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Darmstädter Musikgespräche (Archiv)

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32. Darmstädter Musikgespräch:
Kunst kommt von … ?
Ein Musikgespräch über Joseph Beuys und über Musik

Gast: Martin Faass, Direktor des Hessischen Landesmuseums Darmstadt
Termin: [ursprünglich: Mittwoch, 27. Mai 2020, 20:00 Uhr]
verschoben; neuer Termin wird bekanntgegeben!
Ort: Museumscafe im Landesmuseum Darmstadt

Vor 50 Jahren richtete Joseph Beuys im Darmstädter Landesmuseum mehrere Räume ein, die seither als „Block Beuys“ Kunstgeschichte geschrieben haben. Wir nehmen die Feiern zum 50-jährigen zum Anlass mit dem Direktor des Landesmuseums Martin Faass über Beuys‘ Ästhetik zu diskutieren und darüber, wie diese weit über die Bildende Kunst hinaus und bis heute spürbar ist. Wir sprechen beispielsweise über die Komposition des scheinbar Improvisierten, über die Schwierigkeit, das Vergängliche festhalten zu wollen, über das Schaffen und die Veränderung von Konnotationen über die Jahre, über Verständnis und Missverständnis im Bereich von Kunst und Musik und die Berechtigung für beide Reaktionen, oder darüber, wie es mit dem Anspruch einer Demokratisierung des Kunstbetriebs heute bestellt ist.

Das Musikgespräch zu Beuys wird im Museumscafé des Hessischen Landesmuseums Darmstadt stattfinden (Friedensplatz 1).

Das musikalische Quartett des Darmstädter Musikgesprächs besteht aus den Leitern der drei städtischen Darmstädter Musikinstitute – Cord Meijering (Akademie für Tonkunst), Thomas Schäfer (Internationales Musikinstitut) und Wolfram Knauer (Jazzinstitut) – sowie einem Gast. Die Darmstädter Musikgespräche sind eine Kooperation dieser drei städtischen Musikinstitute; der Eintritt zu den Veranstaltungen, die jeweils um 20.00 Uhr beginnen, ist frei.


31. Darmstädter Musikgespräch:
„It really cooks!
Ein Musikgespräch übers Kochen und die Musik

Gast: Monika Müller
Termin: Mittwoch, 27. November 2019, 20:00 Uhr
Ort: Theater im Pädagog, Pädagogstraße 5, 64283 Darmstadt

„It really cooks“ sagt man im Englischen, wenn es richtig losgeht in der Musik. Es kocht auf der Bühne, wenn Musikerinnen und Musiker die Spannung gekonnt zum Höhepunkt treiben. Dieses Kochen ist allerdings meist Sache der Interpreten, nicht der Komponisten; es ist vor allem eine performative Qualität.

Über sie wollen wir beim 32. Darmstädter Musikgespräch mit der weit über Darmstadt hinaus bekannten kreativen Köchin Monika Müller sprechen. Wir werden Parallelen zwischen Kochen, Komponieren oder Improvisieren diskutieren, über kulinarische Ingredienzien und harmonische, rhythmische oder Klang-Farben sprechen, uns mit Gewürzen, Geschmackskontrasten, disharmonischen oder (oft nur scheinbar) atonalen Passagen in der Musik befassen, nach Völlerei und unkritischem Musikgenuss fragen, und uns bewusst machen, dass es in beiden Bereichen kompromisslose Verfechter einer „reinen Lehre“ gibt. Wir werden darüber sprechen, welche Melodien man in der Küche hört, wie jede einzelne Persönlichkeit dort ihren eigenen Klang besitzt, und wie man als Köchin eine Geschmacksdramaturgie entwickeln kann, in der sich Harmonie und spannende Dissonanzen abwechseln.

Zum Musikgespräch mit Monika Müller gehen wir an ihren augenblicklichen Wirkungsort, die Produktionsküche im Theater im Pädagog. Und wir werden in einem kurzen Einführungsvideo zum Abend einen Eindruck der musikalischen Umgebung ihrer kulinarischen Kreativität erhalten.


Das musikalische Quartett des Darmstädter Musikgesprächs besteht aus den Leitern der drei städtischen Darmstädter Musikinstitute – Cord Meijering (Akademie für Tonkunst), Thomas Schäfer (Internationales Musikinstitut) und Wolfram Knauer (Jazzinstitut) – sowie einem Gast. Die Darmstädter Musikgespräche sind eine Kooperation dieser drei städtischen Musikinstitute; der Eintritt zu den Veranstaltungen, die jeweils um 20.00 Uhr beginnen, ist frei.


Transformationen

Gäste: Nikolaus Heyduck, Reinhart Büttner
Termin: Mittwoch, 19. Juni 2019, 20:00 Uhr
Ort: Jazzinstitut Darmstadt (Bessunger Straße 88d, 64285 Darmstadt)

Unter dem Titel „Transformationen“ zeigen Nikolaus Heyduck, Barbara Heller, Helmut Werres und Reinhart Büttner vom 11. Juni bis zum 23. August 2019 im Jazzinstitut Installationen, Klänge und Bilder in einer Ausstellung im Rahmen des hundertjährigen Jubiläums der Darmstädter Sezession aus. Anlass über ein Musikgespräch mit demselben Titel und der Frage an zwei der Ausstellenden: Wie wird Grafik zu Klang, wie wird Klang zu Skulptur? Wie klingt ein Bild? Wie tönt eine Galerie?

Dabei sind der Künstler und Theoretiker Reinhart Büttner sowie der Komponist und Klangkünstler Nikolaus Heyduck. Zusammen mit dem Komponisten Cord Meijering, dem Direktor des Internationalen Musikinstituts Thomas Schäfer und dem Leiter des Jazzinstituts Wolfram Knauer wollen wir dabei den Verbindungslinien zwischen Visuellem, Greifbarem und Klingendem auf die Spur kommen.

Vor dem Musikgespräch besteht ab 19:15 Uhr die Möglichkeit, die Ausstellung im Jazzinstitut zu betrachten.


Das musikalische Quartett besteht aus den Leitern der drei städtischen Darmstädter Musikinstitute – Cord Meijering (Akademie für Tonkunst), Thomas Schäfer (Internationales Musikinstitut) und Wolfram Knauer (Jazzinstitut) – sowie einem Gast. Die Darmstädter Musikgespräche sind eine Kooperation dieser drei städtischen Musikinstitute; der Eintritt zu den Veranstaltungen, die jeweils um 20.00 Uhr beginnen, ist frei.


Space is the Place!

Gast: Paolo Ferri (European Space Agency)
Termin: Mittwoch, 28. November 2018, 20:00 Uhr
Ort: Kunstforum der TU Darmstadt, Hochschulstraße 1, 64289 Darmstadt

Ein Darmstädter Musikgespräch mit Paolo Ferri über Utopie und Realität, über Space als erfahrbaren oder errechenbaren Raum, über Intuition und die Berechenbarkeit des Experimentellen und anderes mehr.

Paolo Ferri ist Bereichsleiter Missionsbetrieb bei ESOC (European Space Operations Centre) in Darmstadt, verantwortlich für die Durchführung von allen unbemannten Raumfahrtmissionen der Europäischen Raumfahrtagentur ESA (European Space Agency). Er leitet dort im Missionskontrollzentrum die Teams für die Missionssteuerung von Sonden zur Sonne und den Planeten, wie Mars Express, ExoMars, BepiColombo, Solar Orbiter, Juice, von Weltraumteleskopen wie XMM-Newton, Integral oder Gaia, von Erdbeobachtungssatelliten wie Cryosat, Swarm, oder die Copernicus Sentinels.

Mit Paolo Ferri wollen wir darüber sprechen, warum das Kontrollzentrum bei Raketenstarts mit einem Orchester vergleichbar ist, warum der Weltraum bereits für die Musiktheoretiker des Mittelalters („harmonia mundi“) interessant war oder wie die Liebe zur Musik der Naturwissenschaft vielleicht zu neuen Erkenntnissen verhelfen kann. So wenig dem Weltenraum Grenzen gesetzt sind, so grenzenlos scheinen die Möglichkeiten der Musik zu sein und so neugierig werden wir versuchen mit unseren gegenseitigen Fragen in die unendlichen Galaxien von Planeten und Tönen vorzudringen.

Schnallen Sie sich an und seien Sie dabei!


Das musikalische Quartett besteht aus den Leitern der drei städtischen Darmstädter Musikinstitute – Cord Meijering (Akademie für Tonkunst), Thomas Schäfer (Internationales Musikinstitut) und Wolfram Knauer (Jazzinstitut) – sowie einem Gast. Die Darmstädter Musikgespräche sind eine Kooperation dieser drei städtischen Musikinstitute; der Eintritt zu den Veranstaltungen, die jeweils um 20.00 Uhr beginnen, ist frei.


FRÜHERE MUSIKGESPRÄCHE28. Darmstädter Musikgespräch
Gast: Ute Ritschel (Internationales Waldkunst Zentrum)
Die Natur zum Klingen bringen…
Termin: Mittwoch, 16. Mai 2018, 20:00 Uhr
Ort: Main Hall, Osthang der Mathildenhöhe
Olbrichweg 19, 64287 Darmstadt

Ein Darmstädter Musikgespräch mit Ute Ritschel über Natur und Kunst, über Ewigkeitsanspruch und Vergänglichkeit und darüber, wie sich Kunst und Musik an der Natur ein Beispiel nehmen können (oder auch umgekehrt?).

Ute Ritschel ist Kuratorin und Kulturmanagerin und in dieser Funktion seit 2002 für die künstlerische Gestaltung des Internationalen Waldkunstpfads verantwortlich. Mit ihr möchten wir darüber sprechen, wie sich die Natur zum Klingen bringen lässt. Welchen „Sound“ hat das Holz – etwa um den Goetheteich herum oder auf der Ludwigshöhe, dort, wo Ute Ritschel „ihre“ Künstler*innen zur Arbeit einlädt? Wie können wir in die Natur hineinhören? Wie lassen sich „Wald“ und „kompositorische Arbeit“ in einem Kunstwerk vereinen? Und schließlich die alles entscheidende Frage, welche ästhetische Form für einen Klang-Kunstkörper gefunden werden kann?

Wir sind gespannt auf das gemeinsame Nachdenken und freuen uns, Ute Ritschel am 16. Mai 2018, 20.00 Uhr, in der Main Hall des Osthangs begrüßen zu dürfen (Osthang-Projekt).

Das Darmstädter Echo berichtete am 18. Mai 2018:

Klangkunst im Darmstädter Forst: Kuratorin Ute Ritschel spricht über Toninstallationen bei den Waldkunst-Ausstellungen
Von Susanne Döring

DARMSTADT – Musik aus der Natur war es schon, was beim 28. Darmstädter Musikgespräch im Hintergrund die Main Hall am Osthang der Mathildenhöhe beschallte: Durch das Grün wummerten Bässe von irgendwoher. Aber das war mit dem Motto „Die Natur zum Klingen bringen…“ nicht gemeint. Die Direktoren der drei städtischen Darmstädter Musikeinrichtungen, Cord Meijering, Thomas Schäfer und Wolfram Knauer, wollten vielmehr von Ausstellungskuratorin Ute Ritschel wissen, welche Rolle Musik im Rahmen ihres Internationalen Waldkunstpfades spielt.

Mehrere Werke setzten auf Töne

Ausführlich erzählte diese mit Dias von den bislang acht Darmstädter Waldkunstpfaden, in denen immer auch Musik einen wichtigen Raum einnahm. So komponierte Martin Kürschner ein Werk für die Lichtinstallation „Blau Ton“ von Gerhard Lang im Ludwigshöhturm. Johannes S. Sistermanns beteiligte sich mit der Klangplastik „Waldrand 1–3“, indem er mit seinen Stücken die Grenze zwischen Stadt und Wald auslotete; Paul Feichter aus Italien und Ko Seung Hyun aus Korea nutzten Waldmaterialien für Klangerzeuger. Feichters Pfeifenbaum und Ko Seung Hyuns Saiteninstrument Kayageum, brachten fremde Klänge in den Forst. Laute rund um den Wald wie Baumnamen oder Wetterberichte verarbeiteten dagegen Nikolaus Heyduck und Susanne Resch in der Performance „Weitere Aussichten“. In Lutz Nevermanns Projekt „Seegestöber“ hoben „Soundpoles“ (eine Art Klangstäbe) das Plätschern des Wassers im Goetheteich, Wind und Insektengeräusche hervor.

Ritschel kategorisiert diese Musikprojekte in vier Gruppen. Man könne die Natur selbst zum Klingen bringen, Installationen dort hineinbauen, auf den Wald hin abgestimmte Kompositionen anfertigen – oder auch eine ästhetische Form für den Klang finden, wie es Anne Berlit mit ihrem „Luftschloss“ machte, einem aufgehängten Häuschen aus Brettern, durch die der Wind pfiff.

Wolfram Knauer stellte die Frage nach den Machtverhältnissen im Wald, den er mit Stille verbinde. Gleichen Respekt zollt auch Ritschel den Bäumen, indem sie die Kunstprojekte auf Zeit anlegt. Maximal zehn Jahre seien die Objekte im Wald.


27. Darmstädter Musikgespräch
Gäste: Johanna-Leonore Dahlhoff („Bridges – Musik verbindet“), Mustafa Kakour (Oud-Spieler aus Syrien), Arman Kamangar (Perkussionist aus Iran)

Geflüchtete Musik

Termin: Mittwoch, 24. Januar 2018, 20:00 Uhr
Ort: Haus der Deutsch-Balten
Herdweg 79, 64285 Darmstadt

Für viele Menschen ist Musik einer der persönlichsten Rückzugsorte, die gerade in Stresssituationen ein Gefühl von Heimat und Geborgenheit zu erzeugen vermögen. Kein Wunder also, dass musikalische Projekte in der Flüchtlingsarbeit als wichtige Instrumente angesehen werden. Idealerweise lernt man beim Zusammen-Musizieren immer voneinander; normalerweise kommt es dabei aber auch regelmäßig zu Missverständnissen.

Von all dem soll unser 27. Darmstädter Musikgespräch handeln, zu dem wir mit Johanna-Leonore Dahlhoff die Projektleiterin von „Bridges – Musik verbindet“ eingeladen haben, einer interkulturellen Initiative in Frankfurt, die geflüchtete und beheimatete Profimusiker/innen zusammenbringt. Frau Dahlhoff bringt Mustafa Kakour mit, einen aus Syrien stammenden Oud-Spieler, der bei Musical Bridges mitwirkt, sowie den jungen iranischen Perkussionisten Arman Kamangar. Uns geht es darum, zu erfahren, wie Projekte wie dieses neue Perspektiven schaffen, vielleicht auch eigene Haltungen in Frage stellen können, welche unterschiedlichen musikalischen Welten dabei tatsächlich aufeinandertreffen, welche Probleme und welche Chancen solche Projekte mit sich bringen. Uns geht es genauso darum, mit Betroffenen – also geflüchteten Menschen genauso wie Deutschen, die an ähnlichen Projekten mitarbeiten – ins Gespräch zu kommen und uns über die unterschiedlichen Erwartungen von beiden Seiten auszutauschen.

Das 27. Darmstädter Musikgespräch findet im großen Saal des Hauses der Deutsch-Balten statt, in dem die Erfahrung von Flucht aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln präsent ist: zum einen in der Tradition der deutsch-baltischen Brückenarbeit, zum anderen aber auch in der Tatsache, dass sich in diesem Haus seit Jahren die Stipendiatenwohnung des Elsbeth-Wolffheim-Literaturstipendiums für politisch verfolgte Autor/innen befindet.


26. Darmstädter Musikgespräch
Gäste: Kim Jin Ah, Geonyong Lee, Cord Meijering

Das Eigene im Fremden

Termin: Montag, 10. Juli 2017, 20:00 Uhr
Ort: Schader-Stiftung
Goethestraße 2, 64285 Darmstadt
www.schader-stiftung.de

„Reisen bildet“, heißt es, und das gilt in besonderem Maße auch für Künstler. Die Konfrontation mit dem „Fremden“ führt einem die Besonderheiten des „Eigenen“ ja oft noch deutlicher vor Augen.

Das haben auch der Koreaner Geonyong Lee und der Darmstädter Cord Meijering erfahren, der eine einer der bedeutendsten koreanischen Komponisten der Gegenwart, der andere Direktor der hiesigen Akademie für Tonkunst und international aufgeführter Komponist. Beide haben viel Zeit im jeweils anderen Land verbracht und sich mit dessen Musik und Kultur ausgiebig beschäftigt – auch im eigenen Schaffen.

Im von der koreanischen Musikwissenschaftlerin Kim Jin Ah moderierten Gespräch berichten sie über die eigenen Erfahrungen, über ganz praktische Beispiele dessen, dass man gerade im Fremden das Eigene deutlicher sieht. Daneben diskutieren sie, welche Auswirkungen die Faszination an europäischer Musik bei koreanischen Musikerinnen und Musikern auf ihre Haltung sowohl gegenüber dieser wie auch gegenüber den eigenen musikalischen Traditionen hat.

In der Diskussion mit dem Publikum wird es dabei auch um den Wandel eines eurozentrisch geprägten Kulturbegriffs gehen, der die Realität des inzwischen global vernetzten kulturellen Diskurses noch nie abzubilden vermochte.

Es diskutieren:

  • Geonyong Lee gilt als einer der bekanntesten koreanischen Komponisten der Gegenwart. Er studierte vor über 40 Jahren an der Frankfurter Musikhochschule Komposition, war später Professor für Komposition an der Seoul National University und an an der Korea National University of Arts. Bis Anfang diesen Jahres schließlich wirkte er als Direktor der Seoul Metropolitan Opera. Geonyong Lee ist dabei ein großer Kenner beider Kulturen, und zwar sowohl auf der künstlerischen wie auch auf der Ausbildungsebene.
  • Cord Meijering ist Direktor der Akademie für Tonkunst auf dem Podium und Komponist. Er war in den letzten 12 Jahren insgesamt 15 Mal in Korea, hat dort zahlreiche Konzerte gegeben und gehört, Vorlesungen an koreanischen Universitäten gehalten und sich intensiv mit der traditionellen koreanischen Musik befasst und diese auch in sein eigenes Schaffen integriert.
  • Das Gespräch mit beiden moderiert Kim Jin Ah, die als Professorin für Musikwissenschaft und interdisziplinäre Studien am Minerva College of Liberal Arts an der Hankuk University of Foreign Studies in Seoul unterrichtet und sich schwerpunktmäßig mit genau dieser Thematik befasst.

25. Darmstädter Musikgespräche
Zu Gast: Filmemacher Christian Gropper

Nachhall – das Oral-History-Projekt des Internationalen Musikinstituts Darmstadt

Termin: Mittwoch, 22. März 2017
Programmkino Rex (Grafenstraße 18-20), 20 Uhr, Eintritt frei
In Darmstadt wird Musikgeschichte geschrieben – und das seit 1946. Ein Jahr nach Kriegsende gründete der damalige Kulturreferent der Stadt, Wolfgang Steinecke, mit tat­kräftiger Unterstützung des damaligen Oberbürgermeisters Ludwig Metzger, die „Ferien­kurse für internationale Neue Musik“, wie die Darmstädter Ferienkurse in ihren Anfangs­jahren noch hießen.
Im Auftrag des Inter­nationalen Musikinstituts Darmstadt (IMD) haben sich seit 2010 der Dokumentarfilmer Christian Gropper, der Musikwissenschaftler und -journalist Michael Rebahn sowie der Fo­tograf Lukas Einsele auf Spurensuche begeben. Sie haben Zeitzeugen der frühen Kursjahre be­sucht und sie zu ihrer ganz persönlichen Ferienkurs-Geschichte befragt. Aus vielen Stunden Filmmaterial, hat Christian Gropper nun einen knapp 40minütigen Film geschnitten.
Beim 25. Darmstädter Musikgespräch wird „Nachhall“, so der Titel des 40minütigen Films, nun zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorgestellt. Christian Gropper wird nach der Premiere des Films – der mit großzügiger Unterstützung der Merck’schen Gesellschaft für Kunst und Wissenschaft sowie der Strecker-Stiftung in Mainz produziert werden konnte – im Gespräch mit Wolfram Knauer, Cord Meijering und Thomas Schäfer über seine Arbeit berichten.

24. Darmstädter Musikgespräch
Gast: Philipp Gutbrod

Museale Musik?
Konzerte im Museum und Musik in Ausstellungen

Termin: Mittwoch, 5. Oktober 2016, 20:00 Uhr
Ort: Designhaus Darmstadt, Eugen-Bracht-Weg 6, 64287 Darmstadt
www.hessendesign.de

Ist es ein Hype unserer Eventkultur, möglichst ungewöhnliche Locations entdeckt hat, um ein breiteres Publikum anzusprechen? Oder ergeben sich aus dem Aufbrechen gefestigter Präsentationsnormen vielleicht neue Diskurse?

Die Mathildenhöhe hat Musik bereits mehrfach ins Museum gebracht: 1988 mit der Ausstellung „That’s Jazz. Der Sound des 20sten Jahrhunderts“ über die Geschichte des Jazz, 1996 mit „Von Kranichstein zur Gegenwart“ über die Ferienkurse für Neue Musik, 2007 mit „Janet Cardiff & George Bures Miller: The Killing Machine und andere Geschichten“ oder 2012 mit „A House Full of Music“. Es gibt also jede Menge Berührungspunkte, die Thema des Musikgesprächs über „Museale Musik“ sein könnten.

Bei Ausstellungseröffnungen ist Musik eine willkommene Umrahmung, daneben aber beschäftigen sich Komponisten genauso wie improvisierende Musiker durchaus auch ganz direkt mit den Bildenden Künsten. Der Fokus des 24. Darmstädter Musikgesprächs richtet sich auf die Tendenz, das Museum zum Konzertsaal umzufunktionieren, mit der Hoffnung sowohl der Musizierenden wie der Ausstellenden, im Zusammenbringen der Sparten Synergien zu erzeugen. Wir fragen: Macht das Sinn? Oder macht das nur Ärger, weil sich selbst Konkurrenz?

Mit Philipp Gutbrod haben wir diesmal einen Kenner beider Welten zu Gast beim Darmstädter Musikgespräch. Gutbrod ist seit April 2015 Direktor des Instituts Mathildenhöhe, außerdem Schlagzeuger mit regelmäßigen Auftritten in Deutschland und den USA. Außerdem diskutieren Cord Meijering (Akademie für Tonkunst), Sylvia Freydank (Internationales Musikinstitut) und Wolfram Knauer (Jazzinstitut Darmstadt).

Kooperationspartner des Darmstädter Musikinstituts ist diesmal Hessen Design auf der Mathildenhöhe, das seit vielen Jahren spartenübergreifende Diskurse befördert.

Das Darmstädter Echo berichtete am 7. Oktober 2016:

Wie ein Ritterschlag für die Musik
Von Susanne Döring
DISKUSSION Darmstädter Institutsleiter sprechen darüber, wie Kompositionen im Museumsraum wirken

DARMSTADT – Unter dem Titel „Museale Musik? Konzerte im Museum und Musik in Ausstellungen“ fragten Vertreter der drei Darmstädter Musik-Institute am Mittwoch nach dem Austausch zwischen den Künsten im 20. und 21. Jahrhundert sowie der Wechselwirkung zwischen Musik und Aufführungsort. Auf dem Podium waren Wolfram Knauer vom Jazzinstitut, Cord Meijering von der Akademie für Tonkunst und – in Stellvertretung von Thomas Schäfer – Sylvia Freydank vom Internationalen Musikinstitut. Es gehe also, so Meijering, um die Frage nach dem „Raum zwischen zwei Straßenbahnen“. Als solchen kann man seine Akademie für Tonkunst bezeichnen, die zwischen an- und abfahrenden Straßenbahnen genau eine Viertelstunde Raum zum störungsfreien Hören eines Stückes von Anton Webern bietet.

Auftritt im MoMa ist wie ein Adelstitel

Meijering, der sich 1990 für längere Zeit im Beuys-Block des Darmstädter Landesmuseums aufhielt, um eine Komposition mit Bezug auf dieses Kunstwerk anzufertigen, legt großen Wert darauf, dass die Kommunikation zwischen aufgeführter Musik und umgebenden Raum stimmig sein muss. Sinn ergebe die Auslagerung von Musik in einen zunächst musikfremden Raum nur, wenn sich Musik und Raum gleichzeitig erhöhen würden.

Als Beispiel für eine gelungene Kooperation erinnerte sich der Gast des Gesprächs, der Direktor der Mathildenhöhe Philipp Gutbrod, an einen Auftritt der Band „Kraftwerk“ im New Yorker Museum of Modern Arts, der eine Welle der Begeisterung ausgelöst habe. Für „Kraftwerk“ sei es sozusagen die Verleihung des Adelstitels gewesen, in diesem Museum zu spielen. Als weitere gelungene Kombinationen von Museum und Musik nannte Gutbrod verschiedene Ausstellungen über Musik auf der Mathildenhöhe selbst – von „Jazz“ zu „A House full of Music“. Schließlich verwies er auf eine Performance zur 25-Jahr-Feier des Museums Künstlerkolonie, die mit Tanz, Videoprojektionen und E-Gitarrenmusik des Musikers Schneider TM versucht habe, an das gesamtheitliche Konzept der Mathildenhöhe anzuknüpfen.

Von Beginn an habe dieser Ausstellungsort enge Beziehungen zur Musik gehabt, wie bei der Eröffnung der Ausstellung 1901 mit der Aufführung eines musikalischen Weihespiels oder täglichen Konzerten. Entsprechend dieser Entstehungsgeschichte wolle man mit der jetzigen Restaurierung auch versuchen, die Akustik der Ausstellungshallen zu verbessern. Gutbrod ist ein versierter Schlagzeuger, der seinerseits einen Jazz-Auftritt im Wiesbadener Museum schätzte, weil man dort im Gegensatz zu den Clubs einmal konzentriert der Musik zugehört habe.


23. Darmstädter Musikgespräch
Gast: Prof. Sabine Breitsameter

„Wie klingt eigentlich das Dschungelbuch?“
3D-Hören als Klang der Zukunft

Termin: Dienstag, 24. Mai 2016, 19:30 Uhr
Ort: Soundscape-Lab der Hochschule Darmstadt, Campus Dieburg
Raum: Gebäude F16, Raum 020 (kurz: F16-020)

Musikhören – klingt einfacher als es ist: Im Konzert sitzen wir meist vor einer Bühne mit Musikern, zu Hause vor zwei Lautsprechern, im Kaufhaus werden wir ungefragt von allen Seiten beschallt, im Kino drönt uns ein Surround-Sound lautstark in den Ohren. Den vollkommenen Klang aber haben wir nur im Kopf, oder? Diese Frage stellen sich Sabine Breitsameter und ihr Team am Soundscape-Lab der Hochschule Darmstadt auf dem Campus Dieburg. Sie basteln am Klang der Zukunft – wie könnte das Dschungelbuch klingen, wenn die Zuhörer in einen dreidimensionalen Klang eintauchen?

In einer Art Gesprächskonzert gibt Sabine Breitsameter, seit 2006 Professorin für Sound und Medienkultur an der h_da und eine der profiliertesten Spezialistinnen auf dem Gebiet der Soundkultur, Einblick in die aktuelle Klangforschung. Gemeinsam mit dem Publikum und ihren Gesprächspartnern Wolfram Knauer (Jazzinstitut), Cord Meijering (Akademie für Tonkunst) und Thomas Schäfer (Internationales Musikinstitut) wird die experimentelle Klanggestalterin bei der 22. Ausgabe des Darmstädter Musikgesprächs über gleichsam enträumlichtes Hören diskutieren. Für dieses Musikgesprächs-Special werden wir Darmstadt in Richtung Campus Dieburg verlassen, um das Soundscape-Lab am eigenen Leibe erleben zu können.

Das Darmstädter Echo berichtete am 27. Mai 2016:

Fußgetrappel auf Schulterhöhe
Von Johannes Breckner
HOCHSCHULE Darmstädter Musikgespräch sucht nach dem dreidimensionalen Klang

DIEBURG – Das Darmstädter Musikgespräch erörtert neue Möglichkeiten der Klanggestaltung und -wiedergabe: Im Sound-Labor auf dem Dieburger Mediencampus geht es eher um technische als um ästhetische Fragen.

Es rauscht und knackt, es zirpt und wispert. Hier hört man Füße trappeln, dort ein Tier atmen. Und wenn der Regen fällt, ist man eingehüllt in seinen Klang und bleibt doch trocken. Denn die Imagination der Wildnis kommt in Natascha Rehbergs Hörstück „Rata-Schaan“, von Rudyard Kiplings „Dschungelbuch“ inspiriert, aus Lautsprechern.

