Archiv der Kategorie: Jazz in Darmstadt

Dozentinnen und Dozenten 2025

Corinna Danzer

Foto: Dirk Ostermeier

…  ist Jazzmusikerin und Musikvermittlerin mit gleicher Hingabe. Eine leidenschaftliche Erklärerin aus dem Herzen Europas und zugleich begeisternde Botschafterin der afroamerikanischen Musikgeschichte. Am Tenor- und Altsaxophon zuhause, studierte sie zunächst an der Amsterdam Hoogeschool voor de Kunsten, zog in die Jazzstadt Frankfurt, wo sie 1991 das damals noch frische, heute so begehrte, Arbeitsstipendium für Jazz der Stadt erhielt und – nach einem Intermezzo in New York –, schließlich doch Mainhattan und seiner pulsierenden Szene den Vorzug gab. Danzer spielte dort in dem ihr eigenen zurückhaltendem Gestus und sanfter Intonation mit der Frankfurter „Krem“, Emil Mangelsdorff, Manfred Bründl, Vitold Rek, Thomas Cremer oder Adrian Mears, wirkte in der Bigband des Hessischen Rundfunks bei Konzerten neben internationalen Stars wie Benny Golson, Kenny Burell, Ernie Watts oder Ingrid Jensen mit.

Heute ist Corinna Danzer in vielerlei Hinsicht so etwas wie die Stimme und das Gesicht der freien Jazzpädagogik in Frankfurt. Zwar folgte ihrer Hinwendung Anfang der 2000er Jahre zur „Bühne für die Kleinen“ keine vollständige Abwendung von der Bühne für die Großen, doch häufiger als mit renommierten Kolleg*innen, wie dem Gitarristen Martin Lejeune oder der Pianistin Anke Helfrich, sieht man sie inzwischen in den Schulen der Mainmetropole und des hessischen Umlandes mit ihren außergewöhnlichen musikpädagogischen Projekten.

Mit ihrer von großer Empathie genährten Nahbarkeit, ihrer Authentizität und  Unverstelltheit gelingt es ihr mit Leichtigkeit, das Herz der jüngsten Fans für den Jazz und das Erlebnis Musik zu öffnen. Sie ist eine originelle Entwicklungshelferin in Sachen Jazz, eine begeisterungsfähige Pädagogin und eine mit allen Wassern ihrer künstlerischen Vita gewaschene Musikerin. Dafür wurde sie 2023 mit dem Hessischen Jazzpreis ausgezeichnet.

Über ihren Vorstellungen zum Workshop sagt sie:

„Für den Workshop werde ich einige Stücke aus verschiedenen Epochen zur Auswahl mitbringen, von denen keines in einem Real Book zu finden ist. Wir werden uns die Musik so zu eigen machen, wie es in der Entstehungszeit des Jazz übliche Praxis war: Mit Ohr, Stimme, Herz und Verstand – und Trial and Error. Diese Art zu lernen macht Spaß und sorgt für ein tiefes Verständnis für Form, Rhythmus und Harmonien, und viel Kompetenzzuwachs – gerade auch für die Improvisation.“


Rudi Fischerlehner …

Foto: David Beecroft

…  spielt Schlagzeug in Projekten verschiedener Schattierung von improvisierter und experimenteller Musik, Jazz und Post-Rock. Außerdem schreibt und produziert er Musik für Bands, Filme und Performances. Geboren 1977 in Oberösterreich, beginnt er früh Schlagzeug zu spielen und bekommt Unterricht an Schlagzeug und klassischer Perkussion. Als Teenager beginnt er mit Bands in und um Linz aufzutreten, anschließend zieht er nach  Wien, reist nach Afrika und China, verbringt einige Monate in New York und lebt aktuell in Berlin. Fischerlehner veröffentlichte zwei Schlagzeug-Solo Alben, Spectral Nichts und 15 8 SLUM, spielt oder spielte mit Xenofox, Der Dritte Stand, Fiium Shaarrk, Joke Lanz, Mia Dyberg, Isambard Khroustaliov, dem Julie Sassoon Quartet, Matthias Schubert, Tonia Reeh, Gorilla Mask und vielen anderen zusammen.

Über seine Ideen für den diesjährigen Kurs sagt er folgendes:

„Gemeinsam mit dem Ensemble möchte ich aus freien Improvisationen Klänge, Texturen und Zugänge extrahieren, die dann zusammen mit komponierten Skizzen von mir und den Teilnehmer*innen das Rohmaterial für das Konzert bilden. Davon ausgehend werden wir mit verschiedenen Strategien experimentieren, das so entstandene Vokabular zu einem längeren Set zusammenzufügen – im weiten Spektrum der Möglichkeiten zwischen Spontanität und Arrangement.“


Martin Lejeune …

Foto: 7lue

… studierte Jazzgitarre an der Hochschule der Künste in Amsterdam. 1994 kam er nach Frankfurt, wo er als freischaffender Gitarrist, Komponist und Arrangeur tätig ist. Zudem ist er Lehrbeauftragter der Jazzabteilung der Hochschule für Musik in Mainz und am Peter-Cornelius-Konservatorium der Stadt Mainz. Auftragskompositionen im Bereich der angewandten Musik entstanden unter anderem für Film, Tanz und Hörstück.

Vor allem komponierte er für die Bühne: Wuppertaler Bühnen, Theater Freiburg, Kosmos Theater Wien, Theater Basel, Theaterhaus Frankfurt, Ensemble 9. November, Volksbühne im Großen Hirschgraben, Stalburg-Theater Frankfurt, Neues Theater Höchst, Theater Willy Praml und für das Deutsche Jazzfestival Frankfurt.

Als Gitarrist arbeitete er unter anderem mit der HR Bigband, dem HR Sinfonie Orchester, dem Mahler Chamber Orchestra, dem National Ballett Mannheim, der Neuen Philharmonie Frankfurt, am Schauspiel Frankfurt, am Staatstheater Mainz, bei den Luisenburg-Festspielen Wunsiedel, mit Mikail Aslan, Alfred Harth, John Tchicai, Phill Niblock, Corinna Danzer, Bob Degen, Emil Mangelsdorff, Bändi (Finnish Tango) le jeune matin, dem European Groove Orchestra, den Soul Jazz Dynamiters, No Lega, Charles unlimited und tos les quatre matins.

Neben anderen Auszeichnungen erhielt er 2003 das Arbeitsstipendium Jazz der Stadt Frankfurt. Aktuell: 38. Deutscher Rock & Pop Preis – Bestes Weltmusikalbum 2020 (mit Bändi) und Frankfurter Kinder- und Jugendtheaterpreis Karfunkel 2021 (mit Klaar Kimming)

Über seine Ideen für den diesjährigen Kurs sagt er folgendes:

„Ich möchte mich gerne mit dem freien Spiel und den fließenden Grenzen zu komponiertem Material auseinandersetzen. Das ist angelehnt an mein aktuelles Projekt „tous les quatre matins“. Hierzu wird es hilfreiche Tipps für Improvisationskonzepte geben.“


Athina Kontou

Foto: Thekla Ehling

… wuchs zwischen Athen und Frankfurt auf, studierte Musikwissenschaft in Mainz und Jazz-Kontrabass in Weimar und Leipzig. Die Deutsch-Griechin ist festes Ensemblemitglied bei Luise Volkmanns Été Large, „Trieders Holz“ der Flötistin Conni Trieder sowie dem aktuellen Trio der Berliner Pianistin Julia Kadel. Daneben bewegt sie sich aber auch gerne in der Szene für frei improvisierte Musik. Kontous zentrales Projekt ist ihr eigenes Ensemble „Mother“, mit dem sie die Musiktraditionen ihrer griechischen Heimat mit der Klangsprache des zeitgenössischen Jazz verbindet. Traditionelle Musiken werden bei ihr durch zeitgenössische Klangwelten anreichert und damit eine Atmosphäre kreiert, die intuitiv verständlich und zugleich sehr persönlich ist.

Athina Kontou sucht in ihrer Musik immer nach dem Verbindenden in den verschiedenen Kulturen. Als Grenzgängerin zwischen den Stilen, die tief in Tradition und dem eigenen persönlichen Erleben gründet, strebt sie nach einem neuem Ausdruck in dieser kulturellen Auseinandersetzung. Der Versuch mit „Mother“ einen lebendigen, farbenreichen Klangkörper zu bilden, in dem durch die Intensität des Zusammenspiels und die Sensibilität der Arrangements ein organisches künstlerisches Produkt entsteht, wurde in den vergangenen Jahren mit viel öffentlicher Anerkennung belohnt. Ihr erstes Album „Tzivaeri“ erschien 2022 auf nWog-Records und war 2023 in der Auswahl für den Preis der Deutschen Schallplattenkritik und den Deutschen Jazzpreis. Als Instrumentalistin war Athina Kontou außerdem 2024 für den Deutschen Jazzpreis in der Kategorie „Saiteninstrumente“ nominiert. Sie lebt seit 2021 in Köln und engagiert sich auch kulturpolitisch zum Thema Nachhaltigkeit in der Musikbranche.

Zu ihren Vorstellungen für die Arbeit mit ihrem Ensemble sagt sie folgendes:

„Ich möchte mit dem Ensemble an der Kombination von folkloristischen Melodien/Spielarten und freier Improvisation arbeiten. Außerdem werde ich mit den Teilnehmer*innen das Thema Bandsound bearbeiten und versuchen, in der Woche als Klangkörper zusammenzuwachsen. Ich freue mich auf ein spielerisches Miteinander! Eigenkompositionen und Ideen der Teilnehmer*innen sind herzlich willkommen.“


Uli Partheil

Foto: Oskar Partheil

… ist seit 2021 künstlerischer Leiter der Darmstädter Jazz Conceptions und damit Nachfolger seines langjährigen musikalischen Mentors und Freundes Jürgen Wuchner. Partheil ist einer der aktivsten Protagonisten der Darmstädter Szene, beeinflusst von der Musik Duke Ellingtons, Thelonious Monks, kubanischen Rhythmen und dem Blues. Er ist nicht nur ein versierter Pianist in sämtlichen Stilistiken des Jazz, sondern auch als Komponist tätig. In seinen Werken geht er äußerst kreativ mit den verschiedenen Einflüssen um, die ihn als Musiker prägen.

Uli Partheil studierte an der Mannheimer Musikhochschule unter anderem bei Professor Jörg Reiter Jazzpiano, außerdem Komposition und Arrangement. Seit Beginn der 1990er Jahre arbeitete er mit Jürgen Wuchner, Matthias Schubert, Janusz Stefanski, Ack van Rooyen, Rudi Mahall, Emil Mangelsdorff, Hanns Höhn, Peter Back, dem Wiener Kronenbräu Orchester und vielen anderen zusammen. Als Begleiter ist er auch immer wieder am Staatstheater Darmstadt zu hören. Bis zum Beginn der Pandemie leitete er das von ihm selbst ins Leben gerufene Darmstädter Jugendweltmusikorchester.

Mit seinem Working Trio „Playtime“ ist er in den letzten Jahren mit verschiedenen Literatur- & Jazz-Projekten erfolgreich. Zuletzt veröffentlichte er gemeinsam mit Ulli Jünemann, Ralf Cetto und Angela Frontera den Longplayer „Reflections2020“. Partheil unterrichtet an der Jazz & Pop School und der Akademie für Tonkunst in Darmstadt. Für seine musikalischen Verdienste und sein Wirken für die Förderung des jazzmusikalischen Nachwuchses erhielt er 2008 den Darmstädter Musikpreis.

Über seine Vorstellungen zum diesjährigen Workshop schreibt er folgendes:

Ich möchte wieder versuchen mindestens ein Stück auswendig und ganzheitlich zu erarbeiten, d.h. die Musiker*innen sollen nicht nur ihren Part, sondern das ganze Werk lernen und verstehen. Dazu werde ich eigene Kompositionen und andere ausgewählte Stücke mitbringen.“


Jon Sass …

Foto: Vera Schüller

… scheint als Tuba geboren, schrieb der österreichische Produzent Christian Kolonovits einmal kurioserweise über den Austro-Amerikaner. Sass ist ein Mensch des Dialogs. Als junger Tubist nach Österreich gekommen, war und ist das musikalische Gespräch mit Partnern die wichtigste Basis seiner Musik. Indem er Dialog über alle Generationengrenzen und kulturellen Unterschiede hinweg zum Mittelpunkt macht, transferiert er Gedanken auf die Ebene seiner Sprache, die Musik.

Jon Sass ist ein wahrer Groove-Meister und einer der kreativsten Tubaspieler aller Zeiten. In New York City geboren, wuchs er in Harlem auf und begann mit 14 Jahren Tuba zu spielen. Zwei Wochen nach seinem High-School-Abschluss begann seine professionelle Karriere, die ihn zwischen Boston, Wien und New York pendeln ließ, während er gleichzeitig sein Studium an der Boston University absolvierte. Es war der legendäre Tubist Howard Johnson der Jon Sass‘ europäische Karriere maßgeblich beeinflusste. Johnson empfahl ihn 1979  Matthias Rüegg für dessen Vienna Art Orchestra, und der Student entschied sich aus dem Bauch heraus, nach seinem Universitätsabschluss nach Wien zu ziehen.

Jon spielte und tourte weltweit oder nahm Platten auf mit zahlreichen Topp-Musiker*innen wie Ivan Neville, Vince Mendoza, Ricky Ford, Bobby Shew, Steven Mead, den Kammerorchestern der Wiener und der Berliner Philharmonikern, in Duo-Besetzungen mit Dave Taylor, Arkady Shilkloper und Wolfgang Puschnig. Außerdem spielte er mit Ray Anderson, Michelle Rosewoman, David Murray, Sunny Murray, Butch Morris, Leon Thomas, Peter Erskine, Frank Foster, Erika Stucky, HenryThreadgill, Howard Johnson Heavy Tuba und eben dem Vienna Art Orchestra, wo er unter anderem Jürgen Wuchner kennenlernte. Jon komponiert seine eigene Musik und war auch als Arrangeur unter anderem für die James Brown Horns tätig.

Seit Oktober 2022 unterrichtet Jon Sass Tuba mit Schwerpunkt Jazz und Popular music am JAM LAB MUSIC UNIVERSITY in Wien, vermutlich die einzige universitäre Lehrstelle dieser Art weltweit.

Universal Consciousness [blog]

Spiritualität im Jazz und der Blues vom guten Leben.

Gedanken zum Thema der Konferenz zum 19. Darmstädter Jazzforum vom 25. bis 28. September 2025


Seit 1989, also eigentlich schon ein Jahr länger als das Jazzinstitut Darmstadt selbst (gegründet im Oktober 1990), gibt es das Darmstädter Jazzforum. Der Initiator des ersten Jazzforums, der Gießener Musikwissenschaftler und Jazzmusiker Ekkehard Jost, formulierte den Anspruch der Veranstaltung in einem Vorwort zum ersten Tagungsband als, „einen ersten Versuch, verstreute Forschungsvorhaben und -ergebnisse aufeinander beziehbar zu machen, Erfahrungsaustausch zwischen Musikwissenschaftlern und Musikern zu ermöglichen und eine interessierte Zuhörerschaft über den aktuellen Stand der Jazzforschung – oder doch zumindest einiger seiner Teilbereiche – zu informieren.“ (Ekkehard Jost (Hrsg.): Darmstädter Jazzforum 89. Beiträge zur Jazzforschung. Hofheim 1990, S. 9)

Unter der Leitung von von Wolfram Knauer (17 Ausgaben zwischen 1991 bis 2023) hat sich das Jazzforum nicht nur in seinen Vortragsformen (Referat und Diskussion) stark weiterentwickelt, sondern ist auch viel stärker an den konkreten Aus- und Wechselwirkungen seiner Themensetzungen mit der künstlerischen und sozialen Alltagserfahrung der Menschen innerhalb der Jazzszene interessiert. Seit 2024 lenkt nun Bettina Bohle die Geschicke des Jazzinstituts Darmstadt. Damit wurde auch das Jazzforum noch einmal einem kritischen Blick von außen unterworfen. Für die Ausgabe im September 2025 werden wir am in den letzten Ausgaben unter Wolfram Knauer etablierten Format im wesentlichen festhalten. Insbesondere den Ansatz, ein übergreifendes Thema bzw. eine zentrale Fragestellung in den Mittelpunkt des Jazzforum zu stellen, werden wir absehbar beibehalten.  Ebenso wollen wir Beiträge aus der akademischen Diskussion, von Forschenden, weiterhin in den Mittelpunkt stellen und darüber zur Diskussion einladen. Dabei spielt Interdisziplinarität eine große Rolle: Jazzgeschichtliche  Forschung steht neben musikwissenschaftlicher Analyse und sozialwissenschaftliche Fragestellungen treffen auf kulturpolitische Debatten.

Für das bevorstehende 19. Darmstädter Jazzforum haben wir uns für das Thema „Spiritualität“ entschieden. Warum das so ist, wie unser teaminternen Überlegungen dazu verlaufen sind, welche anderen interessanten Ansätze von außen wir zu diesem Themenfeld entdecken, wollen wir hier vorstellen. Wir werden versuchen, diese Seite regelmäßig mit Beiträgen aus dem Jazzinstitut zu befüllen.

Wir freuen uns dabei auch über Input und Hinweise zu interessanten Aspekte von außerhalb, die wir gerne in Rücksprache mit den Autor*innen und natürlich nach unserer kritischen Betrachtung, gerne an dieser Stelle veröffentlichen.

Die Einsendefrist für eigene Beiträge zum 19. Darmstädter Jazzforum endete am 31.1.2025. 


Im Juni 2024 starteten wir mit folgenden Überlegungen zu „Spiritualität und Jazz“ institutsintern ins Thema.

Juni 2024 von Marie Härtling

Jazz und Spiritualität – ein chronologischer Bogen

Robert Patterson Singers, 1962 (Archiv JID)

Jazz und Spiritualität sind nicht nur auf den zweiten Blick Themen, die eng im Austausch stehen. Begonnen mit der Versklavung und christlichen Missionierung von Afrikaner*innen in Amerika, über das Konvertieren von Jazzmusiker*innen zum Islam in den 1960er und 1970er-Jahren und in die Gegenwart, mit der Frage nach einem achtsamen Leben von Jazz-Musiker*innen.

