All posts by admin

Dozentinnen und Dozenten 2025

Corinna Danzer

Foto: Dirk Ostermeier

…  ist Jazzmusikerin und Musikvermittlerin mit gleicher Hingabe. Eine leidenschaftliche Erklärerin aus dem Herzen Europas und zugleich begeisternde Botschafterin der afroamerikanischen Musikgeschichte. Am Tenor- und Altsaxophon zuhause, studierte sie zunächst an der Amsterdam Hoogeschool voor de Kunsten, zog in die Jazzstadt Frankfurt, wo sie 1991 das damals noch frische, heute so begehrte, Arbeitsstipendium für Jazz der Stadt erhielt und – nach einem Intermezzo in New York –, schließlich doch Mainhattan und seiner pulsierenden Szene den Vorzug gab. Danzer spielte dort in dem ihr eigenen zurückhaltendem Gestus und sanfter Intonation mit der Frankfurter „Krem“, Emil Mangelsdorff, Manfred Bründl, Vitold Rek, Thomas Cremer oder Adrian Mears, wirkte in der Bigband des Hessischen Rundfunks bei Konzerten neben internationalen Stars wie Benny Golson, Kenny Burell, Ernie Watts oder Ingrid Jensen mit.

Heute ist Corinna Danzer in vielerlei Hinsicht so etwas wie die Stimme und das Gesicht der freien Jazzpädagogik in Frankfurt. Zwar folgte ihrer Hinwendung Anfang der 2000er Jahre zur „Bühne für die Kleinen“ keine vollständige Abwendung von der Bühne für die Großen, doch häufiger als mit renommierten Kolleg*innen, wie dem Gitarristen Martin Lejeune oder der Pianistin Anke Helfrich, sieht man sie inzwischen in den Schulen der Mainmetropole und des hessischen Umlandes mit ihren außergewöhnlichen musikpädagogischen Projekten.

Mit ihrer von großer Empathie genährten Nahbarkeit, ihrer Authentizität und  Unverstelltheit gelingt es ihr mit Leichtigkeit, das Herz der jüngsten Fans für den Jazz und das Erlebnis Musik zu öffnen. Sie ist eine originelle Entwicklungshelferin in Sachen Jazz, eine begeisterungsfähige Pädagogin und eine mit allen Wassern ihrer künstlerischen Vita gewaschene Musikerin. Dafür wurde sie 2023 mit dem Hessischen Jazzpreis ausgezeichnet.

Über ihren Vorstellungen zum Workshop sagt sie:

„Für den Workshop werde ich einige Stücke aus verschiedenen Epochen zur Auswahl mitbringen, von denen keines in einem Real Book zu finden ist. Wir werden uns die Musik so zu eigen machen, wie es in der Entstehungszeit des Jazz übliche Praxis war: Mit Ohr, Stimme, Herz und Verstand – und Trial and Error. Diese Art zu lernen macht Spaß und sorgt für ein tiefes Verständnis für Form, Rhythmus und Harmonien, und viel Kompetenzzuwachs – gerade auch für die Improvisation.“


Rudi Fischerlehner …

Foto: David Beecroft

…  spielt Schlagzeug in Projekten verschiedener Schattierung von improvisierter und experimenteller Musik, Jazz und Post-Rock. Außerdem schreibt und produziert er Musik für Bands, Filme und Performances. Geboren 1977 in Oberösterreich, beginnt er früh Schlagzeug zu spielen und bekommt Unterricht an Schlagzeug und klassischer Perkussion. Als Teenager beginnt er mit Bands in und um Linz aufzutreten, anschließend zieht er nach  Wien, reist nach Afrika und China, verbringt einige Monate in New York und lebt aktuell in Berlin. Fischerlehner veröffentlichte zwei Schlagzeug-Solo Alben, Spectral Nichts und 15 8 SLUM, spielt oder spielte mit Xenofox, Der Dritte Stand, Fiium Shaarrk, Joke Lanz, Mia Dyberg, Isambard Khroustaliov, dem Julie Sassoon Quartet, Matthias Schubert, Tonia Reeh, Gorilla Mask und vielen anderen zusammen.

Über seine Ideen für den diesjährigen Kurs sagt er folgendes:

„Gemeinsam mit dem Ensemble möchte ich aus freien Improvisationen Klänge, Texturen und Zugänge extrahieren, die dann zusammen mit komponierten Skizzen von mir und den Teilnehmer*innen das Rohmaterial für das Konzert bilden. Davon ausgehend werden wir mit verschiedenen Strategien experimentieren, das so entstandene Vokabular zu einem längeren Set zusammenzufügen – im weiten Spektrum der Möglichkeiten zwischen Spontanität und Arrangement.“


Martin Lejeune …

Foto: 7lue

… studierte Jazzgitarre an der Hochschule der Künste in Amsterdam. 1994 kam er nach Frankfurt, wo er als freischaffender Gitarrist, Komponist und Arrangeur tätig ist. Zudem ist er Lehrbeauftragter der Jazzabteilung der Hochschule für Musik in Mainz und am Peter-Cornelius-Konservatorium der Stadt Mainz. Auftragskompositionen im Bereich der angewandten Musik entstanden unter anderem für Film, Tanz und Hörstück.

Vor allem komponierte er für die Bühne: Wuppertaler Bühnen, Theater Freiburg, Kosmos Theater Wien, Theater Basel, Theaterhaus Frankfurt, Ensemble 9. November, Volksbühne im Großen Hirschgraben, Stalburg-Theater Frankfurt, Neues Theater Höchst, Theater Willy Praml und für das Deutsche Jazzfestival Frankfurt.

Als Gitarrist arbeitete er unter anderem mit der HR Bigband, dem HR Sinfonie Orchester, dem Mahler Chamber Orchestra, dem National Ballett Mannheim, der Neuen Philharmonie Frankfurt, am Schauspiel Frankfurt, am Staatstheater Mainz, bei den Luisenburg-Festspielen Wunsiedel, mit Mikail Aslan, Alfred Harth, John Tchicai, Phill Niblock, Corinna Danzer, Bob Degen, Emil Mangelsdorff, Bändi (Finnish Tango) le jeune matin, dem European Groove Orchestra, den Soul Jazz Dynamiters, No Lega, Charles unlimited und tos les quatre matins.

Neben anderen Auszeichnungen erhielt er 2003 das Arbeitsstipendium Jazz der Stadt Frankfurt. Aktuell: 38. Deutscher Rock & Pop Preis – Bestes Weltmusikalbum 2020 (mit Bändi) und Frankfurter Kinder- und Jugendtheaterpreis Karfunkel 2021 (mit Klaar Kimming)

Über seine Ideen für den diesjährigen Kurs sagt er folgendes:

„Ich möchte mich gerne mit dem freien Spiel und den fließenden Grenzen zu komponiertem Material auseinandersetzen. Das ist angelehnt an mein aktuelles Projekt „tous les quatre matins“. Hierzu wird es hilfreiche Tipps für Improvisationskonzepte geben.“


Athina Kontou

Foto: Thekla Ehling

… wuchs zwischen Athen und Frankfurt auf, studierte Musikwissenschaft in Mainz und Jazz-Kontrabass in Weimar und Leipzig. Die Deutsch-Griechin ist festes Ensemblemitglied bei Luise Volkmanns Été Large, „Trieders Holz“ der Flötistin Conni Trieder sowie dem aktuellen Trio der Berliner Pianistin Julia Kadel. Daneben bewegt sie sich aber auch gerne in der Szene für frei improvisierte Musik. Kontous zentrales Projekt ist ihr eigenes Ensemble „Mother“, mit dem sie die Musiktraditionen ihrer griechischen Heimat mit der Klangsprache des zeitgenössischen Jazz verbindet. Traditionelle Musiken werden bei ihr durch zeitgenössische Klangwelten anreichert und damit eine Atmosphäre kreiert, die intuitiv verständlich und zugleich sehr persönlich ist.

Athina Kontou sucht in ihrer Musik immer nach dem Verbindenden in den verschiedenen Kulturen. Als Grenzgängerin zwischen den Stilen, die tief in Tradition und dem eigenen persönlichen Erleben gründet, strebt sie nach einem neuem Ausdruck in dieser kulturellen Auseinandersetzung. Der Versuch mit „Mother“ einen lebendigen, farbenreichen Klangkörper zu bilden, in dem durch die Intensität des Zusammenspiels und die Sensibilität der Arrangements ein organisches künstlerisches Produkt entsteht, wurde in den vergangenen Jahren mit viel öffentlicher Anerkennung belohnt. Ihr erstes Album „Tzivaeri“ erschien 2022 auf nWog-Records und war 2023 in der Auswahl für den Preis der Deutschen Schallplattenkritik und den Deutschen Jazzpreis. Als Instrumentalistin war Athina Kontou außerdem 2024 für den Deutschen Jazzpreis in der Kategorie „Saiteninstrumente“ nominiert. Sie lebt seit 2021 in Köln und engagiert sich auch kulturpolitisch zum Thema Nachhaltigkeit in der Musikbranche.

Zu ihren Vorstellungen für die Arbeit mit ihrem Ensemble sagt sie folgendes:

„Ich möchte mit dem Ensemble an der Kombination von folkloristischen Melodien/Spielarten und freier Improvisation arbeiten. Außerdem werde ich mit den Teilnehmer*innen das Thema Bandsound bearbeiten und versuchen, in der Woche als Klangkörper zusammenzuwachsen. Ich freue mich auf ein spielerisches Miteinander! Eigenkompositionen und Ideen der Teilnehmer*innen sind herzlich willkommen.“


Uli Partheil

Foto: Oskar Partheil

… ist seit 2021 künstlerischer Leiter der Darmstädter Jazz Conceptions und damit Nachfolger seines langjährigen musikalischen Mentors und Freundes Jürgen Wuchner. Partheil ist einer der aktivsten Protagonisten der Darmstädter Szene, beeinflusst von der Musik Duke Ellingtons, Thelonious Monks, kubanischen Rhythmen und dem Blues. Er ist nicht nur ein versierter Pianist in sämtlichen Stilistiken des Jazz, sondern auch als Komponist tätig. In seinen Werken geht er äußerst kreativ mit den verschiedenen Einflüssen um, die ihn als Musiker prägen.

Uli Partheil studierte an der Mannheimer Musikhochschule unter anderem bei Professor Jörg Reiter Jazzpiano, außerdem Komposition und Arrangement. Seit Beginn der 1990er Jahre arbeitete er mit Jürgen Wuchner, Matthias Schubert, Janusz Stefanski, Ack van Rooyen, Rudi Mahall, Emil Mangelsdorff, Hanns Höhn, Peter Back, dem Wiener Kronenbräu Orchester und vielen anderen zusammen. Als Begleiter ist er auch immer wieder am Staatstheater Darmstadt zu hören. Bis zum Beginn der Pandemie leitete er das von ihm selbst ins Leben gerufene Darmstädter Jugendweltmusikorchester.

Mit seinem Working Trio „Playtime“ ist er in den letzten Jahren mit verschiedenen Literatur- & Jazz-Projekten erfolgreich. Zuletzt veröffentlichte er gemeinsam mit Ulli Jünemann, Ralf Cetto und Angela Frontera den Longplayer „Reflections2020“. Partheil unterrichtet an der Jazz & Pop School und der Akademie für Tonkunst in Darmstadt. Für seine musikalischen Verdienste und sein Wirken für die Förderung des jazzmusikalischen Nachwuchses erhielt er 2008 den Darmstädter Musikpreis.

Über seine Vorstellungen zum diesjährigen Workshop schreibt er folgendes:

Ich möchte wieder versuchen mindestens ein Stück auswendig und ganzheitlich zu erarbeiten, d.h. die Musiker*innen sollen nicht nur ihren Part, sondern das ganze Werk lernen und verstehen. Dazu werde ich eigene Kompositionen und andere ausgewählte Stücke mitbringen.“


Jon Sass …

Foto: Vera Schüller

… scheint als Tuba geboren, schrieb der österreichische Produzent Christian Kolonovits einmal kurioserweise über den Austro-Amerikaner. Sass ist ein Mensch des Dialogs. Als junger Tubist nach Österreich gekommen, war und ist das musikalische Gespräch mit Partnern die wichtigste Basis seiner Musik. Indem er Dialog über alle Generationengrenzen und kulturellen Unterschiede hinweg zum Mittelpunkt macht, transferiert er Gedanken auf die Ebene seiner Sprache, die Musik.

Jon Sass ist ein wahrer Groove-Meister und einer der kreativsten Tubaspieler aller Zeiten. In New York City geboren, wuchs er in Harlem auf und begann mit 14 Jahren Tuba zu spielen. Zwei Wochen nach seinem High-School-Abschluss begann seine professionelle Karriere, die ihn zwischen Boston, Wien und New York pendeln ließ, während er gleichzeitig sein Studium an der Boston University absolvierte. Es war der legendäre Tubist Howard Johnson der Jon Sass‘ europäische Karriere maßgeblich beeinflusste. Johnson empfahl ihn 1979  Matthias Rüegg für dessen Vienna Art Orchestra, und der Student entschied sich aus dem Bauch heraus, nach seinem Universitätsabschluss nach Wien zu ziehen.

Jon spielte und tourte weltweit oder nahm Platten auf mit zahlreichen Topp-Musiker*innen wie Ivan Neville, Vince Mendoza, Ricky Ford, Bobby Shew, Steven Mead, den Kammerorchestern der Wiener und der Berliner Philharmonikern, in Duo-Besetzungen mit Dave Taylor, Arkady Shilkloper und Wolfgang Puschnig. Außerdem spielte er mit Ray Anderson, Michelle Rosewoman, David Murray, Sunny Murray, Butch Morris, Leon Thomas, Peter Erskine, Frank Foster, Erika Stucky, HenryThreadgill, Howard Johnson Heavy Tuba und eben dem Vienna Art Orchestra, wo er unter anderem Jürgen Wuchner kennenlernte. Jon komponiert seine eigene Musik und war auch als Arrangeur unter anderem für die James Brown Horns tätig.

Seit Oktober 2022 unterrichtet Jon Sass Tuba mit Schwerpunkt Jazz und Popular music am JAM LAB MUSIC UNIVERSITY in Wien, vermutlich die einzige universitäre Lehrstelle dieser Art weltweit.

Universal Consciousness [blog]

Spiritualität im Jazz und der Blues vom guten Leben.

Gedanken zum Thema der Konferenz zum 19. Darmstädter Jazzforum vom 25. bis 28. September 2025


Seit 1989, also eigentlich schon ein Jahr länger als das Jazzinstitut Darmstadt selbst (gegründet im Oktober 1990), gibt es das Darmstädter Jazzforum. Der Initiator des ersten Jazzforums, der Gießener Musikwissenschaftler und Jazzmusiker Ekkehard Jost, formulierte den Anspruch der Veranstaltung in einem Vorwort zum ersten Tagungsband als, „einen ersten Versuch, verstreute Forschungsvorhaben und -ergebnisse aufeinander beziehbar zu machen, Erfahrungsaustausch zwischen Musikwissenschaftlern und Musikern zu ermöglichen und eine interessierte Zuhörerschaft über den aktuellen Stand der Jazzforschung – oder doch zumindest einiger seiner Teilbereiche – zu informieren.“ (Ekkehard Jost (Hrsg.): Darmstädter Jazzforum 89. Beiträge zur Jazzforschung. Hofheim 1990, S. 9)

Unter der Leitung von von Wolfram Knauer (17 Ausgaben zwischen 1991 bis 2023) hat sich das Jazzforum nicht nur in seinen Vortragsformen (Referat und Diskussion) stark weiterentwickelt, sondern ist auch viel stärker an den konkreten Aus- und Wechselwirkungen seiner Themensetzungen mit der künstlerischen und sozialen Alltagserfahrung der Menschen innerhalb der Jazzszene interessiert. Seit 2024 lenkt nun Bettina Bohle die Geschicke des Jazzinstituts Darmstadt. Damit wurde auch das Jazzforum noch einmal einem kritischen Blick von außen unterworfen. Für die Ausgabe im September 2025 werden wir am in den letzten Ausgaben unter Wolfram Knauer etablierten Format im wesentlichen festhalten. Insbesondere den Ansatz, ein übergreifendes Thema bzw. eine zentrale Fragestellung in den Mittelpunkt des Jazzforum zu stellen, werden wir absehbar beibehalten.  Ebenso wollen wir Beiträge aus der akademischen Diskussion, von Forschenden, weiterhin in den Mittelpunkt stellen und darüber zur Diskussion einladen. Dabei spielt Interdisziplinarität eine große Rolle: Jazzgeschichtliche  Forschung steht neben musikwissenschaftlicher Analyse und sozialwissenschaftliche Fragestellungen treffen auf kulturpolitische Debatten.

