projekten mit den vormaligen Darmstadt-Dozent:innen Silke Eberhard („Matsch & Schnee“), Gerhard Gschlössl und Johannes Fink („Vorwärts/Rückwärts“) und der Schlagzeugerin Lucia Martinez (u.a. im Bob Spice Quartet).

Videomitschnitt bei ARTE-TV vom Konzert mit Satchie am 19. Dezember 2020 im Palais de la Musique et de la Danse in Strasburg

Stephan Meinberg …

ist ein Trompeter mit vielfältigen Identitäten. Gerne spielt er auch Euphonium, ein vierventiliges Flügelhorn oder Piccolo-Trompete. Stephan Meinberg sieht sich als „Jazz“-Musiker mit grundsätzlich multistilistischer, nach sehr vielen Seiten offener Orientierung und oft interessiert ihn gerade das Sich-Ergänzen oder Verschmelzen verschiedener Positionen. So auch im Verhältnis von Improvisation und Komposition in seinen Stücken für das Quintett „ViTAMiNE“ sowie die kollektiven Bands „Heelium“, „moLd“ und „Arnie Bolden“, mit diesen Gruppen veröffentlichte er insgesamt sieben CDs.

Foto: Stephan Meinberg (privat)©

Als Sideman arbeitete Stephan Meinberg u.a. mit Matthäus Winnitzkis Trio „Cnirbs“, dem Nils-Wogram-Septet, André Nendza „A-Tronic“, Dieter Glawischnig Hamburg Ensemble, Salsa-Gruppen von Javier Plaza und Bazon Quiero, der NDR-BigBand (unter Leitung von Steve Gray, Maria Schneider, Bob Brookmeyer, und vielen anderen). Für das Goethe-Institut spielte Stephan Meinberg in Afrika, Asien, Europa und Nordamerika. Er studierte zunächst europäische Klassik an der Musikhochschule Lübeck, dann Jazz an der Musikhochschule Köln und absolvierte 1999/2000 als DAAD-Stipendiat ein zusätzliches Studienjahr an der New School in New York, wo er von vielen Jazzgrößen wie Saxophonist Billy Harper oder dem John Coltrane-Bassisten Reggie Workman unterrichtet wurde.

Über seine Vorstellungen zum diesjährigen Ensemble, das er leiten wird, schreibt Stephan Meinberg folgendes:

4-X-H-Y-Tet
Wir sind alle einzigartig und gleich und das ist wunderbar. Wir sind Ensemble: wir beziehen uns auf einander, produzieren uns durch und in einander, differenzieren uns von einander oder stimmen überein. 
Miteinander sind wir spielend hörend schwingend klingend lebendige Körper in Zeit(en) und (Wiederhall-)Raum und dort vollzieht sich etwas mit wie durch uns. Es geschieht im Moment, hat zugleich anknüpfbare Vorgeschichten – 8.324.571.906 Weisen, Dialekte, Sprachen – als auch Aufsuchen noch nicht gekannter Wege. Zum Ausdruck bringen, wie es ist und werden möge. Laute-Pausen-Erzählen. Doch was ist mit Bäumen und Fahrrädern?“

Musik von Stephan Meinberg auf SoundCloud

Mitschnitt der „Together Alone“-Session der NDR-Bigband mit dem Posaunisten Ingo Lahme.

Axel Pape …

… studierte Jazz- und Popularmusik an der Hochschule für Musik in Stuttgart und an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Er war Stipendiat der Villa Musica und der Zukunftsinitiative des Landes Rheinland-Pfalz.

Foto: Axel Pape (privat)©

Seither ist Axel Pape in verschiedene Projekte im Bereich Jazz und zeitgenössischer Musik eingebunden, spielt u.a. im Trio des Pianisten Sebastian Sternal und im Emil Mangelsdorff Quartett. Pape absolvierte Konzertauftritte in Clubs und auf Festivals im In- und Ausland und konnte bisher bei Produktionen für den HR, SWR und WDR mitwirken. Axel Pape hat einen Lehrauftrag für Schlagzeug, Rhythmik und Ensemble an der Universität Mainz und am Dr. Hoch’s Konservatorium in Frankfurt.

Über seine Vorstellungen zum diesjährigen Ensemble, das er leiten wird, schreibt Axel Pape folgendes:

„Inhaltlich hatte ich mir vorgestellt, mit meinem Ensemble „Bilder zum klingen zu bringen“, sozusagen deren Stimmungen einzufangen und zu vertonen. Dafür würde ich zum einen verschiedene Bilder vorstellen und zum anderen verschiedene Herangehensweisen vorschlagen, diese musikalisch zu beschreiben. Diese Ansätze sollen ganz unterschiedlich sein – mal frei und spontan oder aber kalkuliert/organisiert bis komponiert, mehr harmonisch/melodischer Natur oder eher rhythmisch. Auch das Erarbeiten (Verarbeiten) eigener Kompositionen findet in diesem Konzept platz.“

Uli Partheil

… ist einer der aktivsten Protagonisten der Darmstädter Szene, beeinflusst von der Musik Duke Ellingtons, Thelonious Monks, kubanischen Rhythmen und dem Blues. Er ist nicht nur ein versierter Pianist in sämtlichen Stilistiken des Jazz, sondern auch als Komponist tätig. In seinen Kompositionen geht er äußerst kreativ mit den verschiedenen Einflüssen um, die ihn als Musiker prägen. Nach 3 Jahren Jugendensemble wird Uli Partheil in diesem Jahr wieder ein „Erwachsenen-Ensemble“ übernehmen.

Foto: Wilfried Heckmann©

Uli Partheil studierte an der Mannheimer Musikhochschule, unter anderem bei Professor Jörg Reiter Jazzpiano, Komposition und Arrangement. Seit Beginn der 1990er Jahre arbeitet er mit Jürgen Wuchner, Matthias Schubert, Janusz Stefanski, Ack van Rooyen, Rudi Mahall, Daniel Guggenheim, Wolfgang Puschnig, Thomas Siffling, dem Wiener Kronenbräu Orchester, dem Palatina Swing Orchestra und vielen anderen zusammen.

Mit seinem Working Trio „Playtime“ ist er in den letzten Jahren mit verschiedenen Literatur- & Jazz-Projekten erfolgreich. Partheil unterrichtet an der Jazz & Pop School Darmstadt. Für seine musikalischen Verdienste und sein Wirken für die Förderung des jazzmusikalischen Nachwuchses erhielt er 2008 den Darmstädter Musikpreis.

Über seine Vorstellungen zum diesjährigen Workshop schreibt er folgendes:

„Ich werde ein paar neue Stücke von mir mitbringen. Ich würde gerne versuchen auswendig zu spielen. Für mindestens ein Stück wird es gar keine Noten geben. Das ist am Anfang etwas mühsam, lohnt sich aber. Außerdem möchte ich daran arbeiten einfache Dinge zu tun, diese aber so gut wie irgend möglich. Wir werden in jedem Fall auch ein Stück von Jürgen Wuchner spielen.“

[:en]Sorry, this page is not available in English.[:]

[:de]Das Jazz Conceptions-Jugendensemble[:en]CANCELLED: Jazz Conceptions youth ensemble[:]

[:de]

unter der Leitung von Peter Back

Auch 2021 wollen wir versuchen ein reines Jugendensemble zu bilden, das vom 19. bis 24. Juli 2021 unter Anleitung eine eigenes, kurzes Konzertprogramm erarbeitet, welches  im Rahmen des Abschlusswochenendes auf großer Bühne in der Bessunger Knabenschule öffentlich präsentiert wird. Geprobt wird immer vormittags in der Akademie für Tonkunst, direkt um die Ecke der Knabenschule, bzw. eine Straßenbahn-Haltestelle weiter.

Foto: Rolf Oeser©

Der Saxophonist und Musikpädagoge Peter Back, der seit vielen Jahren Leiter der Jazzausbildung an der Musikschule des Main-Kinzig-Kreises ist sucht für die Darmstädter Jazz Conceptions junge Musiker/innen zwischen ca. 14 und 22 Jahren, die bereit sind, jeden Tag zwei bis drei Stunden volle Konzentration auf die Musik zu richten und dabei alles zu geben. Im Prinzip ist dieses Ensemble für alle Instrumente offen. Die Teilnehmerzahl ist allerdings begrenzt.

Sollten sich dennoch bis zum 30. Mai 2021 nicht genügend „junge“ Interessenten finden, wird Peter Back eine altersoffene Gruppe mit angepasstem Inhalt leiten.

Die Improvisation und das spontane Reagieren spielen natürlich immer eine wichtige Rolle. Mit den Jugendlichen möchte Back die Hauptformen des Jazz (Blues, AABA, 16 Takter) anhand von oft gespielten und nicht zu schweren Standards vorstellen. Davon ausgehend werden die Teilnehmer:innen zu eigenen Kompositionen und Arrangements ermutigt. Vor allem soll die Bedeutung des Aufeinander-Hörens und das Hineinversetzen in die verschiedenen Rollen (Rhythmusgruppe-Solist:in) einer Jazzcombo bewusst gemacht werden. Der Kurs ist auch für junge Instrumentalist/innen ohne große Banderfahrung offen. Das Wichtigste bleibt immer: Der Spaß am Musikmachen! Sich mit offenen Ohren dem Abenteuer aus Rhythmus, Groove, Spannung, und Auflösung voll hinzugeben.

Anmeldung: Der Kurs kostet 80,- Euro für die ganze Woche. Wir bitten, sich bei Interesse aus Gründen der besseren Koordinierung unbedingt zunächst schriftlich oder telefonisch bei Peter Back zu melden. Nicht jedes Instrument kann mehrfach belegt werden. Auch bei inhaltlichen Fragen steht Peter Back zur Verfügung.

contact@peterback.de oder Tel. 06051 / 67223

Erst nach Absprache mit Peter Back, bitten wir die Teilnehmer/innen sich über das Onlineformular (-> hier gehts zur Anmeldung) anzumelden. Bei Teilnehmer/innen unter 18 Jahren benötigen wir zusätzlich zur Online-Anmeldung eine schriftliche Einverständniserklärung der Erziehungsberechtigten (Bitte am ersten Kurstag mitbringen).[:en]sorry, no English version available[:]

JazzNews 2021

Wir lesen die Morgenzeitung für Sie!

Die Presseberichte, die wir in dieser Rubrik zusammenfassen, finden sich übrigens in unserem Archiv in herkömmlicher (papierner) sowie in digitaler Form. Wenn Sie an den kompletten Artikeln zu den auf dieser Seite notierten Meldungen interessiert sind, wenden Sie sich bitte per e-mail an uns. Darüber hinaus verweisen wir auf unseren Jazz-Index, die weltweit größte computergestützte Bibliographie zum Jazz, in der neben Büchern und Zeitschriften auch aktuelle Presseberichte aus Tages- und Wochenzeitungen gelistet sind. Sie können Auszüge aus dem Jazz-Index zu bestimmten Stichworten (also beispielsweise konkreten Musikernamen) kostenlos per e-mail erhalten. Noch ein Hinweis zu den Links auf dieser Seite: Einige der verlinkten Artikel sind ohne Anmeldung nicht einsehbar; bei vielen Online-Zeitungen ist die Lektüre älterer Artikel kostenpflichtig. Bitte beachten Sie, dass die Zusammenfassungen und die Übersetzungen auf dieser Seite unsere Zusammenfassungen und Übersetzungen sind. Wenn Sie die hier gelisteten Artikel zitieren wollten, sollten Sie zu den Originalquellen greifen.

Autor der JazzNews (deutsch wie englisch): Wolfram Knauer

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Inhaltsverzeichnis (deutsch; English content scroll down please)

Content (English)

Neue Bücher 2021

At Home in Our Sounds. Music, Race, and Cultural Politics in Interwar Paris
von Rachel Anne Gillett
New York 2021 (Oxford University Press)
235 Seiten, 53 Britische Pfund
ISBN: 978-0-19-084270-3

Die Kulturhistorikerin Rachel Anne Gillett nimmt sich in ihrem Buch ein oft behandeltes Thema vor: den die populäre schwarze Musik im Paris zwischen den beiden Weltkriegen. Doch wer dabei eine weitere Abhandlung über amerikanische Jazzmusiker in Paris erwartet, über die Faszination der Stadt an der Seine für amerikanische Künstler im allgemeinen, über die afro-amerikanische Exilszene in der französischen Hauptstadt, die davon schwärmte, hier freier und mit weniger Rassismus leben zu können als in den USA, wird enttäuscht… dafür aber belohnt mit einer Studie, die daran erinnert, dass schwarze Musik in Paris – und hier kann man ergänzen: schwarze Musik in Europa – in jenen Jahren eben nicht nur von US-amerikanischen Musiker:innen gespielt wurde, sondern dass es daneben jede Menge anderer schwarzer Musiker gab, die aus Französisch-Westafrika oder den französischen Antillen stammten, die sich wegen der Jazzmode hierzulande aber oft genug amerikanisierte Namen gaben. Tatsächlich ließen sich zahlreiche US-Musiker – das bekannteste Beispiel ist Louis Armstrong – bei ihren Tourneen auf dem Alten Kontinent von Bands begleiten, deren Mitglieder aufs Publikum wie Amerikaner wirkten, tatsächlich aber Briten oder Franzosen schwarzer Hautfarbe waren.

Gillett nimmt diese Tatsache zum Anlass nach den verschiedenen Abstufungen von Rassismus in der französischen Gesellschaft zu fragen, die es Musikern einerseits erstrebenswert schienen ließ, sich auf der Bühne als Amerikaner auszugeben, die andererseits Jazz spielten, eine ungemein produktive Musik, die ja jeden, ob Franzosen europäischer oder sonstiger Herkunft ermutigte, etwas Eigenes zuzugeben, Manouchetraditionen im Falle Django Reinhardts oder die Biguine, die sie aus dem karibischen Inselstaat Martinique mitgebracht hatten. Diese beiden Themenkomplexe  also stehen im Zentrum ihres Buchs: der Unterschied im französischen Rassismus und die Entwicklung eigener Stilsprachen, in denen Jazz und insbesondere afro-karibische Elemente zusammenkamen.

Im ersten Kapitel beschreibt Gillett den Erfolg des Jazz in den 1920er Jahren, der einerseits eng mit dem „tumulte noir“ verknüpft war, dem Einfluss afrikanischer und afro-amerikanischer Kunst und Performance auf die zeitgenössische Kunst und Musik im Paris jener Zeit, der andererseits schwarzen Parisern zum ersten Mal deutlich machte, dass in der Mehrheitsgesellschaft offenbar mit zweierlei Maß gemessen wurde, je nachdem, ob sie es mit der willkommenen Mode des Jazz zu tun hatte oder mit Menschen mit franko-kolonialer Vergangenheit. Gillett verweist dabei auch auf schwarze Aktivistengruppen und zeichnet die Diskurse der Zeit nach.

Im zweiten Kapitel behandelt die Autorin den Erfolg afro-amerikanischer Musiker:innen im Europa jener Jahre, die Erfahrung einer von weit weniger, zumindest aber erheblich anderen rassistischen Regeln geprägten Gesellschaft als daheim in den USA. Sie nennt Namen wie Ada ‚Bricktop‘ Smith, eine Sängerin, die ab 1924 einen Nightclub führte, in dem sich nicht nur die Hautfarben mischten, sondern auch die Celebrities Amerikas und Frankreichs. Sie beschreibt aber auch, wie Künstler:innen etwa aus Martinique die Chance ergriffen und in dieser Szene mitmischten. Zugleich erwähnt sie die unterschiedliche Lebenswirklichkeit weißer, afro-amerikanischer und schwarzer französischer Musiker:innen und wie ihr jeweiliges Bewusstsein in Bezug auf politischen Aktivismus oder gesellschaftliche Verhältnisse zu einer Art politischem schwarzen Kosmopolitismus führte.

1931 fand die sechsmonatige „Exposition Coloniale“ in Paris statt, bei der die Diversität der Kulturen und Ressourcen der französischen Kolonien vorgeführt werden sollten. Gillett beschreibt, wie wichtig unterschiedliche Arten von Performance bei dieser  Ausstellung waren, die – ähnlich wie bei Völkerschauen in Deutschland – zeigen sollten, wie die Menschen in anderen Teilen der Welt lebten und arbeiteten. Daneben gab es über-stilisierte Volkstänze und Volksmusik, die zuhause einer community-Funktion dienen mochten, hier aber zu rein stereotypen Klischees verkamen. Gillette zitiert aus Berichten über die Ausstellung, die solche Stereotype weitertragen, diskutiert aber auch die Kritik, die von anti-kolonialen Gruppen und Netzwerken kam. Die Ausstellung sei ein großer Erfolg für die Veranstalter gewesen, schreibt sie, wozu die Musik erheblich beigetragen habe. Auch für einige der beteiligten Musiker machte sich die Teilnahme an der Exposition bezahlt gemacht, den Klarinettisten Alexandre Stellio beispielsweise, dessen Band im Pavillon von Martinique gespielt hatte und die Popularität und Sichtbarkeit der antillischen Biguine in Frankreich anschob. Er und andere Kolleg:innen erhielten erfolgreiche Anschlussengagements in Pariser Clubs und Music-Halls.

Kapitel 4 ordnet den Erfolg der Biguine kulturpolitisch ein. Anders als der Blues oder der Charleston habe es sich hierbei eben um eine genuine Tradition von Menschen gehandelt, die in Frankreich lebten, war der Biguine zwar auch Export, aber einer also, der in der Kultur kolonialer französischer Subjekte verankert war. Gillett beschreibt die Erklärungsversuche der Zeit, wie sich Biguine und Jazz unterschieden, sie beschreibt Biguine zugleich als eine Musik, die es karibischen Musikern ermöglichte sich mit dieser Mischung aus afro-amerikanischen und eigenen traditionellen Momenten zu identifizieren. Und sie beschreibt Biguine als eine Community-Praxis, als Tanz, der Menschen unterschiedlicher Klassen und beider Geschlechter erreichte und einband.

1935 fiel Italien in Äthiopien ein. Im selben Jahr feierte man in Frankreich die 300jährige Kolonialisierung der Antillen. Höhepunkt der Feier war eine „Nuit Antillaise“ in der Pariser Oper, die auch der Präsident besuchte, bei der Stellio auftrat und die Biguine und andere antillische Folklore zu erleben war – die Komponistin und Sängerin Maïotte Almaby schrieb eine spezielle Biguine für den Abend. Anti-Kolonialisten missfiel das romantisierte Bild, das auf der Nuit Antillaise präsentiert wurde; sie kritisierten auch, dass bei den hohen Eintrittspreisen die antillischen Arbeiter in Paris, deren Kultur hier ja auch gefeiert wurde, ganz bestimmt nicht dabei sein konnten. Gillette beschreibt die durch die Musik, aber auch die Berichte über Italiens Einmarsch in Äthiopien in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre ausgelösten Diskurse, eine neue Welle von Fremdenfeindlichkeit und Faschismus in ganz Europa. Und sie beschreibt, wie letztlich die deutsche Besatzung und der II. Weltkrieg den durchaus selbstbewussten Forderungen der anti-kolonialistischen, afro-französischen Community ein vorläufiges Ende bereitete. Als Hitler in Paris darauf angesprochen wurde, dass amerikanische Schwarze zur Kultur der Stadt erhebliches beigetragen hätten, antwortete er angeblich: „Wir werden zahlreiche Aufführungen der führenden Künstler aus aller Welt hier haben, aber die werden alle dem nordischen Ideal nachstreben.“

Im letzten Kapitel wirft Gillett noch einen Blick auf die Folgen des Kriegs für die Akzeptanz des Jazz einerseits und das Leben und die Kunst insbesondere antillischer Musiker andererseits. „Die Spannung zwischen Dazugehören und Französischsein“, schreibt sie, „charakterisieren noch heute die Diskurse in der französischen Gesellschaft und Musik, wie das lebendige und auch politisch engagierte Genre des französischen HipHop zeigen mag. Musik hat die Geschichte des schwarzen Frankreich geformt. (…) Die schwarze Kulturpolitik, die das Paris zwischen den Kriegen charakterisierte, klingt auch im 21sten Jahrhundert nach.“

Rachel Anne Gilletts Buch ist also keine Geschichte des Jazz im Paris der 1920er und 1930er Jahre. Mit ihrem Blick auch die Black Community – und zwar sowohl die afro-amerikanische wie auch die afro-französische – öffnet sie aber das Bewusstsein ihrer Leser:innen dafür, dass Musik schon in dieser Zeit nie nur eine Einbahnstraße war, nicht bloß US-amerikanischer Export, der hierzulande nur rezipiert wurde, sondern schon damals sehr direkt als Möglichkeit der Identifikation genutzt wurde, von afro-amerikanischen genauso wie afro-französischen Musiker:innen. Gillett verweist dabei auf Perspektiven, die sich auch in anderen europäischen Ländern beleuchten ließen, jenen mit langer kolonialer Vergangenheit wie insbesondere England, Spanien, Portugal und Italien genauso wie jenen mit vergleichsweise kurzer kolonialer Geschichte wie Deutschland. Ansätze für solch eine Auseinandersetzung existieren bereits; Gillett zeigt, wie wichtig der Perspektivwechsel sein kann, um den Diskurs aus unterschiedlichen Warten verstehen zu lernen.

Wolfram Knauer (April 2023)


Steve Lacy (unfinished)
herausgegeben von Guillaume Tarche
Nantes 2021 (Lenka Lente)
478 Seiten, 27 Euro
ISBN: 979-10-94601-40-2

Steve Lacy war eine faszinierende Persönlichkeit. Ein Musiker, der mit 16 Jahren anfing traditionellen Jazz zu spielen und mit 22 auf Cecil Taylors Debutalbum „Jazz Advance“ mitwirkte, der kurzzeitig Mitglied in Thelonious Mons Band war, dessen Stücke zeitlebens in seinem Repertoire blieben, dann Teil der europäischen Avantgarde/Free-Jazz-Szene wurde, erst in Italien, dann in Paris, von wo aus er mit seinem Sextett tourte, ab den 1970er Jahren aber immer wieder auch als Solist auf dem Sopransaxophon auftrat. Auf einem Instrument, das nach dem großen Sidney Bechet kaum ein Saxophonist mehr angerührt hatte, weil sein Beispiel einfach zu einflussreich war. Eigentlich war John Coltrane der einzige neben Lacy, der auf dem Instrument neue Wege beschritt (und Coltrane, erinnert sich Urs Leimgruber, hatte das Instrument aufgenommen, weil Lacy gezeigt hatte, dass man sich von Bechet lösen konnte). Lacy jedenfalls entwickelte einen ganz eigenen Ton, und aus dem Ton eine eigene Handschrift, die man sowohl in seinen Kompositionen wie auch seinen Improvisationen erkennen konnte. Diese Geradlinigkeit in seinem Spiel beeinflusste Musiker:innen weit über seine eigene Instrumentenfamilie hinaus, insbesondere in Europa, wo er den Ruf hatte, die Freiheit des Free Jazz mit einem Groove zu vermählen, der mal boppig klang, mal wie ein französisches Chanson, mal nach Monk, dann nach europäischer Avantgarde.

Lacys Biographie allein wäre ein Buch wert, und Jason Weiss hat ein solches bereits 2006 veröffentlicht, zwei Jahre nach Lacys Tod. Guillaume Tarche nähert sich Lacy von einer anderen Seite. Er lässt dessen Mitmusikerinnen und Mitmusiker zu Worte kommen, Kolleg:innen, die durch Lacys Musik nachhaltig geprägt und beeinflusst wurden, amerikanische und europäische Künstler, Mitglieder seiner Band und Projektpartner über die Jahre. Er fragte sie nach ihren Erinnerungen, danach, was sie in Lacys Musik hörten. Das Ergebnis sind 44 Kapitel, die jedes für sich von anderer Warte Lacys Musik, seine Persönlichkeit, seinen Einfluss beleuchten.

Die Sängerin und Geigerin Irène Aebi etwa erzählt, wie sie sich in Lacy verliebte, als dieser in Rom lebte. Martin Davidson beschreibt die ganz unterschiedlichen Seiten in Lacys Herangehensweise an Musik. James Lindblom erinnert an die Beziehung Lacys zu Lindbloms Tante, der Malerin Judith Lindblom, in den Mitt-1950er Jahren und zitiert aus Briefen zwischen den beiden. Guillermo Gregorio traf Lacy 1966 in Buenos Aires und vergleicht die Stadt, die Lacy kennenlernte mit der, in der er, Gregorio, lebte. Alvin Curran erinnert sich an Lacys Mitwirkung bei der Gruppe Musica Elettronica Viva 1968 in Rom. Ken Carter beleuchtet die späten 1960er und frühen 1970er Jahre, in denen er mit Lacy spielte. Allan Chase erinnert an die Zeit in den frühen 2000ern, als Lacy am New England Conservatory unterrichtete.

Evan Parker, Bruno Tocanne, Andrea Centazzo, Etienne Brunet, Jason Weiss, Christoph Gallio, Elsa Wolliaston, die Harfenistin Suzanna Klintcharova erinnern sich an ihren Kollegen und der Klarinettist Ben Goldberg berichtet von einer Unterrichtsstunde, die er 1986 in Paris beim Saxophonisten nahm. „I wanted to know how he did it“, schreibt Goldberg. Es seien die Melodien gewesen, die Lacy spielte, die ihn faszinierten, die Struktur, die er aus den Noten baute. Goldberg erinnert sich an Lacys Übemethoden, Skalen langsam spielen, während man im Raum herumläuft, jeder Ton ein Schritt, so dass die Töne unabhängiger voneinander werden. „Wenn du nur lang genug im Dunekln sitzt“, sagte ihm Lacy, „wirst du irgendwann das Licht sehen.“ Und Urs Leimgruber erzählt von seiner eigenen anfänglichen Begeisterung für Bechet und Coltrane und darüber, wie Lacy in Nickelsdorf im Publikum saß, als er einmal einen Soloset spielte, außerdem erinnert er sich, dass er ihn ab und zu in seinem Pariser Apartment übern hörte, von dem er nicht weit entfernt wohnte.

Phillip Johnson analysiert Lacys „Prospectus“; Bill Shoemaker druckt ein Interview ab, das er 1999 mit dem Sopransaxophonisten führte. Roberto Ottaviano und Vincent Lainé beschäftigen sich mit Lacys Auseinandersetzung mit Poesie und dem Dichterischen. Dave Liebman lobt Lacys „consistency“ und nennt ihn einen „long distance runner“. Uwe Oberg erinnert sich, dass ihm Lacy anfangs gar nicht so gefallken habe und wie er erst nach seinem Tod auf die Idee gekommen sei eine Band um die Kompositionen des Saxophonisten herum zu bauen, das Quartett Lacy Pool, dem anfangs ganz bewusst kein Saxophonist angehörte. Evan Parker und Seymour Wright schließlich hören gemeinsam Aufnahmen aus Lacys Diskographie und unterhalten sich über seine musikalische Entwicklung.

Lacys Kompositionen sind mehrere Kapitel gewidmet, unter anderem zwei analystische von Frank Carlberg und Jorrit Dijkstra sowie ein weiteres von Josh Sinton. Die Bedeutung der Musik Thelonious Monks für Lacy streichen Jacques Ponzio und Peter Katz heraus. Jon Raskin kommentiert eine Platte der Band ROVA, auf der diese Lacy-Stücke interpretiert; Steve Adams steuert die Partitur für zwei Arrangements bei, die er für Rova über „The Throes“ und „Clichés“ schrieb. Gilles Laheurte erinnert sich an eine Japantournee des Saxophonisten, und Jason Weiss beschließt das Buch mit einer Reflektion darüber, was das Wesen in Steve Lacys Musik ausmachte: der einzelne Ton.

Guillaume Tarches Buch ist eine mehr als gelungene Annäherung an Steve Lacys Musik. Gerade in der Vielgestalt der Berichte und Erinnerungen, der Analysen und Gespräche kommen unterschiedliche Seiten der Künstlerpersönlichkeit zum Tragen. Es ist ein Taschenbuch, doch ein dickes. Und weil es so viele Seiten aufschlägt, hätte man sich einen Index gewünscht, der Querverweise erschließen ließe. Aber das ist – zumindest für diesen Leser – auch das einzige Manko einer Labor of Love und einer würdigen Verbeugung vor einem großartigen Musiker. Steve Lacy (unfinished) – vielleicht nicht vollended, aber ein guter Anfang für eine eingehende Beschäftigung mit seiner Musik!

Wolfram Knauer (Oktober 2022)


Beneath Missouri Skies. Pat Metheny in Kansas City 1964-1972
von Carolyn Glenn Brewer
Denton/TX 2021 (University of North Texas Press)
266 Seiten, 24,95 US-Dollar
ISBN: 978-1-57441-823-1

„Genies kommen nicht einfach aus dem Nichts“, lobt Peter Erskine das Buch, das Carolyn Glenn Brewer der Jugend des Gitarristen gewidmet hat, der Zeit zwischen seinem 10. und 18. Lebensjahr, um genau zu sein. Sie beginnt 1964, als Pat die Beatles bei ihrem ersten Auftritt in einer US-amerikanischen Fernsehshow sieht, und sie endet 1972, also zwei Jahre bevor er Mitglied der Gary Burton Band wird.

In der Familie Metheny spielte man Trompete, und auch der jüngste Sohn sollte diese Tradition fortführen, aber als Pat die Beatles gesehen hatte, wollte er unbedingt eine elektrische Gitarre. Für selbstverdiente 60 Dollar kaufte er sich sein erstes Instrument und begann mit Freunden in einer Beat-Band zu üben. Dann aber hörte er erst Miles Davis‘ „‚Four‘ & More“, dann Wes Montgomery’s „Goin‘ Out of My Head“, und er hatte ein neues musikalisches Ziel.

Brewer begleitet Metheny beim Jazzcamp, erlebt ihn, wie er immer wieder erstaunt ist, auf verwandte Seelen zu treffen, Leute in seinem Alter, die sich genau wie er für Jazz interessierten vielleicht sogar einige der Größen so verehrten wie er. Sie erzählt vom New Sounds Trio und vom National Stage Band Camp, an dem Pat mit Freunden teilnahm und sich von einem der Lehrer, Attila Zoller, jede Menge technische Kniffs abschaute. Sie zeichnet das Bild der verschiedenen Communities, in denen Pat seinen Weg zwischen Nachahmung der Vorbilder und Experiment gehen konnte. Sie beschreibt Workshops in Kansas City und deren Effekt auf die lokale Szene; sie verweist auf das jährliche Kansas City Jazz Festival, bei dem neben den großen Namen immer auch lokale Talente auftraten. Hier hörte Pat seinen großen Helden zum ersten Mal live, Wes Montgomery, und holte sich ein Autogramm. Bei diesen Festivals wurde den weißen Jungen auch mehr als zuvor bewusst, dass ihr Interesse einer Musik galt, die von Afro-Amerikanern geschaffen worden waren, ein Bewusstsein für die Problematik des Rassismus, die in jenen Jahren (Ermordnung Martin Luther Kings) auch in den Straßen von Kansas City deutlich zu spüren war.

In Kansas City jedenfalls hatte Pat dann auch seinen ersten regelmäßigen Gig, 16 bis 19 Uhr zum Dinner an vier Abenden in der Woche. Die Band spielte Standards und Stücke aus dem Repertoire Wes Montgomerys, aber offensichtlich auch zu viele Monk-Stücke, die den Restaurantbesuchern nicht ganz so gut gefielen, so dass ihnen bereits nach zwei Wochen gekündigt wurde. Als er einmal beim Konzert eines anderen Ensembles einstieg, war der Pianist beeindruckt: „Ich würde ihm gern alle Finger brechen“, sagte er scherzhaft – Pat Metheny war auf dem Weg zum Weltklasse-Gitarristen. Auch andere in der Musikszene wurden auf ihn aufmerksam.

Brewer beschreibt die im Jazz besonders wichtige Meister-Schüler-Beziehung, etwa am Beispiel des Trompeters Dave Scott, einem von Methenys Jugendfreunden, den Clark Terry unter seine Fittiche nahm und ihm sowohl musikalisch wie auch menschlich einiges mit auf den Weg gab. Sie beschreibt Gigs zwischen Dinnermusik und Fusion, die verschiedenen Locations, in denen Metheny sein Handwerk lernte, sowie Mentoren und Kollegen, die seine Entwicklung beeinflussten. Und sie beendet sein Buch mit dem Schulabschluss Methenys und seinem Umzug zum Musikstudium in Miami.

Carolyn Glenn Brewers Buch ist eine sehr unübliche Biographie, die beispielhaft zeigt, wie wichtig die musikalische Prägephase für Jazzkünstler:innen ist. Sie wirft den Blick auf die Musik selbst, vor allem aber aufs musikalische Umfeld, auf Menschen, Orte, Chancen – und daneben die jugendliche Hingabe, die junge Musiker über sich selbst hinauswachsen lassen kann. Sie zeigt, wie wichtig die Dokumentation lokaler Szenen sein kann, und eben nicht nur an den bekannten Standorten dieser Musik. Und sie ermutigt solche Dokumentationen weitsichtig auch für andere Regionen, Zirkel, Musiker:innen zu erstellen.

Wolfram Knauer (August 2022)


Ode to a Tenor Titan. The Life and Times and Music of Michael Brecker
von Bill Milkowski
Guilford/CT 2021 (Backbeat Books)
374 Seiten, 31,95 US-Dollar
ISBN: 978-1-4930-5376-6

Bill Milkowski ist ein erfahrener Journalist und Mitarbeiter vieler internationaler Fachzeitschriften. Sein jüngstes Buch widmet sich dem Leben und der Musik des Saxophonisten Michael Brecker, einem der vielleicht einflussreichsten Musiker des ausgehenden 20sten Jahrhunderts. Von seinem Einfluss zeugen zahlreiche Statements von Kollegen, die Milkowski im Vorwort sammelt. Er habe nur einmal den Fehler gemacht ein Solo nach Brecker zu spielen, erinnert sich etwa David Sanborn. Andere schwärmen von seiner Virtuosität, seiner bewundernswerten Technik. Sein Einfluss sei so dominant gewesen, erklärt Joshua Redman, dass man einfach eine Meinung zu ihm haben musste, schon aus dem einfachen Grund, weil sein Sound, sein musikalisches Konzept so überzeugend gewesen seien, dass diese die Fähigkeit nahezu aller jüngerer Saxophonisten gefährdet hätten, einen eigenen Weg zu finden.

Tatsächlich war in den 1980er und 190er Jahren nicht nur in den USA von „Brecker Clones“ die Rede, von Musikern also, die technisch perfekt klangen, denen man aber (anders übrigens als Brecker selbst) gern mal die Originalität und emotionale Tiefe absprach. Egal in welchem Kontext er arbeitete, argumentiert Milkowski, ob im bebop-beeinflussten modernen Jazz, in Jazzrock-Gruppen wie den Brecker Brothers mit seinem Bruder Randy, ob er mit Popstars zusammenspielte oder Claus Ogermans Suite „Cityscape“ interpretierte, überall habe er zu überzeugen gewusst. Dabei sei der Saxophonist ungemein bescheiden geblieben, ein liebenswerter und empathischer Mensch. Herbie Hancock erinnert sich: „Jedes Solo, das Michael spielte, war einfach nur brillant. Wir kamen von der Bühne und ich sagte ihm: ‚Michael, das war einfach unglaublich.‘ Und er antwortete nur: ‚Oh, Mann, das tut mir leid.‘ Er entschuldigte sich!“

Milkowksi beginnt in Michael Breckers Kindheit in einem hochmusikalischen Haushalt. Ein Großonkel hatte 1916 den Roseland Ballroom in Philadelphia gegründet, den er drei Jahre später nach New York umzog und wo in der Swingära alle großen Bigbands der Zeit auftraten. Sein Vater hatte ein Klavier, ein Schlagzeugset und einen Kontrabass im Wohnzimmer stehen, und es habe immer wieder Jam Sessions zuhause gegeben. „Ich dachte lange Zeit“, erinnert Michael sich, „das machen alle Familien so.“ Milkowski erzählt von Breckers Anfängen auf der Klarinette, seinem Wechsel erst zum Alt-, dann zum Tenorsaxophon und vom Einfluss seines größeren Bruders Randy. Er weiß um Breckers Studium und erste Auftrittserfahrungen, etwa in einer Band zusammen mit dem Trompeter Randy Sandke, in der die Musiker bereits mit einer Fusion zwischen Jazz und Rock experimentierten.

1969 kam Brecker nach New York und wurde durch seinen Bruder schnell rumgereicht, der sich zwischenzeitlich in der Band von Horace Silver einen Namen gemacht hatte, aber auch gute Kontakte in die Studioszene besaß. Milkowski hört sich Michaels erstes Studioalbum an, eingespielt unter dem Namen seines Bruders im legendären Rudy van Gelder-Studio, und er verfolgt den Erfolg der Band Dreams, in der Randy, Michael und Billy Cobham zusammen wirkten. Mike kam ins New York der großen Lofts, in denen Musiker (wie auch andere Künstler) auf ganzen Fabriketagen lebten und arbeiteten, und Milkowski beschreibt die Szene anschaulich, in der Brecker herausstach, weil er einerseits technisch brillant war, dabei aber auch die die Wurzeln seines Instruments im Blues und R&B kannte.

1974 waren Randy und Mike mit Yoko Ono auf Tournee, die alle Beteiligten als reinstes Desaster erinnern, aber auch als Beginn der Brecker Brothers Band, die im Januar 1975 erstmals in Studio ging. Milkowski hört sich die Alben an und spricht mit Zeitzeugen der Aufnahmen. Michael gehörte zu den aktivsten Musikern der Szene jener Jahre, wie sein Kalender des Jahres 1977 zeigt: Aufnahmen mit Hank Crawford, der J. Geils Band, mit Chet Baker, Charles Earland, Arif Mardin, Bob James und Fred Wesley, mit Bette Midler, Phoebe Snow, Patti Austin und Paul Simon, dazu zahlreiche Werbegigs.

Brecker hatte seit Hochschultagen gern getrunken; in den 1970er Jahren wechselte er vom Alkohol zum Heroin. Bob Mintzer erklärt Milkowski, wie Heroin ihm selbst den Mut gegeben habe in Situationen zu spielen, in denen er sich normalerweise zurückgehalten hätte, und Milkowski zitiert Jimmy Heath, Heroin habe halt keinen Einfluss auf die musikalischen Fähigkeiten, er selbst habe sich unter Heroin sogar besser konzentrieren können als unter irgend einer anderen Droge. Brecker also war oft unter Drogeneinfluss, was sein Spiel vordergründig nicht störte. Heroin oder bald darauf Kokain waren die Drogen der Zeit. In den 1970er, erinnert sich David Liebman, sei eigentlich jeder von irgendwas high gewesen.

1977 mieteten die Breckers zusammen mit einer Partnerin einen Club auf der Seventh Avenue South an, den sie immerhin acht Jahre lang betrieben. Neben dem normalen Programm feierten die Breckers dort den Release ihrer neuesten Alben. Michael blieb auf unterschiedlichem stilistischen Terrain aktiv, spielte mit Joni Mitchell, nahm ein Album mit Pat Metheny auf, ein anderes mit Chick Corea und wirkte in der Band Steps Ahead mit. Er lebte sein Leben auf der Überholspur, doch irgendwann merkte er, dass er das Junkie-Dasein nicht mehr ertragen mochte. Im Dezember 1981 begab Michael Brecker sich in eine Entzugsklink in Florida, im Januar 1982 begann er, zurück in New York, sein Leben neu zu ordnen.

Nach dem Entzug sei Brecker ein anderer Mensch gewesen, schreibt Bill Milkowski, und zitiert zahlreiche Kollegen, die Michaels neuen Fokus zu schätzen wussten, aber auch seine Unterstützung anderer drogenabhängiger Musiker. Auch sein Privatleben entspannte sich, als er seine spätere Frau Susan kennenlernte. Er machte Aufnahmen mit Steps Ahead und wagte 1987 endlich eine eigene Band auf die Beine zu stellen. Wir erfahren von Breckers Problemen mit einer Hernie im Kehlkopf und Versuchen mit einem Stützband um den Hals, mit leichtgängigeren Mundstücken oder mit elektronischen Instrumenten wie dem EWI zumindest zeitweise Linderung zu erfahren. Er tourte mit Paul Simon und trat wieder zusammen mit seinem Bruder auf, er spielte mit McCoy Tyner und Elvin Jones, den früheren Begleitern seines Idols John Coltrane, und mit Herbie Hancock, auf dessen „The New Standard“-Album er mitwirkte. Er spielte mit amerikanischen genauso wie mit europäischen Bands. Im Saxophone Summit traf er außerdem auf seine Freunde und Kollegen Joe Lovano und Dave Liebman, und er wirkte auf Charlie Hadens „American Dreams“ mit.

Anfang der 2000er Jahre hatte Brecker immer wieder mit starken Rückenschmerzen zu kämpfen, und im Herbst 2004 wurde bei ihm MDS festgestellt, eine Erkrankung des Knochenmarks. Im Sommer 2005 ging er zu einer Chemotherapie ins Krankenhaus; gleichzeitig wurde weltweit nach Stammzellenspendern gesucht. Im Juni 2006 stand Michael Brecker zum ersten Mal nach einem Jahr wieder auf der Bühne, zu einem Konzert aus Anlass von Herbie Hancocks 60stem Geburtstag. Er nahm eine weitere Platte auf, „Pilgrimage“, dann wurde er im Oktober des Jahres mit der Diagnose akute Leukämie konfrontiert. Seine Freunde verabschiedeten sich von ihm, am 13. Januar 2007 starb Michael Brecker in einem Krankenhaus in Manhattan.

Bill Milkowski erzählt Michael Breckers Geschichte mit viel Wissen und mit Empathie. Es sind die empathischen Passagen seines Buchs, die sich zügig lesen; an anderen Stellen hindert manchmal die Menge an Fakten. Milkowski hat mit zahlreichen Freunden, Kollegen, Weggefährten des Saxophonisten gesprochen, deren Einschätzungen Breckers als Saxophonist, als Mensch, als Künstler sich schon mal verdoppeln. Hier hätte Milkowski vielleicht gut getan, das eine oder andere Zitat wegzulassen, zumal er die Weggefährten noch einmal in einem Anhang zu Wort kommen lässt.

Eine kritische Biographie ist sein Buch gewiss nicht geworden, dafür ist Milkowski zu sehr Fan der Musik Michael Breckers. Das macht aber nichts, weil Milkowski seine Position von vornherein klarstellt und man als Leser weiß, aus welcher Warte das alles erzählt wird. Aus Sicht dieses Lesers jedenfalls bleiben insbesondere Passagen über Breckers Zielgerichtetheit in Erinnerung, die genauso seine Musik beeinflussten wie auch seine Abwendung von den Drogen ermöglichten. Und dann wird man, immer noch eine der wichtigsten Begleiterscheinungen bei der Lektüre von Biographien, angeregt, zahlreiche Aufnahmen wiederzuhören, das lyrische „Cityscape“ von 1982 etwa, einige der Fusionplatten der 1970er, Herbie Hancocks „New Standard“ und natürlich all die Aufnahmen unter seinem eigenen Namen. Und da es Milkowski gelingt, seinen Helden mit allen Stärken und Schwächen darzustellen, meint man nach der Lektüre tatsächlich einen anderen Brecker zu hören als zuvor, wissend, was es braucht um zu der Meisterschaft zu gelangen, für die Michael Brecker bis heute berühmt ist.

Wolfram Knauer (Juli 2022)


Ein bissl Bebop bevor ich geh‘. Die Autobiographie von Heinz von Hermann
von Heinz von Hermann
Wien 2021 (MyMorawa)
490 Seiten, 19,50 Euro
ISBN: 978-3-99125-849-0

Heinz von Hermann: ein Name, der aus der bundesdeutschen Bigbandlandschaft der 1960er bis 1980er Jahre nicht wegzudenken ist: Max Greger, SFB (Paul Kuhn), RIAS, Peter Herbolzheimers Rhythm Combination & Brass, Zusammenarbeit mit den Bigbands des NDR und des Hessischen Rundfunks, Tausende Aufnahmen als Studiomusiker mit Stars aus den unterschiedlichsten Welten der Unterhaltung, Arrangements für eine Vielzahl an Bands, Solist, der sich in modernen Zusammenhängen genauso wohlfühlt wie im Swing. Aber: „Ein bissl Bebop bevor ich geh'“: Der Titel seiner Biographie erklärt dann doch recht deutlich, an welcher Musik sein Herz hängt.

Jetzt hat Heinz von Hermann seine Autobiographie veröffentlicht, ein Buch voller Geschichten, voller Erinnerungen, voller Namen, voller Musik. Zu erzählen hat er ja wirklich viel: über die Jugendzeit in Wien, erste Banderfahrungen am Kontrabass, bevor er mit der Uzi Förster Band nach Deutschland kommt, mit Peter Herbolzheimer in Nordafrika spielt, mit Gerry Hayes in Holland. Er lebt und arbeitet fast vier Jahre lang in Spanien, beginnt dann 1968 seine Bigbandkarriere, in der er internationale Stars begleitet, aber immer auch als Solist zu Gehör kommt. Er unterrichtet, gibt Workshops, veröffentlicht Platten unter eigenem Namen sowie Übungsbücher für Saxophonisten.

Von all dem handelt dieses Buch auch, zu all dem finden sich lesenswerte Anekdoten auf den fast 500 Seiten. Vor allem aber handelt es von Heinz von Hermann, von seiner Sicht auf die Welt und die Jazzszene, von seinen sehr persönlichen Erlebnissen und Begegnungen, von seinem Lebensweg, nicht immer gerade, aber am Ende doch ziemlich zielgerichtet. Er macht dabei aus seinem Herzen keine Mördergrube, erinnert sich ziemlich genau an die Empfindungen über Kollegen, Kritiker, Stilrichtungen, die ihm mal imponierten, die ihn aber durchaus auch mal irritiert zurückließen.

Sein Buch ist dabei so persönlich geschrieben, dass man gar nicht auf die Idee käme, es als eine objektive Berichterstattung über 70 Jahre österreichisch-deutsche Jazzgeschichte zu lesen. Stattdessen lässt man sich schnell und dankbar auf die Anekdoten ein, und auch auf seine unverstellt offene und subjektive Meinung. Ja, manchmal wird’s etwas zu kleinteilig, wenn man das Gefühl hat, Heinz von Hermann fällt aber auch zu jedem Konzert jeder Band, mit der er jemals gespielt hat, noch eine weitere Geschichte ein. Doch auch dann lohnt es sich weiterzublättern und dabei vielleicht unerwartete Anekdoten zu entdecken, die nicht unbedingt Jazzgeschichte erzählen, immer aber die Stimmung der Zeit wiedergeben, das Lebensgefühl, aus dem heraus Hermann und viele seiner Kollegen Musik machten.

Heinz von Hermann ist mittlerweile 85 Jahre alt. Er spielt immer noch, in Wien mit seiner eigenen Band, auf Tour z.B. mit Joe Haiders Sextett. Er hat seinen ganz eigenen Sound, tief verwurzelt im afro-amerikanischen Jazz der Postbop-Ära, kraftvoll und antreibend. Ein wenig von diesem Sound hat er auch in die Zeilen seines Buchs transportiert, ein herrlich swingendes Solo über … sein Leben mit dem Bebop.

Wolfram Knauer (Juni 2022)


Anthony Braxton. Creative Music
von Timo Hoyer

Hofheim 2021 (Wolke)
728 Seiten, 68 Euro
ISBN: 978-3-95593-000-4

Es ist schon ein dicker Wälzer: über 700 Seiten stark, Hardcover mit Lesebändchen, und wer denkt, die Hälfte davon wird wahrscheinlich die Diskographie ausmachen, täuscht sich.

Timo Hoyer ist eigentlich Erziehungswissenschaftler, daneben aber auch Fan der Musik Anthony Braxtons, oder, wie er selbst es ausdrückt, „friendly experiencer“, und er kann diese Haltung sogar datieren, auf den 17. März 1989 nämlich, als er sich, ohne genau zu wissen, was ihn erwarten würde, das Anthony Braxton Trio auf der Jazzwoche Burghausen anhörte (20).

Es wurde eine Art Erweckungserlebnis: Danach sammelte er jede Platte, derer er habhaft werden konnte, reiste dem Saxophonisten und Komponisten hinterher, erst per Auto und Zug durch Europa, dann sogar in die USA. Er erwähnt all das, weil er gleich zu Beginn klarstellen will, dass er, nicht anders als andere Biographen Braxtons, nicht neutral, sondern parteiisch ist. Und diese Haltung macht sein dickes Buch dann durchaus auch zu einem Schmöker.

Hoyer teilt sein Werk in zwei Teile: knapp 220 Seiten Biographisches sowie gut 400 Seiten über die Musik. Dann folgen doch noch etwa 50 Seiten „Apparat“ einschließlich Diskographie und Bibliographie.

Also los: „Biografische Komplexitäten“ überschreibt Hoyer den Beginn des ersten Teils. „My life has been very beautiful and complex“, zitiert er den Saxophonisten, und dieser Komplexität versucht der Autor dann auf die Spur zu kommen. Familie sei für ihn nicht nur seine biologische, erklärt Braxton, sondern genauso „die vibrationale und die konstituierende“. Hoyer widmet sich aber erst einmal der biologischen. Er beschreibt die Lebensbedingungen (ganz allgemein) auf der schwarzen South Side Chicagos, verweist auf musikalische Traditionslinien, die sich rein geographisch mit den Lebenslinien des jungen Anthony überschneiden, als Einflüsse oder als Abgrenzungspotenzial. So sei Chicago ja die eigentlich US-amerikanische Bluesmetropole gewesen, doch habe Braxton eine „sonderbare Distanz“ zum Blues gehegt, weil, zitiert ihn Hoyer: „I wanted to, I had to, find my own spaces.“ (34)

Eine starke Mutter erzog ihn und seine Geschwister „mit religiöser Ernsthaftigkeit“, und ernstgenommen habe er die spirituelle Suche auch später, etwa, als er, angeregt durch Chick Corea, der Church of Scientology beitrat, die er dann aber schnell wieder verließ, „weil er um seine Gedankenfreiheit bangt“ (37). Selbst von seiner Familie sei er wegen seiner musikalischen Vorlieben und seines intellektuellen Interesses schief angeguckt worden. Im Washington Park von Chicago, einer Art Speaker’s Corner, hörte er theoretischen, religiösen und weltanschaulichen Debatten zu, daneben bewunderte er den Westernstar Roy Rogers und den Raketenkonstrukteur Wernher von Braun. Im College belegte er Kurse über Philosophie, war aber vor allem in der Musikfakultät zu finden, wo er zusammen mit anderen späteren Größen afroamerikanischer Musik studierte, bis er bei einem Auftritt des nur fünf Jahre älteren Roscoe Mitchell merkte, dass der „sein überwältigendes Können (…) nie und nimmer auf dieser grundsoliden, aber nicht gerade experimentierfreudigen Bildungseinrichtung erworben haben“ konnte(43). Er meldete sich zur Armee, hoffend, dass er durch die Mitwirkung in der Army Band selbst auch zu so einem Profi werden könne.

Nächste Station: Familie. Hoyer beginnt die auch hier vorherrschende Komplexität zusammenzufassen und beschreibt: Beziehungen, die zu keiner festen Bindung führten; dann eine Hochzeit wie aus einem Fellini-Film im Intellektuellen- und Künstler-Refugium Woodstock, New York; drei Kinder, größte Geldprobleme, die schon mal dazu führten, dass den Braxtons der Strom und das Telefon gesperrt wurden; schließlich eine Festanstellung, befristet erst am Mills College in Kalifornien, unbefristet dann am Wesleyan College in Connecticut. Die finanzielle Sicherheit ermöglichte ihm zwar die Realisierung einiger Projekte, half aber nicht die Familie zusammenzuhalten. Es kam zur Trennung, und Hoyer beschreibt anschaulich die „complexities“, die innerhalb der Familie zu tiefen Verwürfnissen geführt hätten, zwischen Braxton und seiner Ex-Frau genauso wie seinen Kindern.

„Musiker werden“: Als Jugendlicher hört Braxton Rock ’n‘ Roll und Doo-Wop-Ensembles. Er hört die Musik Ahmad Jamals und ist begeistert. Er fängt an Platten zu sammeln, aber keinesfalls die Avantgarde seiner Zeit, also nicht Parker, Coleman, Taylor, sondern Dave Brubeck. „I liked the more melodic players“ erklärt er, Paul Desmond oder Jackie McLean, Warne Marsh, Johnny Hodges, Eric Dolphy (56). In seinem Werk wird er den Heroen seiner Jugend immer wieder Tribut zollen – Tristano etwa –, auch wenn die Musiker dieser Heldengeneration seine Ehrungen oft verständnislos entgegennehmen (58).

„Das erste Anthony Braxton Ensemble ist eine Doo-wop-Gruppe!“ betont Hoyer (58), dann will Anthony Trompete spielen wie Miles Davis, dann Saxophon wie Paul Desmond. Er beginnt auf der Klarinette, nimmt ein Sopransaxophon dazu, dann ein Alt und Privatunterricht. Er habe immer schon einen etwas unüblichen Geschmack gehabt, erläutert Braxton: „I was the only African American in the United States who would go to a jam session and call ‚Take Five'“ (61).

1963 gründet er sein erstes Quartett, spielt Standards und Bebop-Nummern. Und hier kommt die bereits erwähnte Begegnung mit Roscoe Mitchell ins Spiel, die ihn entscheiden ließ, sich für die Armee zu verpflichten. Anderthalb Jahre spielt er Marschmusik und Musicalhits, Swing und für Marschkapelle umgeschriebene Wagner-Titel, studiert nebenbei die Musik Charlie Parkers, aber auch jene seiner Zeitgenossen, John Coltrane und Ornette Coleman. Nebenbei belegt er in Chicago Kurse in Musikwissenschaft, bei denen er die Ignoranz der Lehrenden nicht verstehen mag, die sich eher über Schönberg aufregen, als dass sie Stockhausen oder John Cage Respekt zollten. Hier auch entsteht Braxtons erste Komposition „Piano Piece No. 1“, die sich anhört, „als wären dem späten Schönberg oder dem frühen Stockhausen beim Komponieren Flügel der Improvisation gewachsen“ (65).

In der Armeekapelle lernt Braxton jede Menge, ist aber einziger Schwarzer unter vielen Weißen, sicher auch ein Grund, warum er sich jetzt auch politisch für die Bürgerrechtsbewegung interessiert. Die zweite Hälfte seiner Armeezeit verbringt er in Seoul, wo die Eigth Army Band, der er jetzt angehört, stationiert war. In Seoul hört er Schönbergs „Drei Klavierstücke op. 11“ und ist geflasht. Er, der schon zuvor gemerkt hatte, dass er von Genregrenzen nicht viel hält, entdeckt, dass überall auf der Musik geforscht wurde, dass es sich daher lohnt, sich selbst den entlegensten, alten wie zeitgenössischen Werken zu nähern, um die Diskurse zu verstehen, die in ihnen abgebildet sind (70).

Musiker sein also: Nach seiner Armeezeit kehrt Braxton 1966 zurück nach Chicago, kommt in den Kreis der damals noch jungen AACM, entdeckt Stockhausen und Cage als „zwei neue Idole“ (71). Muhal Richard Abrams wird zum Mentor, die AACM zu einer Art Laboratorium, in dem er (und viele andere) sich ausprobieren können. Daneben tourt er mit einer Soul-Show, bei der er allerdings aneckt, weil er immer mal wieder „ungebeten experimentelle Saxophonsoli“ einstreut.

Er gründet ein Trio mit Leo Smith und Leroy Jenkins. Und er reist nach Europa. In Paris hatte sich das Art Ensemble of Chicago niedergelassen, und auch sonst waren eine ganze Reihe experimenteller Musiker hier aktiv, egal ob aus dem Bereich des „Jazz“ oder der „Neuen Musik“. Braxton jedenfalls spielte bald mit Richard Teitelbaum genauso wie mit Steve McCall, Gunter Hampel oder Archie Shepp.

Es waren zwei sehr unterschiedliche Konzepte, die die Chicagoer Musiker da in Europa präsentierten: das Art Ensemble auf der einen Seite mit einer ritualhaften Bühnenpräsenz – oder, wie Hoyer schreibt: „Das Ensemble scheut auch keinen Budenzauber, keinen Konfettiregen, keinen Mummenschanz, und etwas folkloristisch darf es auch sein“ (98) -, und Braxton, Jenkins, Smith, auf der anderen Seite, die sich höchstens „Trio“ oder „Quartett“ nannten, sperrige Musik spielten und auf Bühneneffekte verzichteten.

Die Kritik ist gespalten, aber das Publikum – und zwar ein durchwegs junges Publikum – spricht die Musik durchaus an – wenn auch nicht immer mit dem notwendigen Respekt, wie sich Leo Smith an einen Auftritt in der Pariser Universität erinnert, bei dem das Publikum mit Rasseln, Glocken, Pfeifen und Trommeln mindestens so laut mitmachen wollte wie die Band selbst (100).

Zurück in den USA wird Braxton viertes Mitglied der Gruppe Circle um den Pianisten Chick Corea, den Bassisten Dave Holland und den Schlagzeuger Barry Altschul. Hoyer beschreibt Repertoire und Faktur der Stücke, die unter anderem auf dem Label ECM erschienen. Und er beschreibt, wie Braxton immer mehr in den Mittelpunkt des Interesses der Jazzkritik gerät. Deren Urteile sind nicht immer positiv, im Gegenteil… und so entscheidet Braxton, die besonders heftigen Angriffe aus den USA zu vermeiden und wieder nach Paris zu ziehen. Er spielt solistisch, im Duo, Trio oder Quartett, widmet einzelne Programme der Jazztradition, arbeitet mit Kolleg:innen der europäischen „frei improvisierenden“ Szene zusammen, wie sich einzelne der Musiker nannten, weil sie sich dem Free Jazz nicht so recht zugehörig fühlten. Und er erhält einen Plattenvertrag bei Arista Records, der immerhin zu neun Alben führt, bevor es zu Verstimmungen kommt, ausgelöst etwa durch Linernotes in „eigenwilliger Diktion“ (146). Die Labelbosse hatten gehofft, sich mit dieser Musik die Vorhut des Jazz sichern zu können, waren es aber irgendwann leid, dass Braxton partout keinen „Jazz“ liefern wollte, wie sie sich ihn vorstellten.

Anlass auch für Hoyer, die Label-Landschaft der Zeit abzugrasen. Moers Records, Antilles, Dischi Della Quercia, Cecma, hatART/hatOLOGY, Sound Aspects, Victo und später Leo Records: Es sind die kleinen, unabhängigen Labels, die Braxtons Projekte forthin dokumentieren, sicher keine hohen Verkaufszahlen generieren und oft genug von ihm mitfinanziert werden müssen. Zum Geschäft gehört es jetzt auch, dass Braxton mit Produzenten zusammenarbeitet, die nicht immer zu den professionellsten gehören, und hier scheint selbst bei Hoyer schon mal die Empörung durch, wenn er etwa einen französischen Labelchef rügt, der 1985 in einer Pariser Kirche Solomaterial für ungefähr 14 Platten aufgenommen habe, von dem gerade mal 133 Minuten gesichert wurden, der Rest sei verschollen (155).

In der AACM war die Weitergabe von Wissen immer wichtig gewesen; vielleicht kam von dorther auch Braxtons Faszination fürs Lehren. Als er in den 1970er Jahren am Creative Music Studio in Woodstock, New York, unterrichtete, gehörte er jedenfalls zu den beliebtesten Dozenten (162). 1985 – mal wieder zu einer Zeit der finanziellen Ebbe – wird er zum Professor ernannt, als erster schwarzer Dozent am Mills College in Oakland, Kalifornien. Er gibt Kurse über „Musik seit Debussy“, über „Frauen und Creative Music“, über „Coltrane, Coleman und Mingus“, über zeitgemäße Instrumentierung und Orchestrierung (165). Er ist zwar der Lehrer, sieht sich aber zugleich immer als „student of music“ (166). Nicht zuletzt tut ihm der Kontakt mit jungen kreativen Leuten gut.

Daneben komponiert und tourt er weiter, in kleinen Besetzungen oder für großes Orchester. Fünf Jahre später erhält er den Ruf auf eine Professur am Wesleyan College in Connecticut, wo er bis zu seiner Pensionierung arbeiten soll. Er veröffentlicht zahlreiche Platten mit seinem Quartett (Marilyn Crispell, Mark Dresser, Gerry Hemingway), beschäftigt sich erneut mit dem Repertoire der Jazzgeschichte, setzt sich häufiger ans Klavier, schreibt Orchestermusik, gründet das 35-köpfige Tri-Centric Ensemble, arbeitet am „Trillium“-Zyklus.

Er ist ein ausgesprochen beliebter Lehrer mit großem Einfluss auf seine Schüler:innen, aber so ganz froh ist er mit der Rolle doch nicht. Es sei schon richtig, dass der Jazz mittlerweile an den Hochschulen angelangt sei; aber da gäbe es schon jede Menge Scharlatane unter seinen Kollegen, die „ihren Mangel an Kreativität hinter Masken von Gelehrsamkeit und Professionalität zu verbergen“ suchten (213). Ein unterhaltsam-aufschlussreiches Unterkapitel widmet Hoyer Braxtons Lehrmethoden, bezeugt von zahlreichen seiner Studierenden (ab 215).

2014 gründet Braxton die Tri-Centric Foundation als Nonprofit-Organisation, unter deren Dach er künftig seine Projekte realisieren, eine andere Art von Unterricht anbieten, Konzerte mit seiner Musik dokumentieren, seine Ideen und seine Kompositionen veröffentlichen kann. Daneben gründet wer ein eigenes Label, Braxton House. Während er in der Welt der zeitgenössischen Musik mittlerweile zumindest wahrgenommen und ausgezeichnet wird (unter anderem mit einem MacArthur Grant, hat die Jazzszene ihn, wie er empfindet, weitgehend abgeschrieben. Und so ist er mehr als erstaunt, als er 2014 mit der Auszeichnung der NEA als „Jazz Master“ geehrt wird.

Wir sind mittlerweile auf Seite 253 angelangt. Zwei Seiten später beginnt der zweite Teil in Hoyers Werk, überschrieben „Creative Musics“. Und da wir das Buch nicht eins zu eins nacherzählen wollen, hier eine etwas zügigere Zusammenfassung: Hoyer beschreibt Braxtons Arbeitsweise, „Das System“ (255), seine zahlreichen Schriften und den Grund für sie (269), Musikkonzepte wie „Sprachspiele“ (303): Solo, Duos, kleine Formate, Creative Orchestra; „Tri-Centric Modelling“ (454): Ghost Trance Music, Falling River Music, Diamond Curtain Wall Music u.a.; sowie „Quintessenzen“ (551): Sonic Genome Project, Trillium. Und er endet mit dem Opernkomplex „Trillium J“, aufgeführt im August 2014 im New Yorker Roulette – und allein das Foto von Braxton mit der riesigen Partitur auf einem Handwagen ist imposant.

So, das war jetzt wirklich knapp für immerhin über 400 Seiten, die vollgepackt sind mit Beschreibungen und Einschätzungen von Aufnahmen und Kompositionen, mit Annäherungen an Braxtons kreativen Prozess, an dem langen Atem, den es braucht, all die Projekte nicht nur zu denken, sondern zu realisieren, denen sich der kreative Musiker und Komponist über all die Jahrzehnte verschrieben hat.

Timo Hoyer beschreibt all das als „friendly experiencer“, wie er zu Beginn anmerkte. Ja, es gibt auch kritische Töne, insbesondere dort, wo Braxton selbst kritisch mit sich ins Gericht geht. Vor allem aber bleibt Hoyer neugierig-wohlgesonnen, inspiriert durch die mal komplexen, dann rätselhaften, mal auf andere Musik, dann auf die Welt and far beyond verweisenden Kompositionen. Braxtons Musik ist nicht „einfach“, sie ist wahrscheinlich genauso „komplex“ wie er sich selbst sieht. Und wenn auch Hoyers Buch diese Komplexität nicht an jeder Stelle auflösen kann – wer könnte das schon? –, so hilft es einem wenigstens dabei, eine Art Vogelperspektive einzunehmen und den Weg zu erahnen, den Braxton mit seiner Musik, seinen Aufnahmen, seinen Gedanken genommen hat.

Fazit: Kein Buch für die schnelle Lektüre, aber eine überaus anregende Studie zum Eintauchen in die komplexe Lebenswirklichkeit eines unverwechselbaren Komponisten und Instrumentalisten des 20./21. Jahrhunderts.

Wolfram Knauer (Mai 2022)


John Tchicai. A chaos with some kind of order
von Margriet Naber
Nijmegen 2021 (Ear Mind Heart Media)
188 Seiten, 23,50 Euro
ISBN: 978-90-831471-0-9
(John Tchicai)

Als sie John Tchicai 1989 das erste Mal bei einem Workshop in Rotterdam traf, habe sie sich in seine Musik verliebt, schreibt Margriet Naber, beim zweiten Mal dann in ihn. Dann seien sie zusammengezogen. Ihr Leben mit ihm habe sie gelehrt, wie hilfreich Improvisation gerade in unvorhersehbaren Situationen sein kann, auch diese Erkenntnis wolle sie in ihrem Buch weitergeben.

John Tchicai kam 1936 in Kopenhagen zur Welt. Die Mutter war Dänin, der Vater war mehr als zwei Jahrzehnte zuvor aus dem Kongo nach Europa gekommen. Tchicai wuchs in Aarhus auf, wo der Vater als Toilettenwärter eines Restaurants arbeitete. Musik habe er seinen Kindern kaum vermittelt, aber Zeitzeugen erinnern sich daran, dass er an seiner Arbeitsstätte immer auf den Türen getrommelt und wie intensiv er getanzt habe. In seiner Jugend begeisterte sich Tchicai erst von Billie Holidays Aufnahme über „Strange Fruit“, zugleich vom Sound des Saxophons. Er kaufte sich ein Altsaxophon und begann ab 1953 Konzerte zu besuchen, hörte Lionel Hampton in Kopenhagen sowie das Stan Kenton Orchester mit Lee Konitz, dessen improvisatorischer Ansatz ihm ungemein imponierte. Er schrieb sich für knapp zwei Jahre im Konservatorium von Aarhus für Klarinette ein, arbeitete dann als Koch, um schließlich seinen Wehrdienst in einer Marinekapelle abzuleisten. Danach zog es ihn in die dänische Hauptstadt, wo er regelmäßig bei Jam Sessions auftauchte. Als er zu einem Festival nach Helsinki reiste, traf er dort auf Bill Dixon und Archie Shepp, die ihn ermutigten, wenn er als Musiker etwas lernen wolle, müsse er unbedingt nach New York gehen.

Dorthin folg Tchicai dann im Dezember 1962, bezog mit seiner dänischen Freundin ein Zimmer auf der 46sten Straße und arbeitete als Koch in einem schwedischen Restaurant. Schnell schloss er Kontakte in der Musikerszene, traf Archie Shepp wieder und Don Cherry und hinterließ auch beim jungen Dichter, Aktivisten und Down-Beat-Kolumnisten LeRoi Jones Eindruck. Mit Cherry und Shepp gründete er die New York Contemporary Five, mit der er im Herbst 1963 fünf Wochen lang „zuhause“, nämlich im Montmartre Jazzclub in Kopenhagen zu hören war. Er begann eine eigene Klangsprache zu entwickeln und arbeitete mit zahlreichen Vertretern der damaligen New Yorker Avantgarde, mit Roswell Rudd, Milford Graves und vielen anderen. 1964 war Tchicai mit dabei, als Dixon und Kollegen die Jazz Composers‘ Guild gründeten; zugleich machte er Aufnahmen fürs legendäre Label ESP‘-Disk. Und 1965 ging er mit John Coltrane ins Studio, um „Ascension“ aufzunehmen.

Als Tchicai 1966 zurück nach Kopenhagen zog, konnte er anfangs vom Namen profitieren, den er sich in New York gemacht hatte, und doch musste er teilweise als Postbote arbeiten, um über die Runden zu kommen. Er nahm an Multimediaprojekten teil, war bei pan-europäischen Bandprojekten etwa des Norddeutschen Rundfunks mit von der Partie und trat mit Yoko Ono und John Lennon bei einem Festival in England auf. Ende der 1960er Jahre begann er Workshops zu geben, nahm daneben Platten mit der von ihm gegründeten Cadentia Nova Danica auf sowie mit Kollegen wie Misha Mengelberg und Han Bennink.

Neben der Musik wurden ab 1970 Yoga und andere spirituelle Praktiken, die er durch Swami Narayanananda kennengelernt hatte, immer wichtiger in Tchicais Leben. Er gab weiterhin Musik- und Kulturunterricht an Schulen, trat aber nur noch selten auf. Seine spirituelle Arbeit habe seine Kreativität beflügelt, erklärte Tchicai später, weil sie ihm die Freiheit gäbe, die er auf der Suche nach neuen Möglichkeiten brauche. Man müsse im Hier und Jetzt sein, zugleich das Ego aus der Musik heraushalten, sagte er, und verstand sich selbst ein wenig als einen „Yogi in Disguise“, wie eine Komposition aus dieser Zeit heißt. Erst in den Mitt-1970er Jahren begann er nach einer Einladung von Iréne Schweizer wieder aufzutreten. Er beschäftigte sich verstärkt mit motivischer Entwicklung in seiner Improvisation. Naber schildert, wie Tchicai sich und seine Mitmusiker auf neue Stücke vorbereitete, immer darauf bedacht, nicht zu viel zu proben, damit beim Konzert die Spontaneität erhalten bliebe. Mehr und mehr band er außerdem auch das Publikum in seine Performances ein.

1980 gründete der Gitarrist Pierre Dørge, mit dem Tchicai schon länger zusammenarbeitete, sein New Jungle Orchestra, und der Saxophonist war bei vielen Konzerten und Aufnahmen der Band mit von der Partie. Naber berichtet aber auch von der Zusammenarbeit mit anderen Künstlern und von den weltweiten Reisen, bei denen es Tchicai immer wichtig war, auch etwas vom Land und seinen Leuten kennenzulernen.

1989 also gab Tchicai einen Workshop in Rotterdam, und von hier an ist Nabers Geschichte auch ihre eigene. Sie beschreibt seine Unterrichtsmethoden, seine Tagesroutinen, seinen Hang zum Üben. 1992 folgte sie ihm nach Davis, Kalifornien, wo er die Band Archetypes mit jungen Musiker:innen unterschiedlicher stilistischer Backgrounds gründete. Sie blieben bis 2001, zogen dann zurück nach Europa, erst nach Dänemark, dann in ein Dorf in den französischen Pyrenäen. Auch hier unterrichtete er, nahm außerdem Konzerte sonstwo auf dem Kontinent wahr. Im Juni 2012 hatte er einen Schlaganfall, den er ein paar Monate überlebte, dann aber im Krankenhaus von Perpignan verstarb. Bei seiner Einäscherung spielte Famoudou Don Moye; eine Straße in dem kleinen Dorf, in dem er gelebt hatte, wurde nach ihm benannt.

Margriet Naber ist es gelungen ihre sehr persönliche Erinnerung an ihren Ex-Mann mit einer sorgfältig recherchierten Biographie der Jahre vor ihrem Kennenlernen zu verbinden. Wo sie für die ersten 55 Jahre seines Lebens also auf ihre Notizen seiner Erzählungen, auf Interviews mit Zeitzeugen oder auf anderweitige Literatur angewiesen ist, versucht sie für die letzten zwanzig Jahre keine scheinbare Objektivität, sondern lässt ihre Leser:innen gerade aus ihrer subjektiven Warte eine persönlichere Perspektive auf den Saxophonisten, Komponisten und Avantgardisten John Tchicai erleben. Er habe viele Jahre seines Lebens damit verbracht, durch Yogaübungen seinen Atem zu kontrollieren, erklärt sie kurz vor Ende des Buchs. „Ich habe ihm oft beim Üben zugehört, und sein Atmen war das längste, ruhigste und friedlichste Atmen, das ich jemals gehört habe.“ Zum Schluss verrät Naber dann noch Tchicais Ratschläge für Improvisatoren (Listen – Create – Improvise – Play together), listet einige der experimentelleren Auftritte des Saxophonisten zwischen 1965 und 1992, erklärt, wie er eine Setliste zusammenstellte, und druckt fünf seiner Kompositionen ab. Eine Diskographie und Bibliographie beschließen das Buch.

Wolfram Knauer (Juli 2021)


Universal Tonality. The Life and Music of William Parker
von Cisco Bradley
Durham/NC 2021 (Duke University Press)
416 Seiten, 29,95 US-Dollar
ISBN: 978-1-4780-1119-4

William Parker ist seit Jahrzehnten eine Integrationsfigur der New Yorker Jazz- und Improvisationsszene, ein Kontrabassist mit großem Ton, ein Bandleader unterschiedlichster Besetzungen, Sideman in diversesten Gruppen, Organisator von Community-Events, ein politisch bewusster und bewegter Vertreter aktueller Musik, ein Künstler und Aktivist. Als Cisco Bradley Parker im November 2015 mit dem Anliegen anmailte, einen längeren Text über sein Leben und seine Arbeit verfassen zu wollen, meldete der sich sofort zurück und ermutigte ihn zu mehr als einem längeren Text. Es folgten 21 Interviews, die Durchsicht von Kisten voller Familienerinnerungen, Fotos, Clippings und sonstiger Erinnerungsstücke, sowie Gespräche mit Parkers Frau, der Tänzerin Patricia Nicholson Parker, seiner Tochter, mit Mitmusikern wie Matthew Shipp und Cooper-Moore und vielen anderen.