Spirituals und Gospel

Ihrer ursprünglichen Spiritualität beraubt, beginnen die afrikanischen Sklaven im 19. Jahrhundert sich den Zwang, den christlichen Glauben praktizieren zu müssen, zunutze zu machen. Ohne dafür bestraft zu werden, dürfen sich die Sklav*innen und später die „befreiten“ Sklav*innen in Gottesdiensten treffen. In Spirituals und Gospel verarbeiten sie ihre kollektiven Erfahrungen und führen durch sprachliche Codes in den Liedtexten ihre Oral-History weiter. „Swing low, sweet chariot, coming for to carry me home“, die Liedzeile des berühmten Spirituals der Fisk Jubilee Singers vom Ende des 19. Jahrhunderts, drückt eine Sehnsucht nach den Roots und eine transzendente Verbindung zur Heimat Afrika aus. Gemeinsam praktizierter Glaube wird zu einer der Grundsäulen der Afroamerikanischen Kultur, wirkt sinnstiftend und verspricht Heilung und eine bessere Zukunft. Die Musik, die fester Bestandteil dieser religiösen Rituale ist, wird zu einem Grundstein für die musikalische Bildung der Afroamerikaner*innen und beflügelt die Weiterentwicklung der schwarzen Musik in Amerika, auch den Jazz.

Spiritualität in der Bürgerrechtsbewegung

Mit der Bürgerrechtsbewegung in den 1960er Jahren beginnt eine neue Form des kollektiven Glaubens. Es geht nicht mehr darum, sich durch Assimilation Freiräume zu schaffen, sondern Abgrenzung von „den Unterdrückenden“ soll eigene, selbstbestimmte Räume aufmachen. Dabei spalten sich die Lager. Während der eher christlich spirituell verwurzelte Martin Luther King im Sinne Gandhis den gewaltfreien Widerstand propagiert, macht der ebenso spirituelle Malcom X als Mitglied der Nation of Islam Furore mit seinem Aufruf zur Gewalt. Viele Afroamerikaner*innen konvertieren zum Islam, nicht nur weil sie sich hier der weißen Vorherrschaft entzogen fühlen, sondern auch aus pragmatischen Gründen. So werden Personen mit muslimischen Namen weniger diskriminiert.

Der Sound eines offen spirituell geprägten Jazz

Im Jazz findet ab den 1960er Jahren eine Hinwendung zu musikalischen Traditionen der islamischen und hinduistischen Kultur hin. Der von der Apartheit in Südafrika geprägte Musiker Abdullah Ibrahim (Dollar Brand) kommt in den 1960er Jahren in die USA und konvertiert zum Islam. Gemeinsam mit u.a. Pharoah Sanders, Don Cherry, Alice und John Coltrane, verkörpert er Figuren im Jazz, die sich sehr offen zu ihrer Spiritualität bekennen und das in die Musik einfließen lassen. Zusammenfassend, bietet die Spiritualität den Afroamerikaner*innen einen gemeinsamen Ausweg vor der rassistischen Wirklichkeit.

Forschungsfragen zu Spiritualität und Musik heute

Wirft man einen Blick in die Gegenwart, wird sich mit dem Thema Spiritualität im musikalischen Kontext allgemein gehäuft auseinander gesetzt. Im Band-Kontext wird das Zusammenspiel der Musiker*innen untersucht und nach einem „Band-Spirit“ und „Band-Ritualen“ geforscht. Dabei tauchen Begriffe wie „Atmosphäre“ als Platzhalter auf. Bezogen wird sich hier auf den gesamten Prozess, von der Lehratmosphäre im Musik- und Instrumentalunterricht, über das obengenannte Zusammenspiel von Musiker*innen und das Komponieren von Musikstücken selbst. Besonders während der Corona-Pandemie zeigte sich hier eine Veränderung in der Kompositionsatmosphäre. Viele Musiker*innen äußerten sich zu ihrer entweder sehr hohen oder sehr niedrigen Inspiration durch die Isolation während der Pandemie. Auch das Erlebnis der Hörer*innen wird untersucht. Welche Rituale gibt es, auf Konzertbesuche und das Musikhören generell bezogen und welche Atmosphäre entsteht dabei? Begriffe wie „Music is my Religion“ entstehen bereits in der Techno-Szene der 1990er-Jahre.

Jazz und Improvisation im Blickwinkel der Spiritualität

Bezogen auf den Jazz und die improvisierte Musik wird erforscht, wie sich der „Flow“ des Improvisierens auswirkt, auch auf die seelische Gesundheit der Musiker*innen. Ca. 100 Jahre nach der Entstehung des Jazz unter obengenannten Umständen, fragt man nach den persönlichkeitsbildenden Aspekten, Teil einer Jazz-Szene zu sein. Gibt es einen „Jazz-Spirit“? Wie spirituell ist der Zugang von Musiker*innen zur Jazzmusik und gibt es Punkte, an dem sie durch die Musik ihre eigene Wirklichkeit begründen? Gibt es Menschen die von sich behaupten, „Jazz als Sinn des eigenen Lebens“ zu haben?

Der chronologisch aufgespannte Bogen durch das Sujet „Jazz und Spiritualität“ umfasst eine Fülle an Themen aus verschiedenen Disziplinen und ist nach allen Seiten offen. Die Frage nach dem Sinn, warum gibt es Jazz, warum hört man Jazz, warum spielt man Jazz und was ist eigentlich Jazz, treiben seit Jahrzehnten Musiker*innen, Journalist*innen und Hörer*innen um. Es scheint als gäbe es keine definitive Antwort, nur: da ist einfach irgendetwas, das hat mich eingenommen, daran halte ich fest und ich kann es nicht sehen, aber es ist da.


Juni 2024 von Arndt Weidler

Free Your Spirit – Jazz und Spiritualität

Robert Patterson Singers, 1962 (Archiv JID)

Technologisch, gesellschaftlich und politisch betrachtet, befindet sich die Menschheit derzeit in einem gewaltigen Transformationsprozess. Veränderungen der persönlichen Lebenswelt werden dabei von den allermeisten Menschen weltweit als alltägliche Bedrohung  wahrgenommen. Künstliche Intelligenz, demografischer Wandel, die aggressive Konkurrenz internationaler Beziehungen, Klimakrise, Bedrohungen der Biodiversität oder der ungleiche Zugang zu gesellschaftlichen und natürlichen Ressourcen überfordern dabei ein balanciertes Empfinden für die Bewertung persönlicher Handlungsmacht der Individuen.

Grausame Realität vs. Heilende Parallelwelten

Liegt da nicht der Rückzug aus der erlebten Realität und der Übertritt in künstlich geschaffene oder transzendentale Erfahrungswelten nahe; der Rückzug in eine Welt, die, wenn nicht ideal, so doch scheinbar unberührt und verlässlich bleibt, ganz gleich wie tiefgreifend und nachhaltig sich die Wirklichkeit verändert?

Diese Welt kann einerseits im virtuellen Parallelraum liegen – Individuen handeln und interagieren dort als Avatare oder Pseudonyme (Stichwort „Metaverse“) – oder eben in einer spirituellen Sphäre, in jener geistigen Meta-Ebene also, die – enthoben von der Alltäglichkeit kognitiver und biophysikalischer Immanenz – Transzendenz, Übersinnliches, Irrationales zulässt.

Perspektivwechsel fürs nächste Jazzforum?

Wir haben bei unseren letzten Jazzforen viel darüber nachgedacht, inwieweit eine transformationsoffene Musik wie der Jazz, zu dessen Kernelementen die Improvisation, die Innovation und die Interaktion, aber auch die besondere, kunstbezogene Haltung und die kultursoziologische Erfahrung der sich in diesem Kontext bewegenden Akteur*innen zählen, mit den globalen Entwicklungen moderner Gesellschaften resonieren. Wie politisch ist der Jazz? Wie geht er mit Forderungen nach geschlechtlicher Gleichstellung (gender equity) oder der Repräsentanz ethnischer und sozialer Diversität um? Welche Verantwortung tragen Kulturschaffende und Kreative? Ist die musikalische Praxis, die Art und Weise wie Musiker*innen Jazz interpretieren, ihr persönlicher Kommentar zur selbst erlebten Realität?

Wir sind also immer davon ausgegangen, dass die Musiker*innen proaktiv auf Veränderungen ihrer Umwelt reagieren, nicht nur um diese nachvollziehbar, künstlerisch zu spiegeln, sondern vielfach sogar, um sie bewusst zu verändern.

Aber kann es nicht auch umgekehrt sein, dass sich der Transformationsdruck der Gesellschaft auch auf die Kreativen niederschlägt; dass der Rückzug aus der erlebten Realität, die ja ganz praktisch für viele Jazzmusiker*innen hart genug ist, auch hier stattfindet? Vielleicht ist ja die Erschaffung eines Kunstwerks, dass nur für sich Selbst steht, gespeist aus der „Energie“ eines Individuums, allein ausreichender Antrieb künstlerischer Produktivität? Welche Rolle spielen Konstrukte wie „neue Innerlichkeit“, „Selbstfindung“, „kosmische Ordnung“ als Quelle der Inspiration beim Erschaffen neuer Musik und in der Aufführungspraxis?

Spiritualität beschäftigt den Jazz immer schon

Die Rückbesinnung auf, die Hinwendung zu oder die „Flucht“ in die Spiritualität (je nach Perspektive) hat schließlich historisch immer eine Rolle gespielt, ganz besonders auch in der slave culture beider Amerikas zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert: Da geht es um die Bewahrung oder Adaption echter oder vermeintlicher Rituale der afrikanischen „Heimat“, aber auch um Widerständigkeit im gewalttätigen und willkürhaften Unterdrückungssystem der Sklaverei, der Segregation und der Zwangschristianisierung. Musikalischen und kulturellen Ausdruck findet das in Field Songs, Spirituals und Gospelmusik, in Mardi Gras und Okkultismus, im Country Blues als devils music, in „unchristlicher“ Soulmusik, bis hin zum Sprengen der (jazz)musikalischen Konventionen durch Free Jazz im Sinne Ornette Colemans, dem surrealen Impetus des Afrofuturismus eines Sun Ra Arkestra oder dem frenetisch Transzendentalen einer Alice Coltrane bis hin zu Kamasi Washington.

Was würde mich bei dem Thema interessieren?

Mit welchen Themen könnte sich also ein Jazzforum befassen, das das Spannungsverhältnis oder eben die Symbiose von Spiritualität und Jazz behandelt?

Musik- und Sozialhistorisch:

  • Analysen zur „afrikanischen“ Ritualität in klassischen Sprituals
  • Schaffung von Spiritualität durch call-and-response-Muster in Gospel und Blues
  • Bedeutung von Spiritualität und „devianter“ Religionen für schwarze US-amerikanische Musiker*innen anhand von Beispielen: Dizzy Gillespie, Art Blakey, Yusef A. Lateef, John & Alice Coltrane, Benny Golson, Al Jarreau u.a.

Musikwissenschaftlich

  • Einflüsse als besonders spirituell wahrgenommener Musiken des Orients oder Südostasiens auf Schaffensphasen einzelner Musiker*innen
  • Veränderungen des Personalstils unter dem Einfluss veränderter oder wachsender Religiosität
  • Auswirkungen auf Bandsound oder Interaktion im Bandkontext durch spirituell geprägte Rituale

Philosophisch

  • Musik als Lebenssinn oder sinnveränderndes Medium
  • Jazz als ideale Imagination vom „guten Leben“
  • Sind „gutes“ Leben und „verantwortliches“ Leben dasselbe? Hedonismus versus Ethik

Psychologisch

  • Seelische Heilung durch Musik
  • Aufbau von psycho-sozialer Resilienz durch Förderung besonderer (musikalischer) Talente
  • „Kopfkino“ als Antrieb künstlerischer Produktivität

Soziologisch

  • Die Rolle religiös vorgeprägter Musiker*innen-Netzwerke
  • Der Einfluss der Institution Kirche auf die Entwicklung und Verbreitung des Jazz

Juni 2024 von Bettina Bohle

Sinnsucher*innen – Jazz, Spiritualität und das gute Leben

Robert Patterson Singers, 1962 (Archiv JID)

„God is a DJ!“ – Der Liedtitel der britischen Band Faithless aus den 1990er Jahren ist längst zu einem geflügelten Wort geworden. Er greift die zentralen Themen und Fragestellungen des diesjährigen Darmstädter Jazzforums auf: die Verbindung zwischen Musik, Spiritualität und der Suche nach Sinn.

Viele Jazzmusikerinnen waren religiös oder sahen ihre Musik in einem spirituellen oder metaphysischen Kontext. John Coltrane etwa widmete „A Love Supreme“ seiner tief empfundenen Gotteserfahrung, während Sun Ra mit seiner kosmischen Philosophie eine ganz eigene spirituelle Welt erschuf. Diese Dimensionen des Jazz spiegeln eine existenzielle Sinnsuche wider – eine Suche, die sowohl Musikerinnen als auch Hörer*innen berührt.

Die Fragen nach dem Sinn des Lebens, dem Glauben an eine höhere Instanz und dem eigenen Platz im Universum sind so alt wie die Menschheit selbst. Während sie früher oft mit dem Jenseits und der Vorbereitung auf das ewige Leben verbunden waren, geht es heute verstärkt um die Gestaltung eines erfüllten, sinnhaften Lebens im Hier und Jetzt. Dabei rückt das Verständnis des Menschen als Teil einer umfassenden, lebendigen Gemeinschaft in den Fokus. Mit der Sehnsucht nach etwas Ursprünglichem und Authentischem verbindet sich häufig auch eine gewisse Skepsis gegenüber Rationalität und Technisierung – ein Spannungsfeld, das eng mit dem Begriff der Spiritualität verknüpft ist.

Kunst spielte seit jeher eine zentrale Rolle in rituellen, spirituellen und religiösen Zusammenhängen. Jazz als offenes, improvisationsgetriebenes und global vernetztes Musikgenre bietet sich in besonderem Maße für diese Form der Sinnsuche an. Improvisation bedeutet, im Moment zu sein – in direkter Interaktion mit Mitmusiker*innen und Publikum. Jazzgeschichte ist zudem eng mit der afroamerikanischen Erfahrung verknüpft: Ursprünglich als Musik der Unterdrückten entstanden, formuliert Jazz eine Utopie des Miteinanders und kann als Weg des Widerstands und der Hoffnung verstanden werden.

Ein weiteres zentrales Thema ist die Verbindung von Körper und Geist. Der lateinische Begriff „spiritus“ verweist sowohl auf Atem als auch auf Geist – eine Dualität, die in der Musik spürbar wird. Gerade in Zeiten zunehmender gesellschaftlicher Fragmentierung, Technisierung und schwindender direkter menschlicher Interaktion wird der Wunsch nach gemeinschaftlichen Erlebnissen immer deutlicher. Die wachsende Beliebtheit von Live-Konzerten oder der Ansturm auf Sonderausstellungen in Museen zeigen, wie sehr Menschen nach geteilter Erfahrung, nach Sinn und Zusammenhalt suchen – aber auch nach Eskapismus. Kultur übernimmt hier eine Funktion, die früher oft Religionen zugeschrieben wurde. Besonders während der Corona-Pandemie wurde die verbindende Kraft von Musik und Kunst schmerzlich vermisst – und ihre Bedeutung umso bewusster wahrgenommen.

Auch Utopien und Zukunftsvisionen spielen eine Rolle in diesem Kontext. Immer wieder entwirft Kunst alternative Gesellschaftsentwürfe, die nicht selten eine kritische Auseinandersetzung mit den bestehenden Verhältnissen enthalten. In diesem Spannungsfeld zwischen Jazz, Spiritualität und gesellschaftlicher Reflexion setzt das Darmstädter Jazzforum 2025 an. Es lädt dazu ein, die vielfältigen Facetten dieser Sinnsuche zu erkunden und die tiefgehenden Wechselwirkungen zwischen Musik, Spiritualität, Transzendenz und dem guten Leben zu reflektieren.

UNIVERSAL CONSCIOUSNESS

19. Darmstädter Jazzforum (24.–28. September 2025)

Jazz, Spiritualität und der Blues des guten Lebens

Eine Musik, die offen für Wandel ist – wie der Jazz – spiegelt globale gesellschaftliche Entwicklungen wider. Diese Themen standen bereits in früheren Darmstädter Jazzforen zur Diskussion. Wie aber beeinflussen gesellschaftliche Veränderungen die Künstler*innen und die Jazz-Szene? Wie reagieren sie auf zeitgeschichtliche Herausforderungen? Gestalten sie diese aktiv oder ziehen sie sich zurück? Das Jazzforum 2025 widmet sich der künstlerischen und spirituellen Auseinandersetzung im Jazz – historisch und zeitgenössisch – und untersucht damit verbundene künstlerische und soziale Praktiken.

Musik hat seit jeher eine zentrale Rolle in spirituellen und rituellen Kontexten gespielt. Call-and-Response-Strukturen, die in vielen Musiktraditionen verankert sind, fördern Dialog und Gemeinschaft und stehen oft für spirituelle Verbundenheit. Dabei ist Musik ein Medium der Inspiration und Kommunikation und kann durch Tanz und Bewegung zur körperlichen Erfahrung werden.

Viele afro-amerikanische Musiker*innen nutzten spirituelle musikalische Formen – von Spirituals über Gospel bis hin zum Free Jazz – als Widerstand gegen Rassismus und Diskriminierung. Diese spirituelle Widerstandskraft prägte die Entwicklung des Jazz nachhaltig. Jazz als offenes, improvisationsbetontes Genre und seine Live-Charakteristik bieten auch heute Raum für unterschiedliche Sinnsuchbewegungen.

Das Jazzforum 2025, das vom 24. bis 28. September in Darmstadt stattfindet, wird unter dem von Alice Coltrane inspirierten Titel „Universal Consciousness – Jazz, Spiritualität und der Blues des guten Lebens“ historische und aktuelle (künstlerische) Reflexionen beleuchten.

Weiterlesen: In unserem Blog zum Jazzforum sammeln wir lose Gedanken zum Thema Spiritualität, Jazz und möglichen Fragestellungen zum Thema, versuchen aber auch regelmäßig über den Fortschritt der Veranstaltung und besondere geplante Formate während des 19. Darmstädter Jazzforums zu schreiben.

Beteiligung am Darmstädter Jazzforum 2025

Zum 19. Darmstädter Jazzforum waren über einen Call Musiker*innen, Wissenschaftler*innen, Veranstalter*innen, Journalist*innen, Musikpädagog*innen und weitere Interessierte eingeladen, Beiträge einzureichen.