Für das bevorstehende 19. Darmstädter Jazzforum haben wir uns für das Thema „Spiritualität“ entschieden. Warum das so ist, wie unser teaminternen Überlegungen dazu verlaufen sind, welche anderen interessanten Ansätze von außen wir zu diesem Themenfeld entdecken, wollen wir hier vorstellen. Wir werden versuchen, diese Seite regelmäßig mit Beiträgen aus dem Jazzinstitut zu befüllen.

Wir freuen uns dabei auch über Input und Hinweise zu interessanten Aspekte von außerhalb, die wir gerne in Rücksprache mit den Autor*innen und natürlich nach unserer kritischen Betrachtung, gerne an dieser Stelle veröffentlichen.

Die Einsendefrist für eigene Beiträge zum 19. Darmstädter Jazzforum endete am 31.1.2025. 


Im Juni 2024 starteten wir mit folgenden Überlegungen zu „Spiritualität und Jazz“ institutsintern ins Thema.

Juni 2024 von Marie Härtling

Jazz und Spiritualität – ein chronologischer Bogen

Robert Patterson Singers, 1962 (Archiv JID)

Jazz und Spiritualität sind nicht nur auf den zweiten Blick Themen, die eng im Austausch stehen. Begonnen mit der Versklavung und christlichen Missionierung von Afrikaner*innen in Amerika, über das Konvertieren von Jazzmusiker*innen zum Islam in den 1960er und 1970er-Jahren und in die Gegenwart, mit der Frage nach einem achtsamen Leben von Jazz-Musiker*innen.

Spirituals und Gospel

Ihrer ursprünglichen Spiritualität beraubt, beginnen die afrikanischen Sklaven im 19. Jahrhundert sich den Zwang, den christlichen Glauben praktizieren zu müssen, zunutze zu machen. Ohne dafür bestraft zu werden, dürfen sich die Sklav*innen und später die „befreiten“ Sklav*innen in Gottesdiensten treffen. In Spirituals und Gospel verarbeiten sie ihre kollektiven Erfahrungen und führen durch sprachliche Codes in den Liedtexten ihre Oral-History weiter. „Swing low, sweet chariot, coming for to carry me home“, die Liedzeile des berühmten Spirituals der Fisk Jubilee Singers vom Ende des 19. Jahrhunderts, drückt eine Sehnsucht nach den Roots und eine transzendente Verbindung zur Heimat Afrika aus. Gemeinsam praktizierter Glaube wird zu einer der Grundsäulen der Afroamerikanischen Kultur, wirkt sinnstiftend und verspricht Heilung und eine bessere Zukunft. Die Musik, die fester Bestandteil dieser religiösen Rituale ist, wird zu einem Grundstein für die musikalische Bildung der Afroamerikaner*innen und beflügelt die Weiterentwicklung der schwarzen Musik in Amerika, auch den Jazz.

Spiritualität in der Bürgerrechtsbewegung

Mit der Bürgerrechtsbewegung in den 1960er Jahren beginnt eine neue Form des kollektiven Glaubens. Es geht nicht mehr darum, sich durch Assimilation Freiräume zu schaffen, sondern Abgrenzung von „den Unterdrückenden“ soll eigene, selbstbestimmte Räume aufmachen. Dabei spalten sich die Lager. Während der eher christlich spirituell verwurzelte Martin Luther King im Sinne Gandhis den gewaltfreien Widerstand propagiert, macht der ebenso spirituelle Malcom X als Mitglied der Nation of Islam Furore mit seinem Aufruf zur Gewalt. Viele Afroamerikaner*innen konvertieren zum Islam, nicht nur weil sie sich hier der weißen Vorherrschaft entzogen fühlen, sondern auch aus pragmatischen Gründen. So werden Personen mit muslimischen Namen weniger diskriminiert.

Der Sound eines offen spirituell geprägten Jazz

Im Jazz findet ab den 1960er Jahren eine Hinwendung zu musikalischen Traditionen der islamischen und hinduistischen Kultur hin. Der von der Apartheit in Südafrika geprägte Musiker Abdullah Ibrahim (Dollar Brand) kommt in den 1960er Jahren in die USA und konvertiert zum Islam. Gemeinsam mit u.a. Pharoah Sanders, Don Cherry, Alice und John Coltrane, verkörpert er Figuren im Jazz, die sich sehr offen zu ihrer Spiritualität bekennen und das in die Musik einfließen lassen. Zusammenfassend, bietet die Spiritualität den Afroamerikaner*innen einen gemeinsamen Ausweg vor der rassistischen Wirklichkeit.

Forschungsfragen zu Spiritualität und Musik heute

Wirft man einen Blick in die Gegenwart, wird sich mit dem Thema Spiritualität im musikalischen Kontext allgemein gehäuft auseinander gesetzt. Im Band-Kontext wird das Zusammenspiel der Musiker*innen untersucht und nach einem „Band-Spirit“ und „Band-Ritualen“ geforscht. Dabei tauchen Begriffe wie „Atmosphäre“ als Platzhalter auf. Bezogen wird sich hier auf den gesamten Prozess, von der Lehratmosphäre im Musik- und Instrumentalunterricht, über das obengenannte Zusammenspiel von Musiker*innen und das Komponieren von Musikstücken selbst. Besonders während der Corona-Pandemie zeigte sich hier eine Veränderung in der Kompositionsatmosphäre. Viele Musiker*innen äußerten sich zu ihrer entweder sehr hohen oder sehr niedrigen Inspiration durch die Isolation während der Pandemie. Auch das Erlebnis der Hörer*innen wird untersucht. Welche Rituale gibt es, auf Konzertbesuche und das Musikhören generell bezogen und welche Atmosphäre entsteht dabei? Begriffe wie „Music is my Religion“ entstehen bereits in der Techno-Szene der 1990er-Jahre.

Jazz und Improvisation im Blickwinkel der Spiritualität

Bezogen auf den Jazz und die improvisierte Musik wird erforscht, wie sich der „Flow“ des Improvisierens auswirkt, auch auf die seelische Gesundheit der Musiker*innen. Ca. 100 Jahre nach der Entstehung des Jazz unter obengenannten Umständen, fragt man nach den persönlichkeitsbildenden Aspekten, Teil einer Jazz-Szene zu sein. Gibt es einen „Jazz-Spirit“? Wie spirituell ist der Zugang von Musiker*innen zur Jazzmusik und gibt es Punkte, an dem sie durch die Musik ihre eigene Wirklichkeit begründen? Gibt es Menschen die von sich behaupten, „Jazz als Sinn des eigenen Lebens“ zu haben?

Der chronologisch aufgespannte Bogen durch das Sujet „Jazz und Spiritualität“ umfasst eine Fülle an Themen aus verschiedenen Disziplinen und ist nach allen Seiten offen. Die Frage nach dem Sinn, warum gibt es Jazz, warum hört man Jazz, warum spielt man Jazz und was ist eigentlich Jazz, treiben seit Jahrzehnten Musiker*innen, Journalist*innen und Hörer*innen um. Es scheint als gäbe es keine definitive Antwort, nur: da ist einfach irgendetwas, das hat mich eingenommen, daran halte ich fest und ich kann es nicht sehen, aber es ist da.


Juni 2024 von Arndt Weidler

Free Your Spirit – Jazz und Spiritualität

Robert Patterson Singers, 1962 (Archiv JID)

Technologisch, gesellschaftlich und politisch betrachtet, befindet sich die Menschheit derzeit in einem gewaltigen Transformationsprozess. Veränderungen der persönlichen Lebenswelt werden dabei von den allermeisten Menschen weltweit als alltägliche Bedrohung  wahrgenommen. Künstliche Intelligenz, demografischer Wandel, die aggressive Konkurrenz internationaler Beziehungen, Klimakrise, Bedrohungen der Biodiversität oder der ungleiche Zugang zu gesellschaftlichen und natürlichen Ressourcen überfordern dabei ein balanciertes Empfinden für die Bewertung persönlicher Handlungsmacht der Individuen.

Grausame Realität vs. Heilende Parallelwelten

Liegt da nicht der Rückzug aus der erlebten Realität und der Übertritt in künstlich geschaffene oder transzendentale Erfahrungswelten nahe; der Rückzug in eine Welt, die, wenn nicht ideal, so doch scheinbar unberührt und verlässlich bleibt, ganz gleich wie tiefgreifend und nachhaltig sich die Wirklichkeit verändert?

Diese Welt kann einerseits im virtuellen Parallelraum liegen – Individuen handeln und interagieren dort als Avatare oder Pseudonyme (Stichwort „Metaverse“) – oder eben in einer spirituellen Sphäre, in jener geistigen Meta-Ebene also, die – enthoben von der Alltäglichkeit kognitiver und biophysikalischer Immanenz – Transzendenz, Übersinnliches, Irrationales zulässt.

Perspektivwechsel fürs nächste Jazzforum?

Wir haben bei unseren letzten Jazzforen viel darüber nachgedacht, inwieweit eine transformationsoffene Musik wie der Jazz, zu dessen Kernelementen die Improvisation, die Innovation und die Interaktion, aber auch die besondere, kunstbezogene Haltung und die kultursoziologische Erfahrung der sich in diesem Kontext bewegenden Akteur*innen zählen, mit den globalen Entwicklungen moderner Gesellschaften resonieren. Wie politisch ist der Jazz? Wie geht er mit Forderungen nach geschlechtlicher Gleichstellung (gender equity) oder der Repräsentanz ethnischer und sozialer Diversität um? Welche Verantwortung tragen Kulturschaffende und Kreative? Ist die musikalische Praxis, die Art und Weise wie Musiker*innen Jazz interpretieren, ihr persönlicher Kommentar zur selbst erlebten Realität?

Wir sind also immer davon ausgegangen, dass die Musiker*innen proaktiv auf Veränderungen ihrer Umwelt reagieren, nicht nur um diese nachvollziehbar, künstlerisch zu spiegeln, sondern vielfach sogar, um sie bewusst zu verändern.

Aber kann es nicht auch umgekehrt sein, dass sich der Transformationsdruck der Gesellschaft auch auf die Kreativen niederschlägt; dass der Rückzug aus der erlebten Realität, die ja ganz praktisch für viele Jazzmusiker*innen hart genug ist, auch hier stattfindet? Vielleicht ist ja die Erschaffung eines Kunstwerks, dass nur für sich Selbst steht, gespeist aus der „Energie“ eines Individuums, allein ausreichender Antrieb künstlerischer Produktivität? Welche Rolle spielen Konstrukte wie „neue Innerlichkeit“, „Selbstfindung“, „kosmische Ordnung“ als Quelle der Inspiration beim Erschaffen neuer Musik und in der Aufführungspraxis?

Spiritualität beschäftigt den Jazz immer schon

Die Rückbesinnung auf, die Hinwendung zu oder die „Flucht“ in die Spiritualität (je nach Perspektive) hat schließlich historisch immer eine Rolle gespielt, ganz besonders auch in der slave culture beider Amerikas zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert: Da geht es um die Bewahrung oder Adaption echter oder vermeintlicher Rituale der afrikanischen „Heimat“, aber auch um Widerständigkeit im gewalttätigen und willkürhaften Unterdrückungssystem der Sklaverei, der Segregation und der Zwangschristianisierung. Musikalischen und kulturellen Ausdruck findet das in Field Songs, Spirituals und Gospelmusik, in Mardi Gras und Okkultismus, im Country Blues als devils music, in „unchristlicher“ Soulmusik, bis hin zum Sprengen der (jazz)musikalischen Konventionen durch Free Jazz im Sinne Ornette Colemans, dem surrealen Impetus des Afrofuturismus eines Sun Ra Arkestra oder dem frenetisch Transzendentalen einer Alice Coltrane bis hin zu Kamasi Washington.

Was würde mich bei dem Thema interessieren?

Mit welchen Themen könnte sich also ein Jazzforum befassen, das das Spannungsverhältnis oder eben die Symbiose von Spiritualität und Jazz behandelt?

Musik- und Sozialhistorisch:

  • Analysen zur „afrikanischen“ Ritualität in klassischen Sprituals
  • Schaffung von Spiritualität durch call-and-response-Muster in Gospel und Blues
  • Bedeutung von Spiritualität und „devianter“ Religionen für schwarze US-amerikanische Musiker*innen anhand von Beispielen: Dizzy Gillespie, Art Blakey, Yusef A. Lateef, John & Alice Coltrane, Benny Golson, Al Jarreau u.a.

Musikwissenschaftlich

  • Einflüsse als besonders spirituell wahrgenommener Musiken des Orients oder Südostasiens auf Schaffensphasen einzelner Musiker*innen
  • Veränderungen des Personalstils unter dem Einfluss veränderter oder wachsender Religiosität
  • Auswirkungen auf Bandsound oder Interaktion im Bandkontext durch spirituell geprägte Rituale

Philosophisch

  • Musik als Lebenssinn oder sinnveränderndes Medium
  • Jazz als ideale Imagination vom „guten Leben“
  • Sind „gutes“ Leben und „verantwortliches“ Leben dasselbe? Hedonismus versus Ethik

Psychologisch

  • Seelische Heilung durch Musik
  • Aufbau von psycho-sozialer Resilienz durch Förderung besonderer (musikalischer) Talente
  • „Kopfkino“ als Antrieb künstlerischer Produktivität

Soziologisch

  • Die Rolle religiös vorgeprägter Musiker*innen-Netzwerke
  • Der Einfluss der Institution Kirche auf die Entwicklung und Verbreitung des Jazz

Juni 2024 von Bettina Bohle

Sinnsucher*innen – Jazz, Spiritualität und das gute Leben

Robert Patterson Singers, 1962 (Archiv JID)

„God is a DJ!“ – Der Liedtitel der britischen Band Faithless aus den 1990er Jahren ist längst zu einem geflügelten Wort geworden. Er greift die zentralen Themen und Fragestellungen des diesjährigen Darmstädter Jazzforums auf: die Verbindung zwischen Musik, Spiritualität und der Suche nach Sinn.

Viele Jazzmusikerinnen waren religiös oder sahen ihre Musik in einem spirituellen oder metaphysischen Kontext. John Coltrane etwa widmete „A Love Supreme“ seiner tief empfundenen Gotteserfahrung, während Sun Ra mit seiner kosmischen Philosophie eine ganz eigene spirituelle Welt erschuf. Diese Dimensionen des Jazz spiegeln eine existenzielle Sinnsuche wider – eine Suche, die sowohl Musikerinnen als auch Hörer*innen berührt.

Die Fragen nach dem Sinn des Lebens, dem Glauben an eine höhere Instanz und dem eigenen Platz im Universum sind so alt wie die Menschheit selbst. Während sie früher oft mit dem Jenseits und der Vorbereitung auf das ewige Leben verbunden waren, geht es heute verstärkt um die Gestaltung eines erfüllten, sinnhaften Lebens im Hier und Jetzt. Dabei rückt das Verständnis des Menschen als Teil einer umfassenden, lebendigen Gemeinschaft in den Fokus. Mit der Sehnsucht nach etwas Ursprünglichem und Authentischem verbindet sich häufig auch eine gewisse Skepsis gegenüber Rationalität und Technisierung – ein Spannungsfeld, das eng mit dem Begriff der Spiritualität verknüpft ist.

Kunst spielte seit jeher eine zentrale Rolle in rituellen, spirituellen und religiösen Zusammenhängen. Jazz als offenes, improvisationsgetriebenes und global vernetztes Musikgenre bietet sich in besonderem Maße für diese Form der Sinnsuche an. Improvisation bedeutet, im Moment zu sein – in direkter Interaktion mit Mitmusiker*innen und Publikum. Jazzgeschichte ist zudem eng mit der afroamerikanischen Erfahrung verknüpft: Ursprünglich als Musik der Unterdrückten entstanden, formuliert Jazz eine Utopie des Miteinanders und kann als Weg des Widerstands und der Hoffnung verstanden werden.

Ein weiteres zentrales Thema ist die Verbindung von Körper und Geist. Der lateinische Begriff „spiritus“ verweist sowohl auf Atem als auch auf Geist – eine Dualität, die in der Musik spürbar wird. Gerade in Zeiten zunehmender gesellschaftlicher Fragmentierung, Technisierung und schwindender direkter menschlicher Interaktion wird der Wunsch nach gemeinschaftlichen Erlebnissen immer deutlicher. Die wachsende Beliebtheit von Live-Konzerten oder der Ansturm auf Sonderausstellungen in Museen zeigen, wie sehr Menschen nach geteilter Erfahrung, nach Sinn und Zusammenhalt suchen – aber auch nach Eskapismus. Kultur übernimmt hier eine Funktion, die früher oft Religionen zugeschrieben wurde. Besonders während der Corona-Pandemie wurde die verbindende Kraft von Musik und Kunst schmerzlich vermisst – und ihre Bedeutung umso bewusster wahrgenommen.