Bradley strukturiert sein Buch in drei Großkapitel: „Origins“, „Early Work“, und „Toward the Universal“. Im ersten Teil geht es um Parkers Herkunft, seine ästhetische und politische Bewusstwerdung als afro-amerikanischer Künstler; im zweiten Teil um seine Auftritte in der Loft-Scene der 1970er Jahre, um Projekte mit der Tänzerin Patricia Nicholson, und um seine Zusammenarbeit mit Cecil Taylor; im dritten Teil schließlich um seine eigenen Projekte zwischen Duo und Bigband, um sein Engagement in der Community, um seine Zusammenarbeit mit anderen aktuellen Musiker:innen.

Parker wuchs in einem sozialen Brennpunkt in der Süd-Bronx auf; Bradley aber beginnt seine Biographie in Afrika. Von dort nämlich seien seine Vorfahren gekommen, die irgendwann im 17. oder 18. Jahrhundert als Sklaven nach Amerika verschifft wurden. Die Familie seiner Mutter lebte nahe Orangeburg, South Carolina, die seines Vaters im ländlichen North Carolina. Etwa ab Mitte des 19. Jahrhunderts kann Parker seine Spuren in dieser Region verfolgen. Bradley erzählt die Familiengeschichte und den sozialen und gesellschaftlichen Kontext, die Lebenssituation seiner Vorfahren etwa, den alltäglichen Rassismus, den Umzug der Eltern nach Norden in den 1930er Jahren, die lebendige Kulturszene in der Bronx, in der Parker 1952 geboren wurde, die Rolle des Jazz in der Familie.

Sein Vater kaufte Platten, Soul und Motown, und wenn der Vater von der Arbeit nach Hause kam, wurde Ellingtons „Diminuendo and Crescendo in Blue“ vom Newport Jazz Festival 1956 aufgelegt, und die Kinder tanzten zu Paul Gonsalves‘ Solo. Bradley beschreibt die Community, in der Parker groß wurde und die emotionale Beziehung, die er zur Musik entwickelte. Wann immer er Geld ergattern konnte, steckte er dies in Platten. Musik war aber nur Teil des Lebens. Bradley befragt den Bassisten zu Schule, Sport, den Gefahren des Alltags in der kriminalitätsgefährdeten Bronx. Der Vater verlor seinen Job, wurde bei einem Überfall schwer verletzt und starb schließlich während eines Krankenhausaufenthalts, bei dem er nicht die sorgfältige Behandlung erfahren hatte, die er benötigt hätte.

Bradley erläutert den Kontext des Black-Power-Movement der späten 1960er Jahre und beschreibt, wie Parker vor allem durch Kunst und Musik mit der Bewegung in Kontakt kam. Kunst war politisch, und Politisches war bis in die Kunst hinein zu spüren. Parker sah die Fernsehshow „Soul!“, die nicht nur der Musik, sondern auch intellektuellen Wortführern des schwarzen Amerika eine Stimme verlieh. Schon als Kind hatte er Ornette Colemans „Free Jazz“ gehört, die Avantgarde war für ihn mehr und mehr die wichtigste Stimme der Gegenwart. Er interessierte sich für Black Poetry von Dichtern wie Amiri Baraka, Eldridge Cleaver, Joseph Jarman oder Archie Shepp, las Romane, sah Filme von Truffaut, Godard und Bergman und durchforstete die Wochenzeitung Village Voice für Hinweise auf neue Filme. Er besuchte kostenlose Konzertein der Harlemer Dependance der New York Public Library, und er ging eines Tages ins Büro der Black Panthers in der Bronx, um die Menschen dort für die experimentellen Klänge zu interessieren, die so stark zu ihm sprachen.

Im zweiten Teil seines Buchs beschreibt Bradley die frühen musikalischen Erfahrungen Parkers und sein Wirken in der New Yorker Loft-Szene der 1970er Jahre. Den ersten Kontrabass habe er im Leihhaus erstanden, erfährt Bradley, der zweite landete ihm sofort einen Gig. Parker nahm Unterricht in Billy Taylors Community-orientierten Jazzmobile-Projekt in Harlem. Er spielte zu seinen Platten, etwa von Albert Ayler und Archie Shepp, und er hatte seine ersten Auftritte im von der Sängerin Maxine Sullivan geführten Club „The House That Jazz Built“ in der Bronx. Er probte im Third World, einem Kulturzentrum im selben Stadtteil, und trat in Clubs im East Village auf, wo er Musiker:innen wie Daniel Carter, Gunter Hampel, Jeanne Lee und Rashied Ali kennenlernte. Zusammen mit einigen von ihnen organisierte er ein Gegenfestival zum Newport Jazz Festival, das 1972 nach New York gezogen war. Bradley berichtet auch von anderen Bands der Zeit, dem Music Ensemble etwa, dem Juice Quartet, dem Ensemble Muntu, der Zusammenarbeit mit Billy Bang, Rashid Bakr oder mit Don Cherry.

1973 lernte Parker die Tänzerin Patricia Nicholson kennen, die er zwei Jahre später heiratete. Beide sahen in der Improvisation in Musik und Tanz eine Art Gebet, einen Weg zu Transzendenz, Transformation und Heilung. Sie gründeten das Centering Dance Music Ensemble, ein freies Tanz- und Musikprojekt in unterschiedlichen Besetzungen, mit dem sie zwischen 1974 und 1980 Teil der Loftszene New Yorks waren. In den 1980er Jahren beteiligten sie sich an politischen Aktionen wie Protesten gegen die Kriegswaffenproduktion. 1985 gründeten sie zusammen mit Peter Kowald und mit der Hilfe von bundesdeutschen Fördergeldern (in anderen Quellen ist von einer Spende des Künstlers A.R. Penck die Rede, die Bradley nicht nennt) das Sound Unity Festival, bei dem Avantgarde-Musiker:innen aus Europa und den USA auftraten, das zugleich eine Art Community-Ansatz verfolgte, mit dem Parker die Musiker:innen der Stadt organisieren und ihnen dabei helfen wollte, ihr Publikum zu erweitern. Beim Sound Unity Festival traten Künstler:innen auf, die bei den großen Festivals der Region nicht zu hören waren. Auch die US-amerikanische Plattenindustrie hatte sich vom Jazz abgewandt; Parker und viele seiner Kollegen verdienten den Hauptteil ihres Geldes bei Tourneen in Europa. Bereits in den 1970er Jahren hatte Parker bei Projekten des Pianisten Cecil Taylor mitgewirkt, 1980 wurde er reguläres Mitglied der Cecil Taylor Unit. Parker erinnert sich daran, wie ihm die Auseinandersetzung mit Taylors Welt die Augen und Ohren öffnete. 1982 schrieb der Kritiker (und frühere Schlagzeuger) Stanley Crouch eine vernichtende Kritik über ein Konzert Taylors, das Bradley als Anfang des „Jazzkriegs“ identifiziert, der sich bis weit in die 1990er Jahre hinziehen sollte, auf der einen Seite die experimentellen Avantgardisten New Yorks hatte und auf der anderen Seite zusammen mit Crouch bald Wynton Marsalis platzierte. Seine Zusammenarbeit mit Taylor erlaubte Parker daneben zahlreiche internationale Kooperationen, im Orchestra of Two Continents beispielsweise, oder als Gast während Taylors Aufenthalt in Berlin im Jahr 1988.

Der dritte Teil des Buchs widmet sich Parkers eigenen Projekten. Er ist überschrieben „Toward the Universal“ und beschreibt, wie wichtig in Parkers musikalischen Projekten immer die politische Haltung und Aspekte von Community waren. „Der Künstler muss die politische Revolution vorantreiben“, wird Parker zitiert, den Bradley in eine Reihe mit politisch bewussten Künstlern vor ihm stellt. Beim Musikmachen gehe es nicht ums Geldverdienen, findet Parker, Musik sei das kosmologische Zentrum der Community. Seine eigene Bands wurden auf der New Yorker Jazzszene der 1980er Jahre jedenfalls vermehrt wahrgenommen, und während Parker seine Musik als Feier afro-amerikanischer Traditionen zelebrierte, war es ihm genauso wichtig, die Verbindungen aufzuzeigen, die es in der Musik auch zu Afrika, Asien, Europa, Australien und den beiden amerikanischen Kontinenten gibt. In diesem Kapitel nähert sich Bradley auch einigen der Platten, die Parker mit verschiedenen Bands aufnahm, weiß um weitere Projekte auf der internationalen Bühne, an denen er beteiligt war. Parker gründete sein Little Huey Creative Music Orchestra, trat mit Peter Brötzmanns Die Like a Dog Quartet auf, im Duo mit Hamid Drake, vor allem aber mit seinem eigenen Quartett sowie dem Raining on the Moon Quintet und Sextet. Er war an Tributprojekten beteiligt, etwa für Curtis Mayfield oder Duke Ellington, trat mit Milford Graves und Charles Gayle auf, vermehrt aber auch als Kontrabass-Solist. Das Buch schließt mit einem Blick auf jüngste Projekte Parkers, die nach wie vor mit drei Worten zu umschreiben sind, die nicht direkt aus der Musik stammen: „community, solidarity, compassion“.

Cisco Bradley hat eine Biographie geschrieben, die weit über sein Sujet hinausblickt, die nämlich immer die Community im Blick hat, aus der heraus, inmitten derer und für die William Parker seine Musik schuf und schafft. Es gelingt ihm dabei, trotz der Menge an Informationen, die er abhandelt, einen gut lesbaren Text zu schreiben, der den Kontext immer wieder zurück auf die Musik verweisen lässt. Eine beeindruckende Diskographie beschließt das sorgfältig annotierte Buch, das weit mehr ist als die Biographie eines Musikers. Es ist der Versuch einer Kulturgeschichte der New Yorker Avantgarde der 1970er und 1980er Jahre am Beispiel eines der an ihr am stärksten beteiligten Protagonisten.

Wolfram Knauer (April 2021)


Django Reinhardt. Un musicien tsigane dans l’europe nazie
von Gérard Régnier
Condé-sur-Noireau 2021 (L’Harmattan)
145 Seiten, 14 Euro
ISBN: 978-2-343-22153-3

Gérard Régniers Buch basiert auf einem Vortrag, den er 2010 über Django Reinhardts Leben und Wirken zur Zeit der deutschen Besatzung von Paris hielt. Darin betont Régnier, dass Reinhardt als Sinti einerseits zu den von den Nationalsozialisten verfolgten Volksgruppen gehörte, er andererseits ausgerechnet in den Jahren der Besatzung zu einer französischen Legende wurde, vergleichbar höchstens mit Entertaintern wie Maurice Chevalier oder Charles Trenet.

Régnier beginnt sein Buch mit einem generellen Kapitel über er die komplexe Geschichte der französischen Sinti und Roma. Er klärt biographische Details, die Geburt Djangos im Januar 1910 im Winterquartier der Manouche-Familie im belgischen Liberchies etwa oder die Schreibweise seines Nachnamens. Und er verweist auf die reiche Jazzgeschichte seines Geburtslands Belgien. In einem Blick nach Osten beschreibt er dann die Versuche der nationalsozialistischen Machthaber in Deutschland den Jazz auszurotten, streift die kurze Rückkehr von Jazz und amerikanischer Tanzmusik während der Olympischen Spiele von 1936 und betont, dass es den Nationalsozialisten trotz aller Versuche nicht gelungen sei, einem Großteil der deutschen Jugend ihre Faszination durch den Jazz zu nehmen.

Am 14. Juni 1940 marschierten die Deutschen in Paris ein. Recht schnell ließen sie den Betrieb von Cabarets, Music-Halls und Dancings wieder zu. Stephane Grappelli war nach Ausbruch des Kriegs in London geblieben, also stellte Django Reinhardt, der sich vor dem Krieg insbesondere durch die Unterstützung des Hot Club de France einen Namen machte, im Herbst 1940 eine neue Ausgabe des Quintette du Hot Club de France zusammen, in dem der Klarinettist Hubert Rostaing Grappellis Rolle übernahm. Régnier zeichnet die Clubszene der Zeit nach, beschreibt einige der Gigs, die Reinhardts Band wahrnahm, etwa bei einem „Festival de jazz français“ im Dezember 1940. Er sammelt Verweise, Erinnerungen und Berichte aus zeitgenössischen Tageszeitungen, die Djangos Aktivitäten der Jahre 1941 und 1942 dokumentieren, druckt eine deutschsprachige Anzeige für seinen Auftritt im Cabaret „Le Nid“ aus der „Pariser Zeitung“, begleitet ihn auf Reisen nach Belgien und Südfrankreich und erzählt über seine Heirat mit Sophie Ziegler im Juni 1943. Ein eigenes Kapitel widmet er Django Reinhardts Versuche in die Schweiz zu gelangen, ein weiteres der letzten großen Tournee durchs besetzte Frankreich Anfang 1944.

Am 25. August 1944 wurde Paris von den Amerikanern befreit, wenig später war Django, ein wenig wie eine Stimme der Kontinuität, wieder auf der Bühne zu hören. Zusammen mit Stéphane Grappelli spielte er seine gefeierte Interpretation der Marseillaise ein („Echoes of France“) und begab sich auf eine Reise in die USA, wo er mit Duke Ellington in der Carnegie Hall auftrat und den neuen Bebop für sich entdeckte. 1951 kaufte er sich ein Haus in Samois-sur-Seine, trat aber weiterhin auch in Paris auf, jetzt meist mit einer elektrischen Gitarre und mit Klängen, die seine Begegnung mit dem modernen Jazz widerspiegelten. Am 16. Mai 1953 verstarb Django Reinhardt in Samois-sur-Seine an den Folgen einer Gehirnblutung.

Im letzten Kapitel seines Buchs versucht Régnier der Persönlichkeit des Gitarristen näherzukommen: seinem Ego, seinem Bedürfnis nach Freundschaft, seiner Gläubigkeit. Er diskutiert Django als Repräsentanten des französischen Jazz und fragt nach dem Einfluss klassischer Komponisten von Bach bis Ravel. Er weiß von Djangos zweiter Leidenschaft, der Malerei, die er genauso natürlich zu beherrschen schien wie sein Instrument. Und er fragt, ob Reinhardt als Kollaborateur der Deutschen zu gelten habe, nur weil er während der Besatzung immer als Musiker aktiv geblieben war.

Django Reinhardt galt in der Nazi-Terminologie als „Zigeuner“, er spielte eine von den Nazis verteufelte Musik. Und doch waren die schwarzen Jahre der deutschen Besatzung eine für ihn erfolgreiche Zeit, in der er Applaus auch von den Nazis erhielt, die ihn in den Pariser Cabarets hörten. Es ist ein Paradox, das sich vielleicht aus dem romantischen Bild erklären lässt, dass Frankreich und insbesondere Paris ja auch bei den deutschen Soldaten innehatte, ein wenig verruchter als daheim, ein wenig freier, ein wenig leidenschaftlicher, ein wenig mehr „Stadt des Lichts“. Reinhardts Musik war für viele der passende Soundtrack zu diesem Traum, Ideologie hin oder her.

Gérard Régniers Buch enthält zahlreiche neue Quellenverweise über die Karriere des Gitarristen im besetzten Paris. Er macht auf das Paradoxon aufmerksam, dass ausgerechnet ein Sinti-Musiker in diesen schweren Zeiten solch einen Erfolg haben konnte. Doch im Faktenreichtum seiner Recherche verliert er dann seine Ausgangsfrage ein wenig aus den Augen: warum nämlich die Deutschen ihre ganze Rasselehren zu vergessen schienen, wenn sie Reinhardt in Paris bewunderten. Man fragt sich unweigerlich, wie es anderen Mitgliedern seiner Sippe gegangen sein mag, wie die weniger herausragenden Roma und Sinti in jenen Jahren überlebten. Zusammen mit seinem Buch über „Jazz et societé sous l’Occupation“ von 2009 lenkt Régnier den Blick seiner Leser immerhin geschickt auf ein Kapitel europäischer Kulturgeschichte, das voller Widersprüche steckt, in dem Ideologie und Faszination an einer so ungemein frei wirkenden Musik aufeinanderprallen und letzten Endes die Freiheit siegt.

Wolfram Knauer (April 2021)


Jazz/Rock/Pop – Das Dresdner Modell. Ein Beitrag zur Geschichte der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber
herausgegeben von Ralf Beutler & Frank-Harald Greß
Baden-Baden 2021 (Tectum)
156 Seiten, 28,00 Euro
ISBN: 9783828844414

Als Frank-Harald Greß 1959 nach dem Studium der Musikwissenschaft begann an der Dresdner Musikhochschule zu unterrichten, „schmuggelte er“, wie er sich erinnert, den Jazz in seine Vorlesungen über Musikgeschichte, Akustik und Instrumentenkunde, obwohl es von staatlicher Seite noch erhebliche Vorbehalte gegen die „Musik des Klassenfeindes“ gab. Als Greß im Jahr darauf eine Jazzcombo bei einer offiziellen Veranstaltung auftreten ließ, war der Rektor zwar ästhetisch entsetzt, meinte aber – die Großwetterlage in Bezug auf den Jazz hatte sich in der DDR gerade gewandelt –: „die Entwicklung der sozialistischen Musikkultur verlange, auch für ein höheres Niveau der ‚leichten Musik zu sorgen“. Gebeten, weitere Dozenten aus Jazz- und Tanzmusikkreisen zu verpflichten, wandte sich Greß an den Pianisten Günter Hörig. Der spielte mit seinem Trio vor, und einige argumentatorischen Tricks später (Jazz als Musik des „anderen“ Amerika) wurde in Dresden der erste Studiengang für „Tanz- und Unterhaltungsmusik“ begründet. Greß erinnert sich an einige der Schwierigkeiten des jungen Studiengangs – zum Vorspiel des ersten Schlagzeugbewerbers Baby Sommer gab es etwa kein hochschuleigenes Instrument, so dass der auf hölzernen Stuhlsitzen trommelte –, und er beschreibt, wie es ihm gelang, statt eines Aufbau- oder Zusatzstudiengangs eine selbständige Vollausbildung durchzusetzen, „mit Diplomabschluss für den Studiengang Kapellenleiter“. Er erinnert sich an die Probleme bei der Materialbeschaffung, sprich: dem Verbot der Einfuhr „westlicher“ Noten, das aber letzten Endes dazu führte, dass die Lehrenden nach und nach eigene Unterrichtsliteratur verfassten. Das Dresdner Modell jedenfalls wurde bald von den anderen Musikhochschulen der DDR übernommen.

Diesem Studiengang, der nach der Wende in „Fachgruppe Jazz/Rock/Pop“ unbenannt wurde und noch heute besteht, widmet sich jetzt eine Buchdokumentation mit 25 Essays zur Geschichte, zur Gegenwart und zum pädagogischen Anspruch der Jazz- und Pop-Ausbildung an der Dresdner Hochschule für Musik Carl Maria von Weber. Rainer Lischka war einer der Studenten der ersten Stunde; er erinnert sich an die Diskussionen in den 1960er Jahren und die geschickten strategischen Schachzüge, mithilfe derer Greß seinen Jazzkollegen einen freien Rücken verschaffte. Stefan Gies, Ralf Beutler und Günter Baby Sommer beschreiben die Hochschule der Nachwendezeit, an der die Dozent:innen versuchten, dem nun offiziell auch als Jazzstudiengang titulierten Programm ein eigenes Gesicht zu geben. Sommer verhehlt nicht die Anfeindungen, die es nicht nur aus der etablierten Musik gab, sondern auch aus der Jazzszene selbst, in der einige den abgesicherten institutionalisierten „Jazzprofessor“ als Gegensatz zu dem verstanden, wofür Jazz immer gestanden hatte, Protest, Widerstand, Underground. Jens Wagner erinnert an Günter Hörigs pädagogisches Konzept. Der Rest des Buchs aber ist Gegenwart: Dozentinnen (Céline Rudolph, Esther Kaiser, Inéz Schaefer und Julia Kadel) und Dozenten (Thomas Zoller, Thomas Fellow, Stephan Bormann, Sönke Meinen, Matthias Bätzel, Malte Burba, Sebastian Studnitzky, Sebastian Haas, Sebastian Merk und andere) berichten über ihren eigenen Weg an die HfM Dresden und die Besonderheiten ihres Lehrangebots. Eine Auflistung aller seit 1962 im Fach Jazz/Rock/Pop Lehrender beschließt das Buch.

„Jazz/Rock/Pop – Das Dresdner Modell“ ist eine Festschrift zum 60jährigen Bestehen des Dresdner Studiengangs. Diesen Festschrift-Charakter merkt man dem Buch an jeder Stelle an. Viel ist vom Modellcharakter die Rede, viel vom Stolz auf die eigene Abteilung. Es fehlt eine kritische Würdigung, es fehlt neben der Eigensicht die Sicht von außen. So ließe sich ein Aufsatz vorstellen, der die Erinnerungen Frank-Harald Greß‘ in den Kontext der Kulturpolitik des DDR-Staats stellen würde. Es ließe sich eine kritische Auseinandersetzung vorstellen, was in einem künstlerischen Studiengang zu Jazz/Rock/Pop lehr- und lernbar ist und was nicht. Wünschenswert wäre aber auch ein Vergleich des „Dresdner Modells“ mit anderen Studiengängen in Deutschland (oder darüber hinaus). So ist das Buch ein interessanter und von den Autor:innen höchst persönlich gestalteter „Beitrag zur Geschichte der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber“, der allerdings die Chance vergibt über den eigenen Tellerrand zu blicken. Immerhin: Die selbstgestellte Aufgabe des Bandes war es, „Einblicke vermitteln in Geschichte und Gegenwart“ der Jazz/Rock/Pop-Ausbildung Und das ist auf jeden Fall gut gelungen.

Wolfram Knauer (April 2021)


A Jazzman’s Tale. A screenplay memoir of 1950s jazz trumpeter and pianist Charles Freeman Lee
von Annette Johnson

Middletown/DE 2021 (self-published/Amazon)
150 Seiten, 24,99 US-Dollar
ISBN: 9781544648910

Charles Freeman Lee – wahrscheinlich wirklich nur eingefleischten Jazzfans ist der Name ein Begriff: Zwischen 1952 und 1955 war er als Freeman Lee an verschiedenen Aufnahmesitzungen des legendären Pianisten Elmo Hope beteiligt gewesen. Der Klappentext von Annette Johnsons literarisch-biographischem Drehbuch fasst seine Karriere zusammen: Geboren in New York studierte Lee an der Wilberforce University, einem der sogenannten „Historically Black Colleges and Universities“ der Vereinigten Staaten, in deren Schulband er unter anderem mit Frank Foster, George Russell, Snooky Young und anderen saß. Er tourte mit Snooky Youngs Band, kehrte dann zurück nach New York, wo er mit Musikern wie Eddie Cleanhead Vinson, James Moody, Lou Donaldson und Thelonious Monk auftrat und die bereits erwähnten Aufnahmen mit Elmo Hope machte. In New York verliebte er sich in Jenny, die damalige Frau Milt Jacksons, die sich daraufhin vom Vibraphonisten des Modern Jazz Quartet scheiden ließ, um Lee zu heiraten. Seine Heroinsucht brachte ihn wenig später ins New Yorker Gefängnis von Riker’s Island, wo er mit Jackie McLean, Hank Mobley und Elvin Jones auf alte Bekannte aus der Jazzszene trifft. In den 1970er und 1980er Jahren hatte Lee das Musikgeschäft verlassen und unterrichtete Biologie im Mittleren Westen, begann dann in den 1990ern wieder aufzutreten, jetzt vor allem mit europäischen und südafrikanischen Musikern und in Europa.

Dort traf Annette Johnson Freeman Lee im Jahr 1993 in einem leeren Pariser Jazzclub, in dem er ihr seine Lebensgeschichte erzählte. Sie war von der Lebendigkeit seiner Erzählung so fasziniert, dass sie entschied ein Buch daraus zu machen, allerdings nicht irgendein Buch, sondern: ein Drehbuch. Und so ist „A Jazzman’s Tale“ zwar die Biographie eines weitgehend vergessenen Bebop-Musikers, zugleich aber auch die auf einen zukünftigen Film gerichtete Dramatisierung dieser Geschichte durch die Autorin.

Wer schon mal Drehbücher gelesen hat, weiß, dass solch eine Lektüre schwerfällig ist, da sie die Dialogsequenzen genauso wiedergibt wie Kameraeinstellungen, Requisiten, Stimmungen. Die Geschichte wechselt zwischen dem New York der 1950er, dem Paris der 1990er und dem Ohio der 1940er Jahre, lässt Musiker wie Benny Bailey, Milt Jackson, Billy Brooks und Frank Foster auftreten, führt in Jazzclubs wie das Royal Roost oder das Paradise in Harlem, erzählt von Brotjobs in einer Näherei oder als Bote, von der Drogensucht, vom Frust zur Armee eingezogen zu werden, und vom Gefängnis. In unserem geistigen Soundtack hören wir Bebopklänge von Charlie Parker und Miles Davis‘ Musik zum Film „Fahrstuhl zum Schafott“, erleben aber auch, wie der Saxophonist Big Nick Nicholas vier junge Trompeter durch sämtliche Tonarten jagt. Wir lesen von den unterschiedlichen Erfahrungen mit Rassismus, den Lee, wie er an einer Stelle anmerkt, nirgends als so schlimm erlebt habe wie in New York. Und wir haben teil an der zentralen Liebesgeschichte zwischen Freeman und Jenny, in der sich die Innen- und die Außensicht auf Persönliches, Gesellschaftliches und die Musik treffen, und die mit Lees Verhaftung endet.

Und so weiter und so fort. Ein erzählter Film ist wie duftendes Essen, er macht neugierig, stillt aber nicht den Hunger. Diesen, also den Hunger nach mehr Informationen über Freeman Lees Leben und Karriere, können immerhin die Interviewschnipsel aus dem Pariser Club befriedigen, die Johnson einstreut, sowie ein Gespräch, das seine Schwester Jane Lee Ball in den 1980er Jahren mit dem Trompeter über die New Yorker Jazzszene der späten 1940er und frühen 1950er Jahre führte. Zum Schluss vervollständigen noch Fotos aus der Geschichte des Wilberforce College (aber ohne konkreten Bezug zu Freeman Lee) das Buch.

Für den Jazzfreund mag sich „A Jazzman’s Tale“ ein wenig zwiespältig lesen. Es ist, wie bereits erwähnt, keine klassische Biographie, und so sind auch alle von Johnson erfundenen Szenen nicht für bare Münze zu nehmen. Andererseits erlaubt die Dialogform, in der sie zahlreiche Erinnerungen Lees einbettet, die Atmosphäre, die verschiedenen Einflüsse und Erfahrungen, die den Trompeter geprägt und beeinflusst haben, weit besser zu vermitteln als dies eine nüchterne Darstellung vermocht hätte. Vielleicht hätte sich für die Buchveröffentlichung noch eine Chronologie angeboten, die dem nicht geübten Drehbuchleser erlaubte, die verschiedenen Szenen einzuordnen. Vielleicht wäre es eine gute Idee gewesen, den sehr persönlichen Interviews, die Grundlage des Drehbuchs waren, eine kurze Abhandlung über Lee als Trompeter zur Seite zu stellen. Aber dann war all das nie der Plan gewesen: Annette Johnson hat ein Drehbuch geschrieben, für einen Film, der zwar noch nicht gedreht ist, auf den man aber, sofern man sich auf die Lektüre einlässt, neugierig sein kann.

Wolfram Knauer
(März 2021)

Schenkungen

Die Sammlung des Jazzinstituts basiert auf Schenkungen, Nachlässen und einigen wenigen Ankäufen aus unterschiedlichen Quellen. Hier geben wir Ihnen einige Informationen zum Procedere, sollten Sie darüber nachdenken Teile Ihrer Sammlung dem Jazzinstitut anzubieten.

Wir freuen uns natürlich über jedes Angebot. Bei jedem Angebot prüfen wir, inwieweit es größere Lücken unseres Bestandes füllt, der niemals vollständig sein kann, aber ein möglichst breites Spektrum abdecken soll. Am meisten interessieren uns die sogenannten „graue Literatur“, also beispielsweise Veröffentlichungen in kleinen Auflagen, unveröffentlichte Manuskripte, Korrespondenz von bzw. mit Musiker:innen, handschriftliche Noten oder Arrangements, Fotos insbesondere aus dem privaten Bereich, Plakaten aller Art, Rechercheaufzeichnungen bzw. Aufsatzsammlungen zu Recherchezwecken, Scrapbooks, also Zeitungsausschnittssammlungen u.ä.m.

Sollten Sie Material jeglicher Art besitzen, freuen wir uns über einen Kontakt Ihrerseits. Wir ordnen unsere Sammlung nicht nach dem Provenienz-, sondern nach dem Pertinenzprinzip. Das bedeutet, dass private Sammlungen, die uns überlassen werden, am Ende nicht physisch nach Herkunft in unseren Regalen stehen, sondern nach der Durchsicht und Katalogisierung in die große Sammlung einsortiert werden.  Um einschätzen zu können, ob Teile Ihrer Sammlung fürs Archiv des Jazzinstituts in Frage kommen, hilft uns eine Voraberfassung des angebotenen Materials immens, egal ob es sich dabei um computergerecht erfasste handelt oder um handschriftliche Listen handelt. Fotos sowohl des Umfangs als auch einzelner Sammlungsteile sind genauso hilfreich wie Abmessungen des Umfangs, am besten nach „Regalmetern“, also nach dem Platz, den die Platten, Bücher, Ordner nebeneinander im Regal benötigen.

Wir sind eine kleine Einrichtung und können uns daher nicht jede Sammlung persönlich und vor Ort ansehen. Sollte die angebotene Sammlung eine sinnvolle Ergänzung unseres Archivs vermuten lassen, sind wir aber durchaus zu einer Sichtung bereit.

Das Jazzinstitut Darmstadt hat keinen extra Ankaufsetat für Sammlungen. Jede Übernahme einer Sammlung bedeutet für uns die Verpflichtung diese zu erfassen, sie zugänglich zu halten, gegebenenfalls zu digitalisieren, und sie für Forschung und Nachwelt zu pflegen. Als städtische Einrichtung arbeiten wir, wie andere öffentliche Institute auch, mit von Jahr zu Jahr aufgestellten Haushaltstiteln, unter denen sich auch solche befinden, die die Pflege und Bewahrung des uns anvertrauten Sammlungsgutes sicherstellen sollen.

Sollten wir Ihre Sammlung nicht übernehmen können, beraten wir Sie gerne bei der Suche nach etwaigen Interessenten.

JazzNews 2020

Wir lesen die Morgenzeitung für Sie!

Die Presseberichte, die wir in dieser Rubrik zusammenfassen, finden sich übrigens in unserem Archiv in herkömmlicher (papierner) sowie in digitaler Form. Wenn Sie an den kompletten Artikeln zu den auf dieser Seite notierten Meldungen interessiert sind, wenden Sie sich bitte per e-mail an uns. Darüber hinaus verweisen wir auf unseren Jazz-Index, die weltweit größte computergestützte Bibliographie zum Jazz, in der neben Büchern und Zeitschriften auch aktuelle Presseberichte aus Tages- und Wochenzeitungen gelistet sind. Sie können Auszüge aus dem Jazz-Index zu bestimmten Stichworten (also beispielsweise konkreten Musikernamen) kostenlos per e-mail erhalten. Noch ein Hinweis zu den Links auf dieser Seite: Einige der verlinkten Artikel sind ohne Anmeldung nicht einsehbar; bei vielen Online-Zeitungen ist die Lektüre älterer Artikel kostenpflichtig. Bitte beachten Sie, dass die Zusammenfassungen und die Übersetzungen auf dieser Seite unsere Zusammenfassungen und Übersetzungen sind. Wenn Sie die hier gelisteten Artikel zitieren wollten, sollten Sie zu den Originalquellen greifen.

Autor der JazzNews (deutsch wie englisch): Wolfram Knauer

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Inhaltsverzeichnis


JazzNews, No 25 (3. bis 17. Dezember 2020)

… in aller Kürze …

Andrew Gilbert liest einige neue Bücher über und erinnert an San Franciscos Fillmore District und seine Jazzgeschichte (San Francisco Classical Voice). — Howard Reich sieht sich einen neuen Dokumentarfilm über die Sängerin Billie Holiday an (Chicago Tribune).

Stefan Künzli spricht mit dem Schweizer Saxophonisten Christoph Huber (Aargauer Zeitung). — Peter Kemper hört sich das jüngste Album der Gitarristin Mary Halvorson an (Frankfurter Allgemeine Zeitung).

Anastasia Tsioulcas berichtet über den New Yorker Club Jazz Standard, der wegen der Pandemie schließen musste (NPR). Nick Garber berichtet ebenfalls (Patch), genauso wie Emily Olcott (Emily Olcott), Janice Kirkel (WBGO), Ben Sisario (New York Times) und Matt Stieb (Curbed), der mit dem künstlerischen Leiter Seth Abramson spricht sowie mit dem Besitzer des Clubs Smalls, Spike Wilner, mit Rio Sakairi von der Jazz Gallery und Deborah Gordon vom Village Vanguard, die alle über ihre Strategien berichten, mit den Folgen der Pandemie umzugehen. Auch andere Clubs geraden in Schwierigkeiten, so lasen wir beispielsweise von der Schließung des El Chapultepec in Denver (SCNow, 5280). Dave Hoekstra erinnert an die Palm Tavern in Chicago (Dave Hoekstra). Jamyra Perry spricht mit Eric Wortham über einen Fundraiser, den er für den Erhalt von Chris‘ Jazz Café in Philadelphia organisiert hat (The Philadelphia Tribune).

Jennifer Gould berichtet über die Wohnung des Trompeters Chuck Mangione am New Yorker Central Park, die für 2,25 Millionen Dollar zum Verkauf steht (New York Post). — Hans Hielscher (Der Spiegel), Stefan Hentz (Neue Zürcher Zeitung) und Roland Spiegel (BR Klassik) erinnern an seinem 100sten Geburtstag an Dave Brubeck. Das Fillius Jazz Archive öffnet aus diesem Anlass seinen Interview-Tresor und zeigt zwei Interviews mit Brubeck (Hamilton University).

Ronald Pohl spricht mit dem Pianisten Georg Gräwe (Der Standard). — Neeraja Murthy spricht mit dem Gitarristen Max Clouth über das Jazzkollektiv Ragawerk und den Einfluss der indischen klassischen Musik auf seine eigene Klangsprache (The Hindu).

Joselyn Green spricht mit dem Bassisten Jamaladeen Tacuma (The Renegade Rip). — Gregg Shapiro spricht mit dem Saxophonisten Dave Koz (Bay Area Reporter). — Zeb Larson blickt zurück auf die Hochzeiten und den Niedergang des früheren schwarzen Unterhaltungsviertels 18th & Vine in Kansas City (Scalawag Magazine).

Lukas Wall spricht mit dem Pianisten Florian Hoefner über seinen Umzug von New York City nach Neufundland in Kanada, sowie darüber, wie das dortige Klima bereits Eingang in seine Musik gefunden hat (CBC). — Ulrich Stock spricht mit der Saxophonistin Luise Volkmann über den Einfluss ihres Vaters auf ihre musikalische Entwicklung sowie über ihr Ensemble Été Large und dessen jüngstes Album, „When the Birds Upraise Their Choir“ (Die Zeit). Luise Volkmann ist übrigens die nächste Preisträgerin des Kathrin Preises, der vom Jazzinstitut Darmstadt verliehen wird, einer Kurzresidenz, die sie im nächsten April in Darmstadt antreten wird (Kathrin Preis).

Alex Green blickt auf Vergangenheit und Gegenwart des Jazz in Memphis, Tennessee (Memphis Flyer). — Ekow Barnes spricht mit dem Ghanaischen Gitarristen und Sänger Ebo Taylor (The Philadelphia Tribune).

Susan De Vries berichtet darüber, dass das Haus des verstorbenen Pianisten Cecil Taylor in Brooklyn für 2,499 Millionen Dollar zum Verkauf steht (Brownstoner). — Willard Jenkins veröffentlicht ein Gespräch, dass er mit dem kürzlich verstorbenen Pianisten Ed Stoute über dessen Karriere und die Jazzszene in Brooklyn, New York, geführt hatte (Open Sky Jazz).

Nachrufe

Wir erfuhren vom Ableben des kanadischen Vibraphonisten Bob Jenkins im Alter von 90 Jahren (The Sault Star), des dänischen Trompeters Allan Botschinsky im Alter von 80 Jahren (Extra Bladet), des Saxophonist Ed Xiques im Alter von 81 Jahren (Information von Kenny Berger), des Promoters Russ Neff in seinen 70ern (Penn Live Patriot-News), des neuseeländischen Pianisten Julian Lee im Alter von 97 Jahren (ABC), des Pianisten Nadi Qamar alias Spaulding Givens im Alter von 103 Jahren (Tribute Archive), der Pianistin und Sängerin Margaret Wright im Alter von 78 Jahren (The Austin Chronicle), des Komponisten Harold Budd im Alter von 84 Jahren (Variety), des Saxophonisten Benny Poole im Alter von 91 Jahren (MLive), des Pianisten Herb Drury im Alter von 92 Jahren (St. Louis Post-Dispatch), des Clubbesitzers Gerri Oliver im Alter von 101 Jahren (Dave Hoekstra), des italienischen Arrangeurs und Promoters Sandro Brugnolini im Alter von 89 Jahren (Exclaim), des niederländischen Trompeters Marc van Nus im Alter von 83 Jahren (Tubantia), sowie des Saxophonisten J.T. Braxton im Alter von 101 Jahren (Fox34).

Aus der Welt der Jazzforschung

Immer wieder begegnen uns im Internet wissenschaftliche Studien zum Jazz, die wir für unser digitales Archiv speichern und in unseren Jazz Index aufnehmen. Darüber hinaus schicken uns Forscher:innen, die unsere Hilfe für ihre Arbeit genutzt haben, Links zu ihren veröffentlichten Arbeiten. Es macht also Sinn, solche Veröffentlichungen von Zeit zu Zeit mit den Leser:innen dieser JazzNews zu teilen. Was wir hiermit beginnen:

Niels Falch: From Oy to Joy: Jewish musical style in American popular songs 1892-1945, Groningen 2020 (PhD thesis: University of Groningen). — Download link

Letzte Woche im Jazzinstitut

Deutscher Jazzpreis
Die Staatsministerin für Kultur und Medien, Monika Grütters, hat bekanntgegeben, dass ab nächstem Jahr jährlich in 31 Kategorien der Deutsche Jazzpreis vergeben wird. Die erste Preisverleihung ist für Juni 2021 geplant (Deutscher Jazzpreis). Die Vorbereitungen zur Ausgestaltung des Preises laufen schon seit einer Weile, im Beirat dazu sitzt unter anderem Arndt Weidler vom Jazzinstitut Darmstadt.

Call for Papers: 17. Darmstädter Jazzforum (Verlängerung des CfP bis Ende des Jahres)
„Aus der Neuen Welt“? Eurozentrismus im Jazz
Ein Artikel auf der buddhistischen Website The Lion’s Roar befasst sich mit „Dharma Americana“ (The Lion’s Roar): dem Einfluss des Buddhismus auf den Jazz, konkret beipielsweise auf Musiker wie Herbie Hancock, Wayne Shorter, Bennie Maupin, Buster Williams, Tamm E. Hunt, Joseph Jarman, John Coltrane und Jerry Granelli. In unseren letzten JazzNews hatten wir einen Artikel verlinkt, der das Phänomen der kulturellen Aneignung als kreativen und dabei in die Zukunft gerichteten Akt beschrieb und zugleich das Thema des Respekts vor kulturellen Wurzeln thematisiert. Die Lektüre des Artikels in The Lion Roars machte uns bewusst, dass „Respekt“ vor den Ursprüngen des Materials, dessen man sich bedient, eine sehr persönliche Angelegenheit sein kann. Dieser Respekt kommt mal als öffentliches Bekenntnis daher, welchem Material man sich verpflichtet fühlt, er kann aber genauso gut auch nur im persönlichen Wissen darum bestehen. Egal ob oder wie man ihn verbal äußert, in der Musik ist solcher Respekt in der Regel zu hören. Er ist eine Haltung, mit der man seine kreative Arbeit angeht. Irgendwie besitzen ihn die meisten, deshalb muss er nicht unbedingt laut geäußert werden, und doch kann eine Respektbezeugung von Zeit zu Zeit auch hilfreich für das Bewusstsein der eigenen künstlerischen Entwicklung sein

… ein weiterer Aspekt also, der beim 17. Darmstädter Jazzforum diskutiert werden könnte, das wir vom 30. September bis 2. Oktober 2021 planen. (Andere Aspekte und andere Perspektiven wurden bereits in den letzten Newslettern genannt; Sie können diese alle aber auch auf der Seite zum Jazzforum nachlesen, die unten verlinkt ist.) Wir laden Sie ein uns Vorschläge für Referate, Panels oder künstlerische Interventionen über eines dieser Teilgebiete (oder ein ganz anderes) zuzusenden, das Ihrer/Eurer Perspektive angemessen ist. Und wir würden uns freuen, wenn Sie unseren Call for Papers mit anderen potentiell Interessierten teilen, mit Kolleg:innen, Künstler:innen, Journalist:innen, Aktivist:innen. Wir sind (innerhalb gewisser Grenzen) dazu in der Lage Reisespesen zu ersetzen. Wir haben die Deadline für Vorschläge bis zum 31. Dezember 2020 verlängert (17. Darmstädter Jazzforum).

Video-Sprechstunde im Jazzinstitut
Seit November bieten wir zusätzlich zu allen bisherigen Kontaktmöglichkeiten (persönlich, per Telefon oder Mail) eine „Video-Sprechstunde“ an. Dafür stehen wir jeweils am Dienstag- und Donnerstagnachmittag zwischen 14 und 15 Uhr MEZ (13-14 Uhr UTC) zur Verfügung, bitten Sie allerdings, dafür per e-mail einen Termin abzumachen und uns dabei bereits mitzuteilen, worum es in dem Gespräch gehen soll. Wir werden Ihnen dann einen Link für eine Webex Videosession für unser Treffen zusenden

Harter Lockdown
Angesichts der weiter gestiegenen Infektions- und Todeszahlen haben Bundes- und Landesregierungen einen weitreichenden Lockdown bis zum 10. Januar beschlossen. Wir nehmen den Lockdown ernst und bleiben deshalb bis zu diesem Termin für die Öffentlichkeit geschlossen. Sie können uns bis zum 18. Dezember und im neuen jahr ab dem 4. Januar wie gewohnt per Telefon oder Videocall erreichen. Ansonsten raten wir Ihnen: Bleiben Sie zuhause, bleiben Sie gesund, und hören Sie viel Jazz

Und trotz des frustrierenden, schrecklichen, tragischen Jahres, das hinter uns liegt, wünschen wir Ihnen ein wunderbares, besinnliches Weihnachtsfest und ein glückliches, gesundes und jazziges 2021! Wir sind uns sicher, dass wir uns wiedersehen, und zwar bei Livekonzerten

Doris Schröder, Arndt Weidler and Wolfram Knauer
Das Team des Jazzinstituts Darmstadt.


JazzNews, No 24 (19. November bis 2. Dezember 2020)

… in aller Kürze …

Kate Hutchinson spricht mit dem Saxophonisten Femi Kuti, dem Perkussionisten Sarathy Korwar, der Gitarristin Shirley Teteh, den Saxophonisten Gary Bartz, Shabaka Hutchings und der Saxophonistin Tia Fuller über den Einfluss Charlie Parkers und ihre Lieblingsaufnahme seines Schaffens (The Guardian). — Steve Krakow erinnert an den Schlagzeuger Dave Tough der zumeist als Drummer des frühen Chicago-Jazz gesehen wird, der aber auch offene Ohren für modernere Spielweisen etwa seines Kollegen Max Roach hatte (Chicago Reader).

Ulrich Kriest spricht mit dem amerikanischen Schlagzeuger Allen Blairman über seine Karriere, die ihn von Pittsburgh nach Heidelberg brachte (SWR2). — Lewis Porter hört sich John Coltranes Aufnahme „Alabama“ an, um dann drei unterschiedliche Ansätze in Coltranes Musik vorzustellen: Songs mit Texten, Stücke, die durch Worte inspiriert wurden, und solche mit versteckten Inhalten. Dann diskutiert er die Theorie, dass „Alabama“ auf Dr. Martin Luther Kings Trauerrede für die vier Mädchen basiere, die 1963 während eines rassistisch motivierten Anschlags auf eine Kirche in Birmingham ums Leben kamen. Wenn überhaupt, argumentiert Porter, basiere Coltranes Stück wohl eher auf Zeitungartikeln über als auf der Rede Kings selbst, was er dadurch zu belegen versucht, dass er Zitate aus den Artikeln mit der klingenden Musik der Aufnahme vergleicht (WBGO).

Doug Doyle spricht mit dem Musiker und Musikwissenschaftler Lewis Porter über seine künftigen Pläne als Pianist und Pädagoge (WBGO). — Matina Stevis-Gridneff spricht mit dem belgischen Pianisten Simon Gronowski über die Fensterkonzerte, die er wegen der Pandemie seit April regelmäßig in seiner Wohnung in Brüssel gibt, sowie über seine eigene Lebensgeschichte, wie er nämlich den Todeslagern von Auschwitz entkam, weil er aus dem fahrenden Zug dorthin sprang, eine Geschichte, die er lang für sich behielt, bis Freunde ihn drängten, öffentlich als Zeitzeuge einer dunklen Vergangenheit und Inspiration für Taferkeit und Großmut darüber zu sprechen (New York Times).

Margot Boyer-Dry berichtet über Freiluftkonzerte während der Pandemie in New York, etwa durch Wayne Tucker and the Bad Motha’s, den Bassisten Jerome Harris und die wöchentliche Community Jam in Prospect Heights, die Proben im Central Park der Trompeterin Kellin Hannas, sowie Berta Alloways Riverside Park-Gigs mit dem Saxophonisten Patience Higgins (New York Times). — John-Paul Shiver hört sich eine Aufnahme von Roland Hayes aus dem Jahr 1975 an und erzählt die Geschichte des in Oakland gegründeten Plattenlabels Black Jazz (48 Hills).

Sasha Frere-Jones spricht mit den Brüdern Branford und Wynton Marsalis über ihre New Yorker Erfahrungen der letzten 40 Jahre (Town & Country). — Christopher Wynn berichtet über Ella Fitzgeralds Mercedes Benz 300D-Cabriolet, eine Spezialanfertigung aus dem Jahr 1959, die jetzt bei einem kalifornischen Autohändler zum Verkauf steht (Dallas News).

Detlef Kinsler berichtet über die Initiative Jazz Montez in Frankfurt, deren Veranstaltungen ein junges Publikum ansprechen (sofern dies die Pandemie erlaubt), und die mit den „Jazz Montez Video Games“ jungen Ensembles aus der Region wie der Darmstädter Band Triorität eine Plattform bieten wollen (Frankfurter Neue Presse). — Ryan McFadin berichtet über eine neue Oper des Saxophonisten Jeff Crompton aus Atlanta über Leben und Musik des legendären Kornettisten Buddy Bolden mit dem simplen Titel „The Buddy Bolden Opera“ (WABE). R. Stephanie Bruno berichtet über eine Liste gefährdeter Kulturdenkmäler in New Orleans, die auch das Haus enthält, in dem Buddy Bolden aufwuchs (New Orleans Times-Picayune).

Preston Frazier spricht mit dem Gitarristen Alex Wintz (Something Else). — Gregor Dotzauer berichtet über den Vibraphonist, Komponisten und Architekturtheoretiker Christopher Dell, dessen jüngstes Projekt, „Das Arbeitende Konzert“, sowie über die Freiheit, die sich mit der Steigerung von Komplexität erreichen lässt (Der Tagesspiegel).

John Kelly erinnert an den Trompeter Dizzy Gillespie, der in den 1980er Jahren seine Thanksgiving-Abende gern im Haus von Dalphine Redd in Silver Spring, Maryland, verbrachte, der Mutter des Schlagzeugers Chuck Redd (Washington Post). — Fabienne Lang berichtet über einen Schachcomputer aus den 1970er Jahren, der jetzt zu einem „Jazz Computer“ umprogrammiert wurde (Interesting Engineering).

Roisin O’Connor spricht mit dem britischen Pianisten und Sänger Jamie Cullum über sein jüngstes Weihnachtsalbum (The Belfast Telegraph). — John Edward Hasse erinnert an den Pianisten Dave Brubeck, der dieser Tage 100 Jahre alt geworden wäre (Wall Street Journal).

Nachrufe:

Wir erfuhren vom Ableben des Bassisten Paul Schürnbrand im Alter von 85 Jahren (Schwäbische Zeitung), des Saxophonisten Herman Green im Alter von 90 Jahren (WMC5 Action News), der Sängerin Othella Dallas im Alter von 95 Jahren (Tele Basel), des Produzenten Michael Brooks im Alter von 85 Jahren (The Snycopated Times), der Sängerin Molly Hammer im Alter von 48 Jahren (KCUR), sowie des kanadischen Gitarristen Bobby Cairns im Alter von 78 Jahren (CBC).

Letzte Woche im Jazzinstitut

Die Deutsche Jazzunion hat eine Studie zur Geschlechtergerechtigkeit im deutschen Jazz vorgelegt, mit der die „Jazzstudie2016“  fortgesetzt wird, die von der DJU zusammen mit dem Jazzinstitut Darmstadt und der IG Jazz Berlin in Auftrag gegeben wurde. Die neue Studie namens „Gender.Macht.Musik. Geschlechtergerechtigkeit im Jazz“ kann auf der Website der DJU heruntergeladen werden (Deutsche Jazzunion).

Andreas Kolb sprach mit Wolfram Knauer über 30 Jahre im Jazzinstitut Darmstadt, aber auch über die künftige Arbeit des Instituts (Neue Musikzeitung).

Neue Bücher, die wir gelesen haben

Unter den Büchern, die wir in den vergangenen Wochen lasen, waren: „Adrian Rollini. The Life and Music of a Jazz Rambler“ von Ate van Delden (siehe die Rubrik „Neue Bücher“ auf der Website des Jazzinstituts).

Call for Papers: 17. Darmstädter Jazzforum (Verlängerung des CfP bis Ende des Jahres): „Aus der Neuen Welt“? Eurozentrismus im Jazz

Einen kürzlich erschienenen Artikel überschreibt der Journalist Georg Spindler: „Musik gehört keinem, sie ist frei “ (Mannheimer Morgen). Kulturelle Aneignung, findet er, ließe sich auch als kreativer Fortschritt verstehen, wofür er Beispiele aus klassischer Musik und Jazz anführt. Dann fokussiert er auf eine Debatte insbesondere in den USA, „die Weißen hätten von der schwarzen Community alles übernommen und kommerzialisiert – außer der Last“, „everything but the burden“ also (einen Buchtitel des Autors Greg Tate zitierend). Musik anderer Kulturen als Ausgangspunkt des kreativen Prozesses zu nutzen sei allerdings keineswegs Plagiat, sondern gängige Kulturpraxis. Ein Aspekt, den Spindler in seinem Artikel außen vor lässt, ist, dass jedwedes Material, das man sich für seine kreative Arbeit aus anderen Kulturen „borgt“, mit Respekt vor seinem Ursprung behandelt werden sollte, sowie die Tatsache, dass, wann immer wir Material anderer Kulturen für unseren künstlerischen Diskurs nutzen, dieses automatisch mit unserer ästhetischen Haltung verknüpft wird, was wiederum die Gefahr in sich birgt, dass wir, je vertrauter uns dieses Material wird, unsere eigenen ästhetischen Werte zurück auf die Quellen des Materials und seine ursprüngliche kulturelle Umgebung übertragen.

… ein weiterer Aspekt also, der beim 17. Darmstädter Jazzforum diskutiert werden könnte, das wir vom 30. September bis 2. Oktober 2021 planen. (Andere Aspekte und andere Perspektiven wurden bereits in den letzten Newslettern genannt; Sie können diese alle aber auch auf der Seite zum Jazzforum nachlesen, die unten verlinkt ist.) Wir laden Sie ein uns Vorschläge für Referate, Panels oder künstlerische Interventionen über eines dieser Teilgebiete (oder ein ganz anderes) zuzusenden, das Ihrer/Eurer Perspektive angemessen ist. Und wir würden uns freuen, wenn Sie unseren Call for Papers mit anderen potentiell Interessierten teilen, mit Kolleg:innen, Künstler:innen, Journalist:innen, Aktivist:innen. Wir sind (innerhalb gewisser Grenzen) dazu in der Lage Reisespesen zu ersetzen. Wir haben die Deadline für Vorschläge bis zum 31. Dezember 2020 verlängert (17. Darmstädter Jazzforum).


JazzNews, No 23 (5. bis 18. November 2020)

in aller Kürze …

Richard S. Ginell berichtet über ein Konzert des Saxophonisten Kamasi Washington mit dem Los Angeles Philharmonic Orchestra in der menschenleeren Hollywood Bowl (San Francisco Classical Voice). — Gregor Burgenmeister trifft den Pianisten Michael Wollny für einen Blindfold Test, in dem es um Aufnahmen von Gary Peacock, Joachim Kühn, Glenn Gould, Eugen Cicero, Igor Levit, Bill Evans und Keith Jarrett geht (Concerti).

Diana Gener berichtet über die New Yorker Jazzszene in Zeiten von Corona und spricht mit Spike Wilner vom Smalls, Audrey Schaefer von der National Independent Venue Association, Stephen Shanaghan vom Pangea, Mark Kirby von der 55 Bar, dem Saxophonisten Jure Pukl, dem Pianisten Shai Maestro, der Sängerin Kiran Ahluwalia und dem Tänzer Xianix Barrera (Diana Gener Medium). — Bill Beuttler spricht mit der Gitarristin Mary Halvorson über ihren Weg zum Jazz und zur improvisierten Musik, über ihr Studium mit Anthony Braxton, über ihre Faszination mit der Musik Robert Wyatts, die dazu führte, dass er als Gastkünstler bei ihrem jüngsten Album, „Artlessly Falling“, mitwirkte, sowie über den politischen Gehalt der Texte ihres Code Girl-Projekts (The Boston Globe).

David Hammer berichtet über den Stand der Gerichtsverhandlung gegen den Trompeter Irvin Mayfield und seines Geschäftspartners, die am 10. November fortgesetzt werden soll (New Orleans Times-Picayune). — Chris Searle spricht mit dem Pianisten Craig Taborn über die Jazzszene im Minneapolis seiner Jugend, über seine Reaktion auf die Polizeigewalt, die zum Tod George Floyds führte, sowie über die Auswirkungen der Coronakrise auf seine Kreativität und die der gesamten Musikszene (Morning Star).

Xaymaca Awoyungbo spricht mit britischen Musiker:innen wie der Saxophonistin Nubya Garcia, dem Produzenten DJ Swindle, dem Saxophonisten Shabaka Hutchings, und dem KOKOROKO-Mitgründer Onome Edgeworth über den Einfluss von Afrobeat und Grime auf den aktuellen britischen Jazz (Mixmag). — Giovanni Russonello spricht mit dem Pianisten Farid Barron, der Sängerin und Geigerin Tara Middleton und dem Saxophonisten Marshall Allen über die Bedeutung des Sun Ra Arkestra, über dessen jüngstes Album, „Swirling“, und über Musik, die vielleicht aus der Vergangenheit kommt, aber immer in die Zukunft weist (New York Times).

Georg Rudiger spricht mit dem Trompeter Till Brönner über die Auswirkungen der Coronakrise auf Künstler:innen, über seine Einmischung in politische Diskussionen, darüber, wie Musiker:innen und anderen im Kulturbereich in dieser Zeit geholfen werden kann, dass Kunst wieder mehr Wertschätzung braucht, und wie sich jeder für die Unterstützung der Künste einsetzen kann (Südkurier). — John Edward Hasse erinnert daran, dass vor 100 Jahren die ersten Rundfunkübertragungen in den Vereinigten Staaten begannen, die einen enormen Einfluss auf die Entwicklung der populären Musik hatten (The Wall Street Journal).

Hans Hielscher erzählt die Geschichte des jiddischen Songs „Bei mir bist du schön“ (Spiegel Online). — Ueli Bernays erklärt die Faszination der Musik des Pianisten Keith Jarrett (Neue Zürcher Zeitung). — Natalie Brunell spricht mit dem Bassisten Alex Frank, der freiwillig an einer Impfstudie des Pharmakonzerns Phizer teilnimmt (Spectrum News). — Wilhelm Triebold spricht mit der Vokalistin Lauren Newton, die den diesjährigen Landesjazzpreis Baden-Württemberg erhält (Schwäbisches Tagblatt).

Nachrufe

Wir erfuhren vom Ableben des Perkussionisten Cándido Camero im Alter von 99 Jahren (NPR, Washington Post), des spanischen Saxophonisten Pedro Iturralde im Alter von 91 Jahren (El Pais), des Vibraphonisten Gerry Hayes im Alter von 86 Jahren (Süddeutsche Zeitung), des Pianisten David Zoller im Alter von 79 Jahren (Dallas Observer), des New Yorker Clubbesitzers Al Howard im Alter von 93 Jahren (New York Times, nur wenige Tage nach einem ausführlichen Artikel über ihn in der New York Times), sowie des französischen Gitarristen Marc Fosset im Alter von 71 Jahren (France Info).

Neues aus der Jazzforschung

Beatrice McDermott berichtet über eine virtuelle Konferenz mit Konzert an der University of Pittsburgh zu Ehren von Leben und Werk der Pianistin Geri Allen (PittNews).

Das Center for Jazz Studies an der Columbia University plant ein Armstrong Continuum 2021 Meeting und lädt Studierende aus aller Welt ein, an einem Panel über die Musik, die Aufnahmen und das Erbe Louis Armstrongs teilzunehmen. Das Treffen, das „Time and Rhythm“ überschrieben ist, lädt zu Beiträgen aus unterschiedlichen Disziplinen ein, die sich auch mit der Aktualität Armstrongs Musik in Zeiten von Black Lives Matter befassen können, mit gesellschaftlich sanktionierter Gewalt und systemischem Rassismus, mit Armstrongs Musik als Beispiel gesellschaftlicher Veränderung in einer Zeit politischer Instabilität, mit dem Bereich der „race studies“ oder feministischer Theorie in Bezug auf Armstrong. Armstrong Continuum wird vom 8. bis 9. April 2021 in New York stattfinden; die Planung sieht auch eine Online-Alternative zur Präsenzveranstaltung vor. Vorschläge für Beiträge sollten nicht länger als 200 Worte sein und bis zum 31. Dezember an folgende E-Mail-Adresse geschickt werden: a.c.valin@columbia.edu.

Letzte Woche im Jazzinstitut

Die Deutsche Jazzunion hat eine Studie zur Geschlechtergerechtigkeit im deutschen Jazz vorgelegt, mit der die „Jazzstudie2016“  fortgesetzt wird, die von der DJU zusammen mit dem Jazzinstitut Darmstadt und der IG Jazz Berlin in Auftrag gegeben wurde. Die neue Studie namens „Gender.Macht.Musik. Geschlechtergerechtigkeit im Jazz“ kann auf der Website der DJU heruntergeladen werden (Deutsche Jazzunion).

Andreas Kolb sprach mit Wolfram Knauer über 30 Jahre im Jazzinstitut Darmstadt, aber auch über die künftige Arbeit des Instituts (Neue Musikzeitung).

Call for Papers: 17. Darmstädter Jazzforum
„Aus der Neuen Welt“? Eurozentrismus im Jazz

Das in Frankfurt beheimatete Ensemble Modern hat ein Symposium über „Afro-Modernism in Contemporary Music“ organisiert. Dabei ging es vor allem um das Gebiet der sogenannten Neuen Musik, aber da diese sich zurzeit genauso neu erfindet wie andere Genres (einschließlich der Jazz), kamen eine Reihe an Dingen zur Sprache, die auch für das nächste Darmstädter Jazzforum interessant sein könnten, das wir für den Oktober 2021 planen.

Die Teilnehmer, unter ihnen der Initiator des Symposiums George E. Lewis im Gespräch mit Harald Kisiedu, sprachen etwa darüber, dass, nur weil bestimmte Beispiele der aktuellen Musik nicht gehört, nicht programmiert und kuratiert werden, das nicht bedeute, dass es sie nicht gäbe. Auch das Labeln von Musik wurde thematisiert, das in der Regel ausgrenzt, oder wie eine Teilnehmerin im Live-Chat schrieb: „Die Obsession Dinge definieren zu wollen, hat immer mit dem Versuch der Kontrolle und Ausgrenzung zu tun.“ Und doch spricht George Lewis selbst, wie er erklärt, nach wie vor von „contemporary classical music“, akzeptiert aber nicht, wenn solch ein Begriff einzig für eine pan-europäische Idee von Musik verwandt wird. Klar gäbe es in der Vergangenheit problematische Programmierungen; man solle die Diskussion über sie aber als Chance sehen, andere Musik, andere Komponist:innen, andere Perspektiven kennenzulernen. Das Frankfurter Symposium ist auch im Nachhinein online zu sehen (Ensemble Modern).

Bereits zuvor hatte George E. Lewis im Sommer an einem Panel teilgenommen, bei dem es um „Decolonizing the Curating Discourse in Europe“ ging, und in seinem Eröffnungsstatement fasst er mögliche Schritte zusammen, das Konzert- und Festivalrepertoire zu öffnen, und betont dafür eine geistige Haltung der „creolozation“, die es „der zeitgenössischen Musik erlaubt, über ihr eurozentrisches Konzept musikalischer Identität hinauszugehen und dabei eine wirkliche Weltmusik zu werden. Und mit eurozentrisch meine ich nicht ‚eurologisch‘ [Teil eines von Lewis selbst geprägten Begriffspaars ‚eurologisch‘ / ‚afrologisch‘] (…) Die Idee des Eurologischen könnte tatsächlich Teil des Versuchs einer Dekolonialisierung werden; Eurozentrismus dagegen niemals. Der ist einfach zu simplizistisch, zu hegemonial, zu geschlossen, zu sehr ethnisch essentialistisch “ (21:05-20:40). (Academy of Arts, das gesamte Statement dauert von 5:30 bis 23:30).

Einige solcher Aspekte mögen auch beim 17. Darmstädter Jazzforum diskutiert werden, das wir vom 30. September bis 2. Oktober 2021 planen. (Andere Aspekte und andere Perspektiven wurden bereits in den letzten Newslettern genannt; Sie können diese alle aber auch auf der Seite zum Jazzforum nachlesen, die unten verlinkt ist.) Wir laden Sie ein uns Vorschläge für Referate, Panels oder künstlerische Interventionen über eines dieser Teilgebiete (oder ein ganz anderes) zuzusenden, das Ihrer/Eurer Perspektive angemessen ist. Und wir würden uns freuen, wenn Sie unseren Call for Papers mit anderen potentiell Interessierten teilen, mit Kolleg:innen, Künstler:innen, Journalist:innen, Aktivist:innen. Wir sind (innerhalb gewisser Grenzen) dazu in der Lage Reisespesen zu ersetzen. Die aktuelle Deadline für Vorschläge ist der 30. November 2020; eine Verlängerung des Calls for Papers bis Ende des Jahres ist wahrscheinlich; mehr dazu im nächsten Newsletter (17. Darmstädter Jazzforum).

Video-Sprechstunde im Jazzinstitut

Seit November bieten wir zusätzlich zu allen bisherigen Kontaktmöglichkeiten (persönlich, per Telefon oder Mail) eine „Video-Sprechstunde“ an. Dafür stehen wir jeweils am Dienstag- und Donnerstagnachmittag zwischen 14 und 15 Uhr MEZ (13-14 Uhr UTC) zur Verfügung, bitten Sie allerdings, dafür per e-mail einen Termin abzumachen und uns dabei bereits mitzuteilen, worum es in dem Gespräch gehen soll. Wir werden Ihnen dann einen Link für eine Webex Videosession für unser Treffen zusenden.


JazzNews, No 22 (22. Oktober bis 4. November 2020)

… in aller Kürze …

Nate Chinen spricht mit dem Pianisten Keith Jarrett, der nach zwei Schlaganfällen immer noch teilweise gelähmt ist, so dass es „höchst unwahrscheinlich ist, dass er jemals wieder in der Öffentlichkeit auftreten wird“, da es, wie er sagt, „sich nicht mehr so anfühlt, als ob ich ein Pianist sei“ (New York Times). Jarrett-Biograph Wolfgang Sandner schreibt ebenfalls über die Krankheit und die Entscheidung des Pianisten, künftig nicht mehr zu spielen (Frankfurter Allgemeine Zeitung).

Hans Jürgen Linke hört sich das jüngste Soloalbum des Pianisten Alexander von Schlippenbach an (Frankfurter Rundschau). — Marian Scott berichtet über Verzögerungen bei den politischen Verhandlungen darüber, ob Montreals Metrostation Lionel-Groulx zu Ehren des Pianisten Oscar Peterson unbenannt werden soll (Montreal Gazette).

John Leland spricht mit dem japanischen Pianisten Tadataka Unno, der kürzlich in einer New Yorker U-Bahn-Station angegriffen wurde (New York Times). — Ammar Kalia spricht mit dem britischen Pianisten Ashley Henry über ein Programm, das er zusammen mit Kolleg:innen für den Londoner Ronnie Scott’s Club zusammengestellt hat, in dem sie Protestsongs und Lieder der Bürgerrechtsbewegung für ein Fernseh-Special aufführen (The Guardian). — Unterdessen sieht sich Imogen Tilden vorab eine neue Dokumentation über den Ronnie Scott’s Jazzclub in London an (The Guardian).

Jon Bream spricht mit dem Pianisten Butch Thompson darüber, dass er nach vier Jahren mit Gedächtnisverlust und einer ernsthaften Erkrankung seiner Hand wieder auftritt (Star Tribune). — Rainer Kern, der künstlerische Leiter des Enjoy Jazz Festivals, spricht über die Auswirkungen der neuen Corona-Regeln auf die Konzerte des Festivals, die eigentlich für November geplant waren (Rhein-Neckar-Zeitung).

Giovanni Russonello spricht mit dem Vibraphonisten Joel Ross über seine musikalische Herkunft, über den Einfluss Milt Jacksons, über sein Quintett Good Vibes, sowie über sein jüngstes Album, „Who Are You?“ (New York Times). — Jan Paersch spricht mit dem Pianisten Michael Wollny über Kreativität, über sein jüngstes Album „Mondenkind“, über die positiven Aspekte von Lampenfieber, über die körperlichen Aspekte des Musikmachens, sowie über die Beziehung, die er im Konzert zu seinem Publikum aufbaut (Neues Deutschland). Jan Wiele hört sich Michael Wollnys Album „Mondenkind“ an (Frankfurter Allgemeine Zeitung).

John Ochs spricht mit dem Pianisten Ray Skjelbred über seine musikalischen Abenteuer über die Jahrzehnte (The Syncopated Times [Teil 1], The Syncopated Times [Teil 2]). — Julian Röpke berichtet über ein gut besuchtes Konzert mit einem Publikum größtenteils ohne Mund-Nasen-Bedeckung beim Jazzfestival in Dresden, das bereits zuvor Kontroversen ausgelöst hatte (Bild, Süddeutsche Zeitung). Moritz Eggert findet, die Festivalveranstalter hätten verantwortungslos gehandelt und könnten gut und gerne als Totengräber des Jazz in Dresden (oder zumindest dieses Festivals) bezeichnet werden (Bad Blog of Musick / NMZ).

Ovidiu-Victor Olar erklärt, warum Louis Armstrongs Konzerte in Bukarest 1965 so wichtig für die kulturpolitische Öffnung des kommunistischen Rumänien zum Westen war, und wie in der Folge die Staatliche Plattenfirma eine eigene Jazzreihe etablierte, auf der bis zum Kollaps des Systems immerhin 24 Alben erschienen (Der Standard). — Megan Mayhew Bergman erzählt die Geschichte der Posaunistin Helen Jones Woods, die Jahrzehnte als Krankenschwester, außerdem als Hilfslehrerin gearbeitet hatte, aber davor mit den International Sweethearts of Rhythm durch die Welt gereist war (The New Yorker).

Carsten Vogel spricht mit dem Schlagzeuger Wolfgang Haffner über die Aufgabe des Schlagzeugers in der Band, über seine Aufnahmen mit Klaus Doldinger und Chaka Khan, sowie darüber, dass man als gut beschäftigter Musiker unbedingt für eine Balance im Leben sorgen müsse (Münstersche Zeitung). — Scott Haas spricht mit der Saxophonistin Lakecia Benjamin über ihr jüngstes Album „Pursuance. Two Coltranes“, über Einflüsse von der Dominikanischen Republik bis Duke Ellington und Sam Rivers, über die Erfahrungen von Musikerinnen im Musikgeschäft, sowie über ihre Hoffnung, dass sie 2021 endlich wieder mehr spielen kann (Bay State Banner).

Gemma Peacocke spricht mit dem Schlagzeuger, Multiinstrumentalisten und Komponisten Tyshawn Sorey über ein neues Stück aus seinem „Autoschediasms“-Projekt, das er am 30. Oktober virtuell zusammen mit „Alarm Will Sound“ realisieren wird, darüber, was gemeinsame Improvisation (oder Spontankomposition, wie er sie lieber nennt) zufriedenstellend macht, über Balance und das Fehlen selbiger im Leben kreativer Musiker, sowie über das jüngst stärker erwachte Bewusstsein für BIPOC (Black, Indigenous and People of Color) in der klassischen und Neue-Musik-Szene (I Care If You Listen). — Shannon Effinger spricht mit dem 96-jährigen Saxophonisten Marshall Allen über die 15-20 Instrumente, die er spielt, über seine Aufnahmen mit dem nigerianischen Perkussionisten Babatunde Olatunji, über seine Zeit in Paris nach dem Krieg, über die vielen Jahrzehnte, die er im Sun Ra Arkestra spielte, das er heute leitet, sowie über die mögliche Kraft, die in seiner und der Musik des Arkestra steckt, und wie sich diese auf die heutige Politik auswirken könne (The Washington Post).

Gabe Cohn berichtet über die Heirat des Jazzproduzenten Glenn Steven Siegel (New York Times). — Wolfgang Sandner hört den Pianisten Django Bates und die hr Bigband beim Deutschen Jazzfestival in Frankfurt (Frankfurter Allgemeine Zeitung).

Die Corona-Pandemie hat sich wieder erheblich intensiviert, und während die Bundesregierung auf einen „Lockdown light“ setzt, melden sich zahlreiche Künstler:innen zu Wort, die eine faire Behandlung aller Akteure im Kulturgeschäft fordern, unter ihnen der Trompeter Till Brönner (YouTube, Süddeutsche Zeitung, Die Zeit) sowie die Deutsche Jazzunion (DJU). — Markus Schneider spricht mit Nadin Deventer über die wegen Corona in diesem Jahr völlig geänderte Ausgabe des Jazzfests Berlin (Berliner Zeitung). — Howard Reich berichtet über die Auswirkungen der Coronakrise auf die Jazzclubs in Chicago und spricht dafür mit Dave Jemilo vom Green Mill, Wayne Segal vom Jazz Showcase, Mike Reed vom Constellation, und Jeff Chisholm vom Andy’s Jazz Club (Chicago Tribune).

Nachrufe

Wir erfuhren vom Ableben des schottischen Trompeters Jim Petrie im Alter von 83 Jahren (The Herald), des italienischen Pianisten Alessandro Giachero im Alter von 49 Jahren (Info durch Francesco Martinelli), des Bassisten (und volkstümlichen Sängers) Karel Hulinsky im Alter von 81 Jahren (Freie Presse), des Vibraphonisten Fritz Hartschuh im Alter von 90 Jahren (Mannheimer Morgen), des Rundfunkmoderators Joe Rico im Alter von 96 Jahren (Buffalo News), der Schlagzeugerin Viola Smith im Alter von 107 Jahren (Washington Post), des Komponisten und Pädagogen Bert Braud im Alter von 84 Jahren (New Orleans Times-Picayune), des Schlagzeugers Bobby Ward im Alter von 81 Jahren (Drum Forum), des Gitarristen Stan Wright im Alter von 62 Jahren (Newsday), des deutsch-amerikanischen Vibraphonisten Gerry Hayes im Alter von 86 Jahren (Info durch Marcus Woelfle), sowie des Pianisten Overton Berry im Alter von 84 Jahren (The Seattle Times).

Neues aus der Jazzforschung

Das International Network for Artistic Research hat einen Call for Papers für seine zweite Konferenz veröffentlicht, bei der es unter anderem um Themen gehen soll wie „research of vs research with“, „demonstrating ‚rigour‘ in improvised music“, „knowledge exchange via improvised music practice“ und „value/application of knowledge to the wider research community“. Die Konferenz findet vom 18.-22. Januar 2021 nur online statt; die Deadline für Referatsvorschläge ist der 9. November 2020. Mehr: Jazz Practice Research Birmingham.

Ebba Hagenberg-Miliu berichtet über den Jazzforscher und Diskographen Rainer Lotz, der Anfang Oktober die Ehrendoktorwürde der Musikhochschule Weimar erhielt (die Laudatio dazu kam, wie berichtet, von Wolfram Knauer vom Jazzinstitut) (Bonner General-Anzeiger).

Letzte Woche im Jazzinstitut

… beim Deutschen Jazzfestival

Das Deutsche Jazzfestival in Frankfurt hat stattgefunden (wenn auch nicht ganz so wie ursprünglich geplant), und das Jazzinstitut war beim Stream im Radio auf hr2 mit dabei. Nach dem Konzert mit Django Bates‘ Belovèd und der hr Bigband, „Celebrating Charlie Parker“, sprach etwa Daniella Baumeister mit Wolfram Knauer über Birds Bedeutung sowohl für die Jazzgeschichte wie auch für die Jazzszene heute (hr2). Und Arndt Weidler besuchte am Samstag die drei Konzerte ohne Publikum im Frankfurter Sendesaal, hörte sich die Band  SH4iKH 9 extended, Johanna Summers „Schumann Kaleidoskop“ und KUU!’s „Lampedusa Lullaby“ an und sprach in den Pausen dazwischen mit Karmen Mikovic über die Realität gestreamter und Livemusik in Zeiten von Covid-19 (hr2).