Wir ermutigen Hochschulen, das Jazzforum als anrechenbaren Kurs in ihre Semesterplanung aufzunehmen. Studentische Beiträge können nach Absprache eingebracht werden, und wir unterstützen die Vorbereitung der Kurse im Rahmen unserer Möglichkeiten.

  • Bei Interesse an einer Teilnahme an der Konferenz als Zuhörer*in schreiben Sie gerne eine E-Mail an: jazzforum@jazzinstitut.de

Bei Rückfragen oder Unterstützungsbedarf wenden Sie sich an:
Bettina Bohle, Tel. +49 6151 963740
oder
Arndt Weidler, Tel. +49 6151 963744

Barrierefreiheit

Die Veranstaltungsorte und -formate sollen möglichst barrierearm gestaltet sein. Bei Unterstützungsbedarf für die Teilnahme setzen Sie sich bitte mit uns in Verbindung.

Jazz Conceptions (Kleingedrucktes)

Anmeldungen:

+++ Aufgrund der sehr großen Nachfrage sind derzeit nur noch wenige Anmeldungen für Piano, Schlagzeug, Streich- und/oder Blechblasinstrumente möglich. +++

+++ Holzbläser*innen, Bassist*innen und Gitarrist*innen können sich gerne weiterhin registrieren, werden aber leider nur noch auf eine Warteliste gesetzt.  +++    


Die Darmstädter Jazz Conceptions finden traditionell in der ersten Woche der hessischen Sommerferien statt. Aus organisatorischen Gründen ist eine Anmeldung erst möglich, wenn alle Dozentinnen und Dozenten feststehen und auch Veranstaltungsorte, Räumlichkeiten und Abläufe abschließend von den veranstaltenden Einrichtungen, Jazzinstitut Darmstadt und Bessunger Knabenschule geklärt sind.  In der Regel können sich Interessierte ab Anfang April über ein Online-Formular (siehe unten) anmelden. Für Fragen, die hier nicht beantwortet werden können, stehen wir gerne zur Verfügung.

WICHTIG: Wir empfehlen allen Interessierten, die sich fragen, ob ihr instrumentales Können für die Teilnahme am Kurs ausreicht, den ausführlichen Beschreibungstext durchzulesen. Sollten Zweifel oder Fragen bestehen, sollte man sich vor einer Anmeldung bitte unbedingt zunächst mit dem künstlerischen Leiter der Jazz Conceptions, Uli Partheil, kurzschließen.

Neues Raumkonzept:

Seit der zurückliegenden Pandemie gehören dezentrale, ausreichend große und gut belüftete Proberäume für die Kurse dazu. Neben der Halle und zwei weiteren Räumen in der Bessunger Knabenschule stehen uns drei Probenräume in der nahe gelegenen Akademie für Tonkunst zur Verfügung. Alle geselligen Teile der Veranstaltung, gemeinsames Frühstück und Mittagessen oder auch die abendlichen Sessions finden soweit möglich unter freiem Himmel statt.

Teilnehmerzahl:

Die unterschiedlichen Erfahrungen der vergangenen Jahre haben auch dauerhafte Veränderungen zur Folge. Dazu gehört vor allem die Begrenzung der Zahl der Musiker*innen pro Ensemble auf möglichst nicht mehr als acht Teilnehmende; davon in der Regel ein Piano, ein Schlagzeug, ein Bass und fünf weitere Instrumente. Die Teilnehmerzahl der Jazz Conceptions wird insgesamt auf maximal 50 begrenzt.

Das ist weniger als in den Jahren vor Corona, aber wir – und vor allem die Teilnehmenden – haben kleinere Ensembles als individuell vorteilhaft und musikalisch fruchtbar  wahrgenommen.  Wir hoffen auf das Verständnis derjenigen, die dadurch möglicherweise nicht zum Zuge kommen.

Teilnahmemöglichkeit:

Es können Musikerinnen und Musiker aller Instrumente teilnehmen, auch Vokalist*innen sind willkommen! Aus allen Teilnehmenden werden sechs gemischte Ensembles gebildet, die von je einem Dozenten oder einer Dozentin geleitet werden. Die Ensembles bleiben die ganze Woche zusammen und erarbeiten gemeinsam ein etwa 20minütiges Konzertprogramm. Bei den Instrumenten Piano, Gitarre, Bass und Schlagzeug die Zahl der Plätze daher auf jeweils sechs insgesamt beschränkt. Darüber hinaus gehende Anfragen für eine Teilnahme nehmen wir aber gerne auf eine Warteliste.

Im Zweifelsfall sollte man vor der Online-Anmeldung bitte kurz telefonisch Kontakt mit Uli Partheil  aufnehmen, Tel. 06151 665138, oder eine E-Mail senden (siehe auch oben „Anmeldungen“).

Kosten:

Die Teilnahme am Kurs kostet 250 Euro; für Nichtverdienende* 125 Euro. In der Kursgebühr sind keine Kosten für Unterkunft oder Verpflegung enthalten.

Die Kursgebühr sollte möglichst rasch nach der Bestätigung der Anmeldung auf das Konto der Bessunger Knabenschule überwiesen werden. Allerspätestens 28 Tage vor Kursbeginn. Erst nach Eingang der Kursgebühr ist die Anmeldung gültig.

Bessunger Knabenschule, IBAN: DE46 5085 0150 0008 0006 54 (Stadt- und Kreissparkasse Darmstadt, BIC: HELADEF1DAS); Verwendungszweck: „Name, Vorname“ und „Jazz Conceptions 2025“


*Als Nichtverdienende verstehen wir Schüler*innen und Student*innen, aber auch Menschen,  die etwa staatliche Transferleistungen erhalten („Bürgergeld“ oder AsylbLG). Bei Fragen bitte gerne und unbedingt anrufen unter Tel. 06151 61650 (Bessunger Knabenschule).

Online-Anmeldung

Hier geht’s zur Online-Anmeldung (Achtung: Weiterleitung auf eine externe Webseite).

Bei organisatorischen Fragen oder bei Problemen mit der Online-Anmeldung melden Sie sich bitte per Mail (jazz@jazzinstitut.de) oder telefonisch beim Jazzinstitut Darmstadt, Tel. 06151 963744 (Jazzinstitut Darmstadt).

Wir bitten um Verständnis, falls es passieren sollte, dass einige Instrumentengruppen frühzeitig ausgebucht sind. Wir werden uns dann umgehend mit Ihnen in Verbindung setzen und gerne dann auch auf eine Warteliste setzen. Wir versuchen hier auf diesen Seiten  immer zeitnah zu informieren, falls bestimmte Instrumente bereits überbucht sind (siehe „Teilnahmemöglichkeit“).

Die Anmeldung ist grundsätzlich erst dann vollständig gültig, wenn der Teilnehmerbeitrag überwiesen wurde (siehe „Kosten“ und „Das Kleinstgedruckte“).

Unterbringung:

Wir helfen gerne, die auswärtigen Teilnehmer*innen privat in der Nähe der Bessunger Knabenschule unterzubringen. Ihren Wunsch auf private Unterkunft können Sie auf dem Anmeldebogen vermerken. Sollten Sie sich selbst nach einer Unterkunft umschauen wollen, so gibt es in der Nähe des Veranstaltungsortes Möglichkeiten zur Unterbringung in Ferienwohnungen oder Hotels. Auch die Jugendherberge am Woog eignet sich als Unterkunft.

Wochenplan:

Traditionell beginnen die Darmstädter Jazz Conceptions seit über 30 Jahren mit einem ersten Treffen aller Beteiligten am Montagmorgen im Hof der Bessunger Knabenschule. Dort findet die Vorstellung der Dozent*innen und die Einteilung der Gruppen statt. Anschließend verteilen sich die Ensembles auf die Probenräume.

JazzConceptions_2025_Ablaufplan

Das im vergangenen Jahr erstmals eingeführte offene Forum für alle Teilnehmenden, in dem jeweils an einem Tag der Woche die Dozent:innen ihr persönliches musikalisches Konzept  vorstellen, werden wir beibehalten. Soweit es das Wetter zulässt, werden die abendlichen Sessions sowie die beiden Abschlusskonzerte ausschließlich unter freiem Himmel stattfinden. Bei Regen können manche Sessions möglicherweise nicht  stattfinden, für andere gibt es Ausweichspielorte. Die Abschlusskonzerte der Ensembles am Freitag- und Samstagabend finden bei schlechtem Wetter in der Halle der Bessunger Knabenschule statt.

Essen und Trinken:

Während des Kurses bietet eine eigens eingerichtete Cafeteria in der Bessunger Knabenschule preiswert Speisen und Getränke an. Ein gemeinsames Frühstück und Mittagstisch gehört zum Angebot. Wie immer kocht das Team der Knabenschule für die Teilnehmenden ein leckeres Mittagessen (immer auch vegan). Mahlzeiten und Getränke müssen von den Teilnehmer*innen extra bezahlt werden.

Das Kleinstgedruckte:

Sollte der Kurs von Veranstalterseite abgesagt werden, erhalten die Teilnehmer*innen die volle Kursgebühr zurück. Bei Absagen von Teilnehmerseite später als vier Wochen vor Kursbeginn wird eine Rücktrittsgebühr von 20% einbehalten. Für Beschädigungen oder Diebstahl von mitgebrachten Instrumenten übernimmt der Veranstalter keine Haftung.

Was passiert noch bis zum Kursbeginn?

Etwa vier Wochen vor Beginn des Workshops gibt es ein Rundschreiben für alle angemeldeten Teilnehmer*innen. Darin finden sich dann weitere Detailinformationen (Wegbeschreibung und aktualisierter Wochenplan). Gerne helfen wir auch bei der Bildung von Fahrgemeinschaften, um nach Darmstadt zu kommen.

Ansprechpartner:

Kulturzentrum Bessunger Knabenschule, Jürgen Schüler, Ludwigshöhstraße 42, 64285 Darmstadt, Tel. (06151) 61650, info@knabenschule.de, Internet: www.knabenschule.de

Jazzinstitut Darmstadt, Arndt Weidler, Bessunger Straße 88d, 64285 Darmstadt, Tel. (06151) 963700, e-mail: weidler@jazzinstitut.de, Internet: www.jazzinstitut.de

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Dozentinnen und Dozenten 2024

Christopher Dell

Foto: Wilfried Heckmann

… ist seit den späten 1990er Jahren Stammgast in der illustren Riege der Lehrkräfte bei den Darmstädter Jazz Conceptions.  Seitdem hat der gebürtige Darmstädter eine fantastische musikalische Karriere hingelegt, die ihm neben dem Musikpreis seiner Heimatstadt, den der Vibraphonist bereits 2005 erhielt, 2021 den „Deutschen Jazzpreis“ und im folgenden Jahr auch noch den „Hessischen Jazzpreis“ einbrachte.

Aber nicht nur als improvisierender Musiker zählt Dell zu den herausragenden Protagonisten der Gegenwart, sondern auch als Stadtbautheoretiker, Philosoph und Architekturkritiker sind Dells Diskursbeiträge europaweit gefragt. Plan, Struktur, Komplexität, Information sind zentrale Begriffe im künstlerischen wie akademischen Kosmos Christopher Dells. Insbesondere mit seinen egalitären Trios D.R.A. (Dell/Ramond/Astor) und Dell/Lillinger/Westergaard verfolgt er diese musikalische Philosophie seit bald zwei Jahrzehnten konsequent. „Dell mag es schwierig, mag die Schwelle, den Widerstand. (…) Musikalische Forschung ohne Gefallsucht, das ist sein Metier“, schrieb Ulrich Stock in der ZEIT dazu.

Norbert Dömling

Foto: Doering

… ist Musikpreisträger 2023 der Kulturstadt Darmstadt. Seit über 40 Jahren ist der in Seeheim lebende Bassist eng mit der Darmstädter Jazzszene verwoben. Musikalisch führte ihn ein weiter Weg zur überaus populären Krautrock-Band „Missus Beasly“ von 1973 zu seinem aktuellen Duo „Bass ’n Flutes“ mit der ebenfalls in Seeheim lebenden Querflötistin Stephanie Wagner.

Dazwischen spielte er mit Top-Musikern in der ganzen Welt Konzerte und wirkte bei zahlreichen LPs, CDs, Radio- und TV-Aufnahmen mit (u.a. Toto Blanke, Biréli Lagrène, Joachim Kühn, Jasper van ́t Hoff, Stu Goldberg, Bob Degen, Billy Cobham, Trilok Gurtu, Ramesh Shotam, Carlo Rizzo, Christoph Lauer, Charlie Mariano, Tony Lakatos, Toots Thielemans, Tomasz Stańko); war Initiator von Projekten wie „Jazz meets Tango“, ein Trio mit Juan José Mosalini am Bandoneon oder „Family of Percussion meets Bass-Strings“ mit Peter Giger, Tom Nicholas und Dom Um Romão (Percussion), Vitold Rek und Jürgen Wuchner am Kontrabass und spielte mit Ali Neander im „Fifty Fingers Acoustic Orchestra“.

Norbert Dömling gehört noch der inzwischen rar gewordenen Spezies der Autodidakten im Jazzbetrieb an – und dennoch (oder gerade deswegen?) gibt er schon seit Ende der 1970er Jahre Workshops. Er unterrichtete an der Wiesbadener Musik- und Kunstakademie oder der Mannheimer Musikhochschule, verfasste ein vielbeachtetes Lehrbuch über Flageoletts am Bass und gab bereits Anfang der 1990er Jahre Solokonzerte mit E-Bass und Loopstation – in Deutschland ein Novum zu dieser Zeit.

Über seine Ideen für den diesjährigen Kurs sagt er folgendes:

„Für meinen Kurs bei den Jazz Conceptions 2024 werde ich eigene Kompositionsfragmente mitbringen, die wir dann gemeinsam in eine aufführbare Form bringen werden, sodass alle Beteiligte ihre „Rolle“ darin finden. Außerdem möchte ich auch ein Stück ohne vorherige Vorgaben mit den Teilnehmern gemeinsam entwickeln. Ich freue mich auf die Aufgabe.“

Jan Leipnitz …

Foto: Ben Kraef

… zog es wie so viele zum Studium nach Berlin. Zunächst studierte er dort Philosophie, später Jazzschlagzeug an der Universität der Künste, fand aber keinen richtigen Abschluss der akademischen Karriere, vielleicht auch weil eher das Unkonventionelle das Metier des in Schkeudnitz, in der Nähe von Leipzig, geborenen Drummers ist.

Längst ist der umgängliche Mitvierziger unverzichtbarer Teil der vitalen Hauptstadtszene, spielte – und spielt noch – mit Kollegen wie Gebhard Ullmann, Allan Praskin, Larry Porter, Henrik Walsdorff, Johannes Barthelmes und unzähligen anderen. Was ihn auszeichnet, ist vor allem seine Vielseitigkeit, seine Offenheit für alle Spielarten des Genres, seine Wandlungsfähigkeit in einen „multidimensionalen musikalischen Organismus“ (wie er sich selbst bezeichnet), der sich mit seinem hochenergetischen Spiel in jede Situation bestens einfügt. Vielleicht gar nicht so ungewöhnlich, wenn man weiß, dass Leipnitz als Jugendlicher die Chemnitzer Hardcore-Szene mit seinen Trommelgewittern beglückte. In Darmstadt trat er zuletzt mit dem eher im souligen Mainstream verwurzelten Quartett der Saxophonistin Cordula Hamacher auf.

Bei dieser Gelegenheit hat ihn auch Uli Partheil für das Dozent:innenteam der diesjährigen Jazz Conceptions entdeckt und ist sich sicher, dass Jan Leipnitz, mit seiner von musikalischen Scheuklappen befreiten Art, genau der Richtige für unseren Darmstädter Sommerworkshop ist.

Über seine Ideen für den diesjährigen Kurs sagt er folgendes:

„Ich stelle mir unsere Arbeit als zwangloses und intensives Zusammensein vor. Wir werden uns mit den elementaren Aspekten des gemeinsamen Musizierens beschäftigen, dem rhythmischen Puls, der harmonischen Intensität und des melodischen Ausdrucks. Eigenkompositionen sind absolut willkommen. Natürlich können und werden wir aus dem  reichen Fundus an Kompositionen der Jazzgeschichte schöpfen um unsere Fähigkeiten zu verbessern. Mir wird es in dieser Woche besonders darum gehen, unsere musikalischen Sinne zu schärfen und ein kleines, gemeinsames musikalisches Universum zu erschaffen, das wir mit unseren Persönlichkeiten und Spielfreude füllen werden.“

Anke Lucks

Foto: Dovile Sermokas

… stammt ursprünglich aus Mettmann in Westfalen. Sie studierte zunächst Rhythmikerziehung an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover und verbrachte ein Auslandsjahr an der  „Longy School of Music“ in Boston. Nach Abschluss des Studiums wechselte sie nach Berlin, wo sie an der Hochschule „Hans Eisler“ Jazzposaune und Instrumentalpädagogik u.a. bei Jiggs Whigham und Sören Fischer studierte.

Anschließend tourte sie weltweit mit dem Artistik und Musikprogramm „Balagan“ und europaweit mit der Band „Rotfront“, spielte Theater- und Filmmusik mit der Band „Shmaltz“. Als Solistin oder Mitglied in anderen Formationen ragen Aufritte mit Albert Mangelsdorff, Anthony Braxton, Tyshawn Sorey heraus. Gemeinsam mit Almut Schlichting und dem Schlagzeuger Christian Marien bildet sie seit einigen Jahren das Trio „Insomnia Brass Band“, das im vergangenen Jahr mit dem Deutschen Jazzpreis in der Kategorie Band des Jahres ausgezeichnet wurde.

Über ihre Gedanken zum Workshop sagt sie:

„Beim Workshop möchte ich mit den Teilnehmer:innen spielerisch Stücke auseinandernehmen, neu zusammensetzen und dadurch gemeinsam neue Arrangements und Kompositionen  für die aktuelle Besetzung entwickeln. Freie Improvisation wird bestimmt auch mit einfließen. Ich werde eigene Kompositionen mitbringen, freue mich aber auch auf Stücke der Teilnehmer:innen.“ 

Uli Partheil

Foto: Oskar Partheil

… ist seit 2021 künstlerischer Leiter der Darmstädter Jazz Conceptions und damit Nachfolger seines langjährigen musikalischen Mentors und Freundes Jürgen Wuchner. Partheil ist einer der aktivsten Protagonisten der Darmstädter Szene, beeinflusst von der Musik Duke Ellingtons, Thelonious Monks, kubanischen Rhythmen und dem Blues. Er ist nicht nur ein versierter Pianist in sämtlichen Stilistiken des Jazz, sondern auch als Komponist tätig. In seinen Werken geht er äußerst kreativ mit den verschiedenen Einflüssen um, die ihn als Musiker prägen.

