Das 1. Darmstädter Jazzforum fand im Dezember 1989 statt, und damit noch bevor das Jazzinstitut Darmstadt gegründet war. Das dreitägige Symposium im damaligen Konferenzzentrum der Stadt beschäftigte sich mit den unterschiedlichsten Aspekten ästhetischer, historischer, analytischer und pädagogischer Herangehensweisen an die Musik. Es gab einen Flyer, der von Helmut Lorz gestaltet war, dem gefeierten Darmstädter Grafiker, der unter anderem das Signet für die Berliner Funkausstellung sowie das Plakat zur Ausstellung „That’s Jazz. Der Sound des 20. Jahrhunderts“ auf der Darmstädter Mathildenhöhe entworfen hatte.
Oberbürgermeister Günter Metzger beschrieb dieses erste Jazzforum als „Probelauf“ zu einem künftigen Jazzzentrum in der Stadt, das mit dem Jazzinstitut Darmstadt am 1. September 1990 gegründet wurde. Bereits im September 1991 fand das 2. Darmstädter Jazzforum statt, das ab jetzt konkreten Themen zugeordnet wurde. Das 2. Darmstädter Jazzforum, das damit das erste des neu gegründeten Jazzinstituts war, nahm das Thema „Jazz und Komposition“ in den Fokus. Über andere Darmstädter Veranstalter kam der Kontakt zu einem jungen Grafiker zustande, der seither alle Plakate – und überhaupt die grafische Präsenz des Jazzinstituts – entwarf: dem Frankfurter Designer Roland Stein. Steins Plakate entstehen bis heute in enger Abstimmung mit dem Jazzinstitut. Sie illustrieren nie nur das Thema selbst, sondern immer auch die erwarteten Diskurse, den Kontext der Konferenz, Konzerte und Ausstellung des Jazzforums.
Steins erstes Plakat zeigt das bereits exemplarisch. „Jazz und Komposition“ (1991) hätte sich auch mit einem Notenblatt darstellen lassen; Stein entschied sich für den konstruierten und klar positionierten Schriftzug „Jazz“ über einer unklaren, vom rot über schwarz ins Weiß hingetupften Fläche. „Jazz in Europa“ (1993) spielt mit petrolfarbenen Buchstaben, die, positiv und negativ gesetzt, auf dem leuchtend-roten Hintergrund hervorstechen. Für „Jazz in Deutschland“ (1995) wählte Stein die Noten der beiden Nationalhymnen, und auch beim Symposium und den begleitenden Konzerten waren Beiträge zur Entwicklung des Jazz in beiden Teilen des Landes zu hören. Für „Jazz und Sprache“ (1997) entwarf Stein ein Plakat mit einer Schreibmaschinentype die über der Ziffer „5“ ein Achtelnotensymbol hatte.
Zum seinem 100sten Geburtstag beschäftigte sich das Darmstädter Jazzforum mit „Duke Ellington und die Folgen“ (1999); Stein arbeitete dafür mit einem Bild des Duke mit verzerrten Farbkanälen. Weitaus reduzierter fiel das Plakat zu „Jazz und Gesellschaft“ (2001) aus, das auf klarem Grund zwei Kreise überlappen lässt. „improvisieren…“ (2003) lautete der nächste Jazzforums-Titel, und hier improvisierte auch Stein – mit Linien, Typen, Farben, Rastern. Für das etwas sperrig benannte Symposium über „Verrat!!! … oder Chance? Der Jazz und sein gespaltenes Verhältnis zur Popularmusik“ (2005) bastelte Stein Pappfiguren von Miles Davis, Charlie Parker, John Coltrane und Gerry Mulligan, packte sie in einen Einkaufswagen und ließ sie in einem CD-Laden fotografieren.
„The World Meets Jazz“ (2007) diskutierte über stilistische Begegnungen genauso wie über kulturelle Aneignung, und Stein arbeitete mit einer Bildsprache, auf der aus Instrumenten Blumen wachsen und überhaupt die ganze Welt zu blühen scheint. „Tension / Spannung“ (2009) war das Jazzforum überschrieben, das sich Werk und Einfluss des Posaunisten Albert Mangelsdorff widmete und für das Stein ein Foto der Posaune des Meisters in seine grafische Komposition mit einbezog. Für „Jazz. Schule. Medien.“ (2011) wird es wieder etwas nüchterner: Übereinander gelegte Blätter spiegeln vielleicht auch die Papierlastigkeit des Themas wieder. 2013 gab es eine Doppelkonferenz mit dem Institut für Jazzforschung Graz, und Steins Umsetzung von „Jazzdebatten / Jazzanalysen“ versucht dem diskursiven Gehalt des Themas gerecht zu werden.
Für „Gender and Identity in Jazz“ (2015) wählte Stein eine Anspielung an X- und Y-Chromosomen, die er in Regenbogenfarben zusammenbrachte. „Jazz @ 100. (K)eine Heldengeschichte“ (2017) zeigt eine zunächst zufällige, aber bewusst modifizierte und platzierte Google-Bildersuche nach „Jazz“, verdeckt vom deutlichen Stempel mit des Konferenzthemas. Für „Positionen! Jazz und Politik“ wählt Stein einen Entwurf, bei dem man sich schon beim Betrachten für eine Position entscheiden muss: schwarz auf weißem Grund oder weiß auf schwarzem Grund? Die letzten drei Plakate waren übrigens als mit einem Doppelnutzen konzipiert: auf der einen Seite der zum Quadrat zusammengefalteten Blätter befand sich das Plakat, auf der anderen Seite eine Übersicht übers Programm sowie knappe Programmnotizen. Mitten in der Pandemie veranstalteten wir 2021 unser erstes Hybrid-Jazzforum, „Roots | Heimat. Wie offen ist der Jazz“, und Stein versuchte der Diversität der Themenstellung mit einer Gestaltung nahe zu kommen, in der Klarheit, Verankerung, Risiko und Offenheit gleichermaßen zum Zuge kommen.
Fürs Jazzforum 2023 über „Destination unknown. Die Zukunft des Jazz“ haben wir uns zusammen mit Roland Stein für ein durch künstliche Intelligenz erzeugtes Mischwesen entschieden, eine/n Musiker/in, der/die alles imaginieren lässt und neugierig macht, was er/sie wohl hören oder spielen mag.
Wir sind ziemlich stolz auf die grafische Umsetzung der Themen unseres Darmstädter Jazzforums. Es passiert nicht gerade oft, dass man über so lange – immerhin mehr als 30 – Jahre mit einem Grafiker zusammenarbeitet. Roland Stein hat aber nicht nur unser Jazzforum visuell geprägt; er hat zahlreiche Ausstellungen mitgestaltet, unser Logo entwickelt, den Header unserer Website entworfen. Er hat dabei immer das getan, was eine guten Grafiker auszeichnet: zugehört, seine eigenen Schlüsse gezogen und die Atmosphäre, die sich ihm mitteilte, in einen Entwurf umgesetzt. Wir erkennen uns darin wieder, seit 32 Jahren. Wie geht’s Ihnen?
(Wolfram Knauer, Mai 2023)