COVID-19 und das DAZZ

Die Bundesregierung hat Ende Oktober einen sogenannten „Lockdown light“ verordnet, der vom 2. bis 30. November dauern soll. Geschäfte bleiben offen, aber Restaurants, Bars sowie Theater, Konzertsäle und Clubs müssen in dieser Zeit schließen. Der Lockdown betrifft auch die Konzerte, die ursprünglich im November im Gewölbekeller des Jazzinstituts geplant waren und die alle abgesagt werden mussten (Jazzinstitut-Konzerte). Wir verlieren allerdings nicht unseren Optimismus und planen bereits das nächste DAZZ-Festival im kommenden Januar, in größeren Spielorten für ein kleineres Publikum und mit allen notwendigen und selbstverständlichen  Hygienemaßnahmen. Diese Pläne treffen allerdings nicht überall auf Zustimmung, wie unsere Lokalzeitung berichtet (Darmstädter Echo).

Neue Bücher, die wir gelesen haben

Unter den Büchern, die wir in den vergangenen Wochen lasen, waren: „Adrian Rollini. The Life and Music of a Jazz Rambler“ von Ate van Delden (siehe die Rubrik „Neue Bücher“ auf der Website des Jazzinstituts).

Call for Papers: 17. Darmstädter Jazzforum
„Aus der Neuen Welt“? Eurozentrismus im Jazz

Wegen Covid-19 wurden im vergangenen Sommer die Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik abgesagt (bzw. ins nächste Jahr verschoben), aber die Kolleg:innen unseres Schwesterinstituts sind beispielsweise mit einer Podcast-Reihe präsent, in der Künstler:innen über eine Vielzahl unterschiedlicher aktueller Themen sprechen. Der jüngste dieser Podcasts ist ein Gespräch der in China geborenen Komponistin, Multiinstrumentalistin, Sängerin und Performerin Du Yun mit dem Komponisten Raven Chacon über ihre gemeinsame Opernproduktion „Sweet Land“, aber auch über aktuelle Diskussionen zur „Entkolonialisierung“ zeitgenössischer Musik, ein Thema, das Chacon in Konferenzen und Konzertreihen etwas überbemüht sieht, das, wie er erklärt, weit komplexer sei als es oft dargestellt wird. Sein Argument ist, dass „indigene Künstler:innen oder Minderheiten-Künstler:innen nicht als Lehrbuch für andere über ihr eigenes Volk verstanden werden möchten. Was uns viel mehr interessiert, oder was viel interessanter sein könnte, ist, wenn man gefragt wird: Naja, was denkst du denn über Zeit, was denkst du über die Räumlichkeit von Sound, oder was denkst du über hörbare Klänge, oder, was denkst du über … was auch immer: Frequenz, Licht, das Universum “ [ab 49:08], worauf Du Yun erwidert, dass so viele dieser Aspekte immer noch aus einer vor allem eurozentrischen Sichtweise interpretiert werden, sie, Chacon und andere, die aus nicht-europäischen Traditionen kommen, aber einen ganz anderen Blick haben könnten (Ferienkurse Darmstadt). Alles in allem also ein Ruf nach Respekt für andere Weltsichten, Respekt, der sich in den Worten wiederfinden sollte, die wir benutzen, oder zumindest in einem Bewusstsein dafür, wie wir Worte benutzen und wie sie verstanden werden oder verstanden werden können.

Noch ein Denkanstoß also und ein weiteres Thema, um das es beim 17. Darmstädter Jazzforum gehen könnte, das wir vom 30. September bis 2. Oktober 2021 planen. (Andere Aspekte und andere Perspektiven wurden bereits in den letzten Newslettern genannt; Sie können diese alle aber auch auf der Seite zum Jazzforum nachlesen, die unten verlinkt ist.) Wir laden Sie ein uns Vorschläge für Referate, Panels oder künstlerische Interventionen über eines dieser Teilgebiete (oder ein ganz anderes) zuzusenden, das Ihrer/Eurer Perspektive angemessen ist. Und wir würden uns freuen, wenn Sie unseren Call for Papers mit anderen potentiell Interessierten teilen, mit Kolleg:innen, Künstler:innen, Journalist:innen, Aktivist:innen. Wir sind (innerhalb gewisser Grenzen) dazu in der Lage Reisespesen zu ersetzen. Die aktuelle Deadline für Vorschläge ist der 30. November 2020 (17. Darmstädter Jazzforum).

Video-Sprechstunde im Jazzinstitut

Ab November 2020 bieten wir zusätzlich zu allen bisherigen Kontaktmöglichkeiten (persönlich, per Telefon oder Mail) auch eine „Video-Sprechstunde“ an. Dafür stehen wir jeweils am Dienstag- und Donnerstagnachmittag zwischen 14 und 15 Uhr MEZ (13-14 Uhr UTC) zur Verfügung, bitten Sie allerdings, dafür per e-mail einen Termin abzumachen und uns dabei bereits mitzuteilen, worum es in dem Gespräch gehen soll. Wir werden Ihnen dann einen Link für eine Webex Videosession für unser Treffen zusenden.


JazzNews, No 21 (8. bis 21. Oktober 2020)

… in aller Kürze …

Julia Jacobs listet die Gewinner:innen der diesjährigen MacArthur Fellowships auf, unter denen sich die Sängerin Cécile McLorin Salvant und der Dichter und Kulturtheoretiker Fred Moten befinden (New York Times). Howard Reich spricht mit Cécile McLorin Salvant über die Ehre mit der Fellowship ausgezeichnet zu werden (Chicago Tribune).

Steve Pfarrer spricht mit dem Veranstalter Glenn Siegel über eine Konzertreihe zu Ehren des Saxophonisten Yusef Lateef an der University of Massachusetts Amherst (Daily Hampshire Gazette). Dieselbe Universität hat aus Anlass des 100sten Geburtstags 100 Statements von Künstler:innen, Wissenschaftler:innen, Kolleg:innen und früheren Studierenden des Saxophonisten und Komponisten Yusef Lateef gesammelt (UMassAmherst). — Phil Kaufman stellt acht Fotos seines Vaters vor, des Fotografen Irving Kaufman, unter ihnen Bilder von Mike Todd, Alan Freed, Cab Calloway, Louis Prima, Lionel Hampton, Mel Torme und Nat King Cole (Brooklyn Daily Eagle).

Noah Becker spricht mit dem Schlagzeuger Rodney Green über seine Zusammenarbeit mit Joe Henderson, Greg Osby, Jason Moran, sowie über die Internet-Show Purgatory Perceptions, eine Mischung aus Talkshow mit Livemusik (White Hot Magazine). — Tyler Wilcox präsentiert seinen Leser:innen einige Beispiele für Sun Ra and his Arkestra auf Film  (Pitchfork). Christoph Wagner hört das erste Studioalbum des Sun Ra Arkestra und erinnert an den Meister und seine Musik (Neue Zürcher Zeitung).

Der japanische Pianist Tadataka Unno wurde bei einem Überfall in einer New Yorker U-Bahn-Station ernsthaft verletzt (Nippon, CBS New York). — Michael Stewart Foley erinnert daran, als Rahsaan Roland Kirk, Archie Shepp und andere Musiker, die sich im Jazz and People’s Movement engagierten, in Dick Cavetts US-Talk-Show eine Demonstration vor laufenden Kameras organisierten, mit der sie mehr schwarze Musiker im Fernsehen forderten (The Guardian).

Ethan Iverson erinnert an die Musik des Pianisten Art Hodes und transkribiert dessen „Ross Tavern Boogie“ (Do the Math). — Emma Grillo spricht mit dem Gitarristen Alegba Jahyile darüber, wie er während der Corona-Pandemie seine Sonntage verbringt (New York Times). — Emma Starer Gross besucht die 107 Jahre alte Schlagzeugerin Viola Smith, die sich an ihre Karriere erinnert, zu der sowohl gehörte, dass sie 1939 als „schnellste Girl-Drummer“ angepriesen wurde, als auch , dass sie weit später in einer „das Gesetzt brechenden christlichen Quilting-Gemeinschaft“ lebte (The Land Mag).

Thomas Hine besucht eine Multimedia-Ausstellung am Institute of Contemporary Art in Philadelphia, die der Kunst, der Musik und dem Denken des Perkussionisten/Künstlers/Kardiologen Milford Graves gewidmet ist (The Philadelphia Inquirer). — Randall Roberts (Los Angeles Times) und Wolfgang Sandner (Frankfurter Allgemeine Zeitung) feiern den Saxophonisten Pharoah Sanders aus Anlass seines 80sten Geburtstags.

George Varga spricht mit dem Saxophonisten Charles McPherson über sein jüngstes Album, sein neues Label, sowie über die Vorbereitungen für ein Drive-In-Konzert (Gazettextra). — Howard Reich spricht mit dem Sänger Kurt Elling über seine Entscheidung, nach 12 Jahren in New York wieder zurück nach Chicago zu ziehen (Chicago Tribune).

Brenna Houck blickt auf die Auswirkungen der Coronakrise auf die Nightclub-Szene in Detroit (Detroit Eater). — Angelica Acevedo schaut schon mal einen Tribut, den 27 zeitgenössische Künstler:innen Louis Armstrong zollen, Teil des neuen Programms „Armstrong Now“ des Louis Armstrong House Museum (QNS). — Nate Chinen spricht mit der Pianistin und Sängerin Diana Krall (WBGO).

John Shand erinnert sich daran, wie er während einer Australien Tournee 1986 den Saxophonisten Dewey Redman traf (Sydney Morning Herald). — David Masciotra erinnert an den verstorbenen Autor Stanley Crouch, den er als „radikalen Pragmatiker“ bezeichnet (Los Angeles Review of Books).

Kilian Forster, künstlerischer Leiter der Jazztage Dresden, hat einen Schweizer Autor zu einem Vortrag über „Geostrategie“ eingeladen. Weder der Vortragende noch sein Vortrag haben etwas mit Jazz zu tun, allerdings habe eine ähnliche Veranstaltung mit ihm im letzten Jahr, wie Forster erklärt, geholfen das Musikprogramms querzufinanzieren. Musiker fluten Forster nun mit Protestmails und die regionale Presse berichtet ebenfalls, da der Schweizer Autor als Verschwörungstheoretiker gehandelt wird, der sich rechter Themen bediene, und all das in einer Stadt, die schon seit einer ganzen Weile als Zentrum der rechten Bewegung in Deutschland gilt. (Sächsische Zeitung, Facebook-Antwort Forsters, Dresdner Neueste Nachrichten, Musik in Dresden, MDR einschließlich Telefoninterviews mit Forster und dem Sächsischen Jazzverband).

Nachrufe

Wir erfuhren vom Ableben des Gitarristen Eddie Van Halen im Alter von 65 Jahren (New York Times), des Klarinettisten und Saxophonisten Siggi Gerhard im Alter von 90 Jahren (Jazzclub Rheingau), des Vibraphonisten Fritz Hartschuh im Alter von 90 Jahren (Information von Harald Dayot), des Sängers Johnny Nash im Alter von 80 Jahren (New York Times), des holländischen Saxophonisten Tony Vos im Alter von 89 Jahren (ED), des Posaunisten Harold Betters im Alter von 92 Jahren (Pittsburgh Gazette), des holländischen Kontrabassisten Peter Krijnen im Alter von 80 Jahren (Information von Pierre Courbois), des Saxophonisten Macy Favor im Alter von 90 Jahren (Buffalo News), des japanischen Trompeters Toshinori Kondo im Alter von 71 Jahren (Toshinori Kondo, The Mainichi), sowie des französischen Komponisten und Dirigenten Jacques-Louis Monod im Alter von 93 Jahren (Washington Post).

Letzte Woche im Jazzinstitut

Jazz Now

Arndt Weidler moderierte eine Gesprächsrunde über die Bedeutung von Berufsinteressenvertretungen in Zeiten von Corona (und darüber hinaus) während der diesjährigen JazzNow-Konferenz der Deutsche Jazzunion in Leipzig (Vimeo).

Neue Bücher, die wir gelesen haben

Unter den Büchern, die wir in den vergangenen Wochen lasen, waren: „Straighten Up and Fly Right. The Life & Music of Nat King Cole“, von Will Friedwald, sowie „Free Jazz Communism. Archie Shepp-Bill Dixon Quartet at the 8th World Festival of Youth and Students in Helsinki 1962“, herausgegeben von Sezgin Boynik und Taneli Viitahuhta (siehe die Rubrik „Neue Bücher“ auf der Website des Jazzinstituts).

Call for Papers: 17th Darmstadt Jazzforum
„Aus der Neuen Welt“? Eurozentrismus im Jazz

Kai Bartol schreibt über „musikalische Gentrifizierung“ im The Michigan Daily, fragt etwa, wieso der Jazz in den USA gerade bei einem weißen Publikum so populär wurde, obwohl zur gleichen Zeit der Gruppe, aus der die musikalischen Erfinder dieser Musik stammten, kein angemessener Platz in der Gesellschaft zugestanden wurde. Er spricht mit dem Kulturhistoriker Ed Sarath über Unterschiede in der Rezeption schwarzer Musik, die darauf basieren, ob man selbst Teil der afro-amerikanischen Community ist oder nicht. „Der eurozentrische Rahmen „, erklärt Sarath, „in dem Musik an den Schulen gelehrt wird, wäscht schwarze Musik geradezu weiß und trennt sie von ihren schwarzen Wurzeln.“

Noch ein Denkanstop also und ein weiteres Thema, um das es beim 17. Darmstädter Jazzforum gehen könnte, das wir vom 30. September bis 2. Oktober 2021 planen. (Andere Aspekte und andere Perspektiven wurden bereits in den letzten Newslettern genannt; Sie können diese alle aber auch auf der Seite zum Jazzforum nachlesen, die unten verlinkt ist.) Wir laden Sie ein uns Vorschläge für Referate, Panels oder künstlerische Interventionen über eines dieser Teilgebiete (oder ein ganz anderes) zuzusenden, das Ihrer/Eurer Perspektive angemessen ist. Und wir würden uns freuen, wenn Sie unseren Call for Papers mit anderen potentiell Interessierten teilen, mit Kolleg:innen, Künstler:innen, Journalist:innen, Aktivist:innen. Wir sind (innerhalb gewisser Grenzen) dazu in der Lage Reisespesen zu ersetzen. Die aktuelle Deadline für Vorschläge ist der 30. November 2020 (17. Darmstädter Jazzforum).


JazzNews, No 20 (24. September bis 7. Oktober 2020)

… in aller Kürze …

John Edward Hasse erinnert an den Pianisten und Sänger Ray Charles, der vor 90 Jahren geboren wurde (Wall Street Journal). — Daniel Nagel (Backstage Pro) und Georg Spindler (Mannheimer Morgen) sprechen mit Rainer Kern, dem künstlerischen Leiter des Enjoy Jazz Festivals.

Zev Feldman erzählt von der Entdeckung jüngst erstmals veröffentlichter Liveaufnahmen Thelonious Monks (Discogs). — Martin Johnson blickt auf die Geschichte des 1970er-Jahre-Labels Black Jazz Records (NPR). — Der Bassist Giorgi Kiknadze erhält den Werner Burkhardt Musikpreis (Kulturport).

Renate Feyerbacher berichtet über den Saxophonisten Tony Lakatos, der dieser Tage mit dem Hessischen Jazzpreis ausgezeichnet wurde (Feuilleton Frankfurt). Stefan Michalzik (Frankfurter Rundschau) und Norbert Krampf (FAZ) berichten ebenfalls über Tony Lakatos. — Jeff Vasishta wirft einen Blick ins Haus, in dem Dave Brubeck in Connecticut gewohnt hatte und das jetzt zum Verkauf steht (Dirt).

Reinhard Köchl spricht mit dem Pianisten Michael Wollny (Die Zeit). — Andrian Kreye spricht mit dem Pianisten Brad Mehldau (Süddeutsche Zeitung).

Sabine Leipertz erinnert an den legendären Club Onkel Pö’s  in Hamburg (NDR). Kyle Buchanan sieht die Netflix-Adaptation von August Wilsons Schalspiel „Ma Rainey’s Black Bottom“ mit Viola Davis in der Hauptrolle und produziert von Denzel Washington (New York Times).

Mary Ellen Wright spricht mit dem Trompeter Wynton Marsalis vor seinem Auftritt in Mount Gretna (Lancaster Online). Giovanni Russonello hört sich neuentdeckte Aufnahmen Ella Fitzgeralds an, die unter dem Titel „Ella. The Lost Berlin Tapes 1962“ veröffentlicht wurden (New York Times).

Stefan Michalzik hört den Pianisten Hans Lüdemann mit dem Trio Ivoire (Frankfurter Rundschau). Ted Gioia erinnert sich, welchen Einfluss der Autor Whitney Balliett auf seine Sicht auf den Jazz hatte (City Journal).

Accra Shepp veröffentlicht ein langes Interview mit seinem Vater, dem Saxophonisten Archie Shepp (New York Review of Books). Orla Barry blickt auf die Situation schwarzer Musiker in der klassischen Musik (The Week), während Joshua Barone lernt, dass viele klassische Orchester jüngst Werke schwarzer Komponisten in ihr Repertoire aufgenommen haben (New York Times).

Steve Provizer betrachtet Louis Armstrong als einen Vermittler zwischen den Welten der populären Unterhaltung und des Jazz (The Arts Fuse). — Andrew Gilbert spricht mit dem Saxophonisten Dayna Stephens (The Mercury News). George Varga spricht mit der Schlagzeugerin Cindy Blackman (The Columbus Dispatch).

Nachrufe:

Wir erfuhren vom Ableben der französischen Sängerin Juliette Gréco im Alter von 93 Jahren (Der SpiegelNew York Times), des Trompeters und Saxophonisten Ira Sullivan im Alter von 89 Jahren (Chicago TribuneWBGO), des Gitarristen und Sängers Sterling Magee im Alter von 84 Jahren (New York Times), des Trompeters  Steffen Mathes im Alter von 33 Jahren (Mannheimer Morgen), des Klarinettisten Laszlo Dömötör im Alter von 71 Jahren (Rheinische Post), des Saxophonisten Arlen Asher im Alter von 91 Jahren (Santa Fe New Mexican), des Journalisten und Moderators Karlheinz Drechsel im Alter von 89 Jahren (MDRTag24), sowie des österreichischen Saxophonisten Hans Salomon im Alter von 87 Jahren (Vienna OnlineORF).

Letzte Woche im Jazzinstitut

Kathrin-Preis

Ende September gaben wir die Gewinnerin des Kathrin-Preises 2021 bekannt, der nach der 2016 verstorbenen Saxophonistin Kathrin Lemke benannt mit einer einwöchigen voll-finanzierten Residenz in Darmstadt dotiert ist, bei der die Gewinnerin das von ihr der Jury vorgeschlagene Projekt ausarbeiten und realisieren kann. And the winner is: die Saxophonistin und Komponistin Luise Volkmann, die sich in ihrer Arbeit genauso auf die afro-amerikanischen Wurzeln des Jazz bezieht wie sie sich ihrer eigenen Stellung als westeuropäische Musikerin bewusst ist, und deren Musik die aktuellen Diskurse unserer Zeit aufnimmt und reflektiert (Darmstädter EchoKathrin-Preis).

Ehrendoktorwürde für Rainer E. Lotz

Der Autor, Sammler, Diskograph, Jazzforscher und Produzent Rainer E. Lotz wurde Anfang Oktober von der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet. Die Laudatio hielt Wolfram Knauer vom Jazzinstitut Darmstadt.

Neue Bücher, die wir gelesen haben

Unter den Büchern, die wir in den vergangenen Wochen lasen, war „Kleine Songs zwischen Freunden“, ein Buch über den Pianisten und Künstler John Fischer, geschrieben von Arno Fischer (siehe die Rubrik „Neue Bucher“ auf der Website des Jazzinstituts).

Call for Papers: 17th Darmstadt Jazzforum
„Aus der Neuen Welt“? Eurozentrismus im Jazz

Wenn der Jazz ein Geschenk Afro-Amerikas an die Welt war, wie oft zu lesen ist, und wenn die Musik jeden, der sie spielt, dazu auffordert „sich selbst zu spielen“, also den eigenen kulturellen Background mit ins Idiom einfließen zu lassen, wie beeinflusst ein solcher Mix an Information, Haltungen und Ansätzen wohl den Diskurs über die Musik? Wenn der Jazz immer noch als Identifikationsmittel innerhalb der afro-amerikanischen Community gilt, wie gehen wir dann mit der Tatsache um, dass er mittlerweile Teil der globalen Musikindustrie geworden ist, die weniger von Community- als von kommerziellen Interessen gelenkt ist, oder mit der Tatsache, dass der Jazz von vielen nationalen oder regionalen Szenen überall auf der Welt als ein probates Idiom angenommen wurde, in dem lokale Künstler:innen ihre Emotionen ausdrücken können? „Eurozentrismus“ ist ein problematischer Begriff, der oft kultureller Dominanz und dem kolonialen Erbe Europas assoziiert wird. Ist es möglich, über dieses Thema neutraler zu sprechen, als eine Art Darstellung geschichtlicher Entwicklungen, eines künstlerischen Diskurses, an dem der Jazz seit dem frühen 20sten Jahrhundert beteiligt war, nicht also in moralischen, sondern vor allem in beschreibenden Termini?

Dies sind einige der Fragen, die wir beim 17. Darmstädter Jazzforum ansprechen wolle, das wir vom 30. September bis 2. Oktober 2021 planen. Wir laden Sie ein uns Vorschläge für Referate, Panels oder künstlerische Interventionen über eines dieser Teilgebiete (oder ein ganz anderes) zuzusenden, das Ihrer/Eurer Perspektive angemessen ist. Und wir würden uns freuen, wenn Sie unseren Call for Papers mit anderen potentiell Interessierten teilen, mit Kolleg:innen, Künstler:innen, Journalist:innen, Aktivist:innen. Wir sind (innerhalb gewisser Grenzen) dazu in der Lage Reisespesen zu ersetzen. Die aktuelle Deadline für Vorschläge ist der 30. November 2020 (17. Darmstädter Jazzforum).


JazzNews, No 19 (10. bis 23. September 2020)

10. September 2020
Dolly Jones / New York

Rebecca Batley blickt auf das Leben und die Musik der Trompeterin Dolly Jones, die 1902 in Chicago geboren wurde, 1919 mit der Familienkapelle spielte, in den 1920er Jahren dann in Kansas City auftrat, wo sie unter anderem Roy Eldridge traf, 1926 ihre erste Nummer mit Albert Wynn’s Gut Bucket Five aufnahm, mit der Bluessängerin Ida Cox auf Tournee ging, 1937 eine Show für einen Club auf der 52sten Straße zusammenstellte und 1938 im Film „Swing!“ zu sehen ist. Jones trat bis zu ihrem Tod im Jahr 1975 auf, und Batley berichtet auch über den Sexismus, den sie immer wieder im Musikgeschäft erlebte (Reverb). — Ben Sisario und Giovanni Russonello sprechen mit Musiker:innen und Veranstalter:innen der New Yorker Jazzszene wie Ken Sturm vom Iridium, dem Saxophonisten Donny McCaslin, Deborah Gordon vom Village Vanguard, Rio Dakairi von der Jazz Gallery, der Saxophonistin Melissa Aldana und dem Vibraphonisten Joel Ross über die Folgen der Pandemie für die Spielorte und ihre Hoffnung, dass, „egal, ob die Clubs das überleben, die Musik wird weiter nach vorne drängen“ (New York Times). Eileen Grench berichtet ebenfalls über die New Yorker Jazzclubszene und spricht mit Carlos Abadie vom Smalls, Loren Schoenberg vom National Jazz Museum in Harlem, Deborah Gordon vom Village Vanguard, mit den Pianist:innen Arcoiris Sandoval und Miki Yamanaka sowie mit William Crowley von der State Liquor Authority, der Behörde, die für die Genehmigungen des Barbetriebs in der Stadt zuständig ist (The City NYC). Shayne Weaver wirft einen weiteren Blick auf die Jazzclubszene New Yorks, und findet um die Zukunft besorgte Clubbetreiber wie Deborah Gordon vom Village Vanguard, Spike Wilner vom Smalls und Mezzrow, Audrey Fix Schaefer von der National Independent Venue Association, Andrew Berman von der Greenwich Village Society for Historic Preservation sowie den Saxophonisten Daniel Bennett (Time Out).

12. September 2020
Hal Willner / Wynton Marsalis

Allyson McCabe erinnert an den verstorbenen Produzenten Hal Willner, bekannt als „den Mann mit dem goldenen Rolodex“, weil er quasi alle Stars im Musikgeschäft anrufen und sie überreden konnte, an einem seiner Tributalben oder Konzerte teilzunehmen. McCabe erzählt von den ungewöhnlichen Zusammenstellungen von Künstler:innen und Musik, wobei die Idee immer war: „Äfft das Original nicht nach“, wie sie aus Gesprächen etwa mit dem Blondie-Mitgründer Chris Stein, dem Rockmusiker Todd Rundgren, Willners lanjähriger Managerin Rachel Fox, der Performance-Künstlerin Helga Davis und der Sängerin Beth Orton lernt. Willners letztes Projekt war ein Tribut-Album für den T. Rex-Frontman Marc Bolan  (NPR). — Kyle Macdonald spricht mit dem Trompeter Wynton Marsalis über sein jüngstes Album „The Ever Fonky Lowdown“, eine Mischung aus „Oper und Musical, in der der Protagonist, ein Karnevals-Gauner, eine Reihe an Streichen spielt, um die Menschen in einer Gruppe auseinanderzubringen und misstrauisch zu machen, wo es also darum geht, wie man Menschen manipuliert und betrügt“, ein Stück, in dem Marsalis außerdem die aktuellen Rassismusprobleme in den Vereinigten Staaten thematisiert (Classic FM).

14. September 2020
Tomeka Reid / Dirk Piezunka

Andrew Gilbert spricht mit der Cellistin Tomeka Reid über ihre kürzliche Berufung ans Mills College, über die künstlerische Begegnung mit aktueller social distance mit der Videokünstlerin Selina Trepp und dem Perkussionisten Adam Vida, über die Bedeutung der AACM, bei der sie Mitglied ist, sowie darüber, was es ihr bedeutet, die Darius Milhaud-Professur am Mills College innezuhaben (San Francisco Chronicle). — Jean-Pierre Fellmer spricht mit dem Saxophonisten Dirk Piezunka darüber, wie er lernte, er selbst zu sein, als er 1996 für den Jazzstudiengang in Hilversum vorspielte, wie sein Großvater ihm die Erkenntnis mitgegeben habe, dass zum Musikerberuf neben guter Technik auch gute Ohren gehören, über eine Jam Session in Bremen, die er mitbegründete, über seine andauernde Faszination mit dem Jazz, sowie über eine Erfahrung, die er machte, als er mit seinem Saxophon auf einen Segeltörn ging: dass nämlich Seehunde Jazz lieben (Weser-Kurier).

17. September 2020
Dallas, Texas / Gary Peacock

Trace Miller berichtet über die Jazzszene in Dallas, Texas, die, wie er lernt, „die wahrscheinlich größte und lebendigste im US-amerikanischen Süden ist, wenn man von New Orleans absieht“. Er spricht mit dem Tubaspieler Kevin Butler, dem Posaunisten Phil Joseph, dem Pianisten Sergio Pamies, der Saxophonistin Shelley Carrol, sowie mit einigen Veranstaltern in der Stadt über die Probleme, die sich aus der Coronakrise für sie ergeben (D Magazine). — Paul de Barros erinnert an den kürzlich verstorbenen Bassisten Gary Peacock, der in den späten 1970er, frühen 1980er Jahren Teil der Jazzszene Seattles war, und er spricht mit den Bassisten Chuck Deardorf und Michael Bisio, die Peacock von damals kannten (The Seattle Times).

20. September 2020
Louis Armstrong / Herb Snitzer

Das Auktionshaus Christie’s hat eine „gravierte Selmer-Trompete, die von der Jazzlegende Louis Armstrong gespielt wurde“ im Angebot, und ein Begleitessay erklärt, dass Armstrong „seine Instrumente meist für etwa fünf Jahre spielte und sie dann verschenkte“, wobei das zum Verkauf stehende Horn aus der Sammlung von Abe und Frances Donin kommt, die den Trompeter wahrscheinlich erstmals in den 1930er Jahren im Sebastian’s Cotton Club in Culver City sahen und sich anfreundeten. Der nicht genannte Autor des Artikels mutmaßt, dass es sich bei dem Instrument gut und gerne um jenes handeln könnte, das Satchmo 1951 bei einem Konzert in Pasadena spielte, und das später auf Platte veröffentlicht wurde (Christie’s, siehe auch Rolling Stone). — Bo Emerson berichtet über den Fotografen Herb Snitzer, dessen Jazzfotos in einer virtuellen Ausstellung des Breman Museum in Midtown-Atlanta zu sehen sind, und er spricht mit Snitzer über einige spezifische Bilder, über die Zeit, in der er mit Pannonica de Koenigswarter und Thelonious Monk abhing, sowie über eine Begegnung mit Nina Simone in den 1980er Jahren, die ihn zurück zur Jazzfotografie brachte, nachdem er 13 Jahre lang eine Schule in Massachusetts geleitet hatte (Atlanta Journal-Constitution).

… und sonst noch …

Peter Kemper gratuliert dem Vibraphonisten Roy Ayers zum 80sten Geburtstag (Frankfurter Allgemeine Zeitung). — Wir lasen ein Interview mit dem israelischen Trompeter Avishai Cohen (France24). — Jeannette Ross spricht mit der Pianistin und Komponistin Brenda Earle Stokes über die Beiträge von Musikerinnen zum Jazz (Wilton Bulletin). — Einer der wenigen deutschen Musiker, die es immer mal wieder in die populäre Presse schafft ist der Trompeter Till Brönner, der, wie wir erfahren, „nach Bild-Informationen“ zum zweiten Mal Vater wird (Bild). — Martin Wacker spricht mit dem Saxophonisten Peter Lehel (Die neue Welle). — Ulrich Stock spricht mit dem Schlagzeuger Makaya McCraven (Die Zeit).

Nachrufe

Wir erfuhren vom Ableben des Kontrabassisten Reggie Johnson im Alter von 79 Jahren (Der Bund), des südafrikanischen Pianisten Basie Mankge im Alter von 72 Jahren (Witbank News), sowie des Kritikers Stanley Crouch im Alter von 74 Jahren (NPRNew York TimesWynton Marsalis).

Aus der Welt der Jazzforschung 

Louis Armstrong House Museum

Die Künstlerin, Programmdesignerin und Leiterin verschiedener Kultur- und Communityprojekte Regina Bain wurde zur neuen Geschäftsführerin des Louis Armstrong House Museum ernannt und erklärt: „Die Pandemie, die zurzeit das Gesundheitswesen, die Wirtschaft und das soziale Klima in den USA bestimmt, hat enorme Auswirkungen auf das House, aber wie Louis Armstrong sehen auch wir Herausforderungen immer auch als Chancen“ und verweist dabei insbesondere auf die geplante Eröffnung des neuen Louis Armstrong Center im Frühjahr 2021 (QNS).

Letzte Woche im Jazzinstitut

„Eurozentrismus im Jazz“

Haben Sie jemals von George Bridgetower gehört? Wahrscheinlich eher nicht. Nun, er war der Geigenvirtuose, dem Ludwig van Beethoven ursprünglich seine später als Kreutzer Sonate bekannt gewordene Komposition gewidmet hat. Patricia Morrisroe erzählt die Geschichte des in Polen geborenen Musikers, Sohn eines Vater afrikanischer Herkunft und einer deutsch-polnischen Mutter, der mit seinen Eltern eine Weile in Mainz lebte und dann, unter dem Management seines Vaters und oft genug als „junger Neger aus den Kolonien“ vermarktet, 1789 ein Violinkonzert in Paris gab. 1803 traf er Beethoven in Wien, der ihm seine „Mulatten-Sonate komponiert für den Mulatten Bridgetower, den großen Verrückten und Mulatten-Komponisten“ widmete, eine Widmung, die er aber wieder zurücknahm, nachdem Bridgetower abfällige Bemerkungen über eine von Beethoven bewunderte Frau gemacht hatte. Kurz darauf widmete der Komponist das Stück dem französischen Geiger Rudolphe Kreutzer, der es allerdings nie spielte. Sie können die faszinierende Geschichte aus Morrisroes Feder hier weiterlesen (New York Times).

Was aber hat all das mit Jazz zu tun? Nun, es ist ein frühes Beispiel für eine Perspektive des Eurozentrismus, mit dem wir uns während des 17. Darmstädter Jazzforums im Oktober 2021 befassen wollen. Wenn Eurozentrismus oft und auch oft zu recht als eine hegemoniale und dabei auch rassistische Weltsicht gelesen wird, kann man diesen auch als eine Sicht verstehen, die die Welt einfach nur aus dem recht kleinen Blickfeld der eigenen Erfahrung erklärt. Beethovens Entscheidung, die Sonate umzuwidmen, hatte wahrscheinlich nichts mit irgendeiner Art eurozentrischem oder gar rassistischem Denken zu tun. Aber die Tatsache, dass George Bridgetower fast vollständig vergessen ist, obwohl er damals Bewunderer in den höchsten Kreisen der europäischen Kulturszene besaß, hat etwas damit zu tun, dass Geschichtsschreibung oft nur die Geschichte der männlichen Helden erzählt, nicht die seiner weiblichen, schwarzen, schwulen, lesbischen oder sonstwie „anderen“ Kolleg:innen.

Oh, und wo wir gerade über klassische Musik sprechen: Zachary Woolfe und Joshua Barone befragten Dirigent:innen, Musiker:innen und Musikmanager:innen über Vor- und Nachteile von Blind Auditions und sprechen mit ihnen darüber, wie schwer es ist, in amerikanischen Orchestern Diversität zu garantieren (New York Times). Das alles ist zugleich eine Diskussion über kulturellen Zugang, über außermusikalische Bedeutung von Musik, über die Notwendigkeit von Quotenregelungen, aber auch über die Diversifizierung des Repertoires. Wie wäre es zudem mit einer Diversifizierung der künstlerischen Ansätze, könnte man ergänzen. Der Klang, die hierarchische Struktur, das ganze Konzept des klassischen Orchesters ist ja ein zutiefst in europäischen Traditionen verwurzeltes Konzept. Mittlerweile gibt es Ensembles, die versuchen, diese Strukturen zu ändern, Streichquartette, die ohne Noten spielen, Bläserensembles, deren Mitglieder alle stehen statt zu sitzen, Ensembles, die die Verantwortung des Dirigenten, der Dirigentin mal einer/m tatsächlichen überlassen (der/die vor dem Orchester steht), mal aber auch anderen Ensemblemitgliedern, und vieles mehr. Wir sprechen übrigens nach wie vor über klassische Musik. Wir sprechen allerdings auch über Performance-Praktiken, die weit stärker mit Jazz und improvisierter Musik assoziiert sind. Performance-Ansätze zu verändern könnte ein Weg sein, sich aus den Zwängen der eurozentrischen Konventionen zu befreien. Ob das Ergebnis dann große Musik ist… hängt von den Musiker:innen ab. Warum aber sollte man nicht ab und zu selbst die großartigsten Traditionen herausfordern, insbesondere wenn es um dem Weg in eine diversere Zukunft geht?

— Call for Papers —
Wir laden Sie ein uns Vorschläge für Referate, Panels oder künstlerische Interventionen über eines dieser Teilgebiete (oder ein ganz anderes) zuzusenden, das Ihrer/Eurer Perspektive angemessen ist. Und wir würden uns freuen, wenn Sie unseren Call for Papers mit anderen potentiell Interessierten teilen, mit Kolleg:innen, Künstler:innen, Journalist:innen, Aktivist:innen. Wir sind sind (innerhalb gewisser Grenzen) dazu in der Lage Reisespesen zu ersetzen. Die aktuelle Deadline für Vorschläge ist der 30. November 2020 (17 Darmstadt Jazzforum).


JazzNews, No 18 (27. August bis 9. September 2020)

27. August 2020
Matthias Müller / Iiro Rantala

Ralf Poppe spricht mit dem Posaunisten Matthias Müller über die Wahl seines Instruments und seinen Weg zum Jazz, über die Zusammenarbeit mit Albert Mangelsdorff, über die Faszination der Stadt Berlin für Jazzmusiker, sowohl über die Auswirkungen der Pandemie auf seine Lebens- und Arbeitswirklichkeit und über vorsichtige Schritte hin zu einer neuen Normalität eines auftretenden Musikers (Kreiszeitung). — Georg Rudiger spricht mit dem finnischen Pianisten Iiro Rantala über seine Aktivitäten während des Lockdowns, über die Bedeutung des Singens für seinen musikalischen Ansatz, darüber, dass er sich immer mehr auf die Melodie konzentriere, über das Label „Easy Listening“, das er als Kompliment versteht, weil, wie er meint, Musik Vergnügen bereiten und kein Rätsel sein solle, über die Bedeutung des Pianisten Esbjörn Svensson für den europäischen Jazz, sowie über sein jüngstes Projekt, „Tears for Esbjörn“, mit dem er das Andenken an seinen verstorbenen Kollegen feiert (Badische Zeitung).

29. August 2020
Charlie Parker

Er wäre heute 100 Jahre alt geworden, aber wenn er auch mit nicht einmal 35 Jahren verstarb, ist sein Einfluss doch bis heute zu spüren. Charlie Parkers Hundertster wird dieser Tage auf der ganzen Welt gefeiert. Der SWR hat eine über die gesamte ARD ausgestrahlte vierstündige Sendung produziert (SWR), daneben aber auch eine Diskussionssendung über Birds Leben und Einfluss mit der Saxophonistin Angelika Niescier, der Journalistin Julia Neupert und mit Wolfram Knauer vom Jazzinstitut (SWR). Der BR hat eine einstündige Radiodokumentation gesendet, in der unter anderem der Saxophonist Johannes Enders und ebenfalls Wolfram Knauer zu Worte kommen (BR2). Auch Roland Spiegel erzählt Parkers Geschichte (BR Klassik). Thomas Mau feiert Parker in einer 15-minütigen Zeitzeichen-Sendung, einschließlich Interviewausschnitte mit Phil Woods, Gary Giddins, Wolfram Knauer und anderen (NDR). Während Hans Hielscher sich vor allem auf Parkers Drogensucht fokussiert (Der Spiegel; man vergleiche das mit Parkers Nachruf im selben Magazin aus dem Jahr 1955, Der Spiegel), macht Lewis Porter deutlich, dass genau diese Geschichten nicht erklären können, war Parker so bedeutend machte und konzentriert sich in seinem kurzen Essay über Bird dann auf dessen musikalischen Neuerungen (Tidal). Richard Williams zollt ihm genauso Tribut (The Blue Moment) wie Ethan Iverson (Do the Math) und Stefan Hentz (Die Zeit). John Edward Hasse schreibt ein Feature über Charlie Parker und seinen weitreichenden Einfluss (Wall Street Journal). Alan Scherstuhl listet einige Bücher, Videos, Albums und Tributveranstaltungen auf, die Birds Hundertsten feiern (New York Times). Kevin Sun führt seine Reihe mit Anmerkungen zu Parkers Aufnahmen fort, wobei er Aufnahmen aus den Jahren 1950 und 1951 hört (A Horizontal Search) und sich auf den Einfluss Lester Youngs auf Bird konzentriert (A Horizontal Search). Richard Brody diskutiert Charlie Parkers Beitrag zum Bebop (The New Yorker). C.J. Janovy berichtet über die Jahrhundert-Feierlichkeiten in Kansas City (KCUR). Sebastian Scotney sammelt Statements von Altsaxophonist:innen über Parkers Einfluss und zitiert David Binney, Anthony Braxton, Rachael Cohen, Gary Foster, Camilla George, Dave Glasser, Martin Kershaw, Soweto Kinch, Tony Kofi, Lee Konitz, Rudresh Mahanthappa, Charles McPherson, Allison Neale, Angelika Niescier, John O’Gallagher, Pierrick Pedron, Perico Sambeat, Paul Towndrow, Paul van Kemenade, Will Vinson, Steve Wilson, Tony Woods, Jason Yarde und Miguel Zénon (London Jazz News). Ricky Riccardi feiert Parkers Hundertsten mit einer Onlineausstellung des Louis Armstrong House Museum, die unter anderem ein Tonband zugänglich macht, auf dem Bird zusammen mit Big Nick Nicholas zu hören ist, das aus der Tonbandsammlung Armstrongs stammt. Riccardi unterstreicht, dass die beiden Jazzgiganten immer Respekt voreinander gehabt hätten, so sehr, dass Parker in einer Aufnahme von „Cheryl“ von 1949 Armstrongs berühmte „West End Blues“-Einleitung zitierte (Louis Armstrong House Museum).

Unser eigener Tribut an Charlie Parker ist eine Zusammenstellung kurzer Videostatements hauptsächlich aus Deutschland stammender Musiker:innen, unter ihnen Ilona Haberkamp, Silvia Droste, Timo Vollbrecht, Tamara Lukasheva, Uli Kempendorff, Anke Helfrich, Gebhard Ullmann, Chris Hopkins, Christof Sänger, Nils Wogram, André Nendza, Christof Thewes, Charlotte Greve, Kerstin Haberecht, Angelika Niescier, Jan Klare, Sheila Jordan, Sabine Kühlich, Laia Genc, Anne Czichowsky, Daniel Erdmann, Frank Gratkowski, Kalle Kalima und Peter Brötzmann. Die Kurzfassung des Films ist hier zu sehen: Jazzinstitut Vimeo channel; die Langefassung hier: Jazzinstitut YouTube channel. Danke an Martin Endel für Schnitt, Mischung und Sound-Editing. Die Langfassung wird übrigens auch Teil unseres Beitrags für die Veranstaltung „Unsterbliche Ideen für unsterbliches Leben“ der Schader Stiftung im Oktober sein; sie wurde zudem an Birds Geburtstag als Teil der Feierlichkeiten des Vereins Creative City KC’s in Kansas City gezeigt.

Oh, und wenn wir schon von Bird sprechen: Die New York Post berichtet, dass der Gesang von Drosseln, denen Opioide verabreicht werden, wie Jazz klingt (New York Post, basierend auf einer Studie in Nature, eine Beobachtung, die wir bereits bei einem Darmstädter Musikgespräch im Jahr 2013 gemacht hatten, damals allerdings, ohne dass wir die Vögel mit Drogen vollgestopft hätten).

31. August 2020
Olaf Schönborn / Nubya Garcia

Georg Spindler spricht mit dem Saxophonisten Olaf Schönborn über eine Openair-Konzertreihe, die er in Mannheim organisiert, über die finanziellen Verluste, die er durch die Pandemie erlitten hat, über die unterschiedlichen Hilfsmaßnahmen in verschiedenen Bundesländern, über das Proekt „rent an artist“ der Stadt Ludwigshafen, für das Privatleute einen Künstler engagieren, selbst 50€ Gage bezahlen, und die Stadt legt weitere 200€ drauf, sowie über seinen besorgten Blick in die Zukunft, weil niemand weiß, wie es wirklich weitergeht, und über seine Hoffnung, dass Jazzmusiker:innen „jetzt viel aktiver, spontaner und offener für Kooperationen“ sind, so dass neue Strukturen entstehen können, die die Musik (und die Musiker:innen) am Leben halten (Mannheimer Morgen). — Jan Paersch spricht mit der britischen Saxophonistin Nubya Garcia (über die wir lernen, dass ihr Vorname „Nubaia“ ausgesprochen wird) über ihren sehnlichsten Wunsch, mal wieder in einem schwitzigen Club zu spielen, über ihre Faszination mit Musik aus der Karibik, sowie über die kulturelle, soziale und wirtschaftliche Diversität ihrer Heimatstadt London (Die Tageszeitung).

2. September 2020
Black Jazz Records / Avishai Cohen

Geoff Edgers erzählt die Geschichte des Labels Black Jazz Records, das 1971 gegründet wurde und damals als „von Schwarzen betriebenes Label, das nur schwarze Künstler vertreibt“ beworben, später aber an weiße Eigentümer verkauft wurde, ein Verkauf, dessen Rechtmäßigkeit nun von den ursprünglichen Gründern in Frage gestellt wird (The Washington Post). Yoshi Kato erzählt ebenfalls die Geschichte von Black Jazz Records, konzentriert sich aber auf die Plattenveröffentlichungen aus den 1970er Jahren und spricht dazu mit dem Gitarristen Calvin Keys über die geplante Wiederveröffentlichung aller 20 Black Jazz-Alben auf dem Label Real Gone Music (San Francisco Chronicle). — Yotam Ziv spricht mit dem Trompeter Avishai Cohen über politische Haltungen in seiner Musik wie etwa im Album „Cross My Palm with Silver“, das er der Flüchtlingskrise in Syrien gewidmet hat, und darüber, dass er Protest in der Musik immer als ein persönliches Statement begreift, andererseits nicht versteht, wenn Leute Unrecht anprangern, dabei aber selektiv vorgehen. Er spricht über die Auswirkungen der Pandemie auf seine Karriere, über ein Kontert, das er mit der Israeli Camerata Jerusalem im Opernhaus von Tel Aviv gab, über sein Duo mit dem Pianisten Yonatan Avishai, über seine Rückkehr nach Israel, nachdem er einige Jahre in Indien lebte, über den einzigen Vorteil der Pandemie, dass er nämlich nicht mehr so viel reisen müsse, sowie über das Jerusalem Jazz Festival, dessen künstlerischer Leiter er seit sechs Jahren ist (Walla).

4. September 2020
Doug Hammond / United Kingdom

Piotr Orlov erzählt die Geschichte des Perkussionisten Doug Hammond, 1942 in Florida geboren, der auf einer Reihe Motown-Platten mitwirkte, mit der Harfenistin Dorothy Ashby und dem Trompeter Donald Byrd spielte, später mit Charles Mingus und Nina Simone, bevor er nach Österreich umsiedelte, wo er an der Linzer Bruckner-Universität unterrichtete. Orlov folgt Hammonds musikalischer Entwicklung mit einigen Klangbeispielen, die dieser zwischen 1980 und 2016 unter eigenem Namen eingespielt hat (Bandcamp). — Lanre Bakare berichtet über die Befürchtung, dass die britische Jazzszene „weißer, vornehmer und mehr von Männern dominiert wird, wenn es nicht mehr Förderung gibt, die garantiert, dass der Unterricht kostenfrei bleibt“, spricht dann mit Janine Irons vom Jazzprogramm Tomorrow’s Warriors, die erklärt, dass „ohne mehr Förderung die nächste Generation schwarzer Musiker:innen aus der Arbeiterklasse wohl keinen Zugang zum Jazz finden werden“, und mit der Sängerin Zara McFarlane, die sich daran erinnert, wie wichtig das Programm für ihre eigene künstlerische Entwicklung war (The Guardian).

6. September 2020
Protest Music / John Coltrane

Giovanni Russonello blickt auf das Potential des Jazz als Protestmusik in unseren Tagen, in denen Kendrick Lamars „Alright“, bei dem schließlich auch Jazzmusiker wie Terrace Martin und Thundercat mitwirken, eine Art Hymne für die Black Lives Matter-Bewegung darstellt, schaut dann zurück auf die Geschichte des Genres als Stimme des Protests, die, wie er findet, ein wenig verloren gegangen scheint, weil Musiker sich heutzutage „zwischen der Verankerung der Musik in der schwarzen Community und ihrer akademischen Gegenwart“ zerrissen fühlen. Er spricht mit dem Saxophonisten JD Allen, der Sängerin und Multiinstrumentalistin Georgia Anne Muldrow, mit dem Saxophonisten Archie Shepp und dem Schlagzeuger Billy Hart, mit der Sängerin Naledi Masilo und dem Pianisten Jason Moran sowie mit der Flötistin Nicole Mitchell darüber, wie Musik im aktuellen politischen und gesellschaftlichen Diskurs der Vereinigten Staaten einen Unterschied machen kann, und dass es die Aufgabe von Jazzpädagogik und den Hochschulen ist, ihren Studierenden klar zu machen, dass zum Musikmachen auch gehört, sich der Community bewusst zu sein, für die man da spielt (New York Times). Andrian Kreye nimmt Russonellos Faden auf, referiert Teile des Inhalts seines Artikels und ergänzt sie um weitere Beispiele (Süddeutsche Zeitung). Michael Rüsenberg findet dagegen einige Ungereimtheiten in Russonellos Essay und weist darauf hin, dass der Jazz sicher eine afro-amerikanische Musik ist, mittlerweile aber zu einer veritablen, global rezipierten und weiterentwickelten Weltmusik geworden ist, und dass er auf jeden Fall mehr sein sollte als „Community Building“, dass nämlich Musiker:innen egal welchen ethnischen oder kulturellen Backgrounds sich immer auch des „künstlerischen Eigensinns“ des Jazz bewusst sein sollten (Jazz City). Julia Banin berichtet über dänische Jazzmusiker:innen der Protestgruppe Free Jazz Mod Paduvan, die auf die Straße gehen, um ultrarechte Versammlungen zu stören (Unilad). Gary Suarez spricht mit der Sängerin Georgia Anne Muldrow über den Einfluss des Jazz auf ihre Kunst, über ihre Grammynominierung 2018 in der Kategorie Best Urban Contemporary und das grundsätzliche Problem solcher stilistischen Labels, aber auch darüber, dass, wenn man daran etwas ändern will, es mehr bedarf als „die Sachen einfach nur umzubenennen“ (Forbes). — Lewis Porter hört sich im zweiten Teil seines „Deep Dive“ zu John Coltrane dessen Album „A Love Supreme“ genauer an. Als er 1978 ein Buch über Coltrane schrieb, erzählt Porter, hörte er darin an einer Stelle einen Overdub, auf den zuvor nie jemand hingewiesen habe. Er habe den Produzenten Bob Thiele und den Toningenieur Rudy Van Gelder angesprochen, die seiner These eines Overdubs beide heftigst widersprochen hätten, bis Van Gelder sich das alles noch einmal anhörte und feststellte, dass es offenbar doch eine Overdub-Passage gab, eine Technik, für die er sich als einen Pionier sah. Lewis meinte anfangs, das zweite Saxophon, das er am Ende von „Psalm“ hörte (etwa bei 6’35“) klinge nicht nach Coltrane, aber nach einer Weile ließ er sich überzeugen, dass der Overdub offenbar doch Tranes eigene Stimme war. Porter blickt außerdem auf „Resolution“, das ursprünglich wohl nicht für die Suite geschrieben wurde, dass aber spätestens, als Coltrane seine Notizen für die Aufnahmesitzung machte, Teil des Ganzen war, wie Porter mit einem Blick auf ebendiese Notizen belegt, und er dechiffriert weitere Notizen, die Coltrane für die Sitzung machte, darunter ein Gedicht und eine Art erster Fassung des späteren Plattentextes. Schließlich hört sich Porter noch den ersten Satz an, „Acknowledgement“, und weist darauf hin, wie die Diskussionen der Musiker im Studio die Musik beeinflusst hätten (WBGO; die erste Folge von Porters Deep Dive über „A Love Supreme“ findet sich hier: WBGO).

8. September 2020
Gregory Porter / Sonny Rollins

Janet Christie spricht mit dem Sänger Gregory Porter in zwei Interviews, eines vor dem Lockdown über sein jüngstes Album „All Rise“, darüber, was er von seinem Vater lernte und wie seine Mutter ihn immer als Künstler ermutigt habe, über seine Kappen, die sein Markenzeichen wurden, die er aber nicht aus Gesundheitsgründen trage, sondern, weil sie sich „so angenehm um meinen Kopf schmiegen“; sowie in einem zweiten vom August darüber, wie er den Lockdown erlebt, sowie über den Tod seines Bruders, der an den Folgen einer Covid-Infektion verstarb (The Scotsman). — Der Saxophonist Sonny Rollins wurde an diesem Montag 90 Jahre alt, und seine Beiträge zur Jazzgeschichte werden weltweit gefeiert, etwa von Wolfgang Sandner (Frankfurter Allgemeine Zeitung), Octavia Spencer (NPR), Nate Chinen (WBGO), Ron Hart (Rock ’n‘ Roll Globe), Matthias Wegner (Deutschlandfunk Kultur), Inigo Pérez (Update Mexico), Arnaud Quitellier (RTBF) und vielen anderen.

… und sonst noch …

Hadley Meares erinnert an den Club Alabam auf Los Angeles‘ legendärer Central Avenue der 1930er Jahre (LAist). — Ulrich Stock besucht ein „Test“konzert in der Hamburger Elbphilharmonie, bei dem die Pianistin Julia Hülsmann, der Posaunist Nils Wogram und der Vibraphonist Christopher Dell die Musik der Beatles spielen (Die Zeit). — Roland Spiegel feiert den Saxophonisten Branford Marsalis an seinem 60sten Geburtstag (BR Klassik). — Tierney Plumb berichtet über den Club Twins Jazz in Washington, DC, der wegen der Auswirkungen der Coronakrise schließen muss (DC Eater). — Norman Lebrecht berichtet über Kopenhagens legendären  Montmartre Jazzclub, der wegen Corona endgültig schließen musste (Slipped Disc). — Oliver Hochkeppel berichtet über eine neue Jazzstiftung, die die Jazzszene in München unterstützen will (Süddeutsche Zeitung). — Josh Jackson spricht mit Ricky Riccardi, dem Autor eines neuen Buchs über Louis Armstrongs Bigband-Jahre (WRTI). — Beat Blaser berichtet über den Kampf der Komponistin Maria Schneider gegen Spotify (Tagblatt). — Sameer Rao und Wilborn P. Nobles III berichten über den Abriss des Hauses, in dem einst Cab Calloway in Baltimore lebte, obwohl Aktivisten versucht hatten, es unter Denkmalschutz zu stellen (The Baltimore Sun). — Sanjoy Narayan erinnert an den Gitarristen Lenny Breau (Live Mint).

Nachrufe

Wir erfuhren vom Ableben des Jazzpromoters Al White im Alter von 92 Jahren (Syncopated Times), des Fotografen Jürgen Schadeberg im Alter von 89 Jahren (New York Times), des britischen Jazzpromoters Eric Hudson im Alter von 91 Jahren (News and Star), des Pianisten Judson Green im Alter von 68 Jahren (The DePauw), des Bassisten Gary Peacock im Alter von 85 Jahren (NPR, The Blue Moment), sowie des Pianisten Ronnie Kole im Alter von 89 Jahren (WWL Radio).

Aus der Welt der Jazzforschung

Whitney Balliett

Don Armstrong erinnert an die erste Jazzkolumne von Whitney Balliett für The New Yorker, eine Besprechung von Cecil Taylors Album „Jazz Advance“, Gerry Mulligans „Jazz Mainstream“ und Miles Davis‘ „Round About Midnight“ (Music Journalism History).

Letzte Woche im Jazzinstitut

„Eurozentrismus im Jazz?“(!)

Es ist ja ein wenig, wie wenn man sich ein neues Auto kauft und plötzlich überall genau dasselbe Modell oder dieselbe Farbe sieht, auch wenn man diese zuvor nie bemerkt hatte. Seit wir das Thema des nächsten Darmstädter Jazzforums bekannt gemacht haben, nämlich „Eurozentrismus im Jazz“, wird uns fast täglich bewusst, wie viele verschiedene Perspektiven dieses beinhaltet. Die jüngste Erinnerung ist eine Ausstellung im Frankfurter Museum für Angewandte Kunst mit dem Titel „Deutsches Museum für Schwarze Unterhaltung und Black Music“. Kurt Cordsen spricht mit Anta Helena Recke, einer der Kurator:innen, über die Idee hinter der Ausstellung, in der Stereotype hinterfragt werden, mit denen schwarze Menschen in der deutschen Unterhaltungsindustrie oft identifiziert wurden, sowie das Narrativ, das sich daraus bildete (BR, DMfSUuBM).

Kurz darauf lasen wir Giovanni Russonellos Artikel in der New York Times über Jazz als Protestmusik, ein Beispiel dafür, wie politisch der Jazz (die Musik? die Künste?) im gegenwärtigen politischen Klima in den Vereinigten Staaten wieder geworden sein mögen. Michael Rüsenberg unterstreicht allerdings, dass man auch ganz anders sehen kann, wofür der Jazz steht. Wir haben diese Diskussion in unserem Eintrag über „Protest Music“ zusammengefasst (siehe oben, 6. September).

Wie das (kurzlebige, jedenfalls bisher) Deutsche Museum für Schwarze Unterhaltung und Black Music zeigt auch der Fokus auf den Jazz als politisches Werkzeug Aspekte in der Geschichte dieser Musik auf, die sowohl in ihrem Ursprung als afroamerikanische Kunstform wie auch in einem durch eine europäische Sichtweise geprägten Verständnis von Kunst verankert sind, dass nämlich in der Regel hinter jeder Art von Kunst ein Verweis auf Außermusikalisches, Außerliterarisches, Außerkünstlerisches stecke, sie weiterführende Zwecke, Motive oder Ziele verfolge. Die Unterschiede solcher Lesarten sind groß und sie sind nicht nur kulturell bedingt. „Community Building“ beispielsweise hat eine ganz andere Bedeutung in einem Land, dessen Sozialsystem vom Markt und von Eigenverantwortung geprägt ist als in einem Wohlfahrtsstaat. Kunst bildet dann doch irgendwie immer auch die Wirklichkeit ab, lassen Sie uns also analysieren und nicht urteilen (!), welchen Einfluss die verschiedenen eurozentrischen Perspektiven auf die Rezeption und Entwicklung des Jazz hatten, sowohl was sein Verständnis als afroamerikanische Musik wie auch als kreative Weltmusik anbelangt.


JazzNews, No 17 (13. bis 26. August 2020)

13. August 2020
Dietrich Rauschtenberger / Black Fire Records

Rainer Widmann spricht mit dem Schlagzeuger und Autor Dietrich Rauschtenberger über seine erste Platte, Art Blakeys „Moanin'“, über Live-Jazz im Wuppertal der 1950er Jahre, über Free-Jazz-Gigs, die er Anfang der 1960er Jahre mit dem jungen Peter Brötzmann spielte, über seine Entscheidung gegen das Leben als professioneller Musiker und seine regelmäßige Rückkehr zum Jazz in Romanen, Hörspielen und verschiedenen Live-Projekten (Westdeutsche Zeitung). — Giovanni Russonello erzählt die Geschichte des Labels Black Fire Records, das in den Mitt-1970er Jahren vom Jazz-D.J. und Veranstalter Jimmy Gray (alias Black Fire) und dem Saxophonisten James Branch gegründet wurde, und über den Einfluss des künstlereigenen Labels Strata-East auf Grays Geschäftsmodell. Russonello hört sich die Tracks einer neuen Zusammenstellung aus dem Katalog des in D.C. beheimateten Labels an und findet darin deutlichen Widerhall der Bürgerrechts- und der Black-Power-Bewegung jener Jahre (New York Times).

15. August 2020
Andreas Schaerer / Philadelphia

Michael Baas spricht mit dem Schweizer Sänger Andreas Schaerer darüber, dass er sich nicht wirklich als Musiker fühlt, da er zurzeit ja wegen der Pandemie gar nicht auftreten kann, dass er vor allem aufgrund seiner Lehrtätigkeit und der öffentlichen Unterstützung durch die Schweizer Regierung überlebe und dass die Krise insbesondere für junge Musiker:innen am Anfang ihrer Karriere besonders schlimm sei, über Musik für Computerspiele und andere Kompositionsaufträge, darüber, dass er sich nicht an ein Genre oder einen Stil gebunden sieht, sondern vor allem daran interessiert sei, sein Instrument, die Stimme, zu erforschen, über die seit 15 Jahren bestehende Band Hildegard lernt fliegen und ihr jüngstes Album, über das Aufeinanderprallen von Präzision und Anarchie, das er als Teil der Schweizer DNA in der experimentellen Musik identifiziert, sowie über den Ursprung des Bandnamens (Badische Zeitung). — A.D. Amorosi schreibt über die Auswirkungen der aktuellen Pandemie und der sozialen Spannungen, wie sie sich durch die Black Lives Matter-Bewegung ausdrücken, auf die Jazzszene in Philadelphia, spricht dafür mit dem Pianisten Orrin Evans, dem Saxophonisten Immanuel Wilkins, berichtet über den schlechten Gesundheitszustand des Gitarristen Pat Martino, erfährt von Suzanne Cloud von Unterstützungsprojekten der Initiative Jazz Bridge, blickt auf „virtuelle Veranstaltungsorte“, die von Evans, dem Bassisten Anthony Tidd oder dem Clubbesitzer Mark DeNinno organisiert werden, spricht mit dem Bassisten Gerald Veasley über den Jazz Philadelphia Summit, der in diesem Herbst online gehen wird, und reflektiert über die Anerkennung des Jazz als einer wichtigen lokalen Kunstform in der ganzen Stadt und über die Hoffnung auf ein lokales Archiv: das Philadelphia Jazz Legacy Project (Philadelphia Weekly).

17. August 2020
Kamasi Washington / Frank Sinatra

Andrew Barker spricht mit dem Saxophonisten Kamasi Washington über seine Filmmusik für Nadia Hallgrens Michelle-Obama-Dokumention „Becoming“, darüber, dass er zur Vorbereitung die Musik auf Michelle Obamas Playlist angehört habe, um eine Vorstellung davon zu bekommen, „wo ihr Herz schlägt, musikalisch“, sowie über die emotionale Achterbahnfahrt, die er wegen der Pandemie durchläuft, während der er er seit März erst zweimal mit anderen Musikern zusammengespielt habe, die Zeit stattdessen dafür nutzend, Geschichtsbücher zu lesen, zu schreiben und nachzudenken (Variety). — Randall Roberts berichtet über einen engagierten Sammler von Aufnahmen und Erinnerungsstücken an Frank Sinatra, der glaubt, in einer von ihm gekauften Sammlung über zwei noch nie gehörte unbegleitete A-Capella-Aufnahmen des Sängers gestolpert zu sein, was wiederum von einem anderen Experten bezweifelt wird. Roberts spricht auch mit dem Verkäufer dieser Sammlung, die so vollständig war, dass Sinatra ihn bei Bedarf nach diskographischen Details sogar persönlich anrief, eine Sammlung, die ursprünglich auf 500.000 Dollar geschätzt wurde, bei der Auktion aber nur 12.000 Dollar einbrachte, und er beschreibt die Sammlung selbst, zu der auch Sinatras Zigarettenanzünder, seine Uhren, seine Bühnenpässe, 3.000 bis 4.000 Stunden an Interviews und vieles mehr gehören (Los Angeles Times). Caroline Biggs berichtet über einige sehr besondere Air B’n’B-artige Urlaubsoptionen: Wohnen im Haus von Celebrities wie Bob Dylan, William Dafoe, F. Scott und Zelda Fitzgerald, John Steinbeck oder in Frank Sinatras legendärem Anwesen in Palm Springs, das 1947 erbaut wurde und für 2.500 Dollar pro Nacht bei einem Mindestaufenthalt von drei Tagen zu mieten ist (in der Hochsaison kostet es allerdings fast doppelt so viel) (New York Times).

19. August 2020
Nubya Garcia / The Bad Plus

Marcus J. Moore spricht mit der britischen Saxophonistin Nubya Garcia über ihr jüngstes Album „Source“, das, wie sie erklärt „von persönlicher Kraft, kollektiver Kraft, Kollektivismus handelt (…) von meiner Herkunft, meinen Vorfahren, von der Erkundung der Orte und Geschichte, die ich durch meine Eltern und Großeltern kenne“. Sie spricht von ihrer Kindheit, davon, wie sie mit 10 Jahren zum Saxophon kam, dann als schüchterner Teenager Unterricht nahm, bald Teil ihrer lokalen Jazzszene wurde, darüber, dass sie durchaus einen Hang zum Wettstreit habe, im Grunde aber eine Teamspielerin sei, sowie darüber, dass sie sich die Zeit fürs Komponieren nehmen musste, als sie vor der Pandemie fast nur noch auf Tournee war (New York Times). — Keane Southard studiert The Bad Plus‚ Album „For All I Care“ aus dem Jahr 2009 und betrachtet dabei insbesondere die Interpretationen des Trios der Musik von Milton Babbitt, György Ligeti und Igor Stravinsky (Do the Math).

21. August 2020
Miles Davis / Grace Kelly

Aaron Goldfarb berichtet über einen Werbespot, den der Trompeter Miles Davis 1984 für VAN shōchū, ein hochprozentiges japanisches Getränk, drehte, nennt andere Filmrollen, die Miles in seiner Karriere spielte, etwa „einen drogendealenden Zuhälter in einer Folge von ‚Miami Vice‘ der Staffel 76“ oder einen Werbespot für Honda Scooters, der ihm, wie Miles behauptet, „mehr Anerkennung einbrachte als alles, was ich sonst je getan habe“. Goldfarb spekuliert, die Spirituosenfirma wollte wahrscheinlich einen amerikanischen Star für die Produktwerbung engagieren, so wie auch andere Jazz-Stars für alkoholische Produkte warben, weist auf den Regisseur des Werbeclips hin, den berühmten Mode- und Kunstfotografen Anthony Barboza, erfährt, dass Miles bei den Dreharbeiten darauf bestand, seine eigene Kleidung zu tragen statt „der Garderobe, die die Japaner ihm mitbrachten“, und findet heraus, dass, obwohl VAN trotz der Werbung ein großer Flop wurde, Miles 1989 einen weiteren Werbespot in Japan drehte, diesmal für TDK-Kassetten (Inside Hook). — Ken Abrams spricht mit der Saxophonistin Grace Kelly darüber, wie sie während des Lockdown Workshops für Schüler aus aller Welt via Zoom gab, über ein Konzert zu Ehren Charlie Parker, bei dem sie an Birds 100stem Geburtstag mitwirken wird, über die Bandbreite an Einflüssen auf sie, über eine wichtige Lektion, die ihr ihr Saxophonkollege und Mentor Frank Morgan erteilte, über den Wandel der Hörgewohnheiten und wie dieser sich auch in der Musik spiegelt, über das Role Model, das sie für junge Musikerinnen im Jazz geworden ist, über einige der Highlights ihrer Karriere, sowie darüber, wie sie kürzlich bei einer Zoom-Hochzeit einen eigenen Songs gesungen habe (What’s Up Newport).

23. August 2020
Kris Davis / Matthias Creuziger

Die Pianistin Kris Davis beantwortet zwanzig Fragen, etwa über die Bedeutung von Jazz und Tradition für sie, über ihre Faszination mit dem Komponisten György Ligeti, über Musik und gesellschaftliches Bewusstsein, über ihre Kollegen Terri Lyne Carrington und John Zorn, über ihr eigenes Label Pyroclastic Records, darüber, wie sie eine Talsohle ihrer Karriere durchlebte, über ihren Lieblings-Jazzclub, die Jazz Gallery in New York, sowie über ihre Erfahrung mit dem Üben und dem Studieren von Musik (Twenty Questions). — Der Dresdner Fotograf Matthias Creuziger, der in der Vergangenheit auch immer wieder fürs Jazzinstitut gearbeitet hat, überlebte eine sehr schwere Infektion mit dem Coronavirus, komplett mit „Herzvorhofflimmern, Lungenentzündung, Nierenversagen, Thrombosen und Krankenhauskeimen“. Sowohl er wie auch seine Frau, die ebenfalls erkrankt war, warnen davor, den Virus leicht zu nehmen: „Ich habe in die Hölle gesehen“ (MDR, Dresdner Neue Nachrichten, Bild der Frau).

25. August 2020
Charlie Parker

Die Welt feiert das hundertjährige Jubiläum von Charlie Parker am 29. August 2020. Es gibt ein größeres Online-Event ihm zu Ehren: Charlie Parker: Now’s the Time; andere Feiern sind auf Medium gelistet. Am Mittwoch, den 26. August, gibt es eine SWR2-Forum-Sendung, für die Pascal Vernier die Saxophonistin Angelika Niescier, die Journalistin Julia Neupert und Wolfram Knauer vom Jazzinstitut (der zugleich Autor einer Charlie-Parker-Biographie ist) einlug, um über Birds Einfluss bis heute zu sprechen (SWR2). Kevin Sun setzt seine Reihe analytischer Notizen über Aufnahmen Charlie Parkers fort (A Horizontal Search). Roland Spiegel und Ulrich Habersetzer sammeln Statements der Saxophonist:innen Nicole Johänntgen, Uwe Steinmetz, Hugo Siegmeth, Angelika Niescier und Evgeny Ring über Parkers Einfluss heute (BR Klassik). Sie sammeln außerdem historische Zitate von Parker selbst, Sonny Rollins und Lee Konitz (BR Klassik). Währenddessen haben wir unseren bibliographischen Jazz Index zu Charlie Parker upgedated: Die Bibliographie umfasst jetzt an die 1.400 Einträge (Jazzinstitut Jazz Index-Beispiel zu Charlie Parker).

… und sonst noch …

Melody Simmons berichtet über Verhandlungsfortschritte, das Haus in Baltimore, in dem Cab Calloway einen Großteil seiner Jugend verbachte, auf die Denkmalliste der Stadt zu setzen (Baltimore Business Journal). — Die Düsseldorfer Jazzbar Em Pöötzke wird endgültig schließen, eine Entscheidung, die bereits vor der Coronakrise gefällt wurde (Düsseldorf Tonight). — Keith Spera berichtet über den 91-jährigen Trompeter Jack Fine, der vor kurzem das Altersheim, in dem er lebte, verlassen musste, und nun einen Platz im Haus des Trompeter-Kollegen James Williams gefunden hat (New Orleans Times-Picayune). — Isabel Schönfelder spricht mit dem jungen Badener Pianist Noah Diemer (Schwetzinger Zeitung). — Stefan Uhrmacher spricht mit dem Gitarristen Ro Gebhardt (Saarbrücker Zeitung). — Michael Kimmelman spricht mit dem Architekten David Adjaye über die Relevant der Architektur in Harlem (New York Times). — Howard Reich erinnert sich an Konzerte mit großartiger Musik, die er seit 50 Jahren in Chicagos Club Jazz Showcase gehört hat (Chicago Tribune). — Norbert Krampf hört den Saxophonisten Christof Lauer im Frankfurter Palmengarten (Frankfurter Allgemeine Zeitung).

Nachrufe

Wir erfuhren vom Ableben des Saxophonisten Steve Grossman im Alter von 69 Jahren (France Musique, Do the Math, NPR, New York Times), des klassischen (von Django Reinhardt beeinflussten) Gitarristen Julian Bream im Alter von 87 Jahren (NPR), des Saxophonisten Hal Singer im Alter von 100 Jahren (Le Parisien, Tulsa World), der koreanischen Sängerin Park Sung-yeon im Alter von 77 Jahren (The Korea Herald, Korea Times), des Schlagzeugers Charli Persip im Alter von 91 Jahren (WBGO), des britischen Saxophonisten Peter King im Alter von 80 Jahren (London Jazz News), des Posaunisten und Sängers Fritz Lohmeier im Alter von 83 Jahren (Münchner Merkur), sowie des Jazzhistorikers William Howland Kenney III im Alter von 80 Jahren (Johnson Romito Funeral Homes).

Letzte Woche im Jazzinstitut

„Eurozentrismus im Jazz“? … einige weitere Gedanken

Das Thema unseres nächsten Darmstädter Jazzforums im Herbst 2021 beschäftigt uns zurzeit täglich, während zeitgleich bereits die ersten Vorschläge für Vorträge, Panels und künstlerische Interventionen eintreffen. So diskutieren wir in Bezug auf das Thema „Eurozentrismus und Jazz“ beispielsweise darüber, was es bedeutet, dass das Goethe-Institut den Jazz seit den frühen 1960er Jahren als ein Beispiel für den aktuellen Diskurs im deutschen Musikleben nutzt, und wie dieses offizielle Gütesiegel das Selbstverständnis vieler Musiker:innen, die im Laufe der Jahre an Goethe-Tourneen teilgenommen haben, verändert hat. Wir sprechen schon mal vom Jazz als dem größten Geschenk (Afro-)Amerikas an die Welt, gerade weil er so inklusiv ist und Musiker:innen aus der ganzen Welt dazu auffordert, ihre persönlichen Einflüsse mit einzubringen. Was aber, wenn das Annehmen dieser Einladung dazu führt, dass die afroamerikanischen Ursprünge der Musik fast vergessen scheinen? Brauchen wir also eine ständige Erinnerung an die Wurzeln des Jazz? Reicht es nicht, dass der Jazz als musikalische Sprache bis heute so viele junge Musiker:innen in ihrer Kreativität inspiriert? Gibt es einen Widersprich zwischen dem notwendigen Respekt und der Freiheit der Künste, also auch der, sich von Traditionen loszusagen? Oder, um auf das Goethe-Beispiel zurückzukommen: Wenn es eine Form des Jazz gibt, die als deutsche Kunstform wahrgenommen wird, wo und wie zeigen wir dann unser Bewusstsein für den afroamerikanischen Ursprung dieser Kunstform? Sind wir uns des Aneignungsprozesses überhaupt bewusst, der mit der globalen Ausbreitung des Jazz einhergeht?

Beim Jazzforum im Herbst 2021 laden wir also zu Vorträgen ein, die sich mit der Frage befassen, wie der Jazz seinen heutigen Stellenwert erlangt hat, hoffen daneben aber auch auf Podiumsdiskussionen und auf musikalische Interventionen, die die Sicht der Künstler auf das Thema eröffnen. Lassen Sie uns wissen, was Ihnen dazu einfällt. Wir freuen uns auch über ungewöhnliche Ideen, auch über solche, die über den reinen Jazzbezug hinausgehen. Die Deadline für alle Vorschläge ist der 30. November 2020  (17 Darmstadt Jazzforum).