Auch Utopien und Zukunftsvisionen spielen eine Rolle in diesem Kontext. Immer wieder entwirft Kunst alternative Gesellschaftsentwürfe, die nicht selten eine kritische Auseinandersetzung mit den bestehenden Verhältnissen enthalten. In diesem Spannungsfeld zwischen Jazz, Spiritualität und gesellschaftlicher Reflexion setzt das Darmstädter Jazzforum 2025 an. Es lädt dazu ein, die vielfältigen Facetten dieser Sinnsuche zu erkunden und die tiefgehenden Wechselwirkungen zwischen Musik, Spiritualität, Transzendenz und dem guten Leben zu reflektieren.

APE OUT – Die perfekte Symbiose von Jazz und Videospiel?

Autor: Oliver Gries

[Trigger-Warnung: Die eingebetteten Inhalte (Trailer) enthalten Darstellungen physischer Gewalt! Minderjährige oder Personen, für die derlei explizite Darstellungen emotional belastend sein könnten, bitten wir von der Ansicht der Videos Abstand zu nehmen.]

Improvisierte Musik im bewegten Bild

Die Gattung Jazz ist in seiner gesamten Laufbahn des Öfteren mit anderen medialen Formen in Kontakt getreten. Dabei ist gerade die Beziehung zwischen Jazz und Film über die Jahre recht intim geworden; sowohl bei Klassikern wie „Anatomie eines Mordes“ (1959), als auch bei moderneren Produktionen wie „Midnight in Paris“ (2011) scheint der Jazz regelrecht in der DNA verbaut zu sein. Kein Wunder: Das immense Potential des Jazz, in seiner Komplexität und improvisatorischen Vielfalt, klimatische Spannung und emotionale Höhepunkte zu erzeugen, bietet in vielerlei Hinsicht eine ideale Passform für das Medium des Films. In manchen Fällen rücken zwar musikalische Kernaspekte wie eben diese Spontanität, Improvisation, Liveness etc. zwangsläufig in den Hintergrund und entfalten sich wenn überhaupt nur begrenzt, sofern die Handlung des Films es ihnen abverlangt.

Auf der anderen Seite gibt es aber auch Beispiele für den vordergründigen Einsatz von improvisatorischer Musik im Film, beispielsweise in der Gattung Stummfilm oder bei Produktionen wie Louis Malles „Fahrstuhl zum Schafott“ (1958), für welchen Miles Davis in nur einer Nacht den kompletten Soundtrack improvisierte und aufnahm, oder Alejandro G. Iñárritus „Birdman“ (2014), bei dem der Schlagzeuger Antonio Sánchez ganze Szenen in seinen Improvisationen adaptierte. Dazu kommentierte er: „The movie fed on the drums and the drums fed on the imagery.“

Vertonungen im Videospiel

Doch welchen Stellenwert findet der Jazz denn nun im Medium des Videospiels? Eigentlich könnte man ja meinen, dass sich besagtes Medium, mit seinem de-facto inhärenten Augenmerk auf Interaktivität und Spontanität, für eine Fusion mit dieser Gattung Musik regelrecht anbieten würde. Doch – wie es im diskursiven Rahmen des Videospiel-Journalismus bereits diskutiert wurde – waren Jazz-Soundtracks in Spielen bis vor relativ kurzer Zeit noch eine relative Seltenheit. Die potentiellen Gründe reichen dabei von der vergleichsweise jungen Existenz des Mediums bis hin zu den dominanten kulturellen Strömungen während seiner Entwicklung.

Inzwischen gibt es glücklicherweise eine Vielzahl nennenswerter Spiele, die teilweise oder maßgeblich Jazz-basierte Soundtracks aufweisen, von großen AAA-Produktionen wie „Super Mario Odyssey“ (2017) bis zu originellen Indie-Spielen wie „Cuphead“ (2017). Die Art und Weise der Implementation des Jazz variiert dabei in beträchtlichem Ausmaß von Spiel zu Spiel, mit unterschiedlichem Fokus auf Genre, Stil, (historischer) Repräsentation usw. Allerdings unterscheiden sich hier die Arten der Implementation des Jazz im Vergleich zu jenen im Film in vielen Fällen recht geringfügig. Dies mag wenig verwunderlich sein, wenn man bedenkt, wie prägend der Einfluss des Films auf den Werdegang des Videospiels war und weiterhin ist; aber existiert da nicht Potential, welches geradezu darum bettelt, ausgeschöpft zu werden? Videospiele haben über die Jahre eine Unzahl an technologisch beeindruckenden Innovationen präsentiert, darunter Systeme prozeduraler Generierung von Animationen, Figuren und sogar ganzen Spielwelten. Warum nicht auch von Musik? Ist es überhaupt möglich, ein Spiel seinen Soundtrack in Echtzeit generieren bzw. „improvisieren“ zu lassen?

Improvisierte Musik im Videospiel APE OUT

Im Lichte dieser Problematik möchte ich an dieser Stelle ein denkwürdiges, interaktives Kunstwerk in den Vordergrund rücken: Das 2019 von Devolver Digital veröffentlichte Videospiel APE OUT.

Wie es vom obigen Trailer wahrscheinlich bereits zu erahnen ist, ist APE OUT in konzeptueller Hinsicht recht simpel: Der/die Spielende versetzt sich in die Position eines Gorillas, welcher wiederholt von Menschen gefangen und eingesperrt wird und sich daraufhin immer wieder mit Gewalt befreien muss. In diesem kurzen und bündigen Handlungsspielraum hat der Protagonist nur eine begrenzte Anzahl an Möglichkeiten, mit der virtuellen Welt zu kommunizieren: Laufen,  Greifen und Werfen. Trotz dieser mechanischen Simplizität bietet APE OUT durch diverse Techniken prozeduraler Level-Generierung und Gegner-Positionierung eine große Vielfalt an möglichen Szenarien und Abläufen, welche dem/der Spielenden immerzu unterschiedliche Herausforderungen in den Weg stellen.

Und hierin liegt auch auf der Ebene des Soundtracks das Kernelement, durch welches APE OUT sich von dem Großteil seiner medialen Artgenossen abhebt: Ein immenses Ausmaß an adaptiver Interaktivität. Nicht nur nimmt jeder erzielte Kill seitens des/der Spielenden durch einen plötzlich ertönenden Beckenschlag einen unmittelbaren Einfluss auf den Soundtrack; der Soundtrack passt sich in seiner Struktur und Intensität von Moment zu Moment an eine Vielzahl unvorhersehbarer Variablen an – sei es eine große Anzahl an Gegnern, die in kurzer Zeit getötet wurden, oder so etwas subtiles wie das Material des Bodens, auf welchem der Gorilla sich bewegt. Um diese Funktionalität zu ermöglichen, nutzte der Komponist Matt Boch eine Machine-learning – Technologie namens variational autoencoder neural network, welche aus Bochs vorher komponiertem und gesampletem Tonmaterial dynamisch neue Tonspuren generiert. Dadurch wird garantiert, dass jeder individuelle Playthrough von APE OUT von einem individualisierten Soundtrack begleitet wird. Hierbei kann durchaus – wie es Forscher*innen und Komponist*innen experimenteller Computermusik wie Joel Chadabe und George E. Lewis in vergleichbaren Fällen bereits getan haben[1] – von einem Beispiel „interaktiver Komposition“ gesprochen werden. Lewis spricht im Bezug auf etwaige Interaktivitäten zwischen Mensch und Computer auch mitunter von einer „dialogischen“ Improvisation zwischen den zwei Entitäten und wirft interessante Fragen im Bezug auf die Hierarchie zwischen menschlicher Intention und maschineller Programmation auf.[2]

Doch ist das, was APE OUT uns bietet, bereits „richtige“ Improvisation? Die Frage zieht direkte Parellelen zur Debatte um „Künstliche Intelligenz“, und ob von ihr erzeugte Produkte in ihrem Stellenwert verglichen werden können mit menschlicher Intention, menschlicher Arbeit, menschlicher Kunst usw. Das neuronale Netzwerk, welches den Soundtrack von APE OUT generiert – so eindrucksvoll dieser Prozess auch sein mag – bezieht sich schließlich ebenfalls auf bereits komponiertes Material; ist das folglich nicht mehr Imitation und Variation als Improvisation? Spätestens an dieser Stelle der Diskussion kommt meistens jemand daher, der die ganze Prämisse „originaler Improvisation“ in Frage stellt und entgegnet, dass alle menschengemachte Kunst in irgendeiner Form iterativ sei; dass „richtige“ Improvisation nur ein Ideal, aber keine Wirklichkeit sein kann. Diese Debatte, so spannend sie auch ist, sprengt leider nicht nur den Rahmen dieses Beitrags, sondern scheint für jetzt (und, seien wir ehrlich, in absehbarer Zukunft) keinen konkreten Schlussstrich zu erlangen.

Aber einen Soundtrack lupenreiner, wahrhaftiger Improvisation zu erzeugen war von vorneherein nie APE OUT’s ausdrücklicher Anspruch; nach eigenen Angaben des Entwicklers Gabe Cuzzillo[3] war das gesamte Konzept seines Spiels maßgeblich von Pharoah Sanders’ Stück „You’ve Got to Have Freedom“ – welches auch in der Endszene des Spiels ertönt – inspiriert. Geradezu „besessen“ von der entfesselten, schieren Unberechenbarkeit des Stücks wollte er ein Spiel kreieren, welches es schafft, die von ihm wahrgenommene „wilde, tierhafte“ Katharsis des Stücks zu verkörpern.[4] Dieser Zielsatz inspirierte sämtliche stilistischen Eigenschaften des Spiels – vom abstrakten, Saul Bass-esken[5] Kunststil bis hin zum hochoktanigen Schlagzeug-Soundtrack.

Auch im Launch-Trailer des Spiels kommt Sanders’ Stück recht prominent zur Geltung

Kritische Betrachtung der Wahl des Protagonisten von APE OUT (oder: „Warum ein Gorilla?“)

Es ist auch eben dieses Konzept des „Tierhaften“, welches APE OUT in den Augen einiger problematisieren dürfte: Die Tatsache, dass der Hauptcharakter dieses dediziert auf Jazz (und damit auf „schwarzer Musik“) basierenden Spiels ein Gorilla ist, weckt für einige sicherlich unangenehme Erinnerungen an den rassistischen Stereotyp des Vergleichs von schwarzen Menschen mit Affen. Selbst wenn die Message des Spiels eine prinzipiell emanzipatorische sein mag, ist dies dennoch eine potentiell strittige artistic choice, welche zwar nicht in böswilliger Absicht erfolgt sein mag, aber sich dennoch in eine lange Tradition rassifizierter Stereotypisierung einfügt. Dies soll jetzt nicht die besprochenen Errungenschaften von APE OUT klein reden, sondern ist schlichtweg eine Anerkennung der Existenz des Kunstwerks im weiteren Kontext der strukturell rassistischen Gesellschaft, in welcher es entstanden ist.

Impro or no Impro? Abschließende Gedanken

Aber – um noch einmal auf die Problematik vom Anfang des Beitrags zurückzukommen – schafft es APE OUT, sich den Jazz nicht lediglich als Begleitmusik nutzbar zu machen, sondern ihn gleichberechtigt in den Vordergrund zu rücken? Die Antwort auf diese Frage ist – man verzeihe mir die formelhafte Bemerkung – natürlich erst einmal Ansichtssache. Sie hängt davon ab, welche Facetten des Jazz man als besonders wichtig wahrnimmt, sei es die Unmittelbarkeit, die Spontanität, die Improvisation und weitere Faktoren. Es kann APE OUT diesbezüglich zumindest eines angerechnet werden: Dass es besagten Aspekten und Idealen in solch einem Ausmaß entgegenkommt, dass es in seinem Medium als definitive Besonderheit hervorsticht. Die adaptive Echtzeit-Generation eines Spiele-Soundtracks auf solch einem Level an Qualität und Variabilität, wie APE OUT sie erzielt, birgt meines Erachtens immenses Potential für die Zukunft der Komposition interaktiver Musik – und vielleicht, mit etwas Glück, auch endlich einen künstlerisch tatsächlich wertvollen Verwendungszweck für KI.


[1]Born_Georgina_2017_Improvisation_and_Social_Aesthetics_p91-109

[2]Born_Georgina_2017_Improvisation_and_Social_Aesthetics_p105

[3]https://www.gamedeveloper.com/design/road-to-the-student-igf-gabe-cuzzillo-s-i-ape-out-i-; https://www.gamereactor.de/video/309103/Ape+Out+-+Gabe+Cuzzillo+Interview/

[4]Vgl. https://www.gamereactor.de/video/309103/Ape+Out+-+Gabe+Cuzzillo+Interview/ & https://www.gamedeveloper.com/design/road-to-the-student-igf-gabe-cuzzillo-s-i-ape-out-i-

[5]Aus dem Interview von Gabe Cuzzillo auf der Webseite Game Developer: „The soundtrack is a series of jazz drum solos. I hope the music emphasizes the improvisational, animal feeling of the game, as well as fits aesthetically with the Saul Bass-inspired art. The song “You’ve Got To Have Freedom“ by Pharoah Sanders inspired lot of the feel of the game.“ URL: https://www.gamedeveloper.com/design/road-to-the-student-igf-gabe-cuzzillo-s-i-ape-out-i-



Der Autor, Oliver Gries, ist Student der Musikwissenschaft und Amerikanistik an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Er hat im September und Oktober 2024 ein studentisches Praktikum im Jazzinstitut Darmstadt absolviert. Der Text verbindet Olivers persönliche Leidenschaften für Games und Jazzmusik – und er war das Resultat spannender Diskussionen, die wir im Jazzinstitut mit ihm über die Möglichkeiten und Beschränkungen der Verwendung improvisierter Musik im Kontext intuitiver Visualisierung wie sie bei Computerspielen eingesetzt wird, geführt haben.

UNIVERSAL CONSCIOUSNESS

19th Darmstadt Jazzforum (24th to 28th September, 2025)

Jazz, spirituality, and the Blues of good life

A music that is open to change, like jazz, most certainly reflects global societal developments. These aspects had been already discussed in previous editions of the Darmstadt Jazzforum. But how does social change influence artistic outcome and the so called jazz scene? How do individual musicians or collectives react to historical strains? Do they actively shape them or do they withdraw? The 2025 Jazzforum deals with the artistic and the spiritual exploration in jazz – in history and present – and investigates related artistic and social practices.

Music has always played a central role in spiritual and ritual contexts. Call-and-response structures, found in many musical traditions, foster dialogue and community, often symbolizing spiritual connectedness. Music acts as a medium of inspiration and communication and can become a physical experience through dance and movement.

Many African-American musicians have used spiritual musical forms – from spirituals and gospel to free jazz – as a means of resistance against racism and discrimination. This spiritual resilience has profoundly shaped jazz's development. As an open and improvisational genre with a strong live performance element, jazz continues to provide a space for diverse spiritual and reflective quests.

Inspired by the song "Universal Conciousness" of Alice Coltrane, our Jazzforum 2025, which takes place from 25th to 28th of September in Darmstadt, will try to illuminate historic and current (artistic) reflections.

Read on: In our Blog for the Jazzforum, we gather scattered thoughts on the theme of spirituality and jazz, pose potential questions related to the topic, and regularly update readers on the event’s progress and special formats planned for the 19th Darmstadt Jazzforum.

Feel invited of being part of the Darmstadt Jazzforum 2025

For the 19th Darmstadt Jazzforum, musicians, scholars, organizers, journalists, music educators, and other interested parties were invited to submit contributions through a public call.

We encourage universities to include the Jazzforum as a credit-bearing course in their semester planning. Student contributions can be integrated by arrangement, and we offer support for course preparation to the extent possible.

  • If you are interested in taking part in the conference as a visitor please write an e-mail to jazzforum@jazzinstitut.de.

Questions or need for support, please address:
Bettina Bohle, Tel. +49 6151 963740
or
Arndt Weidler, Tel. +49 6151 963744

Accessibility

We strive for all venues and formats to be accessible to all. If you require support for participation, please contact us.

Jazz Conceptions (small print)

Anmeldungen:

+++ Aufgrund der sehr großen Nachfrage sind derzeit nur noch wenige Anmeldungen für Piano, Schlagzeug, Streich- und/oder Blechblasinstrumente möglich. +++

+++ Holzbläser*innen, Bassist*innen und Gitarrist*innen können sich gerne weiterhin registrieren, werden aber leider nur noch auf eine Warteliste gesetzt.  +++    


Die Darmstädter Jazz Conceptions finden traditionell in der ersten Woche der hessischen Sommerferien statt. Aus organisatorischen Gründen ist eine Anmeldung erst möglich, wenn alle Dozentinnen und Dozenten feststehen und auch Veranstaltungsorte, Räumlichkeiten und Abläufe abschließend von den veranstaltenden Einrichtungen, Jazzinstitut Darmstadt und Bessunger Knabenschule geklärt sind.  In der Regel können sich Interessierte ab Anfang April über ein Online-Formular (siehe unten) anmelden. Für Fragen, die hier nicht beantwortet werden können, stehen wir gerne zur Verfügung.