Uli Partheil studierte an der Mannheimer Musikhochschule unter anderem bei Professor Jörg Reiter Jazzpiano, außerdem Komposition und Arrangement. Seit Beginn der 1990er Jahre arbeitete er mit Jürgen Wuchner, Matthias Schubert, Janusz Stefanski, Ack van Rooyen, Rudi Mahall, Emil Mangelsdorff, Hanns Höhn, Peter Back, dem Wiener Kronenbräu Orchester und vielen anderen zusammen. Als Begleiter ist er auch immer wieder am Staatstheater Darmstadt zu hören. Bis zum Beginn der Pandemie leitete er das von ihm selbst ins Leben gerufene Darmstädter Jugendweltmusikorchester.

Mit seinem Working Trio „Playtime“ ist er in den letzten Jahren mit verschiedenen Literatur- & Jazz-Projekten erfolgreich. Zuletzt veröffentlichte er gemeinsam mit Ulli Jünemann, Ralf Cetto und Angela Frontera den Longplayer „Reflections2020“. Partheil unterrichtet an der Jazz & Pop School und der Akademie für Tonkunst in Darmstadt. Für seine musikalischen Verdienste und sein Wirken für die Förderung des jazzmusikalischen Nachwuchses erhielt er 2008 den Darmstädter Musikpreis.

Über seine Vorstellungen zum diesjährigen Workshop schreibt er folgendes:

Ich möchte wieder versuchen mindestens ein Stück auswendig und ganzheitlich zu erarbeiten, d.h. die Musiker:innen sollen nicht nur ihren Part, sondern das ganze Werk lernen und verstehen. Dazu werde ich eigene Kompositionen und andere ausgewählte Stücke mitbringen.“

Almut Schlichting

Foto: Frank Schindelbeck

… arbeitet seit 25 Jahren als Saxophonistin, Komponistin und Kuratorin in Berlin in den Bereichen Jazz, zeitgenössische Musik, Performance und Theatermusik. Noch während ihres Studiums an der Hochschule der Künste Berlin gründetet sie die Band Shoot the Moon als Heimathafen für ihre kompositorische Arbeit. Von 2009 bis 2015  verfolgte sie mit Ensembles wie dem Garagenoper Kollektiv und Le Sorelle Blu ihr Interesse am Crossover und der Zusammenarbeit mit Künstlern aus den Bereichen Tanz, Theater und Literatur.

2015 gründete Almut Schlichting gemeinsam mit Alexander Beierbach das Label Tiger
Moon Records. Dort erscheinen seitdem regelmäßig CDs von ihren verschiedenen Bands. Mittlerweile konzentriert sich Almut Schlichting wieder mehr auf die Bandarbeit im Bereich Jazz und ihr Instrument, das Baritonsaxophon. Aktuell ist sie meistens mit dem Duo Subsystem, dem Quartett Bauhauskapellentraum und dem Trio Insomnia Brass Band mit zahlreichen Konzerten in Jazzclubs und auf Festivals unterwegs.

Für ihre Kompositionsvorhaben, ihre Bandarbeit und ihre Audioproduktionen wurde Almut Schlichting in den letzten Jahren mehrmals durch Stipendien des Berliner Senats und des
Musikfonds gefördert. Die Insomnia Brass Band wurde im April 2023 mit dem Deutschen Jazzpreis ausgezeichnet.

Zu ihren Vorstellungen für die Arbeit mit ihrem Ensemble sagt sie folgendes:

„Workshop-Preview: Improvisation und Komposition, Collage und Stilmix!“

Dozentinnen und Dozenten 2023

Matthew Bookert …

Rocco Dürlich©

… wird gerne als erstaunlich vielseitiger Musiker beschrieben, was umso außergewöhnlicher ist, als er ein Instrument bevorzugt, dem man in der Regel wenig klangliche Varianz zuspricht – das Sousaphon. Das große, um den Bauch geschlungene Instrument ersetzt bis heute in den klassischen Marching Bands des New Orleans-Jazz den weniger mobilen Kontrabass.

Was der inzwischen in Berlin lebende Texaner allerdings mit seinem wuchtigen Instrument musikalisch macht, ist in der Tat … VIELSEITIG! Bookert ist dabei nicht nur in verschiedensten Stilen von Klassik bis Worldmusik zu Hause, sondern spielt das riesige Blasinstrument mit erstaunlicher Leichtfüßigkeit. Kein Wunder, denn Matthew Bookert studierte Tuba an der Indiana University bei Daniel Perantoni sowie an der University of Michigan bei Fritz Kaenzig. 2007 kam er nach Deutschland, wo er an der Musikhochschule Stuttgart beim Tubisten der Staatsoper Stefan Heimann ebenso Kurse belegte wie im Jazzdepartment der Hochschule.

Trotz weiterhin enger Kontakte nach Südwestdeutschland (als Mitglied der Stuttgarter Band Volxtanz oder des Mannheimer/Frankenthaler/Mainzer Blechensembles Blassportgruppe Südwest) lebt Bookert inzwischen in Berlin und spielte dort in der Vergangenheit sowohl in Hannes Zerbes Jazz Orchestra, dem zeitgenössischen Trickster Orchestra von Cymin Samawatie und Ketan Bhatty wie im akustischen Live-Ensemble der populären Elektronik-Formation Brandt Bauer Frick. Bookert arbeitet zudem auch als Komponist und MC.

Über seinen Workshop sagt Matthew Bookert folgendes:

„Groove und Riff basiertes improvisieren zum Kopfnicken und Tanzen.  Jazz als Begriff hat immer weniger mit Arsch wackeln zu tun.  Nicht hier! Funk und Balkan inspirierte tanzbare „U“-Musik für jede die gerne Musik mit groove hört.“

Daniel Guggenheim

Foto: Anja Jahn

… hat als Schweizer nicht nur musikalisch einen weiten Weg zurückgelegt. Nach der Ausbildung an der Swiss Jazz School in Bern waren Paris, Südamerika und New York weitere Stationen, bevor er schließlich Ende der 1990er-Jahre in Frankfurt am Main landete.

Von sich selbst sagt er, dass starke musikalische Persönlichkeiten ihn immer inspiriert haben, ganz gleich, ob das Jimi Hendrix oder Sonny Rollins waren. Unverkennbar aber begleitet den Tenorsaxophonisten sein größtes Vorbild John Coltrane bis heute. Schon parallel zum Studium an der Swiss Jazz School leitete er sein eigenes Quartett und interpretierte John Coltrane nach seiner Version.

1983 trifft er in Brasilien auf Hermeto Pascoal, ein wahrer Glücksfall für ihn. Durch Musikanarchist Pascoal lernt Guggenheim seine Musik zu leben und Grenzen stets neu auszuloten. Daniel Guggenheims Musik lässt immer wieder neue Bilder entstehen, die für alle Beteiligten zu einem umfassenden Erlebnis werden.

In New York schließlich spielte er mit Leuten wie Elvin Jones, Cecil McBee, Richie Beirach, Billy Hart oder dem jungen Roy Hargrove. In Frankfurt  folgten Kooperationen mit bekannten Musikern wie Bob Degen, Vitold Rek, Keith Copeland, Janusz Stefanski, David Liebman, Peter Madsen, Jeff Williams, Jürgen Wuchner, John Tchicai und Harry Beckett. In seinem aktuellen QUARTET spielen Sebastian Sternal, Dietmar Fuhr und Silvio Morger.

Guggenheim verfügt über eine unglaubliche Bühnen- und Spielerfahrung, die durch Auftritte mit Pop-Größen wie Nena und Udo Lindenberg auch musikalisch erweitert wurde.

Über seine Ideen für den diesjährigen Kurs sagt er folgendes:

„Es werden eigene Kompositionen erarbeitet. Im Vordergrund wird dabei das Zusammenspiel der Gruppe stehen. Die Wahrnehmung der Mitmusiker, das gemeinsame Timing, der „Gruppensound“ und die Interaktion werden anhand von gezielten Übungen spielerisch verbessert.“

Johannes Lauer

Benedikt Lauer©

… denkt groß. Eine seiner herausragenden und international besetzten Formationen nannte sich nicht umsonst „Lauer Large“ und verschob dabei alle Grenzen musikalischer Genre nach außen. Sicher bewegt sich Johannes Lauer mit seinen Kompositionen zwischen folkloristischen Motiven, dem Sound der Großstadt und Jazz und erschafft damit neue klangliche Welten.

Auch in kleineren Ensembles fühlt sich der Posaunist, Pianist und Komponist zu Hause. Zu seinen aktuellen Projekten gehören das Trio Lauer Westergaard Smith, Duos mit der afroperuanischen Musikerin Laura Robles und dem Pianisten Marc Schmolling sowie Kooperationen mit Moussa Coulibaly, Ahmed Soura und Ofrin.

Johannes Lauers stilistisches Wirken erstreckt sich über New Orleans Jazz bis Avantgarde, von zeitgenössischer Klassik bis experimenteller Pop-Musik oder traditioneller Musik aus Peru, Westafrika, Kolumbien, Brasilien und dem Alpenland.

Seine Fähigkeit des kompositorischen Weltenbummelns hat seine Wurzeln sicherlich in Lauers Biographie. Er wuchs in Ravensburg und Florenz auf, studierte bei Dieter Ammann und Nils Wogram Jazz-Posaune und Jazz-Komposition erst in Berlin und später in Luzern. Lauer war Mitglied des im Bundesjazzorchester (BuJazzo) und reiste schon in jungen Jahren mit Ensembles um die Welt. Unter anderem arbeitete er mit Künstlern wie Tyshawn Sorey, Peter Evans, Chris Speed, Henning Sieverts, Drew Gress, Michael Wollny, Steffen Schorn, dem RIAS Kammerchor, den Big Bands von SWR, NDR und WDR und Christoph Schlingensief. Seinen Lebensmittelpunkt hat Johannes Lauer seit 2008 in Berlin.

Über seine Ideen für den diesjährigen Kurs sagt er folgendes:

„Was den Inhalt des Kurses angeht – ich kann mir da ganz unterschiedliche Themen vorstellen (Ellington, Monk, Shorter, Carla Bley, Jimmy Giuffre, Brasil, Hermeto Pascoal, Tom Harrell, American Songbook). Oder eben die Idee, dass in einem gemeinsamen Prozess neue Kompositionen entstehen. Oder man nimmt sich ein inhaltliches Thema (z.B. so etwas altmodisches wie „Friede“) und daraus ergibt sich dann das Repertoire. Jedenfalls hab ich das Gefühl, es wäre gut, ohne Noten auszukommen.“

Uli Partheil

… ist seit 2021 künstlerischer Leiter der Darmstädter Jazz Conceptions und damit Nachfolger seines langjährigen musikalischen Mentors und Freundes Jürgen Wuchner. Partheil ist einer der aktivsten Protagonisten der Darmstädter Szene, beeinflusst von der Musik Duke Ellingtons, Thelonious Monks, kubanischen Rhythmen und dem Blues. Er ist nicht nur ein versierter Pianist in sämtlichen Stilistiken des Jazz, sondern auch als Komponist tätig. In seinen Werken geht er äußerst kreativ mit den verschiedenen Einflüssen um, die ihn als Musiker prägen.

Uli Partheil studierte an der Mannheimer Musikhochschule unter anderem bei Professor Jörg Reiter Jazzpiano, außerdem Komposition und Arrangement. Seit Beginn der 1990er Jahre arbeitete er mit Jürgen Wuchner, Matthias Schubert, Janusz Stefanski, Ack van Rooyen, Rudi Mahall, Emil Mangelsdorff, Hanns Höhn, Peter Back, dem Wiener Kronenbräu Orchester und vielen anderen zusammen. Als Begleiter ist er auch immer wieder am Staatstheater Darmstadt zu hören. Bis zum Beginn der Pandemie leitete er das von ihm selbst ins Leben gerufene Darmstädter Jugendweltmusikorchester.

Mit seinem Working Trio „Playtime“ ist er in den letzten Jahren mit verschiedenen Literatur- & Jazz-Projekten erfolgreich. Zuletzt veröffentlichte er gemeinsam mit Ulli Jünemann, Ralf Cetto und Angela Frontera den Longplayer „Reflections2020“. Partheil unterrichtet an der Jazz & Pop School Darmstadt. Für seine musikalischen Verdienste und sein Wirken für die Förderung des jazzmusikalischen Nachwuchses erhielt er 2008 den Darmstädter Musikpreis.

Über seine Vorstellungen zum diesjährigen Workshop schreibt er folgendes:

Ich möchte wieder versuchen mindestens ein Stück auswendig und ganzheitlich zu erarbeiten, d.h. die Musiker:innen sollen nicht nur ihren Part, sondern das ganze Werk lernen und verstehen. Dazu werde ich eigene Kompositionen und andere ausgewählte Stücke mitbringen.“

Laura Robles…

Peter Tümmers©

… lebt den Beat. Geboren in Swasiland und aufgewachsen in Peru, fand Robles bereits mit vier Jahren den Zugang zur afro-peruanischen Musik. Seitdem möchte sie die Menschen mit ihren Rhythmen zum Tanzen bringen. Sie spielt Cajón, Batás, Congas und E-Bass und ist eine der wenigen Frauen, die mit ihrem Spiel derartig in der Öffentlichkeit stehen.

Ihre Rolle als Vorbild für junge Instrumentalistinnen ist Laura Robles wichtig. Sie selbst nahm mit 13 ihr Studium am Susana Bacas „Instituto Negro Continuo“ auf und studierte intensiv kubanische Folklore, Popularmusik und die komplexe Musik der Yoruba-Kultur.

Robles gründete die erfolgreichen Bands „Astrocombo“, „Stretch it to The Limit“ und die sozialpädagogische Initiative „Parió Paula“. Sie spielte mit Theater- und Tanz-Kompanien und einigen der renommiertesten Folklore-, Jazz- und Rock-Musikern Perus in Peru und auf internationalen Festivals.

Seit 2012 ist Berlin Laura Robles Wahlheimat. Hier knüpfte sie an ihre Arbeit an und gründete 2012 die Berliner Version ihrer „Astrocombo“. Robles ist eine gefragte Instrumental-Pädagogin und kooperiert in verschiedenen Projekten vom Kindergarten bis in die Hochschule. Sie musizierte gemeinsam mit Johannes Lauer, Joscha Oetz, Almut Kühne, Ahmed Soura, Uli Kempendorff, Greg Cohen, Simon Nabatov, Niels Klein, Pablo Held Trio, Wanja Slavin, Christian Weidner, Bodek Janke, MORF, DUS-TI, Berlin Art Orchestra und Lauer Large. Dabei vergisst sie nie ihre „roots“ und ihre Eigenständigkeit als Musikerin.

Taiko Saito…

Foto: Natalie Savey

… liebt das Experiment. Dabei verliert die musikalische Gestaltenwanderlin Taiko Saito nie ihre Sensibilität für die Wirkung ihrer Instrumente, die durchweg mit Mallets bespielt werden. An Marimba oder Vibraphon regt sie die Zuhörenden  sofort an, innezuhalten. Sie bewegt sich gekonnt zwischen europäischer Kunstmusik und Jazz, zwischen der musikalischen Begleitung von Schauspielstücken der Schaubühne Berlin und der Arbeit in ihren Band- und Soloprojekten.

Taiko Saito wuchs in Japan auf und begann bereits mit sieben Jahren Marimba zu spielen. Sie studierte klassische Marimba und Percussion an der Toho School of Music. Ihr Drang nach freier Komposition und Improvisation zog sie 1997 an die Universität der Künste in Berlin. Dort lernte sie bei Prof. David Friedman Vibraphon und Komposition. Saito gewann zahlreiche Preise, wie den Atelierpreis des Berliner Senats im Jahr 2010.

Ihr reicher musikalischer Fundus erlaubt es der Vibraphonistin in verschiedenen Formationen zu arbeiten. 2003 gründete sie das Duo KoKo mit dem Pianisten Niko Meinhold. Mit ihm spielt sie unter anderem im Trickster Orchester, das 2022 den Deutschen Jazzpreis als bestes großes Ensemble gewann. Auch in diesem Jahr ist sie als Mitglied von Silke Eberhards Potsa Lotsa XL-Ensemble wieder für den Deutschen Jazzpreis nominiert.

Taiko Saito arbeitete außerdem mit Keiko Abe, Satoko Fujii, Yuko Oshima, David Friedman, Tom van der Geld, Eric Sammut, Michael Schiefel, Celine Rudolph, Daniel Matter, Yelena Kuljic, Cymin Samawatie, Kazuhisa Uchihashi, Oli Potratz, Ketan Batti. Sie experimentierte an musikalischen Stücken mit dem Hip-Hop-Künstler und Produzenten Shing02 und der zeitgenössischen Komponistin Sofia Gubaidulina.

Zu ihren Vorstellungen für die Arbeit mit ihrem Ensemble sagt sie folgendes:

„In meinem Workshop geht es um das Öffnen der Ohren, um miteinander zuzuhören und darauf zu reagieren und zu agieren, ohne zu sprechen. Wir werden verschiedene Techniken und Methoden der aktiven Interaktion erkunden, von freier Improvisation bis hin zur minimalen Musik.“

Kathrin-Preis – Kathrin Lemke Scholarship for Young Jazz improvisers

Seit 2019 wird in Darmstadt der Kathrin-Preis – Kathrin Lemke Scholarship for Young Jazz improvisers verliehen. Der Preis ist nach der 2016 im Alter von nur 44 Jahren verstorbenen Berliner Jazz-Saxofonistin Kathrin Lemke benannt, die am 27. September 1971 in Heidelberg geboren wurde.

Gemeinsam mit Kathrin Lemkes Mutter Irene Lemke-Stein, der Mannheimer DESTAG-Stiftung, dem Internetportal jazzpages.de und der Zeitschrift JAZZTHETIK stiftet das Jazzinstitut Darmstadt die Auszeichnung, die alle zwei Jahre in Form einer vollfinanzierten, einwöchigen Werkstattphase in Darmstadt gewährt wird.