Sebastian Grams‘ Underkarl – live!

Das letzte Konzert im Gewölbekeller des Jazzinstituts hat im März stattgefunden; am vergangenen Freitag haben wir jetzt unsere JazzTalk-Reihe mit dem Quintett Underkarl des Kontrabassisten Sebastian Gramss fortgesetzt (Lömsch Lehmann, sax, Rudi Mahall, cl, Frank Wingold, g, Dirk-Peter Kölsch, d). Wegen der Pandemie sind wir mit dem Konzert in den größeren Saal der Bessunger Knabenschule umgezogen. Es gab begrenzte Sitzplätze; alle Karten mussten im Voraus online gekauft werden; strikte Abstands-, Mund-Nasenschutz- und Hygieneregeln galten, und trotzdem wurde es ein großartiger Abend mit zwei kürzeren Sets und einem Gespräch mit allen fünf Musikern, die das Bandkonzept erklärten und jeder für sich aus den Pandemie-Erfahrungen des letzten halben Jahres berichteten. Und weil das so ermutigend war, werden wir unsere Konzerte mit einem Open-Air-Konzert vor dem Jazzinstitut fortsetzen, wo am 11. September das Quintett der Kontrabassistin Eva Kruse zu erleben ist (Jazzinstitut Darmstadt).

Charlie Parker @ 100

Die Welt feiert das hundertjährige Jubiläum von Charlie Parker, und wir feiern mit, und zwar in einer 45-minütigen Sendung des SWR2-Forums am heutigen Mittwoch, den 26. August (17:05-17:50 Uhr). Pascal Vernier lud dazu die Saxophonistin Angelika Niescier, die Journalistin Julia Neupert und Wolfram Knauer vom Jazzinstitut ein (der zugleich Autor einer Charlie-Parker-Biographie ist), über Birds Einfluss bis heute zu sprechen. Die Sendung ist als Podcast nachhörbar (SWR2). Wolfram Knauer wird am Montag, den 31. August, in Zürich einen Vortrag über „Charlie Parker. Revolutionär wider Willen“ halten (VHS Zürich). Aus Anlass des 100sten Geburtstags Parkers luden wir zahlreiche Musiker:innen ein, uns ihre persönliche Sicht auf Birds Musik und seinen Einfluss auf sie für ein Videoprojekt mitzuteilen, das wir für eine Konferenz der Schader-Stiftung vorbereiten, welches sich mit dem Thema der Unsterblichkeit auseinandersetzt (Schader-Stiftung). Eine gekürzte Version dieses Videos wird rechtzeitig zu Birds 100stem auf unserer Website veröffentlicht (Jazzinstitut).

Netzwerk Jazz in Hessen, Online-Treffen

Seit etlichen Jahren ist das Jazzinstitut im Netzwerk Jazz in Hessen aktiv, einer Gruppe von Musiker:innen, Veranstalter:innen, Aktivisten unserer regionalen Jazzszene zwischen Kassel und Heppenheim, Fulda und Limburg. Ursprünglich hatten wir für Anfang Mai ein Treffen geplant, das wir jetzt ins Netz verlegt haben. Am 5. September werden wir nun also von der Darmstädter Saxophonistin Anke Schimpf sowie von Eugen Hahn, dem Besitzer des legendären Frankfurter Jazzkellers, hören, wie sie mit den durch die Pandemie verursachten Problemen umgehen. Wir werden zugleich über die potentielle Gründung eines Hessischen Jazzverbands diskutieren, der als Interessenvertretung der gesamten Jazzszene in unserem Bundesland dienen soll (Netzwerk Jazz in Hessen).

Jazzinstitut Darmstadt @ 30

Unser 25-jähriges Jubiläum haben wir vor fünf Jahren mit einem großen Konzert um das historische Ensemble gefeiert, in dem das Jazzinstitut untergebracht ist, und mit vielen, vielen Musiker:innen aus Darmstadt und Umgebung. Der 30ste Geburtstag wird etwas kleiner gefeiert, wahrscheinlich nur in der Kolleg:innenrunde und mit einigen Facebook-Posts. Und doch: Wir sind unglaublich stolz auf die Stadt Darmstadt, die vor mehr als 30 Jahren entschieden hat, das Jazzinstitut zu gründen, das am 2. September 1990 (weil der 1. September in dem Jahr in Sonntag war) seine Türen öffnete. Happy Birthday uns allen also, und viele weitere Jahre!


JazzNews, No. 16 (30. Juli bis 12. August 2020

30. Juli 2020
Makaya McCraven / John Coltrane

David Greene spricht mit dem Schlagzeuger Makaya McCraven darüber, dass in seiner Kindheit immer Musiker wie Archie Shepp, Marion Brown und Yusef Lateef um ihn herum gewesen seien, über seinen Ansatz an sein jüngstes Album „Universal Beings“, das Live- und Studioaufnahmen mischt, über den Bedarf an Livemusik und all das, was wir zurzeit vermissen, sowie darüber, dass er sich mit den rassistischen Wurzeln des Wortes „Jazz“ für eine Musik unwohl fühle, die er als „eine mündliche Tradition“ definiert, „die man lernt, in dem man mit anderen Leuten spielt oder einfach nur in ihrer Nähe ist“ (NPR). Kai Müller spricht ebenfalls mit Makaya McCraven über sein Konzept der „‚Open Beat Music‘, [ein] Hybrid aus Spontanität und Sample, in dem das Echo von Krautrock, Hip-Hop und Fusion-Jazz wiederhallt“ (Der Tagesspiegel). — Jason Laughlin berichtet über ein gerade mal drei Jahre altes Wandgemälde, das John Coltrane auf einer Hauswand in Philadelphia zeigt, das aber in Kürze von einem neu errichteten Wohnhaus komplett verdeckt werden wird, ein Schicksal, das es mit seinem Vorgänger teilt, das 2002 auf eine andere Hauswand gemalt wurde. Der aktuelle Fall jedenfalls hat eine Diskussion über die Bedeutung von Kunst im öffentlichen Raum ausgelöst, insbesondere in diesen Tagen des breiten gesellschaftlichen Protests in den USA auf der einen Seite und der um sich greifenden Gentrifizierung auf der anderen (The Philadelphia Inquirer).

1. August 2020
Delfeayo Marsalis / Erwin Helfer

John Wirt spricht mit dem Posaunisten Delfeayo Marsalis über die Initiative Keep NOLA Music Alive, die Musikern helfen will, die wegen der Corona-Pandemie nicht auftreten können, über die Bedeutung seines Vaters, des kürzlich verstorbenen Ellis Marsalis, als Lehrer, als Bandleader und als Pianist, sowie über seinen eigenen bevorstehenden 55sten Geburtstag (OffBeat). — Caroline Hurley spricht mit dem Pianisten Erwin Helfer über eine durch die Pandemie und die damit verbundenen Absagen aller Auftritte verursachte Depression und eine Elektroschocktherapie, die ihm schließlich half, die Depression zu überstehen und nach Hause zurückzukehren. Helfer spricht außerdem über die Black Lives Matter-Bewegung und seine eigene frühere Romantisierung der Realität schwarzer Musiker in den Vereinigten Staaten (Chicago Sun-Times).

3. August 2020
Sonny Rollins / Rudy Van Gelder

Gabriel Lefferts spricht mit dem Saxophonisten Sonny Rollins über Musik und Spiritualität, über die Erfahrung das Gefühl fürs Selbst während der Liveperformance zu transzendieren, über seine täglichen Meditationsübungen, über seinen festen Glauben an die Reinkarnation, über seine Drogensucht in jungen Jahren, die er durch den Buddhismus und spirituelle Übungen überkam, sowie über die Herausforderung „nach der Goldenen Regel“ zu leben und seine Hoffnung, dass er mit jeder Reinkarnation der Erkenntnis näher komme (Tricycle). — Phil Freeman hört sich Beispiele für die Arbeit des legendären Toningenieurs Rudy van Gelder an und spricht mit Don Was, dem heutigen Präsidenten von Blue Note Records, und mit anderen Experten über Van Gelders Klangmagie und wie diese sich von Verfahren unterscheidet, die man heute anwenden würde, über seine Tendenz Mikrophone zu verkleiden oder sie aus dem Weg zu räumen, wenn Francis Wolff seine Aufnahmen für Blue-Note-Cover machte, „damit niemand erkennen konnte, was er benutzte und wie er sie platzierte“, und er erinnert seine Leser:innen, dass jemand Charles Mingus Van Gelders Versuch „den Ton der Leute“ zu ändern eher kritisch gegenüberstand (Reverb).

5. August 2020
Johannes Barthelmes / George Wein

Georg Spindler spricht mit dem Saxophonisten Johannes Barthelmes über eine 23-jährige Pause in seiner musikalischen Karriere, über die emotionale Tiefe seines Spiels, über die Herausforderungen und Risiken der Improvisation, über Spiritualität und Musik, sowie über John Coltrane als seine größte Inspiration (Mannheimer Morgen). — Lauren Daley spricht mit dem Pianisten und Veranstalter George Wein über das Newport Jazz Festival, das er 1954 gründete und das zahlreiche andere Festivals beeinflusste, über den Storyville Jazzclub, den er 1950 in Boston eröffnete, sowie über das Geheimis der erfolgreichen Programmierung eines Festivals (The Boston Globe).

7. August 2020
Klaus Doldinger / Charlie Parker

René Scheu spricht mit dem Saxophonisten Klaus Doldinger über seine Anfänge als professioneller Musiker und die Rolle, die sein damaliger Produzent Siggi Loch dabei spielte, über seine Kompositionen etwa für die Fernsehserie „Tatort“ oder den Kinofilm „Das Boot“, über das Geheimnis eingängiger Stücke, über den Jazz als Musik der Befreiung, insbesondere für Deutsche seiner Generation, über das zwiespältige Verhältnis seiner Eltern zu Nazi-Deutschland, über den Wandel des Werkbegriffs durch Streaming-Plattformem, sowie darüber, dass er mit dem Sterben nicht hadere, sondern sein Alter, nämlich 84, so nimmt, wie es ist (Neue Zürcher Zeitung). — Howard Reich berichtet über Pläne für einen Charlie Parker Monat im Jazz Showcase in Chicago, mit dem Birds hundertster Geburtstag gefeiert werden soll, und er spricht mit dem Saxophonisten Eric Schneider, der erklärt, dass er zurzeit immer mit Maske spielt, in die er einen dünnen Schlitz geschnitten hat, dazu hinter einem Plastikschirm, der ihn irgendwie wie Paul Desmond klingen lasse, sowie mit dem aktuellen Besitzer des Jazz Showcase, Wayne Segal, über die Auswirkungen der Pandemie auf sein Geschäft und darüber, wie wichtig Livemusik für so viele Menschen sei, heute mehr denn je (Chicago Tribune). Kevin Sun führt seine Reihe über Charlie Parkers Musik mit einem Blick auf „drei seltene Blues-Performances“ fort, nämlich „Now’s the Time“ aus dem Jahr 1949 sowie „Buzzy“ und „Bloomdido“ aus dem Jahr 1951, all das einschließlich Transkriptionen von Birds Soli (Horizontal Search). Der Basketballveteran Kareem Abdul-Jabbar plant das Vorwort zu einer Graphic Novel über Charlie Parkers Zeit in Kalifornien zu schreiben (Comic Watch). Howard Reich schaut auf den Einfluss, den Charlie Parkers Musik bis heute hat und befindet, Bird „hat eine Kunstform umgekrempelt, nicht viel anders als Mozart oder Chopin oder Gershwin es in ihrer ähnlich kurzen Zeit unter uns getan hatten“ (Chicago Tribune). Charlie Parkers 100ster Geburtstag wird ab dem 27. August mit einer achttägigen Marathonsendung auf WKCR-FM gefeiert, dem Sender, auf dem Phil Schaap 1981 seine bis heute ausgestrahlte Sendung „Bird Flight“ begann (WKCR).

9. August 2020
Milford Graves / Johnny Alf

Corey Kilgannan spricht mit dem Schlagzeuger Milford Graves über die Diagnose Amyloid- Kardiomyopathie, die er 2018 mit dem Hinweis der Ärzte erhielt, dass er höchstens 6 Monate zu leben habe, die er aber mithilfe alternativer Heilpraktiken überlebt habe, während er parallel in der Behandlung seines Herzspezialisten blieb, darüber, dass er bereits seit den 1970er Jahren bewusst seinem Herzschlag zuhöre und dass seine Diagnose „seine Forschung, die daraus resultierenden musikalischen Erkundungen und kreativen Ergebnisse als visueller Künstler“ nur bestärkt habe, die letztlich zu einem Kunstprojekt führten, das im September in Philadelphia ausgestellt wird. Kilgannon erklärt einige von Graves‘ Biofeedback-Techniken, schreibt dann über seinen ungewöhnlichen Lebensweg, der Musikheilkunde- und Trommelkurse genauso beinhaltet wie die Entwicklung eines eigenen Kampfkunststils und die Mit-Patentierung von Technologie, mit der man mithilfe von Herzmelodien Stammzellen regenerieren kann (New York Times). — Beatriz Miranda berichtet über den brasilianischen Pianisten und Komponisten Johnny Alf, der 1949 einem Frank Sinatra Fanclub in Rio De Janeiro beitrat, dann nach Sao Paulo zog, während Rio von der Bossa-Nova-Welle überrollt wurde. Alf war „schwarz, arm und schwul in einem Geschäft, das mit diesem Genre ein reiches weißes Publikum erreichen wollte“, schreibt Miranda und betont, wie sehr Antonio Carlos Jobim von Alfs „Rapaz de Bem“ inspiriert war, dass aber all der Ruhm unter Musikerkollegen nie zu breiterer Bekanntheit geführt habe (New York Times).

11. August 2020
Joshua Redman / Mamie Smith

Scott Haas spricht mit dem Saxophonisten Joshua Redman über sein jüngstes Album „RoundAgain“, über seinen Lebenslauf, der u.a. die Aufnahme an der Yale Law School und einen Abschluss von der Harvard University mit einschließt, und darüber, wie seine Herangehensweise ans Studieren ihm auch in der Musik half, über das Konzept eines musikalischen Narrativs, über politische Aspekte seiner Arbeit, die sich nicht so sehr in expliziten Statements fänden, sondern vielmehr in der Ehrlichkeit, Kreativität und Ausdruckskraft seiner Musik, über Livemusik und das Musikgeschäft während der Pandemie, sowie über Veränderungen, die er in der Stadt Boston wahrnimmt, wenn er die Zeit seines Harvard-Aufenthaltes mit heute vergleicht (Bay State Banner). — David Hajdu erinnert sich an die Aufnahme des „Crazy Blues“ durch die Blues-Sängerin Mamie Smith vor genau 100 Jahren, eine Aufnahme, die „den Blues als populäre Kunst etablierte und den Weg für ein Jahrhundert schwarzen Ausdrucks als flammenden Kern der amerikanischen Musik bereitete“. Er interpretiert den Text des Liedes als „eine Geschichte von Gewalt und Unterwerfung, die die schwarzen Amerikaner auch außerhalb des eigenen Hauses, in einer Welt weißer Unterdrückung kannten“, und den Blues als ein Genre, das „viele und manchmal widersprüchliche Dinge gleichzeitig tut, also zugleich ein Ventil für Wut und Befreiung davon sein kann“ (New York Times). John Edward Hasse berichtet ebenfalls von Mamie Smiths historischer Aufnahme (Wall Street Journal).

… und sonst noch …

Michael Steinman spricht ausführlich mit dem Posaunisten (und Pianisten) Ephie Resnick (Jazz Lives). — Sandra Bauer spricht mit dem Trompeter Bastien Rieser (Idowa). — Rebekka Groß spricht mit dem Schlagzeuger Wolfgang Haffner (BB heute). — Andrew Ede erinnert an die Jazzgeschichte der Baleareninsel Mallorca (Majorca Daily Bulletin). — Stephan Dosch schreibt über Gitarristen Sigi Schwab, der dieser Tage 80 Jahre alt wird (Augsburger Allgemeine). — Roland Spiegel gratuliert dem Produzenten und ACT-Labelchef zum 80. Geburtstag (BR Klassik). — Thomas Kliemann spricht mit dem Kritiker und Herausgeber eines eigenen Jazz-Newsletters Hans-Bernd Kittlaus (Bonner General-Anzeiger). — Jordan Fenster erzählt die Geschichte eines Flügels, der einst auf der Bühne des Clubs Village Gate in New York stand und dort von Legenden wie Thelonious Monk, McCoy Tyner, Erroll Garner und Nina Simone gespielt wurde, der dann an Misha Mengelberg verkauft wurde und sich heute im Besitz der Jazz Society of Fairfield County, Connecticut, befindet (CT Insider). — Eugene Holley Jr. spricht mit Ricky Riccardi über sein neues Buch zu Louis Armstrongs Bigband-Jahren (Publishers Weekly). — Karen Ponzio berichtet über ein neues Wandgemälde in New Haven, Connecticut, das die Jazzlegende Sun Ra zeigt (New Haven Independent). — Jason Fraley berichtet über den Club Blues Alley in Washington, D.C., der seit 1965 existiert, jetzt aber wegen der finanziellen Folgen der Coronakrise die Schließung erwägt (WTOP). — Dan Bilewsky berichtet über die Diskussionen, die aus einer Petition erwuchsen, die Metrostation Lionel-Groulx in Montréal zu Ehren des Jazzpianisten Oscar Peterson umzubenennen (New York Times). — Roland Spiegel spricht mit Sylke Merbold, der Leiterin des Bayerischen Jazzinstituts in Regensburg (BR-Klassik). — Georg Spindler feiert den Schlagzeuger Allen Blairman, der seit den frühen 1970er Jahren in Deutschland lebt und dieser Tage 80 Jahre alt wird (Mannheimer Morgen). — Nate Chinen spricht mit dem Pianisten Micah Thomas (NPR).

Nachrufe

Wir erfuhren vom Ableben des Pianisten Ross Carnegie im Alter von 95 Jahren (NBC Dallas Fort Worth), des Pianisten Dave Mackay im Alter von 88 Jahren, des senegalesischen Sängers und Perkussionisten Balla Sidibé im Alter von 78 Jahren (Deutschlandfunk Kultur), des Rap-Vokalisten Malik B. im Alter von 47 Jahren (Washington Post), der Beat-Poetin Ruth Weiss im Alter von 92 Jahren (San Francisco Chronicle), des Pianisten Larry Novak im Alter von 87 Jahren (Chicago Sun-Times), der Posaunistin Helen Jones Woods im Alter von 96 Jahren (New York Times, NPR), des Arrangeurs Angelo Testanero im Alter von 100 Jahren (News Times), der Kritikerin Georgia Urban im Alter von 93 Jahren (Times Union), der Pädagogin Gloria DeNard im Alter von 93 Jahren (New York Times), der US-kanadischen Sängerin Salome Bey im Alter von 86 Jahren (Preeceville Progress), des Jazzveranstalters und Gründers des Chicagoer Clubs Jazz Showcase Joe Segal im Alter von 94 Jahren (Chicago Tribune, Chicago Sun-Times), sowie des britischen Trompeters Bill Davies im Alter von 83 Jahren (The Guardian).

Aus der Welt der Jazzforschung

Don Marquis

Keith Spera schreibt über die Jazzkarriere von Don Marquis, dem Autor, Gründer und emeritierten Jazzkurator des New Orleans Jazz Museum in der Old U.S. Mint. Der 87-jährige Marquis, dem Spera bescheinigt, noch immer einen scharfen Verstand zu haben, wenn auch einen gebrechlichen Körper, beschloss, New Orleans zu verlassen, um in einem Pflegeheim in Goshen, Indiana, zu leben, wo er aufgewachsen ist. Marquis war 1962 nach New Orleans gekommen, arbeitete in der öffentlichen Bibliothek, gab The Second Line, die Zeitschrift des New Orleans Jazz Club, heraus und schrieb das Buch „In Search of Buddy Bolden“: First Man of Jazz“. Er initiierte und kuratierte das erste Jazzmuseum im zweiten Stock der Old Mint und ist seither mit diesem und mit der New Orleans Jazzforschung engstens verbunden (New Orleans Times-Picayune).

Jazzfoto-Sammlung

Andrew Gilbert berichtet über die Sammlung des kürzlich verstorbenen Fotografen Lenny Bernstein aus der Nähe von San Francisco, für die seine Tochter jetzt ein neues Zuhause sucht, während sie parallel eine große Zahl an seinen Bildern online gestellt hat (The Mercury News, Jazz Jones Photos).

Neue Bücher

Unter den Büchern, die wir in den vergangenen Wochen lasen, waren „Tony Lakatos. Sag nur nicht Künstler zu mir“ von Rainer Erd; „MilesStyle. The Fashion of Miles Davis“ von Michael Stradford; sowie „The Jazz Pilgrimage of Gerald Wilson“ von Steven Loza (Siehe die Rubrik „Neue Bücher“ auf der Website des Jazzinstituts).

Letzte Woche im Jazzinstitut

17. Darmstädter Jazzforum
„Aus der Neuen Welt“? Eurozentrismus in Jazz

Als ob er unseren Call for Papers gelesen hätte, hat Ethan Iverson den jüngsten Eintrag seines Blogs eurozentrischen Perspektiven auf die Musik gewidmet und dabei auf Aussagen aus früheren seiner Posts verlinkt, die für das Thema von Belang sind (Do the Math). Iverson gibt damit einen Aspekt vor, der uns während der Konferenz im Herbst 2021 interessieren könnte. Norman Lebrecht beleuchtet einen anderen Aspekt, wenn er die aktuelle Debatte um den Musiktheoretiker Heinrich Schenker und die „historischen Wurzeln der white supremacy“ darstellt (Slipped Disc). Jacqueline Warwick diskutiert, wie die Musikpädagogik in den USA durch den Fokus auf westeuropäische Kunstmusik dominiert ist, fasst die Schenker-Debatte zusammen, und fordert Musikprogramme, die aktiven Musiker:innen, die eine höhere Ausbildung anstreben, tatsächlich etwas bringen (The Conversation). Schließlich lesen wir Howard Reichs Hommage an Charlie Parkers bevorstehende Hundertjahrfeier, in der der Autor eine Reihe von Klischees verwendet, indem er zunächst Birds Einfluss mit dem Mozarts, Chopins und Gershwins vergleicht und ihn (sowie die anderen genannten) dann auch noch als „Revolutionär“ feiert (Chicago Tribune). Man mag sich fragen, ob solche Klischees, die durch eine Genieästhetik geprägt sind, deren Wurzeln im Europa des 19. Jahrhunderts liegen, der Musik gerecht werden. Dies jedenfalls könnte ebenfalls eines der Themen sein, die wir nächstes Jahr beim Darmstädter Jazzforum diskutieren möchten, und in den nächsten JazzNews werden wir weitere Beispiele dafür vorstellen, wie und wo eurozentrische Perspektiven unsere Sicht auf den Jazz prägen. Wir wollen dabei die Geschichte nicht verteufeln, sondern sind an einer bewussten Auseinandersetzung mit den Folgen eurozentristischer Sichtweisen interessiert. Wir wollen also diskutieren, wie Machtstrukturen, sowohl innerhalb der Musikindustrie als auch im ästhetischen Diskurs, eine bestimmte Weltsicht begünstigt haben, und wie Künstler:innen, Wissenschaftler:innen, Kritiker:innen und Fans unterschiedlich mit dieser Tatsache umgehen. Wir hoffen also auf vielfältige Vorschläge, Ansätze und Perspektiven auf unseren Call for Papers, dessen Deadline der 30. November 2020 ist (17th Darmstadt Jazzforum).

Darmstadts Archive

Die Stadt Darmstadt war anfangs bekannt als „Stadt im Walde“, dann als „Stadt, in der die Künste leben“. Seit 1997 trägt sie den Titel „Wissenschaftsstadt“, weil sich um Umfeld der Technischen Universität zahlreiche Wissenschaftseinrichtungen hier angesiedelt haben, unter ihnen die European Space Agency, diverse Fraunhofer-Institute und die Gesellschaft für Schwerionenforschung. Jetzt listet eine neue Broschüre die vielen Archive in unserer Stadt auf, historische Archive genauso wie solche zur Geschichte der Künste. Die Musik wird durch das Internationale Musikinstitut vertreten, das die Geschichte der zeitgenössischen Musik des 20sten und 21sten Jahrhunderts dokumentiert, sowie durch das Jazzinstitut Darmstadt. Eine PDF-Version des Buchs steht zum Download bereit (DaBlog).


JazzNews, No. 15 (16. bis 29. Juli 2020)

16. Juli 2020
Black Lives Matter

Joshua Barone diskutiert über die mangelnde Präsenz nicht-weißer Künstler:innen auf der Opernbühne (New York Times). — Zachary Woolfe und Joshua Barone sprechen mit neun schwarzen Künstler:innen, unter ihnen der Klarinettist Anthony McGill, der Trompeter und Komponist Terence Blanchard und die Komponistin Tania León, darüber, wie sich die klassische Musik verändern ließe (New York Times). — Anthony Tommasini argumentiert gegen blind auditions für Sinfonieorchester, weil: „Wenn Ensembles die Communities wiederspiegeln sollen, für die sie spielen, dann sollten beim Vorspiel Kategorien wie Hautfarbe, Geschlecht und andere auch eine Rolle spielen“ (New York Times). — Marcos Balter erinnert an den einflussreichen schwarzen Komponisten Joseph Boulogne, auch bekannt als Chevalier de Saint Georges, der 1778 in Paris Mozart getroffen (und vielleicht sogar beeinflusst) haben mag, und er wendet sich ausdrücklich gegen den Spitznamen „Black Mozart“, den Boulogne letzten Monat in Zeitungsüberschriften erhielt, als bekannt wurde, dass ein Film über ihn gedreht werden solle; es gäbe schließlich „genügend Belege dafür, dass Boulogne hinter niemand anderem zurückstehen muss – und schon gar nicht jemand anderes schwarzes Echo ist“ (New York Times).

18. Juli 2020
Joe Morris / John Santos

Frank Carlberg spricht mit dem Gitarristen Joe Morris über den Pianisten Lowell Davidson, über den Saxophonisten und Komponisten Anthony Braxton, über sein Instrument, die Gitarre, über den Pianisten Cecil Taylor, über „Jazz“ als Wort und Musik, über seine wichtigsten persönlichen Einflüsse, über den Gitarristen Derek Bailey, über seine Heimatstadt New Haven, über die Downtown-Musikszene New Yorks, über die 1980er Jahre, über Improvisation, über den Schlagzeuger Sunny Murray, über die Bedeutung von Tradition und andere Dinge (Twenty Questions). — Angel Romero spricht mit dem Latin Jazz-Perkussionisten John Santos über Auftritte mit der Band seines Großvaters 1967, über seine Anfänge auf den Trommeln, über sein jüngstes Album  „Descarga“, über einige der karibischen Musikformen, die er darauf verwendet, über die Latin Jazz-Szene an der US-amerikanischen Westküste, sowie darüber, welche Auswirkungen die Pandemie auf seine Arbeit und sein Leben hat (World Music Central).

20. Juli 2020
Kamasi Washington / Jeremy Monteiro

August Brown spricht mit den Saxophonisten Kamasi Washington und Terrace Martin, dem Vokalisten Phoelix und dem Produzenten 9th Wonder (Patrick Douthit) über ihr jüngstes Album „Dinner Party“ und darüber, wie einige der Titel darauf direkt auf die Polizeigewalt in den Vereinigten Staaten Bezug nehmen, sowie über die Notwendigkeit, dass Kunst die Zeit reflektiert, wobei schwarzen Künstlern heutzutage in den USA eine noch weitgehendere Verantwortung zukomme (Los Angeles Times). — Eddino Abdul Hadi spricht mit dem Pianisten Jeremy Monteiro über seine Karriere als Singapurs prominentester Jazzmusiker, die 1976 begann, über einige seiner künstlerischen Erfolge über die Jahre, über „One People, One Nation, One Singapore“ und andere „nationale Songs“, die er komponierte, über seine Unterstützung der Composers and Authors Society of Singapore (Compass), die er 1988 mit begründete, um die Rechte von Musiker:innen, Autor:innen und Verlagen zu schützen, über seine pädagogischen Aktivitäten, sowie über verschiedene der Charity-Events, die er unterstützt, um Geld für soziale Zwecke zu sammeln (The Straits Times).

22. Juli 2020
Jason Moran / Los Angeles

Andrew Chan spricht mit dem Pianisten Jason Moran über Jazz-Kurzfilme aus den 1930er Jahren, insbesondere Bessie Smiths „St. Louis Blues“ (1929), Cab Calloways „Hi De Ho“ (1934), Louis Armstrongs „A Rhapsody in Black and Blue“ (1932), Duke Ellingtons „Symphony in Black“ (1935), um dann mit Moran über Hollywoods Musikfilm-Produktion zu sprechen und die Nichtpräsenz afroamerikanischer Schauspieler:innen und Musiker:innen, sowie über Morans eigene Kooperationen mit Filmemacher:innen und visuellen Künstler:innen, die sein Verständnis davon geprägt hat, wie Narrative klanglich wirken (Criterion). — Der Basketball-Veteran Kareem Abdul-Jabbar erinnert sich John Coltrane und andere Jazzgrößen erlebt zu haben, als er 1965 nach Los Angeles zog, dass er aber erst nach seinem Rückzug vom Sport über die wichtige Rolle lernte, die das Areal um die Central Avenue für die afro-amerikanische Geschichte und für amerikanische Populärkultur allgemein spielte. Dann blickt er auf die Central Avenue von den 1920er bis in die 1950er Jahre, erklärt, wie die schwarze Bevölkerung der Stadt über die Jahre zunahm, weiß von Musikern wie Jelly Roll Morton, Nat King Cole, Lionel Hampton, Duke Ellington, Charles Mingus, Charlie Parker und Dinah Washington zu berichten, die in Spielorten wie dem Club Alabam, dem Downbeat und dem Last Word auftraten, erzählt die Geschichte des Dunbar Hotels, des Dolphin’s Plattenladen und des Lincoln Theatre, das als „West Coast Apollo“ bekannt war (Los Angeles Times).

24. Juli 2020
Kathrin Pechlof + Jacobien Vlasman / Bill Charlap

Gregor Dotzauer spricht mit der Harfenistin Kathrin Pechlof und der Sängerin Jacobien Vlasman über Livestreams ohne Live-Publikum, die einerseits der Musik nicht gerecht werden (Vlasman), andererseits in diesen Tagen der Krise Community und Solidarität schaffen können (Pechlof), darüber, wer am meisten durch die Krise verliert und wie ein adäquates Fördersystem für kreative Künste aussehen könnte, über die Notwendigkeit von Off-Spielorten, die nicht einfach in klimatisierte Konzerthallen umziehen können, über notwendige politische Unterstützung, über die Idee von Hybridveranstaltungen, bei denen das Livepublikum mehr für das Ticket bezahlt als die Online-Zuschauer, über die Krise, die sie eher als stressvoller denn als Zeit für Besinnung erlebten, über Online- statt dem persönlichen Unterricht, sowie über ihren Willen, nicht aufzugeben, auch wenn „der lange Schrecken“ noch kommen mag (Der Tagesspiegel). — John Marchese spricht mit dem Pianisten Bill Charlap über vier Monate, die er nicht für ein Publikum spielen konnte, über den finanziellen Verlust, den er durch die Coronakrise erlitten hat, über ein Auftrittsangebot des Deer Head Inn in Delaware Water Gap, nachdem Pennsylvania Restaurants wieder erlaubt hat zu öffnen, das er zuerst abgelehnt hatte, weil er es für zu gefährlich hielt, um es dann doch anzunehmen, weil: „Es ist ja für jeden ein Risiko, denke ich. Vielleicht ist es zu früh, aber für mich ist es an der Zeit“ (New York Times).

26. Juli 2020
Johanna Summer / Ran Blake

Malakoff Kowalski ist begeistert vom neuen Album „Schumann Kaleidoskop“ der Pianistin Johanna Summer. Er kann es kaum glauben, als sie ihm erzählt, dass alle ihre Variationen über Schumanns berühmte Klavier-Piècen improvisiert sind, und er vergleicht sie mit Keith Jarretts „Köln Concert“ (das, wie er meint, „ein Naturereignis“ sei, „ein Wasserfall. Berauschend. Die Tiefen aber, die Weiten, die Wellen, die vielen Gesichter, Farben und Texturen eines Ozeans wird ein Wasserfall niemals abbilden“) sowie zu jenem Moment in „Blue in Green“, wenn das Miles Davis Quintet sich wie von Zauberhand reduziert, bis nur noch Bill Evans‘ Klavier übrig bleibt. Summers Album, schreibt Kowalski, „fühlt sich an wie ein gedehnter, einziger solcher Moment – vom einen zum anderen, vom Innersten zum Äußersten“ (Die Zeit). — Frank Carlberg unterhält sich per Videochat mit dem Pianisten Ran Blake über seinen Klavierlehrer als Teenager, über Filme wie „Spiral Staircase“ und „Dr. Mabuse“ und Regisseure wie Alfred Hitchcock, über Musikerkolleg:innen wie Gunther Schuller, George Russell, Oscar Peterson, Billie Holiday, Thelonious Monk, Jaki Byard, Chris Connor und Jeanne Lee, über sein Konzept des Third Stream, über Frankreich und Griechenland, sowie über die Notwendigkeit, sich mehr um Mutter Natur zu kümmern und das Studium der Toleranz in den Lehrplänen der Schulen genauso wie des lebenlangen Lernens zu verankern (20 Questions).

28. Juli 2020
Corona (XII)

Aidin Vaziri berichtet über die NEA Jazz Masters-Verleihung, die in diesem Jahr gestreamt wird, Termin: 20. August, live aus dem SF Jazz Center, mit virtuellen Auftritten der diesjährigen Gewinner Bobby McFerrin, Roscoe Mitchell, Reggie Workman und Dorthaan Kirk (San Francisco Chronicle). — Andrew Coate schreibt vier Blogeinträge über das Festival Konfrontationen in Nickelsdorf, das er in diesem Jahr nicht besuchen kann (The Fuckle). — Ulrich Habersetzer spricht mit den Plattenlabel-Vertretern Andreas Brandis (ACT) und Stefanie Marcus (Traumton) über die Auswirkungen der Coronakrise auf ihre Branche (BR Klassik). — Florian Bissig besucht das Festival da Jazz in St. Moritz und berichtet über die krisenbedingten Änderungen in Programm und Ablauf (Neue Zürcher Zeitung). — Jochan Embley berichtet darüber, dass der berühmte Club Ronnie Scott’s in London am 1. August für ein auf die Hälfte begrenztes Publikum wiedereröffnen wird (Standard). — Yukare Nakayama berichtet über einen Hausbesitzer in Chicago, der Konzerte in seinem Vorgarten am Logan Square organisiert, um Musiker:innen wenigstens eine Spielmöglichkeiten in Coronazeiten zu geben (ABC Chicago). — Der Musikfonds hat zusätzliche 8 Millionen Euro erhalten, um daraus Stipdendien in Höhe von einmalig 6.000 Euro an freischaffende Musiker:innen zu gewähren. Spipendien können etwa für künstlerische Recherchen, für Konzepte für Musik im digitalen oder öffentlichen Raum oder andere künstlerische Aktivitäten vergeben werden(Musikfonds, oder direkter PDF-Download).

… und sonst noch …

Crystal Nicholls sieht einen neuen Dokumentarfilm über die Geschichte des Jazz Dance (Dance Magazine). — Andres Gutierrez berichtet über Vandalismus im 18th and Vine Jazz District von Kansas City, von dem auch der Blue Room Jazzclub und die Ethic Art Gallery betroffen sind (KSHB). — Ariella Kaplan erzählt die Geschichte des yiddischen Songs „Bei Mir Bist Du Schön“, der sowohl in der US-amerikanischen Swingära gefeiert wurde wie in Hitlers Nazideutschland, und sie hört sich dabei Aufnahmen von Benny Goodman, den Andrews Sisters, Ella Fitzgerald und den Ghetto Swingers an (The Jerusalem Post). — Jeff Spevak spricht mit dem Pianisten Jon Seiger über den Verlust seines Gehörs als er 32 Jahre alt war und darüber, wie er mit Hilfe eines Cochlear-Implantats wieder hören lernte, sowie über seine Erfahrung mit sexuellem Missbrauch als Kind (WXXInews). — Nicondra Norwood berichtet über den 92-jährigen Kornettisten Jack Fine, dem sein Platz in einer Pflegeeinrichtung in New Orleans gekündigt wurde (Fox 8 Live).

Nachrufe

Wir erfuhren vom Ableben des Pädagogen Dan Leonard im Alter von 80 Jahren (Charleston Post and Courier), der Sängerin Alice Day im Alter von 74 Jahren (Miami Herald), des Pianisten und Vibraphonisten Donald E. McCaslin im Alter von 93 Jahren (Santa Cruz Sentinel), der Psychologin und Tochter des Jazzautors Rudi Blesh, Hilary Blesh Michaud, im Alter von 91 Jahren (The Salem News), der Sängerin Annie Ross im Alter von 89 Jahren (Washington Post, The Guardian, NPR, New York Times, The Independent), des südafrikanischen Schlagzeugers Gilbert Matthews im Alter von 77 Jahren (The Conversation), des Mbira-Spielers Cosmas Magaya aus Zimbabwe im Alter von 66 Jahren (New York Times), des niederländischen Diskographen Wim Winsemius im Alter von 75 Jahren (De Volkskrant), sowie des Pianisten Leonard H. Morton Sr. im Alter von 92 Jahren (The Tennessee Tribune).

Aus der Welt der Jazzforschung

The John Coltrane Memorial Black Music Archives

Der kalifornische Professor für amerikanische und vergleichende Literaturwissenschaft Bram Dijkstra überließ seine Sammlung mit 50.000 seltenen Alben von Sun Ra, Cecil Taylor und einer Reihe weiterer Jazz-, Blues-, Gospel- und Reggae-Künstler als Schenkung der San Diego State University, wo diese das Herz des neu gegründeten John Coltrane Memorial Black Music Archivs bilden sollen (The San Diego Union-Tribune).

Afroamerikanische Kantoren

Henry Sapoznik blickt auf die wenig dokumentierte Welt der afroamerikanischen jüdischen Kantoren, zu denen unter anderem auch der Pianist Willie ‚The Lion‘ Smith gehörte, der nebenbei als Kantor für eine Gemeinde in Harlem wirkte (Henry Sapoznik).

Bebop

Wir lasen den Nachdruck eines wichtigen Artikels, den Ralph Ellison, der Autor des Romans „Invisible Man“, 1959 über die Anfänge des Bebop im Minton’s Playhouse in den frühen 1940er Jahren schrieb (Esquire).

Gennett Studios

Domenica Bongiovanni erzählt die Geschichte der Gennett Studios in Richmond, Indiana, die in der kürzlich eröffneten Ausstellung „You are there 1927: The Gennett Studio“ in der Indiana Historical Society in Indianapolis dokumentiert wird (Indianapolis Star).

Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik

Während dieser Wochen sollten wir eigentlich jede Menge neuer Kompositionen hören, experimentelle Musik, Diskussionen darüber, wie man dieser Tage komponiert und wie solche avancierten Stücke aufgeführt werden können. Die Coronakrise aber hat dazu geführt, dass auch die renommierten Ferienkurse für Neue Musik abgesagt (verlegt) werden mussten. Unser Schwesterinstitut, das die Ferienkurse organisiert, hat jetzt mit einer Podcast-Reihe begonnen, deren erste Ausgabe ein Gespräch zwischen der irischen Komponistin und Performerin Jennifer Walshe und dem in New York lebenden Posaunisten, Komponisten und Forscher George E. Lewis über Künstliche Intelligenz und Musik bietet (Ferienkurse für Neue Musik).

Earl Hines

Eine bemerkenswerte TV-Dokumentation über den Pianisten Earl Hines wurde 1975 im Club Blues Alley in Washington, DC vom britischen ITC-Fernsehsender gefilmt, in der Hines aus seinem Leben erzählt, aber auch seinen Ansatz an Improvisation erklärt (YouTube).

Anthony Braxton

Für das Jazzfest Berlin 2019 erdachte Anthony Braxton „Sonic Genome“, eine Komposition für 60 Musiker:innen, die in wechselnden Konstellationen im Martin Gropius Bau aufgeführt wurde. Jetzt haben Braxton und James Fei die sechsstündige Aufführung in eine 50-minütige Radiokomposition verdichtet (Deutschlandfunk Kultur).

Letzte Woche im Jazzinstitut

17. Darmstädter Jazzforum
„Aus der Neuen Welt“: Eurozentrismus im Jazz
(call for papers)

Wir haben mit den Vorbereitungen für unser nächstes Darmstädter Jazzforum begonnen, das vom 30. September bis 2. Oktober 2021 stattfinden wird. Wir wollen Diskussionen aus dem Umfeld der Black Lives Matter-Bewegung aufnehmen und uns darüber austauschen, wie europäisch beeinflusste Sichtweisen das ethische wie ästhetische Verständnis, die Präsentation und die Rezeption des Jazz mit geprägt haben, inwieweit eine solche eurozentrische Sichtweise auch unser Verständnis von Jazz geformt, wenn nicht gar verformt hat und weiterhin formt, welchen Stellenwert in ihr sowohl die afro-amerikanischen Ursprünge der Musik besitzen als auch unser eigenes kulturelles Umfeld. Unsere Diskussionen könnten etwa beim Begriff „Jazz“ beginnen, wir können über historische Beispiele eurozentrischer Umdeutungen in der Jazzgeschichte sprechen, aber auch den aktuellen Diskurs über die Relevanz des Jazz in nicht-afroamerikanischen Communities thematisieren. Wir werden über Rassismus im Jazz sprechen, danach fragen, welche Formen von Ausgrenzung und anderen Othering-Strategien sich im Jazz hierzulande finden lassen, und auf alternative Lesarten der Jazzrezeption eingehen, Beispiele etwa, wie afroamerikanische Kultur das Verständnis von Musik auf der ganzen Welt verändert hat. Wir wollen die Diskussion dabei keinesfalls auf den Jazz begrenzen, sondern auch auf ähnliche Debatten über Eurozentrismus bzw. Afroamerikanismus etwa in Neuer Musik oder der Popkultur ganz allgemein blicken.

Das Darmstädter Jazzforum ist eine internationale Konferenz. Wir erhoffen uns Vorträge und Diskussionen, die über unsere kleine Szene der Jazzforscher:innen hinausreichen, und wir erwarten wie immer ein Publikum von Musiker:innen, Journalist:innen, ernsthaften Jazzfans, aber auch von Studierenden und Forscher:innen unterschiedlichster Disziplinen. Die Referate sollten ein Zeitlimit von 25-30 Minuten nicht überschreiten. Wir freuen uns auch über Vorschläge für spannende Panels und sind (innerhalb gewisser Grenzen) dazu in der Lage Reisespesen zu ersetzen.

Bitte schicken Sie alle Fragen oder Vorschläge an jazz@jazzinstitut.de

Jürgen Wuchner

Wir vermissen ihn! Jürgen Wuchner, Kontrabassist, Komponist und Pädagoge, der das Zentrum der Darmstädter Jazzszene bildete, aber am 1. Mai 2020 verstarb. Wegen der Coronakrise gab es keine Trauerfeier, kein Konzert zu seinen Ehren, kein großes Begräbnis. Aber wir erinnern ihn, lebhaft, während wir uns vorstellen, wie es sein wird, wenn wir endlich wieder Konzerte hören können. Und es wird ein Gedenkkonzert geben, irgendwann im nächsten Jahr, weil Jürgens Bass, seine Musik, seine eingängigen Stücke, seine Persönlichkeit nicht so schnell vergessen wird. Jetzt strahlt der Hessische Rundfunk die Wiederholung einer einstündigen Interviewsendung mit Jürgen aus dem Jahr 2015 aus, zu hören heute und danach als Podcast herunterladbar (hr2 Kultur).


JazzNews, No. 14 (2. bis 15. Juli 2020)

2. Juli 2020
Black Lives Matter

In einem Aufsatz für eine literarische Website diskutiert Harmony Holiday Rassismus und Musik, indem sie auf das ambivalente Verhältnis schwarzer Jazzmusiker zur Polizei in den USA blickt und das anhand von Beispielen untermauert, bei denen es etwa um Billie Holiday, Thelonious Monk, Miles Davis und Charles Mingus geht, wobei sie erklärt, dass es in der Musikgeschichte immer dieses Machtgefüge zwischen (weißen) Plattenbossen und (schwarzen) Künstlern gegeben habe, und argumentiert, die politischen Statements, die durch Jazz oder von Jazzmusikern geäußert wurden, hätten der politischen Stimme des heutigen HipHop den Weg geebnet. Sie endet ihren Essay mit ihrem Traum „einer schwarzen Musik, eines schwarzen Sounds, frei von den Fesseln des weißen Blicks, unerreichbar für Polizeiangriffe oder -überprüfungen, diesen Kräften völlig unverständlich, frei sogar von weißem Verlangen“ (Literary Hub). — Wynton Marsalis spricht über den Einfluss des Rassismus in den US auf seine Musik (WBGO). — Alexa Peters spricht mit der Künstlermanagerin Gail Boyd, dem Bassisten John Clayton, mit Gerry Eastman, dem Besitzer des Williamsburg Music Center, mit der Sängerin und Labelbetreiberin Lauren Henderson und mit dem Journalisten Mark Ruffin darüber, wie Rassismus auch die Musikindustrie in den Vereinigten Staaten betrifft (Down Beat). — Slan Scherstuhl spricht mit dem Pianisten Jon Batiste über die Geschichte des Jazz als Protestmusik. Er spricht außerdem mit dem Bassisten William Parker, dem Schlagzeuger Brian Blade und der Saxophonistin Caroline Davis (New York Times).

4. Juli 2020
Mark Dresser / Terell Stafford

Andrew Hamlin spricht mit dem Bassisten Mark Dresser darüber, dass er bereits seit den 1970er Jahren in den beiden Welten der klassischen Musik und der freien Improvisation involviert gewesen sei, über sein Interesse an „telematic music“, also „der Kunst und Wissenschaft sich einfach einzuklinken und mit jemand anderem in real time zu spielen“, seit er 2006 von New York nach San Diego gezogen sei, wo er die „natürliche Community an Kollegen“ vermisste, „gar nicht so unähnlich der aktuellen Situation mit Covid“ (San Diego Reader). — Rita Charleston spricht mit dem Trompeter Terell Stafford über seine musikalischen Anfänge in Chicago, über einen Auftritt mit dem Philadelphia Pops Orchestra am amerikanischen Unabhängigkeitstag, sowie darüber, dass die Pandemie ihn einerseits das Treffen mit anderen Menschen vermissen lässt, er andererseits die Zeit genießt, die er mehr mit seiner Familie verbringen kann (The Philadelphia Tribune).

6. Juli 2020
Karl Ratzer / Roy Nathanson

Samir H. Köck schreibt über den österreichischen Gitarristen Karl Ratzer, der in den 1970er Jahren in New York und Atlanta gelebt hatte, in den 1980ern zahlreiche US-amerikanische Musiker auf Tournee in Europa begleitete, aber auch in Rock- und Popzirkeln reüssierte. Köck fasst Ratzers Bedeutung mit den Worten des Veranstalters Christoph Huber zusammen: „Als Mensch ist er ein Widerspruch: laut und sensibel, tollpatschig und leichtfüßig, fordernd und dienend, altersweise und ungestüm, unmäßig und kontrolliert.“ Ratzer wird die Konzertsaison im von Huber geleiteten Club Porgy and Bess in Wien am 1. September wiedereröffnen (Die Presse). — Michael Powell spricht mit dem Saxophonisten Roy Nathanson über die täglichen Sessions, die er seit bald 90 Tagen auf der Veranda seines Hauses in Flatbush abhält, über das Repertoire, das er für die nachmittäglichen Zusammenkünfte mit einer Reihe anderer Musiker auswählt, über seine Erinnerungen an das Viertel, das früher vor allem von Arbeiterfamilien bewohnt wurde, und Powell spricht mit einigen der anderen Musiker, für die die vielleicht nur fünf Minuten, die sie mit Nathanson spielen, der Höhenpunkt ihres Tages sind (New York Times).

8. Juli 2020
Black composers / George Lewis

George E. Lewis, selbst ein international anerkannter Komponist, schaut auf Beispiele schwarzer klassischer Komponist:innen und was sie über die amerikanische Erfahrung lehren können. Konkret hört er William Grant Stills Symphony No. 1, „The Afro-American“ (1930), Alvin Singletons „Mestizo II“ (1970), Tania Léons „Horizons“ (1999), Nathalie Joachims „Fanm d’Ayiti“, Matana Roberts‘ „Coin Coin“-Serie, Courtney Bryans „Yet Unheard“ (2016), Blind Toms „The Battle of Manassas“ (1863), Wadada Leo Smiths „America’s National Parks“ (2017), Ornette Colemans „Skies of America“ (1972), sowie Anthony Davis‘ „Amistad“ (1997), und erklärt für alle Beispiele, wie sie mit dem schwarzen Leben in den USA in Verbindung stehen (New York Times). Francisco Salazar spricht mit der Sopranistin Candice Hoyes über Shirley Graham Du Bois‘ Oper „Tom-Tom“ (aus dem Jahr 1932), der ersten Oper, die von einer Afroamerikanerin komponiert und für die Bühne eingerichtet wurde (Opera Wire). — Gregory Taylor spricht mit George Lewis über sein Voyager Computerprogamm, fragt, warum er es „ein Programm, das improvisiert“ genannt hat, spricht außerdem mit Damon Holzborn, der die Max-Version von Voyager programmiert hat, und lässt schließlich Lewis seinen Ansatz an eine Auftragsarbeit für das American Composers Orchestra erklären (Cycling 74).

10. Juli 2020
Cory Smythe / Bumi Thomas

Seth Colter Walls spricht mit dem Pianisten und Komponisten Cory Smythe über den Einfluss aus Avantgarde-Jazz und zeitgenössischer Komposition, über Experimente mit mikrotonalen Elementen in seiner Musik, sowie über „Accelerate Every Voice“, ein Stück, das auf Andrew Hills Platte „Lift Every Voice“ von 1970 basiert, ein Vorbild, aus dem er etwas höchst Persönliches geschaffen hat (New York Times). — Kieran Yates spricht mit der in Glasgow geborenen Sängerin Bumi Thomas über die Bedrohung durch und ihren Kampf gegen eine mögliche Ausweisung aus dem Vereinigten Königreich, gerechtfertigt durch den British Nationality Act aus dem Jahr 1983, der ihr (und anderen) automatische Bürgerrechte abspricht, darüber, wie sie die Zeit der „Staatenlosigkeit“ dazu nutzte, Songs zu schreiben, die auf ihre eigenen afro-brasilianischen Wurzeln Bezug nehmen, sowie darüber, dass sich Musik für sie jetzt noch mehr als früher wie Protest anfühlt (The Guardian).

12. Juli 2020
Matthew Shipp / Ari Hoenig

George Grella spricht mit dem Pianisten Matthew Shipp darüber, wie er seinen eigenen Sound auf dem Klavier durch Harmonik schafft, über die Balance zwischen freier Assoziation und vorbereiteten Passagen, über einige der Quellen für seinen Sound, Duke Ellington etwa, McCoy Tyner oder Bill Evans, über die Bedeutung der Aufnahmetechnik dafür, dass der Jazz (als improvisierte Musik) am Leben bleibt, über die Balance zwischen Rhythmik und Harmonik, über Gesten und musikalische Ideen, auf die er zurückfallen kann, über den Grund, warum er überhaupt Musik macht, über einige der musikalischen Einflüsse seiner Jugend, über Kompositionsunterricht bei Dennis Sandole, der auch John Coltrane unterrichtet hatte, über Bud Powell und Thelonious Monk, auf die er zurückgreift, wenn er sich in der Jazztradition erden will, sowie über einige zeitgenössische Pianisten wie etwa Jason Moran, Kris Davis und Marc Copland (Brooklyn Rail). — Len Lear spricht mit dem Schlagzeuger Ari Hoenig über 70 Konzertabsagen, die er der aktuellen Pandemie bislang zu verdanken hat, über seine Hoffnung, wenigstens 2021 oder 2022 wieder auftreten zu können, über den zusätzlichen Einkommensverlust aus Plattenverkäufen, der ja bislang wenigstens noch durch Live-Gigs wettgemacht werden konnten, sowie über einen Wandel in seinem eigenen musikalischen Ansatz, der auf den Lockdown zurückzuführen ist (Chestnut Hill Local).

14. Juli 2020
Corona (XI)

Howard Mandel schildert den Wandel der Jazzwelt durch die Coronakrise, erinnert sich an seine eigene „letzte große Party“, eine Feier für den vor fünf Jahren verstorbenen Ornette Coleman, die sein Sohn Denardo veranstaltete, und an ein Konzert Dafnis Prietos im Jazz Standard im März, dem dann folgten … Livestreams, Online-Fundraisers, neue virtuelle Formen des Unterrichtens und „sorgfältig kuratierte Streaming-Reihen“, dann blickt Mandel auf erste Versuche, US-Spielorte wiederzueröffnen, und endet wenigstens ein bisschen optimistisch: „Wir sind Krisen immer schon mit Kreativität begegnet, die sich aus Widerstandsfähigkeit speiste. Unsere Musik kann sich anpassen, besitzt heilende Kräfte und wird nicht schweigen.“ (Jazz Beyond Jazz). — Howard Reich hört das erste Konzert des Gitarristen Andy Brown nach 3 1/2 Monaten (Chicago Tribune). — Norbert Krampf berichtet über „A Day in the Lifestream“, einen neunstündigen Livestream des Kollektivs Jazz Montez aus dem Studio Lottermann in Frankfurt, und spricht mit den Machern des Vereins übers Musikprogrammieren in Zeiten von Corona (Frankfurter Allgemeine Zeitung). — Kerstin Krämer spricht mit Schlagzeuger Oliver Strauch und Pianist Manuel Krass über den Unterricht an der Musikhochschule Saarbrücken (Saarbrücker Zeitung). — Philipp Neumayr berichtet über das Cave 54 in Heidelberg, einen der ältesten noch existierenden deutschen Clubs (der heute allerdings vor allem für Tanzveranstaltungen genutzt wird), der wegen der Coronakrise in Gefahr gerät (Rhein-Neckar-Zeitung). — Alex Ross blickt auf Reaktionen aus der (US-amerikanischen) Musikszene auf die aktuelle Pandemie und die Protestbewegung in den USA (The New Yorker). — Shaun Brady spricht mit John L. Lewis III über seine Aufgabe als neuer Geschäftsführer der in Philadelphia ansässigen Initiative Jazz Bridge, über seine eigenen Bezüge zum Jazz, über seine Vision für die Zukunft der Organisation, sowie über die Herausforderung seine neue Stelle mitten in der Pandemie anzutreten (Philadelphia Inquirer). — Masechaba Sefularo berichtet über Anstrengungen, den Rainbow Jazz Club in Pinetown, KwaZulu-Natal, Südafrika zu retten, der an den wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise einzugehen droht (Eywitness News). — Wolfgang Sandner berichtet über die Barrelhouse Jazzband, Deutschlands älteste bestehende Jazzband (1953 gegründet) und die existenziellen Probleme ihrer Musiker während der Coronakrise (Frankfurter Allgemeine Zeitung). — Nate Chinen und Greg Bryant diskutieren das Für und Wider von Livestreams während der Coronakrise (WBGO). — In Deutschland gibt es wieder erste Konzerte, viele von ihnen open-air, und Andreas Hartmann berichtet über eine Konzertreihe in Berlin (weiß dabei aber leider nur wenig über die Musik selbst zu sagen) (TAZ). — Morten Most berichtet, wie Molde Jazz sein Festival trotz der Coronakrise plant (News in English). — Der Trompeter Bastian Stein spricht über seine persönlichen Erfahrungen mit dem Corona-Lockdown (Fidelio). — Sabine Leucht spricht mit Michael Stückl vom Jazzclub Unterfahrt und mit seinem Bruder Christian vom Münchner Volkstheater über den Effekt der Coronakrise auf ihre jeweilige Arbeit (Münchner Feuilleton). — Yoshi Kato berichtet darüber, wie SFJazz mit der Krise umgeht (San Francisco Chronicle). — Howard Reich berichtet über Wiedereröffnungspläne und -erfahrungen von Jazzclubs in Chicago (Chicago Tribune).

… und sonst noch …

Wolfgang Sandner feiert den Pianisten Ahmad Jamal anlässlich seines 90sten Geburtstags (Frankfurter Allgemeine Zeitung). — Gabi Knops-Feiler berichtet über die drohende Schließung des Topos in Leverkusen (Rheinische Post). — Olawale berichtet über Miles Davis‚ jüngsten Sohn Erin und seine Kinder (Amo Mama). — Sihartha Banerjee berichtet über eine Diskussion in der Stadt Montréal die Metrostation Lionel-Groulx nach dem Pianisten Oscar Peterson umzubenennen (Global News). — Florent Servia hört sich einige neue Tracks mit Jazz aus Frankreich an, die, wie er erklärt, „auf House- und Hip-Hop-Grooves aufbauen“ (Bandcamp). — Jon Solomon spricht mit dem Trompeter Joshua Trinidad (Westword). — Vincent Harris spricht mit dem aus Charleston stammenden Trompeter Charlton Singleton über sein jüngstes Album „Date Night“ (Charleston City Paper). — Peter Kemper hört das jüngste Album des britischen Saxophonisten Shabaka Hutchings (Frankfurter Allgemeine Zeitung). — John Fordham erinnert an Miles Davis‚ Comeback beim 1955er Newport Jazz Festival (The Guardian). — Giovanni Russonello hört „Round Again“, ein Wiedersehen von Joshua Redman, Brad Mehldau, Christian McBride und Brian Blade 25 Jahre nach ihrem ersten Album „Mood Swing“ (New York Times). — Mthabisi Tshuma spricht mit dem Gitarristen und Sänger Jonathan Maphosa aus Zimbabwe (Chronicle). — Anne Strainchamps spricht mit der südafrikanischen Historikerin Gwen Ansell über „die verlorenen Jahre des südafrikanischen Jazz“ und hört sich einige der Tracks an, die Answell empfiehlt (und zu entsprechenden Klangbeispielen verlinkt) (Wisconsin Public Radio). — Louisa Shepard spricht mit dem Pianisten und Musikwissenschaftler Guthrie Ramsey (Penn Today).

Nachrufe

Wir erfuhren vom Ableben des Bassisten Cleveland Eaton im Alter von 80 Jahren (Advance Local, Birmingham Times), des italienischen Komponisten Ennio Morricone im Alter von 91 Jahren (New York Times), des Saxophonisten Tony Zamora im Alter von 90 Jahren (Lafayette Journal and Courier, The Exponent), des Schlagzeugers und Komponisten Matthias Kaul im Alter von 71 Jahren (JazzZeitung), des Trompeters Edward Anderson im Alter von 54 Jahren (Louisiana Weekly, New Orleans Times-Picayune), des Schlagzeugers Joe Porcaro im Alter von 90 Jahren (Rock Cellar Magazine), der brasilianischen Sängerin Dulce Nunes im Alter von 90 Jahren (New York Times), des britischen Bassisten Simon Fell im Alter von 61 Jahren (Jazz Journal), des Pianisten Gordon Stone im Alter von 70 Jahren (Seven Days Vermont), des Trompeters Eddie Gale im Alter von 78 Jahren (Marlbank), sowie des russischen Pianisten und Komponisten Nikolai Kapustin im Alter von 82 Jahren (Frankfurter Allgemeine Zeitung).

Aus der Welt der Jazzforschung

Call for Papers: „Romani-Jazz and Gypsy-Music“

Die Hungarian Jazz Studies Research Group und die Károli Gáspár Reformed University planen eine Konferenz über Roma- und Sinti-Jazz. Ein Call for Papers wurde veröffentlicht; Deadline: 31. August 2020. Die Tagung selbst findet vom 22-23 Januar 2021 statt; Konferenzsprachen sind Ungarisch und Englisch (Jatakucs).

Creative Music Workshops

Das Creative Music Studio bietet neue Online-Workshops an. Zu den Dozent:innen, von denen bereits kurze Filme vorhanden sind, gehören: Billy Martin, Steven Bernstein, Karl Berger, Ingrid Sertso, Ken Filiano, Fay Victor und Shelley Hirsch. Live-Workshops sind ebenfalls geplant (Creative Music Workshops).

Musikereigene Plattenlabels der 1940er bis 1960er Jahre

Pierre Crepon hat eine Online-Playlist zusammengestellt, die Plattenlabels dokumentiert, die von Musiker:innen der 1940er bis 1960er Jahre gegründet, geleitet und kontrolliert wurden, und verlinkt Klangbeispiele von Charles Mingus‘ Label Debut, Lionel Hamptons Hamp-Tone, Mercer Ellingtons Mercer, Dizzy Gillespies Dee Gee, Lennie Tristanos Jazz Records, Harold Battistes AFO, Sun Ras El Saturn, Mary Lou Williams‘ Mary, Don Pullens and Milford Graves SRP, Phil Cohrans Zulu, den Labels Strata-East und Jazz Composer’s Orchestra Association (JCOA), Clifford Thorntons Third World, sowie des Black Unity Trios Label Salaam (The Wire Playlist).

Letzte Woche im Jazzinstitut

Wegweiser Jazz

Der „Wegweiser Jazz“ verzeichnet Clubs, Spielorte, Festivals, Initiativen, Musiker:innen, Plattenlabel und vieles mehr in Deutschland. Er begann in den frühen 1990er Jahren als Buch und wurde 2010 in die jetzige Form als open-access Online-Datenbank gebracht. Zurzeit aktualisieren wir sämtliche Einträge der Vernstalter:innen in Deutschland und machen das Verzeichnis damit fit, auch weiterhin als guter Ausgangspunkt für Recherchen über das Jazzleben in Deutschland zu dienen (Wegweiser Jazz).

Konzerte im Jazzinstitut

Wir wissen nicht, wann wir in unserem Gewölbekeller wieder Konzerte veranstalten können (dessen Atmosphäre ist für diese Zeiten ein wenig „zu intim“), aber ab diesem Wochenende wird es wenigstens wieder Livemusik geben, wenn der hiesige Förderverein Jazz das erste einer Reihe an Openair-Konzerten vor dem Jazzinstitut organisiert. Das erste Konzert stellt die Band Triango vor, die mit Kontrabass, Geige und Piano die Musik Astor Piazzollas interpretiert (Concerts at the Jazzinstitut). Die üblichen Corona-Viorsichtsmaßnahmen sind zu beachten.

Zbigniew Seifert Competition

Am vergangenen Wochenende fand die Zbigniew Seifert Competition statt. Videos des Online-Events sowie eine Liste der Gewinner finden sich auf der Website der Seifert Foundation (Zbigniew Seifert Competition). Das Jazzinstitut Darmstadt war von Anbeginn an ein Partner des Wettbewerbs.


JazzNews, No. 13 (18. Juni bis 1. Juli 2020)

18. Juni 2020
Black Lives Matter

Marcus J. Moore blickt zurück auf die Reaktionen aus der Jazzwelt auf die Bürgerrechtsbewegung in den USA der 1960er und 1970er Jahre und stellt fünfzehn Tracks heraus, „die spirituell sind, die Grenzen ausloten und Blackness feiern“, nämlich: Sonny Sharrocks „Black Woman“ von 1969, Hal Singers „Malcolm X“ von 1971, Mtume Umoja Ensembles „Baba Hengates“ von 1972, Pharoah Sanders‘ „Izipho Zam“ von 1973, Roy Brooks and the Artistic Truths „The Last Prophet“ von 1973, Sun Ras „Space Is the Place“ von 1973, The Descendants of Mike and Phoebes „Coltrane“ von 1974, The Ensemble Al-Salaams „Malika“ von 1974, World Experience Orchestras „The Prayer“ von 1975, Gil Scott-Herons und Brian Jacksons „The Liberation Song (Red, Black and Green)“ von 1975, Brother Ahs „Transcendental March“ (Creation Song)“ von 1975, Oneness of Jujus „African Rhythms“ von 1975, Black Renaissances „Magic Ritual“ von 1976, das Pan Afrikan People’s Arkestras „The Call“ von 1978, sowie Infinite Spirit Musics „Live Without Fear“ von 1979 (New York Times). — Charity Nebbe spricht mit dem Saxophonisten und Pädagogen Damani Phillips über „die Rolle, die der Jazz während des Kampfes um Bürgerrechte in den 1960er Jahren spielte“ (Iowa Public Radio). — DeNeen L. Brown bemüht das Zeugnis des 100-jährigen Saxophonisten Hal Singer, der wahrscheinlich einer der letzten Überlebenden des Massakers von Tulsa im Jahr 1921 ist, bei dem etwa 300 Schwarze ums Leben kamen und mehr als 10.000 ihre Wohnung verloren. Singers Mutter hatte es mit Hilfe eines ihrer Arbeitgeber geschafft, nach Kansas City zu fliegen; als sie zurückkamen, war ihre gesamte Nachbarschaft niedergebrannt. Singer zog 1965 nach Paris, wo er immer noch lebt, wenn er auch heute bei schlechter Gesundheit ist. Er hat Tulsa und die Ereignisse von 1921 nie vergessen, erklärt seine Ehefrau, allerdings hat er sein „Vertrauen in die Justiz meines Landes verloren. Es ist zu ermüdend. Es ist zu hässlich.“ (Washington Post) — Scott Haas spricht mit dem Saxophonisten Kamasi Washington über den Jazz als Symbol für Freiheit in der afro-amerikanischen Community, über den Einfluss einiger der HipHop-Künstler, mit denen er zusammenarbeitete, sowie über seine Musik als Teil der Black Lives Matter-Bewegung (Bay State Banner).

20. Juni 2020
Pee Wee Ellis / John Cumming

Martin Chilton spricht mit dem Saxophonisten Pee Wee Ellis über den Stolz beim legendären James Brown-Hit „Say It Loud (I’m Black and I’m Proud“ mitgewirkt zu haben, der kurz nach dem Attentat auf Dr. Martin Luther King geschrieben wurden und jetzt einmal mehr zur Hymne der aktuellen Protestbewegung gegen Polizeigewalt in den Vereinigten Staaten avancierte, über seine Jugend im segregierten Texas, wo er Rassismus am eigenen Leib erfuhr, als sein Stiefvater bei einem rassistisch begründeten Zwischenfall starb, über Unterricht bei Sonny Rollins im Alter von 16 Jahren, über seine Hoffnung auf Wandel in den Vereinigten Staaten, über Sidney Bechet und Johnny Griffin, die er als Kind hörte, John Coltrane, den er in Chicago sah, und die Zusammenarbeit mit George Benson, Sonny Stitt und Shelly Manne, über seine Arrangements für Van  Morrison in den späten 1970er Jahren, sowie über die Reise, die ihn von seiner Heimat Florida bis nach Dorset, England brachte, wo er heute lebt (The Independent). — Ethan Iverson veröffentlicht ein ausführliches Interview mit dem kürzlich verstorbenen britischen Promoter John Cumming, in dem Cumming von seiner Jugend in Edinburgh erzählt, von den britischen Trad und Modern Jazz-Szenen der 1950er und 1960er Jahre, von den ersten Live-Jazzkonzerten, die er Anfang der 1960er erlebte, von Ronnie Scott’s Jazzclub in London, von der Bedeutung des interkulturellen Dialogs seinerzeit zwischen amerikanischen und britischen Musiker:innen, von seinen Anfängen als Konzertveranstalter in einem Theater, davon, wie der traditionelle Jazz in Großbritannien oft etwas mit sozialem Bewusstsein zu tun hatte, über seine Arbeit fürs Bracknell Jazz Festival, über die Anfänge eines europäischen Jazznetzwerks (aus dem schließlich das European Jazz Network hervorging), über die Organisation von Tourneen, bevor es E-Mail oder Fax gab, über seine Arbeit mit dem Ganelin Trio, Gil Evans und Carla Bley, über seine Promotionfirma Serious, die er unter anderem nach Val Wilmers Buch „As Serious As Your Life“ benannt habe, über einige der vielen britischen Jazzautoren über die Jahre, sowie über die aktuelle Jazzszene, die sich von früheren unterscheide und dabei ziemlich vielversprechend sei (Do the Math).

22. Juni 2020
Anthony Braxton / Vijay Iyer

Max Allison feiert die Musik von Anthony Braxton, der Anfang Juni 75 Jahre alt wurde, indem er sich einige Alben des Saxophonisten und Komponisten genauer anhört, nämlich „Solo (Kent) 1979“, „Trio (Wesleyan) 2005“, „Octet (New York) 1995“, „Syntactical GTM Choir (New York) 2011“, „Composition No. 19 (for 100 Tubas)“, und „Duo (Improv) 2017 – Anthony Braxton and Eugene Chadbourne“ (River Cities‘ Reader). — Nate Chinen spricht mit dem Pianisten Vijay Iyer darüber, wie man Kunst und Aktivismus in diesen Tagen der Pandemie und der Proteste gegen Polizeigewalt und Rassismus miteinander verbinden kann, über eine Erkenntnis, die ihm Amiri Baraka mitgab, über einige seiner jüngsten politisch motivierten Stücke, über die Notwendigkeit für ihn als „nicht schwarze Person“ sich „immer wieder zu prüfen, in Bezug auf meine Verbindung zu all dem, und zu fragen, was ich besser tun könnte um Raum zu lassen und Unterstützung zu geben“ (WBGO).

24. Juni 2020
Terence Blanchard / Sebastian Sternal

Der Trompeter Terence Blanchard reflektiert über den Mord an George Floyd und die folgenden Proteste überall in den Vereinigten Staaten (und der Welt) und erinnert an Marvin Gayes Hit „What’s Going On“, bei dem viele Leute sich wahrscheinlich nie wirklich über den Text Gedanken gemacht hätten. Er sei hoch erfreut, dass so viele verschiedene Menschen auf die Straße gingen, aber er sei auch skeptisch gegenüber „jenen mit guten Absichten“, denn es sei einfach, die offenen Rassisten zu erkennen, aber viel schwerer jene zu verstehen, die es gut meinen, aber weder den Schmerz noch die Ungerechtigkeit nachvollziehen können, unter denen die schwarze Community in den USA leiden. Statt also nur eine erweiterte Fassung „dieses alten Songs“ zu singen, fordert er auf: „Lasst uns einen neuen schreiben, der uns wirklichen Wandel bringt“ (WBGO). — Frank Wittmer spricht mit dem Pianisten und Pädagogen Sebastian Sternal über die Corona-bedingten Veränderungen des Unterrichts an der von ihm geleiteten Jazzabteilung der Musikhochschule Mainz, sowie über seine Pläne für den Jazz Campus Mainz, ein internationales Projekt, das 2021 beginnen soll und Spitzenstudierende aus ganz Europa sowie  Lehrer:innen aus der ganzen Welt genauso involviert wie es darauf angelegt ist, die regionale Szene zu unterstützen (Mainzer Allgemeine Zeitung).

26. Juni 2020
Frank Stewart / John Coltrane

Victoria L. Valentine spricht mit dem Fotografen Frank Stewart über ein neues Buch, das er plant und das die ersten 20 Jahre des Jazz at Lincoln Center Orchestra dokumentiert, über die Arbeit an einer umfassenden Retrospective seiner Arbeit, die ab 2023 in verschiedenen Museen zu sehen sein wird, über die Arbeit mit Film und digitaler Fotografie, über die 15 Jahre, die er mit dem Bildenden Künstler Romare Bearden zusammenarbeitete, der ihm beibrachte, für seine Fotos „einen Rahmen zu finden“, darüber, über die Motivsuche „auf der Straße“, über einige spezifische Bilder, etwa „God’s Trombones“, das eine Straßentaufe in Harlem zeigt, „Miles in the Green Room“, bei dem er das Blitzlicht eines Fotografenkollegen nutzt, die Komposition eines Backstage-Fotos des Wynton Marsalis Septetts mit früheren Mitgliedern des Duke Ellington Orchestra, sowie über die Zeit, die er als Junge mit seinem Stiefvater, dem Pianisten Phineas Newborn Jr., verbrachte (Culture Type). — Ismail Muhammad hört sich John Coltranes „Alabama“ genauer an, das 1963 nur zwei Monate nach der Explosion einer Bombe in einer Kirche in Birmingham, Alabama aufgenommen wurde, bei der vier kleine Mädchen ums Leben kamen, fragt danach, wie die Musik auf das rassistische Attentat Bezug nimmt und wie man sie vor dem Hintergrund jüngster Morde hören kann, und beschreibt dann, wie gegen Ende des Songs „Coltrane sein Saxophon bis ins höchste Register bläst, bis es wie der Schrei eines Mannes klingt, dessen Stimmbänder am Ende sind“… „Manchmal willst du lieber schreien und toben als auch nur irgendwas erklären zu müssen.“ (The Paris Review).