Das ist für den erfahrenen Kinogänger erst einmal kein großes Wunder, gute Surround-Anlagen zaubern verblüffende Effekte. Im „Soundscape- & Enviromental Media Lab“ der Hochschule Darmstadt steckt aber mehr dahinter. Klangprofessorin Sabine Breitsameter erforscht mit ihren Studenten auf dem Dieburger Mediencampus ein Aufnahme- und Wiedergabeverfahren, das vom Fraunhofer-Institut Ilmenau entwickelt wurde. Dabei werden Lautsprecher von einem Rechner so angesteuert, dass die Überlagerung ihrer Signale virtuelle Schallquellen im Raum erzeugt.

Das System erlaubt es, Klänge wie Skulpturen an einen bestimmten Punkt zu positionieren. So erklärte es Sabine Breitsameter beim Darmstädter Musikgespräch, das am Dienstagabend in Dieburg zu Gast war. Je mehr Lautsprecher, desto höher ist die Auflösung der Klangprojektion, und desto größer kann der Raum kalkuliert werden, in dem das Ereignis wahrgenommen werden kann. Aber weil ein Lieferant die Hochschule im Stich gelassen hat, waren statt der geplanten 32 nur 17 Lautsprecher im Einsatz. Im Kreis, den sie bildeten, drängte sich das Publikum auf der Suche nach dem überraschenden Schallereignis. Unter diesen Bedingungen klang es freilich auch nicht viel anders als bei einer guten Surround-Anlage. Und weil für die Bodenposition keine Lautsprecher übrig waren, hörte man das Fußgetrappel im Dschungel auf Schulterhöhe.

Immerhin vermittelte das Gespräch eine Ahnung, und Sabine Breitsameter kann das System so anschaulich erklären, dass man seinen Möglichkeiten gerne glaubt. Es geht ihr ja auch gar nicht darum, mit raffinierter Technik bestehende Kunstformen aufzuwerten. Das Interesse ihrer Forschungen gilt eher neuen ästhetischen Möglichkeiten und der Veränderung des Hörens. Medien, sagt sie, sind „Umwelten und Umgebungen, die man bewohnt und erst in zweiter Linie liest“. Das hätte ein spannendes Thema fürs Musikgespräch sein können, auch die Folgen, die diese Sichtweise fürs Komponieren bringen könnte. Im Gespräch mit Wolfram Knauer (Jazz-Institut) und Thomas Schäfer (Internationales Musikinstitut) stand freilich das Interesse an der Technik im Vordergrund, Erörterungen zu Ästhetik und Rezeption blieben weitgehend ausgespart.

Dafür aber lieferte das Musikgespräch einen Impuls, sie weiter zu verfolgen.


22. Darmstädter Musikgespräch
Gast: Tilman Hoppstock

„Der achtarmige Gitarrist“

Termin: Mittwoch, 13. April 2016, 20:00 Uhr
Ort: Galerie Netuschil, Schleiermacherstraße 8, 64283 Darmstadt
www.galerie-netuschil.net

Der Musiker des 21sten Jahrhunderts ist mehr denn je eine Ich-AG, braucht jede Menge außermusikalischer Kompetenzen, um die Musik an sein Publikum zu bringen. Zum 22. Darmstädter Musikgespräch haben wir mit Tilman Hoppstock einen Musiker eingeladen, der besonders viele dieser Kompetenzen in sich vereint. Zuallererst ist er ein international gefragter Virtuose auf seinem Instrument, der klassischen Gitarre, daneben aber auch Komponist und Musikwissenschaftler, Herausgeber von über 80 Noteneditionen, Lehrer an der Akademie für Tonkunst und vielen anderen internationalen Schulen, Veranstalter, unter anderem der Darmstädter Gitarrentage, und vieles mehr (www.t-hoppstock.de).

Mit Tilman Hoppstock unterhalten sich Cord Meijering, Komponist und Direktor der Akademie für Tonkunst, Thomas Schäfer, Musikwissenschaftler und Direktor des Internationalen Musikinstituts, und Wolfram Knauer, Jazzforscher und Direktor des Jazzinstituts Darmstadt, über die fast übermenschlichen Qualifikationen, die ein Musiker heutzutage besitzen muss, um sich auf dem Musikmarkt zu behaupten. Insbesondere aber freuen wir uns auch darauf, dass Sie, die Besucher des Darmstädter Musikgesprächs, sich ins Gespräch einmischen.

Das Darmstädter Musikgespräch ist diesmal zu Gast in der Galerie Netuschil, die seit dem 3. April ihre Ausstellung „Landschaftsraum und Weltgestaltung“ zeigt.

Das Darmstädter Echo berichtete am 15. April 2016:

Achtarmig in die Zukunft
Von Bettina Bergstedt
MUSIKGESPRÄCH Tilman Hoppstock zu Gast bei Schäfer, Meijering und Knauer

DARMSTADT – Der Gitarrist Tilman Hoppstock war der Gast beim Darmstädter Musikgespräch. In der Galerie Netuschil diskutierte er mit den Leitern der Darmstädter Musikinstitute.

Mit dem Titel „Der achtarmige Gitarrist“ war die Runde überschrieben, die in der Galerie Netuschil zu Gast war. Teilnehmer waren neben Hoppstock Cord Meijering von der Akademie für Tonkunst, Thomas Schäfer vom Internationalen Musikinstitut und Wolfram Knauer vom Jazzinstitut Darmstadt. Thema war das materielle Überleben als Künstler.

Wer virtuos seine Kunst beherrscht, hat noch lange nicht ausgesorgt: Heutzutage bedarf es mehr, um sein täglich Brot zu verdienen. Ein Künstler ist zugleich Manager, Netzwerker und Lehrer, er muss sich auf der Bühne überzeugend präsentieren, dazu kreativ sein, um Neues zu schaffen. Und zwischendurch, vielleicht nach einem Auftritt bei einem Benefizkonzert – das er bevorzugt unentgeltlich gibt, schließlich erhält er ja die Chance, sich der Öffentlichkeit vorzustellen – wird er wunderbarerweise dann doch noch entdeckt.

Tilman Hoppstock ist von der Art der „achtarmigen Gitarristen“: Seit siebzehn Jahren veranstaltet er die Darmstädter Gitarrentage, findet Sponsoren, wirbt, organisiert und verlegt, schreibt Bücher, promoviert, gibt dazu natürlich auch Konzerte und unterrichtet gern.

Hoppstock hat dabei Glück – ihm liegen die unterschiedlichen Tätigkeiten, er ist in Darmstadt und in der Musikwelt gut verankert. Dass es nicht bei allen Musikern so ist, darauf verwies Knauer. Er belegte es mit Zahlen. Laut einer vom Jazzinstitut in Auftrag gegeben Studie verdient ein Jazzmusiker hierzulande mit rein kreativer Arbeit durchschnittlich nur 12 500 Euro im Jahr – bei Investitionen von 5000 Euro für Instrumente, Produktionskosten und Ähnlichem.

Aus diesen Ergebnissen hätten sich Forderungen ergeben, so Knauer: nach mehr Spielstätten für Musiker mit Gagen und nach mehr „kreativen Freiräumen“ (Knauer), die über Stiftungen und Kommunen geschaffen werden müssten.

Vorbildliche Strukturen in Deutschland?

Das Kulturfördersystem, sagte Schäfer, funktioniere in Deutschland durchaus vorbildlich. Meijering verwies aber auf die Freiwilligkeit der Unterstützung von Kultur, die in keinem deutschen Gesetz verankert sei. Deshalb müsse man mehr Lobbyarbeit betreiben und es bedürfe klarer Entscheidungen von Politikern. Mit über sieben Prozent Kulturausgaben stünde Darmstadt hier im deutschen Vergleich sehr gut da, betonte Kulturreferent Ludger Hünnekens aus dem Publikum.

Von unsicheren Verhältnissen sind eigentlich alle betroffen, die als Freie arbeiten, erklärten weitere Stimmen aus dem Publikum. Die Freiheit bedeute aber auch: mehr Eigenbestimmung in einer Tätigkeit, die Spaß macht. Die „Union deutscher Jazzmusiker“ habe zur Verbesserung der Situation alle Veranstalter zu einer „Willenserklärung“ aufgefordert, jedem Musiker stets 250 Euro pro Auftritt zu zahlen. Knauer sagte dazu: „Seitdem geistert die Zahl durch die Köpfe der Beteiligten“.


21. Darmstädter Musikgespräch
Gast: Christiane von Wahlert (Geschäftsführerin, FSK Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft GmbH)

„Musik + Zensur“

Termin: Mittwoch, 14. Oktober 2015, 20:00 Uhr
Ort: Atelierhaus, Riedeselstraße 15, Darmstadt
www.atelierhaus-darmstadt.de

Die Kunst ist frei und ihr schlimmster Feind die Zensur… Auch Musik hat allerorten und immer wieder mit Einschränkungen zu leben, die ihr mal von außen auferlegt wird (die klassische „Zensur“ also), daneben aber auch von innen kommen kann, durch starre ästhetische Vorgaben oder Regeln etwa, die festlegen zu können meinen, welchen Weg Musik einschlagen müsse, um wertgeschätzt zu werden. Das Darmstädter Musikgespräch will die verschiedenen Aspekte in den vielfältigen Regelwerken um Musik ausleuchten und hat sich dafür einmal mehr eine Spezialistin aus einem ganz anderen Fach eingeladen, der Filmwirtschaft nämlich. Wir unterhalten uns darüber, welche Kriterien im Filmbereich für jene Selbstkontrolle eine Rolle spielen und wo es Parallelen in der Musik gibt. Implizit fragen wir dabei auch ganz allgemein nach Harmlosigkeit oder Verführungsgefahr von Kunst.

Das Musikgespräch ist eingebunden in ein Ausstellungsprojekts der Atelierhauses unter dem Titel „Eine Zensur findet nicht statt“, das vom 9. bis 25. Oktober in er Riedelstraße zu sehen ist.

Das 21. Darmstädter Musikgespräch beginnt mit einem musikalischen Quartett mit der Geschäftsführerin der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft, Frau Christiane von Wahlert, Thomas Schäfer (Internationales Musikinstitut), Cord Meijering (Akademie für Tonkunst) und Wolfram Knauer (Jazzinstitut Darmstadt). Tatsächlich aber erhoffen wir uns auch mit Ihnen, den Besuchern des Musikgesprächs in Kontakt zu kommen


20. Darmstädter Musikgespräch
Gast: Kerstin Schultz (liquid & fay architekten)

„Musik und Architektur“

Termin: Mittwoch, 17. Juni 2015, 20:00 Uhr
Ort: Main Hall am Osthang der Mathildenhöhe, Olbrichweg, Darmstadt

Musik und Architektur, Klang und Raum, Klangskulptur, Tonarchitektur – die Beziehungen zwischen beiden Sphären sind ebenso vielfältig wie mitlerweile fliessend. Architektur wird spätestens seit Fluxus, Happening und Performance in den 1960er Jahren zeitlich, Musik immer stärker räumlich definiert – der Raum damit hörbar, die Musik begehbar gemacht. Aber darüber hinaus stellen sich heute auch aus städtebaulicher Perspektive drängende Fragen nach einer Verortung von Kunst und Kultur im Stadtraum.

Darüber möchten wir im 20. Darmstädter Musikgespräch mehr von Kerstin Schultz erfahren. Die Professorin für Architektur an der Hochschule Darmstadt (h_da) ist nicht nur in verschiedenen Gestaltungsbeiräten aktiv, sondern hat mit Aufsehen erregenden Projekten im Rahmen des Darmstädter Archtiktursommers – darunter zuletzt das „Osthang Projekt“ (2014) – immer wieder Themen an der Grenze von Kunst, Architektur und Stadtraum in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Welche Räume braucht die Kunst heute? Und wie stark sollte sich die Kunst auf den (Stadt-)Raum einlassen?

Das 20. Darmstädter Musikgespräch beginnt mit einem musikalischen Quartett mit der Architektin Kerstin Schultz, Thomas Schäfer (Internationales Musikinstitut), Cord Meijering (Akademie für Tonkunst) und Wolfram Knauer (Jazzinstitut Darmstadt). Tatsächlich aber erhoffen wir uns auch mit Ihnen, den Besuchern des Musikgesprächs in Kontakt zu kommen.


19. Darmstädter Musikgespräch
Gast: León Krempel (Kunsthalle Darmstadt)
„Kultur auf die Straße“

Termin: Donnerstag, 12. März 2015, 20:00 Uhr
Ort: Kunsthalle Darmstadt

Musik findet meist im Konzertsaal statt, die Bildende Kunst im Museum – beides Orte, die Publikum anziehen, zugleich aber auch Schwellen bilden und den Zugang zur Kultur erschweren können. Auf der einen Seite braucht man solche Orte der Reflexion und Konzentration, um sich auf das einzulassen, was hier ideal präsentiert werden kann. Auf der anderen Seite wollen alle Kulturschaffenden Zäune niederreißen, Zugänge erleichtern, die Kunst vielleicht nicht unbedingt auf die Straße bringen, sie der Straße aber wieder näherbringen.

León Krempel, seit letztem Jahr der neue Direktor der Kunsthalle Darmstadt, ist der Gesprächspartner des 19ten Darmstädter Musikgesprächs, bei dem wir uns über das gemeinsame Bedürfnis, aber auch über die Probleme unterhalten wollen, die entstehen können, wenn man Kultur aller Art nicht verstecken, sondern möglichst ins städtische Leben einbinden will. Und wo besser könnte man ein solches Thema diskutieren als in dem Kulturort, der wie kein anderer von seiner Straßenlage profitiert, der Darmstädter Kunsthalle.

Ein musikalisches Quartett mit León Krempel (Direktor, Kunsthalle Darmstadt), Thomas Schäfer (Internationales Musikinstitut), Cord Meijering (Akademie für Tonkunst) und Wolfram Knauer (Jazzinstitut Darmstadt).

Das Darmstädter Echo berichtete am 14. März 2015:

Kunst im Vorübergehen
Diskussion – Darmstadts Kulturschaffende suchen nach Wegen auf „die Straße“

Schadet es der Kunst, wenn sie statt im Museum oder Konzerthaus draußen vor der Tür dargeboten wird? Und was wäre dann der richtige Ort dafür? Das besprach eine kleine Runde beim „Darmstädter Musikgespräch“ in der Kunsthalle.

DARMSTADT.
Orchestermusiker stoßen im Luisencenter ins Horn, Experimentalkünstler blasen auf dem Büchnerplatz Heißluftballone zu Musik auf – immer wieder drängt es die „Kunst auf die Straße“. Unter diesem auffordernden Titel diskutierten heimische Kulturschaffende und Vertreter der großen Institutionen beim „Darmstädter Musikgespräch“ am Donnerstagabend in der Kunsthalle die Chancen und Risiken.
Gern hätte man es ja, wenn mehr Menschen auf Musik, Kunst, Tanz und all die anderen Kulturproduktionen in der Stadt aufmerksam würden. Also – einfach raus auf die Gasse mit den Instrumenten und Kunstwerken? Nein, sagt Cord Meijering, Direktor der Akademie für Tonkunst. Man müsse schon fragen: „Welche Kunst auf welche Straße?“
Und – wem schadet’s, wollte der Rainer Bauer wissen: „Wertet es die Kunst ab, wenn man nicht so richtig hinhört?“ Für den freien Theatermann ist die „Hauptsache, die Leute zusammenzubringen“.
León Krempel, Chef der Kunsthalle, kann sich eher „kleine, punktgenaue Aktionen“ vorstellen, mit denen bildende Künstler auf öffentlichen Straßen und Plätzen auftauchten. Noch lieber sähe er es, wenn die Leute von der Straße verstärkt ins Haus käme. Aber nicht „einfach mit den vollen Einkaufstaschen reinspazieren“, wie das in der Hypo-Kunsthalle in der Münchner Fußgängerzone geschehe. Um die Schwellenangst zu überwinden, könne man ja „Übergangszonen zwischen Innen und Außen“ gestalten, die hält der Kunstexperte überhaupt für „das Spannendste“. Den hohen Zaun um das Kunstgehege an der Rheinstraße will er ja ohnedies beseitigt wissen; eine Hecke ist schon mal weg, womit die Kunst zumindest optisch näher an die Straße rückt.
Ein Herz und Raum für kreative „Communities“
Den Blick auf die Straße kann man aber auch ganz anders verstehen. Wolfram Knauer vom Jazzinstitut sieht die Institute in der Pflicht, den Draht zu den kreativen „Communities“ in Stadt und Land zu halten. „Wir müssen erkennen, was gerade spannend ist“ – und dem Neuen Raum geben, unabhängig davon, was da genau entstehen könnte. Knauer versteht sein Haus jedenfalls nicht als Archiv vergangener Kultur. Schlimm die Vormittage, wenn die Menschen von da draußen im Institut anrufen und fragen: „Ist da das Jazzmuseum?“ Knauers Standard-Antwort: „Ich hoffe nein.“
Gibt es denn Konzepte, wie die großen Häuser künftig nach draußen gehen wollen, wollte Rainer Bauer noch wissen. Nein, gibt’s nicht. Man hat das gute Gefühl, in dieser Richtung eigentlich genug zu tun. Neben den Institutsleitern nahmen zwölf Interessierte an der Runde teil, ganz hinten im Erdgeschoss der Kunsthalle, zwischen kalkweißen Wänden und schwarzweißen Bildern, sehr weit weg von der Straße. (Thomas Wolff)

9. Juli 2014, 20:00 Uhr

Künstlerkolonie 21 … oder: Die Utopie der Kunst

Termin: 9. Juli 2014, 20:00 Uhr
Ende: 21:30 Uhr, rechtzeitig vor WM-Halbfinale!
(Monitore für eine Live-Übertragung des Spiels befinden sich vor Ort.)
Ort: Halle, Osthang Mathildenhöhe (Olbrichweg)

Der Dialog der Kunst ist immer nach außen genauso gerichtet wie nach innen. Künstler sprechen zuallererst mit ihrem Publikum, aber sie brauchen eben auch den internen Dialog, den kritischen Austausch mit Kreativen der eigenen oder anderer Kunstsparten. In der Vergangenheit hat man versucht, solche Kreativinseln in Künstlerkolonien zu schaffen. Im Gespräch mit der Kunsthistorikerin Julia Bulk, die sich in ihrer Arbeit ausführlich mit „Neuen Orten der Utopie“ beschäftigt hat, fragt das 19. Darmstädter Musikgespräch danach, wie solche künstlerischen Dialoge im 21sten Jahrhundert aussehen können, welche Perspektiven sie für eine bessere Gesellschaft bieten bzw. inwiefern Künstlerkolonien in unserer vernetzten globalen Welt überhaupt noch möglich sind (sofern sie nicht auf dem Mars liegen).

Ein musikalisches Quartett mit Julia Bulk (Wissenschaftliche Leiterin, Wilhelm Wagenfeld Stiftung), Thomas Schäfer (Internationales Musikinstitut), Cord Meijering (Akademie für Tonkunst) und Wolfram Knauer (Jazzinstitut Darmstadt)

Das Darmstädter Echo berichtete am 11. Juli 2014:

Brote backen und den Göttern gefallen
Wie kann man im 21. Jahrhundert der Utopie einen Raum geben? Eine Diskussion am Osthang

DARMSTADT. Über Utopien und wie man ihnen Raum geben kann – realen oder virtuellen – diskutierten Kulturfachleute beim „Darmstädter Musikgespräch“. Der Ort war passend gewählt: Auf der Mathildenhöhe wächst ja gerade das „Osthang Project“ als Ort der Künste und Ideen.

Der Raum, in dem die Träume wohnen, ist der Nichtraum: das Utopia. Der Osthang auf der Mathildenhöhe aber lebt, seit er vom Architektursommer bespielt wird. Für sechs Wochen ist er Begegnungsstätte für Kunst, Architektur und Handwerk. Ist das Osthangprojekt die Wiederbelebung der Utopie einer Künstlerkolonie im 21. Jahrhundert?

Um 1900 stellte Großherzog Ernst Ludwig Jugendstilkünstlern auf der Mathildenhöhe Raum zur Verfügung, in dem sie das Leben zeitgemäß gestalten sollten. Er wollte darüber hinaus auch den wirtschaftlichen Erfolg für Darmstadt. Genau daran haperte es am Ende. Die Fertigung des überbordenden Jugendstils war nicht rentabel.

„Unser Osthang Project 2014 verstehe ich nicht als Utopie“ sagte Publikumsgast Kerstin Schultz, Mitorganisatorin des Architektursommers. Es sei eine „Form der Kooperation“, die sich im Besiedeln, Bepflanzen, Bebauen äußere und in ihrer direkten und gesamtheitlichen Umsetzung „etwas Archaisches“ habe.

Darüber, was eine Utopie im Kern ausmacht, diskutierten am Mittwochabend auf der Mathildenhöhe Thomas Schäfer (Internationales Musikinstitut), Cord Meijering (Akademie für Tonkunst) und Wolfram Knauer (Jazzinstitut Darmstadt) mit der Kunsthistorikerin Julia Bulk (Wilhelm Wagenfeld Stiftung).

In bewährter Manier warf jeder Podiumsdiskutant ein subjektives Schlaglicht auf das Thema. Julia Bulk verwies auf die bewusste Wahrnehmung in der Kunst als Voraussetzung für ein Ausschöpfen positiven Potentials. Eine Idealvorstellung vor Augen, könne man versuchen, diese in „überindividuellen Arbeitsformen“ zu verwirklichen, die auf Vielfalt setzten – unerlässlich in unserer spezialisierten Welt. Die Realisierung von Projekten funktioniere spielerisch, auf doppeltem Boden: Praktische Nutzung und Ideal bedingen sich dank steter Veränderung. Die ständige Transformation legt ein Projekt auf Dauer an, womit in der Kunst des 21. Jahrhunderts der Prozess, nicht das Ergebnis im Vordergrund steht.

So setzte Knauer auf den Jazz, die freie Improvisation. Im Sinne von kreativer Kommunikation werde im Augenblick des Musizierens zwischen Vertrauen und
neuem Denken „alles riskiert“. In diese Richtung sprach sich auch Thomas Schäfer aus, indem er ein Tondokument von 1961 abspielte, auf dem Theodor Adorno sich auf der Mathildenhöhe über die informelle Musik als „Antizipation der Freiheit“ ausließ – auch hier der Doppelcharakter: die konkrete Musik kann den Traum der Musik nicht erfüllen.

Cord Meijering schloss sich ideal an seine Vorredner an, indem er am Orpheus-Mythos zeigte, dass der „Gegenstand der Kunst die Sehnsucht nach einem unerreichbaren Nicht-Ort“ ist: „Männliche Kunstproduktion produziert am Ende des Orpheus-Mythos den schönsten Sehnsuchtsgesang, um den Göttern zu gefallen. Die angebetete Eurydike ist damit für immer in einen Nicht-Raum verbannt.“

Private Räume frei zur Verfügung stellen

„Utopie bleibt ein Spiel mit der Realisierung“, sagt Julia Bulk. Der virtuelle Raum kann dabei als Datenbank für Ideen taugen. Viele Menschen können daran teilnehmen, das erweitert den Blick und kann Projekte wachsen lassen. Etwa ein Raumprojekt, in dem via Internetplattform private Räume für gewisse Zeit frei zur Verfügung gestellt wurden – mit dem Ziel, die Idee von Privatbesitz zu hinterfragen, wenn nicht aufzulösen.

Bulk berichtet weiter von einem niederländischen Projekt, das mit dem Begriff „Solvism“ verbunden ist. Schnelles, unbürokratisches Handeln ist damit gemeint. Dabei ging es auch um ganzheitliches Zusammenleben gegen Entfremdung, um die Rückbesinnung auf Kunst und Handwerk. Thomas Schäfer findet diese Elemente im „Osthang Project“ wieder: „Wir gestalten dort eine Art Zusammenleben vom Gemüseanbau zum Brotbacken bis zur Kläranlage“.

Eine relativ unbürokratische Umsetzung von Ideen im Freiraum Kunst durch kreative Zusammenarbeit – sie scheint für Knauer möglich, „und am Ende wird etwas vom Osthang Project bleiben“, prognostiziert Schäfer. Osthang, Utopie oder nicht, noch ein Transformation begriffen, work in progress.


Mittwoch, 7. Mai 2014, 20:00 Uhr
Die Kunst des Geschichtenerzählens

Ort: West Side Theatre
(Landwehrstraße 58, 64293 Darmstadt)

Dramaturgie ist einer der Schlüsselbegriffe jeder Kunst, insbesondere aber derjenigen Kunstsparten, die in der Zeit ablaufen, ob Theater oder Musik. Geschichten sind dabei nicht nur die Themen einer Theaterinszenierung, sondern auch die Beziehungsabläufe von Melodik, Harmonik, Rhythmik, Form in Oper, Symphonie, Kammermusik, Jazzimprovisation und vielem mehr. Im Gespräch mit Karsten Wiegand, dem neuen Intendanten des Staatstheaters Darmstadt will das 18. Darmstädter Musikgespräch sich der Kunst des Geschichtenerzählens nähern und ihrer Bedeutung für den Bezug zwischen Kunstschaffenden und ihrem Publikum.

 

Ein musikalisches Quartett mit Karsten Wiegand (designierter Intendant, Staatstheater Darmstadt), Thomas Schäfer (Internationales Musikinstitut), Cord Meijering (Akademie für Tonkunst) und Wolfram Knauer (Jazzinstitut Darmstadt)

Das Darmstädter Echo berichtete am 9. Mai 2014:

Wege durch das Labyrinth.Diskussion – Musik- und Theaterleute wollen Geschichten erzählen

„Die Kunst des Geschichtenerzählens“ lautete das Thema der neusten Ausgabe des „Darmstädter Musikgesprächs“. Als Fachmann für dieses Thema war der zukünftige Intendant des Staatstheaters, Karsten Wiegand, aufgefordert, Einblick in sein Schaffen als Regisseur zu geben.

DARMSTADT. Es ist ein Geheimnis, und es wird eines bleiben: Warum lassen sich die Menschen so gerne Geschichten erzählen? Und was passiert mit Geschichten in den Köpfen der Menschen? Wie erzählt man eigentlich eine gute Geschichte? Diese Fragen bewegten am Mittwoch die Teilnehmer des neuesten „Darmstädter Musikgesprächs“. Cord Meijering, Leiter der Akademie für Tonkunst, Thomas Schäfer vom Internationalen Musikinstitut und Wolfram Knauer vom Darmstädter Jazz-Institut hatten sich dieses Mal den designierten Intendanten des Darmstädter Staatstheaters, Karsten Wiegand, eingeladen, um Antworten auf diese und andere Fragen zu bekommen.

Im West Side Theatre in der Landwehrstraße brachte sich der 1972 in München geborene Theatermann erst einmal mit einem Lob an Darmstadt ins Gespräch: Ihn freue der ausgesprochen gute Dialog unter den Vertretern Darmstädter Institutionen, das sei nicht überall so. Für Wiegand ist die Welt des Kommerzes einer der auffälligsten Orte, an denen Geschichten erzählt werden: Sei es die Geschichte von den Banken, die zu groß zum Scheitern seien („too big to fail“), sei es der Mythos, den eine große Computerfirma umgebe oder die Namensgebung beim größten Internet-Buchhändler.

Die Storys nicht dem Kommerz überlassen

So genial seien solche Geschichten, dass sie nicht mehr hinterfragt würden. „Story-Telling“ sei die „Königsklasse“ des Marketing. Aber: „Wir können die Geschichten nicht dem Kommerz überlassen!“

Das Theater sei der Ort, Geschichten zu erzählen, ohne Interessen durchsetzen zu wollen, glaubt der Intendant. Anhand von Beispielen von Petrarca und Dante sowie Lessing und Corneille lotete Wiegand die Zukunft des Theaters aus. Wird die Welt aus einer Perspektive betrachtet, in der das Ich im Mittelpunkt steht, oder wird sie als Labyrinth wahrgenommen? Will der Zuschauer sich durch Vertrautheit oder Fremde von den Charakteren auf der Bühne bewegen lassen? Wiegand ist sich sicher: Die Zukunft der Welt und mit ihr die des Theaters ist labyrinthisch und von Fremdheit bestimmt.

