[:de]Neue Bücher 2007[:en]New Books 2007[:]

[:de]How Britain Got the Blues. The Transmission and Reception of American Blues Style in the United Kingdom
von Roberta Freund Schwartz
Aldershot, Hampshire 2007 (Ashgate)
267 Seiten, 60 Britische Pfund
ISBN: 978-0-7546-5580-0

2007schwartzRoberta Freund Schwartz’s Buch hat zwar vordergründig die Rezeption des afro-amerikanischen Blues in Großbritannien zum Thema, doch lassen sich viele ihrer Erkenntnisse zum einen auf den Rest des (zumindest westlichen) Kontinents und zum zweiten bedingt auch auf den Jazz übertragen. Tatsächlich beginnt sie ihre Abhandlung mit einem Kapitel über die Missverständnisse der frühen Jazzrezeption. Sie beschreibt, wie in den 1880er Jahren Tourneen von Minstrelgruppen die Briten neugierig auf schwarze Kultur machten, wie die ersten britischen Tanzkapellen bereits 1898 Ragtimestücke aufnahmen. Sie beschreibt die Auswirkungen, die die Faszination mit dem Jazz spätestens nach dem Besuch der Original Dixieland Jazz Band im Jahr 1919 hatte, dass die Jazzrezeption aber trotz der vielen Swingmusiker im Land weitgehend eine hörende blieb.

Im zweiten Kapitel verfolgt sie die ersten Berührungen des britischen Publikums mit dem Blues, diskutiert, wie das Verständnis des Blues als Wurzel des Jazz in die Ästhetik der Traditionalisten passte, wie sich zugleich ein Interesse am Blues als einem ureigenen Musikgenre entwickelte, Bluesplatten erhältlich waren und schließlich erste Bluesmusiker in Großbritannien auftraten, unter ihnen Big Bill Broonzy.

Kapitel 3 widmet sich mit der Rezeption der ersten Rhythm-‘n’-Blues- sowie der ersten Rock-‘n’-Roll-Platten. Schwartz diskutiert die Skiffle-Bewegung als eine Reaktion dieser amerikanischen Popmusikstile. Die Jahre 1957 bis 1962 analysiert die Autorin als Blues-Revival, 1. Teil, begleitet verschiedene amerikanische Bluesmusiker auf ihrer Englandtournee und zitiert ausführlich aus zeitgenössischen kritischen Reflektionen über sie. Vor allem stellt sie hier die ästhetische Diskussion jener Jahre in den Mittelpunkt, die immer mehr Authentizität forderte, populäre Verarbeitungen des Blues ablehnte und dabei selbst afro-amerikanische Künstler wie Broonzy in Frage stellte. Sie beschreibt die Anfänge einer seriösen Bluesforschung in England und stellt diese in den Kontext der bereits existierenden jazzforschung.

Gegen Mitte der 1960er Jahre gab es einen neuen R&B-Boom, der London, wie Schwartz schreibt, zum “neuen Chicago” machte. In ihrem diesbezüglichen Kapitel auch kommt das American Folk Blues Festival ausführlich zu Sprache, das einen so enormen Einfluss auf die populäre Musik der Insel haben sollte, weil viele junge Rockmusiker hier erstmals ihren afro-amerikanischen Idolen begegneten. Ein weiteres Bluesrevival prägte die zweite Hälfte der 1960er Jahre, bei dem neben den amerikanischen Originalen nun auch ein deutlich erkennbarer britischer Stil abzeichnete. Nicht wenige Autoren sahen in den britischen Aktivitäten eine Chance, die Tradition am Leben zu halten. Das größte Verdienst des Blues aber, schließt Schwartz, sei es wohl, das Element der Improvisation in die Rockmusik einfließen zu lassen.

“How Britain Got the Blues” verfolgt eine geographisch begrenzte Bluesrezeption, und immer wieder mag man sich fragen, ob Feststellungen der Autorin so wohl auch auf Frankreich oder Deutschland zuträfen. Dabei loht sich die Lektüre allemal für jeden, der wissen will, welche Spuren der Blues tatsächlich in Großbritannien hinterließ.

Wolfram Knauer (Mai 2012)


 

The Miles Davis Reader. Interviews and Features from Down Beat Magazine
herausgegeben von Frank Alkyer & Ed Enright & Jason Koransky
New York 2007 (Hal Leonard Books)
356 Seiten, 24,99 US-Dollar
ISBN: 978-1-4234-3076-6

2007alkyerDown Beat ist seit den Mitt-1930er Jahren die wichtigste amerikanische Jazzzeitschrift. Sie begleitete den Mainstream der Jazzentwicklung genauso wie die Umbrüche. Auf ihren Seiten wurden Debatten über die musikalischen Veränderungen genauso geführt wie solche über die soziale und politische Bedeutung des Jazz. Miles Davis begleitete Down Beat seit 1946, als er das erste Mal in einer Besprechung einer Charlie-Parker-Platte erwähnt wurde. Die vielen Features, Interviews, Platten- und Konzertrezensionen und selbst die kleinen Randerwähnungen wurden jetzt in einem Buch zusammengefasst, das durchaus die unterschiedlichen Seiten des Miles Davis wiedergibt: den freundlich-jovialen Menschen (eher selten) genauso wie den zornig-genervten Star. Blindfold-Tests, in denen er die Kollegen herunterputzt, gehören genauso dazu wie recht offenherzige Gespräche über seine musikalische Ästhetik, die sich seiner Meinung nach die Jahre über weit weniger gewandelt hat als manche Jazzfans meinen mögen. In seiner Vollständigkeit ist dieses Buch dabei genauso eine beredte Reflektion über Leben und Werk des Trompeters wie ein Beispiel amerikanischer Jazzkritik und ihres Umgangs mit einem der sicher kontroversesten Figuren, mit den sie es zu tun hatte: einem genialen Musiker, der in seiner Musik Ruhe, in seinem Leben oft genug Unzufriedenheit und Aggression ausstrahlte. Man kann darüber reflektieren, ob das nicht vielleicht zwei notwendige Seiten einer Medaille – zumindest dieser Medaille – sind. Als Aufsatzsammlung lässt das Buch dem Leser die Freiheit, den jeweiligen Standpunkt der Autoren zu erkennen. Die Herausgeber kommentieren nicht weiter, müssen auch nicht weiter kommentieren. Das Buch ist auf jeden Fall eine Fundgrube und ein wunderbares Nachschlagewerk zur Rezeption des großen Miles.

Wolfram Knauer (August 2011)


 

The Original Hot Five Recordings of Louis Armstrong
von Gene H. Anderson
CMS Sourcebooks in American Music, No. 3
Hillsdale/NY 2007 (Pendragon Press)
258 Seiten, 1 Beilage-CD, 32 US-Dollar
ISBN: 978-1-57647-120-3

2007andersonGene Andersons Studie über Louis Armstrongs Hot Five-Aufnahmen wurde in einer Reihe von Quellentexten der College Music Society veröffentlicht, richtet sich aber nicht nur an Lehrer oder Studenten, sondern genauso an den interessierten und musikalisch vorgebildeten Fan. Vorbildung jedenfalls ist hilfreich, da Andersons Buch keine Biographie ist, sondern vor allem die Musik beschreibt und das durchaus in musikalischen Termini, mit unterschiedlichen analytischen Ansätzen und untermauert mit Transkriptionen von Themen und Soli.