28. Juni 2020
John Zorn / Wynton Marsalis

Für einen ausführlichen Artikel spricht Hank Shteamer mit John Zorn und einigen der Musiker, mit denen er über die Jahre zusammenarbeitete, über eine andere Art von Improvisation und das Mixen und Zusammenbringen verschiedener Genres. Shteamer spricht mit Zorn selbst über sein Interesse an zeitgenössischer Musik als Teenager, über den Effekt eines Konzerts des Pianisten Cecil Taylor um 1973 und des Albums „For Alto“ von Anthony Braxton aus derselben Zeit, über seine Game Pieces, die er in den Mitt-1970er Jahren aus seiner Wohnung in Downtown-Manhattan heraus performte, über ein ausgiebigeres Studium der Jazzgeschichte in den 1980ern, etwa zur gleichen Zeit, als er die Intensität der Hardcore-Rock- und Punkszene entdeckte, über den Einfluss Ornette Colemans und seine Spy vs Spy-Band, über das Denken in musikalischen Blöcken, wenn er Musik ersinnt, sowie über die Band Naked City und vieles mehr. Shteamer spricht auch mit den Schlagzeugern Joey Baron, Dave Lombardo, Ted Epstein, Mick Harris und Tyshawn Sorey, den Gitarristen Bill Frisell, Trey Spruance, Matt Hollenberg und Wendy Eisenberg, den Vokalisten Yamataka Eye, Mike Patton und Levin Sharp, dem Bassisten Trevor Dunn, dem Keyboarder John Medeski, und dem Produzenten Digby Pearson über ihre jeweilige Zusammenarbeit mit Zorn und darüber, wie die Ideen und der Ansatz des Saxophonisten ihre eigene musikalische Entwicklung beeinflussten (Rolling Stone). — Kathryn Shattuck spricht mit dem Trompeter Wynton Marsalis über zehn Dinge, die ihm in den letzten Monaten durch den Kopf gingen, die für ihn ansonsten von persönlichem Verlust, nationaler Krise und globaler Pandemie geprägt waren. Er spricht über den Jazz als Metapher für Demokratie, über die fundamentale Form des Blues, über die Gesprächsreihe „Skain’s Domain“ bei Jazz at Lincoln Center, über seinen kürzlich verstorbenen Vater, den Pianisten Ellis Marsalis, über notwendige Konsequenzen aus dem Mord an George Floyd, über die Schönheit des Jazz, über den Schulband-Wettbewerb „Essentially Ellington“, über überfällige wirkliche Lösungen für die Probleme, die insbesondere die unteren Einkommensschichten in den USA betreffen, darüber, was er aus seiner Lektüre über Frederick Douglas und William Butler Yeats lernte, sowie über das Glück mit Kolleg:innen in einer sich gegenseitig unterstützenden Umgebung arbeiten zu dürfen (New York Times).

30. Juni 2020
Corona (X)

Das American Jazz Museum im 18th and Vine-Viertel von Kansas City hat wieder geöffnet. Zusammen mit dem Negro League Baseball Museum im selben Gebäude setzt es „auf erhöhte Hygienemaßmaßnahmen, Abstandsregeln sowie Mund-Nasen-Masken-Empfehlungen. Die Besuchszeiten wurden so angepasst, dass die Zahl an Besuchern pro Ausstellung begrenzt bleibt.“ (41 KSHB). — Martin Hufner spricht mit unserem Kollegen Thomas Schäfer, dem künstlerischen Leiter der Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik, über die Schwierigkeiten ein so großes internationales Event um ein Jahr zu verschieben, dabei die Geldgeber bei der Stange zu halten, die ihre Unterstützung ja eigentlich für dieses Jahr zugesagt hatten, und über die Notwendigkeit, auch den Dozent:innen und Künstler:innen gegenüber solidarisch zu sein, denen mit der Verschiebung das aktuelle Honorar wegzubrechen droht (Neue Musikzeitung). — Unsere eigenen Damstädter Jazz Conceptions hätten übrigens am 6. Juli begonnen, auch sie mussten wir leider absagen. Glücklicherweise konnten wir den Dozent:innen Ausfallhonorare zu zahlen und freuen uns jetzt einfach auf den nächsten Workshop im Sommer 2021 (Jazz Conceptions). — Christian Schwager spricht mit dem Clubveranstalter John Kunkeler über seine Liebe zum Laufen, aber auch über den Club Schlot, den Kunkeler gemeinsam mit einem Kollegen in Berlin betreibt, der aber seit drei Monaten coronabedingt pausiert, sowie darüber, was ein Läufer von Jazzern lernen kann: Gefühl (Berliner Zeitung). — Robert Price spricht mit dem Posaunisten Ron Wilkins, der nach zwei Monaten Rekonvaleszenz nach einer Coronaerkrankung endlich wieder nach Hause entlassen wurde (News 4 San Antonio).

… und sonst noch …

Xaver von Cranach spricht mit dem Schlagzeuger Günter ‚Baby‘ Sommer über einen kürzlichen politischen Skandal in seiner Heimatstadt Radebeul (Der Spiegel). — Maddy Shaw Roberts erinnert an die Pianistin Hazel Scott (Classic FM). — Steve Siegel erinnert an den Pianisten Wade Legge und seine „kurze, aber intensive internationale Odyssee“ (Buffalo Rising). — Der Juni wird in den USA als African American Music Appreciation Month gefeiert, und James Bass hinterfragt, ob sich der Einfluss Afro-Amerikas auf die Musik wirklich innerhalb eines Monats würdigen lässt (Robesonian). — Hobart Rowland spricht mit dem Pianisten Jared Feinstein (Main Line Today). — Thomas Steinfeld hört das jüngste Album „April 2020“ des Pianisten Brad Mehldau (Süddeutsche Zeitung). — Gary Suarez spricht mit dem Bassisten Derrick Hodge über sein jüngstes Album „Color of Noize“ (Forbes). — Tyler Hicks berichtet über eine Petition, die Kenton Hall an der University of North Texas umzubenennen, Grund seien Anschuldigungen von Stan Kentons Tochter Leslie, ihr Vater habe sie als Kind missbraucht, sowie Gerüchte über rassistische Bemerkungen des Pianisten (Dallas Observer). — Schülerreporter Elisabeth Schönweiler, Mathis Glöckner und Jonathan Gude sprechen mit dem Pianisten Michael Wollny (Lübecker Nachrichten) und Elsa Schrader, Mientje Maack, Hannah Jahnke und Oskar Meier sprechen mit der Bassistin Lisa Wulff (Lübecker Nachrichten). — Reggie Nadelson blickt auf die Geschichte des Apollo Theater in Harlem und hebt insbesondere die Auftritte der Sängerin Ella Fitzgerald von 1934 bis in die frühen 1950er Jahre hervor, um dann Fitzgeralds Karriere etwas näher zu betrachten, über die Nadelson gerade einen Dokumentarfilm fertiggestellt hat (New York Times). — Der ungarisch-deutsche Saxophonist Tony Lakatos erhält den diesjährigen Hessischen Jazzpreis (hr, Hessenschau, einschließlich eines sehr kurzen Interviewclips mit Wolfram Knauer vom Jazzinstitut). — Jan Paersch hört sich das jüngste Album des Saxophonisten Gary Bartz an und blickt zurück auf dessen lange Karriere (die tageszeitung).

Nachrufe

Wir erfuhren vom Ableben des kanadischen Posaunisten Hugh Fraser im Alter von 62 Jahren (CBC), des Gitarristen Jerry Byrd (Jazzburgher), des Steel-Gitarristen Darick Campbell im Alter von 53 Jahren (LMT Online), des Bassisten Jerry Bruno im Alter von 100 Jahren, des brasilianischen Saxophonisten Macaé im Alter von 82 Jahren (Instatalker), des Pianisten und Sängers Freddy Cole im Alter von 88 Jahren (The Syncopated Times, The Atlanta Journal-Constitution, WBGO, Chicago Tribune), des französischen Trompeters Jacques Coursil im Alter von 82 Jahren (The Wire), des Komponisten Johnny Mandel im Alter von 94 Jahren (Variety), sowie der britischen Sängerin Vera Lynn im Alter von 103 Jahren (New York Times).

Aus der Welt der Jazzforschung

Jazz Archeology

Der norwegische Diskograph Jan Evensmo publiziert bereits seit den 1990er Jahren seine „Solographies“, Diskographien, die die Soli einzelner Künstler über ihre Aufnahmegeschichte hinweg beleuchten. Seit den 2010er Jahren finden sich diese Solographies online und werden regelmäßig aktualisiert (Jazz Archeology).

Neue Bücher, die wir herausgegeben haben

Das Buchcover sieht wie ein Nachrichtenbild dieser Tage aus, ein Rapper vor einem Foto, das einen bewaffneten Polizeieinsatz zu zeigen scheint. Das Bild, aufgenommen vom Fotografen Wilfried Heckmann, stammt vom Konzert der Band The Anarchist Republic of Bzzz letztes Jahr in der Darmstädter Centralstation, und es bebildert den Umschlag unseres just erschienenen neuen Buchs, „POSITIONEN! Jazz und Politik“, in dem wir das 16. Darmstädter Jazzforum dokumentieren. Dabei fragten Wissenschaftler:innen, Journalit:innen und Musiker:innen nach dem politischen Bewusstsein in unserer eigenen Gesellschaft, im Deutschland des Jahres 2019. So blickt Stephan Braese zu Beginn des Buchs zurück auf frühere politische Diskurseim deutshen Jazz. Henning Vetter diskutiert Musik und Haltung der Band The Dorf. Nina Polaschegg fragt nach den Unterschieden zwischen zeitgenössischer improvisierter und komponierter Musik in ihrem Verhältnis zur politischen Haltung. Benjamin Weidekamp und Michael Haves sprechen darüber, wie politische Haltung ihre Kunst beeinflusst. Wolfram Knauer diskutiert Argumente für ein politisches Bewusstsein in der deutschen Jazzszene und gleicht diese mit konkreten Beispielen ab. Mario Dunkel analysiert populistische Bewegungen in Deutschland und Österreich und ihre Verwendung afrodiasporischer Musiken. Martin Pfleiderer diskutiert musikalische Interaktion als demokratischen Akt. Nadin Deventer, Lena Jeckel, Tina Heine und Ulrich Stock sprechen über die politische Verantwortung von Jazzfestival-Veranstalter:innen. Nikolaus Neuser und Florian Juncker machen auf den intermedialen Zusammenhang zwischen Musik und gesellschaftlicher Wahrnehmung aufmerksam. Hans Lüdemann erklärt die politische Motivation für seine Entscheidung Jazzmusiker zu werden. Nikolaus Neuser diskutiert Jazz als gesellschaftliches Rollenmodell. Michael Rüsenberg hinterfragt die Vorstellung, dass Jazz immer politisch sei. Thomas Krüger beschreibt das Potenzial des Jazz für die politische Bildung. Angelika Niescier, Korhan Erel, Tim Isfort und Victoriah Szirmai blicken aus den Perspektiven von Musiker:innen, Veranstalter:innen, Journalist:innen und Publikum auf die Möglichkeiten politischer Aussagen durch Musik. Ulrich Stock sieht Atef Ben Bouzids Film „Cairo Jazzman“. Das Buch ist auf Deutsch erschienen und ist im Buchhandel erhältlich oder direkt vom Verlag (Wolke Verlag).

Neue Bücher, die wir gelesen haben

Unter den Büchern, die wir in den vergangenen Wochen lasen, waren „Das Haffner Alphabet. Wolfgang Haffner im Gespräch“, herausgegeben von Rainer Placke; „Träume aus dem Untergrund. Als Beatfans, Hippies und Folkfreaks Baden-Württemberg aufmischten“ von Christoph Wagner; sowie „Um Blues und Groove. Afroamerikanische Musik im 20. Jahrhundert“ von Manfred Miller (Siehe die Rubrik „Neue Bücher“ auf der Website des Jazzinstituts).

Letzte Woche im Jazzinstitut

Jazz in der DDR

Seit Beginn der Coronakrise hat die Zahl an Forschern, die unser Archiv besuchen, nachgelassen. Da wir außerdem viele Konzerte absagen mussten, haben wir jetzt Zeit, uns um Dinge zu kümmern, die sonst im Alltagsgeschäft gern etwas untergehen. So wühlen wir uns durch die Sammlung, öffnen Kisten, in die wir noch nie geschaut haben und scannen Material für die leichtere Benutzung durch künftige Forscher. Während der letzten Wochen haben wir so etwa die Programm-Flyer dreier wichtiger Konzertreihen und Festivals in der DDR der 1970er und 1980er Jahre gescannt, der Jazzbühne Berlin, der Reihe Jazz in der Kammer, sowie der Jazzwerkstatt Peitz. Wir scannten außerdem eine an jazz-relevanten Ausrissen aus der ostdeutschen Zeitschrift Melodie und Rhythmus zwischen 1976 und 1986.

JazzNews 1950er Jahre

Beim Durchschauen von Archivboxen entdeckten und scannten wir außerdem einige Scrapbooks mit etwa 700 Seiten voller Zeitungsausrisse aus westdeutschen Tages- und Wochenzeitungen der Jahre 1948 bis 1959. Viele der Artikel wirken heute fast schon unfreiwillig komisch, und die meisten richten sich eher an eine allgemeine Leserschaft als an Jazzfans. Daneben entdeckten wir amüsante Geschichten (etwa über Duke Ellingtons Morgenroutinen zuhause) und andere, die zeigen, wie wenig sich die Welt geändert zu haben scheint, etwa dieses Zitat über den amerikanischen Präsidenten: „Ein Land kann nicht stark sein, wenn es einen solchen Einfallspinsel als Präsidenten hat. Was tut er während des Rassenstreites? Er lächelt und spielt Golf.“ Das war Eartha Kitt im September 1957 über Präsident Eisenhower während der Krise von Little Rock, die Louis Armstrong dazu brachte, eine eigentlich geplante und State Department organisierte Reise in die Sowjetunion abzusagen.

Jazz und Politik

Letzten Freitag erhielten wir unser neues Buch, „POSITIONEN! Jazz und Politik“, in dem das 16. Darmstädter Jazzforum vom Herbst 2019 dokumentiert wird (siehe den vorherigen Eintrag). Sowohl während des Edierens als auch in Gesprächen mit einer Reihe an Kolleg:innen, Musiker:innen, Veranstalter:innen und vielen anderen wurde uns einmal mehr bewusst, wie aktuell das Thema ist.

Das Jazzinstitut und die Krise

Die jüngste Ausgabe der Jazzthetik sammelt Stimmen aus der deutschen Jazzszene über die potentiellen Folgen der Coronakrise für den Jazz und das Kulturleben in unserer Gesellschaft. Für das Jazzinstitut antworteten sowohl Wolfram Knauer als auch Arndt Weidler, Knauer mit einem bedingt optimistischen Blick auf die kreative Musik, die auch in Zeiten wie diesen kreativ bleiben wird, Weidler mit der Sorge, dass angesichts der aktuellen Probleme die überwunden geglaubten Verteilungskämpfe um öffentliche Gelder wieder aufflammen könnten.


JazzNews, No. 12 (4. bis 17. Juni 2020)

4. Juni 2020
Black Lives Matter

Der Trompeter Wynton Marsalis reagiert auf den Mord an George Floyd mit einem sehr persönlichen Blog-Eintrag, in dem er etwa das Problem beschreibt, dem sich viele Amerikaner stellen müssen, wenn sie ihren Kindern die aktuellen Ereignisse in den USA erklären wollen, in dem er sich an seine eigenen Erfahrungen mit Rassismus im New Orleans seiner Kindheit erinnert, in dem er über den Mindset der „segregation“ reflektiert, in dem er Gedanken Abraham Lincolns zur Sklaverei von vor 160 Jahren zitiert, und in dem er dazu auffordert, „die Ungerechtigkeit unserer gemeinsamen Vergangenheit mit konsequentem und unnachgiebigem Handeln zurückzuweisen, das aus mehr besteht als einfach nur Geld zu spenden“ (Wynton’s Blog). Andrea Mitchell spricht mit Wynton Marsalis über die Kraft der Musik, Wandel zu unterstützen, und über die Rolle des Jazz in einer Zeit voller Konflikte und Ungerechtigkeit (MSNBC). Für das Newport Jazz Festival hat dessen Gründer George Wein eine Botschaft veröffentlicht, die fordert: „None of us should rest until Black Lives Matter“ (What’s Up Newport). Thomas Kramar berichtet über „Happening right outside your window“, Terrace Martins HipHop-Reaktion auf die aktuellen Proteste featuring Kamasi Washington (Die Presse). Jamie Sandel spricht mit der Journalistin, Aktivistin und Jazzfürsprecherin Katea Stitt darüber, wie der Jazz in die aktuellen Diskussionen über soziale Gerechtigkeit in den Vereinigten Staaten passt (Capital Bop). Katharina Wilhelm fragt, warum Afroamerikaner:innen in der klassischen Musik in den USA so selten zu finden sind (aber eigentlich  hätte sie das Thema mit Bezug auf schwarze Musiker:innen auch nach Europa ausdehnen können) (NDR).

6. Juni 2020
Glen Ballard / Centennials

Kevin Jacobson spricht mit dem Komponisten Glen Ballard über seine Musik für die Fernsehserie „The Eddy“, die er als „leicht zu hören und hart zu spielen“ charakterisiert, in der Hoffnung, die Zuschauer mögen animiert werden, selbst einmal einen Club zu besuchen wie den in der Serie (Gold Derby). — Howard Reich feiert den 100sten Geburtstag gleich einer Reihe einflussreicher Musiker:innen, nämlich Charlie Parker, Dave Brubeck, John Lewis, Clark Terry, Peggy Lee, Art Van Damme, Hazel Scott und Eddie Johnson (Chicago Tribune). Martin Chilton erinnert an den Schlagzeuger Shelly Manne, der ebenfalls 100 Jahre alt geworden wäre (U Discover Music).

8. Juni 2020
Germany / Rochester, NY

Während die Kultur zurzeit überall auf der Welt unter den Maßnahmen wegen der Corona-Pandemie leidet, betont Wolfgang Sandner den Wert derselben, beschreibt etwa, dass zumindest in Deutschland 1 Euro der Kulturförderung den Kommunen etwa das Vierfache zurück in die Kassen spült. Er blättert in Statistiken und lernt dabei, dass hierzulande immerhin rund 15 Millionen Menschen aktiv Musik machen, und dass die Feststellung des römischen Historikers Tacitus, „Frisia non cantat“, heute wohl anders formuliert werden müsste. Die Künste seien ein oft übersehener Wirtschaftsfaktor, argumentiert er und fordert, dass man sie sie nicht als Zulieferindustrie für die Wirtschaft sehen, sondern erkennen solle, dass sie ihren Wert aus sich selbst schöpfen und auch so behandelt werden sollten (FAZ). Der Freistaat Bayern hat seine Jazzförderung gerade erhöht, jedoch findet Oliver Hochkeppel, die 20.000 Euro mehr, um die die bisherige Förderung zu diesem Zweck aufgestockt wurde, seien doch eher ein Almosen (Süddeutsche Zeitung). — Will Leve blickt auf die Geschichte des Jazz in Rochester, New York, listet Clubs seit den 1940er Jahren und weist auf die Bedeutung der Eastman School of Music für die lokale Jazzszene hin (Campus Times).

10. Juni 2020
Lada Obradovic / Johanna Summer

Stefan Künzli spricht mit der Schlagzeugerin Lada Obradovic über ihre Kindheit im kriegsgeschüttelten Kroatien der 1990er Jahre und wie diese Erfahrung ihre Persönlichkeit prägte, über ihr Studium in Graz und Bern, sowie darüber, wie sie die Rolle der Katarina in der Fernsehserie „The Eddy“ erhielt und wie viel Spaß es macht mit der „The Eddy“-Band zu spielen (Tagblatt). — Oliver Hochkeppel spricht mit der Pianistin Johanna Summer über ihre Residenz in der Villa Walberta, dem Künstlerhaus der Landeshauptstadt München in Feldafing, über andere Berufswünsche ihrer Jugend (Fußballerin) und ihren späten Start als Pianistin, über ihr jüngstes Album „Schumann Kaleidoskop“, auf dem sie Themen des klassischen Komponisten als Ausgangspunkt für ihre Improvisationen benutzt, sowie über ein „West Side Story“-Programm, das sie und der Sänger Atrin Madani während ihres ersten Monats in der Villa Walberta erarbeiten wollen (Süddeutsche Zeitung).

12. Juni 2020
Vijay Iyer / Gina Schwarz

Greg Thomas spricht mit dem Pianisten Vijay Iyer über die Auswirkungen von Coronakrise und Polizeigewalt in den Vereinigten Staaten auf die Menschen und die Notwendigkeit, „diese ganzen Systeme so aufzustellen, dass sie eher durch Fürsorge als durch Profit gelenkt werden“, über die Faktoren „race“ und „class“, die viele Entscheidungen während der Pandemie beeinflussen, darüber, dass er sich selbst in seinen eigenen Projekten wie ein „Führer wider Willen“ sieht, weil er eigentlich nur dem folgt, „was sich für mich wie eine Notwendigkeit anfühlt“, über die Funktion kreativer Musiker:innen, die nach Wadada Leo Smith solche sind, „die im Ensemble fehlen, wenn man sie ersetzt, die Musik ist anders“, über „embodied cognition in music“, das Thema seiner interdisziplinären Dissertation vor Jahren, sowie über einen Ratschlag, den er Musiker:innen und anderen gibt, die unter den aktuellen Problemen leiden (Tune in to Leadership). — Samir H. Köck spricht mit der österreichischen Bassistin Gina Schwarz über ihr jüngstes Projekt „Pannonica“, darüber, wie sich die Atmosphäre in einer Band verändert, sobald eine Frau mitspielt, sowie über Unterricht bei Ron Carter, dessen Ansatz ans Instrument ein völlig anderer als ihrer war, und ihre eigenen Lehrerfahrungen an der Musikuniversität in Wien (Die Presse).

14. Juni 2020
Eva Johannsen / Sonny Rollins

Ulrich Stock spricht mit der Veranstalterin Eva Johannsen über die Konzertreihe „Jazzvisite“, die sie in privaten Gärten und Höfen organisiert, bezahlt von den Gastgebern, belauscht von einer Handvoll Freunden und Nachbarn, eine improvisierte Alternative zur Jazzraum-Reihe, die sie seit 18 Jahren jeden Montag Hafenbahnhof Altona organisiert, die aber wegen der Coronakrise seit März pausiert (Die Zeit). — Daniel King spricht mit dem Saxophonisten Sonny Rollins über seine Gemütsverfassung, jetzt, da er aufgehört hat, sein Instrument zu spielen, über die aktuelle Pandemie und die Chancen, dass aus ihr irgendein Wandel im Bewusstsein der Menschen entstünde, über Lester Young, über seine Tendenz eher selbstkritisch zu sein, über die Proteste wegen Polizeigewalt und der Ermordung George Floyds, über einige der Frauen, die ihn inspiriert haben, Billie Holiday etwa oder Angela Davis, sowie darüber, dass Jazz etwas bedeuten, dass er „seine Integrität, seine Spiritualität“ behalten müsse (The New Yorker).

16. Juni 2020
Corona (IX)

Wie man mit der Situation umgeht

In Deutschland werden die ersten Spielstätten wiedereröffnet, und Martin Vögele berichtet von einem Konzert des Trompeters Thomas Siffling vor reduziertem Publikum im Mannheimer Club Ella and Louis (Mannheimer Morgen). — Das Festival von Willisau soll wie geplant stattfinden, diesmal mit einem Fokus auf Schweizer Musiker:innen  (Bote). — Jan Turek spricht mit dem Pianisten Ulrich Rasch darüber, wie er mit der Krise umgeht (Choices). — Manuel Wenda spricht mit dem Gitarristen Jörg Heuser über die Folgen der Pandemie für kleine Clubs und Initiativen wie jene in Mainz, die sich im Herbst auflösen könnte, sollten dann immer noch keine Konzerte vor angemessener Publikumsmenge möglich sein (Mainzer Allgemeine Zeitung). — Der deutsche Saxophonist Tobias Meinhart lebt in New York und berichtet über die Situation zwischen Coronakrise und Black Lives Matter-Protesten, wozu er mit dem Schlagzeuger Obed Calvaire, dem Saxophonisten Joe Lovano, der Trompeterin Ingrid Jensen, dem Bassisten Matt Penman, der Sängerin Sara Serpa, und dem Promoter Chris DiGirolamo darüber spricht, wie sie mit den aktuellen Krisen umgehen (JazzThing). — Stefan Hentz und Wolf Kampmann diskutieren zwei Denkansätze als Reaktion auf die aktuelle Krise: die lokale Szene als Rettungsring (JazzThing) sowie die Internationalisierung der Jazzszene (JazzThing). — Daniella Baumeister spricht mit dem deutsch-amerikanischen Schlagzeuger Jochen Rueckert über die „Gefangenschaft“ in seinen eigenen vier Wänden während der Coronakrise, sowie über die Musik, die er im Moment nicht live spielen kann (hr2 Kultur).

Online

Mehr und mehr Clubs haben inzwischen ein regelmäßiges Streamingangebot entwickelt, das Musiker:innen zu einem Gig verhilft und dem zahlenden Publikum zumindest zu einem virtuellen Liveerlebnis. Das Programm im New Yorker Smalls wechselt täglich und beinhaltet zahlreiche der dort öfter zu hörenden Acts (Smalls). Das legendäre Village Vanguard streamt an Samstagen und Sonntagen mit dem Vijay Iyer Trio am 20./21. Juni, dem Joe Martin Quartet am 27./28. Juni und dem Joe Lovano Trio Fascination am 4./5. Juli (Village Vanguard). Ein virtueller Tribut an den kürzlich verstorbenen Saxophonisten Jimmy Heath ist für den 19. Juni geplant, live gestreamt aus der Flushing Town Hall (Flushing Town Hall). Avi Salem listet fünf Clubs in San Francisco, die Live-Jazzkonzerte streamen (SF Weekly).

… und sonst noch …

Joachim Legatis spricht mit dem britisch-deutschen Schlagzeuger Trevor Richards, der wie viele andere hierzulande lebende Briten nach dem Brexit die deutsche Staatsbürgerschaft übernommen hat (Giessener Allgemeine). — Marc Myers erinnert an den griechischen Pianisten Manolis Mikelis (JazzWax). — Kim Novak und Mel Evans erinnern daran, wie Marilyn Monroe Ella Fitzgerald half „einen lukrativen Gig an Land zu ziehen, indem sie die Vorteile nutzte, die ihr white privilege verschaffte“ (Metro). — John Lecaro berichtet über eine Ausstellung im William Grant Still Arts Center in West Los Angeles über den Perkussionisten Willie Bobo (LA Weekly). — Gavin Stone berichtet über ein neues Wandgemälde, das zurzeit in Raleigh entsteht und John Coltrane zeigt, der in North Carolina geboren ist (Richmond County Daily Journal). — Der Pianist Florian Weber wird mit dem mit 20.000 Euro dotierten Belmont Preis für zeitgenössische Musik ausgezeichnet (Neue Musikzeitung). — Wir hörten eine seltene Liveaufnahme aus dem Jahr 1957, in der eine fünfköpfige Besetzung mit Duke Ellington, Johnny Hodges, Harry Carney, Oscar Pettiford und Max Roach zu hören ist (YouTube). — Ari Shapiro spricht mit der Saxophonistin Lakecia Benjamin (NPR). — Matt Sieger spricht mit dem Bildenden Künstler Carl Bradford (The Reporter). — Jacques Kelly berichtet über die Bemühungen, das frühere Wohnhaus Cab Calloways in Baltimore zu bewahren (Baltimore Sun). — Douglas Brinkley spricht mit dem Gitarristen und Sänger Bob Dylan und lernt über die Bedeutung schwarzer Künstler:innen wie Little Richard, Sister Rosetta Tharpe, Robert Johnson für die Entwicklung der Popmusik und über den Einfluss des Jazz auf Dylan selbst als Musiker (New York Times). — Gabi Wuttke spricht mit dem Schlagzeuger Günter ‚Baby‘ Sommer über die Notwendigkeit politisch wachsam zu sein (Deutschlandfunk Kultur). — Will Coviello spricht mit dem Trompeter Terence Blanchard über den Soundtrack, den er für Spike Lees neuen Film „Da 5 Bloods“ komponiert (Gambit).

Nachrufe

Wir erfuhren vom Ableben des Pianisten Carei Thomas im Alter von 81 Jahren (Minneapolis Star-Tribune), des Pianisten und Spaßmachers Werner Boehm im Alter von 78 Jahren (Berliner Zeitung, Süddeutsche Zeitung), des Trompeters Art Hoyle im Alter von 90 Jahren (Chicago Tribune), der Sängerin Bonnie Pointer im Alter von 69 Jahren (The Hour), des indonesischen Multiinstrumentalisten Benny Likumahuwa im Alter von 73 Jahren (The Jakarta Post), des britischen Pianisten Keith Tippett im Alter von 72 Jahren (The Guardian), des Veranstalters Peter Marxen (Onkel Pö’s Carnegie Hall) im Alter von 80 Jahren (Hamburger Abendblatt), der schottischen Sängerin Jeanie Lambe im Alter von 79 Jahren (Glasgow Times), sowie des kanadischen Jazzkritikers Christopher Loudon im Alter von 62 Jahren (Jazz Times).

Letzte Woche im Jazzinstitut

POSITIONEN! Jazz und Politik

Das Thema scheint wichtiger denn je, doch die Diskussionen, die in diesem Buch dokumentiert sind, stammen vom Darmstädter Jazzforum im vergangenen Herbst, bei dem es um das politische Bewusstsein unter Jazzmusiker:innen heute und hierzulande ging. Neben den Referaten finden sich Mitschriften der diversen Roundtables sowie Zusammenfassungen der lebendigen Diskussionen. Wir erwarten das deutschsprachige Buch „POSITIONEN! Jazz und Politik“ in dieser oder der nächsten Woche vom Drucker. Es wird der 16. Band der Reihe Darmstädter Beiträge zur Jazzforschung sein und kann bei Ihrem Buchhändler bestellt werden oder aber direkt vom Verlag (Wolke Verlag).

Lager füllen

Das Jazzinstitut befindet sich in einem Jagdschlösschen aus dem frühen 18. Jahrhundert, ein historisches Gebäude mit viel Charme und … Fenstern. Letztere sind für jede Art von Archiv eigentlich ein Problem, und wenn nur, weil sie den Platz für die notwendigen Regale nehmen. Es ist allerdings unser Traumschloss, nicht zuletzt wegen des wunderbaren Gewölbekellers, in dem wir hoffen bald wieder Konzerte veranstalten zu können. Doch zurück zu den Regalen… Seit Jahren haben wir Teile unserer Sammlung in einem externen Lager untergebracht, doch sind wir nach dem Motto „Aus dem Auge, aus dem Sinn“ glücklich, dass wir im letzten Jahr zusätzliche Lagerkapazität in einem Kellerraum gleich über den Platz sichern konnten. Dort planen wir Material unterzubringen, auf das wir häufiger zurückgreifen müssen. Und zurzeit füllen wir die Regale, Archivbox für Archivbox, mit entsprechenden Teilen aus unserer Sammlung.

Corona-Öffnungszeiten

Inzwischen ist das Jazzinstitut wieder für Forscher:innen geöffnet, wenn auch nur mit Maske und vorerst nur in unserem Leseraum. Wir haben unseren Gewölbekeller für Proben wieder geöffnet – auch hier mit Einschränkungen, nicht mehr als vier Musiker:innen, die ihre Kontaktdaten hinterlassen müssen. Konzerte im Gewölbekeller sind für die nächsten Monate nicht geplant, allerdings freuen wir uns bereits auf einige Openair-Veranstaltungen vor dem Jazzinstitut über den Sommer, bei denen die Distanzregeln leichter einzuhalten sind. Es ist also alles weit entfernt von „back to normal“, aber wenigstens bewegt sich was (Nutzung des Archivs).


JazzNews, No. 11 (21. Mai bis 3. Juni 2020)

21. Mai 2020
Louis Armstrong / Peter Welker

Howard Reich erinnert an die Influenza-Pandemie der Jahre 1918/1919, die insbesondere in New Orleans eine hohe Anzahl an Todesopfern forderte, und fragt sich, wie die Welt wohl aussehe, wäre der damals 17 Jahre alte Louis Armstrong der „Grippe“ erlegen, die, wie Satchmo in seiner Autobiographie schreibt, „jeden in meiner Familie sowie alle meine Freunde in der Nachbarschaft“ erwischt hatte. Sicher, es gab auch andere Musiker aus New Orleans, schreibt Reich, die wichtigen Einfluss auf den Fortgang der Jazzgeschichte hatten, aber es war Armstrongs „charismatische Persönlichkeit, seine unvergleichliche Technik, sein einziugartiger Sound und sein gut dokumentiertes improvisatorisches Genie“, die „eine ganze Kunstform zu weltweiter Anerkennung“ gebracht hätten (Chicago Tribune). Die Materialforscherin und Wissenschaftsvermittlerin Ainissa Ramirez verweist währendessen auf die Zeit dehnenden, Zeit verdichtenden und Zeit verschiebenden Qualitäten in Louis Armstrongs Musik (Popular Science).  — Charlie Swanson spricht mit dem Trompeter Peter Welker über seinen Umzug an die Westküste, nachdem er 1962 seinen Abschluss vom Berklee College in der Tasche hatte, über die Jazzszene San Franciscos in den 1960er und 1970er Jahren, über einige der Alben, die er über die Jahre aufgenommen hat und von denen die meisten Jazz, Funk und Latin mischen, sowie über seine Pläne, wegen des trockeneren Klimas nach Arizona umzuziehen, und über seine Hoffnung, dass er auch dort sein Wissen an eine jüngere Generation von Musiker:innen weitergeben kann (Pacific Sun).

23. Mai 2020
Lena Jeckel / Anthony Davis

Ulrich Stock spricht mit der Bassistin, Jazzpromoterin und Leiterin der Kulturbehörde in Gütersloh, Lena Jeckel, über die Notwendigkeit, anspruchsvolle Kultur und das Publikum, das sie gern erreichen möchte, zusammenzubringen, darüber, dass es darum gehe, Impulse zu geben, nicht Säle auszuverkaufen, und über ihren vorherigen Job als Geschäftsführerin des Bunker Ulmenwall im nahe gelegenen Bielefeld, wohin er sie schließlich zu einer Session begleitet, bei der eine Mischung aus HipHop, Krautrock und spirituellem Jazz erklingt. Wochen später hat die Coronakrise die ganze Welt, also auch Gütersloh erreicht, wurden alle Großveranstaltungen bis Ende August abgesagt, und Stock ruft noch einmal bei Jeckel an, um zu erfahren, wie sich ihre tägliche Arbeit dadurch verändert habe und wie Improvisation, von der sie zuvor noch sagte, die helfe in einer Behörde nicht wirklich weiter, plötzlich zum Modus Operandi der Zeit geworden sei (Die Zeit). — Ryan Ebright blickt auf die Oper „X: The Life and Times of Malcolm X“ des Pianisten und Komponisten Anthony Davis von 1986 und auf die Hürden, die sich einer afroamerikanischen Opernproduktion in den 1980er Jahren in den Weg stellten sowie auf den Nachhall, den die erfolgreiche Aufführung im New Yorker State Theatre des Lincoln Center hatte, wo sie ein vom üblichen recht unterschiedliches Publikum erreichte. Davis schrieb danach mehrere weitere Opern und „benutzte einige der musikalischen Techniken und der Produktionsstrategien, die ‚X‘ erfolgreich machten“ in „The Central Park Five“, für das er gerade den Pulitzer Prize zugesprochen bekam (The New Yorker).

25. Mai 2020
Archie Shepp / Johannes Enders

Natalie Weiner spricht mit dem in D.C. beheimateten Rapper und Producer Jason Moore (alias Raw Poetic) über den Einfluss des Saxophonisten Archie Shepp, der zufällig sein Onkel ist, über das Album „Ocean Bridges“, dss die beiden letztes Jahr gemeinsam aufgenommen haben, und sie spricht mit Shepp höchstpersönlich, dem Moores Art zu dichten gefällt, über politischen Aktivismus durch Kunst, über seine Zusammenarbeit mit anderen HiipHop-Ensembles über die Jahre, sowie über Musik als „gemeinsame Erfahrung“, bei der er genauso viel lernt wie er gibt (Washington Post). Dan DeLuca spricht ebenfalls mit Jason Moore und Archie Shepp sowie mit dem Produzenten Earl „Damu the Fudgemunk“ Davis, und erfährt, dass Shepps Mentor der Trompeter Lee Morgan gewesen sei und wie er zum ersten Mal John Coltrane begegnete (Philadelphia Inquirer). — Markus Mayer spricht mit dem Saxophonisten Johannes Enders über sein Instrument, das er zurzeit wegen einer Zahnbehandlung nicht spielen kann, über seine Mitwirkung bei NuJazz-Bands wie dem Tied and Tickled Trio, über die beiden Pfade, die seine künstlerische Arbeit nehme, akustischer Jazz auf der einen, elektronischer Jazz auf der anderen Seite, sowie über sein jüngstes Album „Hikikomori“ und seine Faszination sowohl mit der Zeitlosigkeit der Jazztradition wie auch mit Popkultur (BR).

27. Mai 2020
Reggie Workman / Darius Brubeck

Matt Stieb spricht mit dem Bassisten Reggie Workman über seine letzte Begegnung mit dem kürzlich verstorbenen Henry Grimes, über andere Verluste im engeren Kollegenkreis wie jene von McCoy Tyner, Jymie Merritt und Richie Cole, über eine Schießerei im Jahr 1955, bei der sein rechter Arm verletzt wurde, und einen Unfall in einer Fabrik kurz darauf, der ihm einen Teil seines rechten Daumens kostete, darüber, dass er den Unterricht via Zoom in diesen Pandemie-Tagen langsam leid sei, über seine Eheschließung mit der Tänzerin und Choreographin Maya Milenovic, die 1985 in Französisch abgehalten wurde, weil der Standesamtsbeamte seine in Jugoslawien geborene Braut für eine Französin hielt, über gemeinsame Projekte mit seiner Frau und seiner Tochter, die Schauspielerin ist, sowie über die Collective Black Arts, die er 1970 mitgründete, und die Academy of Dance and Laboratory of Music, die er und Milenovic 1998 gründeten (Vulture). — Suthentira Govender spricht mit dem Pianisten Darius Brubeck über seinen einen vollen Monat dauernden Kampf gegen Covid-19 auf einer britischen Intensivstation, sowie über das Piano Passion Project, das durch seine Genesung inspiriert wurde, ein Konzert mit um die 20 Pianist:innen, die durch seinen Unterricht über die Jahre beeinflusst wurden, dessen Erlös dem südafrikanischen Denis Hurley Centre zukommen soll, das Obdachlose in Durban hilft (Sunday Times).

29. Mai 2020
London / Joseph Yun

John Lewis blickt auf Londons junge Jazz-Community und spricht mit dem Saxophonisten Shabaka Hutchings über den Unterschied aktueller Entwicklungen im amerikanischen und britischen Jazz, mit dem Schlagzeuger Patrick Boyle über den Einfluss Gary Crosbys, der Tomorrow’s Warriors-Initiative, der Afrobeat-Bewegung, und über den Tubaisten Theon Cross, der die gesamte Geschichte des New Orleans Jazz kennt, mit der Saxophonistin Nubya Garcia über den Einfluss ihrer Peers als Jugendliche, die gerade mit der Musik vertraut wurde, und über ihre Verbundenheit zum Bebop, mit der Trompeterin Emma-Jean Thackray über die Band Talking Heads, die sie mit Afrobeat vertraut gemacht habe, und darüber, dass die Vermischung von HipHop und Jazz in Großbritannien ganz natürlich wirke, mit der Gitarristin Shirley Tetteh darüber, dass sie nicht gern allein durch ihre afrikanische Abstammung identifiziert werde, und dass es wichtig sei, auch die amerikanischen Traditionen des Jazz zu ehren, sowie mit dem Saxophonisten Binker Golding über die sehr verschiedenen Regeln, die in unterschiedlichen musikalischen Kontexten gelten (The Guardian). — Preston Frazier spricht mit dem in Korea geborenen Gitarristen Joseph Yun über sein jüngstes Album „It’s Time“, über YouTube, das er vor allem als Promotion-Tool für seine Musik nutzt, sowie über seine Liebe zu Vintage-Gitarren (Something Else!).

31. Mai 2020
Silke Eberhard / Benjamin Schäfer

Lynn René Bayley spricht mit der Saxophonistin Silke Eberhard über ihr jüngstes Potsa Lotsa-Album, über ihre Faszination mit Komposition, über den Einfluss Eric Dolphys und anderer Saxophonisten, über ihre Entscheidung, ein Cello in die Besetzung aufzunehmen, sowie über ihre nächsten Pläne (Art Music Lounge). — Jörg Burger spricht mit dem Pianisten Benjamin Schäfer darüber, wie er mit der aktuellen Coronakrise zurechtkommt, darüber, wie Musiker:innen üblicherweise ihr Geld verdienen und wieviel davon ihm zurzeit wegbricht, über Chancen und Probleme, wenn man seine Musik digital vermarkten will und ein neues Abonnement-Modell für seine Online-Präsenz, auf der er versucht seine beiden Hauptinteressen miteinander zu verbinden: Musik und ökologische Themen, sowie über sein letztes Konzert Anfang März in einem vollen Club, dessen Besucher:innen die Livemusik gewiss genauso vermissen wie er (Die Zeit).

2. Juni 2020
Corona (VIII)

Wie man mit der Situation umgeht

Yoshi Kato blickt auf Förderprogramme und Kompositionsaufträge in den USA; die in den schweren Tagen der Coronakrise noch wichtiger werden als eh (San Francisco Classical Voice). — Stephanie Simon spricht mit dem Pianisten Arturo O’Farrill über dem Nothilfefonds für Musiker:innen, den er zusammen mit seiner nonprofit Afro Latin Jazz Alliance gegründet hat (NY1). — Björn Struß spricht mit dem Saxophonisten Christof Knoche darüber, wie er in New York mit seiner Corona-Erkrankung überlebte (Weser-Kurier). — Julia Kaufmann spricht mit dem in Kuba geborenen Trompeter Amik Guerra, der heute in Liechtenstein lebt und das Auftreten vermisst (Liechtensteiner Vaterland).

Online

Einige europäische Länder beginnen die Corona-Lockdown-Maßnahmen zu lockern. Die meisten deutschen Bundesländer erlauben bald wieder Kulturevents mit einer maximalen Publikumsfrequenz von 100 Menschen – nach wie vor mit den geltenden Abstands- und Hygieneregeln. Spielorte entwickeln jetzt also Konzepte dafür, wie unter solchen Voraussetzungen Konzerte möglich sind, ohne die Künstler:innen oder Besucher:innen in Gefahr zu bringen. Währenddessen gehen aber auch die Online-Events weiter. Das Schaffhauser Jazzfestival beispielsweise fand bereits Mitte Mai online und ohne Publikum statt (Schaffhauser Jazzfestival), genauso wie das moers festival am vergangenen Pfingst-Wochenende (moers festival, Deutsche Welle, Rheinische Post [1], Rheinische Post [2], Lokalkompass). Die Jazz Federation Hamburg hat die Website hamburg.stream entwickelt, die hochwertige Livestreams präsentiert und dabei den Zuschauer:innen die Möglichkeit bietet, entweder den üblichen Eintrittspreis zu zahlen, den Musiker:innenn „ein Kaltgetränk“ auszugeben oder das Projekt anders (finanziell) zu unterstützen (hamburg.stream). Alan Scherstuhl spricht mit Spike Wilner, dem Besitzer der beiden New Yorker Clubs Smalls und Mezzrow, die seit 12 Wochen geschlossen sind, über die Wiedereröffnung des Smalls, zwei Sets pro Abend, übliche Gage für die Musiker:innen, allerdings ohne Live-, dafür nur mit Livestream-Publikum (New York Times).

… und sonst noch …

Petra Schellen spricht mit dem klassischen Pianisten Florian Heinisch über seine Interpretationen der Klassiker sowie über sein Studium bei Richie Beirach (die tageszeitung). — Vladimir Balzer spricht mit dem Schlagzeuger Günter ‚Baby‘ Sommer über die Ernennung des umstrittenen Schriftstellers Jörg Bernig zum Leiter des Radebeuler Kulturamts (Deutschlandfunk Kultur). Der Protest war erfolgreich; kurz darauf legte Radebeuls Bürgermeister sein Veto gegen die Ernennung Bernigs ein (Der Tagesspiegel). In einem weiteren Interview erklärt Baby Sommer, warum ihn Bernigs Ernennung empörte (Süddeutsche Zeitung). — Zum 85sten Geburtstag gratuliert Peter Maskow dem fränkischen Pianisten Thomas Fink (MarktSpiegel). — Kevin Sun hört sich Charlie Parkers Interpretationen über „This Time’s the Dream on Me“ zwischen 1950 und 1953 an (Horizontal Search). — James McClain berichtet über die Villa des Arrangeurs Johnny Mandel in Malibu, die zum Verkauf steht (Dirt). — Ron Netsky spricht mit dem Organisten Gary Versace (Rochester City Newspaper).

Nachrufe

Wir erfuhren vom Ableben des Flötisten Lance Martin im Alter von 60 Jahren (BU Today), des Trompeters Gene Maurice im Alter von 93 Jahren (The Syncopated Times), des Gitarristen Jorge Santana im Alter von 68 Jahren (New York Times), des Saxophonisten Henry Estrada im Alter von 83 Jahren (Santa Barbara Independent), des Sängers und Kora-Spielers Mory Kanté aus Guinea im Alter von 70 Jahren (MDR), des Schlagzeugers Jimmy Cobb im Alter von 91 Jahren (NPR, Washington Post, New York TimesAargauer Zeitung), des Pianisten Peter Krag im Alter von 34 Jahren (Seven Days Vermont), des Hornisten Robert Northern (Brother Ah) im Alter von 86 Jahren (Washington Post), des Saxophonisten und Komponisten Lennie Niehaus im Alter von 90 Jahren (Variety, Hollywood Reporter), des britischen Saxophonisten Don Weller im Alter von 79 Jahren (London Jazz News), des belgischen Kritikers Philippe Schoonbrood im Alter von 64 Jahren (CitizenJazz), sowie des Filmkomponisten Peter Thomas im Alter von 94 Jahren (NMZ).

An den Folgen oder an Komplikationen verursacht durch COVID-19 starben der irische Saxophonist Frank Cullen im Alter von 85 Jahren (The Irish Times), sowie der Posaunist Duane Solem im Alter von 90 Jahren (StarTribune).

Aus der Welt der Jazzforschung

Jazz and Gender

Das französische Open-Access-Journal Epistrophy hat einen Call for Papers für eine Ausgabe veröffentlicht, die sich mit dem Thema „Jazz and Gender“ befassen soll. Die Deadline für Vorschläge ist der 1. September 2020 (Epistrophy).

Clifford Jordan

Noal Cohens Jazz History-Website fokussiert unter anderem auf den Saxophonisten Clifford Jordan, bietet dabei eine komplette Diskographie an, aber auch einen biographischen Abriss, den Jordans Witwe Sandy Jordan recherchiert hat und der zahlreiche rare private Fotos enthält (Noal Cohen’s Jazz History Website).

Attila Zoller

Dan Bolles berichtet über das Vermont Jazz Center, das eine Förderung erhielt, um das Attila Zoller Archive zu bewahren (Seven Days Vermont).

Charlie Parker

Eine kürzliche Entdeckung ist ein Telefon-Interview zwischen dem Journalisten Leigh Kamman und Charlie Parker von etwa 1952/53, in dem Bird unter anderem über Clifford Brown, Chet Baker, Frank Morgan, Béla Bartók und Igor Stravinsky erzählt (YouTube).

Jazz Oral History New Orleans

Wir besuchten einmal wieder die Sammlung an Oral-History-Interviews des Hogan Jazz Archive an der Tulane University, die man online hören, als Transkriptionen lesen, oder beides downloaden kann (Jazz Oral History Database). Fangen Sie beispielsweise mit dem Interview mit Lovie Austin an (Hogan Jazz Archive).

Letzte Woche im Jazzinstitut

Black Lives Matter

Unsere ganze Arbeit dreht sich um die Dokumentation und Unterstützung des Jazz, einer Musik, die in der afroamerikanischen Tradition wurzelt und in jedem Ton vom Stolz, von der Freude, vom Schmerz und von der Widerständigkeit der afroamerikanischen Erfahrung handelt. Wie viele blicken wir dieser Tage mit Schmerz auf die Zeichen von Rassismus und Polizeigewalt in den Vereinigten Staaten, wissen aber sehr gut, dass diese kein amerikanisches Problem allein sind. Rassismus muss überall auf der Welt bekämpft werden, und wir sollten im Umgang mit unseren Nachbarn beginnen. Der Jazz handelt von der Bedeutung der eigenen, individuellen Stimme. Lasst uns dafür sorgen, dass diese Stimme auch gehört wird. Diversity, sagte Kamasi Washington vor einer Weile, should not be tolerated, it should be celebrated. Dem stimmen wir mit vollem Herzen zu und betonen, dieser Tage mit besonderem Nachdruck: BLACK LIVES MATTER!


JazzNews, No. 10 (7. bis 20. Mai 2020)

7. Mai 2020
Gene Perla / Chicago

Todd Bryant Weeks spricht mit dem Bassisten Gene Perla über seine Kindheit in Nord-New Jersey, über seine musikalischen Anfänge in der High School als Posaunist, über ein Konzert mit Charlie Haden, das ihn dazu bewegte, das Instrument zu wechseln, über die Zusammenarbeit mit Woody Herman, Elvin Jones und der Thad Jones Mel Lewis Big Band, über seine Arbeit als Sound-Editor für Off-Broadway-Shows, über verschiedene Bandprojekte, an denen er in den vergangenen Jahren teilhatte, über seine Arbeit für die New Yorker Musikergewerkschaft, sowie darüber, wie die Coronakrise seine Arbeit auf ganz unterschiedlichen Ebenen beeinträchtigt (Allegro). — Howard Reich blickt auf einige Jazzclubs in Chicago und spricht mit ihren Betreibern darüber, wann und wie sie sich auf eine eventuelle Wiedereröffnung vorbereiten. „Das hat alles mit Mathematik zu tun“, sagt einer, der ahnt, dass es noch drei bis fünf Monate dauern wird, bis er wieder öffnen kann, während ein anderer mit der Idee liebäufelt musikalische Livestreams zu senden. Wayne Segal vom Jazz Showcase ist sich nicht sicher, ob viele Leute nach dem Lockdown überhaupt gerne ausgehen werden, und Dave Jemilo vom Green Mile weiß nicht, wie lange sein Club unter diesen Umständen überleben kann. Mike Reed vom Constellation erklärt, dass es für die auftretenden Bands schwer ist, genug Geld zu generieren, wenn überhaupt nur eine Publikumskapazität von 30 Prozent im Club erlaubt ist. Howard Reich denkt, dass wahrscheinlich die kleinen Clubs mit begrenzter Publikumsgröße als erste öffnen können, was dem Jazz entgegenkäme, weil der eh in intimer Atmosphäre am besten klänge (Chicago Tribune).

9. Mai 2020
Hanah Jon Taylor / Anthony Davis

Michael Muckian spricht mit dem Saxophonisten und Clubbesitzer Hanah Jon Taylor über Livestreams, die er aus dem Café Coda in Madison, Wisconsin, sendet, über GoFundMe-Aktionen und den Kredit, den er von der Small Business Administration erhalten hat, über seine Pläne, die Livestreams auch nach der Wiedereröffnung des Clubs fortzusetzen, sowie darüber, dass der Lockdown ihn dazu gebracht habe, sich wieder mehr auf die künstlerische Seite seiner Aktivitäten zu konzentrieren (Isthmus). — George Varga spricht mit dem Pianisten und Komponisten Anthony Davis über den Pulitzer-Preis, den er für seine Oper „The Central Park Five“ erhalten hat, über den Stolz, „politische Werke“ zu schaffen, „die einen Einfluss haben und gesellschaftlich wichtige Themen unserer Zeit ansprechen“, über den Anruf der Pulitzer-Komission, während er in einem Zoom-Meeting war, wobei alle Beteiligten seine Reaktion mitkriegten, sowie über aktuelle Projekte, etwa zwei Opern über das Massaker an Afroamerikanern in Oklahoma im Jahr 1921, über das Attentat von Charleston, South Carolina, im Jahr 2015, sowie eine musikalische Adaption eines Kinderbuchs, in der er die aktuelle Einwanderungspolitik der USA thematisiert (San Diego Union-Tribune).

11. Mai 2020
Keith Jarrett / VE Day

In der vierten Folge seiner Posts über Material, das er für seinen aktuellen Online-Unterricht zusammenstellt, blickt Ethan Iverson auf den Stil Keith Jarretts, der dieser Tage 75 Jahre alt wird, und zwar besonders auf seine Aufnahme „Fortune Smiles“ (Do the Math). Roland Spiegel (BR Klassik), Bert Noglik (MDR), Michael Ernst (NMZ) und John Shand (Sydney Morning Herald) zollen Keith Jarrett an seinem 75sten Geburtstag ebenfalls Tribut. — Keith Jarretts Geburtstag war der 8. Mai 1945, auch bekannt als der VE Day, der Victory in Europe Day, weil es der Tag des Sieges der Aliierten über Nazideutschland war. Marina Strauß besucht den Pianisten Simon Gronowski, der aus dem Deportationszug nach Auschwitz fliehen konnte, und findet ihn, wie er während des aktuellen, durch den Coronavirus bedingten Lockdown am offenen Fenster seiner Wohnung in Brüssel für die Nachbarn spielt (Deutsche Welle). Klaus Walter berichtet, welche Rolle die populäre Musik, die die britischen und amerikanischen Truppen verbreiteten, für ein neues Selbstverständnis der jungen Deutschen nach dem Krieg spielte, oder, wie er schreibt, für die Entnazifizierung Deutschlands (Deutschlandfunk). Natalie Liu spricht mit dem Bassisten Paul Sikivie über den Einfluss seines Großvaters, des gefeierten Weltkriegs-Kommandanten General Claire Lee Chennault, auf seine Karriereentscheidung Musiker zu werden (Voice of America).

13. Mai 2020
Achim Kaufmann / Zacc Harris

Tim Caspar Boehme spricht mit dem Pianisten Achim Kaufmann über das Vokabular von Musik, wenn man sie als strukturiert wie eine Sprache ansieht, über den Reiz der Ambiguität beim Musikmachen, und er hört sich dann Kaufmanns jüngstes Album an, „Disenjambment“, das der Pianist mit dem Trio Grünen aufgenommen hat (die tageszeitung). — Pamela Espeland spricht mit dem Gitarristen Zacc Harris über seine ursprünglichen Pläne für 2020, die vom Coronavirus durchkreuzt wurden, über die durchschnittliche Anzahl monatlicher Gigs, die er jetzt verloren hat, über seine neuen, durch den Lockdown begründeten Routinen, über seine künstlerische Reaktion auf die Krise, über die musikalische Interaktion mit Kollegen, die er am meisten vermisst, sowie darüber, dass er sich glücklich schätzt, jetzt zumindest mehr Zeit mit seiner Familie zu verbringen, und dass er sich darauf freut, sich mit Freunden treffen zu können, sobald das wieder sicher ist (MinnPost).

15. Mai 2020
Angelika Niescier / Sherrie Maricle

Joanna Strzalko spricht mit der Saxophonistin und Komponistin Angelika Niescier darüber, wie sie mit der aktuellen Coronakrise umgeht, über die möglichen Effekte der Pandemie auf die Kunstwelt, darüber, dass man sich angesichts des Virus auch der eigenen Verantwortung bewusst sein solle, daraus für die Zukunft zu lernen, über Hilfsprogramme für Künstler:innen in Deutschland, über ihre musikalischen Anfänge und wie sie begann, ihren eigenen Sound zu suchen, nachdem sie eine Aufnahme John Coltrane hörte, über ihre Erfahrungen mit Livestreams und Online-Unterricht, sowie darüber, dass sie sich sicher ist, dass es wieder Livekonzerte geben wird, auch wenn diese fürs Erste unter anderen Umständen stattfinden mögen, als wir es bislang gewohnt waren (Goethe-Institut). — Margie Goldsmith spricht mit der Schlagzeugerin und DIVA-Bandleaderin Sherrie Maricle über ihre Kindheit und ihren Weg zur Musik, über ein Konzert Buddy Richs, dass sie zum Jazz gebracht habe, über Schlagzeugerinnen in einer männlich dominierten Szene, über jüngste Änderungen in Bezug auf Frauen im Jazz, darüber, wie sie selbst mit der Coronakrise umgeht, sowie über Träume für zukünftige musikalische Projekte (Forbes).

17. Mai 2020
Sonny Rollins / Moses Boyd

Sonny Rollins ist der erste Autor einer Reihe an Aufsätzen, in denen Künstler die Frage beantworten, „Warum ist Kunst noch von Bedeutung?“ Rollins weist auf „eine demütig machende Art von Weisheit“ in der Kunst hin, und er argumentiert, dass die Ideen, die durch Kunst ausgedrückt werden, niemandem gehörten. Er erinnert sich, als Kind Fats Waller in Harlem gehört zu haben und wie diese Erfahrung ihn dazu inspiriert habe, den Jazz zu seinem Lebensweg zu machen, wie er aber zugleich schnell erkannt habe, dass er dafür kein bisschen wie Waller klingen müsse, weil „hinter dem Personalstil eines jeden jemand anders steckt“. Er erklärt, was passiert, wenn er improvisiert, und wie jede musikalische Erfindung in seinem Spiel sich aus Informationen zusammensetzt, die er auf dem Weg dahin gesammelt hat. Und allein deshalb, schließt er, sei es mit der Kunst anders als mit den Menschen: Während die nämlich sterblich seien, „gibt es in der Kunst kein Sterben“ (New York Times). — Jim Ottewil spricht mit dem britischen Schlagzeuger Moses Boyd über seine Anfänge in der Musik, über Inspiration durch britischen Grime und US-amerikanischen HipHop, über seine berufliche Partnerschaft mit dem Saxophonisten Binker Golding, über sein Debutalbum „Dark Matter“, über die von ihm benutzten technischen Gerätschaften, über die Notwendigkeit kreativ zu sein und zugleich Spaß zu haben an dem, was man tue, über seine Arbeit als Sideman für andere Künstler, sowie über Musik, die er für Modenschauen komponiere (Music Tech).

19. Mai 2020
Corona (VII)

Wie man mit der Situation umgeht

Das Magazin JazzThing sammelt in einem informativen Blog die Erfahrungen von Journalist:innen und Musiker:innen der deutschen Jazzszene mit der Coronakrise (JazzThing). Da gibt es beispielsweise eine virtuelle Roundtable-Diskussion mit dem Posaunisten Nils Wogram, der Pianistin Julia Hülsmann, der Labelchefin Stefanie Marcus, dem Clubveranstalter Steffen Wilde und dem Festivalveranstalter Norbert Oberhaus (part 1, part 2, part 3), oder den Bericht Ralf Dombrowskis über seinen Besuch eines virtuellen Konzerts in der Münchner Unterfahrt (Das neue Live). — Das Freiburger Institut für Musikermedizin hat eine Risikoeinschätzung einer Cononavirus-Infektion im Bereich Musik veröffentlicht und sich dabei insbesondere auf musikalische Aktivitäten durch Sänger:innen oder Bläser:innen fokussiert (Musikhochschule Freiburg). Antonia Morin berichtet über ähnliche Studien aus München und Berlin (BR Klassik), und Patrick Hahn fasst die Resultate zusammen (NMZ). — Die Bundes- und Landesregierungen Deutschlands haben eine Reihe an Fonds eingerichtet, die Künstler:innen in dieser schweren Zeit helfen sollen. Diese werden laufend neu justiert, außerdem sind die Maßnahmen von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Jetzt hat Bundeskanzlerin Angela Merkel ihren Videopodcast genutzt, um die Künstler:innen selbst anzusprechen und zu versichern, dass die Kultur bei den Entscheidungen über Wirtschaftshilfe nicht vergessen wird (NMZ). — Andy Beta spricht mit Terry Allen, Laraaji, Bettye LaVette, Gary Bartz, und Hailu Mergia darüber, wie sie mit der Coronakrise umgehen (Pitchfork). — William Deresiewicz schaut auf den Effekt der Krise auf Künstler ganz allgemein (The Nation). — Jessi Virtusio spricht mit dem Saxophonisten John Temmerman über Online-Unterricht (Chicago Tribune). — Katja Schwemmers spricht mit dem Pianisten Andrej Hermlin über Online-Konzerte aus dem Wohnzimmer (Berliner Kurier).

Online

Es gibt dieser Tage jede Menge Livestreams, und während viele Musiker:innen dabei auf Spenden ihres virtuellen Publikums angewiesen sind, gibt es auch zahlreiche etablierte Spielorte, die den auftretenden Künstlern eine reguläre Gage zahlen. Wir besuchten in der letzten Zeit beispielsweise Streams aus dem Stadtgarten Köln, dem Vortex in London, dem Jazzkeller in Frankfurt, und erfuhren von einem Studioprojekt, das der Journalist Tom Gsteiger und der Musiker/Studioinhaber Wolfgang Zwiauer in Bern initiiert haben (Life at the Zoo). — Der britische Pianist Mike Westbrook und seine Frau, die Sängerin Kate Westbrook füllen das Vakuum ausgefallener Konzerte, indem sie Filme aus ihrem Archiv auf ihrer Website zeigen (Westbrook Jazz). — Zachary Woolfe „besucht“ den Bang on a Can Marathon, der in diesem Jahr online stattfand, und weist bereits auf die nächste Ausgabe hin, die am 14. Juni gestreamt wird (New York Times). — Felicitas Förster fragt, ob sich Musiker:innen nicht selbst schaden, wenn sie online Umsonst-Konzerte geben (MDR). — Hans-Bernd Kittlaus sammelt aktuelle Links zu täglichen Livestreams (King George).

Hört und lest!

Eine Studie zeigt, dass Menschen in der Quarantäne „insbesondere zu Jazz und klassischer Musik greifen, zu russischer Literatur und zu Science-Fiction-Filmen“, oder genauer: „Das Interesse am Jazztrompeter Louis Armstrong stiegt um 19% verglichen mit den Tagen vor der Quarantäne, während jenes an Billie Eilish um 11% gefallen ist“ (Fast Company). — Eine der ersten Ratschläge, die wir in dieser Krise hatten, um die Musikszene zu unterstützen, lautete: Geht auf die Websites der Musiker:innen und kauft ihre Platten. Das, und die Bezahlung von Livestreams, gilt nach wie vor. Die aktuelle Krise betrifft allerdings nicht nur Musiker:innen und Spielorte, sondern die gesamte Musikindustrie. Und wenn dieser Tage auch die ersten Lockerungen in Kraft treten, haben Sie vielleicht doch immer noch mehr Zeit als früher. Wir empfehlen deshalb, dass Sie über Ihre Lieblingsmusiker lesen und eine oder mehrere Jazzzeitschriften abonnieren, die alle unter dem Verlust von Anzeigen leiden. Schauen Sie auf die Websites von Down Beat, Jazz Times, Jazziz in den USA, Jazzwise oder The Wire in Großbritannien, Jazz Magazine oder Improjazz in Frankreich, oder Jazz Podium, Jazzthetik und JazzThing in Deutschland. Ihre Berichte über unsere Musik sind wichtig, sie helfen Ihnen seit vielen Jahren neue Aufnahmen oder aktuelle Projekte zu entdecken. Jetzt ist die Zeit, zurückzuhelfen. Einige der Magazine legen spezielle Ausgaben vor, die über die Auswirkungen der Krise auf den Jazz berichten, andere bieten spezielle Abonnements an. Schauen Sie auf die Websites und abonnieren Sie, wenn Sie die Zeitschriften nicht sowieso schon beziehen. Sie brauchen Sie genauso wie wir sie brauchen…

… und sonst noch …

Peter Wiest gratuliert dem Schlagzeuger Erwin Ditzner zum 60sten Geburtstag (Rhein-Neckar-Zeitung). — Der südafrikanische Pianist Abdullah Ibrahim hat den Order of the Rising Sun erhalten, einen der höchsten japanischen Orden, der vom Tenno selbst vergeben wird (IOL). — Matthew Strauss berichtet, dass der Saxophonist Kamasi Washington den Soundtrack für einen neuen Dokumentarfilm schreibt, der auf Michelle Obamas Buch „Becoming“ basiert (Pitchfork). — Im dritten Teil seines Berichtes über Unterrichtsmaterialien, die er zurzeit mit seinen Studierenden behandelt, blickt Ethan Iverson auf die Musik der 1970er Jahre, und hört konkret Aufnahmen von Woody Shaw, Dexter Gordon, Kenny Wheeler, Barry Harris, Cedar Walton und Stan Getz (Do the Math). — Julia Bähr sieht sich die neue Netflix-Serie „The Eddy“ des Filmregisseurs Damien Chazelle an, deren Geschichte sich um einen Pariser Jazzclub dreht (Frankfurter Allgemeine Zeitung). Wenn Sie die Serie nicht sehen wollen, hat Will Thorn die Geschichte für Sie (Variety). Thomas Abeltshauser spricht mit dem Produzenten Alan Poul (Der Freitag), James Mottram mit dem Regisseur Damien Chazelle (Games Radar), und Toby Moses mit dem Drehbuchautor Jack Thorne (The Guardian). — Michael Schleicher (Frankfurter Rundschau) und Sarah Seidel (Deutschlandfunk Kultur) sprechen mit dem Saxophonisten Klaus Doldinger. — Wenn der gerade verstorbene Rock ’n‘ Roll-Gigant Little Richard sich auch manchmal von der L.G.B.T.Q.-Community distanzierte, so hatte doch seine Queerness, argumentiert Myles E. Johnson, großen Einfluss auf seine dynamische Performance (New York Times). — Der Dokumentarfilm „Brüder Kühn – Zwei Musiker spielen sich frei“ über die Brüder Rolf und Joachim Kühn wurde bei den diesjährigen New York Festivals mit einer Goldmedaille ausgezeichnet (New York Festivals, 3Sat). — Matthew Burgos schaut auf italienische Wurzeln des Jazz (Italics Magazine). — Hans Hielscher erinnert sich an den Berliner Rundfunk gleich nach dem Krieg, wo er als Kind selbst einen Job hatte: Gedichte aufsagen (Der Spiegel). — Andy Beta spricht mit dem Saxophonisten Gary Bartz (Daily Bandcamp). — Kevin Sun vergleicht mehrere Aufnahmen Charlie Parkers über „Fine and Dandy“ aus den Jahren zwischen 1947 und 1953 (The Kevin Sun). — Anthony Tommasini hört den Pianisten Dan Tepfer Bachs „Goldberg Variationen“ interpretieren, um gleich darauf sein Disklavier eine Umkehrung seiner Interpretation spielen zu lassen (New York Times). — Joe Coscarelli spricht mit der Musikerin und Komponistin Laurie Anderson und dem Sänger Michael Stipe (New York Times). — Roland Spiegel erinnert anlässlich seines 90sten Geburtstags an den österreichischen Pianist Friedrich Gulda (BR-Klassik). — Julie Denesha spricht mit dem Trompeter Lonnie McFadden (KCUR). — Carolyn Lamberson erinnert daran, wie Dizzy Gillespie 1980 wegen eines Vulkanausbruchs des Mount St. Helens in Spokane festsaß (The Spokesman-Review). — Natalie Weiner blickt auf die Verbindungen zwischen Jazz und HipHop (Tidal). — Maddy Shaw Roberts berichtet über das Ergebnis einer Studie, dass nämlich Ratten lieber Jazz (Miles Davis) hören als klassische Musik (Beethoven), wenn sie auf Droge (Kokain) sind; die Studie wurde bereits heftig von Tierrechtsaktivisiten kritisiert (und nicht wegen des Jazz-Missbrauchs in ihr) (Classic FM).

Nachrufe

Wir erfuhren vom Ableben des Komponisten und Pädagogen Frederick J. Tillis im Alter von 90 Jahren (University of Massachusetts), des britischen Sängers und Popmusik-Historikers Ian Whitcomb im Alter von 78 Jahren (New York Times), der Sängerin Holli Ross (WBGO), des Rock ’n‘ Roll-Sängers Little Richard im Alter von 87 Jahren (New York Times), des Plattenbosses Andre Harrell im Alter von 59 Jahren (New York Times), des Soul-Sängerin Betty Wright im Alter von 66 Jahren (Soul Tracks, New York Times), des britischen Jazzkritikers Les Tomkins im Alter von 89 Jahren (The Guardian), des Ragtime-Komponisten Robin Frost im Alter von 89 Jahren (Syncopated Times), des italienischen Trompeters Aldo Bassi im Alter von 58 Jahren (Latina Oggi), des Schweizer Jazzexperten Christian Steulet im Alter von 59 Jahren (Tagesanzeiger, Hommages), des Saxophonisten Buddy Sullivan im Alter von 97 Jahren (IdeaStream, Toledo Blade), des Rundfunkmoderators Jay Edwards (Radio Ink), des Kunsthistorikers, Hobbyklarinettisten (und Mit-Vater des Jazzinstituts Darmstadt) Klaus Wolbert im Alter von 80 Jahren (Darmstädter Echo), der Sängerin Melva Houston im Alter von 70 Jahren (Mount Airy News), des Pianisten Bob Pilsbury im Alter von 93 Jahren (Syncopated Times), des Blues-Gitarristen und -Organisten Lucky Peterson im Alter von 55 Jahren (Rock and Blues Muse), des britischen Jazzpromoters John Cumming im Alter von 72 Jahren (Serious), des Pianisten Donn Trenner im Alter von 93 Jahren (New Haven Register), sowie des Perkussionisten Uganda Roberts im Alter von 77 Jahren (New Orleans Times-Picayune).

An den Folgen oder an Komplikationen verursacht durch COVID-19 starben der kanadische Bassist Howard Crompton Tweddle im Alter von 69 Jahren (CBC, Ottawa Citizen), sowie der britische Rapper Ty im Alter von 47 Jahren (New York Times).

Letzte Woche im Jazzinstitut

Coronavirus „Öffnungs“zeiten

Wir sind wieder geöffnet! Naja, wir waren die ganze Zeit geöffnet, allerdings nicht für reale Besucher. Und das neue „geöffnet“ ist weit entfernt vom „geöffnet“, wie wir es bislang kannten. Zuerst einmal müssen sich Besucher ab sofort per e-mail anmelden (einschließlich ihrer Kontaktdaten), die Zeiten des offenen Hauses sind also erst einmal vorbei. Wir werden nur eine begrenzte Anzahl an Besuchern ins Bessunger Kavaliershaus lassen, und diese werden nur Zugang zu einem temporären Lesesaal haben. Es herrscht Maskenpflicht, und während Besucher früher in den Regalen des Archis stöbern konnten, haben sie jetzt keinen freien Zugang mehr zu den Archivräumen, müssen stattdessen das Material anfordern, das sie einsehen wollen. Die digitale Nutzung des Archivs hat übrigens in den vergangenen Wochen erheblich zugenommen, und wir bieten unseren Service auch weiterhin per Mail oder Telefon an. Dieser Service schließt beispielsweise bibliographische Auszüge aus unserem Jazz Index zu jedwedem Recherchethema ein (kostenfrei per Mail) oder Scans von Aufsätzen beispielsweise für Forschungsarbeiten oder journalistische Recherchen (gegen Gebühr). Werfen Sie einen Blick auf die Service-Seite unserer Website, um zu erfahren, wie Sie unser Archiv nutzen können.

Konzerte

Während also das Archiv zu einem neuen „normal“ zurückfindet, diskutieren wir darüber, wie sich auch unser Gewölbekeller wieder mit Live-Konzerten bespielen lässt, und zwar: vor Publikum. Ein erstes Konzept wurde vom Krisenstab der Wissenschaftsstadt Darmstadt für gut befunden (Darmstädter Echo), dann aber waren wir uns einig, dass die Vorgaben des Landes (5qm pro Person) nicht einzuhalten sind. Der Abend mit Sven Deckers JULI Quartett am 12. Juni wurde also in die Bessunger Knabenschule verlegt, und auch dort für ein begrenztes Publikum (Förderverein Jazz). Wir hoffen auf zwei Open-Air-Veranstaltungen vor dem Jazzinstitut über den Sommer, und sind uns sicher, dass im Herbst auch wieder im Gewölbekeller ein regelmäßiges Programm stattfinden kann.

Jazz in Darmstadt

Neben diesem Newsletter schicken wir üblicherweise eine wöchentliche Vorschau auf die Konzerte im Gewölbekeller des Jazzinstituts. Da diese bis auf weiteres abgesagt wurden, haben wir vor zwei Wochen begonnen, den betreffenden Mailverteiler zu nutzen, um darüber zu berichten, was Musiker, Veranstalter und andere, die die hiesige Szene ausmachen, zurzeit so planen und wie sie mit der Krise kreativ umgehen. Der dritte dieser Newsletters enthielt einen Nachruf und weitere Erinnerungen an den Kontrbassisten und Komponisten Jürgen Wuchner, der Anfang des Monats verstorben war (Newsletter 3). Der vierte Newsletter blickt auf den die Musikerin und Musikpädagogin Friederike Frenzel und den Bassisten Thomas Heldmann (Newsletter 4).