2019 erhielt der Perkussionist Joss Turnbull die Auszeichnung. 2021 die Saxofonistin Luise Volkmann. Die Residenz-Woche des Kathrin-Preisträgers 2023, Robert Lucaciu, fand vom 15. bis 21. Mai 2023 statt. Den Abschluss bildete die offizielle Verleihung des Kathrin-Preises während des Preisträgerkonzerts am 20. Mai 2023 im Wolf Werk Darmstadt.

Destination Unknown: Die Zukunft des Jazz (blog)

Random thoughts / zufällige Gedanken
zum 18. Darmstädter Jazzforum 2023


20. Juni 2023
(10) Diversity…

… war ja das Thema unseres letzten Darmstädter Jazzforums, aber natürlich spielt der Bereich der Diversität auch eine Rolle, wenn wir über die Zukunft dieser Musik reden. Wir stellen fest: Jazzmusiker:innen in Deutschland sind nach wie vor zu einem großen Prozentsatz männlich, überwiegend weiß („caucasian“ sagt man im Amerikanischen), stammen meist aus eher gebildeten Familien und haben in der Regel auch selbst studiert.

Wie, fragten sich beispielsweise die Verantwortlichen des Deutschen Jazzpreises, der in den ersten Jahren für die mangelnde Diversität in Beirat, Jury und bei den Preisträger:innen kritisiert wurde (Musicians For), kann man all das ändern? Konzepte gibt es ja schon lange: affirmative action in den USA, Quotenregelung bei uns.

Und ja, es hat sich einiges geändert in den letzten Jahren: Öffentliche Jurys haben in der Regel Geschlechterparität (wenn nicht, ist der Ärger – berechtigt! – vorprogrammiert). Es gibt namhafte Preise und Förderprogramme, die darauf achten abwechselnd Künstlerinnen und Künstler zu bedenken. Die Awareness gerade für die Präsenz von Musikerinnen im Jazz ist auch bei den Musikern selbst angelangt, die entweder aus strategischen Gründen Bands mit Musikerinnenanteil gründen („macht sich gut auf Anträgen“) oder aber (eigentlich immer öfter, und das ist der Fortschritt, den zumindest ich hier sehe) erkennen, dass Bands mit Musikerinnen und Musikern einen ganz anderen kreativen Weg einschlagen können, neue Räume aufmachen, zu einem anderen Aufeinander-Reagieren, Miteinander-Umgehen führen.

Ich neige, muss ich an dieser Stelle betonen, zum Optimismus. Ich sehe diese letzte Entwicklung bei zahlreichen jungen Ensembles (also Musiker:innen in ihren 20ern, frühen 30ern), für die Geschlechterbalance fast schon eine Selbstverständlichkeit ist, während man noch vor einigen Jahren mit Künstler:innen (und zwar wirklich sowohl Musikern wie auch Musikerinnen) darüber trefflich streiten konnte. Also alles gut? Mitnichten!

Der Jazz, behaupten wir gern – übrigens auch im Teaser für die letzten, also das 16. (Jazz und Politik) und das 17. Darmstädter Jazzforum (Diversität im Jazz), – bildet idealerweise die Diskurse unserer Gesellschaft ab. Wo aber sind dann die Musiker:innen migrantischen Backgrounds? Wo findet sich die „letzte Generation“ auf der Jazzbühne wieder? Wo kämpfen Instrumentalist:innen für die Rechte marginalisierter Gruppen unserer Gesellschaft?

All das sind auf jeden Fall Themen, die uns beschäftigen werden während des 18. Jazzforums, etwa wenn Evi Filippou über ihre Arbeit mit Schüler:innen im Grundschulalter spricht, wenn James Banner sein class-work-Projekt vorstellt, bei dem er vor allem Kolleg:innen eingeladen hat, die eher aus einem Arbeiter- als einem Bildungsbackground kommen, wenn Julia Kadel die Beweggründe schildert, warum 2022 die Initiative Queer Cheer gestartet wurde (die übrigens den Sonderpreis der Jury des Deutschen Jazzpreises erhielt), wenn Christopher Dell Improvisation als Modell des gesellschaftlichen Zusammenlebens begreift, wenn Sabina Akiko Ahrendt über den Zusammenhang von Musik und politischem Aktivismus berichtet, wenn Mariana Bodarenko darüber reflektiert, welche Rolle Musik in Zeiten des Krieges spielt.

Wir können die Zukunft nicht voraussehen. Wir können uns auf sie vorbereiten. Wir können Räume schaffen, Räume sichern, in denen die Zukunft erlebbar sein wird. Wir können darauf hinwirken, dass es beim Sprechen über Diversität irgendwann nicht mehr um Quoten und Schuldzuweisungen geht, sondern um die kreative Kraft der Vielfalt. Auch im Jazz. Aber nicht nur im Jazz. An jeder Stelle, an der wir uns einbringen. Bewusstsein. Bewusstseinswandel. Nicht bei anderen. Bei uns selbst. So geht Zukunft. (finde ich…)

Wolfram Knauer (20. Juni 2023)


1. Juni 2023
(9) Ohne Vergangenheit keine Zukunft

Es ist ja eine Binsenweisheit, dass das „Neue um des Neuen willen“ eigentlich ein alter Hut ist. Spätestens seit den 1970er Jahren geht das nicht mehr, diese Forderung, Jazz, Musik, Kunst ganz allgemein habe sich immer weiter zu entwickeln, immer neue Spielformen, Klänge, Approaches zu erfinden, dürfe sich auf keinen Fall wiederholen.

Tatsächlich hält sich diese Denkweise aber bis heute, zumindest bei uns in Deutschland, und sie ist wahrscheinlich auch dem Kulturdiskurs der Nachkriegszeit geschuldet, der in der Entwicklung ja immer die Hoffnung des Sich-Neu-Erfindens sah … verstehen Sie: sich neu erfinden in einer Gesellschaft, die an die zumindest jüngere Vergangenheit am liebsten gar nicht mehr denken wollte.

Die Amerikaner haben weniger Probleme mit dem Verweis auf Tradition, mit dem Nebeneinander-Stehenlassen von stilistischen Richtungen. Naja, stimmt nicht ganz, Wynton Marsalis führte, zumindest in New York (oder in Europa) durchaus zu Diskussionen, als er in den 1990er Jahren eine swing- und harmonie-bezogene Ästhetik des Jazz verteidigte und Fusion-Sounds oder improvisatorische Experimente aus der freieren Ecke als ganz interessant, „aber warum muss man das auch Jazz nennen“ bezeichnete und deshalb seinerseits von der Avantgardeszene des Big Apple (und darüber hinaus) angefeindet wurde. Von Mickymaus-Bands reden wir also gar nicht, wenn wir Tradition meinen, sondern erst einmal von kreativen Versuchen aus der Jazzgeschichte heraus eine eigene Stimme zu gewinnen. Marsalis ist das ja durchaus gelungen: sowohl als Trompeter wie auch als Komponist.

Wo finden wir das hierzulande? Ach ja, Till Brönner, auf jeden Fall, er hat ähnliche Anwürfe auszuhalten aus einer jungen sich als Experiment verstehenden Jazzszene; er ist ähnlich gesettled in seinem Erfolg. Er setzt sich andererseits seit Jahren für ein House of Jazz Berlin ein, auch wenn das nicht seine eigene Klangfarbe widergeben würde. Tills Musik ist … ich wollte schreiben massenkompatibel, aber stapeln wir mal nicht zu hoch, auf jeden Fall aber kompatibel mit vielen musikalisch offenen Menschen, die auch Jazz gern hören, zumindest wenn er melodisch ist, aber „wenn es zu wild wird, ist das nichts mehr für uns“.

Tatsächlich vertritt Brönner genauso den Diskurs um die Zukunft dieser Musik hierzulande wie die in ihrem musikalischen Ansatz sehr unterschiedlichen Künstler:innen, die etwa mit dem diesjährigen Deutschen Jazzpreis ausgezeichnet wurden, genauso wie aber auch die (inzwischen nicht mehr allzu zahlreichen) Trad-Bands, die sich der Musik der 1920er und 1930er Jahre oder Musiker, die sich dem swingenden Mainstream verschrieben haben, sofern sie denn einen eigenen Klang daraus generieren konnten. Letztere Szene ist in diesem Diskurs (also dem um die Zukunft des Jazz) übrigens kaum zu hören, wird, wenn sie erklingt, auch nicht sonderlich wahr- bzw. ernstgenommen, unter anderem, weil ihre Fürsprecher oft gerade nicht die Musiker:innen sind, sondern Fans, die eher ideologisch als musikalisch argumentieren. Wenn man genau hinhört, dann lassen sich durchaus Bands entdecken, denen eine eigene Positionierung auch innerhalb traditioneller Spielarten des Jazz gelungen ist, die Echoes of Swing etwa, sicher Musiker wie Trevor Richards oder Reimer von Essen, Martin Sasse, Thilo Wagner und andere.

Deren Musik macht enorm Spaß. Sie wirkt kein bisschen museal, weil sie im Hier und Jetzt erklingt und eine Energie erzeugt, die sich direkt mitteilt. Und doch wird sie, zumindest in der Jazzszene als rückwärtsgewandt wahrgenommen. Gegenbeispiele sind etwa Uwe Obergs Ellington-Projekt, der Lacy Pool, oder „Transformations and Further Passages“ des Clarinet Trio, ein Projekt, das sich Kompositionen deutscher Jazzmusiker:innen aus den 1950er und 1960er Jahren annimmt.

Was also ist die Zukunft des Jazz? Ganz bestimmt geht es bei ihr nicht nur um das „bislang Un-gehörte“. Es geht um das Bewusstsein, dass Musik Positionen markiert, musikalische, ästhetische, gesellschaftliche, und dass man sich als Musiker:in dieser Positionen klar sein sollte, im Konzert, in der Entscheidung fürs nächste Albumrepertoire, in der Ansprache an sein Publikum. Wenn überhaupt, ist Zukunft nämlich keine Zeit-, sondern eine Ortsbestimmung. Sie bezeichnet ein Ziel, auf das man zusteuert, auf das man aber nur zusteuern kann, wenn man weiß, wo man sich eigentlich befindet. Position beziehen aber lässt sich tatsächlich von jeder stilistischen Warte aus. Es gehört nur der Mut dazu, diese immer wieder neu zu beschreiben und sie in Beziehung zur aktuellen Wirklichkeit zu bringen.

(Wolfram Knauer, 1. Juni 2023)


9. Januar 2023
(8) … links 2 3 4, rechts 2 3 4, oder: Die Künstliche Intelligenz und Jazz

Mark Schieritz hat eine französische Website entdeckt, die rein durch „Künstliche Intelligenz“ alle möglichen Begriffe danach verortet, ob sie politisch „links“ oder „rechts“ stehen (https://linksoderrechts.delemazure.fr/). Das führt zu kuriosen Zuordnungen wie etwa: Rose = links; Tulpe = rechts; Tomate = links; Roggen = rechts; zwei = links; drei = rechts. Schieritz spiegelt probehalber zahlreiche Begriffe seines Alltags durch den KI-Filter und sinniert danach, (1.) wie die Einordnung wohl zustande gekommen sein mag und (2.) wie er selbst über sie denkt. Der französische Informatikstudent Theo Délemazure, der die besagte Website programmiert hat, nutzt dafür die Software GPT3, die den eingegebenen Begriff quasi in einer Art stumpfer Kontextsuche im Internet abarbeitet.

Schieritz’s Artikel ist höchst amüsant zu lesen (Die Zeit, hinter der Bezahlschranke). Er hat Délemazures KI übrigens auch auf musikalische Begriffe befragt: Georg Friedrich Händel = rechts; Johann Sebastian Bach = links; C-Dur = rechts; D-Dur = links. (Schieritz: „D-Dur klingt nach Revolution, C-Dur nach Restauration. Fragen Sie nicht!“) Was mich neugierig machte. Den Jazz verorten wir ja immer schon Links (richtig!). Laut Délemazure hat er das gemeinsam mit Neuer Musik, mit Rock (aber nicht mit Rechtsrock), mit Barock. Klassik ist links, Klassische Musik dagegen rechts. Lydisch ist links, phrygisch rechts. Count Basie: links; Glenn Miller: rechts. Und dann gibt es auch genügend Widersprüche: Charlie Parker: links, aber Bebop: rechts. Selbst im Jazzinstitut Darmstadt stehen wir nicht alle auf derselben Seite, zumindest, wenn es nach der Erkenntnis der Künstlichen Intelligenz geht.

Aber vergnügen Sie sich selbst damit: Es macht großen Spaß, die Website „links oder rechts“ nach allen möglichen Begriffen, Namen, Kontexten zu befragen. Und tatsächlich kann man die Zukunft (sprich: die künftigen Ergebnisse) auch beeinflussen, kann also zurückspiegeln, wenn ein Ergebnis einem nicht richtig erscheint.

Was hat das alles mit der Zukunft des Jazz zu tun? Nun, gar nichts… oder aber ganz viel. Tatsächlich wird allerorten daran geforscht, wie sich Künstliche Intelligenz und Musik zusammenbringen lassen. Schon heute etwa eignen sich Computer zum Analysieren und Auswerten von Musik (Jazzomat). Man könnte „neue Musik“ historischer Jazzgrößen generieren lassen, wie kein Geringerer als Kenny G kürzlich vormachte, als er Künstliche Intelligenz mit Samples von Stan Getz’s Saxophonton fütterte und sie dann eine neue Melodie „erfinden“ ließ (AI and Jazz). Oder aber: George E. Lewis, Posaunist, Komponist und Musikwissenschaftler, arbeitet seit langem an einem Computerprogramm, das es ihm oder anderen ermöglicht, zusammen mit dem Computer zu improvisieren (MIT lecture). Interaktion, Neu-Rekreation, Analyse – die neuen Technologien lassen sich also für alles Mögliche einsetzen.

Wie aber lassen sie sich in einer Musikpraxis einsetzen, die so stark von Individualität, Authentizität, Einmaligkeit geprägt ist wie der Jazz? Oder anders gefragt: Ist diese Art der Individualitätsästhetik, die den Jazzdiskurs bis in die Gegenwart prägt, eigentlich für alle Zukunft festgelegt? Könnte man nicht vielleicht mal drüber sprechen? Die Diskussion, die es allerorten über die Hegemonie einer europäischen Werteästhetik gibt, betrifft ja durchaus auch die Vorstellungen davon, was denn eigentlich gut ist in einer Musik, was als fortschrittlich erachtet wird, wie wichtig Progressivität für die Entwicklung einer Kunstform ist. Oder ob nicht das Alternativmodell zu Individualität die Community sein könnte, ob Fortschritt nicht auch das Neuentdecken vermeintlich alter Praktiken mit einschließt. Zur Zukunft einer jeden Kunstform gehört nun mal, dass wir laufend neu aushandeln, welchen Raum wir ihr geben, wie sie am gesellschaftlichen und kulturellen Diskurs teilhat, wie sie damit sich selbst immer wieder neu definiert, ihre unterschiedlichen Kontexte auslotet, ihren Stellenwert im Verband der aktuellen Künste festigt, ihr politisches Gewicht einbringt, ihre kreative Kraft weiterentwickelt. In allen Kunstformen, und damit auch im Jazz!

Julia Hülsmann = links; Christopher Dell = rechts; Till Brönner = links; Angelika Niescier = rechts????

Ach, Künstliche Intelligenz, Du hast noch einiges zu lernen!

Wolfram Knauer (9. Januar 2023)


3. Januar 2023
(7) Jazz ist die Mutter des HipHop

Unlängst stolperte ich über ein Video des Pianisten Robert Glasper, der 2019 in einem „Jazz-Night in America“-Video erklärte „why Jazz is the mother of HipHop“.  Robert Glasper über Jazz und HipHop

Wenn es nach mir geht, brauche ich diese Erklärung gar nicht. Hört man sich die Samples von DJs wie Africa Bambaataa der frühen HipHop-Ära an, ist für mich evident: Dem HipHop fließt Jazz-DNA in den Adern. Und es ist kein Blick über den Großen Teich oder in die Vergangenheit nötig, um die Verbindung zwischen HipHop und Jazz zu finden. Man braucht sich bloß junge Jazz-Schlagzeuger wie Silvan Strauss anzuhören.  Album „Facing“ von Silvan Strauss

Längst tue ich mich schwer damit, Jazz oder irgendeine andere Musikform als ein abgeschlossenes Genre anzusehen. Die Zuschreibung von unterschiedlicher Musik zu festgelegten Genre ist ein künstliches (kein künstlerisches) Konstrukt.

Die Eingrenzung und Legitimationsversuche des Jazz in Abgrenzung zur populären Musik machen mich regelmäßig stutzig und das Naserümpfen, wenn es um HipHop-Musik geht, wirft für mich einige Fragen auf. Ist es nicht leichter, Jazz und HipHop, sei es historisch oder musikalisch betrachtet, in den Zusammenhang zu stellen, als sie zu unterscheiden? Und wäre es nicht klüger, in der ständigen Debatte um den hohen Altersdurchschnitt bei Jazzfans von einer reaktionären Denke abzusehen?

Denn wirft man einen realistischen und gegenwartsbezogenen Blick auf das Ganze, stellt man fest, dass die jungen Leute Jazzstandards wegen der HipHop-Samples im Ohr haben und sich dessen gar nicht bewusst sind. Worüber sie sich aber bewusst sind, ist, dass MCs und DJs Zukunftsmusik spielen, sich immer wieder selbst überhöhen und gegenseitig steigern und damit das Innovative in der Szene befeuern, den jungen Leuten eine Zugewandtheit zur Zukunft vermitteln. Virtuos batteln sich Rapper:innen während der Cypher; Freestyle bedeutet Improvisation, bedeutet Innovation. Und das kennen wir doch irgendwoher.

Das alles kann man anerkennen, kann den Geist, der durch diese Musik weht, bündeln und das Potenzial, das in der Innovationsfähigkeit von Jazz und HipHop liegt, nutzen, um für das Große und Ganze eine vorteilhafte Zukunft zu gestalten.

Marie Härtling (3. Januar 2023)


20. Dezember 2022
(6) Jazz: die politischste aller Künste… wirklich?

Wir machen’s ja auch, zählen auf, wofür der Jazz alles steht: Individualität, Freiheit, Offenheit, Toleranz, Diversität, Experiment, Fortschritt, Zukunft… Aber tun wir der Musik mit diesen Aufladungen wirklich etwas Gutes? Oder entstammen sie nicht tatsächlich unseren politischen Strategien, dem Jazz, also „unserer“ Musik, zu mehr Ansehen und Respekt zu verhelfen, zu mehr Spielräumen, zu mehr Förderung?