WICHTIG: Wir empfehlen allen Interessierten, die sich fragen, ob ihr instrumentales Können für die Teilnahme am Kurs ausreicht, den ausführlichen Beschreibungstext durchzulesen. Sollten Zweifel oder Fragen bestehen, sollte man sich vor einer Anmeldung bitte unbedingt zunächst mit dem künstlerischen Leiter der Jazz Conceptions, Uli Partheil, kurzschließen.

Neues Raumkonzept:

Seit der zurückliegenden Pandemie gehören dezentrale, ausreichend große und gut belüftete Proberäume für die Kurse dazu. Neben der Halle und zwei weiteren Räumen in der Bessunger Knabenschule stehen uns drei Probenräume in der nahe gelegenen Akademie für Tonkunst zur Verfügung. Alle geselligen Teile der Veranstaltung, gemeinsames Frühstück und Mittagessen oder auch die abendlichen Sessions finden soweit möglich unter freiem Himmel statt.

Teilnehmerzahl:

Die unterschiedlichen Erfahrungen der vergangenen Jahre haben auch dauerhafte Veränderungen zur Folge. Dazu gehört vor allem die Begrenzung der Zahl der Musiker*innen pro Ensemble auf möglichst nicht mehr als acht Teilnehmende; davon in der Regel ein Piano, ein Schlagzeug, ein Bass und fünf weitere Instrumente. Die Teilnehmerzahl der Jazz Conceptions wird insgesamt auf maximal 50 begrenzt.

Das ist weniger als in den Jahren vor Corona, aber wir – und vor allem die Teilnehmenden – haben kleinere Ensembles als individuell vorteilhaft und musikalisch fruchtbar  wahrgenommen.  Wir hoffen auf das Verständnis derjenigen, die dadurch möglicherweise nicht zum Zuge kommen.

Teilnahmemöglichkeit:

Es können Musikerinnen und Musiker aller Instrumente teilnehmen, auch Vokalist*innen sind willkommen! Aus allen Teilnehmenden werden sechs gemischte Ensembles gebildet, die von je einem Dozenten oder einer Dozentin geleitet werden. Die Ensembles bleiben die ganze Woche zusammen und erarbeiten gemeinsam ein etwa 20minütiges Konzertprogramm. Bei den Instrumenten Piano, Gitarre, Bass und Schlagzeug die Zahl der Plätze daher auf jeweils sechs insgesamt beschränkt. Darüber hinaus gehende Anfragen für eine Teilnahme nehmen wir aber gerne auf eine Warteliste.

Im Zweifelsfall sollte man vor der Online-Anmeldung bitte kurz telefonisch Kontakt mit Uli Partheil  aufnehmen, Tel. 06151 665138, oder eine E-Mail senden (siehe auch oben „Anmeldungen“).

Kosten:

Die Teilnahme am Kurs kostet 250 Euro; für Nichtverdienende* 125 Euro. In der Kursgebühr sind keine Kosten für Unterkunft oder Verpflegung enthalten.

Die Kursgebühr sollte möglichst rasch nach der Bestätigung der Anmeldung auf das Konto der Bessunger Knabenschule überwiesen werden. Allerspätestens 28 Tage vor Kursbeginn. Erst nach Eingang der Kursgebühr ist die Anmeldung gültig.

Bessunger Knabenschule, IBAN: DE46 5085 0150 0008 0006 54 (Stadt- und Kreissparkasse Darmstadt, BIC: HELADEF1DAS); Verwendungszweck: „Name, Vorname“ und „Jazz Conceptions 2025“


*Als Nichtverdienende verstehen wir Schüler*innen und Student*innen, aber auch Menschen,  die etwa staatliche Transferleistungen erhalten („Bürgergeld“ oder AsylbLG). Bei Fragen bitte gerne und unbedingt anrufen unter Tel. 06151 61650 (Bessunger Knabenschule).

Online-Anmeldung

Hier geht’s zur Online-Anmeldung (Achtung: Weiterleitung auf eine externe Webseite).

Bei organisatorischen Fragen oder bei Problemen mit der Online-Anmeldung melden Sie sich bitte per Mail (jazz@jazzinstitut.de) oder telefonisch beim Jazzinstitut Darmstadt, Tel. 06151 963744 (Jazzinstitut Darmstadt).

Wir bitten um Verständnis, falls es passieren sollte, dass einige Instrumentengruppen frühzeitig ausgebucht sind. Wir werden uns dann umgehend mit Ihnen in Verbindung setzen und gerne dann auch auf eine Warteliste setzen. Wir versuchen hier auf diesen Seiten  immer zeitnah zu informieren, falls bestimmte Instrumente bereits überbucht sind (siehe „Teilnahmemöglichkeit“).

Die Anmeldung ist grundsätzlich erst dann vollständig gültig, wenn der Teilnehmerbeitrag überwiesen wurde (siehe „Kosten“ und „Das Kleinstgedruckte“).

Unterbringung:

Wir helfen gerne, die auswärtigen Teilnehmer*innen privat in der Nähe der Bessunger Knabenschule unterzubringen. Ihren Wunsch auf private Unterkunft können Sie auf dem Anmeldebogen vermerken. Sollten Sie sich selbst nach einer Unterkunft umschauen wollen, so gibt es in der Nähe des Veranstaltungsortes Möglichkeiten zur Unterbringung in Ferienwohnungen oder Hotels. Auch die Jugendherberge am Woog eignet sich als Unterkunft.

Wochenplan:

Traditionell beginnen die Darmstädter Jazz Conceptions seit über 30 Jahren mit einem ersten Treffen aller Beteiligten am Montagmorgen im Hof der Bessunger Knabenschule. Dort findet die Vorstellung der Dozent*innen und die Einteilung der Gruppen statt. Anschließend verteilen sich die Ensembles auf die Probenräume.

JazzConceptions_2025_Ablaufplan

Das im vergangenen Jahr erstmals eingeführte offene Forum für alle Teilnehmenden, in dem jeweils an einem Tag der Woche die Dozent:innen ihr persönliches musikalisches Konzept  vorstellen, werden wir beibehalten. Soweit es das Wetter zulässt, werden die abendlichen Sessions sowie die beiden Abschlusskonzerte ausschließlich unter freiem Himmel stattfinden. Bei Regen können manche Sessions möglicherweise nicht  stattfinden, für andere gibt es Ausweichspielorte. Die Abschlusskonzerte der Ensembles am Freitag- und Samstagabend finden bei schlechtem Wetter in der Halle der Bessunger Knabenschule statt.

Essen und Trinken:

Während des Kurses bietet eine eigens eingerichtete Cafeteria in der Bessunger Knabenschule preiswert Speisen und Getränke an. Ein gemeinsames Frühstück und Mittagstisch gehört zum Angebot. Wie immer kocht das Team der Knabenschule für die Teilnehmenden ein leckeres Mittagessen (immer auch vegan). Mahlzeiten und Getränke müssen von den Teilnehmer*innen extra bezahlt werden.

Das Kleinstgedruckte:

Sollte der Kurs von Veranstalterseite abgesagt werden, erhalten die Teilnehmer*innen die volle Kursgebühr zurück. Bei Absagen von Teilnehmerseite später als vier Wochen vor Kursbeginn wird eine Rücktrittsgebühr von 20% einbehalten. Für Beschädigungen oder Diebstahl von mitgebrachten Instrumenten übernimmt der Veranstalter keine Haftung.

Was passiert noch bis zum Kursbeginn?

Etwa vier Wochen vor Beginn des Workshops gibt es ein Rundschreiben für alle angemeldeten Teilnehmer*innen. Darin finden sich dann weitere Detailinformationen (Wegbeschreibung und aktualisierter Wochenplan). Gerne helfen wir auch bei der Bildung von Fahrgemeinschaften, um nach Darmstadt zu kommen.

Ansprechpartner:

Kulturzentrum Bessunger Knabenschule, Jürgen Schüler, Ludwigshöhstraße 42, 64285 Darmstadt, Tel. (06151) 61650, info@knabenschule.de, Internet: www.knabenschule.de

Jazzinstitut Darmstadt, Arndt Weidler, Bessunger Straße 88d, 64285 Darmstadt, Tel. (06151) 963700, e-mail: weidler@jazzinstitut.de, Internet: www.jazzinstitut.de

Zurück zur Inhaltsübersicht über die 34. Darmstädter Jazz Conceptions 2025!

Dozentinnen und Dozenten 2024

Christopher Dell

Foto: Wilfried Heckmann

… ist seit den späten 1990er Jahren Stammgast in der illustren Riege der Lehrkräfte bei den Darmstädter Jazz Conceptions.  Seitdem hat der gebürtige Darmstädter eine fantastische musikalische Karriere hingelegt, die ihm neben dem Musikpreis seiner Heimatstadt, den der Vibraphonist bereits 2005 erhielt, 2021 den „Deutschen Jazzpreis“ und im folgenden Jahr auch noch den „Hessischen Jazzpreis“ einbrachte.

Aber nicht nur als improvisierender Musiker zählt Dell zu den herausragenden Protagonisten der Gegenwart, sondern auch als Stadtbautheoretiker, Philosoph und Architekturkritiker sind Dells Diskursbeiträge europaweit gefragt. Plan, Struktur, Komplexität, Information sind zentrale Begriffe im künstlerischen wie akademischen Kosmos Christopher Dells. Insbesondere mit seinen egalitären Trios D.R.A. (Dell/Ramond/Astor) und Dell/Lillinger/Westergaard verfolgt er diese musikalische Philosophie seit bald zwei Jahrzehnten konsequent. „Dell mag es schwierig, mag die Schwelle, den Widerstand. (…) Musikalische Forschung ohne Gefallsucht, das ist sein Metier“, schrieb Ulrich Stock in der ZEIT dazu.

Norbert Dömling

Foto: Doering

… ist Musikpreisträger 2023 der Kulturstadt Darmstadt. Seit über 40 Jahren ist der in Seeheim lebende Bassist eng mit der Darmstädter Jazzszene verwoben. Musikalisch führte ihn ein weiter Weg zur überaus populären Krautrock-Band „Missus Beasly“ von 1973 zu seinem aktuellen Duo „Bass ’n Flutes“ mit der ebenfalls in Seeheim lebenden Querflötistin Stephanie Wagner.

Dazwischen spielte er mit Top-Musikern in der ganzen Welt Konzerte und wirkte bei zahlreichen LPs, CDs, Radio- und TV-Aufnahmen mit (u.a. Toto Blanke, Biréli Lagrène, Joachim Kühn, Jasper van ́t Hoff, Stu Goldberg, Bob Degen, Billy Cobham, Trilok Gurtu, Ramesh Shotam, Carlo Rizzo, Christoph Lauer, Charlie Mariano, Tony Lakatos, Toots Thielemans, Tomasz Stańko); war Initiator von Projekten wie „Jazz meets Tango“, ein Trio mit Juan José Mosalini am Bandoneon oder „Family of Percussion meets Bass-Strings“ mit Peter Giger, Tom Nicholas und Dom Um Romão (Percussion), Vitold Rek und Jürgen Wuchner am Kontrabass und spielte mit Ali Neander im „Fifty Fingers Acoustic Orchestra“.

Norbert Dömling gehört noch der inzwischen rar gewordenen Spezies der Autodidakten im Jazzbetrieb an – und dennoch (oder gerade deswegen?) gibt er schon seit Ende der 1970er Jahre Workshops. Er unterrichtete an der Wiesbadener Musik- und Kunstakademie oder der Mannheimer Musikhochschule, verfasste ein vielbeachtetes Lehrbuch über Flageoletts am Bass und gab bereits Anfang der 1990er Jahre Solokonzerte mit E-Bass und Loopstation – in Deutschland ein Novum zu dieser Zeit.

Über seine Ideen für den diesjährigen Kurs sagt er folgendes:

„Für meinen Kurs bei den Jazz Conceptions 2024 werde ich eigene Kompositionsfragmente mitbringen, die wir dann gemeinsam in eine aufführbare Form bringen werden, sodass alle Beteiligte ihre „Rolle“ darin finden. Außerdem möchte ich auch ein Stück ohne vorherige Vorgaben mit den Teilnehmern gemeinsam entwickeln. Ich freue mich auf die Aufgabe.“

Jan Leipnitz …

Foto: Ben Kraef

… zog es wie so viele zum Studium nach Berlin. Zunächst studierte er dort Philosophie, später Jazzschlagzeug an der Universität der Künste, fand aber keinen richtigen Abschluss der akademischen Karriere, vielleicht auch weil eher das Unkonventionelle das Metier des in Schkeudnitz, in der Nähe von Leipzig, geborenen Drummers ist.

Längst ist der umgängliche Mitvierziger unverzichtbarer Teil der vitalen Hauptstadtszene, spielte – und spielt noch – mit Kollegen wie Gebhard Ullmann, Allan Praskin, Larry Porter, Henrik Walsdorff, Johannes Barthelmes und unzähligen anderen. Was ihn auszeichnet, ist vor allem seine Vielseitigkeit, seine Offenheit für alle Spielarten des Genres, seine Wandlungsfähigkeit in einen „multidimensionalen musikalischen Organismus“ (wie er sich selbst bezeichnet), der sich mit seinem hochenergetischen Spiel in jede Situation bestens einfügt. Vielleicht gar nicht so ungewöhnlich, wenn man weiß, dass Leipnitz als Jugendlicher die Chemnitzer Hardcore-Szene mit seinen Trommelgewittern beglückte. In Darmstadt trat er zuletzt mit dem eher im souligen Mainstream verwurzelten Quartett der Saxophonistin Cordula Hamacher auf.

Bei dieser Gelegenheit hat ihn auch Uli Partheil für das Dozent:innenteam der diesjährigen Jazz Conceptions entdeckt und ist sich sicher, dass Jan Leipnitz, mit seiner von musikalischen Scheuklappen befreiten Art, genau der Richtige für unseren Darmstädter Sommerworkshop ist.

Über seine Ideen für den diesjährigen Kurs sagt er folgendes:

„Ich stelle mir unsere Arbeit als zwangloses und intensives Zusammensein vor. Wir werden uns mit den elementaren Aspekten des gemeinsamen Musizierens beschäftigen, dem rhythmischen Puls, der harmonischen Intensität und des melodischen Ausdrucks. Eigenkompositionen sind absolut willkommen. Natürlich können und werden wir aus dem  reichen Fundus an Kompositionen der Jazzgeschichte schöpfen um unsere Fähigkeiten zu verbessern. Mir wird es in dieser Woche besonders darum gehen, unsere musikalischen Sinne zu schärfen und ein kleines, gemeinsames musikalisches Universum zu erschaffen, das wir mit unseren Persönlichkeiten und Spielfreude füllen werden.“

Anke Lucks

Foto: Dovile Sermokas

… stammt ursprünglich aus Mettmann in Westfalen. Sie studierte zunächst Rhythmikerziehung an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover und verbrachte ein Auslandsjahr an der  „Longy School of Music“ in Boston. Nach Abschluss des Studiums wechselte sie nach Berlin, wo sie an der Hochschule „Hans Eisler“ Jazzposaune und Instrumentalpädagogik u.a. bei Jiggs Whigham und Sören Fischer studierte.

Anschließend tourte sie weltweit mit dem Artistik und Musikprogramm „Balagan“ und europaweit mit der Band „Rotfront“, spielte Theater- und Filmmusik mit der Band „Shmaltz“. Als Solistin oder Mitglied in anderen Formationen ragen Aufritte mit Albert Mangelsdorff, Anthony Braxton, Tyshawn Sorey heraus. Gemeinsam mit Almut Schlichting und dem Schlagzeuger Christian Marien bildet sie seit einigen Jahren das Trio „Insomnia Brass Band“, das im vergangenen Jahr mit dem Deutschen Jazzpreis in der Kategorie Band des Jahres ausgezeichnet wurde.

Über ihre Gedanken zum Workshop sagt sie:

„Beim Workshop möchte ich mit den Teilnehmer:innen spielerisch Stücke auseinandernehmen, neu zusammensetzen und dadurch gemeinsam neue Arrangements und Kompositionen  für die aktuelle Besetzung entwickeln. Freie Improvisation wird bestimmt auch mit einfließen. Ich werde eigene Kompositionen mitbringen, freue mich aber auch auf Stücke der Teilnehmer:innen.“ 

Uli Partheil

Foto: Oskar Partheil

… ist seit 2021 künstlerischer Leiter der Darmstädter Jazz Conceptions und damit Nachfolger seines langjährigen musikalischen Mentors und Freundes Jürgen Wuchner. Partheil ist einer der aktivsten Protagonisten der Darmstädter Szene, beeinflusst von der Musik Duke Ellingtons, Thelonious Monks, kubanischen Rhythmen und dem Blues. Er ist nicht nur ein versierter Pianist in sämtlichen Stilistiken des Jazz, sondern auch als Komponist tätig. In seinen Werken geht er äußerst kreativ mit den verschiedenen Einflüssen um, die ihn als Musiker prägen.