R.I.P. Klaus Wolbert

Er war einer der Väter des Darmstädter Jazzinstituts. 1985 wurde der Kunsthistoriker und Hobbyklarinettist Klaus Wolbert, der am 26. April in Istanbul im Alter von 80 Jahren verstarb, zum Direktor des Instituts Mathildenhöhe ernannt, jenes Museums inmitten des weltbekannten Jugendstilensembles. Er erkannte sofort, dass die Jazzsammlung Joachim Ernst Berendt, die kurz zuvor an die Stadt Darmstadt verkauft worden war und sich damals im Internationalen Musikinstitut befand, das die Ferienkurse für Neue Musik organisiert, ein guter Ausgangspunkt für eine Ausstellung über die Jazzgeschichte sein könnte. Er ließ sich von Berendt, dann insbesondere vom Musikwissenschaftler Ekkehard Jost beraten und arbeitete eng mit Annette Hauber zusammen, die damals die Jazzsammlung im IMD betreute. Jost reiste in die USA und überzeugte wichtige Archive und Sammlungen, Leihgaben für die Ausstellung zur Verfügung zu stellen, die wohl nie zuvor zusammen zu sehen waren, darunter etwa Henry Red Allens Trompete, Larry Shields und Albert Nicholas‘ Klarinetten, Tom Browns Posaune, Louis Armstrongs Signalhorn und Kornett, Bix Beiderbeckes und Red Nichols‘ Kornetts, Dizzy Gillespies Trompete, Charlie Parkers Saxophon und sein weißes Plastiksaxophon, und vieles mehr… Sie bauten ein historisches Aufnahmestudio nach, zeigten die „erste Jazz-Schallplatte“ der ODJB, und dokumentierten die Geschichte des Jazz im Nationalsozialismus. Und mit Hilfe des ebenfalls gerade vor kurzem verstorbenen Konzertveranstalters Gert Pfankuch stellten sie ein dreimonatiges Festival zusammen, bei dem Stars aller Stilrichtungen zu hören waren, unter ihnen etwa David Murray, Cassandra Wilson, Marmite Infernale, James Newton, die Loose Tubes, Heinz Sauer, die Kölner Saxophon Mafia, Albert Mangelsdorff, Christoph Lauer, Mihaly Dresch, Derek Bailey, Evan Parker, Andy Sheppard, Humphrey Lyttelton, Peter Brötzmann, Tomasz Stanko, Conny Bauer, Ornette Coleman, Dizzy Gillespie, Art Blakey, Lester Bowie und viele andere. Mit Hilfe Josts, Haubers und anderer edierte Wolbert dazu einen 723 Seiten umfassenden Katalog, der bis heute als eine der umfassendsten Darstellungen der globalen Jazzgeschichte gelten darf, der sowohl die amerikanische Jazzgeschichte von den Anfängen bis in die Gegenwart beleuchtet als auch Entwicklungen in Europa (West wie Ost), die gegenseitigen Einflüsse zwischen Jazz und Rundfunk, Film, Literatur, den Bildenden Künsten, sowie der Bedeutung des Jazzpublikums, der Clubs und Festivals, der Jazzausbildung und der Stellung der Frauen im Jazz. Es war die bis dahin weltweit größte Ausstellung zum Jazz, die zudem in einem bedeutenden Museum stattfand. Ein Jahr nach der Ausstellung entschied die Stadt Darmstadt, dass die Jazzsammlung, die der Ausstellung als Basis gedient hatte, der Grundstein eines eigenständigen Instituts sein sollte. Als Kulturreferent der Stadt war Wolbert tief in den politischen Prozess involviert, der schließlich im September 1990 zur Gründung des Jazzinstituts Darmstadt führte. Er konzentrierte sich danach vor allem auf seinen eigentlichen Job, zeigte Ausstellungen insbesondere moderner und zeitgenössischer Kunst oder aber thematische Ausstellungen, die den Kontext kultureller Diskurse veranschaulichten. Er blieb bis zu seiner Pensionierung 2005 Direktor des Instituts Mathildenhöhe, lebte dann in Bayern, Italien und Istanbul und warb auch weiterhin insbesondere für zeitgenössische italienische Kunst und Künstler:innen. Darmstadt besuchte er ein letztes Mal im Sommer 2019 zur Hundertjahrfeier der Künstlervereinigung Darmstädter Sezession. In der Türkei, schreibt Johannes Breckner in seinem Nachruf in unserer Lokalzeitung, hatte er in den vergangenen Jahren wieder zur Klarinette gegriffen und spielte mit lokalen Musikern (Darmstädter Echo).

Ein paar persönliche Worte (Wolfram Knauers): Klaus Wolbert war einer der ersten Menschen, die ich in Darmstadt kennenlernte, während meines Jobinterview im Frühjahr 1990. Nachdem ich im September 1990 meine Stelle als Direktor des Jazzinstituts Darmstadt angetreten hatte, bot er mir seinen Rat an, ermutigte mich aber vor allem, meine eigenen Entscheidungen zu treffen. Wir sahen uns bei Ausstellungseröffnungen im Museum Mathildenhöhe, bei städtischen Kultursitzungen mit dem jeweiligen Oberbürgermeister, bei der Eröffnung des neuen Domizils des Jazzinstituts im historischen Bessunger Kavaliershaus. Unsere Beziehung war durch kollegialen Respekt gekennzeichnet. Wolbert war ein Kulturarbeiter mit klarer Haltung, der auch dem Streit mit der städtischen Kulturpolitik nicht aus dem Weg ging, wenn er überzeugt war, dass er die besseren Argumente hatte. Ich bin zutiefst dankbar für das Vertrauen, dass er mir als 32-jährigem Newcomer in der städtischen Kulturverwaltung entgegenbrachte, für seine Unterstützung, von der ich oft erst im Nachhinein (und nie durch ihn) erfuhr, und es stimmt mich traurig, dass ich nicht die Gelegenheit hatte, ihn bei seinem Besuch im vergangenen Jahr noch einmal zu treffen. Es muss ein enorm emotionaler Moment gewesen sein, als er während der Ausstellung von 1988 das Instrument Albert Nicholas‘ in der Hand hielt, eines Musikers, den er bereits als Jugendlicher in Aschaffenburg bewundert hatte. Ich hoffe, Nicholas wird ihm ein paar Geheimnisse auf seinem Instrument verraten, jetzt, wo sie im Jazzerhimmel zusammen jammen können.

Bleiben Sie gesund und hören und unterstützen Sie auch weiterhin die Musik!


JazzNews, No. 9 (23. April bis 6. Mai 2020)

23. April 2020
Village Vanguard / Candido Camero

Matthew Kassel spricht mit Deborah Gordon, der Inhaberin des legendären Village Vanguard in New York, darüber, wie sie mit der Corona-Krise umgeht, die sie als „Schließung mit offenem Ende und so vielen unbekannten Unbekannten“ beschreibt. Sie denkt darüber nach, Konzerte per Livestream zu senden und pro Show ein paar Dollar zu verlangen, und hat dabei bereits Unterstützung durch den Pianisten Fred Hersch gefunden, der gerne für solche Livestreams auftreten würde, um den Club am Leben zu erhalten. Gordon musste 90 Prozent ihrer Belegschaft kündigen, und Hal Wilner, der nebenan die beiden Clubs Smalls und Mezzrow betreibt, ist in einer ganz ähnlichen Lage, und mutmaßt: „Wir wissen nicht, ob die Clubs das alles überleben werden oder nicht“ (Jewish Insider). — Bobby Sanabria spricht mit dem 99jährigen Perkussionisten Candido Camero über seine Kindheit in Havanna, Cuba, über seinen Onkel Andrés, der Bogos spielte und ihm erste Inspirationen gab, über die relativ späte Präsenz der Congas in kubanischen Tanzkapellen, über seine Arbeit in den Clubs und Tanzsälen von Havanna in den 1930er Jahren, über eine Reise nach New York im Jahr 1946, wohin er ein kubanisches Tanzduo begleitete, dann aber dort blieb, über seine Zusammenarbeit mit Künstlern wie Machito oder Dizzy Gillespie, über einige seiner instrumentellen Erfindungen, darunter eine mit dem Fuß bedienbare Kuhglocke, sowie darüber, dass „man nicht nur auf der Bühne Kollege und Freund sein sollte, sondern genauso, wenn man die Bühne verlässt“ (WBGO). Felix Contreras verlinkt einige Videos, die Candido Camero in Aktion zeigen (NPR).

25. April 2020
Frauen im Jazz / Hip-Hop und Jazz

Giovanni Russonello blickt auf einige Instrumentalistinnen in der Jazzgeschichte, „die zu ihren Tagen einen großen Eindruck machten, aber in der allgemeinen Jazzgeschichte kaum erinnert werden“, nämlich: die Pianistinnen Lovie Austin und Lil Hardin Armstrong, die Trompeterin Valaida Snow, die Saxophonistin Peggy Gilbert, die Pianistin und Sängerin Una Mae Carlisle, die Geigerin Ginger Smock, die Pianistinnen Dorothy Donegan und Jutta Hipp, die Trompeterin Clora Bryant, sowie die Pianistin Bertha Hope (New York Times). — Tonya Mosley spricht mit den HipHop-Künstlern Adrian Younge und Ali Shaheed Muhammad über ihr Projekt „Jazz is Dead 001“, über die Zusammenarbeit mit dem Vibraphonisten Roy Ayers und dem Saxophonisten Gary Bartz, über ihre frühe Faszination mit dem Jazz, über „Jazz Is Dead“, das nicht nur ein Plattenlabel ist, sondern auch eine Konzertreihe in Los Angeles, sowie darüber, wie Musik den Menschen helfen kann in diesen unsicheren Zeiten „sich selbst zu finden“ (WBUR).

27. April 2020
Haruka Kikuchi / Christian McBride

William Archambeault spricht mit der traditionellen Posaunistin Haruka Kikuchi darüber, wie sie mit der aktuellen Situation der Selbstisolation umgeht, über Livestreams, die sie und ihr Mann, der Pianist Yoshitaka ‚Z2‘ Tsuji, aus ihrem Haus in New Orleans senden, über ihre Anfänge auf der Posaune, die sie mit 15 in ihrer japanischen Heimat zu spielen begann, über ihren Umzug in die USA im Jahr 2013, über Musik, die Sprachbarrieren zwischen japanischen Besuchern und Amerikanern überbrücken helfe, über „Japan: New Orleans Collection Series“, eine Sammlung an Aufnahmen, die japanische Musiker bei Jam Sessions in New Orleans dokumentieren, sowie daüber, dass die Zusammenarbeit mit ihrem Mann, der vor allem modernen Jazz spielt, ihr endlich die Chance geben würde, sich auch mit einem anderen Stil auseinanderzusetzen (The Japan Times). — Der Bassist, Pädagoge und Festivalorganisator Christian McBride erinnert sich, wie er am 11. September 2001 in Europa gewesen sei und für ein Konzert mit Sting geprobt habe, und dann hätten sie entscheiden müssen, ob sie auftreten oder nicht, und er vergleicht die damalige Krise mit der durch Corona verursachten Krise heute: „An jenem Abend kamen Leute, um uns zu hören. Keiner hann heute kommen, um uns zu hören. An jenem Abend verbündeten wir uns mit dem Publikum, weinten in den Armen der anderen. Das können wir heute auch nicht tun. Nachdem das Publikum gegangen war, saßen wir noch lange zusammen, aßen und tranken, um zumindest ein bisschen das Gefühl zu haben, noch gesund zu sein. Auch das können wir nicht mehr tun.“ Er beschreibt, dass viele Musiker ihre Arbeit jetzt ins Internet verlagert haben, macht sich zugleich darüber Gedanken, weil: „Wie können wir mit gutem Gewissen um Geld bitten, wenn 26 Millionen Amerikaner gerade einen Antrag auf Arbeitslosengeld gestellt haben?“ Auf der anderen Seite sieht er in der Technologie aber auch etwas Gutes und reflektiert darüber, wieviel er in den letzten Wochen darüber gelernt have, mit der Jazz Community durch Livestreams und Online-Chats in Kontakt zu bleiben. „Ich achte jetzt auch den Dirigierstab von Mutter Natur. Das alles sollte keine politische Sache sein. Das ist der Planet Erde, der uns eine Ohrfeige gibt und uns zwingt langsamer zu werden und auf uns Acht zu geben. Man kann weiterspielen, wenn der Dirigierstab oben ist. Man muss nur drauf achten, dass man es von zuhause aus tut!“ (The Nation).

29. April 2020
Charles Owens / Pittsburgh, PA

Steve Chiotakis spricht mit dem 83-jährigen Saxophonisten Charles Owens über das „Jazz in Schools“-Programm, das Musik zu tausenden Kindern im Landkreis Los Angeles bringt, über seine erste Faszination mit Musik, über die Inspiration durch Charlie Parker und die Zusammenarbeit mit Musikern wie Buddy Rich und Mongo Santamaria, sowie über den wöchentlichen Unterricht an der UCLA und die Schulprogramme, die er nach wie vor genießt, die allerdings zurzeit wegen der Coronakrise nicht stattfinden (KCRW). — Steve Mellon spricht mit sechs Jazzmusikern in Pittsburgh, Pennsylvania, darüber, wie sie mit der aktuellen Coronakrise umgehen. Alle beklagen den Einkommensverlust und allen fehlt der Liveauftritt vor Publikum. Der Schlagzeuger George Heid III hat eine Kickstarter-Kampagne gestartet, um sein neues Projekt „Wisdom Path“ zu finanzieren. Die Sängerin Chantal Joseph hat sich daran gewöhnt, für Geburtstagsständchen per Video engagiert zu werden. Der Bassist Paul Thompson hat zusammen mit seiner Frau, einer Schauspielerin, einen Podcast initiiert, gibt außerdem über Zoom, Skype oder FaceTime Unterricht. Der Bassist Ernest McCarty erinnert sich an Tourneen und Konzerte und spielt manchmal auf der Terrasse seines Hauses. Der Saxophonist Calvin Stemley plant sein nächstes CD-Projekt. Und der Saxophonist Richie Cole bleibt die meiste Zeit in seinem Einzimmer-Apartment in einem Seniorenheim und spielt manchmal für die ebenfalls dort lebenden Nachbarn (Pittsburgh Post-Gazette). PS: Richie Cole verstarb kurz nach Erscheinen dieses Artikels (WBGO).

1. Mai 2020
Baby Sommer / Niels Lan Doky

Andy Dallmann spricht mit dem Schlagzeuger Günter ‚Baby‘ Sommer über die Möglichkeit für Musiker während der aktuellen Coronakrise auf ihren Instrumenten Dampf abzulassen, darüber, dass er zurzeit mehr übt, dafür allerdings gar nicht mehr auftritt, über den Versuch, die Krise als kreative Chance zu betrachten, wobei er sich sehr wohl bewusst ist, dass sie viele Musiker in eine extreme Notsituation stürzt, über seine Sorge um die nachhaltigen Auswirkungen der Krise für die Kulturwelt, über Nothilfefonds für Künstler und die Ungleichheit staatlicher Maßnahmen in den 16 Bundesländern, über seine Überzeugung, dass jetzt Zeit für ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre, über Konzerte im Livestream, die er spielt, um etwa Geld für eine örtliche Kunstinitiative zu sammeln, sowie über seine Hoffnung, dass man angesichts der Coronakrise nicht all die anderen Krisen und Katastrophen vergessen möge, die die Welt beuteln (Sächsische Zeitung). — Der dänische Pianist Niels Lan Doky schreibt über seine Sicht auf die Coronakrise. Er sieht „zwei sehr unterschiedliche Haltungen“ gegenüber der Situation, eine „die findet, dass das tägliche Leben jetzt herrliche Momente von Frieden und Ruhe“ erhalten habe, die andere, „die verzweifelt nach einer Rückkehr zur ‚Normalität‘ ruft“. Er fragt, ob die Art und Weise, wie wir mit der Krise umgehen, nicht viel mit dem Bildungssystem zu tun habe, macht sich Gedanken über eine Post-Corona-Ökonomie,. die auf einem „‚Green New Deal‘ und einer neuen Form sozialer Gerechtigkeit“ basiert, und er fragt, ob der Corona-Virus nicht vielleicht eine Art „Glück im Unglück“ darstellt, der Mängel im System aufdecke und nach „drastischsten Veränderungen innerhalb kürzester Zeit“ verlangt (Finews).

3. Mai 2020
Fela Kuti / Mel Powell

Chris Sullivan blickt auf das Leben des nigerianischen Saxophonisten Fela Kuti und spricht mit Kutis früherem Manager Rikki Stein, erzählt von Auseinandersetzungen mit dem nigerianischen Regime in den 1970er Jahren, von seinem Protest gegen die Verwestlichung Afrikas, die ihn 1978 siebenundzwanzig Frauen in einer Zeremonie ehelichen ließ, von der eigenen Partei, die er 1979 gründete, als er sich auch als Präsidentschaftskandidat aufstellen ließ, oder davon, wie er die Musiker in seiner Band behandelte, sowie von Kutis Tod infolge von AIDS im Jahr 1997 und vom 2016 erschienenen Dokumentarfilm „Finding Fela“, der neues Interesse an seiner Musik und seinem Leben auslöste (GQ Magazine). — Ethan Iverson blickt auf die musikalische Karriere von Mel Powell, der mit Benny Goodman und anderen Klavier spielte, nach Studien bei Paul Hindemith als neo-klassischer Komponist tätig war, und seinen Stil später hin zur seriellen Komposition änderte. Es gäbe wenig, schreibt Iverson, was diese sehr unterschiedlichen Seiten seines OEuvres verbinden würde, außer vielleicht sein Interesse am melodischen und harmonischen Vokabular Claude Debussys; dann geht er Powells klassische Kompositionen durch und vergleicht ihn mit anderen modernen Kommponisten der Zeit, erstellt eine Art Klavierauszug von Benny Goodmans Aufnahme über „Six Flats Unfurnished“ einschließlich eines achttaktigen Powell-Klaviersolos, und transkribiert Powells Soli in „St. Louis Blues“ und „I Got Rhythm“, eingespielt vom Goodman Sextet. Powell hatte Whitney Balliett erzählt, dass er den Jazz für „die Musik der Jungen, und eigentlich eine schwarze Musik“ hielt, was Iverson dazu führt, einige weiße Pianisten zu nennen, die „wirklich gut“ gewesen seien, etwa Art Hodes, Freddie Slack, Johnny Guarnieri, Jess Stacy, Joe Sullivan, Bob Zurke und Joe Bushkin, woraufhin er schlussfolgert: „Es ist heutzutage unmöglich die Realitäten jener zutiefst segregierten Ära zu verstehen. Die schwarzen Musiker hatten das Genre geschaffen und waren weit fortschrittlicher in ihrem Ansatz als ihre weißen Kollegen, aber die weißen Musiker verdienten mehr Geld unter weit angenehmeren Arbeitsumständen. Für jemanden mit so viel Ambitionen wie Mel Powell mögen diese Umstände von Hautfarbe und Rassismus allein ein Grund gewesen sein, den Jazzwelt hinter sich zu lassen.“ In einem letzten Teil diskutiert Iverson Powell im Zusammenhang mit Hall Overton und Gunther Schuller, also Komponisten, die ebenfalls grundlegende Kenntnis des Jazz besaßen (Do the Math).

5. Mai 2020
Corona (VI)

Wie man mit der Situation umgeht

Die Zahl der Jazzmusiker, die während der Coronakrise starben, ist hoch, und Howard Reich erklärt, warum es gerade im Jazz so viele trifft, und er beklagt den Verlust an Wissen, Erfahrung und Weisheit, die sie alle nicht länger an die nächste Generation weitergeben können (Chicago Tribune). — Das Magazin Focus fragt verschiedene Deutsche, die in New York leben, wie sie mit der aktuellen Corona-Krise umgehen, unter ihnen auch der Saxophonist Timo Vollbrecht (Focus). — Anne Murphy spricht mit dem Trompeter Jon Ailabouni über Unterricht per Internet und darüber, wie sehr er seine Livegigs vermisst (Post-Bulletin). — Stephanie Vos spricht mit dem südafrikanischen Bassisten Shane Cooper und dem Pianisten Nduduzo Makhatini darüber, wie sie mit der aktuellen Krise umgehen und wie sie das Internet nutzen, um mit ihrem Publikum in Kontakt zu bleiben (The Conversation). — Ole Schulz blickt auf die Musikszenen in Afrika, die von der Coronakrise genauso betroffen sind wie der Rest der Welt, und fragt danach, wie sie jeweils mit der Situation umgehen (die Tageszeitung). — Andrew O’Connor spricht mit dem australischen Saxophonisten Troy Roberts über den Unterschied der Corona-Reaktion in New York, wo er zurzeit lebt, und seiner Heimatstadt Perth, wohin er geflohen ist, als in New York der Lockdown begann (ABC Australia). — Christoph Huber. der künstlerische Leiter des Clubs Porgy and Bess in Wien, erklärt, wie schwierig die aktuelle Situation für Spielorte wie den seinen ist, und warum er unzufrieden damit ist, wie die österreichische Regierung die Kulturszene im Land unterstützt (Der Standard). — Nate Chinen blickt zurück auf den April, der zum „jazz month“ ausgerufen wurde, um unsere Musik zu „feiern“, der dann aber mit Corona eine „tragische Wende“ nahm (WBGO). — Die ganze Welt feierte den International Jazz Day mit Online-Events; das offizielle „global concert“ ist nach wie vor auf der Website des Jazzday zu sehen (International Jazz Day). In Deutschland haben Martina Weinmar, Rainer Ortag und Jacek Brun eine Website erstellt, die ursprünglich zusätzliche Information über deutsche Künstler:innen geben sollte, die bei der (abgesagten) Messer JazzAhead in Bremen anwesend sein würden. Die Website heißt Jazz Day Germany und präsentiert jeweils ein Video sowie Biographien und Informationen über das letzte Album von 50 ausgesuchten Künstler:innen bzw. Bands (Jazz Day Germany).

Online

Das Schweizer Radio hat eine Liste an Online-Quellen zur Kulturszene der Schweiz zusammengestellt, unter denen sich auch zahlreiche Jazzfestivals, Clubs und sonstige Aktivitäten befinden (SRF). — Oliver Hochkeppel listet eine Reihe an professionellen Livestreams aus deutschen Jazzclubs auf, die das Bewusstsein für die Bedeutung von Livemusik aufrecht erhalten sollen (Süddeutsche Zeitung). — Die meisten Sommerfestivals wurden abgesagt, einige wenige planen ihr ursprünglich annonciertes Programm ohne Publikum spielen zu lassen und per Livestream zu übertragen, unter ihnen das Schaffhauser Jazzfestival in der Schweiz (Tagblatt), sowie das moers festival (Rheinische Post). — Es gibt eine Menge an musikalischen und oft humorvollen Wegen, auf die Situation zu reagieren, etwa vom Pianisten (und Sänger!) Bill Mays („Coronavirus Song“).

… und sonst noch …

Isaac Butler spricht der japanischen Komponistin und Arrangeurin Miho Hazama (Slate). — Suzanne Cloud schreibt ein Portrait des Saxophonisten Marshall Allen, der im Mai 96 Jahre alt wird (Jazz Philadelphia). — Graeme McMillan berichtet über eine Graphic Novel über Charlie Parkers Zeit in Kalifornien in den Mitt-1940er Jahren, die in Kürze erscheinen soll (The Hollywood Reporter). — Jim Hynes spricht mit dem Pianisten Orrin Evans über sein jüngstes Album „The Intangible Between“ (Glide Magazine). — Norbert Krampf berichtet über den Pianisten, Pädagogen und Netzwerker Sebastian Sternal (Frankfurter Allgemeine Zeitung). — Thomas Kliemann spricht mit dem Saxophonisten Klaus Doldinger (Bonner General-Anzeiger). — John Edward Hasse erinnert an John Lewis, das kompositorische Mastermind hinter dem Modern Jazz Quartet und „ein visionärer Pianist“, der dieser Tage 100 Jahre alt geworden wäre (Wall Street Journal). — Der Pianist und Komponist Anthony Davis erhielt einen Pulitzer Prize für seine Oper „The Central Park Five“ (New York Times, NPR). — Karl Lippegaus erinnert an die Geschichte der Dutch Swing College Band, die vor 75 Jahren ihren ersten Auftritt hatte (Deutschlandfunk).

Nachrufe

Wir lasen weitere Nachrufe auf bereits zuvor gemeldete verstorbene Persönlichkeiten des Jazzlebens wie den Musikwissenschaftler und Gründungsdirektor des Louis Armstrong House Museum Michael Cogswell (WBGO, New York Times), des Pianisten Ellis Marsalis (The Daily Beast), sowie des Konzertveranstalters und Agenten Gert Pfankuch (Frankfurter Rundschau). Der Schlagzeuger George Schuller erinnert sich daran, wie er mit dem kürzlich verstorbenen Lee Konitz spielte (ArtsFuse), und Howard Reich erinnert an Konitz‘ Verbindungen zu Chicago (Chicago Tribune).

Wir erfuhren vom Ableben des Produzenten Anthony Puglisi im Alter von 84 Jahren (Dignity Memorial), des kanadischen Saxophonisten Hugh O’Connor im Alter von 92 Jahren (Ottawa Citizen), des Schlagzeugers Kyle Keener (San Antonio Current), des Sängers Big Al Carson im Alter von 66 Jahren (Fox8Live), des britischen Pianisten Ron Rubin im Alter von 86 Jahren (HamHigh), des Jazzkritikers Tom Scanlan im Alter von 96 Jahren (Washington Post), des Bassisten Eugene ‚Woody‘ Smith im Alter von 76 Jahren (Pittsburgh Post-Gazette), des Posaunisten Bob Mielke im Alter von 93 Jahren (Berkeleyside), des nigerianischen Schlagzeugers Tony Allen im Alter von 79 Jahren (New York Times), des Saxophonisten Richie Cole im Alter von 72 Jahren (WBGO, ArtsFuse), sowie des Kontrabassisten Jürgen Wuchner im Alter von 72 Jahren (Darmstädter Echo, Frankfurter Rundschau, Jazzinstitut Darmstadt, Wissenschaftsstadt Darmstadt).

An den Folgen oder an Komplikationen verursacht durch COVID-19 starben der französische Gitarrist Jacques Pellen im Alter von 63 Jahren (France Bleu), die Schlagzeugerin Lysa Dawn Robinson im Alter von 55 Jahren (Philadelphia Inquirer), der Gospelsängerin Troy Sneed im Alter von 52 Jahren (Billboard), der Besitzer einer Jazzbar Samuel Hargress im Alter von 84 Jahren (New York Daily News), sowie der Saxophonist Bootsy Barnes im Alter von 82 Jahren (WRTI, Philadelphia Tribune).

Aus der Welt der Jazzforschung

COVID-19 Jazzforschung

Das open-source-Journal Critical Studies in Improvisation plant eine Sonderausgabe, die sich mit den Auswirkungen der Coronakrise auf die Szenen des Jazz und der improvisierten Musik beschäftigt. Die Ausgabe soll sich insbesondere mit „der neuen Ökonomie des Musikmachens und Musikkonsumierens“ befassen, sowie mit „der neuen Intimität des Musikmachens und Musikkonsumierens, der sich durch Livestreams auszeichnet, die Verbreitung virtueller Ensemblemusik, und die Beschränkung des eigenhändigen Musikmachens auf die unmittelbaren Nachbarn“. Die Deadline des Call for Papers endet am 15. Mai 2020 (Critical Improv).

Call for Papers: Jazz Diasporas

Die Zeitschrift Popular Music and Society plant eine Sonderausgabe über „Jazz Diasporas“. Die Deadline für Vorschläge für Beiträge ist der 31. Juli 2020 (IASPM).

Die Jazzgeschichte Kaliforniens

Wir entdeckten die Website Jazz Research, die sich mit dem Jazz in Kalifornien in den Jahren 1945 bis 1960 befasst, etwa mit Clubs in Los Angeles wie The Haig, Jazz City und Tiffany, mit der TV-Serie Jazz Scene USA, dem Plattenlabel World Pacific und mehr (Jazz Research).

Transkriptionen

Wir entdeckten außerdem die Website von Peter und Will Anderson, die mehr als 100 Solo-Transkriptionen als kostenlose PDF-Downloads anbietet, abnotiert von Aufnahmen etwa Louis Armstrongs, Lester Youngs, Coleman Hawkins‘, Charlie Parkers und vieler anderer (Peter and Will Anderson).

Yale’s Oral History of American Music

1968 begann die Bibliothekarin Vivian Perlis eine außergewöhnliche Sammlung von Audio-Interviews mit amerikanischen Komponisten, unter ihnen auch eine ganze Reihe an Jazzmusikern. Die 3.000 Interviews können von Forschern auf Anfrage als Audiostreams oder Transkripte eingehört/sehen werden (New York Times, Yale Oral History of American Music).

Südafrikanisches Fotoarchiv

Rafs Mayet blickt auf Bilddokumente über südafrikanische Jazzgeschichte in früheren und aktuellen Publikationen und sammelt Argumente für ein Fotoarchiv zum südafrikanischen Jazz (Mail and Guardian).

Julius Hemphill Papers

Die Julius Hemphill Papers gehören zur Sammlung spezieller Materialien an der New York University und enthalten u.a. Kompositionen des Saxophonisten und Komponisten (Autographe, Skizzen, Notebooks, Instrumentalstimmen), Audio- und visuelle Dokumente, sowie seine persönliche Korrespondenz. Die NYU hat jetzt eine detaillierte Auflistung online gesetzt (Julius Hemphill Papers).

Confirmation

Kevin Sun transkribiert und vergleicht verschiedene Aufnahmen Charlie Parkers über „Confirmation“ aus den Jahren 1949 bis 1951 (The Kevin Sun).

Letzte Woche im Jazzinstitut

R.I.P. Jürgen Wuchner

Wir trauern um einen bedeutenden deutschen Musiker, den Mittelpunkt der Darmstädter Jazzszene, den Gründer und künstlerischen Leiter unseres jährlichen Jazz Conceptions-Workshops seit 29 Jahren, einen engen Freund, Kollegen und kritischen Begleiter unserer täglichen Arbeit. Jürgen Wuchner, dessen Name fast wie ein Synonym für den Jazz in oder aus Darmstadt zu stehen scheint, starb plötzlich und unerwartet am Freitag, den 1. Mai 2020, im Alter von 72 Jahren.

Wuchner, der an der hiesigen Akademie für Tonkunst Kontrabass studierte, war seit den 1960er Jahren ein wichtiger Teil der Rhein-Main-Jazzszene. Er arbeitete mit Hans Koller, Heinz Sauer, Herbert Joos, Günter Klatt, dem Vienna Art Ensemble und zahlreichen anderen Künstlern, initiierte daneben etliche eigene Projekte, von dem auf tiefe Töne fokussierten Bassic Trio und unterschiedlichen Quartettbesetzungen bis hin zur größeren Band United Colors of Bessungen, in der Freunde und Kollegen aus der ganzen Region zusammenkamen.

In Wuchners Bassspiel waren von Charles Mingus inspirierte bluesige Untertöne zu hören, aber auch die Auseinandersetzung mit experimentellen Techniken, wie er sie etwa bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik erleben konnte. Seine Kompositionen waren enorm eingängig; viele der Inspirationen, von klassischer Musik über Ellington, Mingus und die Jahre, die er in Dakar, Senegal, verbrachte, erfuhren dabei immer eine spezifisch Wuchnerische Behandlung. Jürgen war ein überaus inspirierender Lehrer, der es verstand, jede/n zu ermutigen zum Instrument zu greifen und zu spielen. Er war überzeugt davon, dass gerade Jazzmusikerinnen und -musiker dazu in der Lage sind, die so unterschiedlichen Stimmen von Teilnehmer/innen in Workshopensembles als musikalisches Material zu begreifen und daraus spannende Musik zu schaffen. Die Abschlusskonzerte bei unseren jährlichen Jazz Conceptions gaben ihm immer wieder recht: Diese Momente, wenn Musiker/innen unterschiedlichster technischer Meisterschaft sich selbst übertrafen, erstaunten nicht nur das Publikum, sondern selbst die Dozent/innen der Workshopwoche.

Für Jürgen standen Jazz und improvisierte Musik immer auch für Respekt und ein zwischenmenschliches Verständnis, das weit über die Musik hinausging. Seine eigene Musik, sein Unterricht und seine generelle Haltung zu Kunst und Gesellschaft lebten dieses Verständnis vor. Jürgen Wuchner war eine Integrationsfigur, nicht nur für die Darmstädter Jazzszene, sondern weit darüber hinaus. Er genoss Ansehen und Respekt überall in der Stadt, bei seinen Fans genauso wie bei Menschen, die mit seiner Musik vielleicht weit weniger anfangen konnten. Er war authentisch mit jedem Wort, mit jeder Note, mit jedem Ton.

Wir sind unendlich traurig.

Coronavirus „Öffnungs“zeiten

Das Archiv des Jazzinstitut wird ab dem 12. Mai 2020 wieder für Besucher zugänglich sein. Die Nutzung ist nur nach Voranmeldung möglich und nur für eine begrenzte Anzahl an Besuchern. Der direkte Zugang zum Archiv ist bis auf weiteres nicht möglich; Besucher werden die Materialien nur in einem Lesesaal einsehen können. Besucher werden gebeten Mund-Nasen-Schutz zu tragen und die etablierten Abstands- und Hyguieregeln zu beachten. Bis zum 31. Mai wird es keine Konzerte im Gewölbekeller des Jazzinstituts geben, und auch Proben sind bis dahin untersagt.

Jazz in Darmstadt

Neben diesem Newsletter schicken wir üblicherweise eine wöchentlicheVorschau auf die Konzerte im Gewölbekeller des Jazzinstituts. Da diese bis auf weiteres abgesagt wurden, haben wir vor zwei Wochen begonnen, den betreffenden Mailverteiler zu nutzen, um darüber zu berichten, was Musiker, Veranstalter und andere, die die hiesige Szene ausmachen, zurzeit so planen und wie sie mit der Krise kreativ umgehen. Der erste dieser Newsletters blickte auf aktuelle Aktivitäten des Pianisten Uli Partheil, der Saxophonistin Anke Schimpf und der Grafikerin Nichole Schneider (Newsletter 1). Der zweite Newsletter blickt auf den Bassisten Andreas Büschelberger, den Klavierstimmer Andreas Berg und einen überparteilichen Hilfsfonds, den Iris Bachmann und Hilegard Förster-Heldmann für Darmstädter Künstler:innen eingerichtet haben (Newsletter 2).

Jazz Conceptions abgesagt

Wegen der aktuellen Krise und in Abstimmung mit dem Oberbürgermeister der Wissenschaftsstadt Darmstadt haben wir uns entschlossen die diesjährigen Jazz Conceptions abzusagen, die für Juli geplant war und die 29ste Ausgabe des Workshops gewesen wären (Jazz Conceptions).

On the Radio

Roland Spiegels Feature über die Auswirkungen von COVID-19 auf die Jazzszene ist nach wie vor als Podcast-Download zu hören, und Teile des Gesprächs mit Wolfram Knauer finden sich als Abschrift auf der Website des Senders, ergänzt durch Statements des Klarinettisten Rolf Kühn, der Pianistin Julia Kadel und des Gitarristen Ronny Graupe (BR Klassik). Daniella Baumeister sammelte Statements von Knauer, den Bassisten Stephan Schmolck und Lisa Wulff, dem Gitarristen Michael Sagmeister und der Pianistin Anke Helfrich über ihre persönliche Situation in der Krise (hr2 Kultur). Julia Neupert spricht mit der Saxophonistin Kerstin Haberecht (SWR), mit Arndt Weidler vom Jazzinstitut (SWR) und anderen (SWR) über die Krise.

Bleiben Sie gesund und hören und unterstützen Sie auch weiterhin die Musik!


JazzNews, No. 8 (9. bis 22. April 2020)

9. April 2020
Kendrick Lamar / Jazz on a Summer’s Day

Marcus J. Moore blickt auf den Rap-Star Kendrick Lamar, dessen Album „To Pimp a Butterfly“ von 2015 er als „Collage aus HipHop, Funk und Soul, mit Jazz als klarem Zentrum“ beschreibt, und sucht dann nach Jazzelementen in Lamars Album „Damn.“, aus dem er sich besonders den letzten Track, „Duckworth“, anhört, über den er urteilt, das sei nun wirklich „Jazz – die Kunst der Improvisation, ein Drahtseilakt zwischen Gleichgesinnten ohne Sicherheitsnetz“ (NPR). — Nate Chinen sieht sich den Dokumentarfilm „Jazz on a Summer’s Day“ über das Newport Jazz Festival 1959 an, der vor 60 Jahren in die Kinos kam, und sieht in ihm ein „faszinierendes sozialgeschichtliches Dokument: ein Portrait über amerikanische Freizeit und Privilegien in Zeiten der Eisenhower-Ära, voll sonniger Hoffnung und unterdrückter Spannung“, wobei er durchaus mit der Kritik übereinstimmt, der Film sei „das Produkt der Laune eines Fotografen“, um dann die Geschichte des Newport Jazz Festivals zu erzählen, das 1954 begann und bereits zwei Jahre später als Hintergrund für den Hollywood-Film „High Society“ diente, aber auch das Medienimage von Newport zu diskutieren, das den Jazz „als etwas Glamouröses und Modernes“ wirken ließ. Er erzählt vom Regisseur Bert Stern, der eigentlich Werbefotograf war, und blickt dann näher auf Szenen aus „Jazz on a Summer’s Day“, wobei er nicht nur die Musik heraushebt, sondern auch die Kameraführung, die oft die Zuschauer im Blick hatte, und er erinnert seine Leser daran, dass der Freebody Park, in dem das Festival stattfand, alles andere als glamourös war, was Stern wohl zur Entscheidung brachte, keine Totalen des Festivalgeländes zu zeigen. Und schließlich argumentiert Chinen, dass der Film nicht nur der Musik wegen einflussreich war, die er dokumentiert, sondern darüber hinaus auch, weil es ein ganz eigenes Filmgenre begründete (WBGO).

12. April 2020
Bill Evans / Emil Mangelsdorff

Ethan Iverson hat eine weitere Folge seiner Unterrichtsinhalte online gestellt, die diesmal von der harmonischen Sprache des Pianisten Bill Evans handelt. Er erklärt, wie einige der französischen impressionistischen Komponisten das harmonische Idiom des Jazz der 1950er Jahre geprägt hätten, deren harmonisches Vokabular wiederum von Chopin beeinflusst gewesen sei, und wie auf dem Album „Everybody Digs Bill Evans“ einige Stücke „den Beat und Blues vollständig negieren. Hier bezieht sich fast alles auf europäische Einflüsse“. Er spekuliert über spezifische Vorbilder für Evans‘ „Peace Piece“ und „Epilogue“, hört die Trioaufnahme „Jade Visions“ aus dem Album „Sunday at the Village Vanguard“ als „eine Vorlage für den berühmten ECM-Sound“, und erklärt, wo Evans‘ Einfluss in Chick Coreas „Now He Sings, Now He Sobs“ zu finden ist (Do the Math). — Claus-Jürgen Göpfert spricht mit dem Saxophonisten Emil Mangelsdorff, der dieser Tage 95 Jahre alt wird, über seine Übe-Routinen, über sein Sicht auf die aktuelle Krise, über seine Erinnerung daran, wie er wegen seiner Liebe zum Jazz im Nazideutschland verfolgt wurde, über die „politische Dimension“ seiner Musik, sowie darüber, dass er die Feier zu seinem 95sten Geburtstag jetzt einfach um ein Jahr verschoben habe (Frankfurter Rundschau).

15. April 2020
Tony Lakatos / Daniel Schenker

Zach Sollitto spricht mit dem Saxophonisten Tony Lakatos über seine Anfänge in der Musik und den Wechsel von der Geige zum Saxophon im Alter von 16 Jahren, über einige seiner Einflüsse (Rollins, Gordon, Shorter, Coltrane, Brecker), über das Glück mit seiner Stelle in der hr-Bigband finanziell abgesichert zu sein, über das Unterrichten, sowie über das Projekt The Gypsy Tenors mit den beiden Saxophonisten Rick Margitza und Gabor Bolla (Best Saxophone Website Ever). — — Christoph Merki spricht mit dem Schweizer Trompeter Daniel Schenker über seine erste Karriere als Informatiker, über sein jüngstes Album „Times of Innocence“, darüber, dass er schon immer sowohl künstlerisch wie auch als Pädagoge aktiv sein wollte, über die Stellung des Jazz in der Schweiz heute, sowie darüber, dass das Wort „Innocence“ im Albumtitel nicht so sehr für „Unschuld“ als vielmehr für „Unbeschwertheit“ stehen solle (Basler Zeitung).

18. April 2020
Christopher Dell / Ramsey Lewis

Ulrich Stock spricht mit dem Vibraphonisten Christopher Dell über seine Trios DRA und DLW (benannt nach den Initialen der Mitspielenden), über die Faszination des „Schwierigen“ und des Komplexen, über Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Improvisation und Komposition, über seine Kindheit in Indien, die Wahl des Vibraphons, die Begeisterung, als er zum ersten Mal Milt Jackson hörte, sein Studium bei Gary Burton und die Erfahrung Stockhausen und anderen bei den Darmstädter Ferienkursen zu begegnen (Dell ist gebürtiger Darmstädter), über seine andere Karriere um Umfeld von Architekturtheorie und Stadtplanung, über die Arbeit an Anton Weberns „Sechs Bagatellen, op. 9“ zusammen mit Musikerkollegen, über Multiperspektivität, sowie über das nicht Beschreibbare in der Musik, das er nicht als Magie bezeichnen würde, sondern in dem er eher eine Art Hoffnung erkennt (Die Zeit). — Howard Reich spricht mit dem Pianisten Ramsey Lewis darüber, dass er sich vor allem vom Reisen zur Ruhe gesetzt habe, nicht von der Musik, darüber, wie seine Frau, die ihn eines Tages beim Üben filmte, ihn auf die Idee gebracht habe, ein einstündiges Livekonzert aus seinem Wohnzimmer live zu streamen, über Zeit für Lektüre und das Üben auch klassischer Klavierliteratur während der aktuellen Selbstisolation, sowie über eine Lektion seiner ehemaligen Klavierlehrerin, die ihn immer ermahnt habe, das Instrument zum Singen zu bringen (Chicago Tribune).

21. April 2020
Corona (V)

Wie man mit der Situation umgeht

Zu den Musikern, die ernsthaft an COVID-19 erkrankten, gehört auch der Posaunist Ron Wilkins, der seit dem 4. April beatmet wird (News 4 San Antonio, San Antonio Current). Den Pianisten Nachito Herrera und Darius Brubeck, von denen wir in der letzten Ausgabe berichteten, dass sie beatmet werden, geht es besser (Pioneer Press, Sunday Tribune). — Anastasia Tsioulcas berichtet über Musiker, die während der Corona-Krise dazu übergegangen sind online zu unterrichten. Sie spricht mit dem Bassisten Steve Whipple, der Flötistin Barbara Siesel, dem Trompeter Chris King, und der Singer-Songwriterin Amy Speace (NPR). — Josh Linkner fragt, wie Künstler die Selbstisolation für die eigene Entwicklung nutzen können und findet ein Beispiel in Charlie Parkers selbstgewählter Isolation zum Üben in den Ozarks (Detroit Free Press). — Die Louis Armstrong Educational Foundation hat einen Notfall-Fonds für Musiker*innen aus der Region New York ins Leben gerufen (WBGO, Louis Armstrong Educational Foundation), auch das New Orleans Jazz and Heritage Festival hat einen ähnlichen Fond für Musiker aus der Region um New Orleans etabliert (My New Orleans, New Orleans Jazz and Heritage Festival). — Christopher Leach erinnert an das Ritual des Jazz Funeral, das dieser Tage in New Orleans nicht mehr begangen werden kann (Fox2Now). — Howard Reich korrespondiert mit der chinesischen Jazzjournalistin Jiaowei Hu über das Jazzleben in Shanghai in Zeiten von Corona (Chicago Tribune). — Karl Schönholtz spricht mit dem Pianisten Jan Luley darüber, wie er mit den Auswirkungen der Krise auf seine Arbeit und sein Einkommen umgeht (Hersfelder Zeitung).

Hilfsmaßnahmen (in Deutschland)

Die unserer Meinung nach beste und zugleich regelmäßig aktualisierte Zusammenfassung und Übersicht über die Hilfsmaßnahmen von Bund und Ländern findet sich beim Deutschen Kulturrat (Links zu Bund und Ländern auf der Ausgangsseite). Dessen Geschäftsführer Olaf Zimmermann fasst auch die Kritik an den diversen staatlichen Fördermodellen zusammen und versucht sie ins größere Bild einzuordnen (Kulturpolitischer Wochenreport). Währenddessen klagt Sonja Zekri, dass Musik, Theater oder Bildende Kunst in der Debatte über die Coronakrise kaum eine Rolle spielen würden (Süddeutsche Zeitung), und der frühere Bundesinnenminister und Fürsprecher für Kultur Gerhard Baum plädiert dafür freischaffende Künstler*innen als „systemrelevant“ zu verstehen (Der Tagesspiegel, 3Sat). Mehr Links und Informationen über aktuelle Hilfsmaßnahmen in der Bundesrepublik finden sich auf unserer Website (Jazzinstitut/Corona).

Online Jazz

Neben den Websites, die wir bereits in unserem Post vom 7. April 2020 genannt haben, finden sich Auflistungen von aktuellen Online-Streams (cross-Genre) etwa auf Tonspion. — Hier ist eine Auswahl an Jazz-Podcasts (SWR). — Geoff Edgers betrachtet einige der Online-Ausstellungen des Louis Armstrong House Museum (Washington Post, Louis Armstrong House Museum). — Der Pianist Sam Leak gibt aus eigener Erfahrung ein paar Tipps fürs Livestreaming (London Jazz News).

… und sonst noch …

Der Saxophonist Johannes Enders spricht über sein jüngstes Album „Dear World / Hikikomori“ (Bayerischer Rundfunk). — Der Pianist Herbie Hancock feiert seinen 80sten Geburtstag, und Karsten Mützelfeldt (SWR), Karl Lippegaus (Deutschlandfunk) und Charles Waring (U Discover Music) feiern mit (SWR). — Der britische Posaunist Chris Barber wird 90 und Wolfgang Sandner (Frankfurter Allgemeine Zeitung) sowie Richard Williams (The Blue Moment) gratulieren. — Doug Moe spricht mit dem Pianisten und Sänger Ben Sidran über eine neue Biographie, die er über den Produzenten Tommy LiPuma verfasst hat (Channel 3000). — Wir sind uns auch nicht sicher, was es bedeutet, aber der Boulevardkolumnist Franz Josef Wagner hört dieser Tage Ella Fitzgerald (Bild). — Der Saxophonist Daniel Erdmann erhält den diesjährigen SWR Jazzpreis (SWR). — In einer Reihe fiktionaler Briefe zollt der Bassist Dieter Ilg Ludwig van Beethoven Respekt, der dieses Jahr seinen 250sten Geburtstag feiert (Deutschlandfunk).

Nachrufe

In den vergangenen zwei Wochen haben wir mehr Nachrichten vom Ableben von Jazzmusikern erhalten als je zuvor, seitdem wir diesen Newsletter herausbringen. Nicht alle sind direkt am COVID-19-Virus verstorben, aber diese Tage der Selbstisolation und Sorge um sich selbst oder um Angehörige mögen sehr wohl mit-ursächlich für den einen oder anderen Tod gewesen sein, der offiziell nicht mit dem Virus in Zusammenhang gebracht wurde. Die Nachrichten sind hart für jeden in der Jazz-Community, weil so viele dieser Musiker Künstler waren, die wir bewunderten, deren Musik unsere Liebe zu dieser Musik prägten. So viele Geschichten, so viele Erinnerungen, so viel Musik…

Wir erfuhren vom Ableben des Pianisten Onaje Allan Gumbs im Alter von 70 Jahren (WBGO, New York Times), des Trompeters Peter Ecklund im Alter von 74 Jahren (Historic Brass Society), des Pioniers elektronischer Musik Richard Teitelbaum im Alter von 80 Jahren (NPR, New York Times), des Bassisten Andy Gonzalez im Alter von 69 Jahren (NPR, New York Times), der Pianistin Joan Wildman (Tone Madison), des Pianisten Debo Dabney im Alter von 68 Jahren (6 News Richmond), des Gitarristen Ryo Kawasaki im Alter von 73 Jahren (Jazz Blues News, Billboard), des Bassisten Jymie Merritt im Alter von 93 Jahren (WBGO, WRTI, The Philadelphia Inquirer), des holländischen Pianisten Louis van Dijk im Alter von 78 Jahren (NL Times), der Sängerin Betty Bennett Lowe im Alter von 98 Jahren (San Diego Union-Tribune), des Konzertagenten Gert Pfankuch im Alter von 65 Jahren, des Pianisten Joe Torres im Alter von 76 Jahren (WBGO), des Sammlers Ronald Pikielek im Alter von 87 Jahren (Grosse Pointe News), der niederländischen Trompeterin Sanne van Hek im Alter von 41 Jahren (Moers Festival), der Jazzpromoterin (und Witwe des Bassisten Earl May) Lee Boswell May at the age of 74 (Tap into SOMA), des Musikwissenschaftlers (und langjährigen Direktors des Louis Armstrong Archive) Michael Cogswell im Alter von 66 Jahren (Louis Armstrong House Museum), sowie des Pianisten Otto Wolters im Alter von 82 Jahren (Initiative Jazz Braunschweig / Facebook, Otto Wolters).

An den Folgen oder an Komplikationen verursacht durch COVID-19 starben der Produzent Hal Willner im Alter von 64 Jahren (Variety, New York Times), die Sängerin Jan Fourney im Alter von 66 Jahren (Waco Tribune-Herald), der Pianist Joseph Fogarty im Alter von 77 Jahren (Newsday), der Toningenieur Sam Clayton Jr. im Alter von 59 Jahren (New York Times), der Saxophonist Lee Konitz im Alter von 92 Jahren (WBGO, New York Times, Washington Post, Do the Math, The Guardian, Frankfurter Allgemeine Zeitung), der Pianist Dave Roper im Alter von 82 Jahren (The Morning Call), der Bassist Henry Grimes im Alter von 84 Jahren (WBGO, The Blue Moment, New York Times), der Saxophonist Giuseppi Logan im Alter von 84 Jahren (WBGO, Essence, New York Times), sowie der Banjo-Spieler Eddy Davis im Alter von 79 Jahren (WBGO).

Aus der Welt der Jazzforschung

National Museum of African American Music

Dave Paulson berichtet über das National Museum of African American Music, das im September in Nashville, Tennessee, eröffnen soll, und erklärt, dass „der Baufortschritt sich zwar ‚etwas verlangsamt hat‘, die feierliche Eröffnung am Labor Day-Wochenende aber nach wie vor geplant ist“ (Tennessean).

Letzte Woche im Jazzinstitut

Coronavirus „Öffnungs“zeiten

Wir wir bereits in den letzten JazzNews berichtet haben, sind Konzerte im Gewölbekeller des Jazzinstituts bis zum 31. Mai abgesagt. Das Archiv des Jazzinstituts werden wir entsprechend den Landesverordnungen und den Anordungen durch die Wissenschaftsstadt Darmstadt voraussichtlich Anfang Mai wieder für Besucher öffnen. Wir bitten allerdings fürs erste um verbindliche Anmeldungen bei geplanten Besuchen. Viele Fragen lassen sich darüber hinaus telefonisch oder per e-Mail klären. Sie erreichen uns zu den üblichen Bürozeiten per Telefon, also montags, dienstags und donnerstags von 10-17 Uhr und freitags von 10 bis 14 Uhr, und immer per e-mail.

COVID-19

Die Bundesregierung hat eine Reihe an Maßnahmen auf Bundesebene etabliert (und die Bundesländer auf Landesebene), die der Wirtschaft bei den Auswirkungen der Corona-Krise helfen sollen. Künstler*innen und Kulturunternehmer*innen aller Art wurden von Anfang an ausdrücklich in der Reihe derjenigen genannt, für die diese Hilfe gedacht ist. Die Verfahren sind alles andere als perfekt, schließlich hat niemand, die Regierenden eingeschlossen, Erfahrungen mit einer solchen Krise, doch wir erleben, wenn auch insbesondere Kritik über die unterschiedlichen Verfahren in den 16 Bundesländern laut werden, eine bislang ungeahnte Flexibilität der oft gescholtenen Bürokratie. Im Jazzinstitut versuchen wir die sich laufend ändernden aktuellen Entwicklungen zu verfolgen (Jazzinstitut/Corona). Uns ist bewusst, wie sehr es dabei neben der zu Recht verlangten Soforthilfe auf Pläne ankommt, die sich mit den Nachwirkungen der aktuellen Krise beschäftigen. Wir erleben dieser Tage, wie wichtig Kultur ist, um zu beruhigen und Menschen miteinander zu verbinden, um Hoffnung zu machen. Wir verfolgen und unterstützen alle Initiativen, die darauf abzielen, dass unser Kulturleben, den Jazz natürlich eingeschlossen, in der Zukunft genauso reich und vielfältig sein wird wie es war, als all das begonnen hat.

On the Radio

Wolfram Knauer hatte eigentlich eine Reihe an Events um sein jüngstes Buch „‚Play yourself, man!‘ Die Geschichte des Jazz in Deutschland“ (Reclam) geplant, die der aktuellen Krise zum Opfer fielen. Jetzt hat der Gitarrist und Rundfunkmoderator Markus Fleischer ein im Februar aufgenommenes Gespräch online gestellt, in dem er mit Knauer über das Buch, die deutsche Jazzgeschichte und seine persönliche Sicht auf den Jazz spricht (Mediathek Hessen oder Soundcloud, letztere mit diskographischen Hinweisen/Links). Knauers Lesung in Erding Mitte Februar wurde aufgenommen, und ist nun als Podcast und im Download nachhörbar (Deutschlandfunk Nova). Roland Spiegel lud Knauer ein zumindest virtuell mit im Studio zu sein, um über die Auswirkungen von COVID-19 auf die internationale Jazzszene zu sprechen, ausgestrahlt am Dienstagabend und eine Weile als Podcast machhörbar (BR Klassik). Knauer ist per Videoschalte auch in einer Präsentation Loren Schoenbergs zu sehen, die sich mit der Savory Collection im National Jazz Museum in Harlem befasst (National Jazz Museum in Harlem, ab 34:45).

Bleiben Sie gesund und hören und unterstützen Sie auch weiterhin die Musik!


JazzNews, No. 7 (26. März bis 8. April 2020)

26. März 2020
Corona (III)

Viele Events und Festivals werden dieser Tage abgesagt, unter ihnen auch die Feiern zum International Jazz Day, die dieses Jahr in Kapstadt stattgefunden hätten (International Jazz Day). Gail Mitchell berichtet, dass der International Jazz Day für 2020 als virtuelle Feier umgeplant wird (Billboard). — Das Moers Festival hält währenddessen eine Online-Pressekonferenz über das für Ende Mai, Anfang Juni geplante Festival ab, in der die aktuelle Krise mit keinem Wort erwähnt wird (Moers Festival, Ruhrbarone). — Das National Endowment for the Arts hat einen mit 75 Millionen Dollar ausgestatteten Nothilfefonds für US-amerikanische Kunstinitiativen und -Organisationen bekannt gegeben (NEA). — Marc Vitali berichtet darüber, wie Chicagoer Künstler mit den Auswirkungen der COVID-19-Krise umgehen (WTTW). — News12 Westchester berichtet über eine 18-köpfige Bigband, die virtuell, d.h. jede/r von zuhause, ein Arrangement des Saxophonisten Chad LB spielt (News 12 Westchester). — In diesen Tagen der Unsicherheit lobt Peter Littger die Vorzüge der Improvisation und betont: „Wir sind Jazz!“ (NTV). — Der Saxophonist Bob Reynolds hat ein Video gepostet, dass er „My Coronavirus Tour: Italy, Spain, Germany, Japan…“ nennt, und es ist wirklich ein Trip (oh, und Darmstadt kommt auch drin vor)! (YouTube). — Und im Jazzinstitut halten wir die Information über Hilfe für Musiker/innen, Spielorte und Kleinunternehmen aktuell (Jazzinstitut).

28. März 2020
Barry Guy / Günther Kieser

Chris Searle spricht mit dem britischen Bassisten Barry Guy über seine Anfänge auf einem ein-saitigen Teekisten-Bass, über seine Begeisterung für den Jazz, ausgelöst durch ein Album mit Thelonious Monk, Dizzy Gillespie und Art Blakey, über frühe Kooperationen mit dem Schlagzeuger John Stevens und dem Posaunisten Paul Rutherford, über den Einfluss von Charles Mingus und Gary Peacock, Cecil Taylor, Bill Evans und Albert Ayler, über seine Liebe zur irischen Literatur und besonders die Arbeit von Samuel Beckett, über sein jüngstes Album „Illuminated Silence“, das er zusammen mit dem Pianisten Izumi Rakiura und dem Schlagzeuger Gerry Hemingway aufgenommen hat, sowie über seinen Wunsch, dass Politiker sich mehr mit improvisierter Musik beschäftigten, weil sie dann „lernen könnten zuzuhören“ (The Morning Star). — Reinhold Gries spricht mit dem Plakatkünstler Günther Kieser, der dieser Tage 90 Jahre alt wird, über die ersten Plakate, die er für den Konzertveranstalter Horst Lippmann entwarf, über die Suche nach einer eigenen Bildsprache in Entwürfen für Konzert- und Festivalplakate, Briefmarken oder politische Anliegen (Offenbach-Post).

30. März 2020
Chicago Underground / Dickie Wells

Noah Berlatsky hört das jüngste Album der Band Chicago Underground, einem Musikerkollektiv, dem u.a. der Kornettist Rob Mazurek, der Schlagzeuger Chad Taylor und der Gitarrist Jeff Parker angehören, und er spricht mit den dreien über die Anfänge der Band, über ihre erste Platte von 1996, über die sich wandelnde musikalische Ausrichtung, sowie über ihr jüngstes Album, „Good Days“, aber auch mit dem neuesten Mitglied der Band, dem Pianisten Josh Johnson, der das Ensemble erstmals Mitte der 2000er Jahre gehört hatte (Chicago Reader). — Ethan Iverson hört sich die Aufnahme des Posaunisten Dickie Wells‚ über „I Got Rhythm“ mit Lester Young, Bill Coleman und Ellis Larkins an, folgt dabei den „Geschichten“, die die Musiker in ihren Soli erzählen, sowie den Riffphrasen, die sie während der Aufnahme anstimmen (Do the Math).

1. April 2020
Miles Davis (+ Herbie Hancock) / Hank Mobley

John Edward Hasse blickt auf Miles Davis‚ einflussreiches Album „Bitches Brew“, das vor 50 Jahren erschien, und erklärt, warum dieses Album, mit dem Davis ein neues und jüngeres Publikum erreichen wollte, die Jazzszene bis heute beschäftigt. Er hört sich einige der Tracks näher an und lobt, dass die Platte bis heute „sprudelt und fasziniert“ (Wall Street Journal). Auch Colin Fleming hört sich Miles Davis‘ „Bitches Brew“ erneut an (The American Interest), genauso Jimmy Nelson (Something Else Reviews). Und wo wir schon in den Jahren der Fusion sind, lesen wir noch Jeremy D. Larsens Bericht über Herbie Hancocks Album „Head Hunters“ aus dem Jahr 1973 (Pitchfork). — Richard Brody hört sich eine Wiederveröffentlichung der Blue Note-Aufnahmen des Saxophonisten Hank Mobley an, reflektiert dann über Mobleys Leben, seine Beiträge zu den musikalischen Diskursen der späten 1950er, frühen 1960er Jahre, über den Frust, den er schob, als er im Miles Davis Quintet spielte, und findet, dass Mobleys Musik vielleicht nicht deutlich politisch war, dass aber „die Schärfe seiner Forschheit, seiner Herausforderungen und Infragestellungen, die man in seinem Spiel hört, klingen, als seien sie Teil eines Moments von Leidenschaft, Agitation, Fortschritt und Wandel“ (The New Yorker).

3. April 2020
Ron Carter / Thundercat

William Archambeault spricht mit dem Bassisten Ron Carter kurz vor dessen Japantournee im April („sofern es die Umstände zulassen“), über ein geplantes musikalisches Treffen mit dem Shamisen-Spieler Fumiyoshi, über seine positiven Erinnerungen an die Reaktionen des japanischen Publikums auf seine Musik, über den Unterschied zwischen Wayne Shorter und Sam Rivers, die beide in den 1960er Jahren im Miles Davis Quintet spielten, als Carter dessen Bassist war, über seine Zusammenarbeit mit dem japanischen Trompeter Terumasa Hino, sowie über den kürzlich verstorbenen McCoy Tyner (The Japanese Times). — Alex Pappademas spricht mit dem Bassisten Stephen Bruner alias Thundercat über seinen eklektischen Musikgeschmack und Einflüsse aus allen stilistischen Richtungen, über seinen Weg zur Musik, über die Erfahrung in seiner Jugend mit dem Saxophonisten Kamasi Washington abzuhängen und die Jazzszene von Los Angeles kennenzulernen, über Snoop Dog, der einmal eines seiner Soli abkürzte, über Ermutigung durch die Sängerin Erykah Badu, sowie darüber, wie sein Kompositionsstil sich veränderte, nachdem der Rapper Mac Miller im September 2018 nach einer Überdosis starb (New York Times).

5. April 2020
Stefon Harris / Guy Klucevsek

John Burnett spricht mit dem Vibraphonisten Stefon Harris über Instrumente, die nur Werkzeuge seien, aber „was wirklich wichtig ist, ist die Mission des Individuums, das diese Werkzeuge benutzt“, über Empathie auf der Bühne, die als Beispiel für nachbarschaftliches Zusammenleben, für die Schule oder für den Aufsichtsrat großer Firmen dienen kann, über den Einfluss der Kirchenmusik während seiner Kindheit, darüber, wie er das Vibraphon für sich entdeckte und meisterte, sowie über visuelle Aspekte eines Konzerts (NPR). — Anthony Creamer spricht mit dem Akkordeonisten Guy Klucevsek über Soloauftritte und solche mit anderen Musikern (oder Tänzern), über Musik in ungeraten Taktmaßen, über einige seiner ersten Aufnahmen, über seine Zusammenarbeit mit John Zorn und sein „Cobra“-Projekt, über die Inspiration für die Titel seiner Stücke sowie für die Kompositionen selbst, über das Experimentieren mit der Tradition der Polka (und anderen musikalischen Genres), über seine Liebe zum Baseball, über seine musikalischen Anfänge, über Aufführungen von Stücken von Aaron Copland oder Charles Ives und seine Verbindung zu Pauline Oliveros, über seinen eigenen kompositiorischen Ansatz, sowie über sein jüngstes „Vignettes“-Projekt (Do the Math).

7. April 2020
Corona (IV)

Wie man mit der Situation umgeht

Zu den Musikern, die ernsthaft am Coronavirus erkrankten, gehören der Pianist Ignacio „Nachito“ Herrera (Twin Cities Pioneer Press) sowie der Pianist Darius Brubeck. Wir haben auch von anderen, milderen Fällen aus der Jazz Community gehört und wünschen jedem und jeder einzelnen gute und vollständige Genesung! — Andrew Gilbert berichtet über den Saxophonisten Art Maxwell aus San Francisco über Blutspenden in Zeiten von Corona (San Francisco Chronicle). — Vincent Harris berichtet, wie das Charleston Jazz Orchestra mit der aktuellen Situation umgeht (Charleston City Paper). — Georg Rudiger spricht mit dem österreichischen Trompeter Thomas Gansch und seinem deutschen Kollegen Thomas Siffling über das Jazzgeschäft in Zeiten von Corona, und leider nutzen beide die Gelegenheit auch noch ein bisschen zum Kollegenbashing, beklagen, dass viele Musiker halt kein wirkliches Geschäftsmodell für sich aufgebaut hätten, und dass die Avant-Garde-„Puristen“ einer breiteren Akzeptanz des Jazz wenig geholfen hätten (Frankfurter Allgemeine Zeitung). — Silia Wiebe spricht mit dem in Georgien geborenen Hamburger Bassisten Giorgi Kiknadze über die Situation von Künstlern in seinem Heimatland, über seine eigene Art mit dem durch die Krise ausgelösten Stress und der Unsicherheit umzugehen, über neue Aufgaben, die er dieser Tage als Vater zweier Kinder wahrnimmt, sowie über das Unterrichten per Skype oder Facetime (Redaktionsnetzwerk Deutschland). — Howard Reich berichtet darüber, wie ältere Musiker aus Chicago mit der aktuellen Situation zurechtkommen und spricht mit dem 84 Jahre alten Pianisten Erwin Helfer, dem 93 Jahre alten Saxophonisten George Freeman, dem 84 Jahre alten Trompeter Bobby Lewis, und der 80 Jahre alten Sängerin Frieda Lee (Chicago Tribune). — In der zweiten Folge seines Berichts darüber, wie die Jazzszene mit der Krise umgeht, spricht Jan Tengeler mit Stephanie Marcus vom Label Traumton und mit Rüdiger Herzog vom Label Herzog Records (NDR). — In der dritten Folge seines Berichts spricht Jan Tengeler mit Jazz-Pädagogen wie dem Posaunisten Jörn Marcussen-Wulff und der Sängerin Barbara Barth (NDR). — Das Fauves Magazin schaut in die Region um Mainz und spricht mit dem Trompeter Markus Mebus, dem Bassisten Michael Goldmann, dem Pianisten Simon Höneß, sowie den Club-Promoter Hermann Junglas, Wieland Wittmeier und Ersin Akgül darüber, wie die Krise um den Coronavirus ihre künstlerische Arbeit, ihre Zukunftspläne und ihr Leben beeinflussen (Fauves). Im zweiten Teil des Berichts sprechen die Autoren mit der Band Hanne Kah, dem DJ Psycho Jones, der Sängerin Melody Connor, der Saxophonistin Kerstin Haberecht und dem Veranstalter Moritz Eisenach (Fauves). — Earshot Jazz schaut darauf, wie die Jazz-Community in Seattle mit der aktuellen Situation umgeht (Earshot Jazz). — Dietrich Wappler spricht mit Musiker aus der Pfalz wie der Saxophonistin Alexandra Lehmler, dem Schlagzeuger Erwin Ditzner, aber auch mit den Veranstaltern Yvonne Moisl und Thomas Siffling sowie mit Wolfram Knauer vom Jazzinstitut darüber, wie die Szene mit der Krise umgeht (Die Rheinpfalz). — Tobi Müller spricht mit der Kulturstaatsministerin Monika Grütters über Hilfsmaßnahmen von Bund und Ländern für Künstler*innen und Kreativschaffende (Die Zeit).

Die Musik am Leben halten

Während die Clubs geschlossen sind, ist die Musik für eine Weile ins Internet ausgewichen. Musiker*innen, Clubs, Festivals und Kulturinstitutionen bieten Online-Präsentationen entweder von Livemusik an (allein oder mit der gebotenen physischen Distanz) oder Aufnahmen früherer Events. Viele dieser Streams sind kostenfrei; jedoch ermutigen wir jede/n die Musiker*innen zu unterstützen, egal ob diese nun streamen oder nicht, etwa indem Sie CDs direkt von deren Website bestellen. Unterstützen Sie auch Ihre lokalen Clubs, indem Sie sie wissen lassen, dass auf Sie zu zählen ist, wenn das alles vorbei ist. Mehr Information darüber, wie man die Jazzszene unterstützen kann, findet sich auf unserer Website (Jazzinstitut/Corona).

Livestreams von Musikern

Der Berliner Gitarrist Ronny Graupe begann seine Live-Videostreams mit Triokonzerten, zu denen er jeweils einen gast einlud, reduzierte diese Besetzung dann zu Duos (Facebook oder YouTube). Der Pianist Fred Hersch streamt direkt aus seinem Wohnzimmer (Facebook), wie auch der finnische Pianist Iiro Rantala (Facebook). Chick Corea, Dave Liebman, Joe Lovano und andere Musiker streamen ebenfalls Konzerte oder geben Masterclasses während eines virtuellen Festivals direkt aus ihren Wohnzimmer (Live From Our Living Rooms, 1-7 April). Mitglieder der Mingus Big Band sind an jedem Montagabend im Stream zu hören (Facebook). Die bevorstehende Monheim Triennale hat ein Duo zwischen Achim Tang und Julia Dálava über eine Video-Konferenzsschaltung gestreamt (Facebook; das Festival selbst wurde mittlerweile um ein Jahr verschoben). Das Kölner Loft streamt Solo-Klavierkonzerte etwa von Benjamin Nuss und Hans Lüdemann (Loft, YouTube); man kann auch noch das letzte größer besetzte Konzert sehen, André Nendzas Quintett On Canvas, das bereits ohne Publikum stattfand (YouTube). Der Kölner Stadtgarten streamt ebenfalls Solo- oder Duokonzerte (Stadtgarten). Jazz at Lincoln Center streamt Konzerte, Gespräche und pädagogische Inhalte (Jazz at Lincoln Center). Das Porgy and Bess in Wien streamt Solo- bis Triokonzerte an jedem Donnerstag und Samstag (Porgy and Bess).

Während viele dieser Videos im Umfeld der aktuellen Krise geboren wurden, basieren andere auf bereits bestehenden Formaten, so etwa die Reihe Pablo Held Investigates, in der der Pianist Kollegen wie Achim Kaufmann, Marc Johnson und viele andere fürs Fachgespräch über Musik vor die Kamera setzt. Der Darmstädter Gitarrist Deniz Alataz postet ebenfalls schon länger Videos, in denen er neue Instrumente ausprobiert oder mit musikalischen Licks spielt (Instagram). Auch der Saxophonist Bob Reynolds, dessen „Coronavirus Tour“-Video eine kürzliche Europatournee dokumentiert, hat seinen Video-Blog bereits seit Jahren (YouTube). Es gibt zahlreiche weitere Beispiele, die alle inspirieren, die aber alle nicht das Erlebnis ersetzen können, Musiker live auf der Bühne miteinander und mit ihrem Publikum kommunizieren zu sehen.

Offene Videoarchive

SFJazz bringt zurzeit jeden Freitag Mitschnitte vergangener Konzerte aus dem SFJazz Center in ihrer Reihe Fridays at Five (SFJazz, eine digitale Mitgliedschaft ist notwendig). Das Montreux Jazz Festival bietet kostenlos 50 Konzertmitschnitte aus der Vergangenheit an (Montreux Jazz Festival). Die Alte Schmiede in Düsseldorf stellt jeden Tag ein neues Video vregangener Konzerte online (Alte Schmiede). Das Zürcher Moods hat 500 Konzertmitschnitte in einem Online-Archiv (Moods digital, on demand oder per Abo). Das BIMhuis in Amsterdam bietet ebenfalls Konzertmitschnitte von 2019 und 2020 an (BIMhuis; wir empfehlen beispielsweise Ack van Rooyens 90ste Geburtstagsfeier).

Übersichten

Helena Nikita Schreiner diskutiert das Pro und Kontra Livemusik zu streamen (Deutschlandfunk). Übersichten über weitere Livestreams finden sich beispielsweise auf Webseiten wie NPR, tip Berlin, Süddeutsche Zeitung, JazzCity, Jazz Blog, WBGO, Hot House, Jazz Times.

Radio

In diesen Zeiten der Selbstisolation entdecken viele Leute das Radio wieder als verlässliche Informations- und Unterhaltungsquelle. In Deutschland haben Vertreter des Musiklebens sowohl private wie auch öffentlich-rechtliche Sender aufgefordert, mindestens 50 Prozent in Deutschland produzierter Musik zu senden, um das nationale Musikleben zu unterstützen (NMZ; die ARD antwortet, eigentlich tue sie das ja bereits, NMZ). Martin Hufner listet regelmäßig die Jazzprogramme der ARD-Anstalten auf (JazzZeitung, bezieht sich dabei auf ARD).

… und sonst noch …

Sean Philip Colter berichtet über den demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden, der in einer Rede den Gouverneur von Massachusetts, Charlie Baker, in „Charlie Parker“ umbenannte (The Boston Herald). — Oliver Schulz erinnert an ein Konzert mit Miles Davis, John Coltrane, dem Oscar Peterson Trio und dem Stan Getz Quartet in Oldenburg im Jahr 1960 (Nordwest-Zeitung). — Oliver Schulz erinnert außerdem an den Posaunisten, Arrangeur und Bandleader Peter Herbolzheimer, der vor zehn Jahren verstarb, und spricht mit seiner Enkelin Lisa Herbolzheimer (Nordwest-Zeitung). — David Stuckey begleitet den Schlagzeuger Produzenten Kassa Overall 48 Stunden lang und hält einige seiner Geschichten fest, berichtet über ein Rundfunkinterview, eine Performance in einem großen Geschäft sowie über ein Konzert in einem Club in Portland, Oregon (KMHD). — Die Schweizer Zeitschrift Jazz ’n More hat ihre März/April-Ausgabe zum freien Download online gestellt (Jazz ’n More). — Der Bassist Christian McBride zollt dem kürzlich verstorbenen Pianist McCoy Tyner Tribut (Christian McBride Blog). — Peter Kemper hört sich das neueste Album des Bassisten Christian McBride an, „The Movement – Revisited“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung). — Monika Herzig blickt auf Jazzmusikerinnen in der Jazzgeschichte (Allegro). — Hildegard Bernasconi spricht mit der österreichischen Kontrabassistin Gina Schwarz (Melodiva). — Mike Morgan spricht mit dem Trompeter und Musikwissenschaftler Ben Bierman (The Red Hook Star Revue).

Nachrufe

Wir erfuhren vom Ableben des polnischen Komponisten Krzysztof Penderecki im Alter von 86 Jahren (Culture, New York Times), des Schlagzeugers Bubbha Thomas im Alter von 82 Jahren (Houston Chronicle), des Trompeters Bob Ojeda im Alter von 78 Jahren (Chicago Tribune), des Pianisten Jürgen Mattern im Alter von 80 Jahren (Rhein-Neckar-Zeitung), die Sängerin Karin Oehler im Alter von 69 Jahren (Pforzheimer Zeitung), des Pianisten Dieter Reith im Alter von 82 Jahren (Dieter Reith), der Sängerin Lorraine Stern im Alter von 101 Jahren (Buffalo News), sowie des Pianisten Reinhard Giebel im Alter von 80 Jahren (JazzAge).

Der Corona-Virus hat auch in der Jazz-Community weitere Opfer gefordert. So starben an den Folgen oder an Komplikationen verursacht durch COVID-19 etwa der schwedische Posaunist Olle Holmquist im Alter von 83 Jahren (Expressen), der Rocksänger Alan Merrill (Sohn von Helen Merrill und Aaron Sachs) im Alter von 69 Jahren (Best Classic Bands), der Trompeter Wallace Roney im Alter von 59 Jahren (The Mercury News, The Blue Moment, NPR, New York Times), der Pianist Ellis Marsalis im Alter von 85 Jahren (New York Times, NPR, Wynton’s Blog), der Gitarrist Bucky Pizzarelli im Alter von 94 Jahren (New Jersey Arts, New York Times, NPR), sowie der Saxophonist Freddy Rodriguez, Sr. im Alter von 89 Jahren (Denver Post, The Denver Channel).