Tatsächlich ist Jazz für jede:n von uns ja ganz unterschiedlichste Dinge. Für mich ist Whitney Ballietts Definition des „sound of surprise“ immer noch eine der stimmigsten. Ja, im besten Fall überrascht mich Jazz – mehr als ich das von beinahe jeder anderen Kunstform erwarte… aber Stop! Da geht schon wieder der Jazzer in mir durch, der dem Jazz gleich noch ein „mehr“ an Fähigkeiten zuspricht als der zeitgenössischen Neuen Musik, als avancierten Formen populärer Musik, als der Avantgarde in Bildender Kunst, Tanz, Theater oder Literatur…

Und ähnlich ist es ja mit dem „Repertoire“, also mit den Rückbesinnungen auf die großen Aufnahmen der Jazzgeschichte. Tatsächlich fallen diese oft genug aus unserem Diskurs einer fortschritts-gerichteten Kunstform. Der „Mainstream“ – also der Jazz-Mainstream, was ein anderer Begriff ist als der „Mainstream“ an sich… wieder so ein Thema, wie nämlich Begriffe so oft etwas anderes meinen, wenn man sie in unterschiedlichen Kontexten nutzt… der Mainstream also taucht in der Förderung unserer Musik nicht auf. Er „forscht“ offenbar nicht genug, er verlässt sich aufs „Gefällige“: der Blick in den Rückspiegel kann doch nicht die Zukunft sein! Vom traditionellen Jazz mal ganz abgesehen. Schauen Sie nur auf die Gewinner des Deutschen Jazzpreises.

Ich will das gar nicht kritisieren. Ich glaube, dass es Musik gibt, die der Förderung eher bedarf als andere, und ich glaube, dass wir hierzulande durchaus ein ganz gutes System gefunden haben, „Räume“ für kreative Musik zu schaffen und zu sichern. ABER: Sollten wir uns nicht ehrlich machen, den Jazz als nur eine von zahlreichen Avantgarden identifizieren und vielleicht das wirklich Herausragende in den Vordergrund stellen: dass er nämlich eigentlich gar nicht so in unser europäisch geprägtes Avantgarde-Konzept passt, dass in ihm als einer afro-diasporischen Tradition andere Wertmaßstäbe möglich sind und gelebt werden, dass er uns im Idealfall immer auch mit unseren eigenen Missverständnissen gegenüber dieser Musik konfrontiert?

Zugegeben: Es fällt mir schwer, auf die Superlative zu verzichten. Sie funktionieren übrigens auch ganz gut im Gespräch mit Jazzfreunden genauso wie mit Jazzfernen. Und für mich ganz persönlich handelt Jazz ja von genau all dem: von Individualität, Freiheit, Offenheit, Toleranz, Diversität, Experiment, Fortschritt, Zukunft, und zwar mehr als jede andere Form von Musik. Das allerdings hat mehr mit meinem eigenen Fokus zu tun als mit der Musik selbst.

Das sollten wir uns halt ab und zu bewusst machen, wie zahlreiche Argumente für den Jazz mehr unserer Liebe zu der Musik geschuldet sind als dem objektiven Blick auf sie. Und wie sie dabei durchaus auch unseren Blick darauf verschließen, was eine unbefangenere Auffassung von Jazz denn zum allgemeinen Kulturdiskurs beitragen könnte.

Wolfram Knauer (20. Dezember 2022)


31. Oktober 2022
(5) es geht voran… (women in jazz)

Zukunft ist ja immer auch Gegenwart und Vergangenheit, weil wir sie aus unserer Erfahrung des Erlebten heraus gestalten und weil wir jetzt anfangen müssen, Dinge zu verändern, die wir anders haben wollen. Das geht mir dieser Tage durch den Kopf, wo ich in deutschen und amerikanischen Zeitungen von Terri Lyne Carringtons Veröffentlichung „New Standards. 101 Lead Sheets by Women Composers“ lese (z.B. die tageszeitung). Das Thema „Women in Jazz“ ist ja kein Neues. Zugleich ist es eins, an dem sich die Veränderungen in unserer Szene fast schon beispielhaft nachverfolgen lässt. Bis mindestens in die 1970er Jahre hinein waren Jazzmusikerinnen / Instrumentalistinnen rar – zumindest schien dies so, weil die Presse vor allem über ihre männlichen Kollegen berichtete.

Immer mal wieder gab es Vorstöße in der Jazzpresse, dann in den 1980er Jahren erste Veröffentlichungen, die dokumentieren sollten, dass es da eine eklatante Lücke der Jazzgeschichte gab. Rosetta Reitz’s Plattenreihe „Women in Jazz“ (1980-1981), Sally Placksins Buch „Women in Jazz“ (1982), Linda Dahls „Stormy Weather. The Music and Lives of a Century of Jazzwomen“ (1984) veränderten das Narrativ. Sie dokumentierten, dass es über die gesamte Jazzgeschichte hinweg immer Musikerinnen gegeben hatte, Vokalistinnen genau wie Instrumentalistinnen. Sie veränderten also die Wahrnehmung von Geschichte, nicht so sehr aber die Gegenwart, die nach wie vor geprägt war von einer grundsätzlichen Skepsis gegenüber Musikerinnen in einer männlich geprägten Szene.

Es waren erst singuläre, dann immer mehr Veranstaltungen, Workshops, Konzerte, Festivals, die die Präsenz von Frauen im Jazz in den Fokus nahmen. Und es gab immer öfter Forderungen nach einer geschlechterausgewogenen Besetzung von Gremien, nach Programmen, bei denen die Quote an Musikerinnen (oder zumindest Bandleaderinnen) zumindest genauso hoch wie die der Männer ist. Es gab ein Bewusstsein dafür, dass sich eine wünschenswerte Zukunft nur dann erreichen lässt, wenn man in der Gegenwart für Veränderungen sorgt. Paritätisch besetzte Jurys sind mittlerweile eher die Norm als die Ausnahme; Festivals oder Workshops, die nicht auf eine zumindest angemessene Repräsentanz von Künstlerinnen achten, müssen mit einem wohl-verdienten Shitstorm rechnen. Bei den Hochschulprofessuren und in den Rundfunk-Bigbands bleibt noch einiges zu tun, aber grundsätzlich ist das Thema überall angekommen. Es ist ja ein Thema nicht nur im Jazz, sondern eigentlich in der ganzen Gesellschaft, also lässt es sich so einfach nicht mehr beiseite drängen. Auch beim Darmstädter Jazzforum haben wir einen Fokus auf die Thematik gelegt (z.B. 2015: Gender and Identity in Jazz; 2021: Roots | Heimat: Diversität im Jazz), und doch müssen auch wir uns vorwerfen lassen, unser Programm nicht immer vorbildlich gestaltet zu haben: Die mangelnde Geschlechterausgeglichenheit herrscht ja nicht nur im Jazz, sondern genauso in der Jazzforschung oder Jazzpublizistik.

Jetzt also Terri Lyne Carringtons „New Standards“: ein mindestens doppeldeutiger Titel ihres Buchs, das einerseits nach einem anderen Repertoire sucht, das Musikerinnen sichtbarer (hörbarer) macht, das aber andererseits auch neue Standards im Jazzalltag verlangt – und zwar nicht nur verlangt, sondern dafür gleich das nötige Material zur Verfügung stellt. Damit aber verändert Carrington eben nicht nur die Gegenwart, ihr Buch – genauso wie ihre Arbeit am von ihr 2018 gegründeten Berklee Institute of Jazz and Gender Justice – ist auf die Zukunft des Jazz gerichtet.

Zukunft – so viel sei hier also zusammenfassend bemerkt, besteht niemals nur aus Hoffnung; sie braucht Aktivist:innen in der Gegenwart. Das ist uns allerdings auch nicht gerade neu; gesellschaftlich erleben wir das ja zurzeit überall. Wenn wir über Zukunft sprechen, müssen wir also immer auch einen Blick auf die Diskurse der Gegenwart richten, nicht so sehr kritisch hinterfragend als vielmehr ermutigend. Je mehr Meinungen da zu Worte kommen, je mehr Menschen sich mit dem Thema identifizieren, desto besser lässt sich eine Zukunft aushandeln, in der sich alle mitgenommen fühlen.

(Wolfram Knauer, 31. Oktober 2022)


6. Oktober 2022
(4) … unendliche Weiten…

Theo Croker hat vor kurzem ein Original aufgenommen mit dem Titel „Jazz Is Dead“. Pirmin Bossart überschreibt seinen Artikel im Herbstheft des Schweizer Magazins Jazz ’n‘ More „Jazz ist tot – aber die kreative Musik lebt“ und zitiert Croker, der Genres für veraltet hält und findet, dass das, was einige HipHopper heute machen „mehr Jazz ist als das, was Jazzmusiker machen“.

Da sind wir dann also bei der Frage, die den Jazz schon seit Jahrzehnten begleitet und die in den letzten Jahren – unter veränderten Vorzeichen – wieder laut geworden ist: Behindert das Label „Jazz“ nicht eher die Wahrnehmung  der Musik als eine kreative, die Gegenwart widerspiegelnde Kunst? Trägt das Label nicht viel zu viel Ballast mit sich herum und wäre uns nicht allen geholfen, wenn wir endlich darauf verzichten würden, Musik in Genres einzuteilen?

Meine eigene Meinung: Ich finde „Jazz“ einen Klasse-Begriff, aber auch, weil ich ihn so lange kenne und weil er nun mal für die Musik steht, der ich mich emotional so stark verbunden fühle. Ich finde, dass es Labels braucht, um über etwas zu sprechen – hätte ich keine Genrelabels, müsste ich jedes Mal neu definieren, von was ich gerade rede (natürlich, das kann auch schön sein, ist aber ziemlich mühselig…). Das Problem sind – meiner Meinung nach – nicht die Labels, sondern die Tendenz vieler Rezipientinnen und Rezipienten, diese Labels absolut zu setzen, die Schubladenbeschriftung also mit der Sache selbst zu verwechseln. Das Problem ist immer noch, dass „Jazz“ als ein klar umschreibbares Genre verstanden wird statt als eine musikalische Praxis. Das Problem wurde durch die Tonträgerindustrie noch befördert, die sehr bewusst labelte – „file under jazz / rock / country“ etc. –, um ihre Produkte gezielt an potentielle Käufer:innen vermarkten zu können.

Eigentlich aber ist es egal, wie man es benennt, solange man sich der Offenheit dieser Musik bewusst bleibt. Persönlich habe ich nie ganz verstanden, dass ausgerechnet in der – meiner Meinung nach – offensten Musik, dem Jazz, so starre ästhetische Diskussionen über die Zulässigkeit von stilistischen Entwicklungen möglich waren, wo doch diese Musik – nochmals: meiner Auffassung nach – gerade von In- statt Exklusivität lebt. So verstehe ich dann auch den Satz von Theo Croker. Wenn man „Jazz“ als eine musikalische Praxis erkennt, lässt er sich in allen möglichen musikalischen Projekten ausmachen. Kritiker warnen, das führe zur Beliebigkeit, tatsächlich aber fordert ein solches Verständnis halt einfach zum offeneren und zugleich genaueren Zuhören auf. Und warum sollte man sich nicht ab und zu darüber streiten, ob eine Aufnahme, ob ein Konzert, ob eine musikalische Haltung für einen persönlich noch die Kriterien dessen erfüllt, was „Jazz“ ist?

Sofern Kunst kreativ ist, verändert sie sich fortlaufend, und mit ihr die ästhetischen Kriterien. Wir alle, die wir irgendwie mit dieser Musik zu tun haben, ob professionell oder nicht, müssen uns halt zu dieser Veränderung verhalten. Ob wir sie akzeptieren oder nicht, geschenkt! Kreativität fordert eben nicht nur die Kreativen selbst, sondern auch ihre Rezipienten. Darum, genau darum ist Kunst, insbesondere auch Musik, ja ein Spiegel der Gesellschaft. Gerade in der Kunst fordern Experimente oft zum Widerspruch heraus, weil sie Denkstrukturen in Frage stellen, in denen wir es uns eigentlich ganz bequem eingerichtet haben.

Also, zurück zum Darmstädter Jazzforum. Das haben wir mit einem Sun Ra-Zitat überschrieben:  Destination unknown: Die Zukunft des Jazz. Die Ungewissheit des Ziels, sie ist uns ja allen irgendwie bekannt: Wir wissen in der Regel, woher wir kommen, wir wissen, in welchen Strukturen wir leben. Aber wie wir die Zukunft gestalten, wie diese Zukunft unser eigenes Leben und Denken beeinflussen wird, das wissen wir eben nicht. Das Unbekannte, das Unbestimmte ist allerdings nicht nur furchteinflößend, es beschreibt zugleich die Hoffnung auf eine „bessere“, „gerechtere“ Welt.

Entwicklung jedenfalls ist eigentlich immer ein Schritt … nach vorne.

(Wolfram Knauer, 6. Oktober 2022)


4. Oktober 2022
(3) Wer Visionen hat…

Ich hab’s ja schon zweimal angekündigt. Heute also „Visionen“. Und, nein, man muss nicht zum Arzt gehen, wenn man Visionen hat, wie Helmut Schmidt das einst so schön geraten hat. Es reicht, die Visionen regelmäßig mit der Wirklichkeit abzugleichen, sich also bewusst zu bleiben, dass die Vision eventuell ein Fernziel ist, auf das man hinarbeiten kann, das sich dabei allerdings einerseits selbst immer wieder verändert, das andererseits aber schon allein im Denken die eigene Wirklichkeitswahrnehmung und in der Arbeit am Weg oder im Sprechen über ihn auch tatsächlich die Realität beeinflusst.

Konkret also: Was sind denn Visionen? Es ließe sich in unserem Zusammenhang über die musikalische Vision spekulieren, die Vorstellung beispielsweise, eine zumindest für einen selbst bislang unerhörte Zusammenklangskonstellation zu bewerkstelligen, oder die Vorstellung einer interkulturellen Improvisation, bei der alle beteiligten Künstler:innen den Konventionen folgen, denen Improvisation in ihren jeweiligen Kulturen unterliegen. Eine Vision könnte sich einzig aufs Instrument beschränken, auf technische  Details, auf die Beherrschung desselben oder auf mechanische Veränderungen, die angestrebte musikalische Prozesse vereinfacht. Wäre es nicht gut, könnte eine weitere Vision sein, auf die man hinarbeiten kann, wenn sich unsere Gesellschaft komplett im Bereich von Jazz und improvisierter Musik abbilde,  in ihrer ganzen Diversität?

Visionen sind tatsächlich erst einmal nur das, die Vorstellung eines ideellen Ziels. Sie haben allerdings meist ganz praktische Auswirkungen, oft bereits auf das ganz aktuelle eigene Tun. In dem Augenblick, in dem ich etwas vor Augen habe, das mir als wünschenswert erscheint, werde ich bereits mein aktuelles Handeln daraufhin überprüfen, ob es dem Weg dorthin hilft oder eher hinderlich ist. Jede Vision also beeinflusst mein Handeln. Zugleich beeinflusst mein Handeln die Vision. Die Vision hat ja den Vorteil, die Realität auszublenden. Im konkreten Tun erkennt man dann, was möglich ist, besser vielleicht: was einem selbst möglich scheint, und automatisch gleicht man die Vision an. Mit jedem Schritt wird die Vision mehr zu einem Ziel, mehr zum Kompromiss zwischen Vision und Realität. Das also ist der dritte Begriff hier: Vision – Realität – Kompromiss. Der Kompromiss aber ist keine abgespeckte Vision, er ist das in der Realität (für einen selbst) Machbare.

Jazz, Jazz Jazz…. Für mich war der Jazz immer eine visionäre Musik. Über die einzelnen Visionen der Musiker kann ich nur spekulieren; selbst wenn sie drüber gesprochen haben, sind „ausgeprochene“ Visionen ja etwas anderes als die Idee an sich. Für mich hatte Duke Ellington die Vision, dass Musik die Realität der afro-amerikanischen Erfahrung fassen und damit das Verständnis für die Missstände in der US-amerikanischen Gesellschaft verstärken könne. Für mich hatte Charlie Parker die Vision einer musikalischen Sprache, bei der das Zusammenkommen melodischer, harmonischer, rhythmischer Aspekte mit dem Moment der Komplexität, das insbesondere durch die technische Beherrschung seines Instruments mit hineinkam, neue klangliche Welten hervorbringen konnte. Miles Davis und seine Vision des Klangs – seiner Trompete genauso wie seiner Band und seiner Produktionen. Peter Brötzmann und die / eine Vision des freien Zusammenspiels. Die Vision national oder regional verbundener Klänge (Garbarek, Stanko). Die Vision einer nicht zuordbaren Folklore (Louis Sclavis, Erika Stucky, ARFI). Die Vision des Jazz als eines Beispiels für Demokratie (Willis Conover oder das US-amerikanische State Department der 1950er und 1960er Jahre) oder als Beispiel für eine gerechte Gesellschaft (John Lewis, Billy Taylor, Gunter Hampel). Die Vision von Geschlechtergerechtigkeit – auch im Jazz (Terri Lyne Carrington). Die Vision des Jazz als politische und gesellschaftliche Positionierung (Abbey Lincoln, Charles Mingus, Archie Shepp, Sebastian Gramss). Man muss die Visionen nicht kennen, die den Musikern vorschwebten, um ihre Musik genießen zu können, aber wenn man um sie weiß, gibt das den Aufnahmen und Konzerten noch zusätzliche Informationen.

Die Beispiele zeigen: Mal handelt es sich tatsächlich um Visionen, mal haben sich die – wirklich nur beispielhaft genannten – Musiker:innen bereits auf den Weg gemacht, mal kann man den Abgleich von Vision mit Wirklichkeit quasi parallel mitverfolgen. Was alle eint und worum es uns auch beim 18. Darmstädter Jazzforum gehen wird ist: Der Jazz ist eine in die Zukunft gerichtete Musik. Musikerinnen und Musiker wollen mit anderen zusammen Neues kreieren. Sie wollen neue Klänge, neue Sounds, neue Konstellationen, neue Erfahrungen generieren, und zwar solche, die ihre jeweilige Gegenwart abbilden, die  – wie vielleicht jede Art von Avantgarde – etwas zum aktuellen kulturellen Diskurs beitragen. Um aber überhaupt die Freiheit zu haben künstlerische Visionen zu entwickeln braucht es Strukturen, die dies zumindest befördern. Solche Strukturen können Künstler:innenkollektive genauso sein wie Ausbildungsstätten, Förderprogramme genauso wie staatliche Institutionen. Visionen nämlich ohne die Möglichkeit sie umzusetzen bleiben – meistens – Visionen.