Uli Partheil studierte an der Mannheimer Musikhochschule unter anderem bei Professor Jörg Reiter Jazzpiano, außerdem Komposition und Arrangement. Seit Beginn der 1990er Jahre arbeitete er mit Jürgen Wuchner, Matthias Schubert, Janusz Stefanski, Ack van Rooyen, Rudi Mahall, Emil Mangelsdorff, Hanns Höhn, Peter Back, dem Wiener Kronenbräu Orchester und vielen anderen zusammen. Als Begleiter ist er auch immer wieder am Staatstheater Darmstadt zu hören. Bis zum Beginn der Pandemie leitete er das von ihm selbst ins Leben gerufene Darmstädter Jugendweltmusikorchester.

Mit seinem Working Trio „Playtime“ ist er in den letzten Jahren mit verschiedenen Literatur- & Jazz-Projekten erfolgreich. Zuletzt veröffentlichte er gemeinsam mit Ulli Jünemann, Ralf Cetto und Angela Frontera den Longplayer „Reflections2020“. Partheil unterrichtet an der Jazz & Pop School und der Akademie für Tonkunst in Darmstadt. Für seine musikalischen Verdienste und sein Wirken für die Förderung des jazzmusikalischen Nachwuchses erhielt er 2008 den Darmstädter Musikpreis.

Über seine Vorstellungen zum diesjährigen Workshop schreibt er folgendes:

Ich möchte wieder versuchen mindestens ein Stück auswendig und ganzheitlich zu erarbeiten, d.h. die Musiker:innen sollen nicht nur ihren Part, sondern das ganze Werk lernen und verstehen. Dazu werde ich eigene Kompositionen und andere ausgewählte Stücke mitbringen.“

Almut Schlichting

Foto: Frank Schindelbeck

… arbeitet seit 25 Jahren als Saxophonistin, Komponistin und Kuratorin in Berlin in den Bereichen Jazz, zeitgenössische Musik, Performance und Theatermusik. Noch während ihres Studiums an der Hochschule der Künste Berlin gründetet sie die Band Shoot the Moon als Heimathafen für ihre kompositorische Arbeit. Von 2009 bis 2015  verfolgte sie mit Ensembles wie dem Garagenoper Kollektiv und Le Sorelle Blu ihr Interesse am Crossover und der Zusammenarbeit mit Künstlern aus den Bereichen Tanz, Theater und Literatur.

2015 gründete Almut Schlichting gemeinsam mit Alexander Beierbach das Label Tiger
Moon Records. Dort erscheinen seitdem regelmäßig CDs von ihren verschiedenen Bands. Mittlerweile konzentriert sich Almut Schlichting wieder mehr auf die Bandarbeit im Bereich Jazz und ihr Instrument, das Baritonsaxophon. Aktuell ist sie meistens mit dem Duo Subsystem, dem Quartett Bauhauskapellentraum und dem Trio Insomnia Brass Band mit zahlreichen Konzerten in Jazzclubs und auf Festivals unterwegs.

Für ihre Kompositionsvorhaben, ihre Bandarbeit und ihre Audioproduktionen wurde Almut Schlichting in den letzten Jahren mehrmals durch Stipendien des Berliner Senats und des
Musikfonds gefördert. Die Insomnia Brass Band wurde im April 2023 mit dem Deutschen Jazzpreis ausgezeichnet.

Zu ihren Vorstellungen für die Arbeit mit ihrem Ensemble sagt sie folgendes:

„Workshop-Preview: Improvisation und Komposition, Collage und Stilmix!“

JazzNews 2024

We read the morning paper for you!

The Jazzinstitut's JazzNews keeps you up-to-date with news of the jazz world, which we collect, summarize, and issue via e-mail about once a week. This service can also be accessed on our website (www.jazzinstitut.de), where it is updated on a daily basis. If you need bibliographies of the musicians named in our JazzNews, please click on our website’s Jazz Index page. This is a bibliographical reference to jazz-related books, magazines, journals and other sources that you can access without charge. If you don't find the name(s) you’re looking for, feel free to e-mail us! We will send you Jazz Index digests of articles about musicians as they make the news.

Autor der JazzNews bis Januar 2024 (deutsch wie englisch): Wolfram Knauer

You can subscribe to our JazzNews on our website. Just enter your e-mail on the bottom right of our website (www.jazzinstitut.de) and select the newsletter(s) you want to receive. Each newsletter will contain a link allowing you to manage your subscriptions. Our newsletter are always free of charge.

Content (German; English content scroll down please)

Content (English)

The mysterious notebook of Hans Blüthner

Ich lernte Hans Blüthner irgendwann Ende der 1990er Jahre kennen. Er lebte in einem Seniorenheim in Weinheim an der Bergstraße, wo ich ihn ein paar Mal besuchen durfte. Blüthner war Jazzgeschichte pur, ein Zeitzeuge der Berliner Jazzszene der 1920er bis 1960er Jahre, ein Brieffreund Louis Armstrongs, Sammler, Organisator, vor allem aber ein großer Jazzfan. „Meine Unterlagen habe ich leider vor vielen Jahren weggegeben“, sagte mir Blüthner etwas wehmütig. Der einzige Jazzbezug in seinem Zimmer waren CDs mit Wiederveröffentlichungen seiner Lieblingsmusik. Blüthner was schwer zu Fuß; der Körper machte nicht mehr mit, aber der Kopf war ganz da.

Hans Blüthner

Hans Blüthner (links 1952 mit Louis Armstrong) wurde am 23. Juni 1913 in Berlin-Charlottenburg geboren. Mit elf Jahren musste er wegen einer schweren Osteomyelitis monatelang im Bett bleiben. Sein Stiefvater bastelte ihm einen Detektor, mit dem er über Kopfhörer Radio hören konnte, und bald vertiefte er sich in die Schlager- und Tanzmusiksendungen auf „Welle 505 Berlin“, dem ersten deutschen Rundfunksender, der seit 1923 sendete, live aus dem Palais de Dance oder dem Pavillon Mascotte in der Berliner Friedrichstadt. Es war die populäre Musik der Zeit, die ihn anfixte und nicht mehr losließ und von der er zu Beginn wahrscheinlich noch gar nicht wusste, dass dies Jazz war und welche Rolle Jazz für sein Leben spielen sollte.

Ende der 1920er Jahre entdeckte Blüthner Alberti in der Rankestraße nahe der Gedächtniskirche, das seinerzeit modernste Musikfachgeschäft Berlins. „Hier“, erinnert er sich 1986, „gab es alles, was mit Hot-, Dance- und Jazzmusik zu tun hatte: Musikinstrumente, Noten, Schallplatten, Jazzliteratur inkl. Fachzeitschriften von hüben und drüben. Musiker gingen aus und ein. Für mich war das eine neue Welt.“ (Blüthner 1986: 9) Er hörte die internationalen Bands der Hauptstadt, Weintraub’s Syncopators, Efim Schachmeister, Sidney Bechet, Sam Wooding, Arthur Briggs. Er wurde endgültig zum Jazzfan.

Dann kam das „Dritte Reich“ und der Versuch, den Jazz zu verbannen, aber Bands wie die von Teddy Stauffer, Arne Hülphers und andere „brachten uns alles, was in den USA gespielt wurde“. Das Falk-Real-Gymnasium, das er besuchte, musste Blüthner im Herbst 1933, „fünf Monate vor dem Abitur aufgrund politischer Streitigkeiten“ verlassen. Im Herbst 1934 begann er eine Lehre als Bankkaufmann bei der Diskont- & Kredit-Aktiengesellschaft, die ihn danach als kaufmännischen Sachbearbeiter übernahm. Bis 1939 bezog Blüthner sowohl den britischen Melody Maker as well as the American Down Beat by mail and thus kept up to date with the American jazz scene.

Und er begann Platten zu sammeln. „Man bekam auf Electrola, Columbia, Odeon, Brunswick, Imperial usw. so ziemlich alles, was das Herz begehrte – mit bestimmten späteren Einschränkungen, was Nichtarier betraf.“ (Blüthner 1986: 10) Seit 1934 war er Mitglied im Melody Club (auch „Melodie Club“, später „Magische Note“), dessen Mitglieder sich jeden Donnerstag in einem Café am Kurfürstendamm trafen und sich gegenseitig ihre Plattenschätze vorführten.

In March 1940, Blüthner fell in icy conditions and broke his arm. The injury and his osteomyelitis saved him from military service. In the meantime, he worked for his uncle's Massivbau-Gesellschaft m.b.H., soon as commercial manager. In 1944, one of his uncle's business partners betrayed him for listening to forbidden enemy radio stations (BBC); he only escaped imprisonment because the prisons were already full of political prisoners. By Christmas he was free again. Towards the end of the war, only Blüthner and Gerd Peter Pick were still in Berlin from the circle of friends of the Melody Club (Kater 1992: 76); the rest had left the capital, if not the country, or had died in the war.

Nach dem Krieg wurde Blüthner (auf dem Foto rechts mit Lil Hardin-Armstrong, ca. 1954) Mitgründer des Hot Club Berlin, der 1947 eine Lizenz von der Militärregierung erhielt. Er arbeitete weiter in der Baufirma seines Onkels, bis diese 1969 Konkurs anmeldete. Danach war er als Disponent und Leiter der Programm-Abteilung bei der Theaterbesucher-Organisation der Freien Volksbühne angestellt, bis er sich 1980 mit 67 Jahren zur Ruhe setzte. Zusammen mit seiner Frau zog er nach Hemsbach an der Bergstraße. „Etwas Schwierigkeiten haben wir mit dem Verstehen des hiesigen Gebabbele“, schrieb er kurz nach dem Umzug an einen Freund. „Leider gibt es noch kein Wörterbuch für Badisch-Pfälzer Hessisch.“ (Blüthner 1981) Hans Blüthner starb am 9. April 2002 in einem Pflegeheim in Weinheim im Alter von 88 Jahren.

The notebook

Seine Unterlagen also hatte er vor vielen Jahren weggegeben, meinte Blüthner zu mir, und auf Nachfrage wusste er nicht mehr genau an wen ­­– jemanden, dem der deutsche Jazz am Herzen lag, sagte er. Fast forward in die frühen 2000er Jahre, ziemlich kurz nach Blüthners Tod: Wir erhielten einen Anruf aus Wuppertal, dort sei eine Wohnung aufzulösen, dessen Bewohner offenbar jede Menge an Information über Jazz gesammelt hatte. Vor allem Papier, hieß es, davon aber wirklich sehr, sehr viel. Wir mieteten einen kleinen LKW und fuhren an den Niederrhein. Und luden ein: Kisten um Kisten voll mit Zeitschriften, Aktenordnern mit Zetteln, Fotokopien, Büchern, Briefen, adressiert an den „Kulturellen Wirkungskreis Jazz“. Dahinter steckte der Sammler Martin Pecherstorfer, der in Kontakt mit anderen Fachleuten stand – auch mit dem Jazzinstitut Darmstadt hatte er zu Lebzeiten korrespondiert ­–, von denen er jede Menge an Informationen über die Jazzgeschichte Deutschlands wie Osteuropas erhielt. Insbesondere hatte Pecherstofer auch gute Kontakte hinter den Eisernen Vorhang, tauschte sich mit Sammlern wie Wolfgang Muth oder Jazzfreunden aus der CSSR oder Polen aus.

So now all the material went to Darmstadt, and it was a long time before we got even a hint of the extent. Massive Down Beats, Jazz Hots, but also Melodie und Rhythmus and other Eastern European magazines. In addition, folder after folder with the research documents of private researchers and discographers, records of their work that they thought they would rather send to Wuppertal than dispose of in the trash.

Und dann waren da zwei Kisten mit der Aufschrift „Blüthner“. „Meine Unterlagen habe ich leider vor vielen Jahren weggegeben“, hatte der mir von seinem Bett aus wehmütig gesagt. Hier nun waren sie, hatten auf einem seltsamen Umweg über Wuppertal ihren Weg ins Darmstädter Jazzinstitut gefunden. Korrespondenz mit Armstrong aus den 1950er und 1960er Jahren, Erinnerungen, die Mitteilungen, eine von Dietrich Schulz-Köhn herausgegebene Zeitschrift, handgeschriebene Notenhefte mit Schlagern und Tanzmusik, ein Vortragsmanuskript von Dietrich Schulz(-Köhn) von 1936 über „Einführung in die Swing-Musik“ (gehalten im Delphi-Palast am 20. Januar 1936; Manuskript überarbeitet im Juni 1936).

Und eine seltsame Kladde mit einer Auflistung von Schallplatten, und hinter jeder Platte eine Reihe an Namen. Wir hatten anfangs keine Ahnung, worum es sich dabei handelte. Erst nach und nach verbanden wir die Namen hinter den Einträgen mit unserem Wissen um die Berliner Jazzszene der 1930er Jahre und erkannten: Dies war der Bestandskatalog der „Berliner Hotfreunde“, wie Blüthner die Gruppe in einer Erinnerung aus dem Jahr 1947 nannte.

The Melody Club

„Seit 1934“ heißt es darin, „existiert in Berlin ein Kreis wirklicher Hot-Freunde, die sich s.Zt. wöchentlich einmal im Café Hilbrich am Kurfürstendamm (im blauen Zimmer) trafen, um sich gemeinsam an ihren Platten, die auf einem Kofferapparat gespielt wurden, zu erfreuen und darüber zu diskutieren. Damals war es Herr Adalbert Schalin vom Alberti-Verlag, dem Dorado aller Jazz-Begeisterten (hier gab es alle In- und ausländischen Platten, Noten, Jazz-Zeitungen, Instrumente usw), der diesen ‚Melody-Club‘, wie er sich nannte, aufzog.“ (Blüthner 1947) [Foto: Siegfried Schröter, Hans Friedemann, Hans Blüthner in den späten 1930er Jahren]

Noch ausführlicher erinnert er sich 1950: „Was lag da näher, als 1934 einen Hot-Club zu gründen, in dem man als Anhänger des authentischen Jazz die einmaligen und keiner Modeerscheinung unterworfenen Platten eines Louis Armstrong oder Bix Beiderbeckes zu spielen [sic!], diese zu vergleichen mit modernen Aufnahmen von Benny Goodman & Tommy Dorsey und immer wieder festzustellen, daß Kunst sowohl eine ideelle als auch eine materielle Seite haben kann. Natürlich konnte der Kreis um diesen Club nie an die Öffentlichkeit treten, denn die Anhängerschaft des Jazz war identisch mit Demokratie und Freiheit. Solche Ideale durfte es im 3. Reich nicht geben. So durfte der Hot Club Berlin, der damals „Melodie Club“ hiess, nicht laut werden und konnte nur in der Stille arbeiten. Die Aussichten, sich ein Ziel zu setzen, wurden immer geringer. Der Kreis, in dem man weder Rassen- noch Klassenhass kannte, wurde hervorgerufen durch Verfolgungen und den bevorstehenden Krieg, immer kleiner und reduzierte sich in kürzester Zeit auf ein Minimum. Könnte man es auch durchsetzen, die Jazzmusik und alles, was mit ihr in Zusammenhang stand, zu verbieten, den Geist und die Liebe zu dieser Musik und die Verbundenheit zwischen den einzelnen Anhängern untereinander innerhalb des Clubs, konnte man nicht verhindern. Unter großen Schwierigkeiten wurde sogar mitten im Krieg ein ‚Mitteilungsblatt‘ herausgebracht, welches eine Verbindung herstellen sollte zwischen allen Freunden des Jazz. Der nicht enden wollende Krieg machte aber schließlich alles zunichte, und so mußte schließlich auch alles intern gehaltene in Berliner Jazzkreisen eingestellt werden.“ (Blüthner 1950)

Aber zurück zur Kladde: Sie enthält letzten Endes eine Art Verzeichnis der Privatsammlungen des harten Kerns dieses Melody Clubs, zusammengestellt von Blüthner, der so Interessierte an die Eigentümer der Platten verweisen konnte, so nach dem Motto: „Wenn Du dies oder jenes suchst, wende Dich mal an xvz, der hat die Aufnahme, bei dem kannst du sie bestimmt hören.“ 1989 erwähnt Blüthner die Kladde im Gespräch mit Bernd Polster über die Club-Treffen im Café am Kurfürstendamm: „Wir tagten jeden Donnerstag in einem Café am Kurfürstendamm. Das existiert heute alles nicht mehr. In der ersten Etage hatten wir den Blauen Salon und hatten einen Nudelkasten [Plattenspieler]. Und dann wurden Platten gespielt, Schellack natürlich. Und einer war da, der hatte die Buchführung. Jeder, der in dem Club war, mußte einen Katalog abgeben über seinen Plattenbestand. Und der Buchführer übertrug das auf einen allgemeinen Katalog. Und wenn ein Programm gemacht wurde, dann sagte der ‚Bring doch mal die Platte mit. Die und die‘, und dann mußte jeder mal ’n Programm machen.“ (Polster 1989: 31-32) Buchprüfer war, scheint’s, Blüthner selbst, und was uns da mit der Kladde vorlag, war dieser „allgemeine Katalog“ des Plattenbestandes des Melody Clubs aus den Mitt-1930er Jahren.