Aus der Welt der Jazzforschung
Kreativitätsforschung
David Rosen und Kolleg*innen der Drexel University erforschen, wo im Gehirn Kreativität entsteht, indem sie die EEGs improvisierender Jazzgitarristen untersuchen (Science Daily).
Larry Appelbaum
Der Forscher, Journalist und Tontechniker Larry Appelbaum begann 1979 für die Library of Congress zu arbeiten, erst in einem studentischen Nebenjob, dann als Tontechniker und Leiter des Magnetic Recording Lab, schließlich als Bibliothekar in der Musikabteilung. In seinen verschiedenen Aufgabenbereichen entdeckte er bislang unbekannte Aufnahmen von Thelonious Monk mit John Coltrane, half bei der Wiederveröffentlichung wichtiger Aufnahmen Jelly Roll Mortons, kaufte bedeutende Sammlungen an wie die von Max Roach, Eric Dolphy, Billy Strayhorn, Machito, Bruce Lundvall und vielen anderen. Vor allem aber war und ist er eine Quellen unendlichen Wissens, das er gern mit Forschern aus aller Welt teilte. Nach einem Schlaganfall im Juni 2017 arbeitete er eine Weile von zuhause und ist jetzt von seiner hauptamtlichen Tätigkeit für die Library of Congress in den Ruhestand getreten (Library of Congress). Genieße Deinen Ruhestand, Larry!
Letzte Woche im Jazzinstitut
Coronavirus „Öffnungs“zeiten

Wir wir bereits in den letzten JazzNews berichtet haben, sind sowohl das Archiv wie auch der Gewölbekeller des Jazzinstituts bis zum 31. Mai für die Öffentlichkeit geschlossen. Sie erreichen uns zu den üblichen Bürozeiten per Telefon, also montags, dienstags und donnerstags von 10-17 Uhr und freitags von 10 bis 14 Uhr, und immer per e-mail. Unsere Arbeitsschwerpunkte haben sich dieser Tage verändert: Wie Sie alle verfolgen wir die täglichen Nachrichten und sind, wie Sie alle, besorgt über die Auswirkungen der Krise auf die Jazzszene. Wir versuchen mit Musikern, Club- und Festivalpromotern, Konzertagenten, Label- und Studioleitern in Kontakt zu bleiben, aber auch mit den verschiedenen Lobbyorganisationen in Deutschland sowie mit der Kulturpolitik auf kommunaler, Landes- und Bundesebene. Wir versuchen eine Stimme zu sein, die die vielen Sorgen der Jazzszene bündelt, und wir unterstützen in diesem Teil unserer Arbeit die Sichtbarkeit und die Aktivitäten anderer Partner, insbesondere der Deutschen Jazzunion.

Zukunftspläne

Wenn auch alles für die nächsten zwei Monate auf Stopp gestellt wurde, planen wir doch für die Zukunft. Wir freuen uns auf die für Juni geplanten Konzerte, aber auch auf unseren jährlichen Workshop, die Jazz Conceptions im Juli. Alle Veranstaltungen stehen allerdings unter Vorbehalt, wir sind in Kontakt mit dem Krisenzentrum der Stadt Darmstadt und werden die Öffentlichkeit informieren, sollte sich etwas ändern.

Die Zbigniew Seifert International Violin Competition übrigens, ein Wettbewerb der Zbigniew Seifert Foundation in Krakau, deren Partner wir seit Jahren sind, soll auf jeden Fall stattfinden, entweder als Liveevent oder online. Geiger aus allen Teilen der Welt können sich noch bis zum 30. April 2020 zur Teilnahme am Wettbewerb anmelden.

Archivarbeit

Während wir die Besucherzahl auf Null heruntergefahren haben, tauchen wir selbst ins Archiv ab, digitalisieren jede Menge Material und räumen Archivboxen in ein neues Lager, das wir in einem Nachbargebäude angemietet haben und das uns und unserer Nutzern künftig etwas mehr Platz im Kavaliershaus des Jazzinstituts geben wird. Wir stehen Forschern aus aller Welt nach wie vor mit Hilfe zurseite, die uns beispielsweise um Bibliographien aus unserem Jazz Index anschreiben, oder Fans, die Fragen zu einer Vielzahl an Aspekten von Jazzgeschichte und -gegenwart haben. Und wenn wir Euch alle auch vermissen, versuchen wir doch mit so vielen wie möglich in Kontakt zu bleiben.

Bleiben Sie zuhause, bleiben Sie gesund, unterstützen Sie die Musik!


JazzNews, No. 6 (12. bis 25. März 2020)

12. März 2020
Corona (I)

Okay, Corona hat zugeschlagen, überall auf der Welt. Und wenn auch jede Branche leidet, so trifft es die Jazzwelt jedenfalls nicht weniger schwer. Festivals und Konzerte wurden abgesagt, Musiker mussten ihre Tourneen abkürzen oder fanden sich an Orten, an denen sie eigentlich gar nicht sein wollten, der Flugverkehr oder andere Arten des Reisens sind nahezu zum erliegen gekommen. Wir haben von deutschen Musikern gehört, die in den USA gestrandet sind, aber genauso von amerikanischen Kollegen, die versuchten aus Europa zurück nach Hause zu fliegen (und wir gehen davon aus, dass sie alle mittlerweile zuhause sind). Und wir wissen um die ökonomischen Probleme, die das alles, von den Gesundheitssorgen mal ganz abgesehen, für die Künstler*innen und Veranstalter*innen bedeutet. Die Ministerin für Kultur und Medien Monika Grütters hat immerhin versprochen, Kultureinrichtungen und Künstler zu unterstützen und „auf unverschuldete Notlagen und Härtefälle“ zu reagieren, die auf die Pandemie zurückzuführen sind. Sie betont außerdem: „Wir erkennen in dieser Situation aber auch: Kultur ist nicht ein Luxus, den man sich in guten Zeiten gönnt, sondern wir sehen jetzt, wie sehr sie uns fehlt, wenn wir für eine gewisse Zeit auf sie verzichten müssen.“ (Bundesregierung, siehe auch: NMZ, Deutsche Jazzunion, IG Jazz Berlin).

Das Jazzinstitut ist für die Öffentlichkeit geschlossen, jedoch können Sie uns weiterhin per Telefon oder e-mail erreichen. Wir bieten Forschern, Journalisten und Fans weiterhin unsere Hilfe bei Recherchen an, sehen uns zusehends aber auch als Partner der Jazzszene selbst. Als solcher haben wir beispielsweise auf unserer Website eine hoffentlich nützliche Sammlung an Links über Hilfsmaßnahmen (auch) für die deutsche Jazzszene zusammengestellt, die wir täglich aktualisieren.

14. März 2020
Shabaka Hutchings / Kamasi Washington

Giovanni Russonello spricht mit dem britischen Saxophonisten Shabaka Hutchings über das zweite Album seiner Band Shabaka and the Ancestors, über die Möglichkeiten der Musik, „unsere Utopien auszudrücken“, die Zukunft zu imaginieren, zu eruieren, „was man verbrennen und was gerettet werden sollte“, über die „ruhelose Energie“ der Stadt Johannesburg, aus der die meisten Musiker seiner Band stammen, über einige der Inspirationen aus der Jazzgeschichte sowie aus dem aktuellen Jazz; und er spricht außerdem mit dem Vokalisten Siyabonga Mthembu und dem Schlagzeuger Tumi Mogorosi (New York Times). Ammar Kalia spricht ebenfalls mit Shabaka Hutchings, über aktuelle britische Skandale wie die Deportation jamaikanischer Einwanderer, über das, was er eine „Krise der Männlichkeit“ nennt („die Tatsache, dass Jungs nicht beigebracht wird, dass sie auch verletzlich sein dürfen, oder dass sie keine Vorbilder haben, von denen sie lernen können“), sowie über die Notwendigkeit, in seinem Musikmachen politisch zu bleiben, was, wie Kalia es ausdrückt, wie „ein Trojanisches Pferd wirkt, das die Hörer aus ihrer Selbstgefälligkeit weckt“ (The Guardian). — Chris Conde spricht mit dem Saxophonisten Kamasi Washington über Musik, die ihn als Jugendlicher beeinflusste (Art Blakey, Wayne Shorter, John Coltrane), über die Gründe, warum er das Saxophon als Instrument wählte (es fühlte sich an wie seine eigene Stimme), über die wichtigste Botschaft seines Albums „Heaven and Earth“ (die Welt ist nicht nur, was wir aus ihr machen, sondern auch, was wir denken, dass sie ist), über Spiritualität und die Idee von Gott in seiner Musik, über die Zusammenarbeit mit Kollegen zwischen Jazz und HipHop, über das wiedererstarkte Interesse an Instrumentalmusik wie Jazz in den letzten Jahren, sowie über Ratschläge, die er jungen Kids geben würde, die ein Instrument lernen wollen, um sich selbst auszudrücken (San Antonio Current).

16. März 2020
Emme Kemp / Terri Lyne Carrington

Deardra Shuler spricht mit der Pianistin und Sängerin Emme Kemp über eine Kindheit zu Zeiten der Rassentrennung, über Auftritte vor amerikanischen Soldaten in den 1950er Jahren, sowie über ihre Aufnahmen mit dem Ragtime-Pianisten und -Sänger Eubie Blake (Black Star News). — Charley Ruddell spricht mit der Schlagzeugerin Terri Lyne Carrington über die Tatsache, dass die Jazz-Community weibliche Instrumentalistinnen einfach übersehen hat, über ihre meist männlichen Mentoren, denen sie aber auch die Ehefrauen von Musikern gegenüberstellt, die oft jede Menge Geschäfts- und Management-Erfahrungen besaßen, über die Schwierigkeit, ein Label zu finden, obwohl ihre Debutplatte sich mehr als 100.000 mal verkauft hatte, über ihre Band Social Science, „die durch die Fusion von Hip-Hop-, Neo-Soul- und Jazzelementen auch einen Schwerpunkt auf das Thema der gesellschaftlichen Gerechtigkeit legt“, sowie über das Berklee Institute of Jazz and Gender Justice, das sie im August 2018 mit gegründet hat (WBUR).

18. März 2020
Charles Lloyd / Jim Alexander

George Varga spricht mit dem Saxophonisten Charles Lloyd darüber, dass er „die Neugier eines Anfängers und das Glück der Erfahrung“ besitze, über sein jüngstes Blue Note-Album, „8: Kindred Spirits (Live from The Lobero)“, über Bach und Bird, die er in ihrer Hingabe für die Musik für vergleichbar hält, über den Respekt, den er auch für Musiker anderer Genres empfindet, solange sie ihre mit Ernsthaftigkeit arbeiten, über die Zeit, in der er mit Bob Dylan in New York abhing, sowie über seinen eigenen Pfad, den er mit dem Hinweis auf eine spirituelle Weisheit beschreibt: „Was immer du suchst, sucht dich auch“ (San Diego Union-Tribune). — Shelia M. Poole spricht mit dem Fotografen Jim Alexander über ein Foto, dass er einmal von Count Basie auf der Männertoilette eines Clubs machte, über seinen Einsatz für die Bürgerrechtsbewegung, darüber, wie er seine Karriere als Fotograf überhaupt begann, über einen Perspektivwechsel, ausgelöst durch den Anschlag auf Rev. Martin Luther King, sowie über Ratschläge, die er von seinem berühmten Kollegen Gordon Parks erhielt (The Atlanta Journal-Constitution).

20. März 2020
Muriel Grossmann / Business

Christian Staas spricht mit der Saxophonistin Muriel Grossmann über das Leben auf der Balearen-Insel Ibiza, über ihre Faszination mit spirituell inspirierender Musik, über afrikanische Einflüsse, die sie mit einer „panafropäischen Vision“ und dem Vokabular des amerikanischen Jazz darbietet, sowie darüber, dass sie durchaus auch auf die „große Bühne“ wolle, aber nicht um den Preis der Selbstbestimmung (Die Zeit). — Ulrich Stock spricht mit Musikern über die benötigten managerialen Fähigkeiten, die es braucht, um nicht nur ihr Instrument zu spielen, sondern darüber hinaus auch YouTube-Videos zu drehen, Fotosessions zu organisieren, Plattencover oder sogar Bühnenbilder zu entwerfen, Spotify, Facebook, SoundCloud und Bandcamp zu beliefern, Transportfragen zu lösen, Cocktailrezepte zu testen und zudem vielleicht noch an einer Hochschule zu unterrichten. „Warum machen sie das? Wie schaffen sie das? Und hält ihre Musik dieser Rundumbeanspruchung stand?“ Zur Beantwortung dieser Fragen über die DIY-Mentalität im Jazz spricht er mit dem Schlagzeuger Christian Lillinger, dem Trompeter Philipp Püschel, dem Bassisten Lukas Kranzelbinder, dem Pianisten Nik Bärtsch und dem Posaunisten Nils Wogram (Die Zeit).

22. März 2020
Magda Mayas / Miles Davis

Maxi Sickert spricht mit der PianistinMagda Mayas über ihre erste Begeisterung für Jazz und improvisierte Musik, über ihre Technik der Präpapration des Klaviers, ohne dass dies für das Instrument schädlich ist, über ihre Ankunft in Berlin im Jahr 1999, als die Stadt voller Orte war, an denen nach neuen, unerhörten Klängen geforscht wurde, über das Duo Spill mit dem Schlagzeuger Tony Buck, über die anhaltende Faszination mit der lebendigen Berliner Szene, über die Notwendigkeit, ihre musikalische Arbeit durch andere Aktivitäten zu finanzieren, sei es akademische Arbeit oder musikalische Forschung, sowie darüber, dass die Musik, in der sie sich bewegt, eigentlich immer politisch ist (Die Zeit). — Jacob Nierenberg und Jordan Blum schauen auf Kooperationen des Trompeters Miles Davis mit dem Pianisten Chick Corea, mit Davis‘ Ehefrau Betty (Mabry) Davis, mit dem Arrangeur Gil Evans, mit dem Pianisten Herbie Hancock, mit dem Produzenten Teo Macero, mit dem Gitarristen John McLaughlin, mit dem Bassisten Marcus Miller, mit den Saxophonisten Sonny Rollins und Wayne Shorter, sowie mit dem Schlagzeuger Tony Williams (Consequence of Sound).

24. März 2020
Corona (II)

Die Corona-Krise (COVID-19) berührt jede und jeden auf dieser Erde. Ein Großteil des Planeten übt sich im „social distancing“ und im gleichzeitigen Sich-Sorgen umeinander. Auch in der Jazzwelt wurden die ersten Corona-Fälle gemeldet. So wird etwa der 86-jährige kamerunische Saxophonist Manu Dibango wegen des Virus in einem Krankenhaus behandelt (RTL), in Spanien starb der argentinische Saxophonist Marcelo Peralta, nachdem er positiv auf das Virus getestet wurde (Jazz Times), in New York der Pianist Mike Longo. — Der Trompeter und Vorsitzende der Deutschen Jazzunion Nikolaus Neuser spricht über die Auswirkungen der Krise auf Jazzmusiker (3-sat). — Sonja Zekri verlangt von der Kulturpolitik Unterstützung für freischaffende Künstler*innen (Süddeutsche Zeitung). — Jan Tengeler spricht mit dem Posaunisten Nils Wogram, dem Trompeter Frederik Köster und dem Veranstalter Matthias von Welck über finanzielle und künstlerische Auswirkungen auf ihre jeweiligen Aktivitäten (NDR). — Howard Reich spricht mit dem Pianisten Orrin Evans, dem Gitarristen Andy Brown und der Sängerin Petra van Nuis darüber, wie sie mit der Situation umgehen (Chicago Tribune). — Rita Argauer berichtet über lokale (München-basierte) Versuche Musiker*innen, Künstler*innen und Veranstaltern durch die Krise zu helfen (Süddeutsche Zeitung). — Rachel Martin spricht mit Nate Chinen, der den britischen Saxophonisten Shabaka Hutchings über die Auswirkungen des Virus auf die Jazzszene zitiert, sich darüber beklagt, dass es gegen eine solche Krise keine Versicherung für Musiker*innen gäbe, und dann Beispiele gibt, wie einzelne mit der Situation umgehen, die Sängerin Cecile McLorin Salvant beispielsweise, die Konzerte aus ihrem Wohnzimmer streamen will, oder der Club Firehouse 12 in New Haven, der die gesamte Frühjahrs-Saison in eine Livestream-only-Serie umgewandelt hat (NPR). — Jay N. Miller spricht mit dem Pianisten Laszlo Gardony über Musikunterricht zu Zeiten von Corona, über die Notwendigkeit mit seinem Publikum zu kommunizieren, über den Einfluss McCoy Tyners und anderer Pianisten, sowie darüber, dass man immer zuerst Mensch sei und dann erst Musiker (Patriot-Ledger). — Nate Chinen spricht mit dem Pianisten Aaron Parks über den Release seines jüngsten Albums mitten in der Corona-Krise sowie über seine Hoffnung, dass neben der ganzen Trauer die Krise vielleicht „auch eine Chance bietet, dass die Maschine mal für eine Sekunde aufhört sich zu drehen. Wollen wir wirklich so auf diesem Planeten leben?“ (NPR). — Ralf Ruppert spricht mit dem Saxophonisten Chris Hopkins über die Auswirkungen von Corona auf seine Band, die Echoes of Swing (Mainpost).

… und sonst noch …

Der kürzlich verstorbene TV-Star Ja’Net DuBois war, wie ihre Todesurkunde suggeriert, die Tochter des Sängers Cab Calloway (Page Six). — Hili Ingenhoven spricht mit dem britischen Pianisten und Sänger Jamie Cullum (Gala). — Dan Q. Dao erinnert an Jazzbars im Atanta der 1960er und 1970er Jahre (Vice). — Hans-Martin Koch spricht mit der Saxophonistin Charlotte Greve (Landeszeitung). — Andrew Gilbert berichtet über die Verbindungen des kürzlich verstorbenen Pianisten McCoy Tyner mit San Francisco (San Francisco Classical Voice). — Dylan Jones macht sich über seine Faszination mit Miles Davis‚ Album „Bitches Brew“ Gedanken (GQ). — Clemens Dörrenberg spricht mit dem Schlagzeuger (und Briefmarkensammler) Hans „Buddy“ Fischer (Frankfurter Rundschau). — Jacob Heilbrunn spricht mit dem Saxophonisten Benny Golson (The Spectator). — Philipp Holstein berichtet über das erste Festival der Monheim Triennale, das für Anfang Juli geplant ist, und stellt insbesondere drei der sechzehn kuratierenden Musiker*innen vor: Terre Thaemlitz, Kris Davis und Philipp Sollmann (Rheinische Post).

Nachrufe

Wir erfuhren vom Ableben des australischen Saxophonisten und Flötisten Don Burrows im Alter von 91 Jahren (Billboard), der tschechischen Sängerin Eva Pilarova im Alter von 80 Jahren (Radio Prague International), des Posaunisten Mal Sharpe im Alter von 83 Jahren (Syncopated Times), des argentinischen Saxophonisten Marcelo Peralta im Alter von 59 Jahren (Jazz Times), des Bassisten K.T. Geier im Alter von 88 Jahren (Tagesanzeiger), des Percussionisten Ray Mantilla im Alter von 85 Jahren (WBGO), des Vibraphonisten Jupp Zeltinger im Alter von 90 Jahren (Schwäbische), des Pianisten Mike Longo im Alter von 80 Jahren, sowie des Saxophonisten Danny Ray Thompson im Alter von 73 Jahren (Sun Ra Arkestra, New York Times).

Aus der Welt der Jazzforschung

Linked jazz

Das Pratt Institute arbeitet an einer andere Art, die Beziehung zwischen Jazzmusikerin zu ergründen, indem sie sematische Technologie nutzt, die es ermöglicht, Verbindungen aufzuzeigen, die von den üblicherweise für das Erzählen von Jazzgeschichte genutzten Daten (Aufnahmedaten, Bandbesetzung etc.) nicht abgebildet werden (Pratt Institute).

Letzte Woche im Jazzinstitut

Corona-Alarm

Das Jazzinstitut hat sämtliche Konzerte und öffentliche Veranstaltungen bis zum 31. Mai 2020 abgesagt. Das letzte Konzert in unserem Gewölbekeller mit der Saxophonistin Silke Eberhard, dem Pianisten Uwe Oberg und dem Schlagzeuger Gerry Hemingway fand am 13. April 2020 statt (Darmstädter Echo). Am 17. April schlossen wir auch die Türen für Besucher des Archivs, schickten unsere ehrenamtlichen Mitarbeiter nach Hause, und seit dem 18. April arbeiten auch wir teilweise von zuhause. So lang dies möglich ist, werden wir umschichtig im Jazzinstitut präsent und damit auch telefonisch erreichbar sein; egal, wie die Lage sich entwickelt, können Sie uns aber immer per Mail erreichen.

Corona-Unterstützung

Während die Welt mehr und mehr zum Stillstand kommt und viele Menschen sich darum sorgen, wie man die Künste während und nach der Krise am Leben halten kann, haben wir verschiedene Programmideen gesammelt, wie man in diesen Tagen die Jazzszene unterstützen kann, sowie Links zu Hilfsprogrammen für Künstler*innen und Veranstalter (Jazzinstitut/Corona).

Bleiben Sie zuhause, bleiben Sie gesund, und unterstützen Sie die Musik!


JazzNews, No. 5 (27. Februar bis 11. März 2020)

27. Februar 2020
Sonny Rollins / Ben Williams

David Marchese spricht mit dem Saxophonisten Sonny Rollins über seine Entscheidung sich aus Gesundheitsgründen zur Ruhe zu setzen, darüber, wie er das Trauma überwand, sein Instrument in die Ecke stellen zu müssen, über Wettbewerb und seine Haltung auf dem Album „Tenor Madness“ mit John Coltrane, über die Notwendigkeit für jeden in der Band sich auf die Musik zu konzentrieren, auch oder gerade, wenn jemand anders ein Solo spielt, darüber, dass sein eigener Ansatz ans Instrument ein besonders individueller gewesen sei, über die Beziehung zwischen dem musikalischen Spiel und dem Leben desjenigen, der da spielt, über Musik, die neutral sei, und das Leben, das man auf eine positive Art und Weise leben müsse, über den Tod, vor dem er sich nicht fürchte, über seine Aufnahmen mit den Rolling Stones, über seinen Glauben an … „Irgendwas ist da draußen“, über sein Interesse an Ägyptologie, darüber, dass er sich keine Gedanken darüber mache, was mit seiner Musik nach seinem Tod passiert, über die meditativen Aspekte der Stille, sowie darüber, wie er mit der Einsamkeit fertig werde, die er durchaus immer wieder empfinde (New York Times). — Shannon Effinger spricht mit dem Bassisten Ben Williams über sein Album „I Am a Man“, die erste Platte, auf der er als Sänger zu hören ist, über die Inspiration der Musik auf dem Album, die direkt aus der Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre kommt, darüber, wie wichtig Protestmusik heute ist, sowie darüber, dass sein Gespür für eine Art Black Consciousness auch der Tatsache zu verdanken sei, dass er in der Metropolregion um Washington, D.C., aufgewachsen ist (Daily Bandcamp).

29. Februar 2020
Sylvie Courvoisier / The saxophone

Manfred Papst spricht mit der schweizer-amerikanischen Pianistin Sylvie Courvoisier über ihre Identität als Europäerin mit Schweizer Wurzeln, über ihre Anfänge im Jazz und ihre Faszination mit Thelonious Monks Musik, über die Gründe, warum sie 1998 nach New York zog, über die Vielseitigkeit der heutigen Musiker/innen, über unterschiedliche Ansätze ans freie Improvisieren, über Jazzschulen und das Ungleichgewicht, wenn man mehr unterrichtet als selbst spielt, sowie darüber, dass sie ihre Musik nicht als schwierig empfinde, sondern versuche so klar wie irgend möglich zu sein, auch wenn man bei ihren Stücken vielleicht nicht mitsingen kann (Neue Zürcher Zeitung). Auch Christoph Wagner (Neue Zürcher Zeitung) und Ulrich Stock (Die Zeit) sprechen mit Sylvie Courvoisier. — Anna Kelsey-Sugg blickt auf die Geschichte des Saxophons, auf seine Erfindung im Jahr 1841, die Verwendung in Militärkapellen, die wachsende Popularität des Instruments durch seine Verwendung in Jazz- und Tanzkapellen, Verbote und Schlechtreden durch, in dieser Reihenfolge, die Kirche, die Nazis und Stalins Sowjetunion, seine wichtige Rolle im Jazz und für das Selbstbewusstsein Afro-Amerikas, und sie weist darauf hin, dass das Instrument inzwischen nicht mehr einzig für männliche Spieler interessant ist, denn, wenn Saxophonistinnen auch seit langem auf der Szene aktiv waren, blieb das Instrument doch eher zweite Wahl für junge Mädchen, was sich erst änderte, als die Fernsehsendung The Simpsons 1989 Lisa Simpson als begeisterte Baritonsaxophonistin zeigte (ABC Radio).

2. März 2020
Coleman Mellett / Black Music Teachers

John Kelly erinnert an Chuck Mangiones Gitarristen Coleman Mellett, der 2009 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam und dessen Musik in einem neuen Dokumentarfilm, „Sing You a Brand New Song“, gefeiert wird. Dann spricht er mit Melletts Witwe, der Sängerin Jeanie Bryson, darüber, wie sie nach dem Tod Ihres Mannes einen Produzenten und einen Toningenieur gebeten habe, Melletts Aufnahmen für ein neues Projekt durchzusehen und dabei zu helfen, die Stücke, die er dafür geplant hatte, fertigzustellen. Diese sind jetzt einerseits Teil des Films, werden außerdem ab Mai auf einem Begleitalbum zu hören sein (The Washington Post). — Ethan Iverson schaut sich ein Video der Jenkins Oprhanage Band aus dem Jahr 1928 an und erinnert dann an die afro-amerikanischen Musiklehrer im amerikanischen Süden zu Zeiten der Rassentrennung, die mit ihren Schüler/innen meist „leichte Klassik und Stücke für Concert Bands“ einstudierten, „außerdem ein bisschen Musiktheater für die fortgeschritteneren unter ihnen“, vertieft sich in Texte von Ralph Ellison und W.C. Handy sowie von Musikern, die sich an ihren Musikunterricht erinnern, erklärt, dass es innerhalb der schwarzen Community durchaus eine vielversprechende Karriereoption war, professioneller Musiker zu werden, dass man dabei neben dem europäischen Notationssystem aber auch etwas über Klangfarbe und Swing wissen musste, um „ein vollendeter amerikanischer Musiker“ zu sein (Do the Math). Einige der Lehrer, die er benennt, sind: Captain Walter Dyett (DuSable High in Chicago), Zelia N. Breaux (Oklahoma City), Professor Y. A. Wallace (Florence District School for Negroes in Alabama), Mrs. Lawrence (Florida School for the Deaf and Blind), Isabelle Spiller, Mr. Moore (Coleman Industrial Home for Negro Boys), Samuel Browne (Jefferson High School in Los Angeles), Lloyd Reese, Russell Brown (Crispus Attucks High School in Indianapolis), Muriel Mazzanovich (Tyron, North Carolina), Harry Begian and Michael Bistritzky (Cass Technical High School in Detroit), Gladys Wade Dillard and Josephine Love (Detroit),  Henry Lee Grant (Dunbar High School in Washington, D.C.), Percy McDavid (Wheatley High School in Houston), J.K. Miller (Dallas).

4. März 2020
Ivan Habernal / Stephanie Lottermoser

Norbert Krampf spricht mit dem tschechisch-deutschen Bassisten und Komponisten Ivan Habernal über seine musikalische Ausbildung in Prag und Boston, über den Einfluss durch John Pattitucci, Chris Potter und Miguel Zenón, über sein aktuelles Quartett, das Musik spielt, die gleichermaßen durch seine New Yorker Erfahrungen und tschechische Volksmusik beeinflusst ist, sowie über eine Suite für Jazzband und Streichquartett, an der er zurzeit arbeitet, und die durch seine Faszination mit der Musik Béla Bartoks beeinflusst sei (Frankfurter Allgemeine Zeitung). — Jan Paersch spricht mit der Saxophonistin Stephanie Lottermoser über eigene Erfahrungen mit Sexismus in der Jazzszene, über jüngere Musikerinnen, die sie oft anschreiben, weil sie Ratschläge von einer Kollegin suchen, über eine Quotenregelung für Programme in Clubs oder bei Festivals, die sie ablehnt, und Workshops speziell für Frauen, bei denen sie sich in der Regel eher unwohl fühlt, über ihre Wahl der Bühnenausfits, über den Einfluss der sozialen Medien auf ihr öffentliches Image, über das Musikerleben in München, Paris und Hamburg, sowie über die Möglichkeit den emotionalen Zugang zu ihrer Musik von Abend zu Abend zu ändern, je nachdem, wie sie sich am Tag der Performance fühlt (die tageszeitung).

6. März 2020
Marty Grosz / Abdullah Ibrahim

Dan DeLuca spricht mit dem Gitarristen Marty Grosz, der dieser Tage 90 Jahre alt wurde, über seine Liebe zum Jazz aus der Zeit vor dem II. Weltkrieg, der in den 1970er Jahren unmodern wurde, über Duke Ellington und Benny Goodman, die er als Jugendlicher noch am Broadway erlebte, über die Faszination mit den rhythmischen Aspekten der Bigband-Gitarre, sowie darüber, dass er immer noch jeden Tag spielt, weil das einfach alles ist, was er in seinem Leben immer tun wollte (The Philadelphia Inquirer). NPR bringt Auszüge aus einem Interview mit Marty Grosz aus dem Jahr 2004 (NPR). — Howard Reich spricht mit dem Pianisten Abdullah Ibrahim über die Community-Aspekte des Jazz, über das Leben und Arbeiten im Apartheid-System Südafrikas, über seine Begegnung mit und die Unterstützung durch Duke Ellington, den er als „alten Dorfweisen“ bezeichnet, „zu dem man geht, wenn man Problemlösungen sucht“, sowie über seine Faszination mit der Musik Thelonious Monks und ein Treffen mit dem Meister nach einem Konzert (Chicago Tribune).

8. März 2020
Barry Harris / Berlin, Germany

Sheila McClear besucht einen Workshop von Dr. Barry Harris und spricht mit dem Pianisten über die Bedeutung des Musik-Weiterreichen, über die Umstände, unter denen der Workshop 1974 entstand, und sie spricht außerdem mit einigen seiner Schüler (New York Times). — Thomas Wochnik erfährt, dass der Jazz ziemlich lebendig ist in den Clubs von Berlin, und zwar nicht etwa vor einem älteren, sondern insbesondere vor einem jungen Publikum, „im Schnitt um die Dreißig“. Er spricht mit Nadin Deventer vom Jazzfest Berlin, die erklärt, dass man den Berliner Jazz am besten „von den Rändern her“ verstehe, mit dem Schlagzeuger Max Andrzejewski, der argumentiert, dass diese Ränder des Genres hier so im Zentrum stehen, dass „sie im Grunde wieder die Mitte bilden“, dass allerdings das jüngere Publikum eh nicht mehr so sehr mit Genrelabels hantiere, sowie mit dem Posaunisten Matthias Müller, der erzählt, dass sich Musiker der sogenannten „Echtzeitmusik“ schon mal ganz bewusst vom Jazz-Label distanzieren, und er schlussfolgert, dass all diese Diskussion über Jazz als Kunstform ihr „stärkstes Lebenszeichen“ sei. Zum Schluss fordert er alle Beteiligten aus dem Bereich kreativer Musik auf, ein offenes Verständnis von Jazz und improvisierter Musik zu behalten, wobei er sich auf die jüngste Diskussion um das House of Jazz bezieht, das die Stadt in der Alten Münze in Berlin-Mitte installieren will und dabei einem Konzept aus der Jazzszene den Vorzug gegeben hat (Der Tagesspiegel).

10. März 2020
Anika Nilles / Michael Cina

David Hugendick spricht mit der Schlagzeugerin Anika Nilles darüber, dass sie eigentlich überall auf der Welt bekannt sei außer in Deutschland, über berufliche Umwege, bevor sie sich entschieden habe, professionelle Musikerin zu werden, über das Video „Wild Boy“, das sie als Studentin 2013 aufgenommen habe und über das bald die gesamte Schlagzeugwelt sprach, über ihr Interesse an Quintolen, über das Vorurteil, Frauen könnten kein Schlagzeug spielen (das sie heute weit seltener hört), sowie über den Unterschied zwischen einem Workshop, den sie kürzlich nur für Frauen gab, und gemischten Workshops: „Es war ein ganz anderer Vibe.“ Wann immer junge Männer unter den Teilnehmern waren, wollten sie zeigen, was sie drauf hatten. Die Frauen dagegen hätten immer gefragt, ob sie einander helfen könnten (Die Zeit). — In einem Aufsatz über junge Künstler/innen spricht Kelly Spielmann mit dem Schweizer Schlagzeuger Michael Cina über seine Entscheidung Jazz zu studieren, ein Studium, das er trotz gelegentlicher Selbstzweifel durchzog, wenn er auch weiß, das er mit Jazz schwerlich reich werden wird. Am wichtigsten sei es aber, mit dem, was man mache, glücklich zu sein, erklärt er, und wenn es doch mal schwierig wird, könne er immer noch auf Nebenjobs zurückgreifen (Tagblatt). (Spielmann spricht außerdem mit dem Tänzer Darius Catana und der Schauspielerin Germaine Sollberger über ihre Karriereaussichten.)

… und sonst noch …

Crystal Paul erlebt Daniel Schnyders Oper „Charlie Parker’s Yardbird“ in der Seattle Opera (The Seattle Times). — Die Sängerin Ella Fitzgerald wird künftig auch als Barbiepuppe verkauft werden (PlanetRadio). — Samir H. Köch hört Wynton Marsalis und das Jazz At The Lincoln Orchestra mit einem Monk-Programm in Wien und findet ihren Ansatz „allzu streberhaft“ (Die Presse). — Tom Hawley erinnert an den Sänger Joe Williams, der nicht nur in Las Vegas lebte, sondern sich auch als Förderer der Community zeigte (News 3 Las Vegas). — Die Philly Tech Week ist eine Erfinder- und Startup-Messe in Philadelphia, und Marybeth  Gerdelmann versucht Verbindungen zwischen einer der dort vorgestellten Firmen, REC Philly, und dem Spirit, den John Coltranes Ansatz an die Musik ausmacht, zu finden (Technically Philly). — Daniel Holzer spricht mit dem libanesischen Oudspieler Rabih Abou-Khalil (Lampertheimer Zeitung). — Markus Deisenberger spricht mit der österreichischen Bassistin Gina Schwarz (Music Austria). — Niklas Käfer spricht mit dem Schlagzeuger Matthias Jakob über das Netzwerk VS Jazz in Villingen-Schwenningen (Schwarzwälder Bote). — Jan Wiele schreibt aus Anlass seines 80sten Geburtstags über den Gitarristen Ralph Towner (Frankfurter Allgemeine Zeitung). — Michael Riedmulder spricht mit dem Schlagzeuger und Produzenten Kassa Overall (The Seattle Times). — Peter Kelley spricht mit dem Schlagzeuger Ted Poor (UW News). — Frank Sawatzki berichtet über den britischen Saxophonisten und Spoken-Word-Entertainer Alabaster DePlume (Die Zeit).

Nachrufe

Wir erfuhren vom Ableben der Plattenproduzentin Gerti Jankejova im Alter von 75 Jahren (Jazz Pages), des Trompeters Frank Grasso im Alter von 69 Jahren (Facebook), des Pianisten Peter Schimke im Alter von 59 Jahren (Star Tribune), der Gitarristin Susan Weinert im Alter von 54 Jahren (Saarbrücker Zeitung), des Pianisten McCoy Tyner im Alter von 81 Jahren (New York Times, The Guardian, San Francisco Chronicle), des Klarinettisten Bill Smith im Alter von 93 Jahren (Divine Art Records, Seattle Times), des Kritikers Bob Protzman im Alter von 83 Jahren (Twin Cities), sowie des niederländischen Radiomoderators Aad Bos im Alter von 88 Jahren (AD).

Aus der Welt der Jazzforschung

Jazz Education in Research and Practice

Das erste Heft des Journal for Jazz Education in Research and Practice ist erschienen, und die Herausgeber bitten um Themenvorschläge für die zweite Ausgabe (Jazz Education in Research and Practice).

Critical Studies in Improvisation

Auch das kanadische Journal Critical Studies in Improvisation lädt zu Vorschlägen für Beiträge für künftige Ausgaben ein (Critical Studies in Improvisation).

Smithsonian Institution

Die Smithsonian Institution hat etwa 28 Millionen Bilder zur öffentlichen Benutzung freigegeben (Smithsonian Institution).

American Jazz Museum

Harold Smith spricht mit Rashida Phillips, der neuen Leiterin des American Jazz Museum in Kansas City (KC Studio).

Letzte Woche im Jazzinstitut

„Play yourself, man!“

Helmut Böttiger las Wolfram Knauers Geschichte des Jazz in Deutschland und ist begeistert (Deutschlandfunk). Letzte Woche las Knauer daraus im Goethe-Museum Düsseldorf (Westdeutsche Zeitung). An diesem Mittwoch liest Knauer in Schwäbisch Hall (JazzArt Festival), am Samstag in Leipzig (Jazzclub Live).


JazzNews, No. 4 (13. bis 26. Februar 2020)

13. Februar 2020
Ack van Rooyen / Melissa Aldana

Amanda Kuyper spricht mit dem holländischen Trompeter Ack van Rooyen über die Feierlichkeiten zu seinem 90sten Geburtstag letzten Monat, über seine Musikkarriere, die bereits mehr als 70 Jahre umfasst, über den Unterschied zwischen der Trompette und dem Flügelhorn, das er heute meist spielt, über seine Bewunderung für Clifford Brown, über die Kunst der Improvisation, darüber, wie glücklich er sich schätze, nie seinen Ansatz verloren zu haben, sowie über den Wunsch, noch einmal ein Album mit Streichern aufzunehmen (NRC). — Jackson Sinnenberg spricht mit der Saxophonistin Melissa Aldana über ihr jüngstes Album „Visions“, über den kürzlich verstorbenen Jimmy Heath, der einer ihrer Mentoren war, über ihre Jugend in Chile und wie sie dort zum Jazz kam, über ihre Faszination mit der Malerin Frida Kahlo und ihren Ansatz daran, einige ihrer Bilder in Musik zu übersetzen, sowie darüber, dass sie bislang vor allem mit Triobesetzungen gearbeitet habe und jetzt stärker mit Harmonieinstrumenten experimentiere (Capital Bop).

15. Februar 2020
Nils Wogram / Japan

Christoph Merki spricht mit dem Posaunisten Nils Wogram über aktuelle Entwicklungen im Jazz, die, wie er findet, die möglichen Freiheiten nicht nutzen und wenig Risiken eingehen, über musikalische Komplexität um der Komplexität willen, über den Kern der Musik, der sich nicht in der instrumentellen Virtuosität erschöpfe, über den Mangel an Persönlichkeit bei einigen der jüngeren Musiker, darüber, dass ihm das alles genau deshalb wichtig sei, weil er schließlich selbst ein gut-ausgebildeter Musiker sei, der aber nicht nur für den inneren Kreis der Musizierenden spielen will, über die Bedeutung eines persönlichen Sounds, sowie über die Notwendigkeit, nicht in den stilistischen Grenzen des Jazz zu denken, sondern sich stattdessen Gedanken darüber zu machen, wozu Musik generell gut ist (Langenthaler Tagblatt). — Kylie Northover besucht eine Ausstellung in der National Gallery of Victoria in Melbourne, die sich mit der Moderne und dem Jazzzeitalter in Japan beschäftigt (Sydney Morning Herald).

17. Februar 2020
John Coltrane / James Blood Ulmer

Faye Anderson berichtet über das ehemalige Wohnhaus John Coltranes in Philadelphia, das 1999 zu einem Nationalen Denkmal erhoben wurde, seither allerdings dem Verfall anheimstand und gerade erst auf die Risikoliste des Vereins Preservation Pennsylvania gesetzt wurde, darüber, dass Coltranes Geschichte in Philadelphia eine von Diversität und Inklusion sei und von „Intersectionalität handelt bevor dieser Begriff überhaupt geprägt wurde“, und er teilt eine e-Mail der Witwe Dexter Gordons, Maxine Gordon, die betont, wie wichtig der Erhalt des Gebäudes sei, „als Zeugnis für [Coltranes] Verbindung zur großen Jazzgeschichte Philadelphias“ (The Philadelphia Inquirer). — Chuck Arnold spricht mit dem Gitarristen James ‚Blood‘ Ulmer über seinen Spitznamen, der sich aus „Youngblood“ entwickelte, über seine Anfänge in einer Gospelgruppe, darüber, dass er anfangs Saxophon spielen wollte, bevor er zur Gitarre griff, über einige seiner Lieblingsgitarristen (Wes Montgomery, Kenny Burrell, George Benson), sowie über New Yorks Viertel Soho, wo er seit 1975 lebt (New York Post).

19. Februar 2020
Jane Bunnett / Avishai Cohen

Andrew Gilbert spricht mit der kanadischen Saxophonistin Jane Bunnett über ihre Band Maqueque, in der sie mit fünf kubanischen Musikerinnen tourt, und spricht auch mit der Pianistin der Band, Dánae Olano über deren Anfänge im Jazz in Havanna, über Veränderungen auf der kubanischen Musikszene, auf der immer mehr Frauen auf die Bühne drängen, sowie über die Probleme des realen Lebens auf Cuba, mit dem sich die Menschen dort jeden Tag konfrontiert sehen (San Francisco Classical Voice). — Gundula Madeleine Tegtmeyer spricht mit dem israelischen Kontrabassisten Avishai Cohen über seine multikulturellen Wurzeln, über Bebop als „Brot und Butter, wenn es darum geht, ein wirklicher Virtuose in der Sprache des Jazz zu werden“, darüber, was er in der von Konkurrenz geprägten New Yorker Jazzszene gelernt habe, über die sechs Jahre in Chick Coreas Band (und Tegtmeyer spricht auch mit Corea über Cohen), sowie über aktuelle Projekte und sein jünstes Album, „Arvoles“ (The Jerusalem Post).

21. Februar 2020
Louis Armstrong / Christian McBride

M.H. Miller besucht das Louis Armstrong House Museum in Corona, Queens, in dem Haus, in dem Armstrong mit seiner Frau von 1943 bis zu seinem Tod im Jahr 1971 lebte, und ist fasziniert von der Tatsache, dass der Trompeter, der einer der größten Stars des amerikanischen Showbusiness und auf der ganzen Welt berühmt war, „sich zwischen den Telefonistinnen, Lehrern und Hausmeistern von Corona wohlfühlte, einem Viertel, das er mit Bezug auf die viele Zeit, die er in seinem Leben in Jazzclubs zugebracht hatte, gern als ‚that good ol‘ country life‘ beschrieb“. Hyland Harris, der den Gift Shop des Museums managt, beschreibt die Ausstattung der verschiedenen Räume: „Ich glaube, wenn ich es ‚Rokoko‘ nenne, würde ich nicht meinen Job verlieren“, und Miller ist besonders angetan vom Badezimmer mit gold-gerahmten Spiegeln, und von der Küche, die „ein Beispiel des Futurismus der 60er ist und teilweise von den Space-Age-Displays auf der Weltausstellung von 1964 inspiriert war“. Er erklärt, wie es kam, dass das Haus über die Jahre so gut erhalten blieb, und erfährt vom Museumsleiter Ricky Riccardi, wie Armstrong Bescheidenheit und Stolz auf seine eigenen Leistungen ganz natürlich miteinander verband (New York Times). — Brandon T. Harden spricht mit dem Kontrabassisten Christian McBride über sein jüngstes Album, das sich auf die Reden von vier berühmten amerikanischen Bürgerrechtlern bezieht, über einige seiner musikalischen Einflüsse, unter ihnen Duke Ellington, Wayne Shorter und Quincy Jones, sowie über die Notwendigkeit als Musiker erhlich und wahr zu bleiben, weil „selbst das ungeübte Ohr hört“, ob man es wirklich fühlt oder nicht (The Philadelphia Inquirer).

23. Februar 2020
Pat Mullan / Dave Brubeck

Lou Fancher spricht mit der Posaunistin Pat Mullan über die Frauenband Mary Lou’s Apartment, benannt nach der Wohnung Mary Lou Williams‘, in der sich Künstler/innen unterschiedlicher Generationen trafen und „sich gegenseitig zeigten, woran sie arbeiteten“, über die Bedeutung von Musikerinnen wie Williams und der Posaunistin Melba Liston für den Jazz, über das Repertoire der beiden Musikerinnen/Komponistinnen, das die Band in ihrem Programm vorstellt, sowie über die Rolle von Frauen auf der heutigen Jazzszene (San Francisco Classical Voice). — Aus Anlass seines hundertsten Geburtstags blickt Lewis Porter auf das Klavierspiel Dave Brubecks, das von Pianisten wie Ethan Iverson und Keith Jarrett zwar als Einfluss benannt, von Kritikern aber eher vernachlässigt worden sei. Porter diskutiert Brubecks Solo über „These Foolish Things“ (und verlinkt einen bislang unveröffentlichten Mitschnitt eines Pariser Konzerts von 1967), und findet, dass sein Spiel sich erheblich von dem anderer Pianisten seiner Generation unterscheidet. Er diskutiert den Einfluss Darius Milhauds, bei dem Brubeck kurze Zeit studiert hatte, auf seine frühen Kompositionen sowie auf seinen Klavierstil, sowie sein Solo über „This Can’t Be Love“ von 1952 als Beispiel eines „freien“ Ansatzes an Improvisation. Vielleicht, meint Porter, solle man Brubecks Solo-Ansatz nicht als „Stil“ bezeichnen, sondern eher als „Prozess“ verstehen, was dann auch erklären hülfe, warum er als Pianist so wenig Beachtung fand. Und schließlich räumt Porter mit der irrigen Meinung auf, „cool“, bezogen auf Musik, beschriebe den Sound, während das Wort ursprünglich einfach nur für „gut“ gestanden habe, diskutiert das berühmte Cover des Magazins Time von 1954, auf dem Brubeck zu sehen ist, sowie die Bedeutung seines „Time Out“-Albums von 1959, das Stücke in ungeraden Taktarten enthält und weit über den Jazz hinaus von Einfluss war (WBGO).

25. Februar 2020
Valaida Snow / Hall Overton

In einer Serie an Nachrufen auf Afro-Amerikaner, denen bei ihrem Ableben ein solcher versagt blieb, erinnert Giovanni Russonello an die Trompeterin und Entertainerin Valaida Snow, die ihre Karriere mit dem Ensemble ihres Vaters in einer Varietéshow begann, in den 1920er und 1930er Jahren durch Europa tourte und während der deutschen Besatzung in einem Kopenhagener Gefängnis saß. Er erfährt, dass sie wegen Louis Armstrongs Einfluss auf ihr Spiel den Spitznamen Little Louis erhielt und er erläutert, dass Jazzgeschichte nur zu oft als Geschichte von Plattenaufnahmen erzählt wird, was Musikerinnen wie Snow unrecht tut, die nicht so oft ins Studio ging, wie es ihr gebührt hätte. Russonello erzählt ihre Biographie, Fakten und Gerüchte, die sie nur zu gerne streuen half, etwa die falsche Behauptung, sie sei acht Monate lang in einem deutschen Konzentrationslager interniert gewesen, was sie, wie eine Zeitung der Zeit schrieb, zur „einigen farbigen Frau“ gemacht hätte, „die jemals in einem Nazi-KZ interniert gewesen ist“ (New York Times). — Ethan Iverson blickt auf den Pianisten und Komponisten Hall Overton, der Thelonious Monks Musik für sein Town Hall-Konzert und andere Bigband-Projekte arrangiert hatte. Er diskutiert Overtons Symphony No. 2, sein Second String Quartet, seine Viola- und Cello-Sonaten, sein Stück „Sonorities for Orchestra“, das vom Orchestra U.S.A. aufgenommen wurde, sowie „Pulsations“, wobei er in jedem Fall sowohl die Einflüsse aus der Klassik wie auch dem Jazz hervorhebt, einige Anmerkungen über andere Komponisten aus dem Bereich des Third Stream hinzufügt, und schließlich seine eigene Interpretation von Overtons „Polarities No. I“ und seiner „Pinao Sonata No.1“ bietet (sowohl in Notenform wie auch als Aufnahme) (Do the Math).

… und sonst noch …

Eric Rucker berichtet über die gemeinnützige Sacramento Jazz Cooperative, die um ihre Zukunft fürchtet, weil sie laut einem neuen Gesetz ab jetzt Sozialabgaben und einen Anteil an der Krankenversicherung für ihre Konzerte zahlen muss (Fox 40).  — Der Stadtstaat Hamburg wählte im Februar eine neue Bürgerschaft. 10 Tage vor der Wahl veröffentlichte das Jazzbüro Hamburg die Antworten auf Fragen an fünf Parteien über die Zukunft der Jazzförderung in der Hansestadt (Jazzbüro Hamburg). — Christoph Reimann spricht mit dem Kontrabassisten Sebastian Gramss über sein neues Projekt Hard Boiled Wonderland und dessen politischen Anspruch (Deutschlandfunk). — Axel Cordes hört ein Sextett um dem Trompeter Herbert Hellhund (Gießener Allgemeine). — Wolfgang Sandner berichtet über eine Konzertreihe, die das Label ECM in der Hamburger Elbphilharmonie feierte (FAZ). — Christian Gaier berichtet über den Neuen Deutschen Jazzpreis und den Versuch der Veranstalter, die Frauenquote bei den Teilnehmer/innen zu erhöhen (Wochenblatt). — Robert Bush spricht mit dem Schlagzeuger Fernando Gomez, der als Electronic-Dancemusic-Solokünstler unter dem Namen Nondoh auftritt (San Diego Reader). — John Edward Hasse erinnert an Duke Ellingtons berühmtes Orchester und seine Aufnahmen aus dem Jahr 1940 (Wall Street Journal). — Stefan Uhrmacher spricht mit Stefan Winkler, dem künstlerischen Leiter des Free Jazz Festivals Saarbrücken (Saarbrücker Zeitung). — Der amerikanisch-deutsche Sänger Bill Ramsey wurde mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet (Hamburger Abendblatt). — Rob Mitchell trifft und spricht mit dem neuseeländischen Saxophonisten Nathan Haines (Stuff). — Sharyn Alfonsi spricht mit dem Pianisten Matthew Whitaker (CBS News). — Mane Stelzer spricht mit Barbara Hornberger über den Mangel weiblicher Dozentinnen und Studentinnen in den Instrumentalkursen der Jazzabteilungen an Musikhochschulen, sowie über Strategien, die Repräsentation weiblicher Instrumentalistinnen an solchen Einrichtungen zu verbessern (Melodiva).

Nachrufe

Wir erfuhren vom Ableben (bereits im Dezember) des Trompeters Gary Barone im Alter von 78 Jahren (Badische Zeitung), des kanadischen Gitarristen Allan Johnson im Alter von 70 Jahren (The Record, CBC), des Sängers Prince Kudakwashe Musarurwa aus Simbabwe im Alter von 31 Jahren (New Zimbabwe), des Pianisten Larry Garland im Alter von 84 Jahren (Sea Coast Online), des norwegischen Schlagzeugers Jon Christensen im Alter von 76 Jahren (Dagsavisen, Do the Math, WBGO, The Blue Moment), des Autors Ror Wolf im Alter von 80 Jahren (Jazzzeitung), sowie des südafrikanischen Sängers Joseph Shabalala im Alter von 78 Jahren (This Is Africa).

Aus der Welt der Jazzforschung

Neue Bücher

Unter den Büchern, die wir in den vergangenen Wochen lasen, waren der „Swiss Jazz & Blues Guide 2020“, sowie „Stéphane Grappelli and the Hot Club Quintet“ von Frank Murphy  (Siehe die Rubrik „Neue Bücher“ auf der Website des Jazzinstituts).

Letzte Woche im Jazzinstitut

Daniel Erdmann

Das Trio Velvet Revolution des Saxophonisten Daniel Erdmann spielte im Rahmen unserer JazzTalk-Reihe im Gewölbekeller unterm Jazzinstitut. Die Band mit dem Vibraphonisten Jim Hart und dem Geiger/Bratscher Théo Ceccaldi sorgte für einen ausverkauftes Saal, und während des Gesprächs nach der Pause erzählte Daniel Erdmann (der sowohl im französischen Reims wie in Berlin lebte) über die Idee hinter der Band, den Kompositionsprozess, sowie die Unterschiede zwischen Frankreich und Deutschland, wenn es um das Leben als Musiker oder um öffentliche Förderung geht (Darmstädter Echo).

Readings

Wolfram Knauer hielt vor zwei Wochen einen Vortrag an der Volkshochschule Erding, basierend auf seinem Buch „‚Play yourself, man!‘ Die Geschichte des Jazz in Deutschland“, sprach über selbiges Buch mit dem Gitarristen Markus Fleischer in einer zweistündigen Radiosendung für Radio Rheinwelle in Wiesbaden, und wird aus an diesem Freitag (28. Februar) aus dem Buch im Jazzclub Die Tonne in Dresden lesen, gefolgt von einem Konzert der Band Enders Room des Saxophonisten Johannes Enders (Die Tonne). Weitere Lesungen sind geplant, etwa am 5. März im Goethe-Museum in Düsseldorf (Goethe-Museum), am 11. März im Theaterkeller in Schwäbisch-Hall (JazzArt Festival), am 14. März im Werkcafé im Kulturhof Gohlis in Leipzig (Jazzclub Leipzig), sowie am 22. März im Torhaus, Bad Hersfeld.


JazzNews, No. 3 (30. Januar bis 12. Februar 2020)

30. Januar 2020
Friedrich Gulda + Francesco Tristano / „Jazz guys“

Ulrich Stock erinnert an den österreichischen Pianisten Friedrich Gulda, der vor 20 Jahren verstarb, einen zweisprachigen Pianisten, der genauso als klassischer Virtuose bekannt war wie als swingender Jazzpianist (und Komponist), und betrachtet ein Video des genre-überschreitenden luxemburgischen Pianisten Francesco Tristano, der Gulda als große Inspiration sieht (Die Zeit). — Shuja Haider sieht eine Fernsehserie mit einem Jazzfan als Detektiv, um sich bewusst zu werden, dass sie ihr ganzes erwachsenes Leben Jazz gehört habe, ohne das Thema jemals mit anderen anzusprechen, „außer ich wusste, dass die ebenfalls Jazz mochten, als sei das irgendeine sexuelle Perversion oder eine etwas sehr ungewöhnliche Religion“. Sie reflektiert über den „ersten ‚jazz guy‘„, Jack Kerouac, der sich ja selbst darüber beklagt habe, dass „jazz guys“ gern „viel über Jazz redeten, ohne viel darüber zu sagen zu haben“. Doch, es gäbe auch einige (wenn auch wenige) weibliche „jazz guys“, erklärt sie, nennt dann andere Beispiele, etwa John Mayer, Ken Burns, Damien Chazelle (über dessen Filme, oder zumindest den Jazzgehalt dieser, sie nicht viel Gutes zu sagen hat), um schließlich bei ihrer eigenen Geschichte mit dem Jazz anzulangen, Initiation durch Miles Davis, erstes Album von Grant Green, Entdeckung Ornette Colemans, Faszination mit dem Jazz als „einer lebendigen Musik, einer, die in der realen Welt in realer Zeit existiert, mit lebendigen, atmenden Musikern, die jeden Abend Momente unglaublicher Schönheit schaffen“, und schließt mit der Erkenntnis: „Es ist wichtig, kein „jazz guy‘ zu sein. Du musst aber auch keiner sein, um Jazz zu hören.“ (The Outline).

1. Februar 2020
Satoko Fujii / Paul Camo

Chris Richards spricht mit der japanischen Pianistin Satoko Fujii über ihr Orchestra New York, eine „nicht-traditionelle Bigband“, über ihren 60sten Geburtstag, den sie 2018 feierte, indem sie jeden Monat ein neues Album herausbrachte, über ihr jüngstes Album „Entity“, das auf einer „buddhistischen Idea fußt, die die Existenz von Elementarteilchen theoretisiert, und zwar Jahrhunderte vor der modernen Physik“, darüber, wie sich ihre verschiedenen Projekte gegenseitig beeinflussen, sowie darüber, wie wichtig es ist, immer darauf zu hören, was möglich ist (Washington Post). — Callum Mclean berichtet, dass die Covergestaltung des Grafikers Paul Camo für Dave Okumu, Tom Herbert, und Tom Skinners jüngstes Album „Undone: Live at the Crypt“ durch die visuelle Sprache von Labels wie Strata East und Folkways Records inspiriert ist (The Vinyl Factory).

3. Februar 2020
Reinhard Glöder / Jazz in Germany 2019

Claudia Hötzendorfer spricht mit dem Filmemacher Jürgen Hille über einen Dokumentarfilm, den er über den Bassisten und Mitgründer der Jazzschmiede in Düsseldorf, Reinhard Glöder, gedreht hat, über die Idee hinter dem Projekt, über seine Entscheidung, das alles in Schwarzweiß zu filmen, sowie über die Verwendung von Musik im Film (Westdeutsche Zeitung). — Tina Heine schaut zurück auf das Jahr 2019 im deutschen Jazz, entdeckt neue Wege der Vermarktung bei Musiker/innen und Promotern, ein gewachsenes Bewusstsein für Gender Balance und gesellschaftliche (politische) Verantwortung, weist auf Veränderungen der institutionalisierten Jazzszene hin (Deutsche Jazzunion), und greift exemplarisch ein paar Aufnahmen des Jahres heraus, die für Wege stehen könnten, die die deutsche Jazzszene zurzeit geht (Goethe-Institut).

5. Februar 2020
WBGO / Gilad Atzmon

Tammy La Gorce schaut auf Probleme bei Newark’s Public Radio- und Jazzsender WBGO. Nachdem Dorthaan Kirk (Rahsaan Roland Kirks Witwe) sich 2018 nach 40 Jahren beim Sender zur Ruhe setzte, für den sie nebenbei jede Menge an Liveevents organisiert hatte, wurden letztere vom Management des Senders abgesetzt, das außerdem das Sendegebäude für die Öffentlichkeit schloss, angeblich aus „Sicherheitsbedenken“. Darüber hinaus wurden Vorwürfe laut, die Einstellungspolitik des Senders sei ethnisch nicht ausgewogen, Vorwürfe, die sowohl zu einer Petition (iPetitions) als auch einem Leitartikel in der Lokalzeitung (New Jersey Star-Ledger) und schließlich zum Rücktritt der Geschäftsführerin des Senders, Amy Niles, führten. Zum Schluss ihres Artikels spricht La Gorce mit der neuen Moderatorin Keanna Faircloth, die findet, die Spannung am Sender sei deutlich zu spüren. Als sie noch in Washington, D.C., lebte, sei WBGO für sie „das Mekka des Jazz“ gewesen, jetzt aber, wo sie dort arbeite, habe sie erkannt, dass „das alles hier nicht unbedingt das ist, was ich mir vorgestellt hatte. Ich finde es nach wie vor aufregend hier zu sein. Aber ich sehe auch, dass wir eine Menge Arbeit vor uns haben“ (New York Times). Auch Mark Bonamo berichtet (Tap into Newark). WBGO veröffentlicht Statements des WBGO-Interims-Geschäftsführers Bob Ottendorf und anderer Vertreter des Senders (WBGO), und Ottendorf schreibt selbst einen Leitartikel in der Kokalzeitung (New Jersey Star-Ledger). — Rosa Doherty berichtet über den Saxophonisten Gilad Atzmon, dem Antisemitismus vorgeworfen wird und vor dessen Konzerten Veranstalter oft Beschwerden darüber erhalten, ihm ein Podium zu bieten. Sie spricht mit dem Betreiber des Club 606 in London, der findet, Atzmon sei vielleicht manchmal ein wenig extrem in seinen Aussagen, ihn andererseits „gegen Vorwürfe des Rassismus verteidigte“. Er sei vielleicht „sehr anti-Zionistisch“, aber gewiss nicht antisemitisch (The Jewish Chronicle). Mathilde Frot berichtet ebenfalls über Atzmon und spricht auch mit dem Saxophonisten selbst, der zugibt, „der jüdischen Identitätspolitik kritisch“ gegenüberzustehen, zugleich aber darauf besteht, er habe „die Juden nie als Volk, als Rasse oder ans Ethnie“ kritisiert, außerdem seien seine Konzerte „musikalische Events, keine politischen Versammlungen“ (The Jewish News). Währenddessen hat Gilad Atzmon selbst das Konzert abgesagt und auf seiner Website eine Entgegnung auf die Vorwürfe gegen ihn publiziert (Gilad Atzmon). Barry Duke erläutert weitere Details, um das alles zu kontextualisieren (The Free Thinker).

7. Februar 2020
Hal Singer / „klassisch“

Randy Krehbiel spricht mit Arlette Singer, der Ehefrau des Tenoristen Hal Singer, der im Alter von 100 Jahren nicht mehr auftritt, aber nach wie vor ein ruhiges Leben in einem Vorort von Paris führt. Arlette erzählt, wie Hal während seiner Kindheit in Tulsa, Oklahoma, viele Musiker kennenlernte, weil seine Mutter für die Bands kochte, die in der Stadt spielten, Kontakte, die ihm zugute kamen, als er 1943 nach New York zog, wie er 1948 zwei Hits einspielte, „Cornbread“ und „Rock Around the Clock“, wie er 1965 nach Paris ging, ursprünglich nur für einen Monat, dann aber dort blieb. Singer trat bis etwa vor fünf Jahren noch auf (Tulsa World, älterer Artikel vom Dezember 2019). — Ethan Iverson trauert um die kürzlich verstorbenen Pianisten Harold Mabern, Larry Willis und Richard Wyands, aber er stellt zugleich den Begriff „klassisch“ in Frage, der so oft benutzt wird, um ihre Musik zu charakterisieren, und argumentiert: Es wäre hilfreich, „wenn amerikanische Institutionen, Akademiker und Kritiker mit einem Hang zur europäischen Formsprache mehr über die hohe Kunst lernen würden, die sich in Jazzclubs und auf Jazz-LPs finden lässt“ (Jazz Times).

9. Februar 2020
ECM / Manchester, England

Aus Anlass einer Konzertreihe in der Hamburger Elbphilharmonie, die ein halbes Jahrhundert ECM Records feiert, spricht Jan Paersch mit dem Pressesprecher der Konzerthalle, Tom R. Schulz, über die Bedeutung des Labels, über den Komponisten Arvo Pärt, sowie über seine eigene Arbeit für das Label und wie diese seine musikalische Perspektive beeinflusste (Die Zeit). Jan Paersch berichtet auch über die vom Labelgründer Manfred Eicher kuratierte Konzertserie in der Elbphilharmonie (Süddeutsche Zeitung). Richard Williams besuchte ein Jubiläumskonzert für ECMs 50sten Geburtstag an der Royal Academy of Music in London (The Blue Moment). — Christoph Wagner besucht Manchester, England, und entdeckt, dass heute statt Post Punk und BritPop vor allem jazz-bezogene Musiker wie die Band GoGo Penguin oder Matthew Halsall den Klang der Stadt bestimmen (Neue Zürcher Zeitung).

11. Februar 2020
Roy Nathanson / Ahmad Jamal

Mike Holtzclaw spricht mit dem Saxophonisten, Schauspieler und Dichter Roy Nathanson über die Verwendung von Texten und Tönen, über den Einfluss seines jüdischen Glaubens auf seine Musik, darüber, wie John Coltrane zu hören ihn die Musik habe neu entdecken lassen, sowie über die politische Kraft von Musik, weil wir in ihr „über ernsteste Dinge sprechen können“ (Daily Press). — Jackson Sinnenberg spricht mit dem Pianisten Ahmad Jamal über die Notwendigkeit „in tune“ mit all den Dingen zu sein, die auf der Welt passieren, über seinen eigenen spirituellen Ansatz, dem Chaos um ihn herum zu begegnen, darüber, dass er jedes Mal etwas Neues lerne, wenn er sich ans Klavier setze, über sein jüngstes Album „Ballades“, über die Notwendigkeit in der Musik eine Geschichte zu erzählen, wobei seine eigenen Geschichten meist aus dem Leben selbst stammen, über den Unterschied zwischen Solo- und Ensemblespiel, über musikalische Chemie in einer Band sowie über sein eigenes Erleben einer „perfekten“ musikalischen Chemie mit dem Bassisten Israel Crosby und dem Schlagzeuger Vernell Fournier (Capital Bop).

… und sonst noch …

Dan DeLuca berichtet über eine jüngst entdeckte Soloaufnahme Sun Ra, die gerade veröffentlicht wurde (The Philadelphia Inquirer). — David Sager (Syncopated Times) und Colin Hancock (Syncopated Times) argumentieren, dass die erste Jazzplatte (die üblicherweise der Original Dixieland Jazz Band zugesprochen wird) tatsächlich 1916 vom Bandleader Gus Haenschen aus St. Louis eingespielt wurde. — Die Diskussion über das House of Jazz, ein Zentrum für Jazz und improvisierte Musik, das in der Alten Münze in Berlin entstehen soll, geht weiter (Deutschlandfunk Kultur, Berliner Zeitung [1], Berliner Zeitung [2]). — Dagmar Hub spricht mit dem Bassisten Hellmut Hattler über seine Arbeit als Bildender Künstler (Augsburger Allgemeine). — Sebastian Scotney spricht mit dem kanadischen Gitarristen Lorne Lofsky (London Jazz News). — Der Schlagzeuger Jimmy Cobb braucht finanzielle Unterstützung; seine Tochter bittet um Spenden, damit er Rechnungen für ärztliche Betreuung und anderes begleichen kann (GoFundMe). — Gordon Freireich berichtet über das britische Traditional-Jazz-Label Stomp Off Records (York Daily Record). — Petra Riederer-Sitte besucht das Auftaktkonzert des neuen improviser-in-residence in Moers, der brasilianischen Schlagzeugerin Mariá Portugal, die im Trio mit der Saxophonistin Angelika Niescier und dem Schlagzeuger Gerald Cleaver auftrat (Rheinische Post). — Dem 100 Club in London wurde vom Westminster Council ein „protected status“ zuerkannt, der insbesondere eine Abgabensenkung zur Folge hat (Musikweek). — Eric Volmers spricht mit der Sängerin Sheila Jordan (Calgary Herald). — Howard Reich erinnert an den Saxophonisten Eddie Harris (Chicago Tribune). — Die Deutsche Jazzunion kritisiert die von der Bundesregieung geplante Festlegung auf eine Festlegung einer Mindestgrenze für die Grundrente, die insbesondere geringverdienende Künstlerinnen und Künstler oft nicht erreichen würden (Deutsche Jazzunion). — Oona Goodin-Smith berichtet über John Coltranes ehemaliges Wohnhaus in Philadelphia, das von einem lokalen Denkmalverein auf der „in Gefahr“-Liste von Gebäuden geführt wird (The Philadelphia Inquirer). — Hans Hielscher erinnert an die Geschichte des Songs „Mack the Knife“ aus Bertold Brechts und Kurt Weills „Greigroschenoper“, an die Komposition im Jahr 1928 genauso wie seine Verbannung durch die Nazis und an Ella Fitzgeralds Interpretation des Songs bei einem glücklicherweise mitgeschnittenen Konzert in Berlin im Jahr 1960 (Der Spiegel).

Nachrufe

Wir erfuhren vom Ableben des Schlagzeugers Bob Gulotti im Alter von 69 Jahren (Lilypay), des Posaunisten Lucien Barbarin im Alter von 63 Jahren (New Orleans Times-Picayune), des Organisten Luther A. Randolph im Alter von 84 Jahren (The Philadelphia Tribune), des Pianisten Lyle Mays im Alter von 66 Jahren (The Seattle Times), des Gitarristen Helmut Nieberle im Alter von 63 Jahren (Bayerischer Rundfunk), des Banjospielers Bob Adams im Alter von 82 Jahren (The Syncopated Times), sowie des Rundfunkmoderators Bob Nave (WVXU).

Aus der Welt der Jazzforschung

Jazz History at Pittsburgh University

Madison Brewer blickt auf die Angebote zur Jazzforschung an der Pittsburgh University und spricht mit der Dozentin für Jazzgeschichte, Yoko Suzuki, sowie mit Studierenden ihres Kurses, dessen Fokus sich verändert hat, seit Nicole Mitchell die Leitung des Studiengangs übernahm und „ihren Teil des Kurses dazu nutzt, die Studierenden auf eine thematische Reise statt eines Spaziergangs durch die Zeit mizunehmen“ (PittNews).

Swing feel

Ein Team Göttinger Wissenschaftler hat eine empirische Studie über die Rolle von Microtiming for das Swing Feeling unternommen, bei der sie herausfanden, dass geringste Abweichungen von der rhythmischen Platzierung nicht unbedingt eine notwendige Komponente für swing sind. Ihr Schluss lautet: „Wenn auch die Rhythmik eine wichtige Rolle spielt, so sind andere Faktoren doch genauso wichtig“. Zu solchen Faktoren, die noch genauer untersucht werden müssten, zählen beispielsweise danamisches Zusammenspiel, Akzentsetzung sowie die Beziehung zwischen Rhythmik und Melodik (Science Daily).

American Jazz Museum

Vicky Diaz-Camacho spricht mit Rashida Phillips, der neuen Direktorin des American Jazz Museum in Kansas City, über ihre Wurzeln im Jazz, über einige ihrer Pläne for das Museum, sowie über die Notwendigkeit, dass eine kulturelle Institution wie diese Teil der Community ist (Flatland KC). Jennifer Silvey blickt zurück auf 100 Jahre Jazz in Kansas City (Fox4KC).

Letzte Woche im Jazzinstitut

Ausstellungen im Jazzinstitut

Vor genau fünfzehn Jahren begannen wir regelmäßige Ausstellungen in der kleinen Galerie unterm Dach des Jazzinstituts, im Treppenhaus sowie an einer Ausstellungswand im Gewölbekeller unterm Institut zu zeigen. Doris Schröder kuratierte alle Ausstellungen, die mal Fotos zeigten, mal Malerei, die speziellen Künstlern oder speziellen Themen gewidmet waren, und die oft Bezug hatten zu den sonstigen Aktivitäten des Jazzinstituts, etwa, wenn sie unsere Konferenz, das Darmstädter Jazzforum, begleiteten oder unseren jährlichen Workshop oder unsere JazzTalk-Konzertreihe dokumentierten. Rolf Schäfer, einer unserer ehrenamtlichen Mitarbeiter, der seit Jahren bei Konzeption und Durchführung der Ausstellungen mithilft, hat jetzt eine Liste aller Ausstellungen seit 2005 zusammengestellt und kommt dabei auf die eindrucksvolle Zahl von 50, wobei die jüngste nach wie vor läuft, „Sketch Jazz“ mit handkolorierten Zeichnungen und Bildern der Darmstädter Grafikerin und Künstlerin Nicole Schneider. Mit diesen Ausstellungen wollen wir der breiteren Bevölkerung zeigen, dass wir nicht im sprichwörtlichen Elfenbeinturm arbeiten, sondern uns als Teil der lebendigen Darmstädter Kunst- und Musikszene verstehen  (Liste der Ausstellungen im Jazzinstitut).

Wettertrompete

Michael Kibler schrieb ein Buch über „Darmstädter Geheimnisse“, das auch ein Kapitel über die Wettertrompete enthält, die seit 1997 auf dem Dach des historischen Kavaliershauses weht, als das Jazzinstitut hier einzog. Dieses Kapitel wurde jetzt als Buchauszug in unserer lokalen Tageszeitung abgedruckt (Darmstädter Echo). Bislang dachten wir, dies könne gut und gerne die einzige Wettertrompete der Welt sein, wurden aber eines Besseren belehrt, dass nämlich einst eine ähnliche Wetterfahne (eines Engels mit Fanfare) auf dem First von Schloss Borbeck in Essen wehte, nachdem dieses im 18. Jahrhundert zu einem Barockschloss umgebaut wurde.


JazzNews, No. 2 (16. bis 29. Januar 2020)

16. Januar 2020
Regina Carter / Jamey Aebersold

Adam Parker spricht mit der Geigerin Regina Carter über ihre musikalischen Anfänge in Suzuki-Kursen, über ihre ersten Gehversuche im Jazz, über einen überraschenden Anruf von der MacArthur Foundation im Jahr 2006, die ihr einen ihrer „Genius Grants“ verlieh, über ehrenamtliche Arbeit im Hospizbereich seit 2008, sowie über ihre Pläne für ein neues Album (Charleston Post and Courier). — Sean Barron besucht einen Workshop mit dem Jazzpädagogen Jamey Aebersold, der über harmonische und melodische Fragen spricht, über die Improvisationstechniken etwa von Keith Jarrett, Chick Corea oder Sonny Rollins, sowie über andere Themen (The Vindicator).

18. Januar 2020
Bria Skonberg / International Anthem

Ben Bengtson spricht mit der Trompeterin und Sängerin Bria Skonberg über die Bedeutung des Blues für den Jazz, über einen bevorstehenden Auftritt mit ihrer Band und dem Vancouver Symphony Orchestra, sowie über ihre jüngste Platte, „Nothing Never Happens“, die sie nur mit Vorbehalt als Jazzalbum bezeichnen mag (North Shore News). — Marc Hogan spricht mit Scottie McNiece und David Allen, die 2014 das Label International Anthem gründeten, über ihre Dokumentation „einer Community, die aus der Association for the Advancement of Creative Musicians hervorgegangen ist“, über einige der Künstler, die mit dem Label verbunden sind, über ihren Radikalismus, der schon mal „heftigst politisch“ ausfallen kann, sowie über einige ihrer jüngsten Releases von Rob Mazurek, Makaya McCraven, Jeff Parker, Jaimie Branch, Don Santos, Angel Bat Dawid, und der Band Irreversible Entanglements (Pitchfork).