Anderson beginnt mit einem Kapitel, das den Ursprung der Band als eine Art Studiokapelle nachzeichnet. Er beleuchtet das private wie berufliche Verhältnis von Louis und Lil Armstrong und vergleicht die Armstrong-Besetzung zu der anderen erfolgreichen Studioband jener Jahre, der Blue Five des Pianisten Clarence Williams.

Bereits im nächsten Kapitel dann geht Anderson in medias res: Er beschreibt die aufgenommenen Titel der ersten (OKeh)-Plattensitzung im Detail, vergleicht die verschiedenen Chorusse und Soli und arbeitet Eigenheiten einzelner Solisten wie auch die Entwicklung der Band heraus. Immer wieder unterbricht er seine analytischen Betrachtungen mit Zeitzeugenaussagen entweder des Trompeters selbst oder seiner Mitmusiker. Neben Struktur, harmonischen, melodischen und rhythmischen Charakteristika betont er dabei auch Momente wie Improvisation, Komposition, Wiederholung – oder aber kommerziellen Erfolg. Jedes von ihm betrachtete Stück erhält dabei zwischen drei und acht Seiten, und zwischendrin führt Anderson den Faden der Karriere Armstrongs, des Erfolgs seiner Aufnahmen und der Popularität seiner Auftritte fort.

Im Anhang des Buchs finden sich neben einer CD mit 20 Titeln Lead-Sheats einzelner Stücke sowie die Erinnerungen zweier Zeitzeugen, Johnny St. Cyr und Edward Kid Ory an die Hot-Five-Aufnahmen.

Anderson untersucht – der Vergleichbarkeit halber – 33 Aufnahmen, die in der Hot-Five-Besetzung entstanden, also nicht die bekannten Meisterwerke wie etwa den “West End Blues” oder “Weather Bird”, die in größerer oder kleinerer Besetzung entstanden. Seine Übersicht beginnt also mit “My Heart” vom November 1925 und endet mit dem “Savoy Blues” vom Dezember 1927.

Sein Buch ist eine intensive Annäherung an Armstrongs Musik, im analytischen Ansatz manchmal etwas zu unkritisch – man weiß also nicht unbedingt immer, warum er bestimmte harmonische, melodische oder formale Entwicklungen heraushebt –, aber ganz gewiss ein nicht nur für Armstrong-Fans sinnvoller Führer durch einige der bedeutendsten Aufnahmen der Jazzgeschichte.

Wolfram Knauer (April 2011)


 

Jazz in München von den 20er bis zu den 80er Jahren
von Hermann Wilhelm & Gisela Kurz
München 2007 (Verlag der Lentner’schen Buchhandlung)
159 Seiten, 1 CD, 29,90 Euro
ISBN: 978-3-981-14984-5

2007wilhelmDer Jazz war immer eine Großstadtmusik, auch wenn einige der innovativen Anregungen durchaus auch aus der Region kamen. Aus München kamen vielleicht weniger die Neutöner, die anfangs eher in Frankfurt, dann in Wuppertal oder Berlin heimisch waren, aber die Szene war immer lebendig, traditionsverbunden und Teil einer Unterhaltungsszene, die es im Jazz nun mal immer brauchte, um die neuesten Entwicklungen zu präsentieren. Herman Wilhelm und Gisela Kurz haben versucht in ihrem Buch der Geschichte des Münchner Jazz von den Anfangstagen bis in die 1980er Jahre gerecht zu werden. Bei ihren Recherchen entdeckten sie seltene Fotos und unterhielten sich mit Zeitzeugen aus allen Jahrzehnten. Es geht los mit Peter Kreuder, den sie mit einer Milieuschilderung der Jazzszene in den 1920er Jahren zitieren. Das erste amerikanische Ensemble sei die Lud Gluskin band gewesen, die 1928 im Luitpoltkino auftrat. Als den Autoren 2004 eine Ausstellung zum Jazz in München im Haidhausen-Museum eröffneten, begegnete ihnen dort ein über 90-jähriger Herr, der, wie sich herausstellte, seit den frühen 1930er Jahren als Trompeter auf der Münchner Szene aktiv gewesen war: Rudolf Ritter, der im Gespräch über das Repertoire jener Jahre genauso spricht wie über Einflüsse amerikanischer Vorbilder, aber auch über seine Erinnerungen an die Nachkriegszeit, die ersten Jazzsendungen im Bayerischen Rundfunk und eine Tournee nach Teheran. Die Skandale um Ernst Kreneks “Jazz”-Oper “Jonny spielt auf” und Josephine Bakers Auftritt im Deutschen Theater führen in ein kurzes Kapitel über die die Unterdrückung des Jazz durch die Nazis sowie ein eigenes Kapitel über Charlie and his Orchestra, jenes vom Reichspropagandaministerium entlohnte Spitzenorchester, in dem auch der Schlagzeuger Freddie Brocksieper mitwirkte. Nach Die Nachkriegszeit wird beschrieben und die ersten Begegnungen mit amerikanischen Soldaten und authentischer amerikanischer Musikkultur, Sessions mit amerikanischen Musikern, an denen Brocksieper, Max Greger und andere junge Münchner Musiker ihren “schwarzen” Sound entwickeln konnten, aber auch das Phänomen des Jazz als Jugendkultur der späten 1940er und frühen 1950er Jahre. Auch der AFN erhält ein Kapitel, durch den Musiker wie Fans neueste Scheiben zu hören bekamen sowie die Aktivitäten des Pianisten Joe Kienemann, der ab 1971 die Jazzredaktion des Bayerischen Rundfunks übernahm. Ein extra Kapitel würdigt den Scatsänger Willi Johanns; vor allem aber werden die Spielstätten für Jazz herausgestellt, Brocksiepers “Studio 15” etwa, das legendäre Domicile, das Spectacle, das Allotria, Jenny’s Place und natürlich die Unterfahrt. Der Fotograf Josef Werkmeister und der Impresario, Zeitungsverleger und Radiogründer Hans Ruland werden ebenfalls ausführlich gewürdigt. Alles in allem enthält das Buch jede Menge Details und Anekdoten einer reichen Jazzgeschichte und allemal genügend Stoff für weitere Fragen und damit wahrscheinlich eine Reihe weiterer Aufsätze oder Bücher. Zusammen mit ähnlichen Dokumentationen über Köln, Frankfurt, Wuppertal, Dortmund und andere deutsche Städte hilft es beim Nachvollziehen insbesondere der Nachkriegsgeschichte des deutschen Jazz.