Die Mitglieder des Clubs, erinnert sich Blüthner, wurden eingehend nach Fachwissen durchleuchtet. Es sei „ein gemischter Kreis“ gewesen, „auch viele jüdische junge Herren“ (Polster 1989: 32). Im Café tagte der Club vielleicht zwei Jahre lang, danach schob der Besitzer vor, ein Skatclub hätte den Blauen Salon gemietet, sie müssten raus. Eine Weile trafen sie sich in einer Tanzschule gleich nebenan, zogen dann in ein anderes Café um, dessen Besitzer aber mit dem Verzehr der jungen Leute nicht zufrieden war (Polster 1989: 32). Schließlich trafen sie sich bei einem der Mitglieder in dessen Privatwohnung. Der Melody Club (Magische Note) bestand bis in den Krieg hinein, wenn auch die Mitgliederzahl immer mehr abnahm: Blüthner: „Die jüdischen Herren waren dann weg, die anderen mußten zum Militär. Im Krieg war’n wir zuletzt nur noch zwei, drei Mann.“ (Polster 1989: 33)

„Die Berliner Hotfreunde“, 17. Januar 1947
(complete PDF opens by clicking on the image)

„Berlin und Jazz“, 22. September 1950
(complete PDF opens by clicking on the image)

The notebook
(complete PDF opens by clicking on the image)

The members

So who were the Melody Club collectors immortalized in this notebook? They were, in alphabetical order: Auerbach, Blüthner, Boger, Cornfield, Gittermann, Petruschka, Pfrötschner, Robert, Sternberg, v. Drenkmann and Wolff. We have done a little research:

Heinz Auerbach war ein Berliner Jude (Kater 1992: 74) und zusammen mit Franz Wolff ein Befürworter vor allem des schwarzen Jazz (Kater 1992: 85) – ja, das war unter Jazzfreunden durchaus ein ästhetisches Politikum in jenen Jahren. Er verließ Deutschland 1938, gründete in Brasilien den Hot Club de Janeiro in Rio (Blüthner 1950) und landete schließlich in Buenos Aires (Lange 1966: 71), wo er den dortigen Hot Club leitete, der ganz ähnliche Aktivitäten verfolgte wie der Melodie-Club: „meet to compare, discuss, and argue over recorded music“ (Crosby 1953: 23), sich aber vor allem auf älteren Jazz beschränkte (Thiers 1960: 262).

Hans Blüthner haben wir bereits kennengelernt. Als er im Herbst 1934 auf Einladung Adalbert Schalins Mitglied des Melody Clubs wurde, stellte er zum Einstand im Kreis seiner neuen Freunde Jimmie Luncefords Platte „Swingin’Uptown“ vor (Kater 1992: 85; in der Kladde verzeichnet auf Seite 33). Blüthner ging ganz selbstbewusst mit seiner Jazzliebe um. Er hatte den britischen Melody Maker abonniert und las diese Zeitung in der U-Bahn – Englisch konnte da ja sonst eh kaum einer lesen. Nazis, erklärt er, habe es in den Jazzkreisen nicht gegeben: „Das ist so eine Regel, möcht‘ ich sagen, wer sich für Jazz interessiert, kann kein Nazi sein.“ (Polster 1989: 34)

Carlo Boger (1911-1943) was active as a stage designer, actor, illustrator and cartoonist in Weimar, Vienna (1928), Stuttgart (1929), Leipzig (1932-33) and Berlin. In Leipzig, he worked as a stage designer and actor in Bruno Tuerschmann's Kammerspiel and also appeared in the literary cabaret Litfaßsäule in March/April 1933 (https://www.buchprojekt1.de/produkt/c-boger-1911-1943-das-mistvieh-n-2-karikatur-um-1930-tusche-figuerlich/). Michael Kater beschreibt ihn als „Alkoholiker, Autor von Kurzgeschichten, Grafiker, Liebhaber von Literatur und Theater“ (Kater 1992: 97). 1933 heiratete Boger Else Eichler, eine zwölf Jahre ältere Schriftstellerin und Publizistin für Frauenfragen. Bogers Grafiken hatten oft den Jazz zum, von 1936 etwa datiert ein Porträt der Sängerin und Trompeterin Valaida Snow (https://www.pinterest.at/pin/400187116881463220/). Boger was considered missing after the war; Kater explains that he died at the front (Kater 1992: 97).

Robert Kornfilt [Bob Cornfield] war ein enger Freund Blüthners. Er stammte ursprünglich aus der Türkei [Kater 1992: 75]. Horst H. Lange schreibt in seiner Jazzgeschichte Deutschlands, Kornfilt habe die Gründung dieses „erste[n] bedeutende[n] deutsche[n] Jazzclubs […] bereits im Jahre 1932“ angeregt (Lange 1966: 69), bevor dieser dann „mit Hilfe des rührigen Alberti-Musikhaus-Prokuristen, Adalbert Schalin, regelrecht gegründet“ wurde (Lange 1966: 69-70). Kornfilt war Amateur-Arrangeur, gut genug immerhin, dass der populäre Bandleader Erhard Bauschke eines seiner Arrangements ins Repertoire aufnahm (Kater 1992: 89). Nach dem Krieg kehrte er in die Türkei zurück.

Gittermann: Unfortunately we could not find out anything about this name.

Sigmund Petruschka (1903-1997) was a trumpeter and arranger. Born in Leipzig, he received piano and cello lessons as a child and sang in the Gewandhaus Choir under Arthur Nikisch. In 1923, he moved to Berlin to study mechanical engineering and also attended the Stern'sche Konservatorium, where he took trumpet and double bass lessons (https://www.nli.org.il/en/a-topic/987007266398905171). Zusammen mit Kurt Kaiser war er Mitgründer der Band Sid Kay’s Fellows, in der unter anderem Friedrich Holländer als Pianist und Arrangeur wirkte. In den 1930er Jahren schrieb Petruschka unter Pseudonymen für die Deutsche Gramophone Gesellschaft, für UFA-Filme, aber auch für populäre Bands wie die von James Kok (Lange 1966: 52). 1938 emigrierte er nach Palästina (Kater 1992: 39-40) und leitete bald das Orchester des Palestine Broadcasting Service. Petruschka starb 1997 in Jerusalem. Er wird in Blüthners Kladde nur zwei Mal erwähnt: offenbar war er großer Fan des Casa Loma Orchestra, dessen Platten „Ol’Man River“ / „I Got Rhythm“ sowie „Dallas Blues“ / „Limehouse Blues“ er besaß.

Es ist gut möglich, dass sich hinter „Pfrötschner“ der Autor Gerhard E. Pfrötzschner who, in the 1930s, was the Germany editor of the London Melody Maker and the British Metronome schrieb. Als „Rasender Reporter“ berichtete Pfrötzschner seit den Mitt-1930er Jahren für die Zeitschrift Der Artist von der Berliner Jazzszene und schrieb Plattenrezensionen. Vom September 1934 verfasste er den Artikel: „Wie steht der deutsche Musiker zur Jazzmusik? Bedeutet nicht Verwerfen derselben Arbeitslosigkeit?“ (vgl. Jockwer 2004: 298). 1935 besuchte Prötschner Konzerte des britischen Bandleaders Jack Hylton in Berlin (Jockwer 2004: 300). Über Pfrötschners Verbleib nach dem Krieg ist nichts bekannt.

Robert: Unfortunately we could not find out anything about this name.

Dieter Sternberg: Unfortunately, we could not find out anything about this name. We know about his first name from the caption on the back of the photo shown at the end of this piece.

Günter von Drenkmann, genannt „Bobby“ (1910-1974) entstammte einer Juristenfamilie und studierte auch selbst Rechtswissenschaften. Er wollte Richter werden, hatte aber in den 1930er Jahren keine Chance, weil er sich weigerte irgendeiner NS-Organisation beizutreten (Schmid 2010). Nach dem Krieg allerdings machte Drenkmann schnell Karriere, als Richter beim Landgericht, dann Landgerichtsrat, dann Kammergerichtsrat, schließlich ab 1967 Präsident des Kammergerichts Berlin. Hans Blüthner schrieb aus Anlass der Ernennung zum letzten Karriereschritt im Januar 1967 an Drenkmann: „Im stillen muß ich – unter uns gesagt – immer daran denken, daß wir mal vor ca. 30 Jahren meinten, alle höheren einflußreichen Posten müßten Leute mit ein wenig Hang und Liebe zu unserem gemeinsamen Hobby bekleiden! Nun, Du hast es realisiert und geschafft.“ (Blüthner 1967) Am 10. November wurde Drenkmann von Terroristen der Bewegung 2. Juni bei einem Entführungsversuch ermordet.

Jakob Franz Wolff, genannt „Franny“ (1907-1971) machte in Berlin eine Fotografenlehre. 1925 hatte er zusammen mit seinem Freund Alfred Löw die Band des Pianisten Sam Wooding im Admiralspalast gesehen, danach war er lebenslanger Jazzfan. Löw war bereits 1936 nach New York ausgewandert, Wolff folgte ihm zwei Jahre später auf einem der letzten Passagierdampfer, die aus Nazideutschland in Richtung des Big Apple verlassen konnten. Danach schrieben die beiden Geschichte, gründeten das Plattenlabel Blue Note, das erst traditionellen Jazz und Boogie-Boogie, bald aber auch die jungen moderneren Musiker des Jazz aufnahm und seit den 1950er Jahren stilbildende Platten herausbrachte. Löw, der sich in den USA Alfred Lion nannte, war der Geschäftsmann unter ihnen, und Wolff, der jetzt als Francis Wolff firmierte, ebenbürtiger Partner. Beide nahmen die Musiker, die für sie aufnahmen, als Künstler ernst, vergüteten ihnen sogar die Probezeiten (bislang völlig unüblich in dieser Musik), und Wolff machte sich außerdem einen Namen als meisterhafter Fotograf, dessen Bilder geradezu ikonisch wurden, nicht nur, aber auch, weil sie die Platten des eigenen Labels schmückten.

Die Kladde stammt, wie wir unten sehen werden, aus dem Jahr 1936. Jazzfreunde, die danach zum Kreis des Melody Club bzw. der Magischen Note wurden,  finden sich hier deshalb nicht. Blüthner erwähnt sie in seinen Erinnerungen aus dem Jahr 1947: Zur Olympiade 1936 etwa verzeichnet er Besuche von Gästen wie dem amerikanischen Posaunisten Herb Fleming, dem Frankfurter Saxophonisten Eugen Henkel, dem Pianisten Fritz Schulz-Reichel, von Dietrich Schulz-Köhn, aber auch von Duncan McLougald, einem „Freund von Benny Goodman und Helen Ward“.

Ab 1938 traf man sich privat, meist bei Blüthner selbst, und als häufige Gäste nennt er Gerd Pick, Folke Johnson aus Schweden, den belgischen Pianisten Coco Collignon, Varvavar Varasiri aus Siam. „Fräulein Thieme und Herr von Drenkmann“, schreibt er, seien 1947 aus dem Kreis der „Alten“, also von vor 1936 übrig. Ein „Herr Edelscharf“ sei 1938 dazu gekommen. Und dann erwähnt er noch, was aus den anderen Mitgliedern geworden sei: „Es ist sehr bedauerlich, daß die Atmosphäre des alten ‚Hot-Kreises‘ nie wieder wird, zumal fast alle damaligen Mitglieder von Wichtigkeit Berlin den Rücken gekehrt haben. Franz Wolff ist Anfang des Krieges nach New York gegangen, Heinz Auerbach ging nach Süd-Amerika, Bob Cornfield ging in die Türkei zurück, Gerd Pick ist in Frankfurt, Olaf Hudtwalcker in Mannheim, Hans Friedemann in Luckenwalde,  Vasiri in Washington, Wilfried von Weselstedt und Hans Horseck sind an der Ostfront gefallen, Carlo Boger gilt als vermißt, Egon Wilrich fiel einem Fliegerangriff zum Opfer. Es bleibt nur noch zu hoffen, daß der eine oder andere aus der Gefangenschaft nach Berlin zurückfindet.“ (Blüthner 1947)

In 1945, Blüthner founded the Hot Club Berlin together with old and new friends, which held its first meeting on October 27, 1945 (Blüthner 1947).

The music

Die Kladde also enthält eine Auflistung der Platten im Besitz der Melody Club-Mitglieder. Aufgelistet werden sie nach den Bandleadern, darunter jeweils zwei Titel pro Platte, dahinter die Besitzer; mal einer, mal mehrere. Der Compiler (also Blüthner) ließ so viel Platz, wie er meinte, das die jeweiligen Bands benötigten, für bekannte und populäre Bands also mehr als für weniger bekannte. Gleich auf der ersten Seite gibt es schon einen der Hits, der nämlich gleich bei sechs der Mitglieder vorhanden ist: Duke Ellingtons „Tiger Rag I u. II“ (Wolff, Sternberg, Cornfield, Robert, Blüthner, Boger). Blüthner verzeichnet einzig die Titel auf den Platten, keine weiteren diskographischen Details, etwa Label oder Plattennummern. Er gruppiert die jeweils zwei Titel einer Schellackplatte mit geschweiften Klammern. Und wenn auf einer Platte mal Titel von unterschiedlichen Bands veröffentlicht wurden, verzeichnet er sie zweimal, nämlich unter den Namen der jeweiligen Bandleader, aber mit einem Verweis auf die jeweilige Rückseite.

Here, then, are the artists listed, in alphabetical order by band name:

  • Henry Red Allen: 5 records
  • Pauline Alpert: 1 record
  • Bert Ambrose: 15 records
  • Louis Armstrong:  31records
  • Gus Arnheim: 1 record
  • Artiphon Orchester: 1 record
  • Harry Ascher: 1 record
  • DeFord Bailey: 1 record
  • Balalaika Orchester: 1 record
  • Billy Barton: 1 record
  • Bix Beiderbecke: 4 records
  • Benson Orchestra of Chicago: 1 record
  • Ben Bernie: 5 records
  • Bluejeans: 1 record
  • Boswell Sisters: 15 records
  • Arthur Briggs mit seinen Savoy Syncopators: 1 record
  • Buddy’s Brigade: 1 record
  • Hans Bund: 1 record
  • Rev. J.B. Burnett: 1 record
  • Cab Calloway: 12 records
  • Francisco Camaro: 2 records
  • Benny Carter: 4 records
  • Casa Loma Orchestra: 21 records
  • Castlewood Marimba Band: 1 record
  • Cellar Boys: 1 record
  • The Charleston Chasers: 1 record
  • Chicago Feetwarmers: 1 record
  • Chocolate Dandies: 7 records
  • Junie Cobb: 1 record
  • Oliver Cobb: 1 record
  • Eddie Condon: 2 records
  • Coon-Sanders Orchestra: 3 records
  • Charles Creath’s Jazz O’Maniacs: 1 record
  • Zez Confrey: 1 record
  • The Cotton Pickers: 3 records
  • Julio de Caro: 2 records
  • The Decca Dance Band: 1 record
  • Dickson’s Harlem Orchestra: 1 record
  • Dixie Rhythm Kings: 2 records
  • Vance Dixon: 1 record
  • Johnny Dodds: 2 records
  • Dorsey Brothers: 1 record
  • Duke Ellington: 91 records
  • Reginald Foresythe: 1 record
  • Caroll Ginnons: 3 records
  • Lud Gluskin: 2 records
  • Benny Goodman: 1 record
  • Stéphane Grappelli: 2 records
  • Henry Hall: 1 record
  • Coleman Hawkins: 3 records
  • Fletcher Henderson: 26 records
  • Horace Henderson: 1 record
  • Earl Hines: 9 records
  • Sol Hoopie: 1 record
  • Claude Hopkins: 2 records
  • Brigitte Horney: 1 record
  • Spike Hughes: 11 records
  • Jack Hylton: 4 records
  • Isham Jones: 1 record
  • Jack Jones: 2 records
  • Oskar Joost: 1 record
  • Greta Keller: 1 record
  • Eddie Lang: 1 record
  • Layton & Johnstone: 1 record
  • Ted Lewis: 2 records
  • Guy Lombardo: 1 record
  • Jimmie Lunceford: 10 records
  • Cecil Mack: 1 record
  • Wingy Manone: 1 record
  • Clyde McCoy: 1 record
  • McKinney’s Cotton Pickers: 5 records
  • Mills Blue Rhythm Band: 5 records
  • Mills Brothers: 3 records
  • Emmett Miller and his Georgia Crackers: 1 record
  • Irving Mills & His Hotsy Totsy Gang: 5 records
  • Borrah Minevitch: 1 record
  • Miff Mole: 1 record
  • Jelly Roll Morton: 11 records
  • Bennie Moten: 29 records
  • New Orleans Rhythm Kings: 1 record
  • Red Nichols: 10 records
  • Ray Noble: 2 records
  • King Oliver: 10 records
  • Raymond Parige: 1 record
  • Jack Payne: 2 records
  • Louis Prima: 1 record
  • Don Redman: 5 records
  • Leo Reisman: 1 record
  • Harry Roy: 4 records
  • Valaida Snow: 1 record
  • Lew Stone: 2 records
  • Joe Venuti: 5 records
  • Fats Waller: 4 records
  • Washboard Rhythm Band: 1 record
  • Washboard Rhythm Boys: 2 records
  • Washboard Rhythm Kings: 1 record
  • Washboard Serenaders: 3 records
  • Chick Webb: 1 record
  • Paul Whiteman: 2 records
  • Jay Wilbur: 1 record
  • Sam Wooding: 6 records

