Gerhard Conrad wurde 1929 im polnischen Szamocin geboren. Nach dem Krieg arbeitete er eine Weile als Lehrer in der Nähe von Leipzig, floh aber Anfang der 1950er Jahre nach Westdeutschland und ließ sich in Menden nieder. Neben seiner Arbeit als Lehrer ist er Jazzforschern vor allem durch seine Veröffentlichungen bekannt, die er im eigenen Verlag „Der Jazzfreund“ herausbrachte, und in denen er immer wieder ein Schlaglicht auch auf die Jazzszene im Osten Deutschlands und in anderen Ländern hinter dem Eisernen Vorhang warf. Dazu gehören Bio-Discographien etwa von Kurt Henkels Heinz Wehner oder Walter Dobschinski, aber auch die mehrbändige „Discographie der Jazz- und Semijazzaufnahmen im Bereich der heutigen Volksdemokratien“ (1982-1991). Conrad verstarb im Jahr 2016.
Conrad pflegte regen Kontakt zum Jazzinstitut und schickte uns regelmäßig Päckchen mit Büchern, Schallplatten, Programmheften, Fotos, Postkarten und Briefen, die er von Musikern aus aller Welt erhalten hatte. Mitte der 1960er Jahre etwa korrespondierte er mit dem Trompeter Doc Cheatham, den er insbesondere über Rex Stewart ausfragte, mit dem Cheatam Anfang der 1930er Jahre zum Beispiel in McKinney’s Cotton Pickers gearbeitet hatte. Ob er das Gefühl hat, Stewart sei unterschätzt, fragt Conrad, und Cheatham meint, keineswegs, man habe ihn immer als einen der Großen gesehen, nur lebe er halt seit einer Weile in Los Angeles, die Musik aber spiele nun mal in New York. Kalifornien, schreibt Cheatham, sei zum Leben sicher schön, musikalisch aber eher ein Friedhof. Ben Webster habe ihn kürzlich gewarnt an die Westküste zu ziehen, wenn er weiterhin vom Musikmachen leben wolle.
Er würde gern in Deutschland spielen, schreibt Cheatham in einem weiteren Brief, aber angesichts des Rock ’n‘ Roll-Craze hätten Jazzmusiker wie er es schwer. Louis Armstrong gehe es glücklicherweise gut, merkt er an, ansonsten sei das Jazzleben in New York schwierig, selbst das Birdland sei zu einer Diskothek geworden, nur am Montag gäbe es dort noch Jam Sessions. New Orleans-Musik, schreibt er, sei eine wunderschöne und ernsthafte Kunstform, leider fühlten sich zahlreiche Bands zurzeit genötigt, diese Musik eher als Burlesque-Persiflage aufzuführen, mit lustigen Hüten und ähnlichem Klimbim. Er selbst habe gerade einen Gig im Eddie Condon’s Club auf der 56th Street mit der Max Kaminsky Band.
Sein letzter Brief stammt vom May 1966. Die Dinge laufen besser, schreibt er, deshalb die lange Pause in der Korrespondenz. Gerade spiele er ein Konzert mit Juanita Hall, danach eine Fernsehshow, außerdem Gigs mit Machitos Band. Es sei schwer, fest zu planen, weil Juanita Hall noch nicht wisse, ob sie die Show weiterspielen wolle, also müssten sie halt nehmen, was reinkommt. Ah, der Kugelschreiber gibt gerade auf, sorry für das Gekratze. OK, Conrad, lass bald wieder von Dir hören. Wie immer, Doc Cheatham.
Doc Cheatham, Brief an Gerhard Conrad, 9. September 1964
Doc Cheatham, Brief an Gerhard Conrad, 28. September 1964
Doc Cheatham, Brief an Gerhard Conrad, 27. Januar 1965
Doc Cheatham, Brief an Gerhard Conrad, 20. April 1965
Doc Cheatham, Brief an Gerhard Conrad, 26. Juli 1966
Doc Cheatham, Brief an Gerhard Conrad, 27. März 1966
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