(Wolfram Knauer)


 

Jazz ohne Ende. 50 Jahre Jazz Club Nienburg
von Horst Friedrichs
Nienburg 2007 (Jazz Club Nienburg)
152 Seiten
IIISBN: 978-3-00-022628-1

2007nienburgDer Jazzclub Nienburg wurde am 2. November 1957 offiziell gegründet, und zu seinem 50sten Geburtstag gönnte er sich eine Chronik. Solche Jazzclub-Memoiren gibt es mittlerweile für etliche Clubs und Städte, und jedes dieser Bücher hat seinen eigenen Charakter – teils kritisch-professionell, teils wohlwollend-familiär, teilweise eine reine Sammlung an Daten und Anekdoten, teilweise der Versuch eines zusammenhängenden Erzählstrangs. Die Geschichte des Jazz-Clubs Nienburg folgt dem letztgenannten Schema. Der Club hat das Glück zu seinen Mitgliedern einen ausgewiesenen Schriftsteller zu zählen, Horst Friedrich, der als Jazzfan und Hobbyposaunist seit 1960 aktives Mitglied des Clubs ist, sein Geld aber mit dem Verfassen von “Spannungsromanen” verdiente, eine hübsche Umschreibung für die Jerry-Cotton-Hefte, die in den 1960er und 1970er Jahren an jedem Kiosk erhältlich waren und auch ihren Weg auf die Filmleinwand fanden. Friedrich also weiß zu erzählen, und er weiß nüchterne Daten mit Leben zu füllen, neben den geschichtlichen Tatsachen auch Atmosphäre zu schildern, die Begeisterung der Fans oder den Umgang mit Bedenken der Anwohner des Vereinslokals. Er erzählt von Konzerten in der Aula der Staatsbauschule und die anschließenden Jam Sessions im Club. Er zeigt Plakate der Zeit und natürlich Fotos der auftretenden Bands, meist Amateurcombos unterschiedlicher Stilrichtungen aus der Region oder aus der Landeshauptstadt Hannover. Der Club organisierte Fahrten zu Konzerten insbesondere amerikanischer Stars in Hannover oder Bremen, manchmal auch nach Hamburg, richtete 1959 aber auch die “Erste Norddeutsche Jazztagung” aus, bei der unter anderem das Gunter Hampel Quartett und die George Maycock Combo spielten. Wie in anderen Clubs auch, gab es Jazz Band Balls. 1966 wurde der erste Jazzkeller des Clubs unter der Nienburger Markthalle abgerissen. Hardy Banzer aber, seit 1960 Vorsitzender des Clubs, plante gerade den Neubau seines eigenen Hauses und plante einfach einen Jazzkeller hinzu. Schon im Dezember 1967 ging es weiter mit dem Konzertleben der Stadt. Neben den Hausbands des Clubs trat hier beispielsweise Monty Sunshine auf. Doch Hausbesitzer Banzer starb 1970, und seine Erben konnten sich mit dem Club nicht über eine Fortführung des Betriebs einigen. Die Mitglieder gingen auf erneute Kellersuche und fanden ein über 350 Jahre altes Gewölbe, das die Stadt dem Club überließ und in dem ab Dezember 1970 Musik erklang. In der Folge gab es Hochs und Tiefs: wunderbare Konzerte, unerwartete Nebenkostennachzahlungen, die zu stemmen waren, 20- und 30-jähriges Jubiläum, den Tod aktiver Mitglieder. 1990 wurde der Kellerraum mit finanzieller Hilfe der Stadt erweitert und erneuert. Nach Friedrichs geschichtlichem Großkapitel folgen persönliche Erinnerungen von Wolfgang Bühmann, Gero Sommerfeld und Peter Lenzner. Eine Bandliste der Internationalen Folk- und Jazztage Nienburg, der Hot Jazz Meetings und anderer Konzertreihen des Clubs gibt einen Überblick über die Programmpolitik. Und ein gesondertes Kapitel widmet sich der Begegnung von Mitgliedern des Jazzclubs im niedersächsischen Nienburg mit Jazzfreunden aus Nienburg an der Saale, mit denen sie kurz nach der Wende ein gemeinsames Jazzfest feierten. Erinnerungen an Konzerte von Fats Domino und Ray Charles beschließen das Buch, das sicher vor allem die Jazzfreunde der niedersächsischen Stadt interessieren wird, daneben aber auch ein wenig zur Dokumentation des Jazzlebens im Nachkriegs-Deutschland beiträgt.

(Wolfram Knauer, Januar 2010)


 

Jazz als problem. Receptie en acceptatie van de jazz in de wederopbouwperiode van Nederland 1945-1952
von Henk Kleinhout
Hengelo 2007 (Elbertinck)
389 Seiten, 24,95 Euro
ISBN: 978-90-8569-54-2

2007kleinhoutHenk Kleinhout untersucht in seiner Dissertation die Rezeption und Akzeptanz des Jazz in der Wideraufbauphase der Niederlande, also den Jahren 1945 bis 1952. In einem ersten Kapitel gibt er dabei einen allgemeinen Überblick über die Jazzgeschichte von den Anfängen bis in die späten 1940er Jahre. Ein zweites Kapitel behandelt knapp die Begeisterung für den Jazz in Europa, vor allem aber auch den Umgang der Niederländer mit Jazz zu Zeiten der deutschen Besatzung. Im nächsten Kapitel befasst er sich mit dem Einfluss amerikanischer und europäischer Bands, die direkt bald dem Krieg in Holland auftraten, Don Redman etwa, Claude Luter, Louis Armstrong, Duke Ellington, Al ‘Fats’ Edwards, Hot Lips Page mit Viola Jefferson sowie Don Gais mit George Johson. Zugleich brach in Holland eine Debatte darüber aus, was nun eigentlich Jazz sei. Hierbei handelte es sich sowohl um eine eher allgemeine ästhetische Debatte über klassische Traditionen, Jazz und was er uns Europäern zu sagen habe, als auch über die Debatte zwischen Modernisten und Traditionalisten, die auch in Frankreich (Stichwort: Charles Delaunay und Hugues Panassie) und den Vereinigten Staaten (Stichwort: modernists vs. moldy figs) stattfand. Ein eigenes Kapitel widmet sich dem Jazzprogramm der holländischen Rundfunkstationen, ein weiteres mit der Plattenproduktion sowie eines mit den Jazzclubs und -vereinen in den Niederlanden. Er beleuchtet die Bedeutung des Jazz für die Jugend jener Jahre, Konflikte zwischen klassicher Musik und Jazz sowie Projekte zwischen Jazz und Bildender Kunst, Jazz und Literatur, Jazz und Film sowie Jazz und Tanz. Im gelingt in vielen Detailschilderungen die Darstellung einer Jazzszene zwischen Aufbruch, Konsolidierung und Abgrenzung, die Darstellung einer Szene, die sich ihre eigenen ästhetischen Wertmaßstäbe aus dem zusammenfügt, was verfügbar ist — durch Konzerte, Rundfunksendungen, Platten, öffentliche Diskussionen. Und ihm gelingt es damit durchaus die Basis für Erklärungsmodelle auch der späteren Jazzentwicklung in den Niederlanden zu legen.