Was also ist nötig, um Musikerinnen und Musiker, Veranstalterinnen und Veranstalter,  Journalistinnen und Journalisten, Musikkuratorinnen und Musikkuratoren zu ermutigen ihre Visionen anzugehen? Wir hoffen insbesondere in den Panels des Darmstädter Jazzforums auch über konkrete Vorschläge diskutieren zu können, nicht darüber also, was uns nicht so passt in der Gegenwart, sondern darüber, wie wir uns eine bessere Zukunft ausmalen.

(Wolfram Knauer, 4. Oktober 2022)


28. September 2022
(2) Spökenkiekerei

Ted Gioia hat sich unsere 18. Darmstädter Jazzforum heute zum Thema seines Blogeintrags gemacht – naja, nicht wirklich, aber sein Beitrag über „20 Predictions for the Music Business in 10 Years“ (The Honest Broker) lässt einen zumindest darüber nachdenken, was sich überhaupt über die Zukunft aussagen lässt. Gioia sagt augenzwinkernd voraus, dass die Musik der Zukunft wieder stärker auf das Musikalische fokussiert sein wird, zumindest will uns das Marketing so etwas weismachen wollen. Physische Tonträger werden keine Rolle mehr für die Karriere von Künstler:innen spielen. Diese entwickeln Strategien, beim Vermarkten ihrer Musik im Internet immerhin 80-90 Prozent der Einnahmen für sich behalten zu können. Der größte Hit auf den Billboard-Charts wird von Künstlicher Intelligenz erzeugt worden sein. Die einzelnen Tracks eines neuen Albums (von großen Stars) werden vor Veröffentlichung als NFTs versteigert. Gestreamte Musik wird mehr Umsatz bringen als Livekonzerte (ist das nicht schon heute so?). Es wird weiterhin Plattenfirmen geben, die allerdings vor allem ihren Backkatalog vermarkten und sich um das Auslaufen des Urheberrechtsschutzes für ihre Produkte sorgen. Die neuen Hubs der Musikindustrie werden in Seoul, Kinshasa und Jakarta liegen.  Gioia sagt außerdem noch voraus, dass in zehn Jahren Posaunen zum großen neuen Ding werden, weil es einen groß gehypten Celebrity-Skandal gab, bei dem das Instrument eine zentrale Rolle spielte.

Hmmm, wir werden’s hoffentlich alle sehen. Für unser Thema immerhin zeichnet sich ein wichtiger Aspekt ab: Musik scheint schon seit den 1920er Jahren unausweichlich mit der Entwicklung der Tonträgerindustrie verbunden – so sehr, dass technologische Entwicklungen automatisch Auswirkungen auf das Leben, das Einkommen und die Kunst von Musikerinnen und Musikern haben. Das gilt für die gesamte Musikbranche, für den Jazz aber vielleicht noch ein Stückchen mehr, weil er als improvisierte Musik ja quasi immer schon NFTs verkaufte, non-fungible tokens. Jede Aufnahme, jeder Auftritt von Jazzmusiker:innen ist ein Unikat. Es gab und gibt Künstler:innen, die tatsächlich so viel wie möglich mitschneiden, teils zur eigenen Kontrolle (z.B. Duke Ellington in den 1960ern), teils, um sie zu pressen und einem Publikum zugänglich zu machen, dass um die Singularität eines jeden Auftritts weiß (z.B. Gunter Hampel).

Die Dystopie einer zukünftigen Musik wäre vielleicht tatsächlich die Vorstellung, dass durch Artificial Intelligence erzeugte Kunst ähnliche emotionale Wirkung haben könnte wie von Menschen gemachte. Ich bin da relativ relaxt: Klar wird es möglich sein, Musik zu generieren, die klingt „wie“ etwas anderes, Musik also, die auf Klangklischees der Vergangenheit Bezug nimmt, Parker, Coltrane, Miles, diese aber neu mischt. Bestimmt kann AI irgendwann auch Musik erzeugen, die klingt „wie ein Experiment“, wie das also, was wir an aktueller improvisierter Musik spannend finden. Kann aber eine Maschine Risiken eingehen? Improvisatorische Risiken, wenn Musiker:innen sich auf die Reaktion anderer Kolleg:innen einlassen, auf die sie wiederum selbst reagieren; ästhetische Risiken des Gelingens eines vorher vorgestellten Konzepts, bei dessen Ausarbeitung man in improvisierter Musik allerdings eben nie bis zum Ende plant, sondern ganz bewusst aufs Risiko setzt? Es gibt diesbezüglich ja durchaus schon Versuchsanordnungen (George Lewis‘ Voyager; Dan Tepfers „Natural Machines“-Projekt).

Ich mag die Vergleiche zwischen Musik und Sport nicht, aber doch: Klar kann eine Maschine schneller laufen als ein Mensch. Aber wird sie schwitzen? Wird man die Aufregung riechen? Wird man die emotionale Verausgabung spüren und die Freude oder Enttäuschung über das Ergebnis? Musik kann man auch „riechen“. Sie entsteht im gemeinsamen Agieren von Musiker:innen, die zu immer neuen musikalischen Aggregatzuständen führen, zu neuen klanglichen Verbindungen, zu unerwarteten oder aber auch erwartbaren Reaktionen, zu Freude, einsetzender Langeweile, Nervenkitzel oder diesem unbeschreibbaren Selbst-Teil-des-kreativen-Prozesses-Werden.

Die Zukunft der Musikindustrie also, und die Einbindung der Musiker:innen in sie: sicher ein wichtiges Thema auch fürs Jazzforum. Eigentlich schon lange ein wichtiges Thema im Jazz, spätestens seit Charles Mingus und Max Roach mit Debut auch die Vermarktung ihrer Aufnahmen in eigene Hände nehmen wollten.  Was ist möglich, was wünschenswert, was unausweichlich, was unbedingt zu verhindern? Oder sollten wir uns nicht auf die Kreativität gerade unseres Metiers verlassen, die aus jeder Gemengelage etwas Spannendes generieren kann, weil sie nämlich idealerweise auf Gegenwart reagiert und Zukunft ausprobiert statt Vergangenheit nachzukauen?

Ah, eigentlich hatte ich über „Vision und Wirklichkeit“ schreiben wollen, jetzt hat mich Ted Gioia aber erst mal auf ein anderes Pferd gehoben. Next time also…

(Wolfram Knauer, 28. September 2022)


26. September 2022
(1) The devil You (don’t) know…

Das Vorhersehen kultureller Entwicklungen hat eigentlich noch nie richtig geklappt. Wir stecken dafür ja viel zu sehr in den Gedankenstrukturen, die unsere kulturelle Gegenwart prägen, müssten aber nicht nur die künstlerischen Diskurse voraussehen, sondern genauso alternative Räume, in denen Diskurse geführt werden können, Themen, die wir zurzeit für vielleicht gar nicht so wichtig erachten, eine veränderte (Selbst-)Auffassung von Kunst. Wir müssten Institutionen mitdenken und ihre Veränderungen (vgl. z.B. die Forderungen, die beim Darmstädter Jazzforum 17 in Bezug auf Diversität in den Institutionen gestellt wurden), politische Befindlichkeiten (vgl. z.B. die Diskussionen um die Documenta 15 und die Kontrollpflichten von Kurator:innen genauso wie von Politik), Veränderungen in der Wahrnehmung und Anerkennung von Künstler:innen und ihrer kreativen Arbeit in der Gesellschaft. Und natürlich müssten wir die künstlerische Aussage selbst mitdenken, den kreativen Prozess und sein Ergebnis, im Falle der Musik das Konzert, die Studioproduktion, den Konnex mit dem Publikum.

Wie sähe das alles im Jazz aus? Wir haben uns da ja auf – wenn auch unterschiedlich bewertete – Identifikatoren „unserer“ Musik geeinigt. Zum Beispiel: improvisatorisch, forschend, die Intensität neu ausdeutend, die bislang entweder durch „swing“ oder „energy play“ oder andere Arten der Verzahnung rhythmischer, melodischer und harmonischer Impulse gekennzeichnet war. Ein Bezug auf die afro-amerikanische Herkunft der Musik und all die damit verbundenen Konnotationen, insbesondere jene der Community: dass also Jazz eine Musik ist, die Gemeinschaft braucht, die Reaktion des Publikums. Ein solcher Bezug kann ganz direkt passieren (melodisches, harmonisches oder Sound-Zitat), aber genauso auch indirekt („mit dem Bewusstsein von…“). Zurzeit wird dieser Respekt vor der afro-amerikanischen Herkunft und Erfahrung des Jazz auch hierzulande vermehrt eingefordert, zum Beispiel in Bezug auf ethnische Diversität bei Konzert- und Festivalprogrammen.

Wird das aber in zehn Jahren auch noch der Fall sein oder werden wird die aktuelle Tendenz zum aktiven Ausgleich sozialer und kultureller Ungerechtigkeiten bis dahin nicht mehr als so wichtig erachtet werden und stattdessen vielleicht stärker darauf geachtet, was improvisierte Musik uns „heute“, also 2032, sagen kann? Wird das House of Jazz in Berlin realisiert sein und werden ähnliche  Konzerträume auch anderswo in der Republik zur Verfügung stehen, entweder hochsubventioniert durch die öffentliche Hand oder aber privat finanziert durch kommerzielle Geldgeber, die erkannt haben, das künstlerische Forschung auch für ihr Gebiet nicht weniger wichtig ist als jene im analogen oder virtuellen Labor? Werden wir nach wie vor Clubkonzerte vor Livepublikum haben, oder ermöglichen die Entwicklungen der virtuellen Realität uns entsprechende gemeinsame Erlebnisse auf andere Weise? Wird das Musiker:innenleben nach wie vor vor allem aus Reisen, Forschen und Unterrichten bestehen oder werden sie ihrer kreativen Arbeit co2-neutral mehr und mehr von Zuhause aus nachgehen können?

Arrghhh… Ich bin nicht gut in Science Fiction. Vielleicht bin ich zu sehr Realist, vielleicht zu furchtsam, vielleicht einfach zu wenig Künstler… Jedenfalls folgen jedem „Warum nicht!“ in meinem Kopf jede Menge an Fragezeichen. Man neigt ja leicht dazu, die Sicherheit der aktuellen Realität der Unsicherheit des Experiments vorzuziehen: „the devil you know is better than the devil you don’t know…“ Ich belasse es mal dabei und ahne: genauso wenig, wie ich die Zukunft des Jazz ausmalen kann, kann ich mir wirklich die Diskussionen ausmalen, die wir im September 2023 beim Darmstädter Jazzforum über sie haben könnten. Was mich dabei versöhnlich stimmt: dass ich weiß, es mit kreativen Künstler:innen zu tun zu haben, die sich nicht scheuen, einen Gedanken zu nehmen und ihn einfach mal weiterzuspinnen, egal wieviel Anpassungen des Kontextes dabei nötig sind. Das ist schließlich eine der Stärken des Jazz (wie auch anderer künstlerischer Avantgarden): dass er dazu in der Lage ist, sich auf einzelne Motive zu fokussieren, auf rhythmische Strukturen, auf emotionale Ahnungen, diese jeweils zu sezieren und dabei quasi nebenbei Neues zu erschaffen.

Was mich allerdings gleich wieder darüber sinnieren lässt, ob Zukunft immer, nun, zumindest „auch“ Zufall ist? Aber das wäre das Thema eines weiteren Blogeintrags – übrigens genauso wie das Thema „Vision meets Wirklichkeit“, über das ich mir beim nächsten Mal Gedanken machen möchte…

(Wolfram Knauer, 26. September 2022)


Alle Fotos in diesem Blog stammen aus dem Sun Ra Archive der Hartmut Geerken-Sammlung im Jazzinstitut Darmstadt.

Destination Unknown: Die Zukunft des Jazz

Mittwoch, 27. bis Samstag, 30. September 2023

Der Jazz blickt auf eine über hundertjährige Geschichte zurück, in der er immer wieder totgesagt wurde, um gleich darauf mit neuen Sounds wiederzuerstehen. Er hat das Bild US-Amerikas im 20. Jahrhundert geprägt, er hat die populäre Musik beeinflusst, er hat Musiker:innen überall auf der Welt inspiriert eigene Wege zu gehen. Damit wurde der westlich geprägten Kunstmusik ein alternatives Konzept gegenübergestellt, das individuelle Kreativität nicht nur bei einzelnen Komponist:innen, sondern bei allen Musiker:innen des Ensembles verortet. Ein Grund dafür, warum der Jazz so produktiv und lebendig blieb, ist die Tatsache, dass diese Musik weniger ein Genre als vielmehr eine musikalische Praxis ist, die von jeder Generation, von Künstler:innen unterschiedlichster Herkunft und kultureller Traditionen jeweils neu interpretiert werden kann.

Programmheft fürs 18. Darmstädter Jazzforum (PDF)

Wie also ist es um die Zukunft des Jazz bestellt?

Das 18. Darmstädter Jazzforum wagt den Blick nach vorn, fragt danach, was diese musikalische Praxis alles möglich macht und wo ihre Grenzen sind.

Wir diskutieren über die Balance zwischen Respekt vor den Ursprüngen des Jazz als einer afro-amerikanischen Kunstform und den Aufgaben einer aktuellen Avantgarde sowie über die Rolle, die Jazz innerhalb der Diskurse der Zeit und der Region spielt, in der er rezipiert wird.

Wir fragen nach der Zukunft der Tonträger- und Streamingindustrie, nach der Aufgabe von Radio, Internet und Podcasts, nach einer Ausbildung, die nicht nur künftige Jazzmusiker:innen im Blick hat, sondern kreative Musik als Ganzes. Wir sprechen über Nachhaltigkeit in allen diese Musik betreffenden Bereichen.

Wir fragen nach dem Bewusstsein der Jazzszene für Themen wie etwa Klimaneutralität, Geschlechtergerechtigkeit, Diversität. Und wir diskutieren, welche Aufgaben dem „Jazz“ als einer Idee und musikalischen Praxis in einer Welt zukommen, in der sich Genregrenzen zusehends verwischen.

Wir haben das 18. Darmstädter Jazzforum mit einem Titel Sun Ras überschrieben, „Destination Unknown“. Sun Ras Musik ist ein Paradebeispiel dafür, wie Musik Zukunft  (Stichwort „Afrofuturism“) denken kann, ohne die Tradition zu vergessen. Wie es weitergeht mit dem Jazz wissen wir nicht. Darüber sprechen, was wir uns wünschen würden, wollen und werden wir bei diesem Jazzforum mit Beteiligten, mit professionellen Beobachter:innen und mit Interessierten.

Das Darmstädter Jazzforum versteht sich als aktiver Mittler zwischen musikalischer Praxis und Diskursen. Wir laden Wissenschaftler:innen unterschiedlicher Disziplinen ein, Journalist:innen, Veranstalter:innen, Pädagog:innen, vor allem aber auch Musiker:innen aus der aktiven Szene.

Das Jazzforum will sowohl Denkanstöße geben als auch musikalische Räume öffnen und damit zu einem Austausch anregen, bei dem die Beiträge von Jazz und improvisierter Musik für den kulturellen Diskurs der Gegenwart im Vordergrund stehen.

— siehe auch: Abstracts und Bios der Referent:innen und Panelist:innen —
— siehe auch: Zufällige Gedanken (Blog zum 18. Darmstädter Jazzforum) —

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MITTWOCH, 27.9.2023, 18 Uhr

AUSSTELLUNG
Vernissage: The all of everything@Jazzinstitut
mit Yaeko Asano und NEDE, Paulina Stulin und Johanna Krimmel, Fabian Rücker und MOLUSK, Bianca Dührssen und Jan Niklas Diwisch, Kerstin (Kiki) Rau und dink
Eintritt frei

MITTWOCH, 27.9.2023, 20 Uhr

KONZERT
Pre-Opening: young experimental music@Jazzinstitut

Karja /Renard/Wandinger Trio mit Kirke Karja, Etienne Renard, Ludwig Wandinger
Eintritt: 18 € / erm. 12 €
Kartenreservierungen an jazz@jazzinstitut.de. Tickets werden an der AK hinterlegt.

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DONNERSTAG, 28.9.2023, 14-18 Uhr

KONFERENZ
Destination Unknown@HoffART-Theater
Eintritt frei, Registrierung über QR-Code (oder anklicken)

PAST AND FUTURE
Am ersten Tag lassen wir das Pendel unseres Zukunftsmessgeräts gleich am weitesten ausschlagen. André Doehring überlegt, ob der Jazz nicht immer schon die Frage nach der Zukunft in sich getragen hat. Harald Kisiedu nimmt Theo Crokers Aussage „JAZZ IS DEAD“ zum Anlass zu fragen, wie oft der Jazz schon totgesagt wurde und wie sich dieser Diskurs in einem größeren historischen Kontext lesen lässt. In unserem ersten Roundtable diskutieren wir unter der Überschrift „Jazz – aber für wen eigentlich?“ ob der Jazz tatsächlich unsere gegenwärtige Gesellschaft abbildet bzw. was zu tun ist, um ihn noch stärker als eine Musik der Offenheit und des Aufeinanderhörens zu positionieren. Wir haben dafür den Bassisten James Banner eingeladen, über seine Auseinandersetzung mit Klassismus in seinem Class-Work-Projekt zu berichten; die Vibraphonistin Evi Filippou, die ihre Erfahrungen mit Schüler:innen thematisiert; sowie die Pianistin Julia Kadel, die sich im Projekt QueerCheer für sie Sichtbarkeit queerer Menschen auch in Jazz und improvisierter Musik einsetzt (Moderation: Sophie Emilie Beha).