Ihre Erfahrungen mit Geschichten brachten auch die drei Institutsleiter ins Gespräch. Dabei wurde deutlich, dass ein wesentlicher Aspekt von Geschichten ist, die Fantasie anzuregen. So erzählte Thomas Schäfer vom Internationalen Musikinstitut, wie ihn als Teenager die Sinfonien Gustav Mahlers beeindruckt hätten. Der Komponist beherrsche die Kunst, in neunzig Minuten ein Leben zu erzählen, das mit Worten nicht zu fassen sei.

Wolfram Knauer vom Jazzinstitut findet die großen Geschichtenerzähler in Jazzmusikern wie Duke Ellington oder Charles Mingus. Für Cord Meijering von der Akademie für Tonkunst waren es vor allem drei seiner Onkel, durch deren Geschichten aus dem Leben er seine Vorliebe für die Oper entdeckt habe.

Gegenseitig fragten sich die Teilnehmer, wie sie denn Geschichten erzählen würden. Meijering sagt, er mache beim Komponieren die Türen ganz weit auf und lasse die Welt herein. Knauer sieht sich als Veranstalter in der Pflicht, einen Konzertabend mittels der Dramaturgie zum Teil des Spannungsbogens einer Geschichte zu machen.

Und Karsten Wiegand als Regisseur sieht sich vor allem als Zuschauer, der interessiert werden und in die Geschichte hineingezogen werden möchte: Er will Geschichten von anderen Zeiten und Menschen.


Mittwoch, 26. Februar 2014, 20:00 Uhr
Musik + Eigentum
Ort: Deutsche Akademie für Sprache und
Dichtung
(Glückert-Haus, Alexandraweg 23, 64287 Darmstadt)

Wem gehört Musik? Und wie ist mit ihren Eigentumsrechten umzugehen in einer Zeit, in der alles frei verfügbar scheint? Diese sehr aktuelle Thematik wird in einer neuen Ausgabe des Darmstädter Musikgesprächs in den Räumen der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung auf der Mathildenhöhe verhandelt.

Die Leiter der drei städtischen Darmstädter Musikinstitute treffen diesmal auf Brigitte Zypries, ehemalige Bundesjustizministerin und heute als Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie zuständig für Informationstechnologie und Außenhandel. In der Diskussion werden ästhetische Gesichtspunkte zur Sprache kommen, ob als “Neues” überhaupt noch möglich ist in der Kunst bzw. wann Zitat zum Diebstahl wird; ethische Aspekte wie etwa die Problematik, dass Komponisten unterschiedlichster Genres auf die Musik von Naturvölkern zurückgreifen; oder juristische Fragen, wenn es um Urheberrechtsgesetze, Downloads, GEMA, YouTube geht.

Ein musikalisches Quartett mit Brigitte Zypries (MdB), Thomas Schäfer (Internationales Musikinstitut), Cord Meijering (Akademie für Tonkunst) und Wolfram Knauer (Jazzinstitut Darmstadt)

Das Darmstädter Echo berichtete am 28. Februar 2014

Wer zahlt für die Kunst?
Diskussion – Gespräch über „Musik und Eigentum“ mit Brigitte Zypries
Von BETTINA BERGSTEDT

Thomas Schäfer, Cord Meijering und Wolfram Knauer, die Leiter der städtischen Musikinstitute, sprachen am Mittwoch mit der früheren Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) im Darmstädter Glückert-Haus über geistiges Eigentum – und wie es gerecht entlohnt werden kann.

Gema und Youtube sind nur zwei Schlagwörter im Streit darum, wie die Verwertung der Arbeit von Künstlern gerecht zu bezahlen ist. Welche Kriterien taugen dazu, Kunst zu bewerten? Wie weit das Thema gefasst werden muss, zeigten die Darmstädter Musikgespräche am Mittwoch.

Brigitte Zypries, von Haus aus Juristin, benannte rechtliche Fragen, die sich stellen, seit es das World Wide Web und die technischen Voraussetzungen für eine rasche und qualitativ hochwertige Vervielfältigung gibt. Wie kommt ein Künstler zu seinem Recht, wenn das Internet als freier Markt (miss-)verstanden wird? Die Verwertungsgesellschaften für Künstler müssten auf neue Füße gestellt werden, sagte Zypries, und forderte mehr Transparenz sowie eine „sachgerechte“ Verteilung der Gelder. Derzeit bekämen nur die viel, die bereits viel hätten, während sich unbekannte Künstler und kleine Veranstaltungszentren kaum über Wasser halten könnten.

Auch Cord Meijering (Akademie für Tonkunst) beklagte die gängigen Bewertungskriterien als unzureichend. Nicht das Produkt und die Häufigkeit seiner Aufführung dürfe im Fokus stehen, sondern das Prozessuale, in dem sich Kreativität offenbare. Die Schwierigkeit der Verein-nahmung von Ideen sprach Jazzinstituts-Leiter Wolfram Knauer an. Er berichtete vom Trompeter Nicholas Payton, der 2011 die Verschiebung des Jazz ins Elitäre und die zunehmende Kategorisierung durch die (von Weißen beherrschte) Vermarktungsindustrie beklagte. Payton setzte dem die Freiheit musikalischer Entfaltung unter dem Begriff der Black American Music (BAM) entgegen. Was aber, fragte Knauer, wenn man bedenkt, dass sich aktuell in Europa eine sehr lebendige, eigenständige Jazzszene entwickelt? Wer könnte da noch wem etwas „schuldig“ sein?

Auch Thomas Schäfer vom Internationalen Musikinstitut versuchte, den Begriff der Originalität näher zu fassen. Kann man Neues schaffen, wenn ein weltweites Archiv auf Knopfdruck beinahe alles zur Verfügung stellt? Wie absurd es heute sein kann, jedes kleine Zitat „gewissenhaft“ abzurechnen, habe der Komponist Johannes Kreidler mit der Aktion „Product Placements“ gezeigt, bei der er in einer Collage aus 70200 Zitaten ebenso viele Gema-Anträge ausfüllte und diese auf Lastwagen 2008 in die Gema-Generaldirektion nach Berlin brachte. In Zeiten, in denen Kopieren längst zur Kulturtechnik herangereift sei, bedürfe es neuer Ideen, so Schäfer: Vielleicht wäre eine „Kulturflatrate“ sinnvoll oder eine Bezahlung über Auftraggeber, die dann natürlich verstärkt wieder im Musikgeschäft auftreten müssten.

Dabei scheint für junge Musiker die Netz-Vielfalt längst Alltag, wie ein Veranstaltungsbesucher sagte: Beim Surfen höre er auch Neues: „Das inspiriert!“:


19. Juni 2013, 20:00 Uhr
Musik + Gesang
Ort: Zooschule, Vivarium Darmstadt
(Schnampelweg 5, 64287 Darmstadt)

Im Rahmen der von der Kulturregion FrankfurtRheinMain veranstalteten Reihe „Freies im Gesang“ aus Anlass des Jubiläums des Ersten Allgemeinen Deutschen Sängerfestes widmet sich das Darmstädter Musikgespräch dem Thema der Stimme als Ursprung aller Musik. Als Gast ist mit Prof. Dr. Meertinus P.D. Meijering ein renommierter Zoologe mit dabei, mit dem das Gespräch über sangliche Freiheit einen noch ganz anderen, nämlich ornithologischen Einschlag erhalten wird.

Ein musikalisches Quartett mit Meertinus P.D. Meijering (Zoologe), Thomas Schäfer (Internationales Musikinstitut), Cord Meijering (Akademie für Tonkunst) und Wolfram Knauer (Jazzinstitut Darmstadt)

Das Darmstädter Echo berichtete am 21. Juni 2013:

Die Amsel singt den Blues.
Musikgespräch. Lauscht der Vogel dem Jazz was ab oder umgekehrt?

DARMSTADT. Hat die Amsel den Blues? Weint oder frohlockt der Trauerschnäpper? Imitiert der Vogel den Mensch oder umgekehrt beziehungsweise beides? Um derlei Fragen kreiste das jüngste „Darmstädter Musikgespräch“ im Vivarium. Gäste und Vögel taten munter mit.

Im Garten von Wolfram Knauer lebt eine Amsel. seit vier Jahren schon. Dass Knauer Direktor des Darmstädter Jazzinstituts ist. färbt auf das Repertoire des Vogels ab – so scheint es zumindest. Seit dieser Saison „singt die Amsel den Blues“. behauptet der Fachmann; eine entsprechende Kadenz hat er herausgehört. Die in leichten Variationen erklinge. Woher hat der Vogel das nur? Vor allem: Wer ahmt hier wen nach? Kann ja gut sein. dass der Vogel aufgeschnappt hat. wie Knauer bei offenem Fenster Charlie („Bird“) Parkers schönen Standard „Ornithology“ abspielte …

Aus scheinbar beiläufigen Beobachtungen und Bemerkungen wie dieser ins Zentrum der Musikphilosophie zu stoßen. das ist eine der Qualitäten der „Darmstädter Musikgespräche“. Kluge. anregende Fragen gibt es hier stets mehr als einfache Antworten. Das war auch beim jüngsten Treffen im Vivarium so. Ein nur scheinbar ungewöhnlicher Ort für die drei Leiter der heimischen Musikinstitute und ihren Gast. den Zoologen und Vogelkundler P.D. Meijering: „Musik und Stimme“ war das Generalthema. Und da hat die Tierwelt natürlich ein paar Takte mitzureden.

Wer in Garten. Feld und Flur ein“ Vogelkonzert“ hört. den „Erfindungsreichtum“ der „Singvögel“ bewundert und Motive herheraushört. die er wahlweise für Barock. Beatles oder Blues hält – der kommt einem offenbar typisch menschlichen Grundbedürfnis nach: Er fasst Äußerungen der Natur in menschengemachte ästhetische Kategorien. Für den Vogel aber ist das alles eigentlich Sprache. ist Kommunikation. Erklärt der Ornithologe P.D. Meijering (Vater des hiesigen Komponisten Cord Meijering). Der Trauerschnäpper will nicht Trauergesang üben, er will bloß ein oder mehrere Weibchen in seine Bruthöhle locken. Typisch Mensch, dass man da mehr raushören möchte. Meijering junior weiß zu berichten. dass beispielsweise der Koreaner dabei gar nicht von Gesang redet: „Die Amsel weint“ heiße es dort. Worüber – das ist wieder so eine typische Frage von allzu grüblerischen Säugern.

Zoologe Meijering deutet sogar an, dass der Mensch dem Ruf der Natur deshalb so gebannt folgt und diesen zu interpretieren sucht, weil da etwas Uraltes zu ihm spricht. Schließlich sind wir um ein paar Ecken rum ja alle miteinander verwandt, Reptil, Vogel und Säuger. P.D. Meijerings These: „Man wartet auf den Ton. der aus der Natur kommt und der einen anspricht.“

Umgekehrt fühlen sich auch die Vögel durchaus von uns angesprochen. Der Tierkundler erklärt. dass sich Amsel-Populationen entwickelt hätten, die sich „so eng an den Menschen gebunden haben, dass die nicht in den ursprünglichen Wald zurückgekehrt sind“. Offenbar hat man sich was zu sagen. Aus den Reihen der Besucher wie der Gastgeber werden munter Beispiele vorgebracht: Wie der fast taube Beethoven in seine sechste Sinfonie drei vogelähnliche Motive eingewoben hat; wie die Kiebitze als „großartige Nachmacher“ das menschliche Ohr und Herz erfreuen. Und wie der Komponist Olivier Messiaen seinen gefiederten Freunden Melodien ablauschte und auf Notenpapier festhielt, um diese weiter zu variieren, das weiß Thomas Schäfer vom Internationalen Musikinstitut zu berichten. Natur und Kultur, so scheint’s, sind in einen hübschen Kreislauf eingespannt und drehen das Ding immer noch ein Stückchen weiter.

Gibt es Spaßvögel, die nur aus Freude singen?

Es geht dann auch noch um die Frage, wie frei Mensch und Vogel seien. Singt der Vogel auch mal nur zum Spaß? Hat der Mensch in frühester Kindheit ein offeneres Ohr für Gesänge aller Art? Restlos klären lässt sich das in gut anderthalb stickigen Stunden im Vivarium nicht. „Am Anfang“, glaubt jedenfalls Wolfram Knauer, „ist die Freiheit eigentlich da“ – die Freiheit. zu singen. wie einem der Schnabel gewachsen ist. Nur: „Sie wird uns durch die Kulturbindung ausgetrieben.“

Die Aufgabe des Künstlers sei es daher. „für uns den Kontakt zu dieser Freiheit wieder herzustellen“. glaubt Cord Meijering. Von draußen hört man, wie der Vivariumspfau seinen Ruf in die schwüle Nacht schickt. Es klingt sehr traurig.  (Thomas Wolff)


19. Dezember 2012
Musik + Bewegung
(14. Darmstädter Musikgespräch)

Ein musikalisches Quartett mit Mei-Hong Lin (Choreographin am Staatstheater Darmstadt), Jürgen Krebber (Internationales Musikinstitut), Cord Meijering (Akademie für Tonkunst) und Wolfram Knauer (Jazzinstitut Darmstadt)

Die Musik und der Tanz sind von jeher eng miteinander verbunden. Die Motorik des Rhythmus, die Spannung der Harmonik, die Sanglichkeit der Melodie, die Erkennbarkeit von Form – alle Elemente, die in der Musik eine Rolle spielen, stehen in ursächlichem Zusammenhang mit der Bewegung des Tanzes. Grund genug für das musikalische Quartett der Darmstädter Musikgespräche, sich Gedanken zu diesem Bereich zu machen und dabei den Begriff „Bewegung“ durchaus auch etwas weiter zu fassen.

Der Tanz aber wird allein schon angesichts des Ortes und des Gastes dieses Musikgesprächs eine wichtige Rolle spielen beim Darmstädter Musikgespräch: Die Leiter der drei städtischen Musikinstitute, Cord Meijering (Akademie für Tonkunst), Jürgen Krebber (Internationales Musikinstitut) und Wolfram Knauer (Jazzinstitut) haben diesmal die international gefeierte Choreographin Choreographin Mei Hong Lin als Gast zum musikalischen Quartett eingeladen, das sich auch im Gespräch mit dem Publikum dem Thema “Musik + Bewegung” nähern will.

Termin: Mittwoch, 19. Dezember 2012, 20:00 Uhr
Ort: Staatstheater Darmstadt, Ballettsaal
in Kooperation mit dem Staatstheater Darmstadt
Eintritt frei

ACHTUNG: Die Zahl der Teilnehmer ist auf insgesamt 40 beschränkt. Treffpunkt: 19:30 Uhr am Verwaltungseingang (zwischen Hügel- und Sandstraße). Bitte Socken mitbringen, da im Ballettsaal keine Schuhe erlaubt sind.

Das Darmstädter Echo berichtete am 21. Dezember 2012:

Hirne im Gleichklang
Diskussion – Kulturfachleute fragen nach dem Verhältnis von Musik und Bewegung
DARMSTADT.

„Musik und Bewegung sind für mich wie ein altes Ehepaar, manchmal streiten sie sich, meist ertragen und lieben sie sich“, erklärt Mei Hong Lin. Die Darmstädter Tanztheater-Chefin ist beim jüngsten „Darmstädter Musikgespräch“ nicht nur Gast, sondern auch Gastgeberin: Die Runde hockt diesmal im Ballettsaal des Staatstheaters beisammen. Wie eng Musik und Bewegung verbunden sind, zeigt sie am Beispiel: 15 Tänzer ihrer Truppe präsentieren eine der Traumszenen aus ihrem neuen Stück „Lala auf der Couch“.
Darin wird die Geschichte der Modemagazin-Chefin Lala erzählt, die nach ihrem Zusammenbruch mithilfe eines Psychiaters wieder zu sich selbst findet. Die Musik von Serge Weber wurde extra für das Stück komponiert, nachdem er die Bewegungen der Tänzer gesehen hatte. Was war nun zuerst da, die Musik oder die Bewegung?

Diese Frage wird an diesem Abend immer wieder gestellt. Im Fall von „Lala“ waren es zuerst die Gefühle, die in Bewegung ausgedrückt werden sollten. „Jede Bewegung hat einen Grund und muss Emotionalität haben“ steht für die Choreografin fest.
Jürgen Krebber vom Internationalen Musikinstitut fällt es schwer, nach dieser dynamischen und stilistisch wechselhaften Tanzszene, mit Worten weiterzumachen. Musik bewegt, ist sein Fazit. Und das in jedem Sinn: ob als Weg-Leitsystem in Leipzig, wo Hinweistafeln zu verschiedenen Orten führen, die mit Musik zu tun haben, oder ob es die kleinen neuronalen Netzwerke sind, die im Gehirn entstehen, wenn zusammen musiziert oder getanzt wird. Sogar Gehirne beginnen einen Gleichklang zu entwickeln, wie die Forschung zeige.

Jazz-Experte Wolfram Knauer erzählt Persönliches. Immer schon habe er unwillkürlich mit dem Fuß gewippt. Soll es dann wirklich ans Tanzen gehen, löse sich diese Einheit von Körper und Musik aber auf – steigt in den Kopf, „um dann unkoordiniert wieder in den Körper zurückzugehen.“ wie er lachend erzählt. Für den Leiter des Jazzinstituts lebt auch der Jazz ganz klar vom Swing, von seiner rhythmischen Qualität. Knauer fragt sich allerdings, wann und warum die neuere Musik dieses tänzerische Moment verloren hat.

Cord Meijering, Direktor der Akademie für Tonkunst, kritisiert dabei jene zeitgenössische Musik, die allzu sphärisch pseudo-religiöse Klänge produziert und dabei den „Puls“ verloren habe. Für ihn sind die Begriffe „Bewegung“ und „Tanz“ weiter gefasst und spielen sich irgendwo zwischen Himmel und Erde, Sprungkraft und Schwungkraft ab, wie er gestisch illustriert.

Die Publikumsfrage, ob sie Musik als Bewegung hört, bejaht Mei Hong Lin: „Deshalb gehe ich auch ungern in Restaurants mit Hintergrundmusik.“ Sie sieht sofort Bilder, Bewegungen und Farben – dagegen ist sie machtlos. Sie erzählt, dass sie deswegen auch zu Hause nie Musik hört, einfach weil sie sonst nicht entspannen kann. Sonst erginge es ihr vielleicht wie „Lala auf der Couch“. (Julia Reichelt)


7. November 2012
Musik + Langeweile

(13. Darmstädter Musikgespräch)

Ein musikalisches Quartett mit Hans-Klaus Jungheinrich, Thomas Schäfer (Internationales Musikinstitut), Cord Meijering (Akademie für Tonkunst) und Arndt Weidler (Jazzinstitut Darmstadt)

Es mag ja eine überhebliche Haltung derer, die sich professionell mit Musik beschäftigen, sein, dass Musik alles sein dürfe, nur nicht langweilig. Ist Langeweile etwas, was in der Musik selbst begründet liegt? Oder wird Langeweile auch durch die Umstände, also beispielsweise die Repertoirewahl, bestimmt? Oder ist Langeweile vielleicht einfach falsche Erwartungshaltung des Hörers? Und warum überhaupt verlangen wir Kurzweiligkeit, vielleicht weil wir in unserer kurzlebigen Zeit einfach nicht mehr die Geduld für lange Weile aufbringen?

All solche Fragen und andere mehr stellt sich das musikalische Quartett der Darmstädter Musikgespräche am 7. November und lädt darüber hinaus auch sein Publikum zum Gespräch ein. Neben den Leitern der drei städtischen Musikinstitute, Cord Meijering (Akademie für Tonkunst), Thomas Schäfer (Internationales Musikinstitut) und Arndt Weidler (Jazzinstitut) ist zum Musikgespräch in der Darmstädter Kunsthalle der renommierte Musikkritiker und -autor Hans-Klaus Jungheinrich eingeladen, sich Gedanken über „Musik und Langeweile“ zu machen.

Termin: Mittwoch, 7. November 2012, 20:00 Uhr
Ort: Kunsthalle Darmstadt
Eintritt frei


23. August 2012
Musik ausstellen

(12. Darmstädter Musikgespräch)

Ein musikalisches Quartett mit Hans Drewanz, Thomas Schäfer (Internationales Musikinstitut), Cord Meijering (Akademie für Tonkunst) und Wolfram Knauer (Jazzinstitut Darmstadt)

Am 5. September 2012 jährt sich der 100. Geburtstag von John Cage, einem der wichtigsten Komponisten und Musikdenker des 20. Jahrhunderts. Wie kaum jemand vor ihm hat Cage die Frage nach den Grenzen der Musik und ihren Verbindungen zu anderen Kunstfeldern und der Alltagswelt immer wieder neu gestellt. Gemeinsam mit Satie, Duchamp und Beuys gehört er zu den großen Strategen der Musik und Kunst im 20. Jahrhundert. Ausgehend von diesen Jahrhundertgestalten wird die Ausstellung „A House Full of Music“ auf der Mathildenhöhe Darmstadt mit ebenso faszinierenden wie erhellenden Klangräumen, Projektionen, Objekten, Gemälden und Installationen die parallelen Strategien von Musik und Kunst in Geschichte und Gegenwart erfahrbar machen.

Auch das Darmstädter Musikgespräch, das diesmal auf der Mathildenhöhe zu Gast ist, befasst sich mit dem Thema „Musik ausstellen“. Die drei Leiter der Darmstädter Musikinstitute haben sich dazu als Gast den Dirigenten und langjährigen Generalmusikdirektor des Staatstheaters Darmstadt Hans Drewanz eingeladen.

Beim offenen Gespräch untereinander und mit dem Publikum wird es um ganz unterschiedliche Aspekte des „Musik Ausstellens“ gehen. Lässt sich etwas so aufs Ohr gerichtetes wie Musik überhaupt ausstellen? Wo verschwimmen die Grenzen zwischen Skulptur, Klangskulptur, Musik oder zwischen musikalischer Skizze, Partitur, Zeichnung Malerei? Und wie geht, nicht zuletzt, der Musiker mit der Tatsache um, dass er seine Musik auf eine ganz andere Art und Weise täglich „ausstellen“ muss, in der Inszenierung des Konzerts, das in allen Formalien und Ritualen oder auch in der Durchbrechung derselben durchaus Parallelen zu dem aufweist, was „A House Full of Music“ in diesem Sommer auf der Mathildenhöhe thematisiert.

Termin: Donnerstag, 23. August 2012, 20:00 Uhr
Ort: Institut Mathildenhöhe, Museum Künstlerkolonie
Eintritt frei

Das Darmstädter Echo schrieb am 25. August 2012:

Wege zur Glückseligkeit
Diskussion – Das „Darmstädter Musikgespräch“ drehte sich diesmal um das Thema „Musik ausstellen“

DARMSTADT.

„Musik ausstellen“: Dieses Thema hatten sich die Initiatoren der „Darmstädter Musikgespräche“ gesetzt und das Ganze auf die Mathildenhöhe verlegt. Dort läuft zurzeit noch die Schau „A House Full of Music“, in der Wechselwirkungen von Kunst, Musik und anderen Disziplinen aufgezeigt werden. So bot sich ein konkreter Aufhänger für die Diskussion – eigentlich. Doch es ging nebenher und zwischendurch auch darum, was man noch so alles unter „Musik ausstellen“ verstehen könnte. Das war allerhand.
Als Gast hatte man sich Hans Drewanz aufs Podium geladen. Der war genau der Richtige für diesen Abend. Der Idee, Musik auf welche Art auch immer zu inszenieren, kann der Dirigent und langjährige Generalmusikdirektor des Staatstheaters Darmstadt so gar nichts abgewinnen und gab seinen Gastgebern damit von Anfang an hübsch Kontra.
Er empfindet die Mathildenhöhe-Schau als „intellektuelles Vergnügen“ und „musikwissenschaftliches Seminar“, sieht aber generell keine Notwendigkeit, der überbordenden „Befrachtung mit Bildern“ in der heutigen Kultur weiteren Vorschub zu leisten. Musik ist für Drewanz „nur auf das Ohr gerichtet, demnach nicht zeigbar, sondern nur hörbar“ – eine „Entgrenzung“, keine Einschränkung. Er habe eher das Gefühl, „dass etwas verloren geht, wenn sie bebildert und betextet wird“. Suspekt sind ihm schon die Obertitel in der Oper.

Als eine „Entzauberung der Musik“ sieht auch Wolfram Knauer vom Jazzinstitut das Ausstellen von Musik. Allerdings: Im veränderten Kontext erschließen sich für ihn neue Ebenen. Wenn das Museum das Video eines wütenden Jimi-Hendrix-Auftritts mit anderen Formen der ästhetischen Destruktion zeigt, wird für Knauer sichtbar, „wie Zerstören und Neuschaffen miteinander zusammenhängen“. Rückkopplungen unterschiedlicher Art würden erlebbar.
Auch aus dem Publikum wurde der Ruf nach „Erkenntnisgewinn“ durchs Ausstellen laut. Für Drewanz alles nicht nötig.
Ob es ihm als Dirigent nicht auch darum gehe, „Musik zu formen, zu skulpturalen Objekten werden zu lassen“, wollte Thomas Schäfer vom Internationalen Musikinstitut wissen. Keineswegs, so die Antwort: „Ich sehe mich als Musiker im Dienste des Komponisten“, dessen Intentionen er „zum Klingen bringen“ müsse. Ohne jeden bildnerischen Anspruch. Auch dass man beispielsweise in Mahlers dritter Sinfonie einen neuen Begriff von „Dimension“ bekommen könnte, wie Cord Meijering von der Akademie für Tonkunst meinte, hält Drewanz „nicht für schlüssig“. Andere Besucher könnten ja ganz was anderes heraushören.
Mit so starkem Widerstand gegen alles Bildhafte hatte Thomas Schäfer offenbar nicht gerechnet. Leicht provozierend fragte er den Gast, ob er bei der Arbeit an Opern im Staatstheater denn sehr gelitten habe? „Man liebt die Oper für alles, was sie sein könnte“, so Drewanz, „und man hasst sie für das, was sie ist.“ Eines jedenfalls nicht: illustrierte Musik. Dass die Oper ihrem Wesen nach auf den vielschichtigen Wechselwirkungen von Text, Musik, Schauspiel, Bühnenbildnerei und vielem mehr basiert, war der Runde zwischenzeitlich etwas aus dem Blick geraten.
Den stärksten Beifall gab es zuletzt für jene Besucherin, die ihre „unglaubliche Glückseligkeit“ beim Genießen der Mathildenhöhe-Schau schilderte. Froh sei sie vor allem, dass niemand sie belehrt habe. Komponist Meijering stieß ins gleiche Horn. „Ich hab’ nie versucht, Musik zu verstehen“, erklärte er gegen Ende, „ich möchte fasziniert bleiben.“

(Thomas Wolff)

 


21. März 2012
Jazzwerkstatt Berlin
Ein Musikgespräch mit Ulli Blobel
(11. Darmstädter Musikgespräch)

Ohne Ulli Blobel müsste die Geschichte des Jazz in Deutschland sicherlich umgeschrieben werden. Das Städtchen Peitz am Rande des Spreewalds, wäre nichts weiter als eine kleine Gemeinde in der Nähe Berlins, regional bekannt für seine Karpfenteiche. Jazzfans weltweit kennen Peitz stattdessen dafür, über Jahre hinweg mit seinem Festival das Mekka des West-Ostdeutschen Free-Jazz gewesen zu sein. Zu einer Zeit Ende der 1970er Jahre, als der Eiserne Vorhang für den kulturellen Austausch zwischen BRD und DDR ein klein wenig geöffnet wurde, um Musik von Weltrang in den „Arbeiter- und Bauernstaat“ zu locken. Als Konzertveranstalter machte Blobel in der DDR eine steile Karriere.

1984 aber kehrte er ihr den Rücken, siedelte in Wuppertal im Umfeld der dortigen Heroen Peter Brötzmann und Peter Kowald, gründete Labels und einen Vertrieb, verließ dann für eine Weile die Jazzwelt, um erst 2006 wieder zum jazz zurückzukehren, als er in Berlin die „jazzwerkstatt Berlin-Brandenburg“ gründete. Zur „Werkstatt“ gehört ein gleichnamiges Label, das in den vergangenen fünf Jahren zur auffälligsten und rührigsten Präsentationsfläche der jungen Berliner Jazzszene geworden ist.

Wo wäre in Darmstadt ein besserer Ort für ein Musikgespräch mit Ulli Blobel als in der Werkstatt des Berliner-Darmstädter Künstlers, Bildhauers und Improvisations-Schlagzeugers Detlef Kraft. Dessen Skulpturen, darunter auch das 2003 geschaffene Standbild des Bluesmusiker „Little (Marion) Walter“ vor dem Jazzinstitut Darmstadt, entstehen in seinem Atelier auf dem ehemaligen Werkstattgelände der Darmstädter Firma Goebel gegenüber dem Hauptbahnhof. Eingang zum Atelier über Bismarckstraße (Eingang gegenüber Kirschenallee).  