(Wolfram Knauer, Januar 2010)


 

Ethel Waters. Stormy Weather
von Stephen Bourne
Lanham/MD 2007
Scarecrow Press
146 Seiten
ISBN: 978-0-8108-5902-9

2007bourneEthel Waters was eine Sängerin, die irgendwie zwischen allen stilistischen Stühlen der populären Musik des frühen 20sten Jahrhunderts saß: Jazz, Blues, Ragtime, Musical. Autor Stephen Bourne hat bislang vor allem über die schwarze Präsenz auf Leinwand und Bildschirm veröffentlicht und wurde vor allem durch den Film “Cabin in the Sky” von 1940, in dem die Waters eine Hauptrolle hatte, sowie durch andere, sich immer wieder auf Ethel Waters beziehende Bühnenkünstlerinnen auf die Sängerin aufmerksam, etwa Lena Horne oder Eartha Kitt. Ethel Waters selbst hatte zu Lebzeiten zwei Autobiographien verfasst, “”His Eye Is on the Sparrow” und “To Me It’s Wonderful”. Bournes Aufgabe also war auch ein wenig, die dort enthaltenen Fakten und Geschichten zu verifizieren, in die Gegenwart der gesellschaftlichen und gesellschaftspolitischen Situation zu übersetzen. Er lässt auch die Homosexualität der Waters nicht aus und widmet einen kurzen Absatz dem Thema, wie die Homophobie der Gesellschaft auch das Leben schwuler und lesbischer Bühnenkünstler beeinflusste. Waters war zugleich eine der herausragenden musikalischen Figuren der Harlem renaissance der 1920er Jahre wie auch einer der ersten schwarzen Bühnenstars, die über Hautfarben hinweg ein großes Publikum zog und in den USA wie in England lerühmt und beliebt war. Da Bourne vor allem Filmkritiker ist, sind seine Kapitel zum Filmschaffen der Sängerin die vielleicht interessanteste. Seine Anmerkungen zur Musik sind dagegen eher spärlich, was insbesodnere deshalb schade ist, weil er in seinem Umschlagtext neugierig darauf macht, wie es ihr denn gelungen sei, Songs wie “Dinah”, “Am I Blue”, Stormy Weather” oder “Heat Wave” zu Klassikern zu machen und was genau in ihrem Stil Sängerinnen der nächsten Generation beeinflusst hat. “She gave sophistication and class to the blues and American popular song”, schreibt Bourne im Covertext, doch im Buch selbst finden sich höchstens Daten, Fakten und Histörchen, keine Erklärungen der musikalischen Meisterschaft, kein Zurückverfolgen des gerollten “rrr”s, kein Bezug des Waterschen Stils zum Broadway-Shouter der Vor-1920er Jahre, kein Vergleich ihres Stils etwa mit dem von Bessie Smith. So interessant also auch ihre Karriere als Bühnen- und Filmkünstlerin war, über die Sängerin Ethel Waters bleibt noch genügend Stoff zu schreiben für Forscher, die sich den Kreuzbeziehungen zwischen Blues, Jazz, Musical und frühem Tonfilm annehmen wollen.

(Wolfram Knauer)


 

Jazz Calendiary 2007
von Detlev Schilke
Mit einem Vorwort von Wolf Kampmann
Bad Oeynhausen 2006 (jazzprezzo)
112 Seiten, fester Einbandband mit Wire-O-Bindung
17,5 x 23,5 cm, ISBN 3-9810250-2-4, 14,80 Euro

2007schilkeIn den 50er und 60er Jahren waren Joachim Ernst Berendts Fotokalender Kult. Das Jazz Calendiary könnte ähnlich kultig werden, diesmal nicht als Wand-, sondern als Tischkalender. Das handliche, dank der Spiralbindung leicht zu blätternde Buch enthält auf der linken Seite Schwarzweiß-Fotos des Fotografen Detlev Schilke, für jede Woche eines, und auf der rechten Seite genügend Platz für Termine, Anmerkungen, Notizen. Dickes Papier haben die Kalendermacher benutzt, angenehm rauh und beschreibbar und zugleich hochwertig glossy und damit fotogerecht. Es beginnt mit Junior Cook beim JazzFest Berlin 1990 und endet mit Woody Shaw bei den Leipziger Jazztagen 1987, und zwischendrin findet sich alles, was Rang und Namen hat in der Jazzszene zwischen den späten 80er Jahren und heute. Gary Lucas sitzt mit seiner Gitarre vor einem Wirrwarr an Fußschaltern, Joelle Léandres Schatten spielt ins Mikrophon, Dietmar Diesner dreht sein Saxophon um, Peter Kowald lauscht den eigenen Basstönen (gleich zweimal), Aki Takase entspannt und raucht, ebenso Lester Bowie, Joe Lovano probiert sein Mundstück aus, Bill Dixon seine Trompeten, Archie Shepp denkt nach, Tomasz Stanko prüft das Clip-On-Mikro, von Von Freeman sehen wir nur Instrument und Hosenträger, von Markus Stockhausen die Trompete, Regina Carter und Carla Kihlstedt geigen, Michel Portal und Richard Galliano üben sich in zwiefacher Akkordeonistik, und Wadada Leo Smith spielt Trompete, während er zugleich die Elektronik bedient, mit einem Fußpedal der Marke “Cry Baby”. Genügend Bilder, um durchs Jahr zu kommen, jeden Tag daran erinnert zu werden, dass auch die grauen Tage des Jahres durch Jazz lebendig werden können. Und ich bin mir sicher, dass (was die Buchmacher vielleicht nicht so freut) im Jahr 2008 etliche der wunderbaren Fotos gerahmt an der einen oder anderen Wand ihren Platz finden werden. (Wolfram Knauer)

In the 50s and 60s, Joachim Ernst Berendt’s foto calendars were extremely popular. The Jazz Calendiary could become just as popular, this time not as a wall but as a desk calendar. The handy sized and easily to turn over book contains black and white photographs of the photographer Detlev Schilke on its left side, one for each week, and enough space on the right side for notes about appointments , thoughts or whatever. The pages are made of thick paper, nice to write on, yet high quality and glossy for the pictures. It starts with Junior Cook at the JazzFest Berlin in 1990 and ends with Woody Shaw at the Leipziger Jazztage 1987, and in between you’ll find many big and not so big names from the jazz scene of the late 80s up to today. Gary Lucas sits with his guitar in front of a jumble of cables and pedals, Joelle Léandré’s shadow plays into a microphone, Dietmar Diesner turns his saxophone around, Peter Kowald listens to his own bass notes (and he does it twice), Aki Takase relaxes and smokes a cigarette as does Lester Bowie (but a cigar), Joe Lovano tries out his mouthpiece, Bill Dixon does the same with his trumpets, Archie Shepp thinks, Tomasz Stanko tests his clip-on microphone, of Von Freeman we just see his instrument and his suspenders, of Markus Stockhausen just his trumpet, Regina Carter and Carla Kihlstedt play the violin, Michel Portal and Richard Galliano the accordion, and Wadada Leo Smith plays trumpet while at the same time controlling the electronics using a foot pedal named “Cry Baby”. Enough photos to get through the year, and to remember that even the gray days can be beautiful with jazz. And I am sure that in the year 2008 some of these excellent photos can be found in frames on many walls. (Wolfram Knauer)