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FREITAG, 29.9.2023, 9:30-12:30 Uhr

KONFERENZ
Destination Unknown@HoffART-Theater
Eintritt frei, Registrierung über QR-Code (oder anklicken)

ANCIENT TO THE FUTURE
Der zweite Tag beginnt zwei Vorträgen, die sich dem Futurismus Afro-Amerikas widmen. Richard Herzog erklärt, wie wichtig die Idee der Traditionsverbundenheit in der Musik junger afro-amerikanischer Musiker:innen wie Matana Roberts und Moor Mother ist. Magdalena Fürnkranz wirft einen Blick auf den Afrofuturismus als historisches Konstrukt und Antriebsfeder für aktuelle Musik und stellt dabei eine Verbindung zwischen Sun Ra und Janelle Monáe her. Bettina Bohle wird genereller und fragt, inwieweit sich „Jazz“ nicht oft selbst im Wege steht. Sie holt die Diskussion damit auch von Afro-Amerika nach Deutschland und diskutiert, was mit diesem Begriff hierzulande in ganz unterschiedlichen Kontexten eigentlich gemeint ist.

FREITAG, 29.9.2023, 14-18 Uhr

KONFERENZ
Destination Unknown@HoffART-Theater
Eintritt frei, Registrierung über QR-Code (oder anklicken)

WAS WÄRE WENN?
Der Freitagnachmittag wird konkreter. Das BuJazzO hatte 2022 einen Kompositionswettbewerb unter der Überschrift „Zukunftsmusik“ ausgerichtet, damit allerdings vor allem auf das Alter der teilnehmenden Komponist:innen angespielt. Der Saxophonist Niels Klein, der den Wettbewerb leitete, und die Flötistin Jorik Bergman, die zu den Preisträger:innen gehörte, machen sich dennoch gemeinsam Gedanken darüber, was Zukunft für sie und für ihre jeweilige Musik bedeuten mag, ganz konkret, künstlerisch oder für ihre jeweilige Lebensplanung. Der Saxophonist Frank Gratkowski fragt aus eigener Perspektive, was Jazz ist, was er sein und was aus ihm werden könnte. Im zweiten Panel des Jazzforums fragen wir unter der Überschrift „Macht Platz!“ danach, wo sich die Zukunft der Musik gestalten lässt. Kreativität benötigt schließlich Räume, im wörtlichen Sinn genauso wie metaphorisch. Eingeladen haben wir dafür Esther Weickel, die als Projektleiterin des NICA artist development am Europäischen Zentrum für Jazz und aktuelle Musik des Stadtgarten Köln arbeitet, das sie vorstellt; Camille Buscot, Co-Geschäftsführerin der IG Jazz Berlin, die Einblick in regionale genauso wie nationale Strukturdiskurse hat; sowie Jonas Pirzer, Referent im Kunstminsterium Baden-Württemberg, der erklären kann, was es von öffentlicher Seite braucht, um Räume zur Verfügung zu stellen (Moderation: Sophie Emilie Beha).

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Freitag, 29.9.2023, 20 Uhr

DOPPELKONZERT
femenine music@Centralstation
Mother mit Athina Kontou, Lucas Leidinger, Dominik Mahnig, Luise Volkmann
Jorik Bergman’s Julius Eastman Project mit Jorik Bergman, Maripepa Contreras, Inga Rothammel, Minhye Ko, Carla Köllner, Chae Yeon Lee, Luise Volkmann, Mareike Wiening (Mitschnitt hr2 Kultur)
Eintritt: 22 € / Ermäßigungen möglich
Vorverkauf über Centralstation Darmstadt (Link zu ztix)

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SAMSTAG, 30.9.2023, 9:30-12:30 Uhr

KONFERENZ
Destination Unknown@HoffART-Theater
Eintritt frei, Registrierung über QR-Code (oder anklicken)

AM WANDEL MITWIRKEN
Teresa Becker fragt, welche Rolle Musiker:innen bei dem Zukunftsthema überhaupt spielen können: der nachhaltigen Entwicklung. Monika Herzig berichtet von der kürzlich erschienenen Sammlung „New Standards“, die Kompositionen speziell von Musikerinnen enthält, und fragt, wie der Weg zu einer Geschlechtergerechtigkeit im Jazz aussehen könnte. Der Basler Bassist Kaspar von Grünigen stellt die „Volksinitiative für mehr Musikvielfalt“ als eine Aktion aus der Schweizer Basis heraus vor, bei der eine öffentliche Musikförderung skizziert wird, die nicht in erster Linie durch Interessenspolitik und ästhetische Diskussionen gefärbt ist, sondern soziokulturelle Aspekte ins Zentrum stellt.

SAMSTAG, 30.9.2023, 14-18 Uhr

KONFERENZ
Destination Unknown@HoffART-Theater
Eintritt frei, Registrierung über QR-Code (oder anklicken)

ES GEHT UMS GANZE!
Am Samstagnachmittag fassen wir zusammen. Dafür ist ein Blick von außen vielleicht nicht ganz falsch. Thomas Meinecke beschäftigt sich als Autor, DJ und Musiker mit Fragen der Ästhetik, der Geschlechtertheorie, mit Authentizität und künstlerischer Utopie. Im Gespräch mit Peter Kemper wird er über die Zukunft und die Grenzen des Jazz als Genre nachdenken und uns vielleicht das Bild eines Jazz vor Augen führen, den wir uns noch gar nicht vorstellen können. Saxophonist Uli Kempendorff denkt über Fehlstellen im Diskurs an Hochschulen nach, gibt einen Streikbericht, schaut auf interessante Lösungswege aus unseren Nachbarländern und fragt, was man heute von einer künstlerischen Ausbildung erwarten können sollte. Und beim Abschlusspanel unter der Überschrift „Es geht ums Ganze!“ diskutieren wir Jazz als Teil eines aktuellen gesellschaftlichen Diskurses, fragen, welche Aspekte der Praxis improvisierter Musik dazu beitragen können, uns für Gegenwart und Zukunft zu engagieren? Saxophonist Jan Klare erläutert die inneren Strukturen und die Arbeitsweise seiner Band Das Dorf, reflektiert Rollenverständnisse im Ensemble und erklärt, wie sich politische Überzeugung und Musikmachen miteinander vereinen lassen. Die Geigerin Akiko Ahrendt berichtet über die Überschneidungen von Musik und politischem Aktivismus; und die ukrainische Kulturmanagerin Mariana Bondarenko reflektiert, welche Rolle Jazz, Musik, Kultur in Zeiten des Kriegs spielt, spricht aber auch über die ganz direkten Auswirkungen des Kriegs, in dem ja zahlreiche Musiker als Soldaten aktiv sind (Moderation: Sophie Emilie Beha).

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SAMSTAG, 30.9.2023, 20 Uhr

DOPPELKONZERT
out of the box music@Knabenschule
Les Marquises mit Emilie Škrijelj, Tom Malmendier plus Christine Abdelnour
Gratkowskis 5 mit Frank Gratkowski, Philip Zoubek, Robert Landfermann, Dominik Mahnig feat. Ingrid Laubrock
Eintritt: 22 € / erm. 18 €
Vorverkauf über Bessunger Knabenschule (Link zu ztix)

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Das Darmstädter Jazzforum verbindet seit 1989  den Diskurs um Jazz und Improvisierte Musik mit dem praktischen Musikerlebnis in einer einzigartigen Verbindung aus internationaler Konferenz, Konzerten, Workshops und Ausstellungen. Alle Jazzforen sind in unserer Buchreihe „Darmstädter Beiträge zur Jazzforschung“ dokumentiert (Wolke Verlag).

Dozenten und Dozentinnen 2022

Rabie Azar …

… war in Syrien acht Jahre lang Mitglied des Syrischen Nationalorchesters und des National Syrian Orchestra of Arabic Music sowie des Mediterranean Orchestra gewesen, bevor er dem syrischen Bürgerkrieg nach Deutschland entfloh. Von 2015 bis 2018 war der Bratschist Mitglied im Florida Lake Symphony Orchestra. Internationale Tourneen mit all diesen Orchestern führten ihn durch Europa und in die halbe arabische Welt.

Foto: Imago/Bridges-Musikprojekt©

In seiner Heimat Syrien lehrte er parallel zu seinen Konzertengagements zunächst auch Violine und Viola an der Al Baath Universität in Homs sowie dem Sulhi al Wadi-Institut für Musik in Damaskus. Sein Studium hatte er 2005 am nationalen Musikkonservatorium von Damaskus abgeschlossen, wo er in klassisch-westlicher und in traditionell-orientalischer ebenso wie in zeitgenössischer populärer Musik ausgebildet wurde.

In Deutschland ist Rabie Azar u.a. Mitglied des Frankfurter „Bridges – Musik verbindet“-Kammerorchesters und lebt seit ein paar Jahren in Darmstadt. Neben zahlreichen Bühnenerfahrungen in sehr unterschiedlichen Kontexten während der letzten Jahre unterrichtet Azar auch im musikalischen Weiterbildungsprojekt Waggong e.V. in Frankfurt, wo er sein Wissen über die Fusion unterschiedlichster Musiktraditionen und deren vielfältigen Elementen der Improvisation an seine Schüler:innen weitergibt.

Heidi Bayer

… hat in den letzten Jahren eine bemerkenswerte Karriere hingelegt, die sie in eine Reihe mit anderen jungen (sie ist Jahrgang 1987) europäischen Spitzen-Trompeterinnen wie Andrea Motis, Laura Jurd oder Airelle Besson stellt. Seit 2020 ist sie Resident des NICA-Artist Development Program im Kölner „Stadtgarten“. Heidi Bayer ist eine von drei Nominierten für den diesjährigen „Deutschen Jazzpreis“ in der Kategorie „Blechblasinstrumente“.

Foto: Franka Hills©

Bayer, die aus dem oberfränkischen Kulmbach stammt und ursprünglich mit der Klarinette begann, kam über die Schul-Bigband zur Trompete und zum Jazz, und wurde anschließend kulturell-musikalisch im Großraum Frankfurt sozialisiert. Einem Studium im Fach Kulturmanagement in Marburg schloss sich ein Bachelor in Jazz- und Popularmusik an der Hochschule für Musik in Mainz an, bevor es sie nach einem Auslandssemester in Miami endgültig in die Jazzmetropole Köln weiterzog und einen Masterstudiengang Jazz / Improvising Artist bei Ryan Carniaux und Thomas Rückert an der Folkwangschule in Essen folgen ließ.

In ihrer neuen Wahlheimat, in der Domstadt, mischte Bayer sich in die vielfältige Szene ein, zeigte Präsenz auf unzähligen Sessions und war schnell gefragt bei diversen großen und kleinen Bands, die das Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Struktur immer wieder anders ausbuchstabieren; in Bigbands wie dem Subway Jazz Orchestra, der Hendrika Entzian Bigband oder dem Fuchsthone Orchestra ebenso wie beispielsweise in den Bands von Janning Trumann, Shannon Barnett, Stefan Karl Schmid oder Sven Decker. In Darmstadt war sie zuletzt 2021 mit Luise Volkmanns LEONEsauvage zu hören.

Zunehmend fokussiert sich Bayer auf ihre eigenen Projekte, ihr Duo mit dem Pianisten Sebastian Scobel oder ihr Quartett Virtual Leak, dessen Debüt-CD im Frühjahr 2020 erschienen ist. Nicht nur als Instrumentalistin, sondern zunehmend auch als Bandleaderin, Arrangeurin und Komponistin erarbeitet sie sich den Zugriff auf die ganz große Palette der Klänge.

Christopher Dell …

… ist seit den späten 1990er Jahren Stammgast in der illustren Riege der Lehrkräfte bei den Darmstädter Jazz Conceptions.  Seitdem hat der gebürtige Darmstädter eine fantastische musikalische Karriere hingelegt, die ihm neben dem Musikpreis seiner Heimatstadt, den der Vibraphonist bereits 2005 erhielt, im vergangenen Jahr den „Deutschen Jazzpreis“ und in diesem Jahr auch noch den „Hessischen Jazzpreis 2022“ einbrachte.

Foto: Johanna Lippmann©

Aber nicht nur als improvisierender Musiker zählt Dell zu den herausragenden Protagonisten der Gegenwart, sondern auch als Stadtbautheoretiker, Philosoph und Architekturkritiker sind Dells Diskursbeiträge europaweit gefragt. Plan, Struktur, Komplexität, Information sind zentrale Begriffe im künstlerischen wie akademischen Kosmos Christopher Dells. Insbesondere mit seinen egalitären Trios D.R.A. (Dell/Ramond/Astor) und Dell/Lillinger/Westergaard verfolgt er diese musikalische Philosophie seit bald zwei Jahrzehnten konsequent. „Dell mag es schwierig, mag die Schwelle, den Widerstand. (…) Musikalische Forschung ohne Gefallsucht, das ist sein Metier“, schrieb Ulrich Stock in der ZEIT dazu.

Über seine Ideen für den diesjährigen Kurs sagt er folgendes:

„Ich werde mit den TeilnehmerInnen Materialien aus meinem Werkzyklus „Das Arbeitende Konzert/ The Working Concert“ erarbeiten.“

Angela Frontera

… fand 1993 den weiten Weg von Belo Horizonte ins beschauliche Rheinhessen. Die Tochter einer Musikerfamilie, die als Perkussionistin bereits in Brasilien mit vielen großen Namen aufgetreten war, fasste in Deutschland und Europa schnell in der vitalen Latin-Szene Fuß. Neben „ernsthaften“ musikalischen Projekten mit Airto Moreira, Paulo Cardoso, Edo Zanki oder dem auch kommerziell sehr erfolgreichen LatinJazz-Projekt Café del Mundo, sah man die Perkussionistin in vielen Fernsehshows an der Seite von Nina Hagen, Grace Jones, Lou Bega oder gelegentlich auch in der „Harald-Schmidt-Show“.

Foto: Seele Zeigen©

Ihre wohl bekannteste und dauerhafteste Zusammenarbeit mit dem Duo „Rosanna & Zélia“ brachte ihr viel internationale Aufmerksamkeit in der so genannten World Music-Szene der 90er und 00er-Jahre. Aber auch in der Jazzband Witchcraft um die Bassistin Lindy Huppertsberg oder der Frankfurter Frauen-Popband Kick La Luna fühlt sich Frontera in den letzten Jahren wohl. Vor allem ihre Vielseitigkeit als Perkussionistin, seltener am klassischen Schlagzeug-Set – wobei sie auch das beherrscht, wie sie nicht zuletzt auf Uli Partheils letzter Produktion „Reflections2020“ unter Beweis stellt – machen Angela Frontera zu einer äußerst gefragten und damit überaus Band-erfahrenen Musikerin.

Uli Partheil

… ist seit 2021 künstlerischer Leiter der Darmstädter Jazz Conceptions und damit Nachfolger seines langjährigen musikalischen Mentors und Freundes Jürgen Wuchner. Partheil ist einer der aktivsten Protagonisten der Darmstädter Szene, beeinflusst von der Musik Duke Ellingtons, Thelonious Monks, kubanischen Rhythmen und dem Blues. Er ist nicht nur ein versierter Pianist in sämtlichen Stilistiken des Jazz, sondern auch als Komponist tätig. In seinen Kompositionen geht er äußerst kreativ mit den verschiedenen Einflüssen um, die ihn als Musiker prägen.

Foto: Oskar Partheil©

Uli Partheil studierte an der Mannheimer Musikhochschule unter anderem bei Professor Jörg Reiter Jazzpiano, außerdem Komposition und Arrangement. Seit Beginn der 1990er Jahre arbeitete er mit Jürgen Wuchner, Matthias Schubert, Janusz Stefanski, Ack van Rooyen, Rudi Mahall, Emil Mangelsdorff, Hanns Höhn, Peter Back, dem Wiener Kronenbräu Orchester und vielen anderen zusammen. Als Begleiter ist er auch immer wieder am Staatstheater Darmstadt zu hören. Bis zum Beginn der Pandemie leitete er das von ihm selbst ins Leben gerufene Darmstädter Jugendweltmusikorchester.

Mit seinem Working Trio „Playtime“ ist er in den letzten Jahren mit verschiedenen Literatur- & Jazz-Projekten erfolgreich. Zuletzt veröffentlichte er gemeinsam mit Ulli Jünemann, Ralf Cetto und Angela Frontera den Longplayer „Reflections2020“. Partheil unterrichtet an der Jazz & Pop School Darmstadt. Für seine musikalischen Verdienste und sein Wirken für die Förderung des jazzmusikalischen Nachwuchses erhielt er 2008 den Darmstädter Musikpreis.

Über seine Vorstellungen zum diesjährigen Workshop schreibt er folgendes:

Ich möchte wieder versuchen mindestens ein Stück auswendig und ganzheitlich zu erarbeiten, d.h. die Musiker:innen sollen nicht nur ihren Part, sondern das ganze Werk lernen und verstehen. Dazu werde ich eigene Kompositionen und andere ausgewählte Stücke mitbringen.“

Christian Ramond …

… hat sie alle begleitet: Joe Pass, Lee Konitz, Dave Liebman, Kenny Wheeler, Charlie Mariano, Thomas Stanko, Albert Mangelsdorf, Doug Rainey, Randy Brecker, Don Friedman, Philippe Catherine, Keith Copeland … eine nicht enden wollende Reihe großartiger Jazzmusiker. Und wahrscheinlich wäre die Reihe der Länder, in denen Ramond noch nicht aufgetreten ist weitaus kürzer als die Liste seiner internationalen Gastspiele. Hinzu kommen annähernd 100 Einspielungen auf CD oder Schallplatte.

Foto: Christian Ramond©

Dieses enorme Lebenswerk liegt darin begründet, dass der in Bonn geborene Kontrabassist in allen Stilistiken des Jazz – von Swing bis zum freien Zusammenspiel – zuhause ist. Ramonds Spiel ist dabei nicht nur äußerst solide, sondern auch höchst wandlungsfähig – ohne seine eigene, charaktervolle Klangsprache zu verlieren, die mit Sicherheit auch in seinem Ensemble während der 31. Darmstädter Jazz Conceptions zum Tragen kommen wird.

Über seine Vorstellungen zum diesjährigen Workshop schreibt er folgendes:

„In meinem Ensemble möchte ich Kompositionen von drei Wegbereitern des modernen Jazz – Duke Ellington, Charles Mingus und Ornette Coleman – erarbeiten. Die lineare, harmonische und rhythmische Sprache des Jazz soll wie bei Mingus ergänzt werden durch freie Improvisation ,Kommunikation und kollektives Zusammenspiel. Material und Form der Improvisation soll gemeinsam entdeckt und erarbeitet werden und es besteht Offenheit für Ideen, gegebenenfalls eigene Stücke der Ensemblemitglieder.“

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