Und noch ein paar Besonderheiten: Franz Wolff ist hier der offenbar der begeistertste Sammler Duke Ellingtons (und anderer vorrangig afro-amerikanischer Künstler, zum Beispiel auch King Oliver). Die drei Platten von Coleman Hawkins stammen alle aus dem Jahr 1933, also vor seinem langen Europaaufenthalt, und natürlich fehlt „Body and Soul“, einfach, weil er es offenbar noch gar nicht eingespielt hatte, als Blüthner die Kladde erstellte. Die sechs Platten Sam Woodings stammen alle aus seiner europäischen Periode, wurden zwischen 1925 und 1929 in Berlin, Paris und Barcelona aufgenommen. Von Benny Goodman ist nur eine Aufnahme dabei. Carlo Boger hatte eine Vorliebe für Red Nichols und Spike Hughes, wie Blüthner sich erinnerte (Polster 1989: 33), was auch an seinem Plattenbestand zu ersehen ist: Von zehn Red Nichols-Platten besaß er acht, außerdem alle elf Spike Hughes-Platten. Zu den Exoten der Liste zählt insbesondere Sol Hoopii, ein Vertreter von Hawai-Gitarren-Musik, der mit zwei Aufnahmen verzeichnet ist („Farewell Blues“, „Stack O’Lee Blues“), die sich zumindest in den üblichen Jazzdiskographien nicht finden lassen.

Nach dem Eintrag über Emmett Miller and his Georgia Crackers folgt ein deutlicher Hinweis auf die Datierung der Kladde: „Samstag, 1. März 1936“. Auf den Seiten 71-75 scheint Blüthner detaillierte Notizen über Musik gemacht zu haben, die er im März und April des Jahres im Radio gehört hatte. BBC? Wir wissen es nicht.

After looking through the notebook, one can see that it was an impressive collection. Mainly African American jazz, along with a few British bandleaders and relatively few German bands. If you read Blüthner's publications after the war, which were sent to the members of the Hot Club Berlin, for example, you can imagine how his taste was formed along these recordings.

Und dann erinnere ich mich wieder an meinen letzten Besuch bei ihm, bei dem er irgendwann eine CD einlegte, Jimmie Lunceford, sofern ich mich richtig erinnere. Er wusste nach wie vor alles über diese Musik. „Mein Kopf ist klar, nur der Körper macht nicht mit“, klagte er. Hans Blüthner hat nicht mehr erfahren, dass Teile seiner Papiere schließlich auf Umwegen doch im Jazzinstitut Darmstadt landen sollten. Aber ich bin mir sicher, es hätte ihn gefreut. (Foto: Hans Blüthner, Dieter Sternberg und Egon Wilrich, ca. 1936)

Blüthner's notebook, which provides a glimpse into the Berlin jazz scene of the 1930s and the conscientiousness with which young jazz fans were dedicated to the music despite all the adversities of the time, has already been on display in several exhibitions, including one of Francis Wolff's photos for the Blue Note label at the Jewish Museum Berlin.

Wolfram Knauer (18. Dezember 2023)


Sources cited:

Blüthner 1947: Hans Blüthner: Die Berliner Hotfreunde, 17. Januar 1947 (Manuskript im Jazzinstitut Darmstadt)

Blüthner 1950: Hans Blüthner: Berlin und Jazz, 22. September 1950 (Manuskript im Jazzinstitut Darmstadt)

Blüthjner 1967: Hans Blüthner: Brief an Günter von Drenkmann, 23. Januar 1967 (Briefkopie im Jazzinstitut Darmstadt)

Blüthner 1981: Hans Blüthner: Brief an Hans Berry, 14. Juli 1981 (Briefkopie im Jazzinstitut Darmstadt)

Crosby 1953: Barney Crosby. Foreign Extraction, in: Theme, 1/3 (Oktober 1953): 23

Jockwer 2004: Axel Jockwer: Unterhaltungsmusik im Dritten Reich, Konstanz 2004 (PhD thesis: Universität Konstanz)

Lange 1966: Horst H. Lange: Jazz in Deutschland. Die deutsche Jazz-Chronik, 1900-1960, Berlin 1966 (Colloquium Verlag)

Kater 1992: Michael H. Kater: Different Drummers. Jazz in the Culture of Nazi Germany, New York 1992 (Oxford University Press)

Polster 1989: Bernd Polster: Swing Heil. Jazz im Nationalsozialismus, Berlin 1989 (Transit Buchverlag)

Schmid 2010: Thomas Schmid: Ein vergessenes Verbrechen. Der Berliner Kammergerichtspräsident Günter von Drenkmann war das erste Opfer des Linksterrorismus in der Geschichte der Bundesrepublik. In dieser Woche wäre er 100 Jahre alt geworden. Rückblick auf ein deutsches Leben, in: Die Welt, 13. November 2010 <https://www.welt.de/print/die_welt/vermischtes/article10904029/Ein-vergessenes-Verbrechen.html>

Thiers 1960: Walter Thiers: Argentinien liebt Hot Jazz, in: Jazz Podium, 9/12 (Dec.1960): 262-263

Ein Gespräch mit Gerd Dudek

Seit 1992 veranstaltet das Jazzinstitut zusammen mit dem Kulturzentrum Bessunger Knabenschule den jährlichen Workshop „Jazz Conceptions“. Neben den sechs bis sieben Dozent:innen, die die ganze Woche dabei sind, laden wir ab und zu auch Gastdozenten ein, die uns für einen Tag einen Blick in ihre Sicht auf den Jazz erlauben. Im Sommer 2017 war das der im November 2022 verstorbene Saxophonist Gerd Dudek. Im Gespräch mit Wolfram Knauer erzählt er von seiner Karriere vor dem Globe Unity Orchestra, von einem Aufeinandertreffen mit John Coltrane und von der ewigen Suche nach dem richtigen Blättchen. Gerahmt wurde das Gespräch übrigens musikalisch: Dudek spielte dabei mit den Dozent:innen des damaligen Workshops, John-Dennis Renken (tp), Nicole Johänntgen (sax), Uli Partheil (p), Jürgen Wuchner (b) und Martial Frenzel (d).

For the December/January 2023/2024 issue of the magazine Jazz Podium we have transcribed the conversation. Here is a link to Jazz Podium and if you click on the cover, you will find a PDF of the published article with photos of the interview:

Gerd Dudek, 8. Juli 2017, Jazz Conceptions
Bessunger Knabenschule, Darmstadt, 15:00 Uhr

Wolfram Knauer:
Gerd, I'd like to talk to you a bit about your life and your career and your path to jazz, but also, because this is a workshop, a bit about technique, instrument and reeds. Let's start at the beginning. How did you get into jazz?

Gerd Dudek:
Ich habe schon als kleiner Junge nach dem Krieg, in zerstörten Häusern und so auf alten Büchsen getrommelt. Zuhause hatten wir einen alten Schallplattenspieler und haufenweise Schallplatten. Die hab‘ ich dann alle gehört, egal, was es war. Da waren auch Märsche dabei. Ich habe alles gehört, mich hat Musik einfach interessiert.

Knauer:
You were born near Breslau (now Wroclaw). When did you come to the West?

Dudek:
Wir sind erst 1950 rausgekommen. Eine frühere Ausreise wurde uns immer wieder verwehrt, weil wir als Polen galten. Man hat uns sogar angeboten „richtige“ Polen zu werden. Mein Name ist ja polnisch, Dudek, polnisch für Wiedehopf. Aber unser Vater war fünf Jahre lang in russischer Gefangenschaft. Wie gesagt, wir wollten immer raus, aber man hat niemanden offiziell rausgelassen. Viele sind direkt nach dem Krieg geflüchtet. Jedenfalls hat es dann Ende 1950 irgendwie geklappt. Unser Haus steht immer noch da, das hat der Bürgermeister von Groß-Döbern übernommen, Dobrzen Wielki auf Polnisch.

So we went to the west, to Siegerland. My brother then started playing the trumpet. I didn't have an instrument at all back then; I played his trumpet and learned to play scales on the trumpet at the age of twelve or thirteen. After a year, my brother took me to the factory orchestra he played in. The director of the orchestra opened a cupboard and took out a clarinet, an E flat clarinet. I took it, blew into it and trilled something. I then had my first lessons with him, clarinet lessons.

My brother and his friends were already jamming in pubs or at friends' houses, and they also listened to a lot of records, sometimes at this place, sometimes at that. They met up and listened to everything. I heard Charlie Parker, of course, and the sound electrified me immediately. Of course I also heard Johnny Hodges and Coleman Hawkins. From then on, my dream was to play the saxophone. But first I started an architectural apprenticeship and worked in an architecture firm for four and a half years, because my parents thought, "Musician, you can't do that, you have to learn a proper profession. I had always painted a lot, so I was accepted into the office where I made architectural drawings. We built huge projects, high-rise buildings, steelworks, all in South Westphalia. And we were always jamming, even in the office. All the architects played an instrument; we jammed at the Christmas party, we also sat together at Easter and lots of artists came along. That's when I got my first alto saxophone. My brother had organized a big band with friends, the Melodia Rhythmiker - later the band was renamed after my brother, Ossi Dudek Bigband, after Ossi, Oswald Dudek. I played clarinet in it - by then I had a Bb clarinet and played Benny Goodman arrangements, including the solos that were available as transcriptions.

Und dann bekam ich mein erstes Saxophon, und schon nach einer oder zwei Wochen konnte ich das spielen. Ich hatte ein bisschen Unterricht. Wenn du vorher Klarinette gespielt hast, ist das nicht so schwer. Dann hab‘ ich jedenfalls in der Bigband angefangen, mit 15 oder 16 Jahren. Der erste Saxophonist, Michalek hieß der, der ging dann weg und ich übernahm die erste Saxophonstimme. Die Band wurde dann praktisch berühmt. Wir spielten jedes Wochenende in riesigen Hallen, in denen die Leute natürlich auch tanzten. Wir spielten Arrangements von Benny Goodman und Glenn Miller und solche Sachen. Und nebenbei jammten wir eigentlich immer; es gab eigentlich immer Jam Sessions, mal in diesem, mal in jenem Lokal. Ich selbst war besessen vom Sound Charlie Parkers, aber noch härter war Earl Bostic, der hat mich damals unglaublich angehauen. Obwohl ich Alt spielte, dachte ich aber eigentlich immer auf Tenorsaxophon.

Then it turned out that another big band came along and my brother and I joined it. And then there were people in the band who formed their own band, a quintet. I then went and played in American clubs with the band's trombonist, Hans Ernst, called Jacky Ernest. I had my first of these gigs in Frankfurt on Kaiserstraße. Back then you played in a club for one or maybe two months. I was wearing a Hawaiian shirt and stood in front of the club during the break, it was about as hot as it is today, and then a military checkpoint came by, they wanted to see my ID, they wanted to arrest me...

Knauer:
... because they thought you were American...

Dudek:
Exactly... I played with trombonist Hans Ernst's band for maybe two or three months, then I returned home, stayed there for a month or two, then I played in the next band again. And then there was an engagement in an American hotel in Garmisch-Partenkirchen, in the General Patton Hotel, where I spent the whole summer of '58, and there I met a lot of American musicians who were in the army, Cedar Walton, for example, and Joe Henderson, I think, and we jammed together a lot.

Knauer:
... in Garmisch? or Frankfurt?

Dudek:
... in Garmisch. Hmm, it could also have been in Kitzingen. That's where I had my first tenor. I bought it in Düsseldorf, then took the train to Kitzingen, but had a layover in Frankfurt and gave up my instrument there to go to the AKI movie theater - they were open around the clock in big cities back then. After a few hours, I took my instrument out of storage again, didn't look at it at all and got on the train to Kitzingen. It wasn't until I got there that I opened the case, but nothing worked at all, it was totally bent. It must have happened during storage; they just put the suitcases in a compartment like that and then they probably pushed another suitcase in and it fell down. Anyway, I opened the case and had to cry. A brand new tenor, the first time! I then went to Würzburg, which was nearby, and someone repaired it for me. Thank God I had my alto saxophone and clarinet with me.

Danach ging’s nach Garmisch, und dann kam eine Rock ’n‘ Roll-Band, mit der ich auch mit in Frankfurt spielte, mit Fats and his Cats. Damals hatten wir einen Gig in Hanau, das muss so Anfang, Mitte ’58 gewesen sein. Man fing damals bereits am Nachmittag an zu spielen, egal wie viele Leite da waren. An dem Tag jedenfalls war nichts los in dem Laden, gar nichts, kein Mensch da. Wir spielten dann einfach Jazz, Mulligan-Nummern und Chet Baker/Mulligan, genau, das war dann im Quartett, mit Fats and his Cats, „Hot Cats“, wie es groß auf der Trommel des Schlagzeugers stand. Normalerweise spielten die so Rhythm & Blues-Stücke, Fats Domino-Sachen. Eines Nachmittags jedenfalls spielten wir da, es war ganz dunkel, der Laden war leer, aber ganz hinten, in der hintersten Ecke saßen drei Köpfe. Und dann – ich spielte gerade –, dann standen die langsam auf, sie hatten so Hawaiihemden an, und zückten ihre Messer, drei so lange Klingen, und kamen langsam auf mich. Du musst dir das vorstellen: Ich spielte, und die drei mit ihren langen Klingen… dann ging der mittlere zur großen Trommel, die ganz vorne auf der Bühne stand, kniete sich davor, während die anderen beiden mit ihren Messern Schmiere standen. Und er kratzte die Buchstaben von der großen Trommel, „Fats and his Hot Cats“, langsam runter. Die fielen dann einfach runter… ich spielte immer weiter. Ich dachte, jetzt ist es aus, vorbei. Ich hab‘ noch ein Foto, da kann man die Schatten von der Schrift sehen. Die sind dann über die Felder und weg. Es war ja niemand da sie aufzuhalten, nur der Chef von dem Laden. Es waren wohl GIs, Puertoricaner auf Freigang. Die wollten wahrscheinlich Hot Music hören, keinen Mulligan. Später kam dann die Militärpolizei und nahm alles auf. Die haben sie aber, glaube ich nie gekriegt.

The next step: Dann fing ich im Berlin Jazz Quintett an. Das war die Band von Helmut Brandt, wir hatten über Gigs, in Stuttgart, Hamburg im Rundfunk. Helmut Brandt ging dann weg nach Berlin zur RIAS Big Band, und dafür kam Conny Jackel, Trompete. Dann kam noch die Jazz Group Hannover, bei der ich den Saxophonisten Bernd Rabe ersetzte. Aber vor Edelhagen war meine letzte Band tatsächlich die von Helmut Brandt, das Berlin Jazz Quintett, mit Rudi Füsers, Ventilposaune, Heinrich Schröder, also John Schröders Vater, am Schlagzeug und Klaus Gernhuber am Bass. Ich hab‘ noch super Fotos aus der Zeit.

Knauer:
Then you were with Kurt Edelhagen for a few years...