Zu beziehen über den Buchhandel oder über www.jazzprezzo.de[:en]How Britain Got the Blues. The Transmission and Reception of American Blues Style in the United Kingdom
von Roberta Freund Schwartz
Aldershot, Hampshire 2007 (Ashgate)
267 Seiten, 60 Britische Pfund
ISBN: 978-0-7546-5580-0

2007schwartzRoberta Freund Schwartz’s Buch hat zwar vordergründig die Rezeption des afro-amerikanischen Blues in Großbritannien zum Thema, doch lassen sich viele ihrer Erkenntnisse zum einen auf den Rest des (zumindest westlichen) Kontinents und zum zweiten bedingt auch auf den Jazz übertragen. Tatsächlich beginnt sie ihre Abhandlung mit einem Kapitel über die Missverständnisse der frühen Jazzrezeption. Sie beschreibt, wie in den 1880er Jahren Tourneen von Minstrelgruppen die Briten neugierig auf schwarze Kultur machten, wie die ersten britischen Tanzkapellen bereits 1898 Ragtimestücke aufnahmen. Sie beschreibt die Auswirkungen, die die Faszination mit dem Jazz spätestens nach dem Besuch der Original Dixieland Jazz Band im Jahr 1919 hatte, dass die Jazzrezeption aber trotz der vielen Swingmusiker im Land weitgehend eine hörende blieb.

Im zweiten Kapitel verfolgt sie die ersten Berührungen des britischen Publikums mit dem Blues, diskutiert, wie das Verständnis des Blues als Wurzel des Jazz in die Ästhetik der Traditionalisten passte, wie sich zugleich ein Interesse am Blues als einem ureigenen Musikgenre entwickelte, Bluesplatten erhältlich waren und schließlich erste Bluesmusiker in Großbritannien auftraten, unter ihnen Big Bill Broonzy.

Kapitel 3 widmet sich mit der Rezeption der ersten Rhythm-‘n’-Blues- sowie der ersten Rock-‘n’-Roll-Platten. Schwartz diskutiert die Skiffle-Bewegung als eine Reaktion dieser amerikanischen Popmusikstile. Die Jahre 1957 bis 1962 analysiert die Autorin als Blues-Revival, 1. Teil, begleitet verschiedene amerikanische Bluesmusiker auf ihrer Englandtournee und zitiert ausführlich aus zeitgenössischen kritischen Reflektionen über sie. Vor allem stellt sie hier die ästhetische Diskussion jener Jahre in den Mittelpunkt, die immer mehr Authentizität forderte, populäre Verarbeitungen des Blues ablehnte und dabei selbst afro-amerikanische Künstler wie Broonzy in Frage stellte. Sie beschreibt die Anfänge einer seriösen Bluesforschung in England und stellt diese in den Kontext der bereits existierenden jazzforschung.

Gegen Mitte der 1960er Jahre gab es einen neuen R&B-Boom, der London, wie Schwartz schreibt, zum “neuen Chicago” machte. In ihrem diesbezüglichen Kapitel auch kommt das American Folk Blues Festival ausführlich zu Sprache, das einen so enormen Einfluss auf die populäre Musik der Insel haben sollte, weil viele junge Rockmusiker hier erstmals ihren afro-amerikanischen Idolen begegneten. Ein weiteres Bluesrevival prägte die zweite Hälfte der 1960er Jahre, bei dem neben den amerikanischen Originalen nun auch ein deutlich erkennbarer britischer Stil abzeichnete. Nicht wenige Autoren sahen in den britischen Aktivitäten eine Chance, die Tradition am Leben zu halten. Das größte Verdienst des Blues aber, schließt Schwartz, sei es wohl, das Element der Improvisation in die Rockmusik einfließen zu lassen.

“How Britain Got the Blues” verfolgt eine geographisch begrenzte Bluesrezeption, und immer wieder mag man sich fragen, ob Feststellungen der Autorin so wohl auch auf Frankreich oder Deutschland zuträfen. Dabei loht sich die Lektüre allemal für jeden, der wissen will, welche Spuren der Blues tatsächlich in Großbritannien hinterließ.

Wolfram Knauer (Mai 2012)


 

The Miles Davis Reader. Interviews and Features from Down Beat Magazine
herausgegeben von Frank Alkyer & Ed Enright & Jason Koransky
New York 2007 (Hal Leonard Books)
356 Seiten, 24,99 US-Dollar
ISBN: 978-1-4234-3076-6

2007alkyerDown Beat ist seit den Mitt-1930er Jahren die wichtigste amerikanische Jazzzeitschrift. Sie begleitete den Mainstream der Jazzentwicklung genauso wie die Umbrüche. Auf ihren Seiten wurden Debatten über die musikalischen Veränderungen genauso geführt wie solche über die soziale und politische Bedeutung des Jazz. Miles Davis begleitete Down Beat seit 1946, als er das erste Mal in einer Besprechung einer Charlie-Parker-Platte erwähnt wurde. Die vielen Features, Interviews, Platten- und Konzertrezensionen und selbst die kleinen Randerwähnungen wurden jetzt in einem Buch zusammengefasst, das durchaus die unterschiedlichen Seiten des Miles Davis wiedergibt: den freundlich-jovialen Menschen (eher selten) genauso wie den zornig-genervten Star. Blindfold-Tests, in denen er die Kollegen herunterputzt, gehören genauso dazu wie recht offenherzige Gespräche über seine musikalische Ästhetik, die sich seiner Meinung nach die Jahre über weit weniger gewandelt hat als manche Jazzfans meinen mögen. In seiner Vollständigkeit ist dieses Buch dabei genauso eine beredte Reflektion über Leben und Werk des Trompeters wie ein Beispiel amerikanischer Jazzkritik und ihres Umgangs mit einem der sicher kontroversesten Figuren, mit den sie es zu tun hatte: einem genialen Musiker, der in seiner Musik Ruhe, in seinem Leben oft genug Unzufriedenheit und Aggression ausstrahlte. Man kann darüber reflektieren, ob das nicht vielleicht zwei notwendige Seiten einer Medaille – zumindest dieser Medaille – sind. Als Aufsatzsammlung lässt das Buch dem Leser die Freiheit, den jeweiligen Standpunkt der Autoren zu erkennen. Die Herausgeber kommentieren nicht weiter, müssen auch nicht weiter kommentieren. Das Buch ist auf jeden Fall eine Fundgrube und ein wunderbares Nachschlagewerk zur Rezeption des großen Miles.

Wolfram Knauer (August 2011)


 

The Original Hot Five Recordings of Louis Armstrong
von Gene H. Anderson
CMS Sourcebooks in American Music, No. 3
Hillsdale/NY 2007 (Pendragon Press)
258 Seiten, 1 Beilage-CD, 32 US-Dollar
ISBN: 978-1-57647-120-3

2007andersonGene Andersons Studie über Louis Armstrongs Hot Five-Aufnahmen wurde in einer Reihe von Quellentexten der College Music Society veröffentlicht, richtet sich aber nicht nur an Lehrer oder Studenten, sondern genauso an den interessierten und musikalisch vorgebildeten Fan. Vorbildung jedenfalls ist hilfreich, da Andersons Buch keine Biographie ist, sondern vor allem die Musik beschreibt und das durchaus in musikalischen Termini, mit unterschiedlichen analytischen Ansätzen und untermauert mit Transkriptionen von Themen und Soli.