Termin: Mittwoch, 21. März 2012, 20:00 Uhr; ab 19:30 Uhr Möglichkeit eines Atelierrundgangs; Ort: Atelier von Detlef Kraft, Goebelstraße 21 (ehemaliges Weksgelände der Fa. Goebel, gegenüber Hauptbahnhof Darmstadt); Eintritt frei


8. Februar 2012
Musik + Verpackung
(10. Darmstädter Musikgespräch)

Ein musikalisches Quartett mit Michael Schneider (INTEF), Thomas Schäfer (Internationales Musikinstitut),Cord Meijering (Akademie für Tonkunst) und Wolfram Knauer (Jazzinstitut Darmstadt)

Musik ist ästhetisches Statement und Genuss, und dennoch ist sie zugleich immer auch eine Ware gewesen. Dieses Thema greift das „musikalische Quartett“ im Rahmen der Darmstädter Musikgespräche auf. Im lebendigen Diskurs miteinander geht es dabei etwa um den Warencharakter von  Musik, aber auch um deren tatsächliche Verpackung, beispielsweise als LP oder CD. Es geht um Musik, die als Hintergrund schon mal selbst zur Verpackung werden kann. Es geht um Labels, die der Musik gern aufgepfropft werden. Es geht um kulturelle Profile von Rundfunksendern, um die Rechthaberei ideologischer Musikfundamentalisten, um die Macht von Wort und Bild. Und es geht um die Auswirkungen, die all die verschiedenen Vorstellungen von „Verpackung“ auf die Musik selbst haben, die sich ihres Zwitterstatus‘ zwischen Kunst und Ware ja durchaus bewusst ist.

Beim Darmstädter Musikgespräch setzen sich die Leiter der drei Darmstädter Musikinstitute, Cord Meijering (Akademie für Tonkunst), Thomas Schäfer (Internationales Musikinstitut) und Wolfram Knauer (Jazzinstitut) mit einem Gast zu einem „musikalischen Quartett“ zusammen, das ganz unterschiedliche Aspekte des Themas diskutiert. Der Gast des Musikgesprächs „Musik + Verpackung“ ist zugleich Gastgeber, Michael Schneider nämlich, der das Institut für Neue Technische Form (INTEF) leitet, das in diesem Jahr sein 60jähriges Jubiläum feiern kann.

Termin: Mittwoch, 8. Februar 2012, 20:00 Uhr
Ort: Institut für Neue Technische Form (INTEF), Friedensplatz 10, Darmstadt Eintritt frei


14. Dezember 2011
Die Musikschule in der Darmstädter Kulturlandschaft Stefan Hakenberg im Gespräch mit Cord Meijering, Wolfram Knauer, Thomas Schäfer
(9. Darmstädter Musikgespräch)

Darmstadt hat eine Musikschule wie andere Städte auch. Aber Darmstadts Musikschule ist anders. In dieser Stadt gibt es mit dem Internationale Musikinstitut, dem Jazzinstitut und der Akademie für Tonkunst Einrichtungen, die internationale Ausstrahlung besitzen, aber natürlich auch die Welt nach Darmstadt holen. Die Leiter dieser drei Einrichtungen werden sich im Gespräch mit Stefan Hakenberg, dem Leiter der Städtischen Musikschule, darüber unterhalten, welchen Einfluss das besondere Darmstädter Klima auf seine Arbeit hat, wie die Schülerinnen und Schüler von der einzigartigen musikalischen Situation dieser Stadt profitieren und was die Musikschule in die Stadtgesellschaft zurückgeben kann.

Literaturhaus (Kasinostraße 3), 20:00 Uhr


21. September 2011
Darmstadt – L. A. (Hollywood) Der Filmemacher und Komponist Henning Lohner
(8. Darmstädter Musikgespräch)

Das 8. Darmstädter Musikgespräch stellt den Filmemacher und Komponisten Henning Lohner in den Mittelpunkt und zeichnet damit den Weg einer besonderen Karriere nach. Lohner war 1984 erstmalig Teilnehmer der Internationalen Ferienkurse für Neue Musik in Darmstadt und ist heute einer der renommiertesten deutschen Filmkomponisten. Bekannt wurde er durch seine langjährige Arbeit bei der Oscar prämierten Musikschmiede Remote Control Productions von Hans Zimmer in Los Angeles, mit dem er zum sogenannten German Hollywood zählt, sowie durch das 1988 angefangene raw material-Medienkunstprojekt. Bei den Darmstädter Musikgesprächen, erstmalig zu gast im INTEF, wird Lohner über seine Arbeit mit Karlheinz Stockhausen und Franz Zappa berichten, über Filmmusiken für Bernd Eichinger, Till Schweiger, Dennis Hopper, aber auch über eigene Filmprojekte etwa über Stockhausen, Hopper, Zappa, Karl Lagerfeld, Gerhard Richter, John Cage, Brian Eno und Yoko Ono.

Institut für Neue Technische Form (Friedensplatz 10, Darmstadt), 20:00 Uhr


8. Juni 2011
Manfred Bründl: „Sincerely P.T.“ Der legendäre Jazzbassist Peter Trunk
(7. Darmstädter Musikgespräch)

Manfred Bründl ist einer der herausragenden Kontrabassisten und Komponisten des europäischen Jazz. Der in Regensburg geborene Musiker studierte in Graz, gehörte lange Zeit zur Frankfurter Szene und unterrichtet heute als Professor an der Musikhochschule in Weimar. Bründl, der Musiker wie Charles Mingus, Scott LaFaro oder Jaco Pastorius genauso zu seinen Einflüssen zählt wie die Tradition der europäischen klassischen Musik, hat sich in den letzten Jahren auf Spurensuche eines deutschen Jazzbassisten begeben, der bereits zu Lebzeiten weit über sein Heimatland hinweg Anerkennung erhielt. Der 1973 bei einem Verkehrsunfall getötete Peter Trunk zählte zu den überzeugendsten europäischen Jazzbassisten der Nachkriegszeit. Michael Naura stellte ihn gar in eine Riege mit den großen amerikanischen Kollegen, wenn er beschreibt: „Die großen Bassisten – ich denke da an Jimmy Blanton, Ray Brown, Scott LaFaro und Peter Trunk – waren und sind in erster Linie weniger Solisten, als integrierende Figuren, die Gefühle der Geborgenheit vermitteln.“ In seinem jüngsten Projekt „Silent Bass“ nähert Bründl sich der Musik Peter Trunks, dessen Spiel auf dem Kontrabass sich durch einen sonoren, vollen, runden Ton, melodische und rhythmische Präzision und eine Vielfalt an Ideen auszeichnete. Dafür recherchierte er in Archiven, traf Kollegen und Zeitzeugen und entwickelte im Laufe der Recherche seine eigene – auch musikalische – Sicht auf den Kollegen.

Im Gespräch mit Wolfram Knauer wird Bründl über seine Annäherung an Leben und Werk Trunks berichten und darüber, wie diese seine eigene Arbeit beeinflusste. Der kurzweilige Forschungsbericht wird zudem mit seltenen Klangbeispielen aus der Arbeit Peter Trunks und solchen der aktuellen auf seinen Recherchen basierenden Arbeit von Manfred Bründl beleuchtet.

Literaturhaus Darmstadt (Kasinostraße 3)


6. April 2011
Imke Misch & Simon Stockhausen: Stockhausen, Darmstadt, elektronische Musik
(6. Darmstädter M;usikgespräch)

Die elektronische Musik war vielleicht die umfassendste klangliche Neuerung im musikalischen Geschehen des 20sten Jahrhunderts. Der Einfluss des Komponisten Karlheinz Stockhausen betraf dabei nicht nur die Welt der Neuen Musik, sondern war auch in anderen Genres zu spüren, dem Jazz etwa oder der elektronischen Popmusik. Frank Zappa, Miles Davis, Anthony Braxton, Charles Mingus, Peter Townshend, Björk, Paul McCartney und viele andere sind in ihrer musikalischen Arbeit wesentlich von Stockhausen inspiriert worden.

Die Kölner Musikwissenschaftlerin und Stockhausen-Expertin Imke Misch wird bei den 6. Darmstädter Musikgesprächen Stockhausens Aktivitäten bei den Internationalen Ferienkursen in Darmstadt vorstellen und dabei insbesondere auch einen Blick auf seine elektronische Musik werfen. Im Gespräch mit Stockhausens Sohn, dem Komponisten, Multiinstrumentalisten und Elektroniker Simon Stockhausen, der viele der späten Werke seines Vaters programmierte, unterhält sie sich anschließend über die gegenseitigen Einflüsse dieser Zusammenarbeit. Im letzten Teil des Abends schließlich wird Simon Stockhausen über seine eigene Arbeit in den letzten Jahren berichten.

Literaturhaus Darmstadt (Kasinostraße 3)


16. Februar 2011
Friederike Richter Wieviel Wurzeln braucht Musik?
(5. Darmstädter Musikgespräch)

Die Studienabteilung der Akademie für Tonkunst Darmstadt im Spannungsfeld zwischen regionaler Heimatverbundenheit, europäischer Musiktradition und der Begegnung mit Fernost

Unter diesem Titel hält die Darmstädter Pianistin und Klavierdozentin Friederike Richter am Mittwoch, den 16. Februar 2011 um 20.00 Uhr im Kennedyhaus einen Vortrag über die Arbeit der Studienabteilung der Akademie für Tonkunst Darmstadt.

Die Akademie für Tonkunst, jahrelang Ausbildungsstätte für junge werdende Musiker aus der Region, erfreut sich seit einiger Zeit eines hohen Zulaufs an Musikstudierenden auch aus Übersee wie Lateinamerika, vor allem aber Fernost.

Dies bedeutet einerseits einen Gewinn an Informationen und Erkenntnissen über andere Gesellschaften und Kulturen für einheimische Studierende. Andererseits müssen ausländische Studentinnen und Studenten enorme Hürden überspringen, um das Empfinden abendländischer Musik nachfühlen zu können. In diesem Vermittlungsprozeß steht die Lehrerin, der Lehrer an zentraler Stelle in einer Funktion als „Übersetzer/in“.

Dass allerdings nicht nur ausländische Studierende manchmal Übersetzungshilfen im Umgang mit traditioneller Musik brauchen sondern auch hiesige, will der Vortrag aufzeigen.

Weitere Informationen zur Person der Vortragenden: www.friederike-richter.de

Friederike Richter ist Klavier-Dozentin an der Studienabteilung der Akademie für Tonkunst

Literaturhaus Darmstadt (Kasinostraße 3)


Mittwoch, 26. Januar 2011
Stephan Schulz & Wolfram Knauer Louis Armstrong. Grenzen überwinden durch Musik
(4. Darmstädter Musikgespräch)

Zwei 2010 frisch erschienene Bücher befassen sich mit Louis Armstrong. Wolfram Knauer, der 2008 als Louis Armstrong Professor of Jazz Studies an der Columbia University in New York unterrichtete, schrieb eine Biographie, die die Lebensgeschichte des Trompeters entlang seiner Musik erzählt. Der Journalist Stephan Schulz sammelte Erinnerungen und Erinnerungsstücke an Armstrongs Tournee, bei der er 1965 17 Konzerte in der DDR gab. In einer gemeinsamen Veranstaltung berichten die beiden Autoren von ihren Recherchen und von Armstrong, dem system-überschreitenden Musiker, der mit seiner scheinbar unpolitischen Musik wichtige diplomatische Türen öffnete. Zu hören und zu sehen sein werden dabei auch seltene Tonaufzeichnungen Armstrongs, Stasi-Dokumente und Schmalfilmaufnahmen von Hobbyfilmern.

Stephan Schulz ist Journalist für den Mitteldeutschen Rundfunk und Autor des Buchs „What a Wonderful World. Als Louis Armstrong durch den Osten tourte“ (Berlin 2010, Verlag Neues Leben). Wolfram Knauer ist Direktor des Jazzinstituts Darmstadt und Autor des Buchs „Louis Armstrong (Stuttgart 2010, Reclam Verlag: Universal-Bibliothek)

Literaturhaus Darmstadt (Kasinostraße 3)


Mittwoch, 27. Oktober 2010
Cord Meijering: Kinder und Jugendliche komponieren
(3. Darmstädter Musikgespräch)

Es war Mitte der 80iger Jahre des 20. Jahrhunderts in Halle, DDR: Dort gab es ein Konzert der von Hans-Jürgen Wenzel gegründeten und von ihm geleiteten Kompositionsklasse für Kinder und Jugendliche Halle-Dresden. Diese Klasse existierte damals bereits seit 17 Jahren. Was es in diesem Konzert zu hören gab, setzte höchste Maßstäbe für alles, was von nun an auf dem Gebiet der sogenannten „Kinderkomposition“ folgen sollte. Seit 1976 produzierte Hans Werner Henze in Italien und Österreich Projekte, bei denen Kinder und Jugendliche komponierten. Die so entstandene Kommunal-Oper „Robert, der Teufel“ nach einem Libretto von Elfriede Jelinek katapultierte das Thema „Kinder und Jugendliche komponieren“ ins internationale Bewusstsein. An diesen Pionier-Projekten teilnehmend, sie erlebend, begann Cord Meijering das Experiment einer Integration dieser großen jugendlich-innovativen Kraft in eine Institution der Musikausbildung: die Akademie für Tonkunst in Darmstadt. Er gründete dort 1991 die Kompositionsklasse für Kinder und Jugendliche. Aus diesem Experiment entstand Deutschlands älteste (heute noch existierende) und produktivste Kompositionsklasse für Kinder und Jugendliche, die seit ihrer Gründung etwa 150 Werke – von Kammermusik bis hin zu Oper – hervorbrachte.

Cord Meijering, Komponist, Schüler von Johannes Fritsch, Dietrich Boekle, Hans Werner Henze und Hans Jürgen Wenzel, ist Direktor der Akademie für Tonkunst in Darmstadt. Nähere Informationen unter www.meijering.de und www.akademie-fuer-tonkunst.de

Literaturhaus Darmstadt (Kasinostraße 3)


Donnerstag, 15. April 2010
Rüdiger Ritter Jazz im Ostblock – Musik zwischen Widerständigkeit und künstlerischer Autonomie
(2. Darmstädter Musikgespräch)

Dass es auch im sowjetischen Machtbereich Jazz gab, und zwar richtig guten Jazz, ist immer noch recht unbekannt. Wer weiß schon, dass die Musik zu vielen Filmen von Roman Polański von niemand anderem stammt als von Krzysztof Komeda, dem Begründer des modernen polnischen Jazz. Allen Verboten zum Trotz etablierte und behauptete sich Jazz auch in den Ostblockländern und erhielt dort eine widerständige Funktion als Symbol für eine kulturelle Alternative. Vielleicht war es gerade dieser politische Druck, der dem Jazz zu hoher, auch internationaler Qualität verhalf? In Polen jedenfalls hat Jazz bis heute einen beachtlichen gesellschaftlichen Stellenwert. Das liegt unter anderem auch an den großen Festivals am Ende der 1950er Jahre wie etwa dem Warschauer Jazz Jamboree oder dem Jazz nad Odrą in Wrocław, die sowohl künstlerische Meilensteine als auch Manifeste des Freiheitswillens waren.

Rüdiger Ritter ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der FU Berlin, stellt in seinem Vortrag die Ergebnisse eines Forschungsprojekts zum Jazz im Ostblock vor, das dort seit 2007 bearbeitet wird und für das er uns seine Kollegen regelmäßig auch im Jazzinstitut geforscht hatten.

Der Vortrag von Rüdiger Ritter ist teil eines Polen-Schwerpunkts des Jazzinstituts, das am 16. April in seiner Galerie eine Ausstellung mit Bildern von Mira und Alex Fleischer eröffnet (Fleischer war einer der Mitbegründer des Festivals Jazz nad Odrą) und am selben Abend im Gewölbekeller unter dem Jazzinstitut ein JazzTalk-Konzert mit dem Adam Pieronczyk Trio veranstaltet.

Literaturhaus Darmstadt (Kasinostraße 3)


Mittwoch, 17. Februar 2010
Michael Custodis Wolfgang Steinecke – Netzwerker der Musikmoderne
(1. Darmstädter Musikgespräch)

2010 hätte Wolfgang Steinecke, Nestor des Wiederaufbaus der Darmstädter Kulturpolitik nach dem 2. Weltkrieg und Gründer der Internationalen Ferienkurse für Neue Musik Darmstadt, seinen 100. Geburtstag gefeiert. Anlass genug, diesen kongenialen Netzwerker der Moderne als Ausgangspunkt für die neu initiierten „Darmstädter Musikgespräche“ zu nehmen. Moderne ist bei Michael Custodis‘ Vortrag über Steinecke im doppelten Sinne gedacht, als „moderne“ Form des Festivalmanagements, viele untereinander zerstrittene Protagonisten für (s)eine Vision von Sommerkursen für die musikalische Moderne zusammenzubringen. Durch diese Fokussierung auf Steineckes Organisationstalent lässt sich auch zeigen, wie es ihm gelingen konnte, alte Vorkriegs-Kontakte (z. B. zu seinem Lehrer Friedrich Blume) zu pflegen und für Kontexte einzuspannen, die diesem eigentlich nicht lagen und dennoch eine konsequente Suche nach musikalischem Neuland unterstützen ließen. Zugleich wird der Vortrag aber auch die Grundzüge von Steineckes Darmstädter Arbeit nachzeichnen.

Michael Custodis ist Musikwissenschaftler und Soziologe aus Berlin. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Musikwissenschaft der Freien Universität Berlin im DFG-Sonderforschungsbereich „Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste“. Für die 45. Internationalen Ferienkurse für Neue Darmstadt (17.-31. Juli 2010) arbeitet er derzeit an einer Ausstellung zu Wolfgang Steineckes 100.Geburtstag.

Literaturhaus Darmstadt (Kasinostraße 3)

Darmstadt Jazz Forum - the posters

Das 1. Darmstädter Jazzforum fand im Dezember 1989 statt, und damit noch bevor das Jazzinstitut Darmstadt gegründet war. Das dreitägige Symposium im damaligen Konferenzzentrum der Stadt beschäftigte sich mit den unterschiedlichsten Aspekten ästhetischer, historischer, analytischer und pädagogischer Herangehensweisen an die Musik. Es gab einen Flyer, der von Helmut Lorz gestaltet war, dem gefeierten Darmstädter Grafiker, der unter anderem das Signet für die Berliner Funkausstellung sowie das Plakat zur Ausstellung „That’s Jazz. Der Sound des 20. Jahrhunderts“ auf der Darmstädter Mathildenhöhe entworfen hatte.

Oberbürgermeister Günter Metzger beschrieb dieses erste Jazzforum als „Probelauf“ zu einem künftigen Jazzzentrum in der Stadt, das mit dem Jazzinstitut Darmstadt am 1. September 1990 gegründet wurde. Bereits im September 1991 fand das 2. Darmstädter Jazzforum statt, das ab jetzt konkreten Themen zugeordnet wurde. Das 2. Darmstädter Jazzforum, das damit das erste des neu gegründeten Jazzinstituts war, nahm das Thema „Jazz und Komposition“ in den Fokus. Über andere Darmstädter Veranstalter kam der Kontakt zu einem jungen Grafiker zustande, der seither alle Plakate – und überhaupt die grafische Präsenz des Jazzinstituts – entwarf: dem Frankfurter Designer Roland Stein. Steins Plakate entstehen bis heute in enger Abstimmung mit dem Jazzinstitut. Sie illustrieren nie nur das Thema selbst, sondern immer auch die erwarteten Diskurse, den Kontext der Konferenz, Konzerte und Ausstellung des Jazzforums.

Steins erstes Plakat zeigt das bereits exemplarisch. „Jazz und Komposition“ (1991) hätte sich auch mit einem Notenblatt darstellen lassen;  Stein entschied sich für den konstruierten und klar positionierten Schriftzug  „Jazz“ über einer  unklaren, vom rot über schwarz ins Weiß hingetupften Fläche. „Jazz in Europa“ (1993) spielt mit petrolfarbenen Buchstaben, die, positiv und negativ gesetzt, auf dem leuchtend-roten Hintergrund hervorstechen. Für „Jazz in Deutschland“ (1995) wählte Stein die Noten der beiden Nationalhymnen, und auch beim Symposium und den begleitenden Konzerten waren Beiträge zur Entwicklung des Jazz in beiden Teilen des Landes zu hören. Für „Jazz und Sprache“ (1997) entwarf Stein ein Plakat mit einer Schreibmaschinentype die über der Ziffer „5“  ein Achtelnotensymbol hatte.

 

Zum seinem 100sten Geburtstag beschäftigte sich das Darmstädter Jazzforum mit „Duke Ellington und die Folgen“ (1999); Stein arbeitete dafür mit einem Bild des Duke mit verzerrten Farbkanälen. Weitaus reduzierter fiel das Plakat zu „Jazz und Gesellschaft“ (2001) aus, das auf klarem Grund zwei Kreise überlappen lässt. „improvisieren…“ (2003) lautete der nächste Jazzforums-Titel, und hier improvisierte auch Stein – mit Linien, Typen, Farben, Rastern. Für das etwas sperrig benannte Symposium über „Verrat!!! … oder Chance? Der Jazz und sein gespaltenes Verhältnis zur Popularmusik“ (2005) bastelte Stein Pappfiguren von Miles Davis, Charlie Parker, John Coltrane und Gerry Mulligan, packte sie in einen Einkaufswagen und ließ sie in einem CD-Laden fotografieren.

   

„The World Meets Jazz“ (2007) diskutierte über stilistische Begegnungen genauso wie über kulturelle Aneignung, und Stein arbeitete mit einer Bildsprache, auf der aus Instrumenten Blumen wachsen  und überhaupt die ganze Welt zu blühen scheint. „Tension / Spannung“ (2009) war das Jazzforum überschrieben, das sich Werk und Einfluss des Posaunisten Albert Mangelsdorff widmete und für das Stein ein Foto der Posaune des Meisters in seine grafische Komposition mit einbezog. Für „Jazz. Schule. Medien.“ (2011) wird es wieder etwas nüchterner: Übereinander gelegte Blätter  spiegeln vielleicht auch die Papierlastigkeit des Themas wieder.  2013 gab es eine Doppelkonferenz mit dem Institut für Jazzforschung Graz, und Steins Umsetzung von „Jazzdebatten / Jazzanalysen“ versucht dem diskursiven Gehalt des Themas gerecht zu werden.

Für „Gender and Identity in Jazz“ (2015) wählte Stein eine Anspielung an X- und Y-Chromosomen, die er in Regenbogenfarben  zusammenbrachte. „Jazz @ 100. (K)eine  Heldengeschichte“ (2017)  zeigt eine zunächst zufällige, aber bewusst modifizierte und platzierte Google-Bildersuche nach „Jazz“, verdeckt vom deutlichen Stempel mit des Konferenzthemas. Für „Positionen! Jazz und Politik“ wählt Stein einen Entwurf, bei dem man sich schon beim Betrachten für eine Position entscheiden muss: schwarz auf weißem Grund oder weiß auf schwarzem Grund? Die letzten drei Plakate waren übrigens als mit einem Doppelnutzen konzipiert: auf der einen Seite der zum Quadrat zusammengefalteten Blätter befand sich das Plakat, auf der anderen Seite eine Übersicht übers Programm sowie knappe Programmnotizen. Mitten in der Pandemie veranstalteten wir 2021 unser erstes Hybrid-Jazzforum, „Roots | Heimat. Wie offen ist der Jazz“, und Stein versuchte der Diversität der Themenstellung mit einer Gestaltung nahe zu kommen, in der Klarheit, Verankerung, Risiko und Offenheit gleichermaßen zum Zuge kommen.

Fürs Jazzforum 2023 über „Destination unknown. Die Zukunft des Jazz“ haben wir uns zusammen mit Roland Stein für ein durch künstliche Intelligenz erzeugtes Mischwesen entschieden, eine/n Musiker/in, der/die alles imaginieren lässt und neugierig macht, was er/sie wohl hören oder spielen mag.

We are quite proud of the graphic implementation of the themes of our Darmstadt Jazzforum conferences. It doesn't happen very often that you work with a graphic designer for such a long time - more than 30 years, after all. Roland Stein has not only visually shaped our Jazzforum; he has helped to design numerous exhibitions, developed our logo, and designed the header of our website. He has always done what a good graphic designer does: listened, drawn his own conclusions, and translated the atmosphere that communicated itself to him into a design. We recognize ourselves in it, for 32 years. How about you?

(Wolfram Knauer, May 2023)

Jazz in der Kammer (1965-1990)

Am 1. November 1965 spielte das Trio des Pianisten Joachim Kühn mit  Klaus Koch (Bass) und Reinhard Schwarz (Schlagzeug) in den Kammerspielen des Deutschen Theaters in Ost-Berlin. Das Konzert war zugleich der Beginn der Konzertreihe „Jazz in der Kammer“, die bis zum 10. November 1990 163 Konzerte mit mehr als 600 Musiker:innen vor allem der zeitgenössischen Jazzszene aus Ost- und Westeuropa, aber auch den USA oder Japan präsentierte.  Im Programmheft zum ersten Konzert erläutern die Organisatoren, man wolle „auch speziellere Wünsche  vor allem [der] jugendlichen Besucher erfüllen und gleichzeitig neue Besucherschichten für die Arbeit des Deutschen Theaters interessieren“.


Jazz in der Kammer No 1 (1 November 1965) as pdf-Download

Jazz wurde in der DDR der 1950er Jahren von offizieller Seite eher argwöhnisch als Ausdruck „kapitalistischer Dekadenz“ und „Musik des Klassenfeinds“ beäugt. Mit dem Bau der Mauer 1961 änderte sich diese Haltung des Staates, wie Karlheinz Drechsel berichtet, und schien plötzlich vieles möglich, was früher verboten war. „Die in der DDR agierenden staatlichen Konzert- und Gastspieldirektionen wurden dazu angehalten“, erzählt er, „spezielle Jazzkonzerte für die Jugend zu veranstalten“ (Karlheinz & Ulf Drechsel: Zwischen den Strömungen. Mein Leben mit dem Jazz, Rudolstadt 2011: 91). Vor diesem Hintergrund ist auch der Ankündigungstext zum Kühn-Konzert von 1965 zu lesen, in dem es heißt: „‚Jazz in der Kammer‘ soll der Förderung und Popularisierung des modern jazz in unserer Republik dienen und jede Art von kommerzieller Tanzmusik, jeden Pseudojazz und unqualifizierte Amateurmusik ausschließen.“

Am 24. November 1969 gab es ein erstes Jubiläum zu feiern: 4 Jahre und 25 Konzerte „Jazz in der Kammer“. Im Programmzettel listen die Veranstalter mittlerweile 102 Musiker und 3 Musikerinnen auf, die bereits in der Reihe aufgetreten waren, mit wenigen Ausnahmen (ein Konzert mit den Leo Wright All-Stars im Oktober 1966) alle aus der DDR oder osteuropäischen Bruderstaaten. Sie erzählen noch einmal die Geschichte des Formats, das einer Idee zweier Schauspieler und eines Gartenarchitekten entsprang. Und sie zitieren aus Rezensionen vergangener Konzerte, etwa mit den Berlin-Leipzig-All-Stars, mit dem Kurylewicz-Nahorny Quintett aus Polen, mit der Zellula Combo aus Prag oder mit der amerikanischen Sängerin Rosita Thomas.

Während der Rückblick die Internationalität der Reihe betont, feiert das Jubiläumskonzert  selbst die zeitgenössische Szene im eigenen Lande. Das Friedhelm Schönfeld Trio mit Klaus Koch und Baby Sommer ist in zwei Stücken zu hören, das Günter Fischer Quartett in einem, Manfred Schulzes Bläserquintett (plus Schlagzeug) spielt seine Komposition „Hymne“, Ernst Ludwig Petrowsky betont in seinem Quartett die amerikanische Tradition („Oleo“) und mit dem Studio-4-Ensemble auch die europäische (den Choral „Es sungen drei Engel“, ein Stück, das auch Albert Mangelsdorff wenige Jahre eingespielt hatte). Zum Schluss trafen sich die Musiker zu einer Jam Session, und man möchte gern dabei gewesen sein.