20. Januar 2020
Axel Fischbacher / Jimi Hendrix

Rainer Widmann spricht mit dem Gitarristen Axel Fischbacher über ein neues Projekt, für das er sein Quintett mit der Kammerphilharmonie Wuppertal zusammenbringt, eine Idee, die zwar in Charlie Parkers „Bird with Strings“ ihren Ursprung hat, aber komplett (und sehr dezidiert) anders sein soll als jene Aufnahmen, über seine Anfänge im Jazz, über seine Band „Five Birds, sowie über Studien der Kompositionsweise von Bartók, Debussy, Varèse, Strawinsky, die ihm Ideen zu seinem eigenen Umgang mit der Instrumentierung geben sollten (Westdeutsche Zeitung). — Justin Sablich besucht London auf den Spuren von Jimi Hendrix, der dort in den späten 1960er Jahren lebte und tatsächlich auf dem Flug dorthin seinen Namen von Johnny in Jimi änderte, spricht mit einigen von Hendrixs Freunden aus der Zeit, und besucht Sehenswürdigkeiten und Bars, in denen er verkehrt hatte, insbesondere aber auch seine Wohnung in Mayfair, die sich gleich neben jener befand, in der 200 Jahre zuvor der Komponist Georg Friedrich Händel gewohnt hatte, und die jetzt zu einem beiden Musikern gewidmeten Museum gehört (New York Times).

22. Januar 2020
House of Jazz Berlin / Pay to Play

Petra Kohse berichtet über das House of Jazz Berlin, eine Idee, die ursprünglich vom Trompeter Till Brönner stammt, dann vor drei Jahren heftigst umstritten war und beinahe fallengelassen wurde, wonach sich alle hinter verschlossenen Türen trafen und eine gemeinsame Lösung anstrebten. Jetzt also hat die Kulturverwaltung des Landes Berlin entschieden in der historischen Alten Münze ein Zentrum für Jazz und improvisierte Musik zu etablieren; die neue Institution wird außerdem mit nennenswerten Mitteln aus dem Bundeshaushalt gefördert (Berliner Zeitung). Gregor Dotzauer berichtet ebenfalls und nennt erste kritische Stimmen aus der Ecke der „Neuen Musik“, die sich eine weniger genre-spezifisch festgelegte Entscheidung gewünscht hätten (Tagesspiegel). Petra Kohse erwähnt andere kritische Stimmen (Berliner Zeitung). Und die Initiative Neue Musik Berlin veröffentlicht ihre eigene Kritik online (LifePR). Susanne Messmer resümiert die Diskussion der vergangenen drei Jahre und diskutiert die möglichen Auswirkungen der politischen Entscheidung auf das kulturelle Klima der Stadt (die tageszeitung). Ulf Drechsel sammelt Argumente für die Idee eines Zentrums für Jazz und improvisierte Musik (RBB), während auf den sozialen Medien die Diskussionen lauter werden, ob die Entscheidung für den Jazz nicht zugleich ein Affront gegen andere kreative Genres sei, die in Berlin genauso lebendig sind. Martin Hufner verlinkt einige der verschiedenen Konzepte für die Nutzung der Alten Münze, und während er sich nicht sicher ist, ob die anderen Konzepte wirklich inklusiver gewesen wären als der Jazzplan, findet er, dass die politische Entscheidungsfindung an sich problematisch gewesen sei und der kulturellen Offenheit, für die die kreative Berliner Musikszene steht, Schaden zufügen könnte (oder, in seinen Worten: „Wenn drei sich streiten, verlieren sie alle“ (Jazzzeitung). — Alvester Garnett berichtet über seine Arbeit für das NYC Nightlife Advisory Board, in dem er sich dafür einsetzt, Pay-to-Play-Praktiken abzuschaffen, also Gigs ohne garantierte Mindestgage. Er weiß, dass insbesondere Musiker, die sich auf der Szene einen Namen machen wollen, solche Gigs als eine „Möglichkeit bekannter zu werden“ ansehen; er weiß auch, dass es Kneipen gibt, die wahrscheinlich gar keine Livemusik anbieten würden, wenn sie die Gagen der Musiker garantieren müssten. Andererseits, argumentiert er: „Es ist illegal die Angestellten im Restaurant nicht zu bezahlen; warum ist es dann legal, die Musiker nicht zu bezahlen?“ (Local 802 AFM).

24. Januar 2020
Eberhard Weber / Sava Boyadzhiev

Peter Disch spricht mit dem Bassisten Eberhard Weber aus Anlass seines 80sten Geburtstags über seinen Schlaganfall vor 13 Jahren, nach dem er mit dem Musikmachen aufhören musste, über die Schwierigkeiten, denen sich die jüngste Generation an Jazzmusikern heute gegenüber sieht, sowie über eine Zusammenarbeit mit der Sängerin Kate Bush vor vielen Jahren (Badische Zeitung). Alexander Maier feiert Eberhard Weber ebenfalls und berichtet über eine künftige Ausstellung im Stadtmuseum Esslingen, der Stadt, in der Weber einst seine Karriere begonnen hatte (Esslinger Zeitung; hinter einer Paywall). Guenter Huesmann zollt Eberhard Weber mit einem Interview Tribut, das er 2015 mit dem Bassisten geführt hat (SWR2). — Angela Paljor spricht mit dem bulgarischen Schlagzeuger Sava Boyadzhiev über seine Kindheit, als er in seinem Heimatland von lauter Jazzmusikern umgeben war, über seine Zeit in den USA, wo er mit dem New Symphony Orchestra auftrat, sowie über seine Faszination mit indischer Musik, seit er vor 12 Jahren nach Delhi gezogen ist (New Indian Express).

26. Januar 2020
Chris + Peter Gall / Herb Alpert

Rita Argauer spricht mit dem Pianisten Chris Gall und seinem Bruder, dem Schlagzeuger Peter Gall, über die musikalische Familie, der sie entstammen, über den Weg von bayerischer Volksmusik über Pop hin zum Jazz, sowie darüber, dass es keine besondere Verbindung zwischen musizierenden Brüdern gäbe, wenn auch ihre gemeinsamen Erfahrungen dabei helfen mögen ein gemeinsames Tempo, einen gemeinsamen Groove zu finden (Süddeutsche Zeitung). — Brian Blueskye spricht mit dem Trompeter Herb Alpert über die Quelle seiner Kreativität, über die Repertoirewahl für sein jüngstes Album „Over the Rainbow“, über Veränderungen in der Aufnahmetechnik, über Musik als Karriereweg heutzutage, sowie über die Notwendigkeit guter Bildung, wenn man den Jazz am Leben halten will (Desert Sun).

28. Januar 2020
Myths about Jazz / Jeff Parker

Natalie Weiner blickt auf fünf Klischees über Jazz, die vor allem dann zum Problem werden, wenn sie Menschen davon abhalten, die Musik überhaupt erst auszuchecken, nämlich dass „der Jazz eine ernsthaftere Musik ist als andere Genres“, dass „der Jazz in New Orleans geboren wurde“, dass „der Jazz swingen muss“, dass „Jazzmusiker auf Drogen waren (oder sind)“, sowie dass „der Jazz tot ist“. Das letzte Klischee führt zu sie zu ihrem Schluss, dass „die Musik auf viele Art und Weise gesünder ist, als sie es in Jahrzehnten war“ (Washington Post). — Olaf Maikopf spricht mit dem Gitarristen Jeff Parker darüber, wie er seinen Kollegen vermittelt, was er mit seinen Stücken ausdrücken will, über die lebendige Chicagoer Jazzszene, aus der er stammt, und wie diese sich mit der in Los Angeles vergleichen lässt, wo er heute lebt, sowie über sein jüngstes Album, „Suite for Max Brown“ (die tageszeitung).

… und sonst noch …

Rachel Ebel spricht mit dem Bassisten Pierre Archain (Ukiah Daily Journal). — Francis Davis veröffentlicht die Resultate des NPR Critics Polls für das Jahr 2019 (NPR [1], NPR [2]). — Katrin Poese spricht mit Hubert P. Klotzeck, der eine Ausstellung in Eichstätt kuratiert, in der die Covers des Plattenlabels ECM zu sehen sind (Donaukurier). — Denkmalschützer plädieren bei der Stadt Chicago für den Erhalt des Hauses des kürzlich verstorbenen Jazz-Poeten Ken Nordine (Chicago CBS, Block Club Chicago). — Eike Wienbarg spricht mit dem Stepptänzer Thomas Marek (Weser-Kurier). — James Dwan spricht mit dem britischen Saxophonisten Derek Nash über einen neuen Jazzclub in Frinton (Clacton Gazette). — Jim Kershner entdeckt ein Zitat des Bandleaders Chuck Whitehead aus Spokane, der Jazz vor 100 Jahren als „wirklich und wahrhaft melodisch“ beschrieb (The Spokesman-Review). — Nick Green berichtet über den Pianisten David Benoit (Daily Breeze). — Evie McCullough berichtet über einen musikalischen Brexit-Protest, angeführt vom britischen Pianisten Pete Churchill (The Brussels Times). — Daniel Kaiser berichtet über einen neuen Konzertsaal für Jazz in Hamburg, der im Herbst fertig sein soll (NDR). — Una Mullaly sieht sich die Pressereaktionen auf die ersten Jazzklänge in Dublin, Irland, vor 100 Jahren näher an (The Irish Times). — Michael Kipp blickt zurück auf das Jazzleben in Saarbrücken in den 1920er Jahren (Saarbrücker Zeitung). — Stefan Böker spricht mit dem Schweizer Schlagzeuger Samir Böhringer (Tagblatt). — Die Grammy Awards wurden bekannt gegeben, und die Gewinner sind… (Grammy).

Nachrufe

Wir erfuhren vom Ableben des Saxophonisten Jimmy Heath im Alter von 93 Jahren (NPR, Do the Math, New York Times), des Trompeters Claudio Roditi im Alter von 73 Jahren (O Globo, New York Times), des Saxophonisten Robert Parker im Alter von 89 Jahren (OffBeat), sowie des Musikethnologen Bruno Nettl im Alter von 89 Jahren (Urbana News Gazette). — Uwe Bogen berichtet über die Trauerfeier für den Pianisten Wolfgang Dauner (Stuttgarter Nachrichten).

Aus der Welt der Jazzforschung

Neue Bücher

Unter den Büchern, die wir in den vergangenen Wochen lasen, waren „Miles Davis. New Research on Miles Davis and His Circle“ (Selbstverlag) von Masaya Yamaguchi, „Die glorreichen Siebzehn. Die hr-Bigband“ von Wolfgang Sandner, „Jazz in Hannover“ von Gerhard Evertz, sowie „‚Play yourself, man!‘ Die Geschichte des Jazz in Deutschland“ von Wolfram Knauer. (Siehe die Rubrik „Neue Bücher“ auf der Website des Jazzinstituts).

Letzte Woche im Jazzinstitut

DAZZ …

Das Dazz Festival (DArmstadt + jaZZ) endete mit Uli Partheils Galeano-Projekt in der Bessunger Knabenschule. Das zehntägige Festival präsentierte 27 Konzert in 13 verschiedenen Spielorten, vom lokalem Dixieland (Mr. Jelly’s Jam Band) bis hin zum New Yorke Improv (Tom Rainey Trio) Acid-Techno-Jazz (Init) und einer Bigband mit internationalem Gaststar (Joshua Redman + hr Bigband). Das Jazzinstitut beteiligte sich mit Tom Raineys Trio mit Mary Halvorson und Ingrid Laubrock in einem gelungenen JazzTalk, unser Spielort eröffnete das Festival zuvor mit FUSK, dem Quartett des dänischen Schlagzeugers Kasper Tom Christiansen mit Rudi Mahall, Tomasz Dabrowski und Andreas Lang, sowie einer Ausstellung der Darmstädter Grafikerin Nicole Schneider. Letztere ist noch bis Ende März show in der Galerie des Jazzinstituts sowie (während der Konzerte) in unserem Gewölbekeller zu sehen.

Play yourself…

Wolfram Knauer stellte sein neuestes Buch, eine Geschichte des Jazz in Deutschland, in der Wiesbadener Musikbibliothek vor, bei einer Veranstaltung, in der außerdem der Posaunist Christof Thewes und der Mandolinenspieler Martin Schmidt zu hören waren.


JazzNews, No. 1 (2. bis 15. Januar 2020)

Letzte Woche im Jazzinstitut

2. Januar 2020
Dave Brubeck / Keno Hariehausen

Raj Tawney erinnert an die erste Jazz-LP, die sich in mehr als einer Million Exemplare verkaufte, Dave Brubecks „Time Out“, aufgenommen vor 60 Jahren, und erfolgreich nicht nur, aber sicher auch, weil sie Paul Desmonds „Take Five“ enthielt (Billboard). — Matthias Wegner spricht mit dem Pianisten Keno Harriehausen über seine Faszination mit „Schönheit“, über sein Quartett, in dem ein Cello das Drumset ersetzt, sowie über sein jüngst erschienenes Debütalbum (Deutschlandfunk Kultur).

4. Januar 2020
Philadelphia / Cairo

Das Kimmel Cultural Center in Philadelphia wird sich in seinem Jazz Residency Programm 2020 vor allem um soziale Belange kümmern, wobei Themen wie Obdachlosigkeit, kulturelle Identität und Zukunft der städtischen Communities beispielsweise in Kompositionen von Ruth Naomi Floyd, Immanuel Wilkins und Richard Hill Jr. beleuchtet werden (Broadway World). — Ulrich Stock spricht mit dem Filmemacher Atef Ben Bouzid dessen Dokumentarfilm über das Jazz Festival in Kairo letztes Jahr beim Darmstädter Jazzforum zu sehen war und jetzt in mehr und mehr deutschen Kinos gezeigt wird (Die Zeit).

6. Januar 2020
Jon Faddis / Earl ‚Snakehips‘ Tucker

Howard Reich spricht mit dem Trompeter Jon Faddis über das Chicago Jazz Ensemble, das er zwischen 2004 und 2010 leitete, über das Erbe Bill Russos, über seine Arbeit mit Schulklassen, über die Tatsache, dass es heute so viel mehr an Musikerinnen auf der Szene gibt, sowie über den Einfluss Dizzy Gillespies, Clark Terrys und Dave Brubecks auf ihn (Chicago Tribune). — In der Reihe über außerordentliche Menschen, über deren Ableben in seiner Zeitung nie berichtet wurde, erinnert Brian Seibert an den Tänzer Earl ‚Snakehips‘ Tucker, der in den 1920er und 1930er Jahren sehr populär war und auch in Filmen zu sehen ist, unter anderen zusammen mit Duke Ellington, und dessen Tanzbewegungen in den Bühnenshows von Künstlern wie Elvis Presley und Michael Jackson ein spätes Echo fanden (New York Times).

8. Januar 2020
Marcus Gilmore + Zakir Hussain / Jazz in Australia: 1927

Vanessa Viegas spricht mit dem Schlagzeuger Marcus Gilmore und seinem Mentor für ein Jahr, dem Tabla-Meister Zakir Hussain, darüber, was sie beide aus ihren Treffen gelernt haben, über die Unterschiede zwischen klassischer indischer Musik und Jazz und wie man diese überkommt, sowie über die Tradition musikalischer Mentoren im allgemeinen (Hindustan Times). — Henry Reese entdeckt Gender- und Klassenvorurteile genauso wie ästhetische Gründe für eine Steuer, die in Australien 1927 auf die Einfuhr von Grammophonplatten erhoben wurde, eine Steuer, die sich insbesondere gegen amerikanische Importe von Platten mit populärer Musik und Jazz richtete, weil es, wie ein Mitglied der Steuerkommission es ausdrückte: „zum Wohle unserer Ehemänner vielleicht besser wäre, wenn diese Platten nicht in Australien erhältlich wären“ (The Conversation).

10. Januar 2020
Kenny G + smooth jazz / Archive of Contemporary Music

Über den Smooth-Jazz-Saxophonisten Kenny G kursieren in Jazzkreisen viele Witze. Ethan Iverson versucht ihn in einer Antwort auf einen Artikel von John Halle, „In Defense of Kenny G“ (Jacobin) ernst zu nehmen und erklärt, dass Smooth Jazz „in der schwarzen Community weit beliebter ist als jede Art von „Avant“- oder „Straight-Ahead“-Jazz“ und dass Smooth Jazz und R ’n‘ B sich größtenteils dasselbe Publikum teilen. Wenn man über Kenny G urteile, müsse man auch über Grover Washington sprechen, argumentiert Iverson und fordert, das ein Diskurs über Kenny G auf ähnliche Künstler blicken sollte, denen aus Kollegenkreisen wenig Respekt entgegengebracht wird, den klassischen Pianisten Lang Lang etwa, dem Maler Thomas Kincade oder den Schriftsteller Rupi Kaur (Do the Math). — Derek M. Norman berichtet über das Archive of Contemporary Music, eine gemeinnützige Organisation, die 1985 gegründert wurde und über das weltweit größte Archiv populärer Musik verfügt, die jetzt aber die Archivräume im TriBeCa-Viertel New Yorks verlassen muss. Norman erzählt, wie das Archiv mit der privaten Sammlung des Gründers Bob George begann, nennt einige der Spender und Vorstandsmitglieder, unter ihnen Namen wie David Bowie, Lou Reed und Paul Simon, und diskutiert die Herausforderungen der digitalen Musikindustrie und die Vorteile althergebrachter Tonträger (New York Times).

12. Januar 2020
Byron Stripling / Ellis Marsalis

Scott Tady spricht mit dem Trompeter Byron Stripling über seine neue Stelle als Dirigent des Pittsburgh Symphony Pops Orchestra, über Marvin Hamlish, der von 1994 bis 2012 als erster Pops-Dirigent des PSO fungierte, sowie über Outreach-Programme und Konzerte, die „die lokale Community unterstützen“ sollen (The Times). — Keith Spera berichtet über den 85-jährigen Pianisten Ellis Marsalis, der einen wöchentlichen Gig beenden wird, den er seit mehr als 30 Jahren im Club Snug Harbor hatte, aber bestimmt bei Gastauftritten immer mal wieder zu hören sein wird (New Orleans Times-Picayune).

14. Januar 2020
Pharoah Sanders / Herbert Joos

Nathaniel Friedman spricht mit dem Saxophonisten Pharoah Sanders über das Musikmachen im Alter von 79 Jahren, über sein Repertoire, über die Entscheidung für das Saxophon, als er begann Musik zu machen, über seine Ankunft in New York im Jahr 1962, als er für eine Weile keine eigene Wohnung hatte, über seine Zusammenarbeit mit John Coltrane in den Mitt-1960er Jahren, darüber, dass er niemals mit seinem eigenen Spiel zufrieden gewesen sei, über Natur- und Umgebungsgeräusche, denen er dieser Tage mehr lauscht als Musik, wenn er sich auch immer wieder seine eigenen Platten anhöre, um zu checken, ob er sich wiederholt, über seine Lieblingsballaden, sowie darüber, dass man immer dem Gefühl in der Musik folgen müsse, während man spielt (The New Yorker). — Bernd Haasis spricht mit dem Pianisten Patrick Bebelaar über seine langjährige Zusammenarbeit mit dem Trompeter Herbert Joos, der im Dezember verstarb, über das Programm eines Gedenkkonzerts im Theaterhaus Stuttgart, an dem zahlreiche Fereunde und Kollegen des Trompeters mitwirken, sowie über Joos‘ letzte Aufnahme, vier Stücke, die die Besucher des Konzerts auf einer eigens gepressten CD als Andenken erhalten werden (Stuttgarter Zeitung). Bernd Haasis besuchte das Konzert und berichtet (Stuttgarter Zeitung), genauso wie Michael Rüsenberg (JazzCity).

… und sonst noch …

Laman Ismayilova feiert den 50sten Geburtstag der azerbaijanischen Sängerin und Pianistin Aziza Mustafa-Zadeh (MenaFN).  — John J. Moser findet mehr über einen obskuren Mitschnitt der Louis Armstrong All Stars aus dem Jahr 1956 heraus (The Morning Call). — Howard Reich spricht mit Heather Ireland Robinson über ihre Vision für das Chicago Jazz Institute (Chicago Tribune). — David Grundy blickt auf die 50-jährige Geschichte des Art Ensemble of Chicago (Art Forum). — Josef Engels sieht die Miles Davis-Dokumentation „Birth of the Cool“ (Die Welt). — Neil Kotre blickt auf Miles Davis‚ Fusionaufnahmen und fragt, wie diese die Jazzgeschichte verändert haben (Cherwell). — Chris Richards besuchte letztes Jahr fünf verschiedene Programme des Pianisten Jason Moran im Kennedy Center in Washington, D.C. (Washington Post). — John Wirt spricht mit dem Saxophonisten Mark Zaleski über den Einfluss der Musik Dave Brubecks auf ihn (The Advocate). — Michael Flanagan spricht mit dem Pianisten und Grafiker Tim Lewis (Bay Area Reporter). — Michael Cooper berichtet über Pläne des größten Rentenplans der Vereinigten Staaten, der Kürzungen der Pensionszahlungen plant (New York Times). — Sarah Maslin Nir spricht mit dem Sänger und Komponisten Allan Harris über sein Musical „Cross That River“ (New York Times). — Thomas Winkler spricht mit Fee Schlennstedt, der künstlerischen Leiterin des Quasimodo Clubs in Berlin (die tageszeitung):

Nachrufe

Wir erfuhren vom Ableben des Trompeters Jack Sheldon im Alter von 88 Jahren (Los Angeles Times, New York Times), des Perkussionisten Emil Richards im Alter von 87 Jahren (Hollywood Reporter), des Komponisten Jerry Herman im Alter von 88 Jahren (New York Times), des belgischen Multiinstrumentalisten Joel Vandroogenbroeck im Alter von 81 Jahren (Aargauer Zeitung, Broadway World), des Pianisten Wolfgang Dauner im Alter von 84 Jahren (Der Spiegel, Der Tagesspiegel, Süddeutsche Zeitung), des Schlagzeugers Neil Peart im Alter von 67 Jahren (New York Times), sowie des kanadischen Gitarristen Vic Juris im Alter von 66 Jahren (Ottawa Citizen).

Aus der Welt der Jazzforschung

Rhythm Changes (Konferenz)

Der Termin für die nächste Rhythm Changes-Konferenz wurde bekanntgegeben. Die viertägige Tagung wird vom 27. bis 30. August 2020 am Konservatorium von Amsterdam stattfinden. Keynote-Speakers sind Lucas Dols und Charles Hersch. Das Generalthema „Jazz Now!“ umfasst Themengebiete wie Umwelt und Nachhaltigkeit, Dekolonisation, Populismus oder die komplexe globale Geschichte einer Musik, die sich immer noch laufend verändert (Rhythm Changes).

Neue Bücher

Unter den Büchern, die wir in den vergangenen Wochen lasen, waren „Das Bilderlexikon der deutschen Schellack-Schallplatten“ (Bear Family), herausgegeben von Rainer E. Lotz zusammen mit Michael Gunrem und Stephan Puille, „111 Jazz-Alben, die man gehört haben muss“ (emons) von Roland Spiegel und Rainer Wittkamp, „111 Gründe, Jazz zu lieben“ (Schwarzkopf & Schwarzkopf) von Ralf Dombrowski, „Das Wollny Alphabet. Michael Wollny im Gespräch“ (Jazzprezzo) von Rainer Placke, sowie „André Hodeir. Le jazz et son double“ (Symétrie) von Pierre Fargeton. (Siehe die Rubrik „Neue Bücher“ auf der Website des Jazzinstituts).

Letzte Woche im Jazzinstitut

Darmstadt Jazz = dazz

Das Jazzinstitut war zwischen Weihnachten und Neujahr geschlossen, doch unser Gewölbekeller erklang auch zwischen den Jahren, etwa mit Konzert der Bands Das Rosa Rauschen und der Insomnia Brass Band. Und seit letzten Freitag steigt wieder das „dazz“-Festival in Darmstadt, das vom Jazzinstitut zusammen mit der Bessunger Knabenschule und der Centralstation organisiert wird, insgesamt 13 Spielorte einbindet, die zusammen 27 Konzerte über 10 Tage veranstalten und dabei lokale Größen genauso wie internationale Stars präsentieren (dazz Festival). Das dazz-Programm begann im Jazzinstitut mit dem deutsch-dänisch-polnischen Quartett Fusk (Darmstädter Echo), ging mit Uli Partheils Latin Experience weiter, das zusammen mit der Querflötistin Isabelle Bodenseh auftrat, dem Joscho Stephan Quartet sowie dem Trio Vorwärts / Rückwärts mit dem Cellisten Johannes Fink, der Bassistin Maike Hilbig und dem Posaunisten Gerhard Gschlößl. Bislang waren alle Konzerte ausverkauft; wir erwarten ein ähnliches Interesse auch für den Rest des Festivals. An diesem Freitag wird das Trio des New Yorker Schlagzeugers Tom Rainey mit Ingrid Laubrock und Mary Halvorson den ersten JazzTalk des Jahres bestreiten (dazz Festival).

Sketch Jazz

Das dazz Festival begann mit der Eröffnung einer Ausstellung der Grafikerin Nicole Schneider. Seit etwa zwei Jahren ist Nicole auf zahlreichen Jazzkonzerten in Darmstadt präsent, sitzt meist irgendwo in den ersten Reihen und skizziert leise in ihre kleinen Skizzenbücher. Nach dem Konzert setzt sie sich zuhause hin und koloriert die Skizzen, noch später nutzt sie sie als Inspiration für großformatigere Bilder. Alle Stationen ihrer Arbeit sind in der Ausstellung zu seien, die noch für drei Monate in der Galerie des Jazzinstituts zu sehen ist. Es gibt einen kleinen Katalog; ein Video, in dem die Künstlerin ihren Ansatz erklärt, ist auf unserer Website zu finden, und Nicole Schneider wird auch weiterhin bei Konzerten in der ganzen Stadt zu finden sein (Jazzinstitut, Nicole Schneider, Darmstädter Echo).

 Wir lesen die Morgenzeitung für Sie!

Die Presseberichte, die wir in dieser Rubrik zusammenfassen, finden sich übrigens in unserem Archiv in herkömmlicher (papierner) sowie in digitaler Form. Wenn Sie an den kompletten Artikeln zu den auf dieser Seite notierten Meldungen interessiert sind, wenden Sie sich bitte per e-mail an uns. Darüber hinaus verweisen wir auf unseren Jazz-Index, die weltweit größte computergestützte Bibliographie zum Jazz, in der neben Büchern und Zeitschriften auch aktuelle Presseberichte aus Tages- und Wochenzeitungen gelistet sind. Sie können Auszüge aus dem Jazz-Index zu bestimmten Stichworten (also beispielsweise konkreten Musikernamen) kostenlos per e-mail erhalten. Noch ein Hinweis zu den Links auf dieser Seite: Einige der verlinkten Artikel sind ohne Anmeldung nicht einsehbar; bei vielen Online-Zeitungen ist die Lektüre älterer Artikel kostenpflichtig. Bitte beachten Sie, dass die Zusammenfassungen und die Übersetzungen auf dieser Seite unsere Zusammenfassungen und Übersetzungen sind. Wenn Sie die hier gelisteten Artikel zitieren wollten, sollten Sie zu den Originalquellen greifen.

Autor der JazzNews (deutsch wie englisch): Wolfram Knauer

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JazzNews, 2. Dezember 2020

… in aller Kürze …

Kate Hutchinson spricht mit dem Saxophonisten Femi Kuti, dem Perkussionisten Sarathy Korwar, der Gitarristin Shirley Teteh, den Saxophonisten Gary Bartz, Shabaka Hutchings und der Saxophonistin Tia Fuller über den Einfluss Charlie Parkers und ihre Lieblingsaufnahme seines Schaffens (The Guardian). — Steve Krakow erinnert an den Schlagzeuger Dave Tough der zumeist als Drummer des frühen Chicago-Jazz gesehen wird, der aber auch offene Ohren für modernere Spielweisen etwa seines Kollegen Max Roach hatte (Chicago Reader).

Ulrich Kriest spricht mit dem amerikanischen Schlagzeuger Allen Blairman über seine Karriere, die ihn von Pittsburgh nach Heidelberg brachte (SWR2). — Lewis Porter hört sich John Coltranes Aufnahme „Alabama“ an, um dann drei unterschiedliche Ansätze in Coltranes Musik vorzustellen: Songs mit Texten, Stücke, die durch Worte inspiriert wurden, und solche mit versteckten Inhalten. Dann diskutiert er die Theorie, dass „Alabama“ auf Dr. Martin Luther Kings Trauerrede für die vier Mädchen basiere, die 1963 während eines rassistisch motivierten Anschlags auf eine Kirche in Birmingham ums Leben kamen. Wenn überhaupt, argumentiert Porter, basiere Coltranes Stück wohl eher auf Zeitungartikeln über als auf der Rede Kings selbst, was er dadurch zu belegen versucht, dass er Zitate aus den Artikeln mit der klingenden Musik der Aufnahme vergleicht (WBGO).

Doug Doyle spricht mit dem Musiker und Musikwissenschaftler Lewis Porter über seine künftigen Pläne als Pianist und Pädagoge (WBGO). — Matina Stevis-Gridneff spricht mit dem belgischen Pianisten Simon Gronowski über die Fensterkonzerte, die er wegen der Pandemie seit April regelmäßig in seiner Wohnung in Brüssel gibt, sowie über seine eigene Lebensgeschichte, wie er nämlich den Todeslagern von Auschwitz entkam, weil er aus dem fahrenden Zug dorthin sprang, eine Geschichte, die er lang für sich behielt, bis Freunde ihn drängten, öffentlich als Zeitzeuge einer dunklen Vergangenheit und Inspiration für Taferkeit und Großmut darüber zu sprechen (New York Times).

Margot Boyer-Dry berichtet über Freiluftkonzerte während der Pandemie in New York, etwa durch Wayne Tucker and the Bad Motha’s, den Bassisten Jerome Harris und die wöchentliche Community Jam in Prospect Heights, die Proben im Central Park der Trompeterin Kellin Hannas, sowie Berta Alloways Riverside Park-Gigs mit dem Saxophonisten Patience Higgins (New York Times). — John-Paul Shiver hört sich eine Aufnahme von Roland Hayes aus dem Jahr 1975 an und erzählt die Geschichte des in Oakland gegründeten Plattenlabels Black Jazz (48 Hills).

Sasha Frere-Jones spricht mit den Brüdern Branford und Wynton Marsalis über ihre New Yorker Erfahrungen der letzten 40 Jahre (Town & Country). — Christopher Wynn berichtet über Ella Fitzgeralds Mercedes Benz 300D-Cabriolet, eine Spezialanfertigung aus dem Jahr 1959, die jetzt bei einem kalifornischen Autohändler zum Verkauf steht (Dallas News).

Detlef Kinsler berichtet über die Initiative Jazz Montez in Frankfurt, deren Veranstaltungen ein junges Publikum ansprechen (sofern dies die Pandemie erlaubt), und die mit den „Jazz Montez Video Games“ jungen Ensembles aus der Region wie der Darmstädter Band Triorität eine Plattform bieten wollen (Frankfurter Neue Presse). — Ryan McFadin berichtet über eine neue Oper des Saxophonisten Jeff Crompton aus Atlanta über Leben und Musik des legendären Kornettisten Buddy Bolden mit dem simplen Titel „The Buddy Bolden Opera“ (WABE). R. Stephanie Bruno berichtet über eine Liste gefährdeter Kulturdenkmäler in New Orleans, die auch das Haus enthält, in dem Buddy Bolden aufwuchs (New Orleans Times-Picayune).

Preston Frazier spricht mit dem Gitarristen Alex Wintz (Something Else). — Gregor Dotzauer berichtet über den Vibraphonist, Komponisten und Architekturtheoretiker Christopher Dell, dessen jüngstes Projekt, „Das Arbeitende Konzert“, sowie über die Freiheit, die sich mit der Steigerung von Komplexität erreichen lässt (Der Tagesspiegel).

John Kelly erinnert an den Trompeter Dizzy Gillespie, der in den 1980er Jahren seine Thanksgiving-Abende gern im Haus von Dalphine Redd in Silver Spring, Maryland, verbrachte, der Mutter des Schlagzeugers Chuck Redd (Washington Post). — Fabienne Lang berichtet über einen Schachcomputer aus den 1970er Jahren, der jetzt zu einem „Jazz Computer“ umprogrammiert wurde (Interesting Engineering).

Roisin O’Connor spricht mit dem britischen Pianisten und Sänger Jamie Cullum über sein jüngstes Weihnachtsalbum (The Belfast Telegraph). — John Edward Hasse erinnert an den Pianisten Dave Brubeck, der dieser Tage 100 Jahre alt geworden wäre (Wall Street Journal).

Nachrufe:

Wir erfuhren vom Ableben des Bassisten Paul Schürnbrand im Alter von 85 Jahren (Schwäbische Zeitung), des Saxophonisten Herman Green im Alter von 90 Jahren (WMC5 Action News), der Sängerin Othella Dallas im Alter von 95 Jahren (Tele Basel), des Produzenten Michael Brooks im Alter von 85 Jahren (The Snycopated Times), der Sängerin Molly Hammer im Alter von 48 Jahren (KCUR), sowie des kanadischen Gitarristen Bobby Cairns im Alter von 78 Jahren (CBC).

Letzte Woche im Jazzinstitut

Die Deutsche Jazzunion hat eine Studie zur Geschlechtergerechtigkeit im deutschen Jazz vorgelegt, mit der die „Jazzstudie2016“  fortgesetzt wird, die von der DJU zusammen mit dem Jazzinstitut Darmstadt und der IG Jazz Berlin in Auftrag gegeben wurde. Die neue Studie namens „Gender.Macht.Musik. Geschlechtergerechtigkeit im Jazz“ kann auf der Website der DJU heruntergeladen werden (Deutsche Jazzunion).

Andreas Kolb sprach mit Wolfram Knauer über 30 Jahre im Jazzinstitut Darmstadt, aber auch über die künftige Arbeit des Instituts (Neue Musikzeitung).

Neue Bücher, die wir gelesen haben

Unter den Büchern, die wir in den vergangenen Wochen lasen, waren: „Adrian Rollini. The Life and Music of a Jazz Rambler“ von Ate van Delden (siehe die Rubrik „Neue Bücher“ auf der Website des Jazzinstituts).

Call for Papers: 17. Darmstädter Jazzforum (Verlängerung des CfP bis Ende des Jahres): „Aus der Neuen Welt“? Eurozentrismus im Jazz

Einen kürzlich erschienenen Artikel überschreibt der Journalist Georg Spindler: „Musik gehört keinem, sie ist frei “ (Mannheimer Morgen). Kulturelle Aneignung, findet er, ließe sich auch als kreativer Fortschritt verstehen, wofür er Beispiele aus klassischer Musik und Jazz anführt. Dann fokussiert er auf eine Debatte insbesondere in den USA, „die Weißen hätten von der schwarzen Community alles übernommen und kommerzialisiert – außer der Last“, „everything but the burden“ also (einen Buchtitel des Autors Greg Tate zitierend). Musik anderer Kulturen als Ausgangspunkt des kreativen Prozesses zu nutzen sei allerdings keineswegs Plagiat, sondern gängige Kulturpraxis. Ein Aspekt, den Spindler in seinem Artikel außen vor lässt, ist, dass jedwedes Material, das man sich für seine kreative Arbeit aus anderen Kulturen „borgt“, mit Respekt vor seinem Ursprung behandelt werden sollte, sowie die Tatsache, dass, wann immer wir Material anderer Kulturen für unseren künstlerischen Diskurs nutzen, dieses automatisch mit unserer ästhetischen Haltung verknüpft wird, was wiederum die Gefahr in sich birgt, dass wir, je vertrauter uns dieses Material wird, unsere eigenen ästhetischen Werte zurück auf die Quellen des Materials und seine ursprüngliche kulturelle Umgebung übertragen.

… ein weiterer Aspekt also, der beim 17. Darmstädter Jazzforum diskutiert werden könnte, das wir vom 30. September bis 2. Oktober 2021 planen. (Andere Aspekte und andere Perspektiven wurden bereits in den letzten Newslettern genannt; Sie können diese alle aber auch auf der Seite zum Jazzforum nachlesen, die unten verlinkt ist.) Wir laden Sie ein uns Vorschläge für Referate, Panels oder künstlerische Interventionen über eines dieser Teilgebiete (oder ein ganz anderes) zuzusenden, das Ihrer/Eurer Perspektive angemessen ist. Und wir würden uns freuen, wenn Sie unseren Call for Papers mit anderen potentiell Interessierten teilen, mit Kolleg:innen, Künstler:innen, Journalist:innen, Aktivist:innen. Wir sind (innerhalb gewisser Grenzen) dazu in der Lage Reisespesen zu ersetzen. Wir haben die Deadline für Vorschläge bis zum 31. Dezember 2020 verlängert (17. Darmstädter Jazzforum).


JazzNews, No. 1 (2. bis 15. Januar 2020)

Letzte Woche im Jazzinstitut

2. Januar 2020
Dave Brubeck / Keno Hariehausen

Raj Tawney erinnert an die erste Jazz-LP, die sich in mehr als einer Million Exemplare verkaufte, Dave Brubecks „Time Out“, aufgenommen vor 60 Jahren, und erfolgreich nicht nur, aber sicher auch, weil sie Paul Desmonds „Take Five“ enthielt (Billboard). — Matthias Wegner spricht mit dem Pianisten Keno Harriehausen über seine Faszination mit „Schönheit“, über sein Quartett, in dem ein Cello das Drumset ersetzt, sowie über sein jüngst erschienenes Debütalbum (Deutschlandfunk Kultur).

4. Januar 2020
Philadelphia / Cairo

Das Kimmel Cultural Center in Philadelphia wird sich in seinem Jazz Residency Programm 2020 vor allem um soziale Belange kümmern, wobei Themen wie Obdachlosigkeit, kulturelle Identität und Zukunft der städtischen Communities beispielsweise in Kompositionen von Ruth Naomi Floyd, Immanuel Wilkins und Richard Hill Jr. beleuchtet werden (Broadway World). — Ulrich Stock spricht mit dem Filmemacher Atef Ben Bouzid dessen Dokumentarfilm über das Jazz Festival in Kairo letztes Jahr beim Darmstädter Jazzforum zu sehen war und jetzt in mehr und mehr deutschen Kinos gezeigt wird (Die Zeit).

6. Januar 2020
Jon Faddis / Earl ‚Snakehips‘ Tucker

Howard Reich spricht mit dem Trompeter Jon Faddis über das Chicago Jazz Ensemble, das er zwischen 2004 und 2010 leitete, über das Erbe Bill Russos, über seine Arbeit mit Schulklassen, über die Tatsache, dass es heute so viel mehr an Musikerinnen auf der Szene gibt, sowie über den Einfluss Dizzy Gillespies, Clark Terrys und Dave Brubecks auf ihn (Chicago Tribune). — In der Reihe über außerordentliche Menschen, über deren Ableben in seiner Zeitung nie berichtet wurde, erinnert Brian Seibert an den Tänzer Earl ‚Snakehips‘ Tucker, der in den 1920er und 1930er Jahren sehr populär war und auch in Filmen zu sehen ist, unter anderen zusammen mit Duke Ellington, und dessen Tanzbewegungen in den Bühnenshows von Künstlern wie Elvis Presley und Michael Jackson ein spätes Echo fanden (New York Times).

8. Januar 2020
Marcus Gilmore + Zakir Hussain / Jazz in Australia: 1927

Vanessa Viegas spricht mit dem Schlagzeuger Marcus Gilmore und seinem Mentor für ein Jahr, dem Tabla-Meister Zakir Hussain, darüber, was sie beide aus ihren Treffen gelernt haben, über die Unterschiede zwischen klassischer indischer Musik und Jazz und wie man diese überkommt, sowie über die Tradition musikalischer Mentoren im allgemeinen (Hindustan Times). — Henry Reese entdeckt Gender- und Klassenvorurteile genauso wie ästhetische Gründe für eine Steuer, die in Australien 1927 auf die Einfuhr von Grammophonplatten erhoben wurde, eine Steuer, die sich insbesondere gegen amerikanische Importe von Platten mit populärer Musik und Jazz richtete, weil es, wie ein Mitglied der Steuerkommission es ausdrückte: „zum Wohle unserer Ehemänner vielleicht besser wäre, wenn diese Platten nicht in Australien erhältlich wären“ (The Conversation).

10. Januar 2020
Kenny G + smooth jazz / Archive of Contemporary Music

Über den Smooth-Jazz-Saxophonisten Kenny G kursieren in Jazzkreisen viele Witze. Ethan Iverson versucht ihn in einer Antwort auf einen Artikel von John Halle, „In Defense of Kenny G“ (Jacobin) ernst zu nehmen und erklärt, dass Smooth Jazz „in der schwarzen Community weit beliebter ist als jede Art von „Avant“- oder „Straight-Ahead“-Jazz“ und dass Smooth Jazz und R ’n‘ B sich größtenteils dasselbe Publikum teilen. Wenn man über Kenny G urteile, müsse man auch über Grover Washington sprechen, argumentiert Iverson und fordert, das ein Diskurs über Kenny G auf ähnliche Künstler blicken sollte, denen aus Kollegenkreisen wenig Respekt entgegengebracht wird, den klassischen Pianisten Lang Lang etwa, dem Maler Thomas Kincade oder den Schriftsteller Rupi Kaur (Do the Math). — Derek M. Norman berichtet über das Archive of Contemporary Music, eine gemeinnützige Organisation, die 1985 gegründert wurde und über das weltweit größte Archiv populärer Musik verfügt, die jetzt aber die Archivräume im TriBeCa-Viertel New Yorks verlassen muss. Norman erzählt, wie das Archiv mit der privaten Sammlung des Gründers Bob George begann, nennt einige der Spender und Vorstandsmitglieder, unter ihnen Namen wie David Bowie, Lou Reed und Paul Simon, und diskutiert die Herausforderungen der digitalen Musikindustrie und die Vorteile althergebrachter Tonträger (New York Times).

12. Januar 2020
Byron Stripling / Ellis Marsalis

Scott Tady spricht mit dem Trompeter Byron Stripling über seine neue Stelle als Dirigent des Pittsburgh Symphony Pops Orchestra, über Marvin Hamlish, der von 1994 bis 2012 als erster Pops-Dirigent des PSO fungierte, sowie über Outreach-Programme und Konzerte, die „die lokale Community unterstützen“ sollen (The Times). — Keith Spera berichtet über den 85-jährigen Pianisten Ellis Marsalis, der einen wöchentlichen Gig beenden wird, den er seit mehr als 30 Jahren im Club Snug Harbor hatte, aber bestimmt bei Gastauftritten immer mal wieder zu hören sein wird (New Orleans Times-Picayune).

14. Januar 2020
Pharoah Sanders / Herbert Joos

Nathaniel Friedman spricht mit dem Saxophonisten Pharoah Sanders über das Musikmachen im Alter von 79 Jahren, über sein Repertoire, über die Entscheidung für das Saxophon, als er begann Musik zu machen, über seine Ankunft in New York im Jahr 1962, als er für eine Weile keine eigene Wohnung hatte, über seine Zusammenarbeit mit John Coltrane in den Mitt-1960er Jahren, darüber, dass er niemals mit seinem eigenen Spiel zufrieden gewesen sei, über Natur- und Umgebungsgeräusche, denen er dieser Tage mehr lauscht als Musik, wenn er sich auch immer wieder seine eigenen Platten anhöre, um zu checken, ob er sich wiederholt, über seine Lieblingsballaden, sowie darüber, dass man immer dem Gefühl in der Musik folgen müsse, während man spielt (The New Yorker). — Bernd Haasis spricht mit dem Pianisten Patrick Bebelaar über seine langjährige Zusammenarbeit mit dem Trompeter Herbert Joos, der im Dezember verstarb, über das Programm eines Gedenkkonzerts im Theaterhaus Stuttgart, an dem zahlreiche Fereunde und Kollegen des Trompeters mitwirken, sowie über Joos‘ letzte Aufnahme, vier Stücke, die die Besucher des Konzerts auf einer eigens gepressten CD als Andenken erhalten werden (Stuttgarter Zeitung). Bernd Haasis besuchte das Konzert und berichtet (Stuttgarter Zeitung), genauso wie Michael Rüsenberg (JazzCity).

… und sonst noch …

Laman Ismayilova feiert den 50sten Geburtstag der azerbaijanischen Sängerin und Pianistin Aziza Mustafa-Zadeh (MenaFN).  — John J. Moser findet mehr über einen obskuren Mitschnitt der Louis Armstrong All Stars aus dem Jahr 1956 heraus (The Morning Call). — Howard Reich spricht mit Heather Ireland Robinson über ihre Vision für das Chicago Jazz Institute (Chicago Tribune). — David Grundy blickt auf die 50-jährige Geschichte des Art Ensemble of Chicago (Art Forum). — Josef Engels sieht die Miles Davis-Dokumentation „Birth of the Cool“ (Die Welt). — Neil Kotre blickt auf Miles Davis‚ Fusionaufnahmen und fragt, wie diese die Jazzgeschichte verändert haben (Cherwell). — Chris Richards besuchte letztes Jahr fünf verschiedene Programme des Pianisten Jason Moran im Kennedy Center in Washington, D.C. (Washington Post). — John Wirt spricht mit dem Saxophonisten Mark Zaleski über den Einfluss der Musik Dave Brubecks auf ihn (The Advocate). — Michael Flanagan spricht mit dem Pianisten und Grafiker Tim Lewis (Bay Area Reporter). — Michael Cooper berichtet über Pläne des größten Rentenplans der Vereinigten Staaten, der Kürzungen der Pensionszahlungen plant (New York Times). — Sarah Maslin Nir spricht mit dem Sänger und Komponisten Allan Harris über sein Musical „Cross That River“ (New York Times). — Thomas Winkler spricht mit Fee Schlennstedt, der künstlerischen Leiterin des Quasimodo Clubs in Berlin (die tageszeitung):

Nachrufe

Wir erfuhren vom Ableben des Trompeters Jack Sheldon im Alter von 88 Jahren (Los Angeles Times, New York Times), des Perkussionisten Emil Richards im Alter von 87 Jahren (Hollywood Reporter), des Komponisten Jerry Herman im Alter von 88 Jahren (New York Times), des belgischen Multiinstrumentalisten Joel Vandroogenbroeck im Alter von 81 Jahren (Aargauer Zeitung, Broadway World), des Pianisten Wolfgang Dauner im Alter von 84 Jahren (Der Spiegel, Der Tagesspiegel, Süddeutsche Zeitung), des Schlagzeugers Neil Peart im Alter von 67 Jahren (New York Times), sowie des kanadischen Gitarristen Vic Juris im Alter von 66 Jahren (Ottawa Citizen).

Aus der Welt der Jazzforschung

Rhythm Changes (Konferenz)

Der Termin für die nächste Rhythm Changes-Konferenz wurde bekanntgegeben. Die viertägige Tagung wird vom 27. bis 30. August 2020 am Konservatorium von Amsterdam stattfinden. Keynote-Speakers sind Lucas Dols und Charles Hersch. Das Generalthema „Jazz Now!“ umfasst Themengebiete wie Umwelt und Nachhaltigkeit, Dekolonisation, Populismus oder die komplexe globale Geschichte einer Musik, die sich immer noch laufend verändert (Rhythm Changes).

Neue Bücher

Unter den Büchern, die wir in den vergangenen Wochen lasen, waren „Das Bilderlexikon der deutschen Schellack-Schallplatten“ (Bear Family), herausgegeben von Rainer E. Lotz zusammen mit Michael Gunrem und Stephan Puille, „111 Jazz-Alben, die man gehört haben muss“ (emons) von Roland Spiegel und Rainer Wittkamp, „111 Gründe, Jazz zu lieben“ (Schwarzkopf & Schwarzkopf) von Ralf Dombrowski, „Das Wollny Alphabet. Michael Wollny im Gespräch“ (Jazzprezzo) von Rainer Placke, sowie „André Hodeir. Le jazz et son double“ (Symétrie) von Pierre Fargeton. (Siehe die Rubrik „Neue Bücher“ auf der Website des Jazzinstituts).

Letzte Woche im Jazzinstitut

Darmstadt Jazz = dazz

Das Jazzinstitut war zwischen Weihnachten und Neujahr geschlossen, doch unser Gewölbekeller erklang auch zwischen den Jahren, etwa mit Konzert der Bands Das Rosa Rauschen und der Insomnia Brass Band. Und seit letzten Freitag steigt wieder das „dazz“-Festival in Darmstadt, das vom Jazzinstitut zusammen mit der Bessunger Knabenschule und der Centralstation organisiert wird, insgesamt 13 Spielorte einbindet, die zusammen 27 Konzerte über 10 Tage veranstalten und dabei lokale Größen genauso wie internationale Stars präsentieren (dazz Festival). Das dazz-Programm begann im Jazzinstitut mit dem deutsch-dänisch-polnischen Quartett Fusk (Darmstädter Echo), ging mit Uli Partheils Latin Experience weiter, das zusammen mit der Querflötistin Isabelle Bodenseh auftrat, dem Joscho Stephan Quartet sowie dem Trio Vorwärts / Rückwärts mit dem Cellisten Johannes Fink, der Bassistin Maike Hilbig und dem Posaunisten Gerhard Gschlößl. Bislang waren alle Konzerte ausverkauft; wir erwarten ein ähnliches Interesse auch für den Rest des Festivals. An diesem Freitag wird das Trio des New Yorker Schlagzeugers Tom Rainey mit Ingrid Laubrock und Mary Halvorson den ersten JazzTalk des Jahres bestreiten (dazz Festival).

Sketch Jazz

Das dazz Festival begann mit der Eröffnung einer Ausstellung der Grafikerin Nicole Schneider. Seit etwa zwei Jahren ist Nicole auf zahlreichen Jazzkonzerten in Darmstadt präsent, sitzt meist irgendwo in den ersten Reihen und skizziert leise in ihre kleinen Skizzenbücher. Nach dem Konzert setzt sie sich zuhause hin und koloriert die Skizzen, noch später nutzt sie sie als Inspiration für großformatigere Bilder. Alle Stationen ihrer Arbeit sind in der Ausstellung zu seien, die noch für drei Monate in der Galerie des Jazzinstituts zu sehen ist. Es gibt einen kleinen Katalog; ein Video, in dem die Künstlerin ihren Ansatz erklärt, ist auf unserer Website zu finden, und Nicole Schneider wird auch weiterhin bei Konzerten in der ganzen Stadt zu finden sein (Jazzinstitut, Nicole Schneider, Darmstädter Echo).

[:en]tungen gelistet sind. Sie können Auszüge aus dem Jazz-Index zu bestimmten Stichworten (also beispielsweise konkreten Musikernamen) kostenlos per e-mail erhalten. Noch ein Hinweis zu den Links auf dieser Seite: Einige der verlinkten Artikel sind ohne Anmeldung nicht einsehbar; bei vielen Online-Zeitungen ist die Lektüre älterer Artikel kostenpflichtig. Bitte beachten Sie, dass die Zusammenfassungen und die Übersetzungen auf dieser Seite unsere Zusammenfassungen und Übersetzungen sind. Wenn Sie die hier gelisteten Artikel zitieren wollten, sollten Sie zu den Originalquellen greifen.

Autor der JazzNews (deutsch wie englisch): Wolfram Knauer

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Inhaltsverzeichnis


JazzNews, No 25 (3. bis 17. Dezember 2020)

… in aller Kürze …

Andrew Gilbert liest einige neue Bücher über und erinnert an San Franciscos Fillmore District und seine Jazzgeschichte (San Francisco Classical Voice). — Howard Reich sieht sich einen neuen Dokumentarfilm über die Sängerin Billie Holiday an (Chicago Tribune).

Stefan Künzli spricht mit dem Schweizer Saxophonisten Christoph Huber (Aargauer Zeitung). — Peter Kemper hört sich das jüngste Album der Gitarristin Mary Halvorson an (Frankfurter Allgemeine Zeitung).

Anastasia Tsioulcas berichtet über den New Yorker Club Jazz Standard, der wegen der Pandemie schließen musste (NPR). Nick Garber berichtet ebenfalls (Patch), genauso wie Emily Olcott (Emily Olcott), Janice Kirkel (WBGO), Ben Sisario (New York Times) und Matt Stieb (Curbed), der mit dem künstlerischen Leiter Seth Abramson spricht sowie mit dem Besitzer des Clubs Smalls, Spike Wilner, mit Rio Sakairi von der Jazz Gallery und Deborah Gordon vom Village Vanguard, die alle über ihre Strategien berichten, mit den Folgen der Pandemie umzugehen. Auch andere Clubs geraden in Schwierigkeiten, so lasen wir beispielsweise von der Schließung des El Chapultepec in Denver (SCNow, 5280). Dave Hoekstra erinnert an die Palm Tavern in Chicago (Dave Hoekstra). Jamyra Perry spricht mit Eric Wortham über einen Fundraiser, den er für den Erhalt von Chris‘ Jazz Café in Philadelphia organisiert hat (The Philadelphia Tribune).

Jennifer Gould berichtet über die Wohnung des Trompeters Chuck Mangione am New Yorker Central Park, die für 2,25 Millionen Dollar zum Verkauf steht (New York Post). — Hans Hielscher (Der Spiegel), Stefan Hentz (Neue Zürcher Zeitung) und Roland Spiegel (BR Klassik) erinnern an seinem 100sten Geburtstag an Dave Brubeck. Das Fillius Jazz Archive öffnet aus diesem Anlass seinen Interview-Tresor und zeigt zwei Interviews mit Brubeck (Hamilton University).

Ronald Pohl spricht mit dem Pianisten Georg Gräwe (Der Standard). — Neeraja Murthy spricht mit dem Gitarristen Max Clouth über das Jazzkollektiv Ragawerk und den Einfluss der indischen klassischen Musik auf seine eigene Klangsprache (The Hindu).

Joselyn Green spricht mit dem Bassisten Jamaladeen Tacuma (The Renegade Rip). — Gregg Shapiro spricht mit dem Saxophonisten Dave Koz (Bay Area Reporter). — Zeb Larson blickt zurück auf die Hochzeiten und den Niedergang des früheren schwarzen Unterhaltungsviertels 18th & Vine in Kansas City (Scalawag Magazine).

Lukas Wall spricht mit dem Pianisten Florian Hoefner über seinen Umzug von New York City nach Neufundland in Kanada, sowie darüber, wie das dortige Klima bereits Eingang in seine Musik gefunden hat (CBC). — Ulrich Stock spricht mit der Saxophonistin Luise Volkmann über den Einfluss ihres Vaters auf ihre musikalische Entwicklung sowie über ihr Ensemble Été Large und dessen jüngstes Album, „When the Birds Upraise Their Choir“ (Die Zeit). Luise Volkmann ist übrigens die nächste Preisträgerin des Kathrin Preises, der vom Jazzinstitut Darmstadt verliehen wird, einer Kurzresidenz, die sie im nächsten April in Darmstadt antreten wird (Kathrin Preis).

Alex Green blickt auf Vergangenheit und Gegenwart des Jazz in Memphis, Tennessee (Memphis Flyer). — Ekow Barnes spricht mit dem Ghanaischen Gitarristen und Sänger Ebo Taylor (The Philadelphia Tribune).

Susan De Vries berichtet darüber, dass das Haus des verstorbenen Pianisten Cecil Taylor in Brooklyn für 2,499 Millionen Dollar zum Verkauf steht (Brownstoner). — Willard Jenkins veröffentlicht ein Gespräch, dass er mit dem kürzlich verstorbenen Pianisten Ed Stoute über dessen Karriere und die Jazzszene in Brooklyn, New York, geführt hatte (Open Sky Jazz).

Nachrufe

Wir erfuhren vom Ableben des kanadischen Vibraphonisten Bob Jenkins im Alter von 90 Jahren (The Sault Star), des dänischen Trompeters Allan Botschinsky im Alter von 80 Jahren (Extra Bladet), des Saxophonist Ed Xiques im Alter von 81 Jahren (Information von Kenny Berger), des Promoters Russ Neff in seinen 70ern (Penn Live Patriot-News), des neuseeländischen Pianisten Julian Lee im Alter von 97 Jahren (ABC), des Pianisten Nadi Qamar alias Spaulding Givens im Alter von 103 Jahren (Tribute Archive), der Pianistin und Sängerin Margaret Wright im Alter von 78 Jahren (The Austin Chronicle), des Komponisten Harold Budd im Alter von 84 Jahren (Variety), des Saxophonisten Benny Poole im Alter von 91 Jahren (MLive), des Pianisten Herb Drury im Alter von 92 Jahren (St. Louis Post-Dispatch), des Clubbesitzers Gerri Oliver im Alter von 101 Jahren (Dave Hoekstra), des italienischen Arrangeurs und Promoters Sandro Brugnolini im Alter von 89 Jahren (Exclaim), des niederländischen Trompeters Marc van Nus im Alter von 83 Jahren (Tubantia), sowie des Saxophonisten J.T. Braxton im Alter von 101 Jahren (Fox34).

Aus der Welt der Jazzforschung

Immer wieder begegnen uns im Internet wissenschaftliche Studien zum Jazz, die wir für unser digitales Archiv speichern und in unseren Jazz Index aufnehmen. Darüber hinaus schicken uns Forscher:innen, die unsere Hilfe für ihre Arbeit genutzt haben, Links zu ihren veröffentlichten Arbeiten. Es macht also Sinn, solche Veröffentlichungen von Zeit zu Zeit mit den Leser:innen dieser JazzNews zu teilen. Was wir hiermit beginnen:

Niels Falch: From Oy to Joy: Jewish musical style in American popular songs 1892-1945, Groningen 2020 (PhD thesis: University of Groningen). — Download link

Letzte Woche im Jazzinstitut

Deutscher Jazzpreis
Die Staatsministerin für Kultur und Medien, Monika Grütters, hat bekanntgegeben, dass ab nächstem Jahr jährlich in 31 Kategorien der Deutsche Jazzpreis vergeben wird. Die erste Preisverleihung ist für Juni 2021 geplant (Deutscher Jazzpreis). Die Vorbereitungen zur Ausgestaltung des Preises laufen schon seit einer Weile, im Beirat dazu sitzt unter anderem Arndt Weidler vom Jazzinstitut Darmstadt.

Call for Papers: 17. Darmstädter Jazzforum (Verlängerung des CfP bis Ende des Jahres)
„Aus der Neuen Welt“? Eurozentrismus im Jazz
Ein Artikel auf der buddhistischen Website The Lion’s Roar befasst sich mit „Dharma Americana“ (The Lion’s Roar): dem Einfluss des Buddhismus auf den Jazz, konkret beipielsweise auf Musiker wie Herbie Hancock, Wayne Shorter, Bennie Maupin, Buster Williams, Tamm E. Hunt, Joseph Jarman, John Coltrane und Jerry Granelli. In unseren letzten JazzNews hatten wir einen Artikel verlinkt, der das Phänomen der kulturellen Aneignung als kreativen und dabei in die Zukunft gerichteten Akt beschrieb und zugleich das Thema des Respekts vor kulturellen Wurzeln thematisiert. Die Lektüre des Artikels in The Lion Roars machte uns bewusst, dass „Respekt“ vor den Ursprüngen des Materials, dessen man sich bedient, eine sehr persönliche Angelegenheit sein kann. Dieser Respekt kommt mal als öffentliches Bekenntnis daher, welchem Material man sich verpflichtet fühlt, er kann aber genauso gut auch nur im persönlichen Wissen darum bestehen. Egal ob oder wie man ihn verbal äußert, in der Musik ist solcher Respekt in der Regel zu hören. Er ist eine Haltung, mit der man seine kreative Arbeit angeht. Irgendwie besitzen ihn die meisten, deshalb muss er nicht unbedingt laut geäußert werden, und doch kann eine Respektbezeugung von Zeit zu Zeit auch hilfreich für das Bewusstsein der eigenen künstlerischen Entwicklung sein

… ein weiterer Aspekt also, der beim 17. Darmstädter Jazzforum diskutiert werden könnte, das wir vom 30. September bis 2. Oktober 2021 planen. (Andere Aspekte und andere Perspektiven wurden bereits in den letzten Newslettern genannt; Sie können diese alle aber auch auf der Seite zum Jazzforum nachlesen, die unten verlinkt ist.) Wir laden Sie ein uns Vorschläge für Referate, Panels oder künstlerische Interventionen über eines dieser Teilgebiete (oder ein ganz anderes) zuzusenden, das Ihrer/Eurer Perspektive angemessen ist. Und wir würden uns freuen, wenn Sie unseren Call for Papers mit anderen potentiell Interessierten teilen, mit Kolleg:innen, Künstler:innen, Journalist:innen, Aktivist:innen. Wir sind (innerhalb gewisser Grenzen) dazu in der Lage Reisespesen zu ersetzen. Wir haben die Deadline für Vorschläge bis zum 31. Dezember 2020 verlängert (17. Darmstädter Jazzforum).

Video-Sprechstunde im Jazzinstitut
Seit November bieten wir zusätzlich zu allen bisherigen Kontaktmöglichkeiten (persönlich, per Telefon oder Mail) eine „Video-Sprechstunde“ an. Dafür stehen wir jeweils am Dienstag- und Donnerstagnachmittag zwischen 14 und 15 Uhr MEZ (13-14 Uhr UTC) zur Verfügung, bitten Sie allerdings, dafür per e-mail einen Termin abzumachen und uns dabei bereits mitzuteilen, worum es in dem Gespräch gehen soll. Wir werden Ihnen dann einen Link für eine Webex Videosession für unser Treffen zusenden

Harter Lockdown
Angesichts der weiter gestiegenen Infektions- und Todeszahlen haben Bundes- und Landesregierungen einen weitreichenden Lockdown bis zum 10. Januar beschlossen. Wir nehmen den Lockdown ernst und bleiben deshalb bis zu diesem Termin für die Öffentlichkeit geschlossen. Sie können uns bis zum 18. Dezember und im neuen jahr ab dem 4. Januar wie gewohnt per Telefon oder Videocall erreichen. Ansonsten raten wir Ihnen: Bleiben Sie zuhause, bleiben Sie gesund, und hören Sie viel Jazz

Und trotz des frustrierenden, schrecklichen, tragischen Jahres, das hinter uns liegt, wünschen wir Ihnen ein wunderbares, besinnliches Weihnachtsfest und ein glückliches, gesundes und jazziges 2021! Wir sind uns sicher, dass wir uns wiedersehen, und zwar bei Livekonzerten

Doris Schröder, Arndt Weidler and Wolfram Knauer
Das Team des Jazzinstituts Darmstadt.


JazzNews, No 24 (19. November bis 2. Dezember 2020)

… in aller Kürze …

Kate Hutchinson spricht mit dem Saxophonisten Femi Kuti, dem Perkussionisten Sarathy Korwar, der Gitarristin Shirley Teteh, den Saxophonisten Gary Bartz, Shabaka Hutchings und der Saxophonistin Tia Fuller über den Einfluss Charlie Parkers und ihre Lieblingsaufnahme seines Schaffens (The Guardian). — Steve Krakow erinnert an den Schlagzeuger Dave Tough der zumeist als Drummer des frühen Chicago-Jazz gesehen wird, der aber auch offene Ohren für modernere Spielweisen etwa seines Kollegen Max Roach hatte (Chicago Reader).

Ulrich Kriest spricht mit dem amerikanischen Schlagzeuger Allen Blairman über seine Karriere, die ihn von Pittsburgh nach Heidelberg brachte (SWR2). — Lewis Porter hört sich John Coltranes Aufnahme „Alabama“ an, um dann drei unterschiedliche Ansätze in Coltranes Musik vorzustellen: Songs mit Texten, Stücke, die durch Worte inspiriert wurden, und solche mit versteckten Inhalten. Dann diskutiert er die Theorie, dass „Alabama“ auf Dr. Martin Luther Kings Trauerrede für die vier Mädchen basiere, die 1963 während eines rassistisch motivierten Anschlags auf eine Kirche in Birmingham ums Leben kamen. Wenn überhaupt, argumentiert Porter, basiere Coltranes Stück wohl eher auf Zeitungartikeln über als auf der Rede Kings selbst, was er dadurch zu belegen versucht, dass er Zitate aus den Artikeln mit der klingenden Musik der Aufnahme vergleicht (WBGO).

Doug Doyle spricht mit dem Musiker und Musikwissenschaftler Lewis Porter über seine künftigen Pläne als Pianist und Pädagoge (WBGO). — Matina Stevis-Gridneff spricht mit dem belgischen Pianisten Simon Gronowski über die Fensterkonzerte, die er wegen der Pandemie seit April regelmäßig in seiner Wohnung in Brüssel gibt, sowie über seine eigene Lebensgeschichte, wie er nämlich den Todeslagern von Auschwitz entkam, weil er aus dem fahrenden Zug dorthin sprang, eine Geschichte, die er lang für sich behielt, bis Freunde ihn drängten, öffentlich als Zeitzeuge einer dunklen Vergangenheit und Inspiration für Taferkeit und Großmut darüber zu sprechen (New York Times).

Margot Boyer-Dry berichtet über Freiluftkonzerte während der Pandemie in New York, etwa durch Wayne Tucker and the Bad Motha’s, den Bassisten Jerome Harris und die wöchentliche Community Jam in Prospect Heights, die Proben im Central Park der Trompeterin Kellin Hannas, sowie Berta Alloways Riverside Park-Gigs mit dem Saxophonisten Patience Higgins (New York Times). — John-Paul Shiver hört sich eine Aufnahme von Roland Hayes aus dem Jahr 1975 an und erzählt die Geschichte des in Oakland gegründeten Plattenlabels Black Jazz (48 Hills).

Sasha Frere-Jones spricht mit den Brüdern Branford und Wynton Marsalis über ihre New Yorker Erfahrungen der letzten 40 Jahre (Town & Country). — Christopher Wynn berichtet über Ella Fitzgeralds Mercedes Benz 300D-Cabriolet, eine Spezialanfertigung aus dem Jahr 1959, die jetzt bei einem kalifornischen Autohändler zum Verkauf steht (Dallas News).

Detlef Kinsler berichtet über die Initiative Jazz Montez in Frankfurt, deren Veranstaltungen ein junges Publikum ansprechen (sofern dies die Pandemie erlaubt), und die mit den „Jazz Montez Video Games“ jungen Ensembles aus der Region wie der Darmstädter Band Triorität eine Plattform bieten wollen (Frankfurter Neue Presse). — Ryan McFadin berichtet über eine neue Oper des Saxophonisten Jeff Crompton aus Atlanta über Leben und Musik des legendären Kornettisten Buddy Bolden mit dem simplen Titel „The Buddy Bolden Opera“ (WABE). R. Stephanie Bruno berichtet über eine Liste gefährdeter Kulturdenkmäler in New Orleans, die auch das Haus enthält, in dem Buddy Bolden aufwuchs (New Orleans Times-Picayune).

Preston Frazier spricht mit dem Gitarristen Alex Wintz (Something Else). — Gregor Dotzauer berichtet über den Vibraphonist, Komponisten und Architekturtheoretiker Christopher Dell, dessen jüngstes Projekt, „Das Arbeitende Konzert“, sowie über die Freiheit, die sich mit der Steigerung von Komplexität erreichen lässt (Der Tagesspiegel).

John Kelly erinnert an den Trompeter Dizzy Gillespie, der in den 1980er Jahren seine Thanksgiving-Abende gern im Haus von Dalphine Redd in Silver Spring, Maryland, verbrachte, der Mutter des Schlagzeugers Chuck Redd (Washington Post). — Fabienne Lang berichtet über einen Schachcomputer aus den 1970er Jahren, der jetzt zu einem „Jazz Computer“ umprogrammiert wurde (Interesting Engineering).

Roisin O’Connor spricht mit dem britischen Pianisten und Sänger Jamie Cullum über sein jüngstes Weihnachtsalbum (The Belfast Telegraph). — John Edward Hasse erinnert an den Pianisten Dave Brubeck, der dieser Tage 100 Jahre alt geworden wäre (Wall Street Journal).

Nachrufe:

Wir erfuhren vom Ableben des Bassisten Paul Schürnbrand im Alter von 85 Jahren (Schwäbische Zeitung), des Saxophonisten Herman Green im Alter von 90 Jahren (WMC5 Action News), der Sängerin Othella Dallas im Alter von 95 Jahren (Tele Basel), des Produzenten Michael Brooks im Alter von 85 Jahren (The Snycopated Times), der Sängerin Molly Hammer im Alter von 48 Jahren (KCUR), sowie des kanadischen Gitarristen Bobby Cairns im Alter von 78 Jahren (CBC).

Letzte Woche im Jazzinstitut

Die Deutsche Jazzunion hat eine Studie zur Geschlechtergerechtigkeit im deutschen Jazz vorgelegt, mit der die „Jazzstudie2016“  fortgesetzt wird, die von der DJU zusammen mit dem Jazzinstitut Darmstadt und der IG Jazz Berlin in Auftrag gegeben wurde. Die neue Studie namens „Gender.Macht.Musik. Geschlechtergerechtigkeit im Jazz“ kann auf der Website der DJU heruntergeladen werden (Deutsche Jazzunion).

Andreas Kolb sprach mit Wolfram Knauer über 30 Jahre im Jazzinstitut Darmstadt, aber auch über die künftige Arbeit des Instituts (Neue Musikzeitung).

Neue Bücher, die wir gelesen haben

Unter den Büchern, die wir in den vergangenen Wochen lasen, waren: „Adrian Rollini. The Life and Music of a Jazz Rambler“ von Ate van Delden (siehe die Rubrik „Neue Bücher“ auf der Website des Jazzinstituts).

Call for Papers: 17. Darmstädter Jazzforum (Verlängerung des CfP bis Ende des Jahres): „Aus der Neuen Welt“? Eurozentrismus im Jazz

Einen kürzlich erschienenen Artikel überschreibt der Journalist Georg Spindler: „Musik gehört keinem, sie ist frei “ (Mannheimer Morgen). Kulturelle Aneignung, findet er, ließe sich auch als kreativer Fortschritt verstehen, wofür er Beispiele aus klassischer Musik und Jazz anführt. Dann fokussiert er auf eine Debatte insbesondere in den USA, „die Weißen hätten von der schwarzen Community alles übernommen und kommerzialisiert – außer der Last“, „everything but the burden“ also (einen Buchtitel des Autors Greg Tate zitierend). Musik anderer Kulturen als Ausgangspunkt des kreativen Prozesses zu nutzen sei allerdings keineswegs Plagiat, sondern gängige Kulturpraxis. Ein Aspekt, den Spindler in seinem Artikel außen vor lässt, ist, dass jedwedes Material, das man sich für seine kreative Arbeit aus anderen Kulturen „borgt“, mit Respekt vor seinem Ursprung behandelt werden sollte, sowie die Tatsache, dass, wann immer wir Material anderer Kulturen für unseren künstlerischen Diskurs nutzen, dieses automatisch mit unserer ästhetischen Haltung verknüpft wird, was wiederum die Gefahr in sich birgt, dass wir, je vertrauter uns dieses Material wird, unsere eigenen ästhetischen Werte zurück auf die Quellen des Materials und seine ursprüngliche kulturelle Umgebung übertragen.

… ein weiterer Aspekt also, der beim 17. Darmstädter Jazzforum diskutiert werden könnte, das wir vom 30. September bis 2. Oktober 2021 planen. (Andere Aspekte und andere Perspektiven wurden bereits in den letzten Newslettern genannt; Sie können diese alle aber auch auf der Seite zum Jazzforum nachlesen, die unten verlinkt ist.) Wir laden Sie ein uns Vorschläge für Referate, Panels oder künstlerische Interventionen über eines dieser Teilgebiete (oder ein ganz anderes) zuzusenden, das Ihrer/Eurer Perspektive angemessen ist. Und wir würden uns freuen, wenn Sie unseren Call for Papers mit anderen potentiell Interessierten teilen, mit Kolleg:innen, Künstler:innen, Journalist:innen, Aktivist:innen. Wir sind (innerhalb gewisser Grenzen) dazu in der Lage Reisespesen zu ersetzen. Wir haben die Deadline für Vorschläge bis zum 31. Dezember 2020 verlängert (17. Darmstädter Jazzforum).


JazzNews, No 23 (5. bis 18. November 2020)

in aller Kürze …

Richard S. Ginell berichtet über ein Konzert des Saxophonisten Kamasi Washington mit dem Los Angeles Philharmonic Orchestra in der menschenleeren Hollywood Bowl (San Francisco Classical Voice). — Gregor Burgenmeister trifft den Pianisten Michael Wollny für einen Blindfold Test, in dem es um Aufnahmen von Gary Peacock, Joachim Kühn, Glenn Gould, Eugen Cicero, Igor Levit, Bill Evans und Keith Jarrett geht (Concerti).

Diana Gener berichtet über die New Yorker Jazzszene in Zeiten von Corona und spricht mit Spike Wilner vom Smalls, Audrey Schaefer von der National Independent Venue Association, Stephen Shanaghan vom Pangea, Mark Kirby von der 55 Bar, dem Saxophonisten Jure Pukl, dem Pianisten Shai Maestro, der Sängerin Kiran Ahluwalia und dem Tänzer Xianix Barrera (Diana Gener Medium). — Bill Beuttler spricht mit der Gitarristin Mary Halvorson über ihren Weg zum Jazz und zur improvisierten Musik, über ihr Studium mit Anthony Braxton, über ihre Faszination mit der Musik Robert Wyatts, die dazu führte, dass er als Gastkünstler bei ihrem jüngsten Album, „Artlessly Falling“, mitwirkte, sowie über d