Anderson beginnt mit einem Kapitel, das den Ursprung der Band als eine Art Studiokapelle nachzeichnet. Er beleuchtet das private wie berufliche Verhältnis von Louis und Lil Armstrong und vergleicht die Armstrong-Besetzung zu der anderen erfolgreichen Studioband jener Jahre, der Blue Five des Pianisten Clarence Williams.

Bereits im nächsten Kapitel dann geht Anderson in medias res: Er beschreibt die aufgenommenen Titel der ersten (OKeh)-Plattensitzung im Detail, vergleicht die verschiedenen Chorusse und Soli und arbeitet Eigenheiten einzelner Solisten wie auch die Entwicklung der Band heraus. Immer wieder unterbricht er seine analytischen Betrachtungen mit Zeitzeugenaussagen entweder des Trompeters selbst oder seiner Mitmusiker. Neben Struktur, harmonischen, melodischen und rhythmischen Charakteristika betont er dabei auch Momente wie Improvisation, Komposition, Wiederholung – oder aber kommerziellen Erfolg. Jedes von ihm betrachtete Stück erhält dabei zwischen drei und acht Seiten, und zwischendrin führt Anderson den Faden der Karriere Armstrongs, des Erfolgs seiner Aufnahmen und der Popularität seiner Auftritte fort.

Im Anhang des Buchs finden sich neben einer CD mit 20 Titeln Lead-Sheats einzelner Stücke sowie die Erinnerungen zweier Zeitzeugen, Johnny St. Cyr und Edward Kid Ory an die Hot-Five-Aufnahmen.

Anderson untersucht – der Vergleichbarkeit halber – 33 Aufnahmen, die in der Hot-Five-Besetzung entstanden, also nicht die bekannten Meisterwerke wie etwa den “West End Blues” oder “Weather Bird”, die in größerer oder kleinerer Besetzung entstanden. Seine Übersicht beginnt also mit “My Heart” vom November 1925 und endet mit dem “Savoy Blues” vom Dezember 1927.

Sein Buch ist eine intensive Annäherung an Armstrongs Musik, im analytischen Ansatz manchmal etwas zu unkritisch – man weiß also nicht unbedingt immer, warum er bestimmte harmonische, melodische oder formale Entwicklungen heraushebt –, aber ganz gewiss ein nicht nur für Armstrong-Fans sinnvoller Führer durch einige der bedeutendsten Aufnahmen der Jazzgeschichte.

Wolfram Knauer (April 2011)


 

Jazz in München von den 20er bis zu den 80er Jahren
von Hermann Wilhelm & Gisela Kurz
München 2007 (Verlag der Lentner’schen Buchhandlung)
159 Seiten, 1 CD, 29,90 Euro
ISBN: 978-3-981-14984-5

2007wilhelmDer Jazz war immer eine Großstadtmusik, auch wenn einige der innovativen Anregungen durchaus auch aus der Region kamen. Aus München kamen vielleicht weniger die Neutöner, die anfangs eher in Frankfurt, dann in Wuppertal oder Berlin heimisch waren, aber die Szene war immer lebendig, traditionsverbunden und Teil einer Unterhaltungsszene, die es im Jazz nun mal immer brauchte, um die neuesten Entwicklungen zu präsentieren. Herman Wilhelm und Gisela Kurz haben versucht in ihrem Buch der Geschichte des Münchner Jazz von den Anfangstagen bis in die 1980er Jahre gerecht zu werden. Bei ihren Recherchen entdeckten sie seltene Fotos und unterhielten sich mit Zeitzeugen aus allen Jahrzehnten. Es geht los mit Peter Kreuder, den sie mit einer Milieuschilderung der Jazzszene in den 1920er Jahren zitieren. Das erste amerikanische Ensemble sei die Lud Gluskin band gewesen, die 1928 im Luitpoltkino auftrat. Als den Autoren 2004 eine Ausstellung zum Jazz in München im Haidhausen-Museum eröffneten, begegnete ihnen dort ein über 90-jähriger Herr, der, wie sich herausstellte, seit den frühen 1930er Jahren als Trompeter auf der Münchner Szene aktiv gewesen war: Rudolf Ritter, der im Gespräch über das Repertoire jener Jahre genauso spricht wie über Einflüsse amerikanischer Vorbilder, aber auch über seine Erinnerungen an die Nachkriegszeit, die ersten Jazzsendungen im Bayerischen Rundfunk und eine Tournee nach Teheran. Die Skandale um Ernst Kreneks “Jazz”-Oper “Jonny spielt auf” und Josephine Bakers Auftritt im Deutschen Theater führen in ein kurzes Kapitel über die die Unterdrückung des Jazz durch die Nazis sowie ein eigenes Kapitel über Charlie and his Orchestra, jenes vom Reichspropagandaministerium entlohnte Spitzenorchester, in dem auch der Schlagzeuger Freddie Brocksieper mitwirkte. Nach Die Nachkriegszeit wird beschrieben und die ersten Begegnungen mit amerikanischen Soldaten und authentischer amerikanischer Musikkultur, Sessions mit amerikanischen Musikern, an denen Brocksieper, Max Greger und andere junge Münchner Musiker ihren “schwarzen” Sound entwickeln konnten, aber auch das Phänomen des Jazz als Jugendkultur der späten 1940er und frühen 1950er Jahre. Auch der AFN erhält ein Kapitel, durch den Musiker wie Fans neueste Scheiben zu hören bekamen sowie die Aktivitäten des Pianisten Joe Kienemann, der ab 1971 die Jazzredaktion des Bayerischen Rundfunks übernahm. Ein extra Kapitel würdigt den Scatsänger Willi Johanns; vor allem aber werden die Spielstätten für Jazz herausgestellt, Brocksiepers “Studio 15” etwa, das legendäre Domicile, das Spectacle, das Allotria, Jenny’s Place und natürlich die Unterfahrt. Der Fotograf Josef Werkmeister und der Impresario, Zeitungsverleger und Radiogründer Hans Ruland werden ebenfalls ausführlich gewürdigt. Alles in allem enthält das Buch jede Menge Details und Anekdoten einer reichen Jazzgeschichte und allemal genügend Stoff für weitere Fragen und damit wahrscheinlich eine Reihe weiterer Aufsätze oder Bücher. Zusammen mit ähnlichen Dokumentationen über Köln, Frankfurt, Wuppertal, Dortmund und andere deutsche Städte hilft es beim Nachvollziehen insbesondere der Nachkriegsgeschichte des deutschen Jazz.