Jazz in der Kammer No 25 (24 November 1969) as pdf-Download

Im Jazzinstitut haben wir zahlreiche der Programmzettel  (immerhin 133 von 163), im Original und  für Recherchezwecke auch digitalisiert. Das Abschlusskonzert im November 1990 war wieder ein kleines Festival; neben vielen Namen, die bereits seit den 1960er Jahren mit dabei waren, tauchen jetzt auch jüngere Musiker:innen auf, und die Veranstalter resümieren: „Nach 25 Jahren, in denen sich die Jazz-Szene des Landes entscheidend verändert hat, sehen die ebenfalls älter gewordenen lnitiatoren der Reihe ihre Aufgabe als erfüllt an und verabschieden sich mit der heutigen Familien-Party, die noch einmal treue, langjährige Mitstreiter der KAMMER vereint, von ihrem treuen Publikum.“


Jazz in der Kammer No 163 (10 November 1990) as pdf-Download

Die Programmzettel zu „Jazz in der Kammer“ sind nur ein Teil der Dokumente, die im Jazzinstitut über die Jazzgeschichte der DDR vorhanden sind. Daneben finden sich ähnliche Programmblätter zur Jazzwerkstatt Peitz, zur Jazzbühne Berlin, Presseclippings über das Dixieland Festival in Dresden oder die Leipziger Jazztage und Clippings über einzelne Konzerte im ganzen Land von 1965 bis zum Fall der Mauer.

Wolfram Knauer (April 2023)

Hartmut Geerken’s Sun Ra Archive

Im Mai 2021 übernahmen wir die das Sun Ra Archive des  Schriftstellers, Kulturkoordinators und Forschers Hartmut Geerken. Es handelt sich um das weltweit umfassendste Privatarchiv zu Leben und Werk des US-amerikanischen Free-Jazz-Pioniers und Vordenkers des Afrofuturismus. Die Sammlung umfasst Bandmitschnitte von knapp 500 bislang unveröffentlichten Konzerten, Interviews und Proben des Sun Ra Arkestra, Filmaufnahmen auf über 70 Videobändern bzw. DVDs, das gesamte dichterische Œuvre Sun Ras, zum Teil mit eigenhändigen Korrekturen, 1.200 Fotos, ein umfassendes Archiv an Sekundärliteratur, Korrespondenz mit führenden Sun Ra-Forschern sowie mit Sun Ra selbst, die Geerken für seine umfangreichen Bücher „Omniverse Sun Ra“ und „The Immeasurable Equation“ verwandte, und vieles mehr.

„Hartmut Geerkens Sun Ra-Archiv ist eine großartige und wichtige Ergänzung der Sammlung des Jazzinstituts“, erklärte damals unser Oberbürgermeister und Kulturdezernent Jochen Partsch. „Sun Ra war ein Vorreiter des Black Power-Movement der 1960er Jahre und damit auch der Black Lives Matter-Bewegung unserer Zeit. Die Sammlung Geerkens, der Sun Ra persönlich kannte und mit vielen Musikern seines Arkestra befreundet war, dokumentiert, wie Sun Ra den Afrofuturismus vorausgedacht hat, der in den 1970er Jahren in der Musik George Clintons nachhallte und ab den 1980er Jahren Teil des internationalen kulturkritischen Diskurses wurde.

In the meantime, we have digitized far more than half of the huge collection; written documents as well as film or audio recordings of his concerts. And the archive is already attracting researchers from all over the world - in March 2023, for example, we hosted a researcher for a documentary planned on Sun Ra by renowned U.S. director Stanley Nelson (cf. Hollywood Reporter). Geerken himself was happy that his collection found a home in Darmstadt, of all places. A radio broadcast by jazz expert Joachim Ernst Berendts, whose estate forms the basis of the archive at the Jazzinstitut, had brought Sun Ra to his attention in the early 1960s, he told us in one of the last telephone conversations we had with him. Only a week later, Geerken died completely unexpectedly in October 2021 at the age of 82 in his home on the Ammersee.

Sun Ra is not only of interest to music historians, but also and particularly to young musicians, who are fascinated by the visions of the bandleader and composer. As early as in the 1950s he succeeded in combining tradition and avant-garde. Ra had his roots in the big band music of the swing era, but quickly became one of the pioneers of freer paths in jazz. The concerts of his Arkestra, some of which lasted for hours, and the contemplation of old African rituals came alive with the colorful costumes, the performance, which always included the audience, and with the rousing hymns that sounded between free improvisations and swinging arrangements. Last but not least, Ra was also a pioneer of electronic music, one of the first musicians to use the Moog synthesizer for live concerts. And in 1986 - another Darmstadt reference - he met the mastermind of new music John Cage at a joint concert in New York.

Sun Ras Musik begleitet uns seither, und auch inhaltlich erahnen wir, wie weitsichtig der Pianist, Komponist und Bandleader war: Wir haben nicht ohne Grund dem 18. Darmstädter Jazzforum, bei dem wir im September 2023 „die Zukunft des Jazz“ einen Titel aus Sun Ras Diskographie gegeben: „Destination Unknown“.

„Space is the Place“ hieß eine der nachhallenden Hymnen, die das Arkestra in seinen Konzerten sang. Das Darmstädter Jazzinstitut hat genügend „space“ freigeräumt in seinen Regalen, um Platz zu schaffen für die Dokumente über eine der schillerndsten und herausragendsten Figuren afro-amerikanischer Musik.

Here are a few examples from the collection:


Prison correspondence

 

Herman Poole Blount, as he was then known, spent the first 30 years of his life in Birmingham, Alabama, where he was born in 1914. In 1942, he was drafted into military service, which he refused for religious reasons, among others. He served several months first in an Alabama prison, then in a Pennsylvania camp, where he was diagnosed as suicidal as well as "homosexual". Geerken collected copies of Blount's correspondence from those years, in which he speaks candidly about his health problems, but also his sexuality.


The Sun Harp

In Geerken's words (Giza, Egypt, December 1971, from: Omniverse Sun Ra):

the night they were to leave i watched sonny, the chief, sitting behind a little table in the hotel hall. a lit candle in front of him illuminated rows of numbers on a piece of paper. my first thought; magic nurnbers, astrology. but then i heard that there wasn’t enough money to pay the hotel bill. the telephone bill was immense, too. his 21 musicians had made lots of phone calls, like they always did when they were on tour. i know for a fact that once sonny paid the telepone bill amounting to over 1000 dollars with a professional tape, including the rights. – even though it was late at night, i tried to get arabian & german friends to participate in the bill so that sonny & his crew could leave for the airport. they had to pay to be able to leave the building. my friends were reluctant, so i chipped in as much as i could, but it wasn’t enough. one of them kept sneaking outside with something & returning without whatever it was & then handing a few money bills to sonny. sonny would then start adding again. i think june even sold some of her jewelry. she kept laughing & saying: ‚that’s too much! that’s too much!‘ sonny didn’t seem too upset about the precarious situation. how often had he gone through this before? the intergalactic constellation cannot be measured by the standards of earthly time… at some point patrick arrived with a large string instrument, a ukrainian bandura & extra strings to replace the lower strings, handed them to sonny & sonny handed them to me, sort of as a security for the rnoney i had given to him. some tirne when he had rnoney, he said, he would ask me to return the instrument, it was his famous sun harp („STRANGE STRINGS“).

Die Sun Harp ist auf zahlreichen Aufnahmen zu hören, beispielsweise in „Solar Symbols„. Geerken spielt sie 1996 auf seinem „Sun Ra Tribute“ Album; „Sunny’s Sun Harp„.


Sun Ra Hot Dog Sauce

Chris Trent, der erheblich an der zweiten Auflage von „Omniverse – Sun Ra“ mitgearbeitet hatte, schickte Geerken eines Tages diese Flasche. Sie hat nichts mit „unserem“ Sun Ra zu tun, war in den 1940er Jahren eine beliebte Zutat zu … „Hot Dogs.


Maqsud Schukurwali

Geerken's encounter with Sun Ra radiated to everyone he dealt with. Maqsud Shukurwali played guitar in Geerkens Rock and Free Jazz Group, als dieser 1976 für das Goethe-Institut in Afghanistan arbeitete. Schukurwali arbeitet ansonsten als Grafiker und Bildender Künstler; von 1977 stammt seine Maske mit dem Namen „Sun Ra“.


Discographies

„Omniverse – Sun Ra“ ist ja alles: Biographie, Diskographie, Gedichtesammlung, musikalische Einordnung, Reflexion über… Die Grundlagenforschung für all das aber war endlose Korrespondenz, die Geerken mit anderen Sun Ra-Sammlern aus aller Welt führte, die aktive Beteiligung an Mailinglisten, die Veranstaltung regelmäßiger Sun-Ra-Konferenzen. Robert Campbells „The Earthly Recordings of Sun Ra“ (zweite Ausgabe: 2001) ist die „Bibel“ für Sun Ra-Sammler, aber in Geerkens Sammlung finden sich auch alle Vorgänger bis zurück zu Otto Flückigers Diskographie in der Zeitschrift „jazz-statistics“ von 1961. Ein besonders schön gestaltetes Werk ist Tilman Stahls privat veröffentlichte Publikation „Sun Ra Materialien / Sun Ra Materials“ aus dem Jahr 1983.


The Sun Ra collection comprises much more - we will come back to this and describe further individual folders and boxes when the opportunity arises, for example the bundle of sheet music or tape cassettes.  Oh, one more thing: Even the material that has already been digitized is not available online, but can only be used for research purposes at the Jazzinstitut itself.

(Wolfram Knauer, März 2023)

JazzNews 2023

We read the morning paper for you!

The Jazzinstitut's JazzNews keeps you up-to-date with news of the jazz world, which we collect, summarize, and issue via e-mail about once a week. This service can also be accessed on our website (www.jazzinstitut.de), where it is updated on a daily basis. If you need bibliographies of the musicians named in our JazzNews, please click on our website’s Jazz Index page. This is a bibliographical reference to jazz-related books, magazines, journals and other sources that you can access without charge. If you don't find the name(s) you’re looking for, feel free to e-mail us! We will send you Jazz Index digests of articles about musicians as they make the news.

Author of the JazzNews (German as well as English version): Wolfram Knauer

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Content (English)

Dozentinnen und Dozenten 2023

Matthew Bookert …

Rocco Dürlich©

… wird gerne als erstaunlich vielseitiger Musiker beschrieben, was umso außergewöhnlicher ist, als er ein Instrument bevorzugt, dem man in der Regel wenig klangliche Varianz zuspricht – das Sousaphon. Das große, um den Bauch geschlungene Instrument ersetzt bis heute in den klassischen Marching Bands des New Orleans-Jazz den weniger mobilen Kontrabass.

Was der inzwischen in Berlin lebende Texaner allerdings mit seinem wuchtigen Instrument musikalisch macht, ist in der Tat … VIELSEITIG! Bookert ist dabei nicht nur in verschiedensten Stilen von Klassik bis Worldmusik zu Hause, sondern spielt das riesige Blasinstrument mit erstaunlicher Leichtfüßigkeit. Kein Wunder, denn Matthew Bookert studierte Tuba an der Indiana University bei Daniel Perantoni sowie an der University of Michigan bei Fritz Kaenzig. 2007 kam er nach Deutschland, wo er an der Musikhochschule Stuttgart beim Tubisten der Staatsoper Stefan Heimann ebenso Kurse belegte wie im Jazzdepartment der Hochschule.

Trotz weiterhin enger Kontakte nach Südwestdeutschland (als Mitglied der Stuttgarter Band Volxtanz oder des Mannheimer/Frankenthaler/Mainzer Blechensembles Blassportgruppe Südwest) lebt Bookert inzwischen in Berlin und spielte dort in der Vergangenheit sowohl in Hannes Zerbes Jazz Orchestra, dem zeitgenössischen Trickster Orchestra von Cymin Samawatie und Ketan Bhatty wie im akustischen Live-Ensemble der populären Elektronik-Formation Brandt Bauer Frick. Bookert arbeitet zudem auch als Komponist und MC.

Über seinen Workshop sagt Matthew Bookert folgendes:

„Groove und Riff basiertes improvisieren zum Kopfnicken und Tanzen.  Jazz als Begriff hat immer weniger mit Arsch wackeln zu tun.  Nicht hier! Funk und Balkan inspirierte tanzbare „U“-Musik für jede die gerne Musik mit groove hört.“

Daniel Guggenheim

Foto: Anja Jahn

… hat als Schweizer nicht nur musikalisch einen weiten Weg zurückgelegt. Nach der Ausbildung an der Swiss Jazz School in Bern waren Paris, Südamerika und New York weitere Stationen, bevor er schließlich Ende der 1990er-Jahre in Frankfurt am Main landete.

Von sich selbst sagt er, dass starke musikalische Persönlichkeiten ihn immer inspiriert haben, ganz gleich, ob das Jimi Hendrix oder Sonny Rollins waren. Unverkennbar aber begleitet den Tenorsaxophonisten sein größtes Vorbild John Coltrane bis heute. Schon parallel zum Studium an der Swiss Jazz School leitete er sein eigenes Quartett und interpretierte John Coltrane nach seiner Version.

1983 trifft er in Brasilien auf Hermeto Pascoal, ein wahrer Glücksfall für ihn. Durch Musikanarchist Pascoal lernt Guggenheim seine Musik zu leben und Grenzen stets neu auszuloten. Daniel Guggenheims Musik lässt immer wieder neue Bilder entstehen, die für alle Beteiligten zu einem umfassenden Erlebnis werden.

In New York schließlich spielte er mit Leuten wie Elvin Jones, Cecil McBee, Richie Beirach, Billy Hart oder dem jungen Roy Hargrove. In Frankfurt  folgten Kooperationen mit bekannten Musikern wie Bob Degen, Vitold Rek, Keith Copeland, Janusz Stefanski, David Liebman, Peter Madsen, Jeff Williams, Jürgen Wuchner, John Tchicai und Harry Beckett. In seinem aktuellen QUARTET spielen Sebastian Sternal, Dietmar Fuhr und Silvio Morger.

Guggenheim verfügt über eine unglaubliche Bühnen- und Spielerfahrung, die durch Auftritte mit Pop-Größen wie Nena und Udo Lindenberg auch musikalisch erweitert wurde.

Über seine Ideen für den diesjährigen Kurs sagt er folgendes:

„Es werden eigene Kompositionen erarbeitet. Im Vordergrund wird dabei das Zusammenspiel der Gruppe stehen. Die Wahrnehmung der Mitmusiker, das gemeinsame Timing, der „Gruppensound“ und die Interaktion werden anhand von gezielten Übungen spielerisch verbessert.“

Johannes Lauer

Benedikt Lauer©

… denkt groß. Eine seiner herausragenden und international besetzten Formationen nannte sich nicht umsonst „Lauer Large“ und verschob dabei alle Grenzen musikalischer Genre nach außen. Sicher bewegt sich Johannes Lauer mit seinen Kompositionen zwischen folkloristischen Motiven, dem Sound der Großstadt und Jazz und erschafft damit neue klangliche Welten.

Auch in kleineren Ensembles fühlt sich der Posaunist, Pianist und Komponist zu Hause. Zu seinen aktuellen Projekten gehören das Trio Lauer Westergaard Smith, Duos mit der afroperuanischen Musikerin Laura Robles und dem Pianisten Marc Schmolling sowie Kooperationen mit Moussa Coulibaly, Ahmed Soura und Ofrin.

Johannes Lauers stilistisches Wirken erstreckt sich über New Orleans Jazz bis Avantgarde, von zeitgenössischer Klassik bis experimenteller Pop-Musik oder traditioneller Musik aus Peru, Westafrika, Kolumbien, Brasilien und dem Alpenland.

Seine Fähigkeit des kompositorischen Weltenbummelns hat seine Wurzeln sicherlich in Lauers Biographie. Er wuchs in Ravensburg und Florenz auf, studierte bei Dieter Ammann und Nils Wogram Jazz-Posaune und Jazz-Komposition erst in Berlin und später in Luzern. Lauer war Mitglied des im Bundesjazzorchester (BuJazzo) und reiste schon in jungen Jahren mit Ensembles um die Welt. Unter anderem arbeitete er mit Künstlern wie Tyshawn Sorey, Peter Evans, Chris Speed, Henning Sieverts, Drew Gress, Michael Wollny, Steffen Schorn, dem RIAS Kammerchor, den Big Bands von SWR, NDR und WDR und Christoph Schlingensief. Seinen Lebensmittelpunkt hat Johannes Lauer seit 2008 in Berlin.

Über seine Ideen für den diesjährigen Kurs sagt er folgendes:

„Was den Inhalt des Kurses angeht – ich kann mir da ganz unterschiedliche Themen vorstellen (Ellington, Monk, Shorter, Carla Bley, Jimmy Giuffre, Brasil, Hermeto Pascoal, Tom Harrell, American Songbook). Oder eben die Idee, dass in einem gemeinsamen Prozess neue Kompositionen entstehen. Oder man nimmt sich ein inhaltliches Thema (z.B. so etwas altmodisches wie „Friede“) und daraus ergibt sich dann das Repertoire. Jedenfalls hab ich das Gefühl, es wäre gut, ohne Noten auszukommen.“

Uli Partheil

… ist seit 2021 künstlerischer Leiter der Darmstädter Jazz Conceptions und damit Nachfolger seines langjährigen musikalischen Mentors und Freundes Jürgen Wuchner. Partheil ist einer der aktivsten Protagonisten der Darmstädter Szene, beeinflusst von der Musik Duke Ellingtons, Thelonious Monks, kubanischen Rhythmen und dem Blues. Er ist nicht nur ein versierter Pianist in sämtlichen Stilistiken des Jazz, sondern auch als Komponist tätig. In seinen Werken geht er äußerst kreativ mit den verschiedenen Einflüssen um, die ihn als Musiker prägen.

Uli Partheil studierte an der Mannheimer Musikhochschule unter anderem bei Professor Jörg Reiter Jazzpiano, außerdem Komposition und Arrangement. Seit Beginn der 1990er Jahre arbeitete er mit Jürgen Wuchner, Matthias Schubert, Janusz Stefanski, Ack van Rooyen, Rudi Mahall, Emil Mangelsdorff, Hanns Höhn, Peter Back, dem Wiener Kronenbräu Orchester und vielen anderen zusammen. Als Begleiter ist er auch immer wieder am Staatstheater Darmstadt zu hören. Bis zum Beginn der Pandemie leitete er das von ihm selbst ins Leben gerufene Darmstädter Jugendweltmusikorchester.

Mit seinem Working Trio „Playtime“ ist er in den letzten Jahren mit verschiedenen Literatur- & Jazz-Projekten erfolgreich. Zuletzt veröffentlichte er gemeinsam mit Ulli Jünemann, Ralf Cetto und Angela Frontera den Longplayer „Reflections2020“. Partheil unterrichtet an der Jazz & Pop School Darmstadt. Für seine musikalischen Verdienste und sein Wirken für die Förderung des jazzmusikalischen Nachwuchses erhielt er 2008 den Darmstädter Musikpreis.

Über seine Vorstellungen zum diesjährigen Workshop schreibt er folgendes:

Ich möchte wieder versuchen mindestens ein Stück auswendig und ganzheitlich zu erarbeiten, d.h. die Musiker:innen sollen nicht nur ihren Part, sondern das ganze Werk lernen und verstehen. Dazu werde ich eigene Kompositionen und andere ausgewählte Stücke mitbringen.“

Laura Robles…

Peter Tümmers©

… lebt den Beat. Geboren in Swasiland und aufgewachsen in Peru, fand Robles bereits mit vier Jahren den Zugang zur afro-peruanischen Musik. Seitdem möchte sie die Menschen mit ihren Rhythmen zum Tanzen bringen. Sie spielt Cajón, Batás, Congas und E-Bass und ist eine der wenigen Frauen, die mit ihrem Spiel derartig in der Öffentlichkeit stehen.

Ihre Rolle als Vorbild für junge Instrumentalistinnen ist Laura Robles wichtig. Sie selbst nahm mit 13 ihr Studium am Susana Bacas „Instituto Negro Continuo“ auf und studierte intensiv kubanische Folklore, Popularmusik und die komplexe Musik der Yoruba-Kultur.

Robles gründete die erfolgreichen Bands „Astrocombo“, „Stretch it to The Limit“ und die sozialpädagogische Initiative „Parió Paula“. Sie spielte mit Theater- und Tanz-Kompanien und einigen der renommiertesten Folklore-, Jazz- und Rock-Musikern Perus in Peru und auf internationalen Festivals.

Seit 2012 ist Berlin Laura Robles Wahlheimat. Hier knüpfte sie an ihre Arbeit an und gründete 2012 die Berliner Version ihrer „Astrocombo“. Robles ist eine gefragte Instrumental-Pädagogin und kooperiert in verschiedenen Projekten vom Kindergarten bis in die Hochschule. Sie musizierte gemeinsam mit Johannes Lauer, Joscha Oetz, Almut Kühne, Ahmed Soura, Uli Kempendorff, Greg Cohen, Simon Nabatov, Niels Klein, Pablo Held Trio, Wanja Slavin, Christian Weidner, Bodek Janke, MORF, DUS-TI, Berlin Art Orchestra und Lauer Large. Dabei vergisst sie nie ihre „roots“ und ihre Eigenständigkeit als Musikerin.

Taiko Saito…

Foto: Natalie Savey

… liebt das Experiment. Dabei verliert die musikalische Gestaltenwanderlin Taiko Saito nie ihre Sensibilität für die Wirkung ihrer Instrumente, die durchweg mit Mallets bespielt werden. An Marimba oder Vibraphon regt sie die Zuhörenden  sofort an, innezuhalten. Sie bewegt sich gekonnt zwischen europäischer Kunstmusik und Jazz, zwischen der musikalischen Begleitung von Schauspielstücken der Schaubühne Berlin und der Arbeit in ihren Band- und Soloprojekten.

Taiko Saito wuchs in Japan auf und begann bereits mit sieben Jahren Marimba zu spielen. Sie studierte klassische Marimba und Percussion an der Toho School of Music. Ihr Drang nach freier Komposition und Improvisation zog sie 1997 an die Universität der Künste in Berlin. Dort lernte sie bei Prof. David Friedman Vibraphon und Komposition. Saito gewann zahlreiche Preise, wie den Atelierpreis des Berliner Senats im Jahr 2010.

Ihr reicher musikalischer Fundus erlaubt es der Vibraphonistin in verschiedenen Formationen zu arbeiten. 2003 gründete sie das Duo KoKo mit dem Pianisten Niko Meinhold. Mit ihm spielt sie unter anderem im Trickster Orchester, das 2022 den Deutschen Jazzpreis als bestes großes Ensemble gewann. Auch in diesem Jahr ist sie als Mitglied von Silke Eberhards Potsa Lotsa XL-Ensemble wieder für den Deutschen Jazzpreis nominiert.

Taiko Saito arbeitete außerdem mit Keiko Abe, Satoko Fujii, Yuko Oshima, David Friedman, Tom van der Geld, Eric Sammut, Michael Schiefel, Celine Rudolph, Daniel Matter, Yelena Kuljic, Cymin Samawatie, Kazuhisa Uchihashi, Oli Potratz, Ketan Batti. Sie experimentierte an musikalischen Stücken mit dem Hip-Hop-Künstler und Produzenten Shing02 und der zeitgenössischen Komponistin Sofia Gubaidulina.

Zu ihren Vorstellungen für die Arbeit mit ihrem Ensemble sagt sie folgendes:

„In meinem Workshop geht es um das Öffnen der Ohren, um miteinander zuzuhören und darauf zu reagieren und zu agieren, ohne zu sprechen. Wir werden verschiedene Techniken und Methoden der aktiven Interaktion erkunden, von freier Improvisation bis hin zur minimalen Musik.“

Mail from Doc Cheatham

Gerhard Conrad wurde 1929 im polnischen Szamocin geboren. Nach dem Krieg arbeitete er eine Weile als Lehrer in der Nähe von Leipzig, floh aber Anfang der 1950er Jahre nach Westdeutschland und ließ sich in Menden nieder. Neben seiner Arbeit als Lehrer ist er Jazzforschern vor allem durch seine Veröffentlichungen bekannt, die er im eigenen Verlag „Der Jazzfreund“ herausbrachte, und in denen er immer wieder ein Schlaglicht auch auf die Jazzszene im Osten Deutschlands und in anderen Ländern hinter dem Eisernen Vorhang warf. Dazu gehören Bio-Discographien etwa von Kurt Henkels Heinz Wehner oder  Walter Dobschinski, aber auch die mehrbändige „Discographie der Jazz- und Semijazzaufnahmen im Bereich der heutigen Volksdemokratien“ (1982-1991). Conrad verstarb im Jahr 2016.

Conrad was in regular contact with the Jazzinstitut and often sent packages of books, records, programs, photographs, postcards, and letters he had received from musicians around the world. In the mid-1960s, for example, he corresponded with trumpeter Doc Cheatham, whom he quizzed in particular about Rex Stewart, with whom Cheatam had worked in McKinney's Cotton Pickers in the early 1930s. Conrad asks whether he feels that Stewart is underestimated, and Cheatham says that he is not, he has always been seen as one of the greats, it's just that he has been living in Los Angeles for a while, but the music is played in New York. California, writes Cheatham, is certainly nice to live in, but musically it's more of a cemetary. Ben Webster recently warned him to move to the West Coast if he wanted to continue making music.

Er würde gern in Deutschland spielen, schreibt Cheatham in einem weiteren Brief, aber angesichts des Rock ’n‘ Roll-Craze hätten Jazzmusiker wie er es schwer. Louis Armstrong gehe es glücklicherweise gut, merkt er an, ansonsten sei das Jazzleben in New York schwierig, selbst das Birdland sei zu einer Diskothek geworden, nur am Montag gäbe es dort noch Jam Sessions. New Orleans-Musik, schreibt er, sei eine wunderschöne und ernsthafte Kunstform, leider fühlten sich zahlreiche Bands zurzeit genötigt, diese Musik eher als Burlesque-Persiflage aufzuführen, mit lustigen Hüten und ähnlichem Klimbim. Er selbst habe gerade einen Gig im Eddie Condon’s Club auf der 56th Street  mit der Max Kaminsky Band.

His last letter is dated May 1966. Things are going better, he writes, hence the long pause in correspondence. Right now he was playing a concert with Juanita Hall, then a TV show, plus gigs with Machito's band. It's hard to plan because Juanita Hall doesn't know yet if she wants to continue the show, so they "have to hustle". Ah, the pen is acting bad, so excuse this scratching. OK, Conrad, let me hear from you again soon. As ever, Doc Cheatham.

Doc Cheatham, Brief an Gerhard Conrad, 9. September 1964

 

Doc Cheatham, Brief an Gerhard Conrad, 28. September 1964

  

Doc Cheatham, Brief an Gerhard Conrad, 27. Januar 1965

 

Doc Cheatham, Brief an Gerhard Conrad, 20. April 1965

 

Doc Cheatham, Brief an Gerhard Conrad, 26. Juli 1966

 

Doc Cheatham, Brief an Gerhard Conrad, 27. März 1966

 

Download der Briefe als PDF-Datei
(please click on the image)

 

Jazz in Würzburg 1948-1951

Immediately after the war, jazz clubs (then often called hot clubs) were founded in many cities in West Germany, not as venues for live music, but as clubs where jazz fans met, exchanged ideas about jazz history and current releases, and, if they were making music themselves, organized the irregular jam sessions.

At the Jazzinstitut, we have numerous documents about these jazz activities of the 1940s and 1950s. A good example of how the clubs were structured and what their goals were is given in the three-year report from Würzburg for the years 1948 to 1951. At the same time, the example of Würzburg is quite symptomatic of similar clubs in the American zone at the time.

Bebop, quarrels, few women  

It began in May 1948 with record nights and lectures, initiated by the local Amerika-Haus, organized by fans, but also supported by the American occupiers, who made possible concerts by American musicians from the Army as well as jam sessions with American and German musicians.

Auf Anregung des Amerika-Haus-Chefs gründete sich im Mai 1949  der Würzburger Jazz-Club als „selbständige Interessengruppe, die losgelöst vom Amerika-Haus ihre eigenen Entscheidungen treffen kann“. Es gab zahlreiche Vorträge über alle Stilrichtungen des Jazz (das Logo des Vereins ist bezeichnenderweise ein stilisierter Dizzy Gillespie-Kopf), bald aber auch Zwist im Vorstand, darüber hinaus heftigen Streit mit der neuen Leitung des Amerika-Hauses, der auch von einem eigens eingeladenen Vertreter des Hot-Club Duisburg nicht geschlichtet werden konnte. Und schließlich gerieten die Jazzer auch noch mit Vertretern der Musikhochschule aneinander, die den Jazz „mit Geflügelzüchter- und Jodlervereinen verglichen“, ihn als eine „Geschmacklosigkeit“, gar eine „Gefahr“ darstellten.