Dudek:
Yes, we also played in Cologne back then, at the Bohème, a pub in the famous Eigelstein scene. And musicians from the Edelhagen band came by and joined us, Derek Humble, Jimmy Deuchar, and we jammed the whole evening. And then Derek suddenly asked: Do you want to join the Edelhagen band? There had just been a change in the saxophone section because the tenor player, Jean-Louis Chautemps, was going back to Paris. I had to do an audition at the end of 1959. I had just been engaged on a riverboat in Lübeck, and the Edelhagen band was playing in a large hall in Hamburg. I went there and went on stage. They were all sitting there in front of their sheet music, and I just played everything from the sheet music, slow pieces, fast pieces. The funniest thing: Edelhagen wasn't even there. I had to go straight back to Lübeck because I had the gig that evening, and just as I was leaving the stage, Edelhagen came in. A week later I got the news: I had the gig. I then started in February 1960.

Dusko Goykovitch was also in the band at the time. I had only been in the band for a few weeks when Dusko suggested: Gerd, let's go to Düsseldorf tomorrow, where Jazz at the Philharmonic is playing. That was a tour with the Miles Davis Quintet, the Stan Getz Quartet and Oscar Peterson, among others. They were also making television recordings. So Dusko and I went to the Apollo Theater in Düsseldorf. Everything was dark there, nothing was happening on stage. Stan Getz was sitting cross-legged on the floor. Dusko talked to him and introduced me: Stan, meet Gerd Dudek, a fantastic tenor player. Oh, nice to meet you. They were all waiting for Miles, for Miles Davis, but he never came. I saw Coltrane walking around and then I went to the canteen for a coffee. There was a long counter, like from a Hopper picture, with a waitress behind it in a white smock apron. Just 1950s.

Ich ging also zur Kantine, und Coltrane ging direkt neben mir. Wir gingen zusammen zur Theke, bestellten Kaffee. Coltrane hatte einen Smoking an und darüber eine kurze schwarze Cordjacke. Er war ungefähr einen halben Kopf kleiner als ich, und ganz dünn. Wir gingen dann zurück zur Bühne. Miles war immer noch nicht gekommen, und dann fingen Stan Getz und Coltrane an etwas zu spielen, in F, „Hackensack“. Das wurde zwar aufgenommen, ist aber nie gesendet worden. Irgendwann später hatte ich Ali Haurand mal gefragt, der ja für den WDR gearbeitet hatte, und dann fanden sich die Bänder irgendwo in der hintersten Ecke im Archiv. Ich kriegte dann eine Kopie, als Audio, nicht als Video. Darauf spielt Oscar Peterson, Paul Chambers, Jimmy Cobb. Wynton Kelly war auch dabei, in der Band, und Coltrane spielte im Quartett, und mit Stan Getz spielte er „Hackensack“. (Das heißt im Original ja eigentlich „Rifftide“ und ist von Coleman Hawkins.)

Knauer:
For those who would like to see this story illustrated now: There is actually a clip of this session on YouTube, Stan Getz and John Coltrane at their only joint performance, from Düsseldorf.

Tell us a bit about your influences as a saxophonist.

Dudek:
Anfangs war das hauptsächlich Stan Getz. Das war für mich der absolute Meister, seine Technik, sein Sound. Daneben hörte ich Coleman Hawkins und Charlie Parker. Nachdem ich zum Tenor gewechselt habe, war es aber Stan Getz, absolut. In Frankfurt gab es auf der Taunusstraße dieses Musikhaus Hummel, da ging ich immer hin, da kam auch immer Don Menza hin. Ich spielte damals wie Stan Getz, mit genau diesem Sound. Menza hatte alle möglichen Schallplatten, und der sagte mir dann: Gerd, hör mal dies, hör mal das, hör mal den. Dann hat er mir vor allem Coltrane-Platten vorgespielt, also die alten Coltrane-Platten, auf Prestige. Schon ein wahnsinniger Sound, aber ich hab‘ da überhaupt nicht drauf gestanden. Der Sound war mir damals einfach zu hart, ich stand nun mal total auf Stan Getz, auf dessen homogen runden Sound. Coltrane war mir einfach zu hart, das ist doch kein Saxophon. Später kam ich dann natürlich dahinter, was da alles drin steckt. Ich erinnere mich jedenfalls noch genau, wie Stan Getz mit Coltrane kommuniziert hat, nicht verbal, sondern eigentlich nur mit Blicken.

Knauer:
Back to Edelhagen again. You started out in a big band with your brother Ossi, then you played in small ensembles, and then with the Edelhagen band, which was not only a jazz orchestra but also recorded a lot of dance music and pop music. Is that kind of thing frustrating for a jazz musician in the 1960s? Or is it mainly seen as a good source of income?

Dudek:
Also, die Band war super-präzise. Derek Humble saß als erster Altist viereinhalb Jahrelang direkt neben mir. Ich hab noch genau im Ohr, wie der gespielt hat, so genau, im Timing und so. Das hab‘ ich von ihm gelernt. Und die Edelhagen-Band war damals auch wegen dieser Präzision das Top-Orchester in ganz Europa. Und wir haben auch viel Jazz gespielt, hatten eigentlich andauernd Jazzkonzerte. Wenn Johnny Griffin kam, hab‘ ich mit Johnny Griffin gejammt, sobald die Proben vorbei waren, mit Johnny und Maffy Falay, Trompete, und da war noch Mely Güröl, ein türkischer French-Horn-Spieler, der später nach Hollywood ging und Filmmusik schrieb. Wir haben dann im Kreis gestanden, einer spielte den Chorus, Johnny Griffin spielte auf dem Saxophon den Bass dazu. Und dann nahm er mein Horn und gab mir seins. Ich hab‘ dann auf seinem gespielt und er auf meinem, ich mit seinem Blättchen und er mit meinem Blättchen. Weißt du, Johnny spielte immer King. Ich nehme an, der wollte einfach mal ein Selmer spielen – ich hatte dieses alte Selmer. Später hat er dann auch auf Selmer gewechselt, weil der den Sound liebte.

Well, and then came Donald Byrd and Jimmy Giuffre with Steve Swallow and Paul Bley... I went shopping with Jimmy Giuffre on the famous Hohe Strasse in Cologne. We had a tailor from the big band who told me: "You buy the fabric, I'll make you suits. Today you can't even pay for something like that anymore.

Knauer:
You've now talked a lot about a time and music that probably not many people in this room associate you with. Many people know you more from the ensemble you performed with on this stage last year, the Globe Unity Orchestra. Which means, more with free music than with big band music. How did you get involved in this independent scene?

Dudek:
Naja, mit der Edelhagen-Band hab‘ ich eines Tages einen totalen Bruch gemacht. Von heute auf morgen hab‘ ich gesagt, ich bin weg, Kurt, ich gehe! Drei Monate Kündigungsfrist. Wir hatten halt immer diese Fernsehshows gespielt, Filme mit Joachim ‚Blacky‘ Fuchsberger und so… „Nur nicht nervös werden“ hieß einer davon. Und da wurde tagelang im Studio gefilmt, du durftest aber keinen einzigen Ton spielen, weil das Playback bereits vorher aufgenommen worden war. Du sitzt also zwei Wochen lang im Scheinwerferlicht, Filme, Pause, nächste Szene und so weiter. Ich hab‘ dann in den Pausen immer in der Ecke gesessen und geübt, bis es wieder hieß: einsteigen, wieder einsteigen! Also wieder ab auf die Bühne. Ich war ja gerade mal 24 oder 25, also 1964 war das. Ich wollte spielen.

And then we went on a tour of Russia. In 1964, in the middle of the Cold War, and the first stop was Moscow, then Leningrad and Sochi. We arrive at the hotel, a huge hotel, wait in the lobby and then we don't get our rooms. We were told to go to another hotel, which was very cheap and a bit out of town. Derek Humble woke up the first night and was completely bitten by bugs. Why all this? The Bolshoy Ballet was in exchange for the Edelhagen Big Band in Germany, Bolshoy Ballet. And the German authorities had expelled two of the people from the Bolshoy Ballet, I don't know what the reason was, whether they had been spying or something. In any case, I assume that our relocation to the bugged hotel was a tit-for-tat. Apart from that, we always had a 'friendly companion' with us on tour. We played for two weeks in Moscow, and also in the other cities, sometimes in stadiums and in front of thousands of people, 20,000 people, every night...

So then I quit Edelhagen and went straight to Berlin, where Fritz Bauer, Joe Nay and Hans Rettenbacher wanted to do a quartet with me. I had a big 220 Mercedes and went straight to Berlin with Bob Carter, an American and the last bass player I had played with at Edelhagen. There I met Johnny Griffin again, who was playing in Berlin. We lived together with other musicians in a huge apartment on Westfälische Straße. Kenny Barron's brother, the saxophonist Bill Barron, came and told me about John Coltrane. He had been at school with Coltrane. The two had started making music together; Bill Barron had initially been much more modern than Coltrane, who had played quite conventionally, still on the alto saxophone. Then, of course, he developed further.

Bill jedenfalls empfahl mir: Schau nicht auf Sonny Rollins, schau auf Coltrane. Ich war ja noch am Üben. In Berlin traf ich viele amerikanische Musiker, die waren schon in der Free-Szene aktiv waren. Dann spielte ich mit dem Schlagzeuger Stu Martin in total freiem Kontext zusammen. Ich war aber noch gar nicht so weit. An einem Abend spielten wir einen Set, und ich zitierte „All the Things You Are“ dazwischen. Und da fuhr Stu von hinten dazwischen: BAAAA! What’s that?! Das war schon ein radikaler Umbruch.

Mit Manfred Schoof und Alexander von Schlippenbach hatten wir schon zu Edelhagen-Zeiten ein Quintett, mit dem wir vor allem Hardbop spielten, Art Blakey, Horace Silver. Ich war bereits anderthalb Jahre in Berlin, als mich Manfred anrief: Gerd, komm‘ zurück nach Köln, wir machen unser Quintett neu, aber jetzt mit eigenen Stücken, keine Bebop-Nummern mehr. Ich bin dann sofort zurück nach Köln. Wir übten in Marburg; Claus Schreiner lebte dort, und auch Buschi Niebergall, bei dem ich meistens wohnte. Nur eigene Stücke also. Wir probten und übten und spielten, und dann kam die erste Platte heraus bei Lippmann+Rau, „Voices“, die wurde ein Riesenhit in ganz Europa. Wir haben in der Folge alle Festivals abgespielt, Molde, Montreux, Prag, Warschau…

Knauer:
You played your own pieces; you started to improvise more freely. You actually came from a completely different kind of music, that's a big aesthetic shift, isn't it? How did the audience react to it

Dudek:
Ja, das war schon plötzlich. Die Reaktionen haben mich erstaunt, sie waren größtenteils positiv. Natürlich gab es auch Buhs von den eingefleischten Jazzern. Aber selbst von amerikanischen Musikern bekamen wir nur Zuspruch. Woody Shaw und der Saxophonist Nathan Davis hatten eine Gruppe, die bei einem Gig zusammen mit uns gebucht war. Woody Shaw kam danach zu mir und meinte: Awww, fantastisch. I’d like to play like you. Die meisten der Amerikaner waren damals, Mitte der 1960er Jahre, noch nicht so frei. Und wir haben das einfach gemacht. Naja, und natürlich waren wir bereits zuvor in Kontakt mit modernen Komponisten gewesen, Bernd Alois Zimmermann und Karlheinz Stockhausen, die ja beide in Köln lebten. 1965 hatten wir bei der Uraufführung von Zimmermanns Oper „Die Soldaten“ mitgewirkt, später dann beim „Requiem für einen jungen Dichter“.

Mit Wolfgang Dauner und Jean Luc Ponty war ich 1967 bei der Platte „Free Action“ dabei gewesen. Wolfgang hatte seine Stücke schon richtig notiert, aber die Improvisationen dazwischen waren immer frei. Und dann war da natürlich Globe Unity, ab 1966, wo wir in Berlin auftraten. In der Band gab es ebenfalls aufgeschriebene Teile, die quasi die Richtung vorgaben – von hier nach da –, und die Struktur ¬ jetzt spielt der ein Solo oder zwei Solisten zusammen, dann aber kommt wieder ein geschriebener Block. Das waren dann meist grafische Partituren, aber nach und nach wurde das später ganz aufgegeben. Naja, es gab schon noch Noten, zum Beispiel bei einer Asien-Tournee fürs Goethe-Institut, bei der wir anfangs Stücke spielten. Aber dann waren wir in Bombay beim Festival, und Alex meinte nur: heute keine Noten! Und dann spielten wir eben nur frei. Du musst dir das vorstellen: ein riesiges Openair-Festival. Stan Getz spielte vor uns, und dann wir, 20, 21 Leute, völlig freie Improvisation, und dann sah man schon die ersten Leute rausgehen. Wir spielten aber einfach weiter, am Ende war kaum mehr einer da. Es gab einen Riesen-Verriss in der Presse, da las man dann von einer Kakophonie ohnegleichen.

Knauer:
What was it like for you when you realized that the audience that loved you before suddenly couldn't relate to your music anymore? As a musician, do you ask yourself whether you're still doing everything right? Or did you say: Now more than ever!

Dudek:
Ja, das ist eine gute Frage. Früher man hat ja immer fürs Publikum gespielt. Und dann kam in den 1960er Jahren dieser Umbruch, da wollten wir’s denen zeigen, wollten keine anschmeichelnde Musik, keine schöne Musik mehr machen. Ich selbst … für mich war das immer ein bisschen too much. Ich hab auch in den freien Passagen immer versucht einen großen Bogen zu machen. Weißt du, es gab ja damals auch Leute, die konnten kaum ihr Instrument spielen, haben dann aber „frei“ gespielt.

Knauer:
At the end of this conversation, I would like to talk about instrumental matters, about technique. How often do you practise each day?

Dudek:
I actually practise every day, even if it's only for half an hour. I'm still trying to find the right sound, a sound that is in harmony with the body. That has as much to do with the instrument as with the mouthpieces. I've just been given a saxophone to look at that belonged to the saxophonist Frank Wright. It hasn't been played for a long time and it has a completely different sound. He had one of these custom-made in Paris. I play with Markus Lüppertz from time to time, and Frankie Wollny, who organizes it, had the instrument at home. They used to live in the same area, at least he had the saxophone with him for decades. Last week we played with Lüppertz in a church, a different kind of music, free, but also melodic. Anyway, the organizer has two sons who also play, and one son tried out the saxophone but could hardly get anything out of it. Frankie then gave it to me to check out; I had to clean it up a bit first.

Knauer:
So every instrument has its own sound? You don't make the sound, only you and the instrument together...

Dudek:
Ja, das ist für mich sehr wichtig. Dein Instrument darf dich nicht überwältigen. Du musst damit machen können, was du willst. Und deshalb hab‘ ich das schöne alte Mark VI von 1959, das ist wie ein Teil von mir.

Knauer:
Do you still play the soprano saxophone? Flute?

Dudek:
Yes, I play the flute every day. I would like to play the flute and clarinet more, that can be very important for tuning. On the other hand, an instrument basically already contains all that. But I'm still looking for mouthpieces and reeds. That's a topic in itself, saxophone reeds. I recently played with Klaus Doldinger at the Düsseldorf Jazz Rally in the new state parliament, and Klaus recommended these reeds to me. I bought them straight away, but I just can't get to grips with them. You just keep on searching...

Knauer:
So you've been playing the saxophone for many, many years and are still looking for the right reed, still searching for the right sound?

Dudek:
That's right, yes.

Oral History

Joachim Ernst Berendt

It all started with Joachim Ernst Berendt - at least if you look at the history of the Jazzinstitut. His collection, which he sold to the city of Darmstadt in 1983, was the cornerstone - meanwhile grown many times over - of what constitutes the archive of the Jazzinstitut. When I began work as the founding director of the Jazzinstitut in September 1990, I naturally quickly came into contact with Berendt. We saw each other regularly, about three or four times a year, mostly at his house in Varnhalt near Baden-Baden, where I picked up boxes of material that he passed on to the Jazzinstitut in accordance with his contract with the city; CDs, books, other things that he had received on jazz but that no longer aroused his interest.

Following the example of the Institute of Jazz Studies, we began as early as 1991 with interviews documenting eye-witnesses of German jazz history, a kind of oral history project, that we recorded on tape, and in some cases even on video. It didn't turn out to be a very large collection of interviews - the daily workload of the Institute developed too much in other directions. But the interview with Joachim Ernst Berendt, which lasted several hours, is one that was particularly important to me because it was more than just his story: it also told the story of the material we were now managing. As always in such personal memoirs, Berendt's account is a purely subjective one. He deliberately omitted certain topics; about others he had his own unique perspective. I was (and am) not an investigative journalist; my job was to get him to talk. And when I recently - somewhat while cleaning out the shelves at the end of my term - stumbled across the conversation with him again, I did find it remarkable. So here is the story of Joachim Ernst Berendt, in his own words.... (in German)

(Wolfram Knauer, Oktober 2023)

To read the PDF file, just click on the image

(Bild oben: Joachim Ernst Berendt beim 4. Darmstädter Jazzforum 1995. Foto: Matthias Creutziger)