(Wolfram Knauer)


 

Jazz ohne Ende. 50 Jahre Jazz Club Nienburg
von Horst Friedrichs
Nienburg 2007 (Jazz Club Nienburg)
152 Seiten
IIISBN: 978-3-00-022628-1

2007nienburgDer Jazzclub Nienburg wurde am 2. November 1957 offiziell gegründet, und zu seinem 50sten Geburtstag gönnte er sich eine Chronik. Solche Jazzclub-Memoiren gibt es mittlerweile für etliche Clubs und Städte, und jedes dieser Bücher hat seinen eigenen Charakter – teils kritisch-professionell, teils wohlwollend-familiär, teilweise eine reine Sammlung an Daten und Anekdoten, teilweise der Versuch eines zusammenhängenden Erzählstrangs. Die Geschichte des Jazz-Clubs Nienburg folgt dem letztgenannten Schema. Der Club hat das Glück zu seinen Mitgliedern einen ausgewiesenen Schriftsteller zu zählen, Horst Friedrich, der als Jazzfan und Hobbyposaunist seit 1960 aktives Mitglied des Clubs ist, sein Geld aber mit dem Verfassen von “Spannungsromanen” verdiente, eine hübsche Umschreibung für die Jerry-Cotton-Hefte, die in den 1960er und 1970er Jahren an jedem Kiosk erhältlich waren und auch ihren Weg auf die Filmleinwand fanden. Friedrich also weiß zu erzählen, und er weiß nüchterne Daten mit Leben zu füllen, neben den geschichtlichen Tatsachen auch Atmosphäre zu schildern, die Begeisterung der Fans oder den Umgang mit Bedenken der Anwohner des Vereinslokals. Er erzählt von Konzerten in der Aula der Staatsbauschule und die anschließenden Jam Sessions im Club. Er zeigt Plakate der Zeit und natürlich Fotos der auftretenden Bands, meist Amateurcombos unterschiedlicher Stilrichtungen aus der Region oder aus der Landeshauptstadt Hannover. Der Club organisierte Fahrten zu Konzerten insbesondere amerikanischer Stars in Hannover oder Bremen, manchmal auch nach Hamburg, richtete 1959 aber auch die “Erste Norddeutsche Jazztagung” aus, bei der unter anderem das Gunter Hampel Quartett und die George Maycock Combo spielten. Wie in anderen Clubs auch, gab es Jazz Band Balls. 1966 wurde der erste Jazzkeller des Clubs unter der Nienburger Markthalle abgerissen. Hardy Banzer aber, seit 1960 Vorsitzender des Clubs, plante gerade den Neubau seines eigenen Hauses und plante einfach einen Jazzkeller hinzu. Schon im Dezember 1967 ging es weiter mit dem Konzertleben der Stadt. Neben den Hausbands des Clubs trat hier beispielsweise Monty Sunshine auf. Doch Hausbesitzer Banzer starb 1970, und seine Erben konnten sich mit dem Club nicht über eine Fortführung des Betriebs einigen. Die Mitglieder gingen auf erneute Kellersuche und fanden ein über 350 Jahre altes Gewölbe, das die Stadt dem Club überließ und in dem ab Dezember 1970 Musik erklang. In der Folge gab es Hochs und Tiefs: wunderbare Konzerte, unerwartete Nebenkostennachzahlungen, die zu stemmen waren, 20- und 30-jähriges Jubiläum, den Tod aktiver Mitglieder. 1990 wurde der Kellerraum mit finanzieller Hilfe der Stadt erweitert und erneuert. Nach Friedrichs geschichtlichem Großkapitel folgen persönliche Erinnerungen von Wolfgang Bühmann, Gero Sommerfeld und Peter Lenzner. Eine Bandliste der Internationalen Folk- und Jazztage Nienburg, der Hot Jazz Meetings und anderer Konzertreihen des Clubs gibt einen Überblick über die Programmpolitik. Und ein gesondertes Kapitel widmet sich der Begegnung von Mitgliedern des Jazzclubs im niedersächsischen Nienburg mit Jazzfreunden aus Nienburg an der Saale, mit denen sie kurz nach der Wende ein gemeinsames Jazzfest feierten. Erinnerungen an Konzerte von Fats Domino und Ray Charles beschließen das Buch, das sicher vor allem die Jazzfreunde der niedersächsischen Stadt interessieren wird, daneben aber auch ein wenig zur Dokumentation des Jazzlebens im Nachkriegs-Deutschland beiträgt.

(Wolfram Knauer, Januar 2010)


 

Jazz als problem. Receptie en acceptatie van de jazz in de wederopbouwperiode van Nederland 1945-1952
von Henk Kleinhout
Hengelo 2007 (Elbertinck)
389 Seiten, 24,95 Euro
ISBN: 978-90-8569-54-2

2007kleinhoutHenk Kleinhout untersucht in seiner Dissertation die Rezeption und Akzeptanz des Jazz in der Wideraufbauphase der Niederlande, also den Jahren 1945 bis 1952. In einem ersten Kapitel gibt er dabei einen allgemeinen Überblick über die Jazzgeschichte von den Anfängen bis in die späten 1940er Jahre. Ein zweites Kapitel behandelt knapp die Begeisterung für den Jazz in Europa, vor allem aber auch den Umgang der Niederländer mit Jazz zu Zeiten der deutschen Besatzung. Im nächsten Kapitel befasst er sich mit dem Einfluss amerikanischer und europäischer Bands, die direkt bald dem Krieg in Holland auftraten, Don Redman etwa, Claude Luter, Louis Armstrong, Duke Ellington, Al ‘Fats’ Edwards, Hot Lips Page mit Viola Jefferson sowie Don Gais mit George Johson. Zugleich brach in Holland eine Debatte darüber aus, was nun eigentlich Jazz sei. Hierbei handelte es sich sowohl um eine eher allgemeine ästhetische Debatte über klassische Traditionen, Jazz und was er uns Europäern zu sagen habe, als auch über die Debatte zwischen Modernisten und Traditionalisten, die auch in Frankreich (Stichwort: Charles Delaunay und Hugues Panassie) und den Vereinigten Staaten (Stichwort: modernists vs. moldy figs) stattfand. Ein eigenes Kapitel widmet sich dem Jazzprogramm der holländischen Rundfunkstationen, ein weiteres mit der Plattenproduktion sowie eines mit den Jazzclubs und -vereinen in den Niederlanden. Er beleuchtet die Bedeutung des Jazz für die Jugend jener Jahre, Konflikte zwischen klassicher Musik und Jazz sowie Projekte zwischen Jazz und Bildender Kunst, Jazz und Literatur, Jazz und Film sowie Jazz und Tanz. Im gelingt in vielen Detailschilderungen die Darstellung einer Jazzszene zwischen Aufbruch, Konsolidierung und Abgrenzung, die Darstellung einer Szene, die sich ihre eigenen ästhetischen Wertmaßstäbe aus dem zusammenfügt, was verfügbar ist — durch Konzerte, Rundfunksendungen, Platten, öffentliche Diskussionen. Und ihm gelingt es damit durchaus die Basis für Erklärungsmodelle auch der späteren Jazzentwicklung in den Niederlanden zu legen.