At the end of the annual reports there is an overview of the different aspects of a jazz club in those years: about the course of the club evenings, about the structure of members and visitors (age between 16 and 28, 15 percent female visitors), about available private collections of records, books and magazines, about future goals.

Immediately after the founding of the German Jazz Federation in May 1952, the Jazz-Club Würzburg became a member of this association, which wanted to bundle the interests of the many West German clubs. We have attached four letters from the correspondence with the DJF, which provide further insight into the club life of those years.

Enjoy a trip to Würzburg in the late 1940s, early 1950s!

Annual reports 1948/49, 1949/50, 1950/51
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Download the above annual report as a PDF file:
(please click on the image)

Correspondence with the German Jazz Federation, 1952-54
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Kathrin-Preis – Kathrin Lemke Scholarship for Young Jazz improvisers

Since 2019 Darmstadt awards the Kathrin-Preis – Kathrin Lemke Scholarship for Young Jazz improvisers . The award is named after the Berlin based jazz saxofonist Kathrin Lemke who was born on September 27, 1971 in Heidelberg and who died at her early age of 44 years.

Together with Kathrin's mother Irene Lemke-Stein, the Mannheim based DESTAG-Stiftung, the internet platform jazzpages.de and Zeitschrift JAZZTHETIK , the Jazzinstitut Darmstadt donates the award, which is biannually implemented in form of a fully financed one-week residency in Darmstadt.

First winner in 2019 was the percussionist Joss Turnbull . In 2021 the saxofonist Luise Volkmannreceived the award. The residence of 2023's laureate, bassist Robert Lucaciu, fand vom 15. bis 21. Mai 2023 statt. Den Abschluss bildete die offizielle Verleihung des Kathrin-Preises während des Preisträgerkonzerts am 20. Mai 2023 im Wolf Werk Darmstadt.

Neue Bücher 2023

The Soundies. A History and Catalog of Jukebox Film Shorts of the 1940s
Von Mark Cantor
Jefferson/NC 2023 (McFarland & Company)
893 Seiten, 125 US-Dollar
ISBN: 978-1-4766-8313-3

Es gibt im Bereich der populären Musik eine Art Grundlagenforschung, die sich erheblich von der Klassifikation klassische Musik unterscheidet. Diskographen haben über Jahrzehnte hinweg die Aufnahmen von Jazzmusikern kartiert, Datum, Ort, Studio, Zeit, Besetzungen, Besetzungswechsel, einzelne Takes (mit Nummern), veröffentlichte Takes (mit Nummern) und vieles mehr recherchiert. All das ist (neben der Musik, neben Interviews, neben Analysen, neben Kontextbeschreibungen) eine wichtige Basis dafür, was wir über die Geschichte der populären Musik wissen. Eine ähnliche Grundlagenforschung gibt es auch für den Film, und im Bereich des Musikfilms gilt Mark Cantor als einer der größten Kenner. Jetzt hat er einen Teil seines Wissens in einem opulenten Band zusammengefasst, „The Soundies“, der sich einer speziellen Art von Kurzfilmen widmet, die in den 1940er Jahren populär wurden. 1940 nämlich wurde in New York die erste Video-Jukebox vorgestellt, ein Gerät, das auf Münzeinwurf ausgewählte musikalische Kurzfilme zeigte, Drei-Minuten-Filmchen, die eigens für diese Geräte produziert worden waren mit oft populären Namen des damaligen Musikgeschäfts.

Cantor, der in Südkalifornien für seine enorme Filmsammlung bekannt ist, beginnt sein Buch mit einer Anekdote: In den frühen 1980ern, in einer Zeit also, in der die Filmrecherche weit schwerer war als heutzutage mithilfe des Internets, rief ihn eines Tages der Bassist Red Callender an. Er würde sich gern zwei alte Filmen asehen, in denen er einst mitgewirkt habe, meinte Red, „Jammin‘ the Blues“ und „New Orleans“, und Cantor lud ihn zu sich nach Hause ein. Während des Screenings klingelte der Postbote und brachte ein Päckchen – Cantor erhielt damals drei- oder viermal pro Woche Filmsendungen. Darin fand sich „Hey Lawdy Mama“, ein dreiminütiger Soundie aus den Mitt-1940er Jahren mit Roy Miltons Rhythm ’n‘ Blues-Band. Sie schauten sich den Film zusammen an und fielen, wie Cantor erzählt, fast von ihren Stühlen, als gleich zu Beginn kein anderer als Red Callender am Bass zu sehen war, der sich überhaupt nicht mehr daran erinnerte, dabei jemals mitgewirkt zu haben.

Soundies also: Alltag für Studiomusiker der 1940er Jahre, weil die Musikindustrie versuchte ein neues Produkt zu platzieren, eine Hardware, die nur dann lukrativ zu sein versprach, wenn es genügend Software gab, sprich: genügend Kurzfilme. Die oben beschriebene Projektionsmaschine hieß „Panoram“ und wurde etwa sechs Jahre lang extensiv vertrieben. Die Software waren eigens für sie aufgenommene musikalische Filme, von denen jede Woche acht neue ins Programm aufgenommen wurden. Am Ende produzierten mehr als 50 Filmfirmen zwichen dem 10. März 1941 und dem 5. Januar 1947 exact 1.869 Soundies. Hinzu kommen ähnliche Kurzfilme anderer Firmen, die Cantors „Inventory“ am Ende auf knapp 2.600 Einträge anschwellen lassen. Mitte der 1940er Jahre lief das Geschäft nicht mehr so gut, auch Versuche der Panoram-Verantwortlichten, es durch eine neue Nutzung der Videomaschinen neu anzukurbeln, durch „burlesque shorts“, also erotische, oder „peep“ shows, zeitigte keinen großen Erfolg. Letzten Endes spielten eine Reihe an Faktoren eine Rolle beim Niedergang der Soundies: das Kriegsende, Änderungen im populären Geschmack, die ersten Filmprojektoren für Zuhause… Als wenig später dann noch das Fernsehen zu einem Alltagsgegenstand in jedem Haushalt wurde, waren Soundies jedenfalls schon lange Vergangenheit.

In Cantors 900-seitigem Kompendium nun finden sich alle Informationen, die man sich über die Jukebox Film Shorts der 1940er Jahre wünschen kann. Im ersten Teil erzählt Cantor die Geschichte des Genres, teils als Geschichte eines wirtschaftlichen Unterfangens, teils die Kontexte erklärend und dabei auch auf den unterschwelligen Rassismus oder Sexismus in den Filmen hinweisend. Er weiß um die Bedeutung von „pre-recorded“ Soundtracks, beispielsweise in der Zeit des AFM-Musikerstreiks, der nicht nur die Plattenfirmen, sondern auch die Soundies-Produzenten betraf. Er beschreibt, inwieweit die Filmzensur, die eigentlich vor allem Hollywood im Blick hatte, auch dieses Genre betraf. Er beschreibt Vorläufer des Systems aus den 1920er Jahren und die wichtigsten industriellen Player der 1940er. Er erklärt den Produktionsablauf, nimmt Einblick in Verträge mit den Künstlern, und diskutiert Copyright-Fragen. Und er spricht mit Beteiligten: dem Soundies-Regisseur John Primi beispielsweise, dem Klarinettisten Abe Most, der Pianistin Alma Smith sowie zahlreichen weiteren an den Produktionen beteiligten Personen.

Teil 2 seines Buchs besteht dann aus dem Katalog selbst. Cantor hat so viele Details als nur irgend möglich über jeden Kurzfilm gesammelt, verweist aber genauso offen auf Lücken seiner Recherchen, auf unsichere Daten etwa, Filmorte oder gezeigte Künstler. Er beginnt sein „Inventory“ mit der Nummer 1, dem ersten Soundie, „Sweet Sue“, und endet 450 Seiten später mit Nummer 2.593, dem letzten Soundie, „Unexpected Kiss“. Jeder Eintrag enthält Essentials: Titel, Künstler, Datum der Veröffentlichung, Produktionsnummern, Songtitel, Texter/Komponist, Arrangeur, Verlag, Copyrightdaten, Ort und Datum der Produktion, Ort und Datum der Musikaufnahme, Besetzung der Band, Besetzung der Musiker, die im Film zu sehen sind (und die nicht immer mit der spielenden Band übereinstimmen), gefeaturete Soli oder Vocals, Tänzer:innen, andere Performers, die Katalogbeschreibung für Panoram-Besitzer, Verweise auf Rezensionen im Billboard Magazin, Anmerkungen zu eventueller Zensur und anderes mehr. Ein zweiter Teil des „Inventory“ listet 500 „recording sessions“ auf, bei denen die Soundtracks aufgenommen wurden, und beschreibt die Bands bzw. Künstler und den Kontext, in dem sie sonst so agierten in jener Zeit. Verschiedene Anhänge listen bbeispielsweise die Produktionsnummern und die dazugehörigen Produktionsfirmen, die exakten Veröffentlichungstermine, bzw. „sideline extras“, sprich: die Musiker, die im Film auch zu sehen sind. Eine Bibliographie zum Thema sowie ein ausführlicher Index aller im Komendium genannten Namen und Titel beschließt das Buch.

Mark Cantor hat mit seinem Buch ein Standardwerk zu einem speziellen Aspekt der Geschichte des amerikanischen Musikfilms vorgelegt. Man muss die Akribie seiner Recherchen genauso bewundern wie seinen Blick auf die Nutzbarkeit seines Kompendiums für Forscher:innen unterschiedlichster Disziplinen. Und wenn man sich beim ersten Blick etwas erschlagen fühlt von der Menge an Information, dann schmökert man sich bald insbesondere in seinen historischen Kapiteln fest und findet vielleicht den einen oder anderen Filmclip auf YouTube.

Wolfram Knauer (November 2023)


Hans Reichel. Daxophonie
herausgegeben von Klaus Untiet & Peter Klassen
Hofheim 2023 (Wolke)
272 Seiten, 38 Euro
ISBN: 978-3-95593-147-6

Hans Reichel, ein Name, der in Jazzkreisen irgendwie nachhalt – Wuppertaler Free-Jazz-Szene, FMP, Instrumentenerfinder, Daxophon ¬–, ohne dass man dabei viel von der Musik im Ohr hat. Klangabenteuer, sound research, genremäßig oder stilistisch schwer zuordbar. Seine Musik werde schon mal in die „New-Age-Kiste“ gesteckt, lacht Reichel im Gespräch mit Markus Müller 1991, er sei innerhalb der FMP „immer ein Kuckuksei“ gewesen.

Hans Reichel also, um das Vorwort zu zitieren, „war Musiker, Komponist, Improvisateur, Instrumentenerfinder und Instrumentenbauer, Tontechniker, Schriftenerfinder und Schriftenschneider, Holzhandwerker, Spielegestalter, Grafikdesigner, Gartengestalter, Teichbauer, Fotograf und Freigeist“. Und das vorliegende Buch dokumentiert ziemlich alle dieser unterschiedlichen Seiten des 1949 in Hagen geborenen, 2011 in Wuppertal verstorbenen Universalkünstlers.

Ein Mitschüler erinnert sich an einen Grundschullehrer, der die Klasse anleitete mit Sperrholz und Schleifpapier Instrumente zu bauen. Verschiedene Zeitungsausrisse belegen die Erfindungskraft, mit der Reichel die Gitarre immer für seine Klangmöglichkeiten anpasste. Eine Erklärung des Daxophons durch den Erfinder selbst: „Es besteht im Wesentlichen aus vier Teilen, von denen zwei mechanisch miteinander verbunden sind, zwei aber nicht…“. Die Laudatio, die Bert Noglik 1999 auf Reichel hielt, als dieser den Kuns-Preis der Stadtsparkasse Wuppertal erhielt. Eine Erinnerung von Sabine Heseling daran, wie Reichel 2000 den Auftrag erhielt, eine Bühnenmusik für Shakespeares „Komödie der Irrungen“ am Maxim Gorki Theater zu schreiben. Eine Würdigung des Musikers Reichel durch Giuseppe Colli. Das bereits erwähnte Interview mit Markus Müller von 1991 mit ein- und ausführender Kontextbeschreibung. Eine Einordnung seines kompositorischen Approaches durch den saxophonisten Wolfgang Schmidtke. Erinnerungen an Reichels Ausflüge nach und Faszination mit Japan. Ein Spiegel-Interview mit Reichel über die Erfolge der von ihm entwickelten Schriften. Dazwischen: Fotos, Bilder, Buchstaben, Beispiele für Reichels andere Tätigkeiten, seinen Garten etwa, inklusive zweier Teiche in Form des „Kommas“ und des „Semikolons“ seiner Schrift FF Dax, Schachfiguren, Backgammon- und Mühlebretter und –steine. Abschließend eine Diskographie und ein Blick in eine große Ausstellung in der Sparkasse Wuppertal im Herbst 2012, zehn Monate nach Reichels Tod.

„Hans Reichel. Daxophonie“ ist eine Biographie, eine auf die jeweiligen Aktivitäten passende Werk-Annäherung geworden, ein sorgfältig gestaltetes und inhaltlich abwechslungsreiches Coffeetable-Buch, neugierig-machend auf so vieles. Auf deutsch und englisch, nebeneinander, aber so gestaltet, dass man sich beim Spaltenspringen nicht verliest. Gelungen!

Wolfram Knauer (November 2023)


Formation. Building a Personal Canon. Part One
von Brad Mehldau
Sheffield 2023 (Equinox)
294 Seiten, 30 Britische Pfund
ISBN: 978-1-80050-313-7

Mit 53 Jahren die eigene Autobiographie veröffentlichen? Macht Sinn, wenn man viel zu erzählen hat. Und Brad Mehldau, der seit Mitte der 1990er Jahre weit über die Jazzszene hinaus erfolgreich war, hat viel zu erzählen. Seine Autobiographie (erster Teil!) ist dabei weit mehr geworden als eine Musikererinnerung. Mehldau selbst, der deutsche Literatur und Philosophie liebt, beschreibt seine Herangehensweise lieber als „Bildungsroman“; stellenweise mag maan allerdings auch an eine Therapiesitzung denken: so ehrlich wie möglich, so schonungslos wie möglich, immer reflektierend, welche Auswirkungen die Entscheidungen, die er zu verschiedenen Zeiten trifft, auf sein weiteres Leben hatten.

Mehldau beginnt mit seiner Jugend in New England. Er erzählt von seiner Unsicherheit unter anderen Kindern, vom Mobbing in der Schule, von den ersten Klavierstunden und seiner Faszination mit den drei B’s: Bach, Beethoven, Brahms. Als seine Klassenkameraden bei einem Projekt ihre Eltern nach ihrer Herkunft befragen soll, antwortet er: „Ich weiß nicht genau, wie ich das tun soll. Ich wurde adoptiert“, worauf die Lehrerin nur meinte: Dann zeichne halt einen Stammbaum deiner Adoptiveltern. „Ich hatte keinen“, wird Mehldau bewusst. „Adoptiert zu sein, heißt, keine eigene Geschichte zu haben. Es gab nichts zu erzählen. Ich war höchstens eine Chiffre.“

Mehldau liebte zwar die drei B’s, daneben aber auch die Rockmusik des Tages, AC/DC, Led Zeppelin, Black Sabbath, Van Halen. In einem Sommercamp hörte er seine erste John Coltrane-Platte, eine musikalische Initiation. Er nahm Unterricht und begann die Klassiker des modernen Jazz zu transkribieren. Er machte erste, nicht sehr erfüllende sexuelle Erfahrungen mit anderen Jungs, freundete sich andererseits mit Musikern an, die ihn ermutigten. statt des Jazzrock der Zeit Bebop zu studieren. Einer seiner Lehrer missbrauchte ihn über Jahre – eine Erinnerung, die ihn über Jahre, wenn nicht sein Leben prägte.

Die Musik zog ihn nach New York, wo er sich auf der New School einschrieb, abends Pianistenkollegen im Bradley’s hörte oder Bands im Village Vanguard, Sweet Basil und den anderen Jazzclubs in Greenwich Village. Er traf auf gleichaltrige Kollegen, die die Fahne des Bebop hochhielten. Mehldau erzählt, wie er sich langsam an die Kunst der Begleitung, des Comping herantastete, und wie er und seine Freunde Musiker wie Barry Harris verehrten, die quasi die direkte Linie zu Charlie Parker darstellten. Er rauchte Marijuana, spielte im Village Gate oder im Augie’s nahe der Columbia University, verdiente wenig Geld – oft genug mussten die Musiker selbst mit dem Hut rumgehen. Irgendwann hatte er ein eigenes Trio, anfangs mit Ugonna Okegwo und Leon Parker, später mit Larry Grenadier und Jorge Rossy.

In seiner musikalischen Entwicklung habe es zwei Fragen gegeben, meint Mehldau. Die eine sei gewesen: Wie wird man Musiker, die zweite: warum? Fürs Wie brauchte es Lehrer, Praxis, viele, viele Gigs. Das Warum war weit schwerer zu beantworten. Mehldau sucht bei Autoren nach Antworten, Goethe, Thomas Mann, Theodor W. Adorno, James Joyce. Er findet sie aber auch in seiner Auseinandersetzung mit der populären Musik der Zeit, mit Hard Rock und HipHop.

1994 wurde Mehldau Mitglied des Quartetts des Saxophonisten Joshua Redman, der ihn aber bald wieder feuerte, weil der Pianist zu oft unter Drogen- oder Alkoholeinfluss stand. Und das ist dann das zweite große Thema seines Buchs: der Weg zu den Drogen. Was mit Alkohol und Joints begonnen hatte, wurde irgendwann zur Heroin-Abhängigkeit, einer Sucht, die – wie jede Sucht – nicht nur ihn betraf, sondern auch die Menschen um ihn herum. Mehldau berichtet schonungslos von den Auswirkungen. Wie er sich in Madrid mit einem etwa gleichaltrigen Typen anfreundete, der kokainsüchtig war und Mehldau mit zu einem Gitanos-Camp nahm, wo er beide mit Stoff versorgte. Wie ein anderer Typ in Hamburg ihm ebenfalls Stoff besorgte – für ihn und für sich – und zum Dank seinen Körper anbot. Wie er seine Freundin Sarah (Mehldau bezeichnet sich selbst als bisexuell) mit der „Pink Lady“ (so nannte er das Heroin) bekannt machte. Wie er bei einem Entzugsversuch in einer Spezialklinik von einem perversen Pfleger ausgiebig rektal untersucht wurde. Wie seine Freunde an Überdosen starben.

Brad Mehldaus Autobiographie ist kein Feel-Good-Buch. Er nimmt seine Leser:innen mit in die düstersten Tiefen seines bisherigen Lebens, erzählt von Selbstzweifeln und musikalischen Rettungsankern, davon, wie oft er sich selbst im Weg stand, weil er „aus den falschen Gründen“ loskommen wollte vom Stoff. Nebenbei erfahren wir eine Menge über die Lebens- und Arbeitsbedingungen seiner Generation. Er erzählt von den Lehrern an der New School, vom Freiraum, den Clubs wie das Village Gate, Augie’s oder Smalls ihm und seinen Freunden boten, von der Großzügigkeit, mit der ältere Musikerkollegen ihnen immer weiterhalfen. Sein Buch endet mit einem Ausblick auf den weiteren Karriereverlauf: Er machte irgendwann einen erfolgreichen Entzug, festigte sein Privatleben (Frau, drei Kinder) und konnte danach seine musikalische Karriere zielgerichteter verfolgen.

„Formation“ ist ein aufwühlendes Buch, das stellenweise mehr Fragen offenlässt als es Antworten gibt, aber: So ist das Leben. „Formation“ lese sich wie ein Bildungsroman, eine coming-of-age novel, heißt es ganz zu recht im Covertext, aber es sei eben kein Roman, sondern sehr ausgiebig gelebte persönliche Erfahrung.

Wolfram Knauer (September 2023)


Viersener Köpfe. Bekannte Bürger(innen) unserer Stadt und ihre Geschichte(n)
von Paul Eßer & Torsten Eßer
Viersen 2023 (Iris Kater Verlag)300 Seiten, 20 Euro
ISBN: 978-3-944514-21-5

Es gibt mittlerweile einige Lokalgeschichten des Jazz, Publikationen, die sich etwa den Aktivitäten eines Clubs oder einer lokalen bzw. regionalen Szene widmen. Für Viersen am Niederrhein haben jetzt Paul Eßer und Torsten Eßer ein Buch vorgelegt, das zwar nicht die Jazzgeschichte der Stadt beschreibt, aber Persönlichkeiten, die das gesellschaftliche und kulturelle Leben Viersens prägten. Als Jazzer und Nicht-Viersener fallen einem vielleicht vor allem zwei ein, die es natürlich auch ins Buch geschafft haben: der Bassist, Moderator und Konzertveranstalter Ali Haurand sowie der Trompeter Till Brönner. Zwei weitere, nämlich Thomas Kessler und Monika Linges, sorgen für einen dann doch ganz guten Jazzer-Schnitt bei insgesamt knapp über 40 Portrait-Kapiteln.

Till Brönner beschreibt Torsten Eßer, der für alle Jazzkapitel verantwortlich war, in der auch nach außen wahrnehmbaren Gespaltenheit eines Jazz-Nerds, der aber mit der Avantgarde dieser Musik eher fremdelt. Er durchläuft Brönners Karrierestationen als Musiker, Produzent, Fotograf und, irgendwie auch, als Kulturaktivist (Stichwort „House of Jazz Berlin“).

Ali Haurand ist der einzige der Musiker, der sein ganzes Leben lang mit seiner Heimatstadt verbunden blieb. Eßer zeichnet seinen Weg zum Kontrabass nach, erste Schritte mit eher traditionellen Bands, spätere Aktivitäten in modernen bis zeitgenössischen Stilistiken. Neben seiner musikalischen Karriere sticht Haurand als Moderator fürs WDR-Fernsehen heraus und vor allem als Gründer und Organisator des Viersener Jazzfestivals sowie zwölf Jahre lang als künstlerischer Leiter der Düsseldorfer Jazz-Rally“.

Thomas Kessler, erklärt Eßer, gewann Preise beim Wettbewerb Jugend jazzt, erhielt aber auch den Förderpreis der deutschen Zementindustrie. Der Pianist, Keyboarder und Architekt begann bei Ali Haurand Unterricht zu nehmen, gründete Mitte der 1980er Jahre seine eigene Band und spielte in den 1990ern mit den Dissidenten.

Auch Monika Linges verweist auf Ali Haurands Aktivitäten, die ihr den Zugang zum Jazz erleichtert hätten. Neben ihrem musikfernen Studium in Aachen ging sie auf Jam Sessions in der Umgebung, sang in der ersten Band Markus Stockhausens und nahm 1982 ihr Debutalbum auf. Sie unterrichtete am Jazzlabor der Universität Duisburg, zog sich aber vom Jazzerinnenleben Anfgang der 190er Jahre mehr und mehr zurück und unterrichtet bis heute „Stimmbildung unter Zuhilfenahme von Mantras“.

„Viersener Köpfe“ ist einerseits ein Buch vor allem für Viersener, enthält andererseits zahlreiche Kapitel über andere mit Viersen verbundenen Persönlichkeiten, die über die Stadt hinaus bekannt wurden.

Wolfram Knauer (September 2023)


Prehistory of Jazz
by Maximilian Hendler
Wien 2023 (Hollitzer: Studies in Jazz Research, vol. 16)
256 pages, 56 Euro
ISBN: 978-3-99012-980-7

This groundbreaking monograph analyses the prehistory of jazz, from Portuguese exploration of the New World in the 15th century to the 1920s. It’s one of the Studies in Jazz Research – most of them not translated into English – published since 1969 by the International Society for Jazz Research, based at the Institute for Jazz Research at Graz’s University of Music and Performing Arts. Maximilian Hendler, born 1939, is an expert in Byzantine and Slavic Studies, and Indo-European languages, and was a member of the Graz Institute until 2002. The development of jazz has become his primary area of research.

Hendler first focuses on the background of the slave trade, particularly in the Antilles, the music of European immigrant families, and the music of Spanish-controlled Mississippi. He analyses the musical relationships between Cuba and the USA, and the former’s crucial influence on American popular music around 1900. He discusses fashionable march music, ragtime and spirituals. After reading the Introduction and first chapter, the reader knows that some of the most entrenched views on the origins of jazz are going to be upset.

The book was based on listening to recordings made in the US between 1890 and 1930, that belong to European genres or American derivatives of them. Hendler comments:

While they had nothing to do with the development of jazz as such, their neglect by jazz scholars has led to serious misconceptions…[Jazz] was influenced by European art music and its derivatives from the very beginning, with the Tin Pan Alley songs around 1900 representing the „low“ end of this musical spectrum.

This leads us to the first of Hendler’s key claims: „The notion – proposed by American, and compliantly adopted by Europeans – that jazz is a continuation of African music must be continually questioned and revised on the basis of facts“ (p. 1). This, he says, is one of the aims of his book.

Enslaved Africans were increasingly Americanised, he argues: „[They] had no choice but to take the music…made available to them…It was likely that the music of the Irish and Scottish had the most appeal.“ This doesn’t mean that the „African American masses“ followed figures like Booker T. Washington in becoming „accommodationist followers of the dominant white culture“. They were „relatively free to devote themselves to the music they found most appealing“. I’m reminded here of Peter van der Merwe’s claim, in Origins of the Popular Style, that that style is an international phenomenon.

I directly quote a lot of what Hendler says – as translated for this edition – because the author himself is aware that it is not woke. He says that he will „disregard the demands of ‚political correctness'“ (p. 29), and indeed he does. The fact that I hesitate in adding „without a trace of racism“ indicates the difficulty of writing on these questions today – Hendler is a brave commentator who is direct and sometimes clumsy. I believe that „politically correct“, like „woke“, denotes an essentially salutary critique of racism. But I agree with African-American commentator John McWhorter, author of Woke Racism, that these terms are now unhelpful at best. McWhorter criticises what he calls „the woke Elect“ for their evangelism: people who „see themselves as having been chosen…as understanding something most do not.“ As Ian Buruma comments, proponents of woke may resemble pre-modern Christians in punishing those who have not seen the light. So although „woke“ denotes an essentially salutary critique of racism, if taken to an evangelical extreme it is itself a threat to liberal values; perhaps one could distinguish liberal and illiberal woke attitudes. Thus on my view, Hendler’s work should be debated, despite its problematic nature.

In his first chapter, Hendler discusses the slave trade. „The institution of slavery is age-old“, he insists (p. 8): „For anyone approaching the history of American slavery without a guilt complex, there is no reason to exculpate the Africans from their own share [„responsibility“, he means] in this history“ (p. 11). However, he stresses the unique features of the transatlantic slave trade that began soon after the discovery – or rather, he should have said, „discovery“ – of America. It reached a scale that not even the Roman Empire could compete with. Hendler’s position is nuanced. He mentions more than once the irony of a nation that kept slaves and propagated freedom: „It is downright mockery that [as] Enlightenment was spreading in 17th- and 18th century Europe…philosopher John Locke was among the stockholders of the ‚Company of Royal Adventurers trading into Africa,‘ which was deeply involved in [slavery]“ (p. 17):

While Europeans did not invent slavery, it reached nightmarish proportions in their hands…an average of 15% of the slaves – and their crews – died on board between 1630 and 1803…the ship was so crowded that each had scarcely room to turn himself (p. 16).

At the end of the 17th century, England became the world’s biggest slave trader.

Concerning the attitude of the slave states of the US, Hendler is rightly incredulous. He comments that as English – he means British – abolitionism was gaining force, and sugarcane production began to flourish, „landowners in the…’northern Southern states‘ had the inhuman idea not only to import slaves, but to breed them themselves“ (p. 21). For Hendler, the „irrational intensity“ of the South’s defence of slavery comes from the latter’s nature as a system of sexual privilege or „forced concubinage“. He adds that „It is understandable that the United States has a hard time coming to terms with its past, given that it likes to act as world police on behalf of democracy and the freedom of the individual“ (p. 22). I would respond that it does indeed act in this way – in post-war Germany and Japan very successfully – but that the Southern states seem unable to come to terms with their past as Germany has. The legacy of slavery in the US thus remains poisonous.

We now come to the book’s central thesis, outlined in Ch. II, Prehistory of Jazz – by far the largest chapter, which occupies pp. 29-161 of the 192-page text. The white population of the US increasingly saw African-American culture as African, „[a] misconception [that] applies to all areas of traditional African American culture“ (p. 25). The book’s central concern is to criticise what Hendler calls the out of Africa thesis. It informs his musical discussion, for instance the claim that „For the slaves, music had become what it was in Europe and in the white American colonies – entertainment“ (p. 27). Hendler means that music is no longer integral to the community’s cultural life, but is becoming professionalised – that is, I would argue, it is part of the modern system of art and entertainment. He stresses that „If there is anything ‚African‘ at all in African American music, it’s in the blues – despite its English name“ (p. 30).

Hendler refers to America’s „troubled relationship with the minstrel tradition“, any investigation of which rapidly leads to „political incorrectness“. Indeed it takes courage for a white writer to tackle it, not least because it is so painful even to describe. But it is necessary. For instance, Hendler argues that the black version of minstrelsy developed towards jazz:

Jazz may have been „invented“ in New Orleans. But the readiness with which it was welcomed elsewhere after New Orleans musicians left their hometown, and the changes it was already subject to in the 1920s, point back to earlier tendencies, which originated in minstrelsy (p. 33)

He argues that no trace of Africa is found in the „coon songs“, a label that is now hard even to mention. Any influence imputed is due solely to the assumption that it must be there, he adds: „those who advocate an ‚out of Africa‘ hypothesis probably simply disregard the history of slavery, instead assuming that people have music ‚in their blood'“ (p.  45).

Hendler argues that the label jazz applies to music sometime before 1917 and the ODJB (Original Dixieland Jazz Band). It applies, for instance, to Sophie Tucker’s 1911 recording of „Some Of These Days“, a song later made famous by Louis Armstrong: „It is largely the fault of small-minded jazz critics and fans that Sophie Tucker is not considered a jazz singer“ (p. 49). He compares the Jewish-American singer with Eubie Blake; both were in touch with jazz musicians, but largely stayed within the world of vaudeville and revues.

In a subtle treatment, Hendler discusses the contrast between spirituals and gospel. He considers whether spirituals might be distinguished from gospel because they were arranged and performed with a view to white audiences – but eventually decides that we should speak simply of „spirituals and gospel“: „Nothing in the melodic material of these slave songs points to any elements coming from Africa“, he insists (p. 54). Recordings of spirituals and gospel in the 1920s still fall into the „accommodationist category of singing“ – one that aims to appeal to white audiences – but they were beginning not to, because whites were not their target audience (p. 62). Hendler interestingly discusses Eubie Blake’s piano roll of spirituals from 1921, which suggests „a musical horizon much wider than one would expect from a ragtime pianist“ (p. 64). This discussion leads on to the issue of race records – in the mid-20s, managers of big labels realised that there was a market among urban blacks in big cities and small towns.

There is a long and rich discussion of the roots of ragtime, and a detailed year-by-year discussion of 1900-1917. A „digression“ on „Tiger Rag“ is followed by a similarly detailed discussion up to 1930, after which ragtime became revivalist. Hence arises what Hendler calls „the central mystery of so-called African American music“:

That the enslaved African accustomed themselves to the European major/minor system over the course of the generations is an understandable result of the pressure from the master society. But what led them to relinquish their tendency for polyrhythms, which permeate sub-Saharan music? (p.  135).

His answer is that unlike the Portuguese and Spanish in Latin America, who had contact with Africans since antiquity, emigrants to the US from England the UK and Northern Europe „had no experience with black Africans“. (This is an exaggeration, I think.) Also, slaves in the (later) US „were scattered more among whites than in many parts of Latin America, which led to stricter control by white customs and prejudices“ (p. 137). Thus „memories [of Africa] were exorcized as a result of the cultural and religious disposition of the slaveholder society“ (p. 138).

The few pages on the blues at the end of Ch. II form the most profound discussion I’ve encountered. Hendler opens it by commenting that

we arrive at the form that represents the epitome of the African heritage in the New World – at least according to scholars of jazz and African American studies. The seemingly irrefutable rationale for this are the so-called blue notes used by blues singers…lowered thirds and sevenths that are not so much minor…but rather neutral (p. 141).

He argues that poetic forms of the blues are common throughout Europe, yet had no influence on African Americans. His conclusion is that „the 1920s were decisive in giving the so-called ‚blues feeling‘ a significance in jazz. This lasted until the 1960s, when everything hitherto considered ‚jazz‘ was questioned and dismantled“. By abandoning the blues, Hendler argues, „jazz lost much of its genre-specific singularity“ (p. 149). Again, the author’s remarks invite the examination question „Discuss“.

The final chapter, „Heading Towards Jazz“, is short and dense. Hendler asks why over its hundred years of history, jazz hasn’t succeeded in building a steady audience like classical music. He responds that „The jazz world never quite succeeded in convincing the accommodationist institutions that jazz was a ‚great‘ music worthy of being passed on“ (p. 181). In developing this analysis, Hendler discusses how „a certain type of person [became] a mass phenomenon, a type…previously only encountered in relatively narrow professional circles…the accommodationist disciple„. Since this review is already several times over its limit, I leave it to the reader to explore this fascinating concept (pp. 181-88). They will learn more in those few pages than in most academic histories of jazz.

The book has a weighty scholarly apparatus, but the reader can skim over it and focus on its challenging statements on the received musical history of African-American music in the 19th and 20th centuries. I have some mostly minor criticisms. As we’ve seen, Hendler several times says „English“ when he means „British“ – he seems not to know of the Act of Union of 1707. He comments that Robert Burns‘ contemporaries „testified that he had no connection whatsoever to art music“ (p. 55) – but the art v. popular contrast was not articulated till later in the 19th century. Less minor is the lack of any reference to the work of Peter van der Merwe, who anticipates Hendler on the British origins of the blues – which, it occurs to me, adds a nuance to the British invasion of the US in 60s rock. Hendler is anticipated by van der Merwe in his discussion of the Scottish origins of the pentatonic structures used in the US. Older pentatonic forms are still found in the Hebrides, and its singing forms are totally different from the rest of Western Europe, as Hendler argues.

Finally, I wonder if the author’s target, the „out of Africa“ thesis, is really the received view.  Authorities such as Gerhard Kubik and Alfons Dauer seem to be strong proponents of it. But does that thesis say that jazz is derived directly from African music, without significant contribution from European sources? As Paul Bream points out to me, this is not a widely held claim among serious students of jazz – and indeed, I’ve always thought of jazz as an amalgam of African and European. So – against Hendler – it is understood that enslaved Africans and their immediate descendants had little if any direct access to the music of Africa:

Despite these criticisms, this is a brave book. In our current intellectual and cultural climate, opinion is increasingly and shockingly polarised. Anyone, from any background or heritage, who writes honestly on the questions that Hendler addresses, is taking risks, and this should be recognised in criticising them. Hendler’s voice is both honest and nuanced, and is urgently needed.

(Andy Hamilton, August 2023)


Jazzklubs und Jazzmusiker in Thüringen 1959-1989. Eigensinn, Aneignung und die Praktiken sozialistischer Kulturpolitik
von Martin Breternitz
Berlin 2023 (Peter Lang)
587 Seiten, 94,95 Euro
ISBN: 978-3-631-89093-6

„Die DDR war sozusagen ein Jazzklubland“, beginnt Martin Breternitz sein aus einer Dissertation an der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar entstandenes Buch. Etwa 60 solcher Clubs gab es in den 1980er Jahren, erklärt er, sie alle drückten letzten Endes ein Bedürfnis danach aus, „(…) sich mit Jazzkultur individuell und zeitgleich in selbstgewählter Gemeinschaft in bezug zu eigenen Lebensvorstellungen in der DDR zu beschäftigen“. Klingt kompliziert? Der Fokus auf die Region erleichtert das Verständnis ganz enorm.

Breternitz stellt für seine Studie vor allem die acht aktiven Clubs im Thüringer Raum in den Fokus: Eisenach (seit 1959), Ilmemau (1964), Weimar (1976), Sonneberg (1978), Altenburg (1980), Jena (1980), Erfurt (1982) und Nordhausen (1983). Es waren junge Menschen, die sich in diesen Clubs zusammenfanden, schreibt er, „meist Anfang bis Ende 20“, Fans, die sich selbst schon mal als „Sammelbecken ‚freier‘ Geister und kreativer Köpfe“ bezeichneten, „abseits von […] erwarteten bzw. vorgegebenen Denk- und Lebensstrukturen“. Er beschreibt die Haltung der Clubmitglieder als individualistisch und die Beurteilung durch den Staat als „subversiv“ bis „negativ-dekadent“.

Und da sind wir dann schon mittendrin: Jazz konnte in der DDR (und anderen Staaten des damaligen Ostblocks) durchaus als politisches, gesellschaftliches Statement wahrgenommen werden, von beiden Seiten, jener der Jazzszene genauso wie jener staatlicher Aufsichtsbehörden. Breternitz will in seiner Arbeit, wie er schreibt, „Alltagserfahrungen, Spektren von eigensinnigem Handeln und individuelle Aneignungsformen von Jazzfans und Jazzmusikern im DDR-Staatssozialismus greifbar“ machen „und ihre sozialen, musikalischen und kulturellen Praktiken exemplartisch am Kulturraum Thüringen dicht“ beschreiben. Dafür hat er sich mit 21 Zeitzeugen getroffen und biografieorientierte Interviews mit ihnen geführt. „‚Wie es sich wirklich ereignet hat in der DDR mit dem Jazz‘, kann diese Forschungsarbeit dabei nicht abschließend und umfassend beantworten“, räumt Breternitz ein, verweist aber darauf, wie ergiebig gerade auch in sozialhistorischen Themen die Lupe sein kann, die individuelle Entscheidungen, Gruppenprozesse und den jeweiligen Umgang mit staatlichen Strukturen näher beleuchtet.

Also beschreibt er: das Zustandekommen der Clubs, ihr Selbstverständnis, ihre Funktion als „Nische“, die historisch tradierten Konfliktlinien zwischen Jazzclubs und SED, sozialistische Diskurse, die den Jazz als Musik der „unterdrückten afroamerikanischen Arbeiterklasse“ definierten, die Auswirkungen der US-amerikanishen Jazz-Diplomatie (Tourneen und Sendungen auf der Voice of America). Er diskutiert die Auseinandersetzung mit dem Jazz in der DDR der 1950er Jahre und die Veränderungen im Jazzverständnis der Kulturbehörden in den 1960er Jahren. Er zeichnet die Gründung von Jazzclubs als eine „selbstorganisierte Kulturform“ nach und geht dann die acht bereits genannten Thüringer Jazzclubs einen nach dem anderen durch.

Breternitz fragt, wie Jazzfans überhaupt zu ihrem Wissen über Jazz kamen, nennt den Rundfunk (insbesondere West-Sender), Schallplatten, Tonbänder, sowie vermehrt Liveerlebnisse. Konzerte, Festivals sowie Vorträge über wichtige Aufnahmen der Jazzgeschichte waren die, wie Breternitz sie nennt, „kulturellen Praktiken und Veranstaltungsformate“ der Jazzclubs; hier zitiert der Autor nicht nur aus Vorankündigungen, sondern zitiert auch aus seinen Gesprächen mit Teilnehmern der Vorträge. Er erklärt, wie die Veranstaltungspraxis in den 1970er und 1980er Jahren aussah, erklärt die „Honorarordnung Interpreten Musik und Theater von 1971“. Er weiß um das „Erlaubniswesen“, also die Notwendigkeit, dass Vereine wie selbstorganisierte Jazzclubs eine Genehmigung durch die örtlichen Kulturbehörden erhalten mussten, und er erklärt die Aufgaben beispielsweise der Konzert- und Gastspieldirektion des Bezirkes Erfurt.

Das klingt höchst bürokratisch, und so war es auch, und denn Bürokratie diente letzten Endes einer weitgehenden Kontrolle durch die Behörden. Viel war möglich, auch im zwischenmenschlichen Kontakt, aber es konnte eben auch vorkommen, dass Konzerte unter fadenscheinigen Gründen abgesagt wurden, dafür tatsächlich aber politische Gründe die maßgebliche Rolle spielten (z.B. Absage eines Uschi Brüning-Konzerts 1976, weil „die Gruppe im Zusammenhang mit der Unterschriftensammlung für [Wolf] Biermann stehe“.

Im Kapitel „FDJ-Kampfprogramm, Finanzen und sprachlicher Eigensinn“ verweist Breternitz auf die Einbindung der Jazzclubs in Massenorganisationen wie FDJ und Kulturbund, auf tiefere Bedeutungsebenen, die sich aus der Selbstbezeichnung einzelner Clubs ablesen lassen (arbeitsgemeinschaft jazz halle, alles in Kleinschreibung), und auf die Finanzpläne einzelner Clubs. Er entlarvt die Phrasen, derer sich Jazzclubakteure bedienten, um ihre Musik zu legitimieren. Und er bringt konkrete Fallbeispiele, etwa über „FDJ und Free Jazz“ in Ilmenau oder die „Jazztage der DDR 1985 in Weimar“.

Ein eigenes Kapitel widmet Breternitz der Staatssicherheit und ihrem Versuch der Unterwanderung der DDR-Jazzszene durch Schlüsselfiguren. Er beschreibt die Bedingungen für den Status als „Reisekader“, als Künstler oder Künstlerin, die im Westen auftreten durften. Er erörtert, wie Jazzclubs mehr und mehr ins Visier der Stasi gerieten, wobei nicht ganz klar war, was eigentlich wirklich das Feindbild war: der Jazz als Musik oder die Tatsache, dass die Mitglieder dieser Szene herzlich unangepasst waren. Über die Ausmaße der Unterwanderung der Szene durch die Stasi berichtet er am Beispiel des Jazzclubs in Karl-Marx-Stadt (Chemnitz), zitiert hierfür ausführlich aus Stasi-Berichten, in denen sich zuallererst ein generelles Unverständnis gegenüber dem Jazz zeigt, mehr aber noch gegenüber den Menschen, die er anzog, und schließlich ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber einer Musik, die sich zunehmend freier Improvisation öffnete. Am Beispiel der „Operative Vorgang ‚Blues‘ gegen den Jazzklub Eisenach“ zeichnet Breternitz konkret nach, wie die Jazzbegeisterung Manfred Blumes, des Mitbegründers der AG Jazz Eisenach, zu einer langjährigen Stasiüberwachung führte, die nicht nur Blume selbst betraf, sondern auch seine beiden Söhne. Eine der für diesen Leser schönsten / erschreckendsten Stilblüten findet sich in einem Ermittlungsbericht über die Befragung Stanley Blumes Nachbarn. Darin hieß es in schönstem Beamtendeutsch: „Der B. ist freischaffender Berufsmusiker. Die Mieter vermuten bei ihm diese Berufstätigkeit, da er mit Regelmäßigkeit im häuslichen Bereich Instrumentalübungen mit einem Blasinstrument durchführt. Darüber hinaus hört er gern und ausdauernd Musik über eine heimelektronische Anlage.“

Breternitzs letztes Kapitel wechselt nach der Sicht von Jazzklubs sowie Institutionen der SED-Kulturpolitik noch einmal die Perspektive und zeichnet „biografisch Aneignungsprozesse und Alltagserfahrungen von jazzmusikern des Thüringer Raums der DDR-Zeit“ nach. Dazu befragt er eher weniger bekannte Musiker (tatsächlich nur Männer), nämlich: drei Mitglieder der Band Arnstädter Teddys, den Schlagzeuger Peter Wicklein der Sonneberger Jazz Optimisten, den Trompeter und Bandleader Lothar Stuckart (Erfurt), den Pianisten Udo Decker (Zeulenroda), den Saxophonisten Stanley Blume (Eisenach), den Pianisten Matthias Bätzel (Weimar), den Organisten Andi Geyer (Ilmenau) sowie den Bassisten Uwe Leßmann (Erfurt). Sie sprechen über ihre individuellen Lebenswege, über ihren Weg zum Jazz, über ihre persönliche Hörbiographie sowie über der Lebensrealität als Musiker in der DDR.

„Jazzklubs und Jazzmusiker in Thüringen 1959-1989“ ist zuerst einmal eine wissenschaftliche Arbeit, akribisch recherchiert und mit 1732 Fußnoten versehen. Das Buch ist mittlerweile der neunte Band der von Gertrud Pickhan und Rüdiger Ritter herausgegebenen Reihe „Jazz under State Socialism“, in der Forscherinnen und Forscher die Rolle, Funktion und Realität des Jazz hinter dem eisernen Vorhang analysieren. Der wissenschaftlichen Akribie gemäß verliert das Buch insbesondere dort an Lesefluss, wo Breternitz sämtliche Quellen zum jeweiligen Thema einzubinden versucht. Andererseits macht der von ihm gewählte Fokus aufs Lokale genauso wie aufs Persönliche dieses Buch dann doch wieder zu einer spannenden Lektüre, führt er doch die subjektive Lebenswirklichkeit Beteiligter vor Augen.

Im Schlusswort verweist Breternitz darauf, dass er ursprünglich angedacht hatte, seine Interviewpartner auch nach den Entwicklungen der Wendezeit und den damit verbundenen Strukturveränderungen in der Jazzszene zu befragen. Er formuliert damit auf den letzten Seiten seines Buchs eine spannende Aufgabe für weitere Forschung, für die jetzt, 24 Jahre nach der Wende, genau der richtige Abstand zu sein scheint, Zeitzeugengespräche zu führen. Auch einen zweiten Themenblock reißt er an, der intensivere Recherchen lohnen würde: die „akademische Institutionalisierung von Jazz“ nämlich, also die Hochschulausbildung – und da, schließe ich mal an, könnte man gleich gut die Entwicklungen in Ost- und Westdeutschland, ihre Inhalte und ihre Auswirkungen auf das Selbstverständnis der Musiker:innen zusammen untersuchen.

Breternitzs Buch erklärt die verschiedenen Strukturen, in die das Jazzleben in der DDR eingebettet war: die privaten, die lokalen und regionalen, die politischen, die behördlichen, die globalen. Er bietet seinen Leser:innen dafür gut herausgearbeitete Beispiele und konkrete Belege. Wenn es etwas zu bemängeln gibt, so ist es der fehlende Namens- und Sachindex, der gerade bei einem so grundlegenden Werk eigentlich obligatorisch wäre. Ansonsten aber: Chapeau; uns allen, die wir uns mit der Jazzgeschichte Deutschlands befassen, erlaubt Breternitz mit seiner klaren Aufdröselung von Strukturen und persönlichen Betroffenheiten ein besseres Verständnis des Beziehungsgeflechts, in dem sich der Jazz in der DDR entwickelte.

Wolfram Knauer (August 2023)


Tokyo Jazz Joints
Von Philip Arneill (with James Catchpole)
Heidelberg 2023 (Kehrer Verlag)
168 Seiten, 45 Euro
ISBN: 978-3-96900-120-2

John Coltrane spielt an jedem 17. des Monats von 18 bis 21 Uhr!

Natürlich spielt Coltrane nicht an jedem 17. des Monats, aber im Down Beat, einem Jazzcafé im japanischen Yokohama ist an diesem Tag jedes Monats ein ausgesuchtes Programm mit der Musik Coltranes zu hören. Von Schallplatte. Vinyl.

Philip Arneill ist ein irischer Fotograf, der 1997 für 20 Jahre nach Japan ging und dort unter anderem die Kultur der „Jazz kissa“ kennenlernte, der Jazz-Cafés, die es schon vor dem Krieg gegeben hatte, die aber insbesondere in den 1960er und 1970er Jahren populär waren. Jazz kissa sind Cafés oder Bars, geöffnet zwischen Mittag und spätem Abend, ruhige Orte wie ein öffentliches Wohnzimmer neben den kleinen Wohnungen des Landes, in denen man Kaffee oder alkoholische Getränke zu sich nimmt und dabei einem Programm ausgesuchter Platten aus der riesigen Vinylsammlung des „Meisters“ lauscht, wie man die Betreiber dieser Etablissements ehrfurchtsvoll nennt, abgespielt auf High-End-Audiogeräten. Keine Livemusik, dafür Regale voller LPs, eine kaschemmenartige Atmosphäre.

Philipp Arneill und der amerikanische Radiomacher James Catchpole haben sich für ihre Dokumentation der jazz kissa also auf die Suche gemacht. Catchpole meint, er er mag wohl 272 von ihnen besucht haben, sicher 150 würden ihm noch fehlen. In Arneills Fotos meint man den Geruch der Getränke genauso wahrnehmen zu können wie die Musik, die gerade auf dem Plattenteller liegt. Es ist ein schummriger Gelbstich, der zumindest die Innenaufnahmen der Cafés beherrscht. Sorgsam in Regalen ruhende LPs. Man sieht die Albumrücken; Impulse-Platten lassen sich anhand ihres rot-schwarzen Rückens besonders leicht erkennen.

Eine schmale Bar mit langer Theke und großem Getränkeangebot (Jazz Pepe, Shinjuku-ku, Tokyo), eine Baristaküche mit Platten von Armstrong, Coltrane und Basie über dem Tresen (Bunka, Shiki), eine etwas ranzig wirkende Treppe mit Jazzmusiker-Zeichnungen an den Wänden (Rundo, Honjo), ein Toilettenraum, dessen Wände nicht etwa mit sexuellen Zoten, sondern mit Jazzverweisen bemalt sind (Meg, Musahino, Tokyo), Coltrane als Werbeschild (Naima, Oita), als Werbeposter (Kabo, Sendai) oder gleich als Name des Cafés (Coltrane Coltrane, Tosu), oder aber in einer Kladde als Playlist für den Abend (Pithecanthropus Erectus, Ota-ku, Tokyo).

Menschen kommen auch vor auf den Fotos, aber sie spielen nicht die Haupt-, vor allem spielen sie kaum eine aktive Rolle. Sie sind Besucher, sind Hörende, meistens wohl die hinter dem Tresen sitzenden Wirte (Jericho, Sapporo). Eine tiefe Liebe zum Jazz erkennt man in jedem der Bilder. Live-Musik ist höchstens im Umi (Asaka) ab und an zu hören, meistens aber LPs, ab und an CDs (Yushima, Atami) oder sogar Kassetten (Full House, Edogawa-ku, Tokyo).

Aus Interviews mit vielen Musikern weiß man, wie sehr japanische Fans Jazzkünstler verehren. Philipp Arneills Fotos lassen diesen Fanatismus selbst für Betrachter verständlich werden, die noch nie in Japan waren. „Tokyo Jazz Joints“ dokumentiert dabei eine verschwindende Welt, wie es im Pressetext zum Buch heißt, bedingt durch neue Trends, Gentrifizierung und das Alter der Kunden. Die jazz kissa, heißt es weiter, seien eine Art „lebendiger Museen“ – und irgendwie macht das Betrachten der auf gutem Papier sorgfältig gedruckten Bilder Lust darauf, bald mal Freunde, jazzbegeistert wie man selbst, zu einem Abend vor dem eigenen Plattenspieler einzuladen. Obwohl: Eigentlich würde man dafür doch viel lieber in das Jazz Café um die Ecke gehen, um die Musik mit Freunden und Fremden zu genießen.

Wolfram Knauer (Juli 2023)


Easily Slip Into Another World. a Life in Music
von Henry Threadgill (mit Brent Hayes Edwards)
New York 2023 (Alfred A. Knopf)
406 Seiten, 32,50 US-Dollar
ISBN: 978-1-5247-4907-1

„Easily Slip Into Another World“ war der Titel eines Albums, das Saxophonist Henry Threadgill mit seinem Sextett 1986 einspielte. Es zeigt einen Musiker, dessen Arbeit von improvisatorischer Risikobereitschaft genauso geprägt ist wie von einer klaren kompositorischen Vorstellung. Threadgill ist nicht unbedingt ein Household-Name des Jazz, obwohl er jede Menge bedeutender Preise erhalten hat, darunter den Jazz Master des National Endowment for the Arts und den Pulitzer Preis für Musik. Musiker:innen bewundern ihn unter anderem als ideenreichen Komponisten und klaren Konzeptionalisten. Nun also hat Threadgill seine Autobiographie vorgelegt, und diese ist weit mehr als ein Buch über Musik.

In Chicago geboren wächst Threadgill mit der Popkultur der Zeit auf, einem Sammelsurium an Radioklängen und frühen Fernsehshows. Die Boogie-Woogie-Pianisten der 1940er Jahre faszinieren ihn; in den Kirchen seiner Großelten lernt er so etwas wie die Community-Funktion von Musik. Seine Mutter nimmt ihn mit in Konzerte, zuhause lauscht er den Platten der Eltern, Jazz at the Philharmonic oder Nat King Cole, in der Schule wird er außerdem mit klassischer Musik vertraut gemacht. Und dann, mit 14 oder 15, hört er zum ersten Mal eine Platte Charlie Parkers. „That’s it!“, sagt er sich, das ist die Tür, die ihm die Welt eines für ihn neuen Sounds eröffnet.

Klavierstunden hatte er bereits als Kind erhalten, mit 15 kauft ihm seine Großmutter ein Saxophon. Er spielt in der Schulkapelle und entscheidet mehr und mehr, dass die Musik seine Zukunft sein soll. Er lebt ja in Chicago, und die Stadt ist reich an bedeutenden Musikern. Er spielt in Tanzkapellen und beginnt ernsthaft zu komponieren – weder Jazz noch europäische klassische Musik, wie er erklärt, sondern einfach Klänge, die er in sich hört. Er beschreibt, wie er sich ab 1962 im College mit Musik unterschiedlichster Genese befasst: Varèse, Ellington, Bud Powell, Maria Callas, Beethoven, Liszt, Ali Akbar Khan. Etwa zu der Zeit wird auch seine eigene Musik erstmals aufgeführt, von seiner Schulkapelle. Nach zwei Jahren auf dem College wechselt Threadgill auf das American Conservatory in Chicago. Nebenbei engagiert er sich mehr und mehr in der Kirchengemeinde einer Freundin und beginnt mit einem reisenden Prediger zu touren, eine weitere emotionale, musikalische wie geschäftliche Erfahrung für seinen Lebensweg.

Gene Ammons, eine Begegnung mit John Coltrane, die frühe AACM — es gibt viele musikalische Asides, an die sich Threadgill erinnert. Er spricht von Rassismuserfahrungen und jugendlichen Gangs, in denen er mitmischte, vom politischen Klima der Mitt-1960er-Jahre, von der Ermordung Malcolm Xs, den er bewundert habe. Dann, im August 1966, verpflichtet er sich freiwillig zum Dienst in der US Army, spielt erst Klarinette und Saxophon in der Armeekapelle, bevor er zum Arrangeur der Band avanciert. Eines seines ersten Arrangements im Sommer 1967 über ein Medley patriotischer Songs kommt zwar bei den Musikern gut an (really sophisticated stuff), bei der Feier allerdings, für die es geschrieben war, fällt es vor den Generälen, dem Gouverneur, vor hohen Kirchenvertretern, einfach nur durch. Zurück ins Glied: Threadgill wird vom Arrangeur wieder zum einfachen Ensemblemusiker degradiert und kurz darauf – er empfindet es als Strafe – nach Vietnam versetzt.

Auch hier ist Threadgill als Klarinettist und Altsaxophonist in der Infanteriekapelle tätig, aber natürlich ist niemand „nur“ Musiker in diesem Krieg, wie seine Erinnerungen an den Armeealltag anschaulich zeigen. Einmal hätten sie ein Platzkonzert gespielt, bei dem den Musikern vom Aushilfs-Dirigenten untersagt wurde, ihre Waffen mit auf die Bühne zu nehmen. Die Hälfte der Band ignorierte den Befehl — glücklicherweise, denn das Konzert wurde nach nur vier Takten durch einen Überraschungsangriff der Vietcong unterbrochen. In diesen Kapiteln handelt Threadgills Autobiographie weniger von Musik, mehr vom Überleben in der feindlichen Wirklichkeit des Kriegs, von die Notwendigkeit von Freundschaften, Vertrauen, vom Umgehen mit der Angst. Im Krieg, erzählt Threagill, zählt die Hautfarbe nichts, andererseits habe gerade der Krieg viele der schwarzen Soldaten politisiert.

1968 kehrt der Saxophonist zurück, anfangs noch abhängig von den Schmerzmitteln, die in Vietnam freizügig unter den Soldaten verteilt wurden. Er findet eine Szene vor, die sich zunehmend selbst organisiert. Er spielt mit den Musikern der Black Artists Group in St. Louis und engagiert sich in der Chicagoer Initiative AACM, spielt auf Alben von Kollegen wie Muhal Richard Abrams, mischt aber auch auf Rhythm ’n‘ Blues-Sessions mit und unterrichtet am Columbia College. Auf einem Schrottmarkt findet er Radkappen, die ihn an asiatische Gogs erinnern, für sie bastelt er eigens ein Gestell und nimmt das von ihm so genannte Hupkaphone mit in sein Konzertprogramm auf.