(Wolfram Knauer, Januar 2010)


 

Ethel Waters. Stormy Weather
von Stephen Bourne
Lanham/MD 2007
Scarecrow Press
146 Seiten
ISBN: 978-0-8108-5902-9

2007bourneEthel Waters was eine Sängerin, die irgendwie zwischen allen stilistischen Stühlen der populären Musik des frühen 20sten Jahrhunderts saß: Jazz, Blues, Ragtime, Musical. Autor Stephen Bourne hat bislang vor allem über die schwarze Präsenz auf Leinwand und Bildschirm veröffentlicht und wurde vor allem durch den Film “Cabin in the Sky” von 1940, in dem die Waters eine Hauptrolle hatte, sowie durch andere, sich immer wieder auf Ethel Waters beziehende Bühnenkünstlerinnen auf die Sängerin aufmerksam, etwa Lena Horne oder Eartha Kitt. Ethel Waters selbst hatte zu Lebzeiten zwei Autobiographien verfasst, “”His Eye Is on the Sparrow” und “To Me It’s Wonderful”. Bournes Aufgabe also war auch ein wenig, die dort enthaltenen Fakten und Geschichten zu verifizieren, in die Gegenwart der gesellschaftlichen und gesellschaftspolitischen Situation zu übersetzen. Er lässt auch die Homosexualität der Waters nicht aus und widmet einen kurzen Absatz dem Thema, wie die Homophobie der Gesellschaft auch das Leben schwuler und lesbischer Bühnenkünstler beeinflusste. Waters war zugleich eine der herausragenden musikalischen Figuren der Harlem renaissance der 1920er Jahre wie auch einer der ersten schwarzen Bühnenstars, die über Hautfarben hinweg ein großes Publikum zog und in den USA wie in England lerühmt und beliebt war. Da Bourne vor allem Filmkritiker ist, sind seine Kapitel zum Filmschaffen der Sängerin die vielleicht interessanteste. Seine Anmerkungen zur Musik sind dagegen eher spärlich, was insbesodnere deshalb schade ist, weil er in seinem Umschlagtext neugierig darauf macht, wie es ihr denn gelungen sei, Songs wie “Dinah”, “Am I Blue”, Stormy Weather” oder “Heat Wave” zu Klassikern zu machen und was genau in ihrem Stil Sängerinnen der nächsten Generation beeinflusst hat. “She gave sophistication and class to the blues and American popular song”, schreibt Bourne im Covertext, doch im Buch selbst finden sich höchstens Daten, Fakten und Histörchen, keine Erklärungen der musikalischen Meisterschaft, kein Zurückverfolgen des gerollten “rrr”s, kein Bezug des Waterschen Stils zum Broadway-Shouter der Vor-1920er Jahre, kein Vergleich ihres Stils etwa mit dem von Bessie Smith. So interessant also auch ihre Karriere als Bühnen- und Filmkünstlerin war, über die Sängerin Ethel Waters bleibt noch genügend Stoff zu schreiben für Forscher, die sich den Kreuzbeziehungen zwischen Blues, Jazz, Musical und frühem Tonfilm annehmen wollen.

(Wolfram Knauer)


 

Jazz Calendiary 2007
von Detlev Schilke
Mit einem Vorwort von Wolf Kampmann
Bad Oeynhausen 2006 (jazzprezzo)
112 Seiten, fester Einbandband mit Wire-O-Bindung
17,5 x 23,5 cm, ISBN 3-9810250-2-4, 14,80 Euro

2007schilkeIn den 50er und 60er Jahren waren Joachim Ernst Berendts Fotokalender Kult. Das Jazz Calendiary könnte ähnlich kultig werden, diesmal nicht als Wand-, sondern als Tischkalender. Das handliche, dank der Spiralbindung leicht zu blätternde Buch enthält auf der linken Seite Schwarzweiß-Fotos des Fotografen Detlev Schilke, für jede Woche eines, und auf der rechten Seite genügend Platz für Termine, Anmerkungen, Notizen. Dickes Papier haben die Kalendermacher benutzt, angenehm rauh und beschreibbar und zugleich hochwertig glossy und damit fotogerecht. Es beginnt mit Junior Cook beim JazzFest Berlin 1990 und endet mit Woody Shaw bei den Leipziger Jazztagen 1987, und zwischendrin findet sich alles, was Rang und Namen hat in der Jazzszene zwischen den späten 80er Jahren und heute. Gary Lucas sitzt mit seiner Gitarre vor einem Wirrwarr an Fußschaltern, Joelle Léandres Schatten spielt ins Mikrophon, Dietmar Diesner dreht sein Saxophon um, Peter Kowald lauscht den eigenen Basstönen (gleich zweimal), Aki Takase entspannt und raucht, ebenso Lester Bowie, Joe Lovano probiert sein Mundstück aus, Bill Dixon seine Trompeten, Archie Shepp denkt nach, Tomasz Stanko prüft das Clip-On-Mikro, von Von Freeman sehen wir nur Instrument und Hosenträger, von Markus Stockhausen die Trompete, Regina Carter und Carla Kihlstedt geigen, Michel Portal und Richard Galliano üben sich in zwiefacher Akkordeonistik, und Wadada Leo Smith spielt Trompete, während er zugleich die Elektronik bedient, mit einem Fußpedal der Marke “Cry Baby”. Genügend Bilder, um durchs Jahr zu kommen, jeden Tag daran erinnert zu werden, dass auch die grauen Tage des Jahres durch Jazz lebendig werden können. Und ich bin mir sicher, dass (was die Buchmacher vielleicht nicht so freut) im Jahr 2008 etliche der wunderbaren Fotos gerahmt an der einen oder anderen Wand ihren Platz finden werden. (Wolfram Knauer)

In the 50s and 60s, Joachim Ernst Berendt’s foto calendars were extremely popular. The Jazz Calendiary could become just as popular, this time not as a wall but as a desk calendar. The handy sized and easily to turn over book contains black and white photographs of the photographer Detlev Schilke on its left side, one for each week, and enough space on the right side for notes about appointments , thoughts or whatever. The pages are made of thick paper, nice to write on, yet high quality and glossy for the pictures. It starts with Junior Cook at the JazzFest Berlin in 1990 and ends with Woody Shaw at the Leipziger Jazztage 1987, and in between you’ll find many big and not so big names from the jazz scene of the late 80s up to today. Gary Lucas sits with his guitar in front of a jumble of cables and pedals, Joelle Léandré’s shadow plays into a microphone, Dietmar Diesner turns his saxophone around, Peter Kowald listens to his own bass notes (and he does it twice), Aki Takase relaxes and smokes a cigarette as does Lester Bowie (but a cigar), Joe Lovano tries out his mouthpiece, Bill Dixon does the same with his trumpets, Archie Shepp thinks, Tomasz Stanko tests his clip-on microphone, of Von Freeman we just see his instrument and his suspenders, of Markus Stockhausen just his trumpet, Regina Carter and Carla Kihlstedt play the violin, Michel Portal and Richard Galliano the accordion, and Wadada Leo Smith plays trumpet while at the same time controlling the electronics using a foot pedal named “Cry Baby”. Enough photos to get through the year, and to remember that even the gray days can be beautiful with jazz. And I am sure that in the year 2008 some of these excellent photos can be found in frames on many walls. (Wolfram Knauer)

Zu beziehen über den Buchhandel oder über www.jazzprezzo.de[:]