Viele der AACM-Musiker hatte es in diesen Jahren nach Paris gezogen; zusammen mit Wadada Leo Smith geht Threadgill stattdessen Ende 1970 erst nach London, dann nach Amsterdam. Als seine Frau ein Kind bekommt, kehrt er nach Chicago zurück und setzt sein Studium fort, jetzt bei der Komponistin Stella Roberts. Er trifft auf den Bassisten Fred Hopkins und den Schlagzeuger Steve McCall, gründet mit ihnen ein Trio, das erst Reflections, dann Air heißt. Ihre Musik wird oft als Free Jazz wahrgenommen, obwohl sie, wie Threadgill betont, doch großteils komponiert ist. 1975 ziehen alle drei Musiker nach New York, werden Teil der sogenannten Loft Scene, spielen im Tin Palace oder in den Lageretagen von Musikerkollegen und Künstlern in SoHo. Der Geiger Leroy Jenkins ermutigt ihn in größeren Formen und Besetzungen zu denken und sich um Förderung und Kompositionsaufträge zu bewerben.

Threadgill gründet sein Sextett in ungewöhnlicher Besetzung (Saxophon, Trompete, Posaune, Cello, Bass, zwei Schlagzeuger – also sieben Instrumente, aber die Musik sei in sechs Stimmen gedacht, erklärt er) und mit einem klaren Sound im Hinterkopf. Nebenbei spielt er Sidemen-Gigs, etwa mit Pat Patrick, mit Mario Bauzá oder Howard McGhee, von denen er sich Leadership-Skills abschaut. Er arbeitet kurz mit Cecil Taylor, und erklärt, wie dessen Konzept, insbesondere seine Bereitschaft, sich immer auch auf Unvorhersehbares einzulassen, ihn beeinflusste. Er trifft seine zweite Frau, eine Inderin, lebt mit ihr teils in Goa, teils in New York. Er beschäftigt sich mit den Grenzen diatonischer Harmonik, studiert intensiv die Musik Edgar Varèses und lässt all das in seine aktuelle Musik einfließen, zuletzt mit der Band Zooid.

Insbesondere in den ersten drei Vierteln liest sich Threadgills Buch spannend wie ein Roman, eine Mischung bescheidener Selbstreflexion und kluger Einsichten. Dem erfahrenen Literaturwissenschaftler und Jazzkenner Brent Hayes Edwards gelingt es bestens Threadgills Erinnerungen in Form zu bringen, thematische Blöcke zu formen und doch das Narrativ zu erhalten. Man erhält Einblick in Threadgills Persönlichkeit genauso wie in die Musikszene der 1950er bis 1990er Jahre, und zwischendurch jede Menge gesellschaftliche Kommentaren zu aktuellen Themen der jeweiligen Zeit – Bürgerrechtsbewegung, Black Arts Movement, Vietnam Krieg, Loft Scene usw.

Immer wieder fühlte ich mich bei der Lektüre ermutigt Notizen zu machen, wenn Threadgill besonders anschaulich und aus erster Hand Besonderheiten in den musikalischen Konzepten von Kollegen verdeutlicht. Da spricht er etwa über die Kunst in Bluesbands zu spielen, bei denen es vor allem darauf ankommt, die volle Aufmerksamkeit auf die Richtung der musikalischen Energie zu lenken (163). An anderer Stelle erinnert er sich an eine Begegnung mit Duke Ellington im Jahr 1971, bei der der Duke ihn auf seine Kompositionstätigkeit ansprach, Threadgill sich aber nicht traute ihm etwas vorzuspielen (201-204). Oder er erklärt, wie er einmal im selben Programm wie Dizzy Gillespie aufgetreten sei und dieser allein durch seine Bühnenpräsenz einen solchen Fokus im Publikum herstellen konnte, dass er alles andere an dem Abend in den Schatten stellte (225).

Threadgills Buch ist die Autobiographie eines Jazzmusikers. Aber es ist eben auch das Buch eines Vietnamkriegsveteranen, ein Buch. das aus der Sicht des Protagonisten, der eher zufällig Musiker ist, ein Schlaglicht auf die USA der zweiten Hälfte des 20sten Jahrhunderts wirft. „Easily Slip Into Another World“ gehört schon jetzt zu den wichtigen Autobiographien dieser Musik – absolut lesenswert und wärmstens empfohlen!

Wolfram Knauer (Juli 2023)


Serendipity. Jürgen Wuchners Kompositionen
herausgegeben von Monika Schießer-Wuchner
Hofheim 2023 (Wolke)
176 Seiten, 36 Euro
ISBN: 978-3-95593-144-5

Im Wolke Verlag ist soeben „Serendipity. Jürgen Wuchners Kompositionen“ erschienen, ein großformatiges Buch, das die Kompositionen des im Mai 2000 verstorbenen Darmstädter Bassisten und Komponisten Jürgen Wuchner würdigt. Wuchners Witwe Monika Schießer-Wuchner hat den Band herausgegeben, dessen erste Hälfte Erinnerungen von Musikerkollegen wie Rudi Mahall, Uli Partheil, Ole Heiland, Valentin Garvie, Christopher Dell, Bob Degen, Karl Berger, Wollie Kaiser, Thomas Cremer, Wolfgang Puschnig, Bülent Ates, Jörg Fischer und Christof Thewes enthält.

Die zweite Hälfte des Buchs besteht aus Wuchners Kompositionen, Lead Sheets einiger seiner „Hits“ und weniger bekannter Stücke, chronologisch geordnet von 1976 bis 2019. Wer schon einmal eines von Jürgens Stücken gehört hat, weiß um deren Eingängigkeit, die er erreicht, egal wie komplex die Musik ist. Uli Partheil, der die Musik für die Veröffentlichung eingerichtet hat, erklärt, dass alle der Stücke sehr unterschiedlich sind und jeweils einen anderen Grad an Freiheit beinhalten. Manche scheinen einfach zu sein, schreibt er, dennoch muss man zu jedem seinen eigenen Zugang zur Musik finden. Partheil erzählt aus eigenem Erleben, wie oft Jürgens Stücke verändert wurden, verändert werden sollten, damit sie sich der jeweiligen Spielsituation anpassten. Irgendwann aber habe er einmal gesagt „Now it’s enough“, weil er fand, jetzt seien keine weiteren Änderungen mehr nötig.

Für alle, die wir Jürgen Wuchner kannten, ist das reich bebilderte Buch eine schöne Erinnerung an den Bassisten, Komponisten, Freund Jürgen Wuchner. Für seine Schüler:innen, die Workshop-Teilnehmer:innen, hält es in Noten fest, was sie vielleicht einmal zusammen gespielt haben oder gerne mal spielen würden. Für alle anderen ist es ein Fundus spannender Stücke, die das eigene Repertoire reicher machen können.

Wolfram Knauer (Juli 2023)


Vergnügen in Besatzungszeiten. Begegnungen in westalliierten Offiziers- und Soldatenclubs in Deutschland, 1945-1955
von Lena Rudeck
Bielefeld 2023 (transcript)
316 Seiten, 39 Euro
ISBN: 978-3-8376-6622-9

Lena Rudecks Studie über westalliierte Offiziers- und Soldatenclubs in Deutschland in den Jahren 1945-1955 füllt eine Lücke. Konkreter und ganz persönlich: Ich klage oft genug in Gesprächen über die westdeutsche Nachkriegsgeschichte des Jazz, dass bislang niemand sich eingehend mit den „Amiclubs“ auseinandergesetzt hat, also dokumentiert hat, zu welchen Konditionen, unter welchen Bedingungen deutsche Musiker:innen nach dem Krieg in den GI-Clubs Süddeutschlands arbeiteten. Was es ihnen brachte, ist gut dokumentiert: Jeder Musiker, jede Musikerin, die in den 1940er bis 1960er Jahren sozialisiert wurde, berichtet ja von seinen (ihren) GI-Club-Erfahrungen. Aber wie diese Arbeit tatsächlich aussah, warum überhaupt so viele deutsche Musiker:innen in diesen Orten auftraten, wie die amerikanische (oder britische oder französische) Besatzung dazu stand und was sie überhaupt mit der Unterhaltung ihrer Truppen bezweckte, darüber gab es bislang vor allem verstreute Berichte, Vermutungen, Hinweise.

Jetzt also schließt Lena Rudeck diese Lücke, detailliert, und dabei nicht beschränkt auf die „amerikanische Zone“ fokussiert, die uns Jazzern am wichtigsten scheint. Sie beschreibt und vergleicht die Bedingungen, unter denen „Vergnügen“ in den drei westlichen Besatzungszonen offiziell organisiert und sanktioniert wurde, wie rigoros oder offen die Besatzungsorgane mit der Einbindung deutscher Mitarbeiter:innen (von Kellner:innen über Reinigungskräfte bis zu Musiker:innen) umgingen und was all das bei den Angehörigen der Besatzungstruppen sowie bei den deutschen Arbeitnehmer:innen bewirkte.

Rudeck hat tief gewühlt: in Korrespondenzen, in persönlichen Nachlässen, in hektographierten Clubzeitschriften, in amerikanischen genauso wie bundesdeutschen Archiven. Das Ergebnis ist eine Studie, die immer wieder vom Großen ins Kleine und zurück ins Große zeigt, von den politischen Vorstellungen und der Umsetzbarkeit vor Ort handelt, von pragmatischen Entscheidungen, die dann wieder die offiziellen Regeln verändern, von Begegnungen zwischen Menschen, von den sehr unterschiedlichen Bedürfnissen der beteiligten Parteien, vom Aushandeln sehr unterschiedlicher Kapitale, von Kontrolle und Annäherung. Sie beschreibt die anfänglichen Fraternisierungsverbote und die Gründe für ihre baldige Aufhebung. Sie betrachtet die verschiedenen Seiten, ihre Bedürfnisse und Vorstellungen: die der Besatzungsorgane also, die der Soldaten und der zivilen amerikanischen Bediensteten, aber auch jene der deutschen Angestellten, sowie nach und nach auch der zugelassenen deutschen Gäste. Die Clubs waren ursprünglich als „home away from home“ gegründet worden, sollten ein Stück Heimat vermitteln, in Dekoration, Speisen und Getränken, Einkaufsmöglichkeiten und Vergnügungsmöglichkeiten. Sie bewerkstelligten das mit Filmabenden, Tanz, Konzerten, Weihnachtsfeiern, aber auch mit für die Besatzer als exotisch empfundenen Präsentationen deutschen Brauchtums (Stichwort: Bayern).

Wo diese Clubs bei den Soldaten also ein Stück heimatliche Gemütlichkeit brachten, hatten sie in der deutschen Bevölkerung einen eher umstrittenen Ruf als unmoralische Orte, an denen junge Frauen von Besatzungssoldaten verführt würden. Als Gegenbeispiel dienen Rudeck das Domicile du Jazz (der heutige Jazzkeller) in Frankfurt sowie den Anglo-German Swing Club in Hamburg, zwei Orte, an denen der Jazz die Menschen zusammenbrachte.

Insbesondere in Bezug auf die Musik beschreibt sie „die Knappheit an Musikerinnen und Musikern, die in westalliierten Clubs auftreten konnten, und die sich daraus ergebenen Möglichkeiten für deutsche Bands“ als Austauschprozesse und deren Aushandlungen. Und sie bringt konkrete Beispiele: Wie etwa ein klassisches Orchester, das 1948 im Frankfurter Palmgarden Club auftret, davon ausging, nach dem Konzert mit einer warmen Mahlzeit verköstigt zu werden, vor dem Konzert aber erfuhr, dass es nicht mehr als Kaffee und Kuchen geben sollte, woraufhin die Orchestermitglieder drohten gar nicht aufzutreten. Gerade in ihren Dienstleistungen für die Besatzungskräfte sahen sich Deutsche in unterschiedlichsten Berufen eben nicht länger nur als „Besiegte“, sondern genauso als Handelspartner mit eigenen Rechten und Bedürfnissen.

Rudeck berichtet über die Präsenz westalliierter Armeeangehöriger in den Clubs und die zunehmenden Bemühungen, deutsche Frauen als Tanzpartnerinnen zu gewinnen. Sie beschreibt, wie die Clubs für die Soldaten „ein Stück ziviles Leben im Militäralltag“ sein sollten, für die deutschen Gäste dagegen wie eine „Flucht aus dem Nachkriegsalltag“ wirkten.

Lena Rudecks Buch entstand als Dissertation, entsprechend ist ihre Herangehensweise systematisch und wissenschaftlich. Und da sie – zumindest im deutschsprachigen Raum – eines der ersten Bücher über das Thema geschrieben hat, weiß sie, dass es genügend weiterer Untersuchungen bräuchte. Wie etwa unterscheiden sich die amerikanischen Soldatenclubs in Deutschland, Japan und Korea nach dem II. Weltkrieg, könnte eine solche Frage lauten. Wie veränderte sich das Selbstverständnis der Clubs nach 1955, und welchen Einfluss hatten sie auf das Alltagsleben der in Deutschland stationierten Soldaten? Ein Oral History-Projekt wäre wünschenswert, allerdings sei es für den von ihr behandelten Zeitraum dafür wahrscheinlich bereits zu spät.

Ich, der ich viel gelesen habe zur deutschen Jazzgeschichte, habe viel gelernt von der Lektüre. Rudeck hat mich dazu angeregt weiterzudenken, Recherchemöglichkeiten in Betracht zu ziehen, hat für mich, ihren Leser, schon mal vorgefühlt, wo sich was finden lässt. Sie beleuchtet dabei einen bislang vernachlässigten Teil deutscher Nachkriegsgeschichte und nebenbei ein keineswegs unwichtiges Kapitel der deutschen Jazzhistorie.

Wolfram Knauer (Juni 2023)


Kansas City Jazz. A Little Evil Will Do You Good
von Con Chapman
Sheffield 2023
370 Seiten, 30 Britische Pfund
ISBN: 9781800502826

Eines Morgens, beginnt Con Chapman sein Buch über Jazz in Kansas City, hörte Bill Basie, der gerade mit einer Revuetruppe in Tulsa, Oklahoma, war, Musik, von der er dachte, sie käme von einer Schallplatte. Aber nein, es war eine Band, die auf einem Lastwagen spielte, um Werbung für ihren Gig am selben Abend zu machen. Es waren die Blue Devils, und sie waren sein erster Kontakt nach Kansas City.

Neben New Orleans, Chicago und New York war K.C. wahrscheinlich die wichtigste Stadt der Jazzgeschichte bis zur Mitte des 20sten Jahrhunderts. Count Basie, Jay McShann, Mary Lou Williams, Ben Webster, Lester Young, Charlie Parker – sie alle begannen ihre Karriere in der Stadt im Mittleren Westen, die ihre lebendige Musikszene zum einen der Tatsache zu verdanken hatte, dass sie Eisenbahnknoten und zentraler Viehmarkt war und die Händler und Käufer sich nach dem Geschäft gern unterhalten ließen, zum anderen, dass in den 1930er Jahren eine korrupte Stadtregierung den Kasinos und Revuetheatern der Stadt freie Hand ließ, oder besser, den Besitzern selbiger, die eng mit der örtlichen Unterwelt verbunden waren.

In Kansas City jedenfalls erklang eine Musik, die anders war als in allen anderen Metropolen des Landes: mal dem Ragtime verbunden – James Scott hatte eine Weile hier gewirkt -, stark vom Blues durchdrungen, der Improvisation aufgeschlossen, den instrumentalen Wettbewerb anfeuernd. Con Chapman erzählt in seinem Buch die Geschichte dieser Musik von den Anfängen bis in die 1940er Jahre. Er beginnt mit den Wurzeln im Ragtime, in der Minstrelsy und den Tent Shows, einer Musik, die mal dem Zirkus nahe stand, dann europäischer Salonmusik mit einem rhythmischen Pusch. Während der Jazz meist mit New Orleans, Chicago und New York verbunden wurde, waren viele der Ragtime- und Bluespioniere in Städten wie St. Louis oder Kansas City zuhause.

Chapman sieht es als seine Aufgabe an, auch oft übersehene Musiker zu legitimieren. So kontert er die zeitgenössische Kritik an der Theatralik Wilbur Sweatmans, der in seinem Bühnenact schon mal drei Klarinetten zugleich spielte, mit dem Verweis auf Rahsaan Roland Kirk (der das allerdings aus ganz anderen Gründen tat). Er verweist zu Recht auf die weit offenere Genrehaltung der frühen Jazzjahre, in denen technisch exzellente Musiker wie Sweatman ohne ästhetische Bedenken klassische Stücke genauso spielen konnten wie Gpysy Tunes, Ragtime, Blues oder Jazz.

Vom Stomp zum Swing, von der Tuba zur Bull Fiddle überschreibt Chapman sein zweites Kapitel, das letzten Endes davon handelt, wie die Musik von der Revuebühne mehr und mehr aufs Tanzparkett wechselte und sich dabei auch klanglich veränderte. Er führt nach und nach seinen ersten Hauptcharakter ein: den Tubisten Walter Page, der 1923 zusammen mit anderen die Blue Devils gründete, die Basie in Oklahoma gehört hatte. Chapman erklärt, wie die Band klarer, schärfer, sauberer geklungen habe als andere Bands der Stadt, die des Schlagzeugers Jesse Stone etwa und auch die Bennie Motens, der sich schließlich entschloss, wenn er die Blue Devils schon nicht musikalisch schlagen konnte, sie eben nach und nach, Musiker um Musiker zu plündern.

Dann nimmt sich Chapman die anderen Bands der Zeit und Region an: die bereits erwähnten von Moten und Stone, Troy Floyd, Alphonso Trent, Nat Towles. Er weiß Geschichten, die Musiker über die Bands und ihre Musik erzählten; er hört sich aber auch selbst die Aufnahmen an, die ab den frühen 1930er Jahren auf den Markt kamen. Er beschreibt den Wandel in der rhythmischen Auffassung, der insbesondere im Kansas City-Jazz zu spüren ist, diskutiert die Entwicklung der elektrischen Gitarre (Eddie Durham, Charlie Christian), und erklärt den Erfolg der All American Rhythm Section der Basie Band.

Er verfolgt die Musiker von ihren Tanzgigs zu den informellen After-Hours-Sessions, die zugleich eine Mischung aus Wettbewerbsarena und Experimentierlabor waren. Er betont die Bedeutung der Improvisation, der eigenen Stimme, des überzeugenden Narrativs, auf das in dieser Musik geachtet wurde, und er beschreibt, wie selbst viel der Musik der größeren Ensembles diese Jam Session-Atmosphäre atmete, wenn sie tatsächlich auf spontan gemeinsam entwickelten Riffs fusste.

Er verfolt die Boogie-Woogie-Mode der 1930er, deren wichtigste Protagonisten alle zeitweise in Kansas City aktiv waren, und die Legenden um die Tenoristen der Stadt, Herschel Evans, Ben Webster und Lester Young. Er diskutiert „Shouters and Singers“, Joe Turner und Jimmy Rushing, Cleanhead Vinson und Jimmy Witherspoon, aber auch ihre weiblichen Kolleginnen, Ada Brown, Julia Lee, June Richmond, Trixie Smith und Helen Humes. Er listet Trompeter auf wie Hot Lips Page, Buck Clayton, Ed Lewis, Harry Edison oder Snooky Young, und Posaunisten wie Jack Teagarden, Jimmy Harrison, Dan Minor oder Dicky Wells.

Er widmet ein Kapitel Andy Kirk und seinen Twelve Clouds of Joy sowie der Pianistin und Arrangeurin Mary Lou Williams, ein weiteres den Altsaxophonisten Buster Smith und Eddie Barefield, lässt auch die Thamon Hayes Rockets nicht aus, die nicht ganz den erhofften Erfolg hatten, und landet schließlich bei Charlie Parker, dessen Kindheit und Jugend in Kansas City ihn wohl zu dem gemacht hat, was er war: ein im Blues verhafteter Musiker, der wusste, dass er sein Instrument vollkommen beherrschen musste, um es in der Musik zu etwas zu bringen.

Ein Ausflug bringt uns das Orchester Jay McShanns näher, in dem Parker seine ersten offiziellen Aufnahmen machte. Und zum Schluss erklärt Chapman noch ein wenig die politische Lage, in der die Musikszene florierte im Kansas City der 1930er Jahre, die korrupte Stadtregierung also unter Bürgermeister Tom Pendergast, und der Niedergang der Kulturszene, der mit dessen Verhaftung und dem politischen Wandel in der Stadtverwaltung verbunden war. Dieses Kapitel hätte man sich übrigens früher gewünscht, vielleicht mit einer eingehenderen Diskussion der wirtschaftlichen Hintergründe, auf denen die Musikszene hier fusste.

Auch der musikalische Wandel machte der Szene zu schaffen: Der junge Bebop war keine Massenmusik mehr. Und hier wird Chapmans Buch stellenweise leider zur Klischeesammlung – zwischen den Zeilen lässt sich leicht erkennen, dass dem Autor die Entwicklung hin zum Bebop nicht wirklich gefällt, dass er sich am Riemen zu reißen versucht, dann aber doch noch ein Zitat findet – von Mary Lou Williams oder Ralph Ellison -, das seine kritische Haltung zu stützen scheint.

Hier auch endet Chapmans Buch, und in seiner ästhetischen Wehmut hat er zugleich eine große Chance vertan: nämlich zu erkennen, dass die Geschichte des Jazz in Kansas City auch eine der Ermächtigung schwarzer Künstler:innen war, dass sie just jenen Umschlagpunkt beleuchtet, in der der Jazz von Unterhaltung zum Experiment wurde. Von hier an ging es nicht mehr zurück. Ohne Kansas City wären ein Großteil der spätereen Jazzentwicklungen gar nicht denkbar – und dasselbe gilt eigentlich für die gesamte afro-amerikanische Musikkultur.

Enden wir aber versöhnlich: Chapmans Buch ist leicht lesbar; es gelingt ihm neben den Stars der Ära auch weniger bekannte Musiker:innen zu beleuchten, und wenn die musikalischen Verweise auch wenige sind, so sind sie dennoch da, ermutigen also zum Weiterhören. In seinem Buch findet sich nichts, was nicht auch anderswo ähnlich diskutiert worden wäre; er hat allerdings fließig in den Quellen gewühlt und immer wieder interessante Verweise gefunden, die durchaus eine seltener bedachte Seite der Ära erklären helfen.

Wolfram Knauer (März 2023)


The Routledge Companion to Jazz and Gender
herausgegeben von James Reddan, Monika Herzig und Michael Kahr
New York 2023 (Routledge)
498 Seiten, 152 Britische Pfund
ISBN: 978-0-367-53414-1

Sie versuche Konferenzen zu vermeiden, bei denen sie eingeladen werde, um über „Frauen im Jazz“ zu sprechen, sagte die amerikanische Musikwissenschaftlerin Sherrie Tucker einmal in Darmstadt. Wann immer sie auf das Thema angesprochen werde, betone sie, dass, wer auch immer sich mit Frauen im Jazz befasse, sich mindestens gleichermaßen mit Diversität im Jazz befassen müsse. Nach Darmstadt brachte Tucker damals, im Jahr 2015, eine Konferenz, die das Jazzinstitut unter dem Titel „Gender and Identity“ abgehalten hatte und deren Buchpublikation durchaus wegweisend war, weil sie eben über das reine „Frauenthema“ hinausblickte. Zuvor hatte es zwar einige Bücher gegeben, die sich „women in jazz“ widmeten, auch immerhin eines, dass sich dem Thema der Homosexualität annahm – dann aber gleich in der gesamten populären Musik. Jetzt haben James Reddan, Monika Herzig und Michael Kahr ein dickes Kompendium herausgebracht, dass sich zumindest ansatzweise an die gesamte Bandbreite von „Jazz and Gender“ heranwagt.

Es ist ein „companion“, also keine systematische Übersicht über die Thematik, sondern eine Sammlung sehr unterschiedlicher Aufsätze. Die Herausgeber haben sich entschieden die 38 Essays in vier Blöcken zusammenzufassen, die bereits die Vielfalt der Ansätze andeuten: „Historical Perspectives“, „Identity and Culture“, „Society and Education“ sowie „Policy and Advocacy“.

Die erste Abteilung, „Historical Perspectives“ versammelt beispielsweise einen Beitrag über sexistische Klischees zum Jazz in Australien (Bruce Johnson), eine Reflektion über die legendäre Mamie Desdunes in New Orleans (Benjamin Barson), eine Darstellung über Lil Hardin und Helen Joyner (Jeremy Brown), über die queere Ästhetik der 1920er Jahre (Magdalena Fürnkranz), über schwarze Musikerinnen im britischen Jazz zwischen den Weltkriegen (Jessica Chow), über Maskulinität im Auftreten von Freddie Hubbard, Lester Bowie (Aaron J. Johnson) und Lee Morgan (Keith Karns), sowie über die Programmgestaltung etablierter Jazzspielstätten aus feministischer Sicht (Kara Attrep).

Der Teil über „Identity and Culture“ befasst sich beispielsweise mit den Bedingungen, die es Mädchen und Frauen erschweren Jazz zu spielen (Erin L. Wehr), mit dem Zusammenhang zwischen Gender, Geschlecht und dem Spiel des Saxophons (Yoko Suzuki), mit der Vielfalt an Identitäten, die Jazzmusiker:innen ausmachen (Wolfram Knauer), mit der Rolle von Geschlecht bei Jazz-Wettbewerben (Matthias Heyman), mit der Geschlechterbalance in europäischen Jazzfestivals (Kristin McGee), mit patriarchalen und rassistischen Klischees in Bezug auf den Tanz im Jazz (Brandi Coleman), mit der Schwierigkeit für Frauen das „glass ceiling“ der Jazzwelt zu durchbrechen (Marie Buscatto), sowie mit offen schwulen Jazzmusikern der jüngeren Vergangenheit, Graham Collier, Fred Hersch, Gary Burton (Ann Cotterrell).

„Society and Education“ ist jener Buchteil überschrieben, in dem hinterfragt wird, inwieweit Gender-Stereotype sich bis in die Jazzgeschichtsschreibung und –pädagogik finden lassen (James Reddan), wie Frauen in drei verschiedenen „textbooks“ zum Jazz erwähnt werden (Ramsey Castaneda, Amanda Quinlan), wie die Gitarre eigentlich ein „gendered instrument“ sei, also eines, das mit einem bestimmten Geschlecht verbunden wird, und wie man das ändern kann (Tom Williams). In einem eigenen Kapitel erzählt die Bassistin Jennifer Leitham von ihrer Transition von Mann zu Frau (Joshua Palkki, Carl Oser). Und dann lesen wir noch über den Versuch einer inklusiven Jazzpädagogik (Sonya R. Lawson), sowie über die Erfahrungen weiblicher Pädagoginnen in Hochschulkontext (Natalie Boeyink).

„Policy and Advocacy“ schließlich beschreibt unter anderem die jüngsten Bestrebungen nach „gender justice“ im Jazz (Betariz Nunes, Leonor Arnaut), die Erfahrungen von Musikerinnen in Spanien (Rebeca Munozu-García) und Südosteuropa (Jasna Jovicevic), Wege zur Geschlechtergerechtigkeit durch Mentorenschaft und andere Arten des Empowerment (Ellen Rowe) sowie die Rolle von Frauenkapellen in der Jazzgeschichte und -gegenwart (Monika Herzig).

Zusammen mit anderen Büchern zum Thema – beispielsweise denen von Sherrie Tucker oder dem bereits erwähnten Darmstädter Band zu „Gender and Identity“ – bietet der „Routledge Companion to Jazz and Gender“ eine gute Übersicht über den Forschungsstand. Bei der Lektüre wird schnell klar, dass es sich beim Thema um eine Entwicklung handelt, die noch lange nicht abgeschlossen ist. Wir befinden uns mitten im Diskurs, der im Buch immer wieder durchscheint, mit mal mehr, mal weniger Vehemenz, mit Erfahrungsberichten genauso wie Handlungsanleitungen. Das Buch ist ein akademischer Band geworden, dick also und nicht gerade preiswert, aber hoffentlich insbesondere an Hochschulen präsent und viel genutzt, erlaubt er doch eine kritische Selbstbetrachtung der Jazzlandschaft, die seit langem überfällig ist.

Wolfram Knauer (Dezember 2022)